Bundesfinanzhof Beschluss, 27. Apr. 2010 - X B 163/08
Gericht
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) beantragte mit Schreiben vom 5. Dezember 2001 beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) den Erlass der verwirkten Säumniszuschläge zur Einkommensteuer 1993 bis 1995. Diesen Antrag lehnte das FA durch Bescheid vom 27. Februar 2002 ab. Es führte aus, sachliche Billigkeitsgründe seien weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich. Auch ein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen scheide aus, da hierfür keine Anhaltspunkte bestünden. Mit seinem hiergegen gerichteten Einspruch machte der Kläger geltend, die Säumniszuschläge beruhten darauf, dass Feststellungsbescheide ergangen seien, die wegen willkürlicher Schätzungen unwirksam seien. Dieser Einspruch wurde durch die Einspruchsentscheidung vom 2. Dezember 2002 abgelehnt. Hierin führte das FA u.a. aus, der Kläger habe keine persönlichen Billigkeitsgründe geltend gemacht, auch seien solche nach Aktenlage nicht ersichtlich.
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Die hiergegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Es legte in den Gründen des angefochtenen Urteils dar, es habe keine Verpflichtung bestanden, dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag nachzugehen. Das Beweisthema, der als Zeuge benannte Steuerfahndungsprüfer habe der Erlass- und Stundungsstelle des FA die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers mitgeteilt, sei viel zu allgemein gehalten, als dass es Grundlage eines konkreten Beweisthemas sein könnte. Es sei ein unzulässiger Ausforschungsbeweis gegeben.
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Mit seiner wegen der Nichtzulassung der Revision eingelegten Beschwerde macht der Kläger u.a. geltend, das FG habe seinen Beweisantrag zu Unrecht übergangen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf einem Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Es wird daher aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 116 Abs. 6 FGO).
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1. Ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) und eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) ist dann gegeben, wenn das FG einen Beweisantrag zu Unrecht übergeht.
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Die schlüssige Rüge eines solchen Verfahrensverstoßes setzt die substantiierte Darlegung voraus, welche Punkte ermittlungsbedürftig waren, welche angebotenen Beweise das FG nicht erhoben hat, welches Ergebnis eine solche Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte und dass dieses sich ausgehend vom Rechtsstandpunkt des FG auf dessen Entscheidung ausgewirkt hätte. Auch muss dargelegt werden, dass die unterlassene Beweiserhebung vor dem FG gerügt wurde oder aus welchen Gründen eine solche Rüge nicht möglich gewesen sei (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH--; vgl. Beschluss vom 23. September 2009 IV B 133/08, BFH/NV 2010, 52, m.w.N.).
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Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung. Der Kläger legt unter Hinweis auf die Gründe des angefochtenen Urteils dar, das FG habe seinen Antrag, den von ihm benannten Steuerfahndungsbeamten X dazu zu hören, dass der Erlass- und Stundungsstelle des FA die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers bekannt gewesen seien, abgelehnt. Es sei zu Unrecht von einem Ausforschungsbeweis ausgegangen. Bereits in der Klageschrift habe er, der Kläger, darauf hingewiesen, er sei durch die Steuerfahndungsmaßnahmen zahlungsunfähig geworden und auch überschuldet gewesen. Für das Gericht sei auch das Ziel des Beweisantrags erkennbar gewesen. Dieser habe darauf abgezielt, zu belegen, dass der zuständigen Stelle des FA die fehlende Zahlungsfähigkeit des Klägers bekannt gewesen sei. Eine Beweisaufnahme hätte den klägerischen Vortrag bestätigt, was zur Folge gehabt hätte, dass der angefochtene Bescheid vom FG aufgehoben worden wäre, weil sich die Einspruchsentscheidung im Rahmen der Erwägungen zur Frage eines Erlasses aus persönlichen Billigkeitsgründen nicht mit der wirtschaftlichen Lage des Klägers befasst habe. Der Beweisantrag sei in der mündlichen Verhandlung nicht erörtert worden, insbesondere habe das FG nicht darauf hingewiesen, es beurteile den Beweisantrag als Ausforschungsbeweis.
