Bundesgerichtshof Beschluss, 16. März 2017 - 4 StR 11/17
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am 16. März 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision der Beschuldigten hat mit der Sachrüge Erfolg. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
I.
- 2
- Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
- 3
- 1. Die Beschuldigte leidet spätestens seit dem Jahr 2003 an einer paranoiden Schizophrenie. Mit Urteil vom 1. Februar 2007 ordnete das Landgericht Nürnberg-Fürth ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an und setzte deren Vollstreckung zur Bewährung aus. Aufgrund der in der Bewährungszeit durchgeführten Maßnahmen (ambulante Therapie, Medikation) kam es bei ihr zu einer Besserung und Stabilisierung des Gesundheitszustands. Nachdem die Beschuldigte mit Ablauf der Bewährungszeit die Einnahme der Medikamente beendet hatte, verschlechterte sich ihre psychische Erkrankung bereits im Laufe des Jahres 2012 wieder. In der Folge kam es zu Auseinandersetzungen mit ihrem geschiedenen Ehemann A. F. , mit dem sie einen Streit um das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder D. und L. führte. Mit Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 25. Juli 2013 wurde A. F. die alleinige elterliche Sorge für beide Kinder übertragen.
- 4
- Am 18. Juli 2014 fuhr die Beschuldigte ohne die erforderliche Fahrerlaubnis mit dem Auto von Fr. nach N. , wo A. F. mit den gemeinsamen Kindern wohnte. Dort nahm sie Kontakt zu ihrer am 19. Juli 2002 geborenen Tochter L. auf und fuhr mit dieser ohne Absprache mit A. F. zurück nach Fr. , wo sie ihre Tochter für eine Hospitation an einem Gymnasium angemeldet hatte. Am 25. Juli 2014 begab sich A. F. nach Fr.
- 5
- a) Nachdem A. F. das Mobiltelefon seiner Tochter übernommen hatte, drohte ihm die Beschuldigte, ihn umzubringen, falls er nicht verschwinde. Anschließend fuhr sie mit einem Pkw durch das Stadtgebiet von Fr. zu ihrer Wohnung. Die dazu erforderliche Fahrerlaubnis besaß sie, wie sie auch wusste, nicht. Dort ging sie mit einer drohend nach oben gehaltenen Eisenstange (92 cm lang und 2,915 kg schwer) auf A. F. zu und warf diese in Richtung seines Unterkörpers. A. F. vermochte reaktionsschnell auszuweichen , sodass er nicht getroffen wurde. Unmittelbar im Anschluss daran veranlasste die Beschuldigte ihre Tochter L. , in ihren Pkw einzusteigen und auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen. Als die Zeugin B. , die dasGeschehen beobachtet hatte, hinzutrat und an die Schulter von L. griff, um dassichtlich gezwungene Kind wieder aus dem Pkw zu holen, biss ihr die Beschuldigte ohne rechtfertigenden Grund in die Hand. B. erlitt dadurch, wie von der Beschuldigten billigend in Kauf genommen, Schmerzen und eine kleine Schürfung. Infolgedessen ließ sie von weiteren Versuchen ab, das Wegbringen des Kindes zu verhindern. Die Beschuldigte fuhr sodann mit dem Pkw davon.A. F. , der zwischenzeitlich die Beifahrertür offengehalten hatte, lief noch wenige Schritte neben dem langsam fahrenden Auto her, ehe er die Tür zuwarf, um nicht selbst gegen einen Laternenpfahl zu stoßen (Ziffer II – Taten der Antragsschrift – Nr. 1).
- 6
- b) Am 26. Juli 2014 schrie die Beschuldigte im Hausflur vor ihrer Mietwohnung herum, schlug gegen Wände und warf Gegenstände zu Boden. Außerdem klopfte sie gegen die Wohnungstür ihrer im gleichen Haus wohnenden Vermieter. Als ihr nicht sogleich geöffnet wurde, kehrte sie in ihre Wohnung zurück. Als ihre Vermieterin, die Zeugin M. , an ihrer Wohnungstür klopfte oder klingelte, um sie zur Rede zu stellen, öffnete die Beschuldigte die Tür und würgte die Zeugin M. unvermittelt für kurze Zeit am Hals. Die Zeugin M. erlitt dadurch, wie von der Beschuldigten vorhergesehen und billigend in Kauf genommen, Schmerzen am Hals. Für etwa eine Stunde war eine durch das Drücken verursachte Hautrötung am Hals sichtbar (Ziffer II – Taten der Antragsschrift – Nr. 2).
