Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Apr. 2004 - 2 StR 363/03
Gericht
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Mordes schuldig gesprochen und gegen die Angeklagten C. und A. jeweils lebenslange Freiheitsstrafen - bei dem Angeklagten A. unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 16. April 2002 als Gesamtstrafe - verhängt. Den Angeklagten T. hat es zu acht Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe, den Angeklagten Ci. zu acht Jahren Jugendstrafe und den Angeklagten G. unter Einbeziehung weiterer Verurteilungen zu einer Einheitsjugendstrafe von neun Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Sachrüge und Verfahrensrügen gestützten Revisionen.I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts hielten die Ang eklagten A. C. , , T. , Ci. und G. am frühen Morgen des 20. Oktober 2001 nach 3.30 Uhr Uhr in Frankfurt ein Taxi an, um nach dem Besuch eines Lokals nach Hause zu fahren. Der Fahrer des Taxis, das spätere Opfer E. , weigerte sich jedoch, den erkennbar angetrunkenen Angeklagten G. zu befördern und veranlaßte diesen und den ebenfalls bereits eingestiegenen AngeklagtenA. wieder auszusteigen. Diese waren über die Beförderungsverweigerung verärgert, knallten die Türen des Taxis zu und einer von ihnen trat gegen das Fahrzeug. Der Taxifahrer stieg aus, um die Angeklagten zur Rede zu stellen und seinen Wagen auf Beschädigungen zu untersuchen. Dies erregte den Angeklagten Ci. , der sich auf den Taxifahrer stürzte. Die weiteren Angeklagten folgten dem Angeklagten Ci. . E. flüchtete mit einem Sprung in seinen Wagen, konnte allerdings die Tür nicht mehr schließen. Der Angeklagte A. versuchte ihn herauszuziehen und hielt ihn fest, während die neben ihm an der geöffneten Fahrertür stehenden Angeklagten T. und C. mehrfach auf das Opfer einstachen. Ein von dem AngeklagtenC. versetzter Stich traf die rechte Herzkammer und die Herzscheidewand des Opfers. Die AngeklagtenCi. und G. standen unmittelbar hinter den anderen Angeklagten und versuchten ebenfalls auf das Opfer einzudringen. Sie billigten das Handeln der anderen Angeklagten und schlugen und traten auf E. ein, nachdem dieser aus dem Taxi gezerrt worden war. Nachdem das Tatopfer zusammengebrochen war, verließen alle Angeklagten den Tatort. E. verstarb noch in der Nacht trotz einer Notoperation.
Das Landgericht hat das Tatgeschehen für alle Angeklagte n als gemeinschaftlichen Mord aus niedrigen Beweggründen gewertet. Die niedrigen Beweggründe hat es im wesentlichen in einem krassen Missverhältnis zwischen Anlaß und Tat gesehen.
II.
Die Revisionen führen zur Aufhebung des Urteils. Zwar b egegnet weder die Beweiswürdigung noch die rechtliche Würdigung der Jugendkammer sachlichrechtlichen Bedenken. Die Rechtsmittel der Angeklagten haben jedoch mit einer Verfahrensrüge - Verletzung des § 265 Abs. 1 StPO - Erfolg.
a) Der Rüge liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage legte den Angeklagten A. , C. , Ci. undT. gemeinschaftlichen Totschlag in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei, dem Angeklagten G. versuchte Körperverletzung in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei zur Last.
Am 3. Hauptverhandlungstag (16. Juli 2002) erteilte d er Vorsitzende der Jugendkammer - nachdem sich zuvor lediglich die Angeklagten T. und A. zur Sache eingelassen hatten - folgenden rechtlichen Hinweis:
"An den Angeklagten T. erfolgte der rechtliche Hinweis, daß möglicherweise eine Verurteilung wegen Mordes nach § 211 StGB unter dem Gesichtspunkt des niedrigen Beweggrundes, auch in Verbindung
mit Versuch, wie auch in Verbindung mit § 28 StGB in Betracht kommt, unter Hinweis auf Heft 2 NStZ aus 2002. Soweit die Anklage gegen A. , Ci. und C. gemeinsamen Totschlag umfaßt, könnte auch gemeinsam begangener Mord vorliegen, je nach Feststellbarkeit niedriger Beweggründe (§ 28 StGB)." Der Angeklagte G. wurde am 8. Hauptverhandlungstag (1. August 2002) darauf hingewiesen,
"daß der bereits erteilte rechtliche Hinweis, daß auch eine Verurteilung nach § 211 StGB wegen Mordes in Betracht kommen kann, auch für ihn gilt." Weitere Hinweise oder eine Erläuterung erfolgten nicht. Die Angeklagten C. , Ci. und G. ließen sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache ein.