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Mit diesem Vorbringen legt der Kläger schlüssig dar, das FG habe zu Unrecht seinen Beweisantrag als unzulässig abgelehnt, weil entgegen der Ansicht des FG erkennbar gewesen sei, welche konkreten entscheidungserheblichen Tatsachen Gegenstand der Beweisaufnahme sein sollten.
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Durch sein Vorbringen, es sei für ihn nicht feststellbar gewesen, dass das FG seinem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag nicht entsprechen werde, hat der Kläger schlüssig dargelegt, dass ihm eine rechtzeitige Rüge des Übergehens seines Beweisantrags nicht möglich war.
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2. Dieser Verfahrensfehler liegt auch tatsächlich vor. Das FG hat seine Sachaufklärungspflicht verletzt, indem es dem Beweisantrag des Klägers nicht nachgegangen ist.
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Zwar ist ein Gericht berechtigt, einen Beweisantrag abzulehnen, wenn er auf einen Ausforschungsbeweis gerichtet ist. Dies ist dann anzunehmen, wenn keine konkreten entscheidungserheblichen Tatsachen, die Gegenstand der Beweisaufnahme sein sollen, vorgetragen werden oder anderweitig erkennbar sind (Senatsbeschluss vom 23. Juli 1996 X B 191/95, BFH/NV 1997, 50). Denn in einem solchen Fall zielt die begehrte Beweiserhebung lediglich darauf ab, im Rahmen der Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen aufzudecken (BFH-Beschluss vom 6. September 2005 IV B 14/04, BFH/NV 2005, 2166).
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a) Bei isolierter Betrachtung spricht viel dafür, den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag als nicht ausreichend konkretisiert anzusehen. In ihm wird lediglich die Behauptung aufgestellt, der Zeuge habe der für den Erlassantrag zuständigen Stelle des FA die Kenntnisse über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers vermittelt, insbesondere wird nicht dargetan, zu welchen konkreten Fakten sich der Zeuge geäußert haben soll.
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b) Der Beweisantrag darf indes nicht isoliert gesehen werden. In seinem Schriftsatz vom 27. Mai 2008, der auch dieses Verfahren betraf, hat der Kläger auf den Beweisantritt in seinem Schriftsatz vom 6. Mai 2003 ausdrücklich Bezug genommen. In dem Schriftsatz führt er zur Begründung seines dort gestellten Beweisantrags aus:
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"Des weiteren hatte der Kläger kein verwertbares Vermögen und keine flüssigen Mittel zur Tilgung der Einkommensteuerrückstände, weil die einzigen vorhandenen flüssigen Mittel aufgrund der Vereinbarung mit der Steuerfahndung für die Bezahlung der Gewerbesteuer verwendet werden mussten ... Der Zeuge wird auch bestätigen können, dass die geschäftliche Betätigung des Unternehmens total zusammenbrach, als das Steuerstrafverfahren und die Inhaftierung des Klägers durch Besuche der Steuerfahndungsstelle bei den beiden Großabnehmern bekannt wurde, so dass auch aus der laufenden Geschäftstätigkeit flüssige Mittel nicht erwirtschaftet werden konnten."
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Bei verständiger Würdigung war es daher unter Berücksichtigung der vorstehend wiedergegebenen Äußerungen des Klägers für das FG erkennbar, welche konkreten Umstände dem Zeugen zur wirtschaftlichen Lage des Klägers bekannt waren. Angesichts dessen lag es nahe, den klägerischen Beweisantrag dahingehend auszulegen, dass unter Beweis gestellt werden solle, der Zeuge habe diese konkreten Umstände der zuständigen Stelle des FA zur Kenntnis gebracht. Der Beweisantrag zielte daher nicht auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis ab.