- 7
- 2. Die Strafkammer hat angenommen, dass die Beschuldigte rechtswidrige Taten begangen habe, die als versuchte gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung, Bedrohung, Nötigung und Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie Körperverletzung zu bewerten seien. Bei allen Taten habe sich die Be- schuldigte aufgrund einer paranoiden Schizophrenie „zumindest im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB), nicht ausschließbar sogar im Zustand aufgehobener Schuldfähigkeit“, befunden (§ 20 StGB). Bei ihr liege eine paranoide Schizophrenie und damit ein Zustand von Dauer vor. Von ihr seien aufgrund ihres Zustands den Anlasstaten ähnliche rechtswidrige Taten mit einem höheren Wahrscheinlichkeitsgrad zu erwarten.
II.
- 9
- 1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Dazu bedarf es einer konkreten Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Handlungsmöglichkeiten des Täters in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 594/16, NStZ-RR 2017, 76, 77; Beschluss vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75; Beschluss vom 15. Januar 2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; Beschluss vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306).
- 10
- 2. Diesen Anforderungen wird das tatrichterliche Urteil nicht gerecht.
- 11
- Konkrete Feststellungen dazu, ob und in welcher Weise die paranoide Schizophrenie der Beschuldigten Auswirkungen auf die Begehung der festgestellten Anlasstaten hatte, hat das Landgericht nicht getroffen. Auch wird nicht zwischen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit unterschieden. Allein die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie vermag diese Feststellungen nicht zu ersetzen. Soweit in den Urteilsgründen psychisch auffällige Verhaltensweisen der Beschuldigten in der Hauptverhandlung am 20. April 2016 und 11. Mai 2016 mitgeteilt werden (rasche Stimmungswechsel, aufbrausendes und verbal aggressives Verhalten etc.), handelt es sich um Geschehnisse, die in keinem zeitlichen Zusammenhang zu den Anlasstaten stehen. Gleiches gilt für die Berichte über Befunde und Einschätzungen anderer Sachverständiger aus den Jahren 2006 (labiler Affekt, inhaltliche Denkstörungen mit paranoid getönten Themenbereichen etc.) und 2007 (psychotische Symptome mit Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn). Soweit das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen davon ausgeht, dass bei der Beschuldigten im Betreuungsverfahren Erlebtes zu Überwachungsempfinden, der Furcht, abgehört zu werden, und zu der Einschätzung geführt habe, dass ihr Ehemann in ein feindlich gesonnenes Netzwerk eingebunden sei, fehlt es an phänomengebundenen Feststellungen, die dies belegen könnten. Die zu den Anlasstaten getroffenen Feststellungen lassen einen konkreten Bezug zu derartigen Wahninhalten nicht erkennen.
- 12
- 3. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
- 13
- Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den äußeren Geschehnissen bei den Anlasstaten und deren Vorgeschichte sowie weiteren im Urteil geschilderten Vorfällen können in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Dies entspricht dem Antrag des Generalbundesanwalts, der zwar im Eingang seiner Antragsschrift eine (umfassende ) Aufhebung des Urteils nach § 349 Abs. 4 StPO beantragt, in der Antragsbegründung die Feststellungen zum äußeren Geschehen aber ausdrücklich als rechtsfehlerfrei bezeichnet und die Voraussetzungen für deren Aufrechterhaltung nach § 353 Abs. 2 StPO für gegeben erachtet hat.
- 14
- Der neue Tatrichter wird sich gegebenenfalls auch mit der Frage zu befassen haben, ob die Beschuldigte von dem Versuch einer gefährlichen Körperverletzung (Wurf mit der Eisenstange) zurückgetreten ist und – soweit dies der Fall sein sollte – welche Auswirkungen dies auf eine zu stellende Gefährlich- keitsprognose haben kann (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2016 – 4 StR 185/16, StV 2016, 719, 720; Kaspar in: SSW-StGB, 3. Aufl., § 63 Rn. 16 mwN).
Quentin Feilcke
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.