Bundesgerichtshof Beschluss, 21. März 2000 - 1 StR 609/99
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
a) im Schuldspruch mit den Feststellungen, soweit der Angeklagte wegen Diebstahls in zwei Fällen, wegen Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung sowie wegen Beleidigung (Fälle II. 1a bis d der Urteilsgründe) verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Jugendstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen
a) hinsichtlich der Fälle II. 1a bis d der Urteilsgründe an das Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Regensburg ,
b) hinsichtlich des Falles II. 2 der Urteilsgründe (Verabredung zum Mord in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge und Raub) an eine andere Jugendkammer des Landge- richts Traunstein, die auch über die Kosten des Rechtsmittels zu entscheiden hat.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht Traunstein hat den Angeklagten wegen in Regensburg und Umgebung begangenen Diebstahls in zwei Fällen, wegen Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung, wegen Beleidigung (Fälle II. 1a bis d der Urteilsgründe ) sowie wegen einer in der Justizvollzugsanstalt Laufen-Lebenau begangenen Verabredung zum Mord in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge und Raub zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg.
1. Der Schuldspruch in den Fällen II. 1a bis d der Urteilsgründe kann nicht bestehen bleiben. Die Jugendkammer des Landgerichts Traunstein war für die Entscheidung nicht zuständig. Die Verbindung von Strafsachen, die nicht nur die örtliche, sondern auch die sachliche Zuständigkeit betrifft, kann nicht durch eine Vereinbarung der beteiligten Gerichte nach § 13 Abs. 2 StPO verbunden werden (BGHSt 22, 232; Pfeiffer in KK 4. Aufl. § 13 Rdn. 3). Eine die sachliche Zuständigkeit verändernde Verbindung kann nur durch Entscheidung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts herbeigeführt werden (§ 4 Abs. 2 StPO). Daran fehlt es, so daß die Verbindung der beiden Verfahren unwirksam ist (vgl. BGHR StPO § 4 Verbindung 9, 12; vgl. zu allem auch
Felsch NStZ 1996, 163 ff.). Das Verfahren ist deshalb noch beim Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Regensburg rechtshängig.
2. Die Überprüfung des Schuldspruchs im Fall II. 2 der Urteilsgründe aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt. Der Ausspruch über die verhängte Jugendstrafe hat schon wegen des Wegfalls der Verurteilung in den Fällen II. 1a bis d der Urteilsgründe keinen Bestand. Im übrigen rügt die Revision zu Recht, das Landgericht habe der erziehungsberechtigten Mutter des Angeklagten nicht das ihr zustehende letzte Wort gewährt.
Hierzu hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt:
”Neben einem jugendlichen Angeklagten ist gemäß § 67 Abs. 1 JGG i.V. m. § 258 Abs. 2 und 3 StPO dessen Erziehungsberechtigten oder gesetzlichem Vertreter stets von Amts wegen - und nicht nur auf Verlangen – das letzte Wort zu erteilen (BGHSt 21, 288, 289; BGH NStZ 1996, 612). Angesichts der dienstlichen Stellungnahmen des Richters am Landgericht Dr. S. sowie der Urkundsbeamtin Justizsekretärin L. ist davon auszugehen , dass die Mutter des Angeklagten nach Schließung der Beweisaufnahme am 16. Juli 1999 in der Hauptverhandlung anwesend war, als dem Angeklagten nach den Schlussvorträgen das letzte Wort erteilt wurde. Da die (negative ) Beweiskraft des Protokolls gemäß § 274 StPO sich nicht auf die Abwesenheit von Personen, deren Anwesenheit das Gesetz nicht zwingend vorschreibt , erstreckt, kann daraus, dass dem Hauptverhandlungsprotokoll nicht eindeutig zu entnehmen ist, ob die Mutter des Angeklagten bis zum Ende der Hauptverhandlung anwesend war, nicht geschlossen werden, dass sie den
Sitzungssaal vorzeitig verlassen hat. Im Hinblick auf die besondere Bedeutung der Schlussvorträge und des letzten Wortes sowie des anschließend verkündeten Urteils ist es vielmehr nahe liegend, dass die Mutter des Angeklagten der Hauptverhandlung bis zu deren Schluss beigewohnt hat (vgl. hierzu BGH NStZ 1999, 426). Ihr hätte als Erziehungsberechtigter (§ 1626 Abs. 1 BGB) daher ebenfalls das letzte Wort erteilt werden müssen.
