Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 10. Juli 2018 - 10 B 17.1996

bei uns veröffentlicht am10.07.2018
vorgehend
Verwaltungsgericht München, M 13 K 16.2066, 25.04.2017

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 25. April 2017 wird festgestellt, dass (auch) die Beschränkung Nr. 1.6 im Bescheid des Beklagten vom 8. April 2016 bezüglich der Passage „… sind alle Äußerungen verboten, die das NS-Regime sowie dessen Organisationen … sowie verbotene Parteien und Vereine einschließlich deren Nachfolge- und Ersatzorganisationen billigen, verherrlichen, rechtfertigen oder verharmlosen … untersagt sind … die Parolen ‚Wir sind wieder da!‘“ rechtswidrig war.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger wenden sich mit ihrer Fortsetzungsfeststellungsklage gegen eine versammlungsrechtliche Beschränkung.

Mit Bescheid vom 8. April 2016 erließ der Beklagte für die von der Klägerin zu 1, vertreten durch den Kläger zu 2, beim Landratsamt P. für den 9. April 2016, 13.45 Uhr bis 15.00 Uhr, angezeigte Versammlung mit dem Thema „Kapitalismus zerschlagen – für einen deutschen Sozialismus!“ am Hauptplatz der Stadt P. unter anderem folgende Beschränkung:

„1.6 Verbot von Parolen

In Reden, Sprechchören sowie auf Transparenten, Fahnen, Schildern und Flyern sind alle Äußerungen verboten, die das NS-Regime sowie dessen Organisationen und deren (auch selbsternannten) Folgeorganisationen sowie verbotene Parteien und Vereine einschließlich deren Nachfolge- und Ersatzorganisationen billigen, verherrlichen, rechtfertigen oder verharmlosen.

Untersagt sind insbesondere die Parolen „Wir sind wieder da“, „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“, „Wir kriegen euch (alle)“, „Zionisten – Mörder und Faschisten“, sowie das sog. Paulchen-Panther-Lied „Wer hat an der Uhr gedreht?“. …“

Die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit u.a. der Beschränkung 1.6 bezüglich der Passage „…sind alle Äußerungen verboten, die das NS-Regime sowie dessen Organisationen … sowie verbotene Parteien und Vereine einschließlich deren Nachfolge- und Ersatzorganisationen billigen, verherrlichen, rechtfertigen oder verharmlosen. Untersagt sind … die Parolen ´Wir sind wieder da´…“ gerichtete Klage der Kläger vom 4. Mai 2016 hat das Verwaltungsgericht – unter teilweiser Stattgabe der Klage im Übrigen – mit Urteil vom 25. April 2017 abgewiesen. Gesetzliche Grundlage dieser Beschränkung sei Art. 15 Abs. 1 BayVersG. Die Beklagte habe die Beschränkung darauf gestützt, dass das lautstarke Skandieren dieser Parolen einen paramilitärischen Eindruck erwecke. Beschränkende Verfügungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung seien mit Blick auf Art. 5 GG und Art. 8 GG verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn sich die in Art. 15 Abs. 1 BayVersG vorausgesetzte Gefahr nicht aus dem Inhalt der Äußerung, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung ergebe. Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung infolge der Art und Weise der Durchführung der Versammlung könne bei einem aggressiven und provokativen, die Bürger einschüchternden Verhalten der Versammlungsteilnehmer bestehen. Dies gelte insbesondere dann, wenn ein Aufzug sich durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziere und durch das Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtere. Bei den als solchen nicht strafbaren Äußerungen habe die Versammlungsbehörde auf die Art und Weise der Durchführung der Versammlung abstellen dürfen. Der Beklagte habe bei seiner danach erforderlichen Gefahrenprognose auch ohne Einbeziehung der Ereignisse bei den Versammlungen der Klägerin zu 1 am 1. Mai 2016 in Plauen und Saalfeld von einer hinreichenden Gefahr für die öffentliche Ordnung im dargelegten Sinn ausgehen dürfen. Laut Verfassungsschutzbericht 2014 (sowie 2015 und 2016) handle es sich bei der Partei „Der III. Weg“ um eine Partei, die einen stark neonazistisch geprägten Rechtsextremismus vertrete und deren ideologische Ziele wie das Programm der NSDAP auf einem biologischen Volksbegriff basierten. Unter Berücksichtigung des Versammlungsthemas, des Versammlungsortes, einem zentralen Platz der Stadt P., der Werbung für die Versammlung auf der Internetseite der Partei sowie der Kundgebungsmittel (Handmegaphon, Lautsprecherwagen mit Verstärker, offenes Mikrofon und Abspielen von Musik) habe die Behörde von der Gefahr ausgehen dürfen, dass sich die Versammlung durch ihr Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziere und durch Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtere. Daran ändere auch die geringe Anzahl von 20 Teilnehmern der Versammlung nichts, da die genannten Wirkungen unter Berücksichtigung der technischen Möglichkeiten (z.B. Verstärker, Mikrofone) auch von einer geringen Anzahl von Teilnehmern ausgehen könnten. Auch ein lautes Skandieren der Parole „Wir sind wieder da!“ könne unter Berücksichtigung des Versammlungsthemas und der Ziele der Klägerin zu 1 zu der dargestellten Wirkung führen. Dies gelte unabhängig davon, ob dem Einzelnen bzw. der Öffentlichkeit die Herkunft dieser Parole zur Wiederzulassung der NSDAP in Deutschland geläufig sei. Soweit die Rechtsprechung diese Parole in Einzelfällen für zulässig gehalten habe, folge die Kammer dem nicht.