b) Zu Recht beanstanden die Angeklagten, daß der Hinweis den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprach. Nach § 265 Abs. 1 StPO darf ein Angeklagter nicht aufgrund eines anderen Strafgesetzes als in der zugelassenen Anklage aufgeführt verurteilt werden , ohne auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes hingewiesen worden zu sein. Der Inhalt des Hinweises richtet sich nach dem konkreten Einzelfall (Engelhardt in KK 5. Aufl. § 265 Rdn. 17). Er genügt nur dann den gesetzlichen Anforderungen, wenn er es dem Angeklagten ermöglicht, die Verteidigung auf den neuen Gesichtspunkt einzurichten. Erfolgt der Hinweis, es komme in Abweichung zur zugelassenen Anklage Mord in Betracht, muß für den Angeklagten auch erkennbar sein, welches Mordmerkmal gemeint ist (BGH StV 1998, 583). Ob bei dem Mordmerkmal der sonstigen niedrigen Beweg-
gründe dabei auch regelmäßig die Einordnung in eine der von der Rechtsprechung und Literatur erarbeiteten Fallgruppen oder jedenfalls die Angabe der rechtlichen Anknüpfungspunkte für die Bewertung des Beweggrunds als niedrig zu fordern ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn jedenfalls muß der Hinweis erkennen lassen, durch welche Tatsachen das Gericht die gesetzlichen Merkmale der Tat als erfüllt ansieht (BGH NStZ 1993, 200 = BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweis 3; NStZ 1998, 529, 530 = StV 1998, 582, 583). Dem wird der den Angeklagten unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Senats vom 19. Oktober 2001 - 2 StR 259/01 (BGHSt 47, 128 = NStZ 2002, 84) erteilte Hinweis nicht gerecht.
aa) Die Strafkammer hat zwar auf den Mordtatbestand und auf das Mordmerkmal des niedrigen Beweggrunds hingewiesen. Zweifelhaft erscheint aber schon, ob die per se nicht sehr präzise Bezugnahme auf die in Heft 2 NStZ 2002 (= NStZ 2002, 84) veröffentliche Senatsentscheidung nur für den Angeklagten T. oder auch für die anderen Angeklagten gelten sollte. Selbst wenn man dies dem Zusammenhang der allen Angeklagten erteilten Hinweise noch entnehmen könnte, wäre der Hinweis sowohl im Hinblick auf die rechtlichen Bewertungskriterien zur Annahme dieses Mordmerkmals als auch im Hinblick auf die dieser Bewertung zugrunde liegenden Tatsachen irreführend. Denn in der angesprochenen Senatsentscheidung ging es um die Annahme niedriger Beweggründe bei einer Tötung in dem Bewußtsein, keinen Grund dafür zu haben oder zu brauchen oder bei einem bewußten Abreagieren von frustrationsbedingten Aggressionen an einem unbeteiligten Opfer. Nach den Feststellungen haben sich die Angeklagten jedoch auf den Taxifahrer gestürzt und seine Tötung jedenfalls in Kauf genommen, weil dieser sich erdreistete , auszusteigen und gegen ihre Handlungen - Treten gegen das Fahrzeug -
aufzubegehren. Dieser Grund war bei objektiver Betrachtung allerdings geringfügig und rechtfertigt die Annahme eines krassen Mißverhältnisses von Anlaß und Tat, von dem die Kammer ausgegangen ist. Demgegenüber läßt sich den Feststellungen mindestens nicht eindeutig entnehmen, daß die Angeklagten - entsprechend dem Sachverhalt in der angeführten Senatsentscheidung - subjektiv davon ausgegangen sind, für eine Tötung keinen Anlaß zu haben oder zu brauchen.
bb) Erst recht war dieser Hinweis nicht geeignet, die Angeklagten ausreichend darüber zu informieren, welche Tatsachen nach Auffassung des Gerichts Grundlage einer solchen Bewertung sein könnten. Diese Angabe war hier auch nicht entbehrlich. Von einer ausdrücklichen Bezeichnung der Tatsachen darf nur dann abgesehen werden, wenn nach dem Inbegriff der bis dahin durchgeführten Hauptverhandlung kein Zweifel bestehen kann, an welche tatsächlichen Umstände der Hinweis anknüpft (BGHSt 13, 320, 325; 18, 56, 57; BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweis 3; BGH StV 1984, 190, 191; NStZ 1993, 200; 1998, 529, 530 = StV 1998, 582).