Dieser Verfahrensverstoß führt jedoch nur zur Aufhebung des Strafausspruchs , weil das Urteil lediglich insoweit auf ihm beruhen kann. Den Schuldspruch lässt er unberührt. Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegten Taten - auch hinsichtlich des Falles II. 2 - weitgehend eingeräumt. Die Mutter des Angeklagten war nicht Zeugin der Geschehnisse in der Justizvollzugsanstalt Laufen-Lebenau. Auch dem Revisionsvorbringen ist nicht zu entnehmen, welche entlastenden Umstände zur Schuldfrage die Mutter des Angeklagten - die im übrigen in der Hauptverhandlung angehört wurde (SA Bd. II Bl. 185) - hätte vortragen können. Der Verfahrensverstoß kann sich aber auf die Entscheidung zum Strafausspruch ausgewirkt haben. Die Schlussvorträge hätten der Mutter des Angeklagten möglicherweise Anlass zu ihre bisherigen Angaben ergänzenden Ausführungen gegeben, wäre ihr das letzte Wort erteilt worden. Das Landgericht hat bei der Strafzumessung, vor allem bei der Feststellung
schädlicher Neigungen, ausdrücklich auf die Lebensumstände des Angeklagten Bezug genommen. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die diesbezüglichen Erwägungen der Jugendkammer anders ausgefallen wären , wäre der Mutter des Angeklagten das letzte Wort gewährt worden."
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(1) Für zusammenhängende Strafsachen, die einzeln nach den Vorschriften der §§ 7 bis 11 zur Zuständigkeit verschiedener Gerichte gehören würden, ist ein Gerichtsstand bei jedem Gericht begründet, das für eine der Strafsachen zuständig ist.
(2) Sind mehrere zusammenhängende Strafsachen bei verschiedenen Gerichten anhängig gemacht worden, so können sie sämtlich oder zum Teil durch eine den Anträgen der Staatsanwaltschaft entsprechende Vereinbarung dieser Gerichte bei einem unter ihnen verbunden werden. Kommt eine solche Vereinbarung nicht zustande, so entscheidet, wenn die Staatsanwaltschaft oder ein Angeschuldigter hierauf anträgt, das gemeinschaftliche obere Gericht darüber, ob und bei welchem Gericht die Verbindung einzutreten hat.
(3) In gleicher Weise kann die Verbindung wieder aufgehoben werden.
(1) Eine Verbindung zusammenhängender oder eine Trennung verbundener Strafsachen kann auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten oder von Amts wegen durch gerichtlichen Beschluß angeordnet werden.
(2) Zuständig für den Beschluß ist das Gericht höherer Ordnung, wenn die übrigen Gerichte zu seinem Bezirk gehören. Fehlt ein solches Gericht, so entscheidet das gemeinschaftliche obere Gericht.
Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 67 Stellung der Erziehungsberechtigten und der gesetzlichen Vertreter
(1) Soweit der Beschuldigte ein Recht darauf hat, gehört zu werden oder Fragen und Anträge zu stellen, steht dieses Recht auch den Erziehungsberechtigten und den gesetzlichen Vertretern zu.
(2) Die Rechte der gesetzlichen Vertreter zur Wahl eines Verteidigers und zur Einlegung von Rechtsbehelfen stehen auch den Erziehungsberechtigten zu.
(3) Bei Untersuchungshandlungen, bei denen der Jugendliche ein Recht darauf hat, anwesend zu sein, namentlich bei seiner Vernehmung, ist den Erziehungsberechtigten und den gesetzlichen Vertretern die Anwesenheit gestattet, soweit
- 1.
dies dem Wohl des Jugendlichen dient und - 2.
ihre Anwesenheit das Strafverfahren nicht beeinträchtigt.
(4) Das Jugendgericht kann die Rechte nach den Absätzen 1 bis 3 Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertretern entziehen, soweit sie verdächtig sind, an der Verfehlung des Beschuldigten beteiligt zu sein, oder soweit sie wegen einer Beteiligung verurteilt sind. Liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 bei einem Erziehungsberechtigten oder einem gesetzlichen Vertreter vor, so kann der Richter die Entziehung gegen beide aussprechen, wenn ein Mißbrauch der Rechte zu befürchten ist. Stehen den Erziehungsberechtigten und den gesetzlichen Vertretern ihre Rechte nicht mehr zu, so bestellt das Familiengericht einen Pfleger zur Wahrnehmung der Interessen des Beschuldigten im anhängigen Strafverfahren. Die Hauptverhandlung wird bis zur Bestellung des Pflegers ausgesetzt.
(5) Sind mehrere erziehungsberechtigt, so kann jeder von ihnen die in diesem Gesetz bestimmten Rechte der Erziehungsberechtigten ausüben. In der Hauptverhandlung oder in einer sonstigen gerichtlichen Verhandlung werden abwesende Erziehungsberechtigte als durch anwesende vertreten angesehen. Sind Mitteilungen oder Ladungen vorgeschrieben, so genügt es, wenn sie an eine erziehungsberechtigte Person gerichtet werden.
(1) Nach dem Schluß der Beweisaufnahme erhalten der Staatsanwalt und sodann der Angeklagte zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort.
(2) Dem Staatsanwalt steht das Recht der Erwiderung zu; dem Angeklagten gebührt das letzte Wort.
(3) Der Angeklagte ist, auch wenn ein Verteidiger für ihn gesprochen hat, zu befragen, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe.
Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(1) Die Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge). Die elterliche Sorge umfasst die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge).
(2) Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln. Sie besprechen mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an.
(3) Zum Wohl des Kindes gehört in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen. Gleiches gilt für den Umgang mit anderen Personen, zu denen das Kind Bindungen besitzt, wenn ihre Aufrechterhaltung für seine Entwicklung förderlich ist.