Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Aug. 2000 - 2 StR 219/00
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 26 Fällen, davon in 25 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen, sowie wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch einer Schutzbefohlenen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts. Die Sachrü-ge führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs. Im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
II.
Die Maßregelanordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält der rechtlichen Prüfung nicht stand. Die bisherige Begründung des Landgerichts belegt weder, daß bei dem Angeklagten eine s c h w e r e andere seelische Abartigkeit besteht, noch, daß in deren Folge die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Begehung der Mißbrauchstaten e r h e b l i c h vermindert war. Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei bei den Taten erheblich vermindert gewesen auf Grund einer "schweren narzißtischen Persönlichkeitsstörung auf Borderline -Niveau, die dem Schweregrad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit entspricht." Diese Bewertung leitet es aus folgenden Merkmalen und Wesenszügen des Angeklagten her: Die Persönlichkeitsstörung habe sich schon sehr früh gezeigt in der während der Pubertät beginnenden massiven Alkoholabhängigkeit, die eine kontinuierliche Entwicklung seiner Persönlichkeit verhindert habe. Daher habe der Angeklagte schon früh dazu geneigt, Sexualität ebenso wie Alkoholkonsum wahllos einzusetzen, um die verspürte innere Leere zu verdrängen, aber auch, um eine Unterkunft für die Nacht zu erlangen. Seine Persönlichkeit weise wenig innere Struktur auf, und sein Selbstwertgefühl sei nur gering. Nach seiner eigenen Einschätzung sei er stets von abrupten Stimmungseinbrüchen bedroht , die sein labiles inneres Gleichgewicht gefährdeten. Zu einer dauerhaften erfüllten Beziehung sei er nicht in der Lage, wie sich an der Beziehung undEhe mit der Mutter der Tatopfer zeige, die nur funktioniert habe, solange die Sexualität im Vordergrund gestanden habe. Die erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit entnimmt die Strafkammer letztlich der für glaubhaft erachteten Schilderung des Angeklagten zur Entwicklung der sexuellen Übergriffe, die er - wie die Alkoholsucht - zunehmend weniger kontrolliert habe. Diese Übergriffe habe er auch nach der Entdeckung durch seine Ehefrau nicht aufgegeben. Die Diagnose "schwere narzißtische Persönlichkeitsstörung auf Borderline -Niveau" läßt - für sich genommen - eine Aussage über die Schuldfähigkeit des Täters nicht zu (vgl. BGHSt 42, 385, 388 m.w.N.). Die Diagnose einer schweren Persönlichkeitsstörung ist nicht gleichbedeutend mit derjenigen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB. Eine solche Störung kann immer auch als - möglicherweise extreme - Spielart menschlichen Wesens einzuordnen sein, die sich noch innerhalb der Bandbreite voll schuldfähiger Menschen bewegt (vgl. BGH a.a.O.). Der sachverständig beratene Tatrichter muß daher prüfen, ob die Persönlichkeitsstörung Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen - auch sozialen - Folgen stören, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen. Art und Schweregrad der Störung müssen auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Entwicklung bewertet werden, wobei auch Vorgeschichte, unmittelbarer Anlaß und Ausführung der Tat sowie das Verhalten danach von Bedeutung sind (st. Rspr.; vgl. BGHSt 37, 397, 401 f.; BGH NStZ 1997, 485; Senatsbeschluß vom 26. Juli 2000 - 2 StR 278/00). Bei der danach gebotenen normativen Bewertung ist deshalb zu beachten, daß auf der Grundlage der Diagnose "Persönlichkeitsstörung auf Borderline-Niveau" ein so
schwerwiegender Eingriff, wie ihn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darstellt, nur unter engen Voraussetzungen und nur dann gerechtfertigt ist, wenn - da der Zweifelssatz insoweit keine Anwendung findet - feststeht, daß der Täter aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat (BGHSt 42, 385, 388; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 13). Diesen Anforderungen wird die vom Landgericht für die Maßregelanordnung gegebene Begründung nicht gerecht. Ob die Steuerungsfähigkeit eines Täters erheblich vermindert war, kann immer nur für eine konkrete Tat beurteilt werden. Das Landgericht macht aber schon nicht deutlich, in welcher Weise die mitgeteilten Faktoren der Persönlichkeitsstörung bei der Begehung der Mißbrauchstaten die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten beeinträchtigt haben könnten. Die Alkoholabhängigkeit hat der Angeklagte, den das Landgericht als "trockenen" Alkoholiker bezeichnet, inzwischen ersichtlich überwunden. Den Feststellungen zum Tatgeschehen läßt sich zudem nicht entnehmen, daß die Taten unter Alkoholeinfluß begangen wurden. Die übrigen Symptome sind für die konkreten Taten von geringerem Gewicht und nach den dargelegten Bewertungsmaßstäben weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit geeignet, die Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit zu rechtfertigen. Es bleibt daher nur die vom Landgericht für glaubhaft erachtete Selbsteinschätzung des Angeklagten, er habe die sexuellen Übergriffe - wie bei seiner Alkoholsucht - zunehmend weniger kontrolliert. Das Landgericht äußert sich aber weder dazu, ob die Fähigkeit des Angeklagten, die Übergriffe zu kontrollieren, erheblich vermindert war noch erörtert es, ob es sich bei den Taten um ein suchtähnliches Verhalten handelte, das dazu führte, daß der Angeklagte aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus han-
delte. Ein solcher Zwang versteht sich unter den gegebenen Umständen nicht von selbst. Bedenken gegen seine Annahme ergeben sich schon daraus, daß der Angeklagte den von ihm vergleichsweise genannten Hang zum übermäßigen Alkoholkonsum inzwischen überwunden hat und zwischen der ersten und den folgenden Taten ein langer zeitlicher Zwischenraum lag.
III.
Die rechtsfehlerhafte Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB beschwert den Angeklagten im Bereich der eigentlichen Strafzumessung zwar nicht (Senatsbeschluß vom 26. Juli 2000 - 2 StR 278/00 - m.w.N.). Die zu den Voraussetzungen des § 21 StGB neu zu treffenden Feststellungen betreffen hier aber sowohl den Straf- wie auch den Maßregelausspruch. Der Senat hält es deshalb für angebracht, auch den Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben, damit die Rechtsfolgenentscheidung insgesamt auf einheitliche und widerspruchsfreie Feststellungen gestützt werden kann. Jähnke Detter Bode Otten HebenstreitmoreResultsText
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.