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3. Der Kläger hat sein Recht, das Übergehen seines Beweisantrags zu rügen, auch nicht gemäß § 155 FGO i.V.m. § 295 Abs. 1 der Zivilprozessordnung infolge Rügeverzichts verloren. Für ihn war nicht feststellbar, dass das FG seinem Beweisantrag nicht nachgehen wird. Zwar hat das FG den von ihm benannten Zeugen nicht zur mündlichen Verhandlung geladen. Er hat indessen in dieser Verhandlung erneut beantragt, diesen Zeugen zu vernehmen. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung hat das FG die Sitzung mit dem Hinweis geschlossen, dass Entscheidungen im Laufe des Sitzungstags verkündet werden. Damit hat das FG zum Ausdruck gebracht, es sei noch offen, ob nach dem Beratungsergebnis ein Beweisbeschluss oder ein Urteil ergehen wird (BFH-Beschluss vom 29. Juni 1994 I R 108/93, BFH/NV 1995, 320).
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4. Das angefochtene Urteil beruht auch auf diesem Verfahrensfehler. Ausgehend vom Rechtsstandpunkt des FG, wonach es für die Beurteilung, ob ausreichende Ermessenserwägungen angestellt worden sind, entscheidend auf den Wissensstand der Dienststelle ankomme, die für die Bearbeitung des Erlassantrags zuständig war, ist nicht auszuschließen, dass das Urteil bei Durchführung der Beweisaufnahme anders ausgefallen wäre.
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(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
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die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.
(1) Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.
(2) Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder Abschrift des Urteils, gegen das Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht im Falle der elektronischen Beschwerdeeinlegung.
(3) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. In der Begründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 dargelegt werden. Die Begründungsfrist kann von dem Vorsitzenden auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag um einen weiteren Monat verlängert werden.
(4) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.
(5) Der Bundesfinanzhof entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch den Bundesfinanzhof wird das Urteil rechtskräftig.
(6) Liegen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann der Bundesfinanzhof in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
(7) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt, wenn nicht der Bundesfinanzhof das angefochtene Urteil nach Absatz 6 aufhebt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt für den Beschwerdeführer die Revisionsbegründungsfrist, für die übrigen Beteiligten die Revisions- und die Revisionsbegründungsfrist. Auf Satz 1 und 2 ist in dem Beschluss hinzuweisen.
(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen. Die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Sie haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben und sich auf Anforderung des Gerichts zu den von den anderen Beteiligten vorgebrachten Tatsachen zu erklären. § 90 Abs. 2, § 93 Abs. 3 Satz 2, § 97, §§ 99, 100 der Abgabenordnung gelten sinngemäß. Das Gericht ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.
(2) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, dass Formfehler beseitigt, sachdienliche Anträge gestellt, unklare Anträge erläutert, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.
(3) Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der von der Finanzbehörde nach § 364b Abs. 1 der Abgabenordnung gesetzten Frist im Einspruchsverfahren oder im finanzgerichtlichen Verfahren vorgebracht werden, kann das Gericht zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden. § 79b Abs. 3 gilt entsprechend.
(4) Die Verpflichtung der Finanzbehörde zur Ermittlung des Sachverhalts (§§ 88, 89 Abs. 1 der Abgabenordnung) wird durch das finanzgerichtliche Verfahren nicht berührt.
Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und, soweit die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten es nicht ausschließen, die Zivilprozessordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a sinngemäß anzuwenden; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts und des Bundesgerichtshofs der Bundesfinanzhof und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Finanzgerichtsordnung tritt; die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden.
(1) Die Verletzung einer das Verfahren und insbesondere die Form einer Prozesshandlung betreffenden Vorschrift kann nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet, oder wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die auf Grund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat oder in der darauf Bezug genommen ist, den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste.
(2) Die vorstehende Bestimmung ist nicht anzuwenden, wenn Vorschriften verletzt sind, auf deren Befolgung eine Partei wirksam nicht verzichten kann.