Weder der Anklageschrift noch den im Urteil wiedergegebenen Einlassungen der Angeklagten lassen sich Tatsachen entnehmen, die einer der angeführten Senatsentscheidung (BGHSt 47, 128 f.) zugrunde liegenden Fallgestaltung entsprechen. Nach der zugelassenen Anklage war Anlaß der - für den Taxifahrer tödlich endenden - Auseinandersetzung ein Wortgefecht zwischen den Angeklagten und dem Opfer nach dessen Weigerung, den betrunkenen Angeklagten G. zu befördern. Der Angeklagte A. hatte in seiner - von der Kammer als widerlegt angesehenen - Einlassung von einem Angriff des Taxifahrers auf den Angeklagten Ci. berichtet und von seinen eigenen
Bemühungen, die Auseinandersetzung zu schlichten. Der Angeklagte T. ließ sich dahin ein, Ausgangspunkt der Tat sei gewesen, daß der Taxifahrer den AngeklagtenCi. getreten habe, woraufhin sich dieser mit ihm geschlagen habe. Soweit er weiter angegeben hat, er wisse nicht, warum er dann auf den Taxifahrer eingestochen habe, und denke seit Monaten darüber nach, läßt sich dieser Einlassung nur entnehmen, daß der Angeklagte seine Verhaltensweise nachträglich als unverständlich empfindet.
Danach blieben - abweichend von der von der Kammer im Urteil zu Grunde gelegten Fallgestaltung, nach der alle Angeklagten, die Absicht des Tatopfers, sie zur Rede stellen zu wollen, mit Gewalt ahnden wollten - weitere Sachverhaltsvarianten, etwa Reaktion auf vorangegangenes Wortgefecht oder tätliche Auseinandersetzung, möglich.
c) Der von der Strafkammer erteilte Hinweis war danach rechtsfehlerhaft. Auf diesem Rechtsfehler kann das Urteil auch beruhen. Der Senat vermag nicht auszuschließen, daß die Angeklagten bei Erteilung eines rechtsfehlerfreien Hinweises weitere bzw. die in der Hauptverhandlung bisher schweigenden Angeklagten überhaupt Angaben gemacht hätten, die zu einer abweichenden rechtlichen Würdigung geführt hätten. Dem steht nicht entgegen, daß die Verteidigung keine Erläuterung des Hinweises bzw. keine Unterbrechung der Hauptverhandlung beantragt hatte. Nach dem Hinweis mußten die Angeklagten A. , C. , Ci. und G. nicht davon ausgehen, daß die Kammer die Mordmerkmale bereits als erfüllt ansah, da der Hinweis ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Feststellbarkeit der niedrigen Beweggründe erteilt worden war und auch die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer nur eine Verurteilung wegen Totschlags beantragt hatte.
III.
Die sofortige Beschwerde des Nebenklägers gegen die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils ist damit gegenstandslos.
VRi'inBGH Dr. Rissing-van Saan Bode Otten ist durch Urlaubsabwesenheit an der Unterschrift gehindert. Bode Rothfuß Fischer
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(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.
(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn
- 1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen, - 2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder - 3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.
(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.
(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.
(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.
(1) Fehlen besondere persönliche Merkmale (§ 14 Abs. 1), welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe), so ist dessen Strafe nach § 49 Abs. 1 zu mildern.
(2) Bestimmt das Gesetz, daß besondere persönliche Merkmale die Strafe schärfen, mildern oder ausschließen, so gilt das nur für den Beteiligten (Täter oder Teilnehmer), bei dem sie vorliegen.
(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.
(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.
(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn
- 1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen, - 2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder - 3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.
(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.
(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.