Rechtsfehler bei der Ausübung des Ermessens seien nicht ersichtlich. Die Behörde habe im Bescheid vom 8. April 2016 zum Ausdruck gebracht, dass sie gesehen habe, dass es sich um eine Ermessensentscheidung handle, und einzelne Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen. Gerichtlich überprüfbare Abwägungsfehler lägen nicht vor. Die Maßnahme sei auch verhältnismäßig im engeren Sinn.

Mit ihrer mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. Oktober 2017 zugelassenen Berufung machen die Kläger im Wesentlichen geltend, die Klage sei auch hinsichtlich der Beschränkung 1.6 im beantragten Umfang begründet. Auch insoweit sei § 15 Abs. 1 VersG (richtig: Art. 15 Abs. 1 BayVersG) keine tragfähige Grundlage, weil diesbezüglich eine unmittelbare, konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht vorgelegen habe. Die beanstandete Beschränkung sei zu unbestimmt und damit rechtswidrig, weil bereits unklar sei, was mit „NS-Regime“ gemeint sei und um welche verbotenen Parteien und Vereine es sich dabei handeln solle. Derzeit seien in Deutschland 16 rechtsextreme Organisationen auf Bundesebene und 73 Organisationen auf Landesebene verboten, darunter auch solche, die einen Bezug zum NS-Regime, zum Rechtsextremismus oder überhaupt zur Politik überhaupt nicht erkennen ließen (z.B. „Besseres Hannover“). Bei wörtlichem Verständnis würde jede Billigung einer dieser Vereinigungen einen Verstoß gegen die Auflage bedeuten und eine Auflösung der Versammlung rechtfertigen, obwohl kein Mensch heute diese Organisationen tatsächlich kenne. Dies zeige deutlich, dass die Beschränkung ausufernd, unbestimmt und unklar sei. Zudem stelle die Beschränkung im beanstandeten Umfang ein unzulässiges Verbot einer Meinung dar. Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass damit der Inhalt, nicht aber die Art und Weise der Äußerung verboten werde. Rechtsirrig gehe das Verwaltungsgericht auch davon aus, dass sich die Versammlung ohne die angefochtene Beschränkung durch ihr Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziere und durch das Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtere. Selbst bei Verwendung sämtlicher der im Übrigen bei Demonstrationen allgemein üblichen Hilfsmittel wie Handmegaphon, Lautsprecherwagen mit Verstärker, offene Mikrofone und Musik könne eine aus 20 Personen bestehende friedliche Versammlung nicht einschüchternd wirken. Auch die Folgerungen des Verwaltungsgerichts aus dem Landesverfassungsschutzbericht 2014 seien angesichts der dort aufgeführten Aktivitäten der Klägerin zu 1 nicht gerechtfertigt. Das Verbot der Parole „Wir sind wieder da!“ sei ebenfalls rechtswidrig. Damit werde ausgedrückt, dass die Klägerin zu 1 trotz Verboten, Beschränkungen und Behinderungen weiter demonstriere und sich von ihren Auftritten in der Öffentlichkeit nicht abhalten lasse. Selbst wenn damit eine Fortführung der NSDAP propagiert werden sollte, liege eine tatbestandsmäßige Gefährdung nicht vor, weil der breiten Öffentlichkeit die Bedeutung des Satzes weder bekannt sei und die Parole schon gar nicht dem Nationalsozialismus zugeordnet werde. Demgemäß hätten bereits mehrere Gerichte eine solche Beschränkung für rechtswidrig erklärt (SächsOVG, U.v. 28.7.2009 – 3 B 60/06 –; VG Aachen, U.v. 14.1.2009 – 6 K 374/08 –, bestätigt durch OVG NW, B.v. 13.10.2010 – 5 A 506/09 –).

Rechtsfehlerhaft gehe das Verwaltungsgericht schließlich davon aus, dass der Beklagte beim Erlass dieser Beschränkung sein Ermessen rechtmäßig ausgeübt habe. Unter Nr. II 2. des Bescheids finde sich zwar eine lediglich allgemeine und formelhafte Formulierung bezüglich einer Ermessensausübung, jedoch fehle eine wirkliche Begründung und Subsumtion sowie Abwägung der widerstreitenden Belange. Hinsichtlich der streitbefangenen Beschränkung komme im Bescheid das Wort „Ermessen“ nicht einmal vor.

Die Kläger beantragen,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 25. April 2017 wird (weiter) festgestellt, dass die Beschränkung 1.6 im Bescheid des Beklagten vom 8. April 2016 bezüglich der Passage „…sind alle Äußerungen verboten, die das NS-Regime sowie dessen Organisationen … sowie verbotene Parteien und Vereine einschließlich deren Nachfolge- und Ersatzorganisationen billigen, verherrlichen, rechtfertigen oder verharmlosen. Untersagt sind … die Parolen ´Wir sind wieder da!´…“ rechtswidrig ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Berufung sei unbegründet, weil die beanstandete Beschränkung in Nr. 1.6 des Bescheids vom 8. April 2016 rechtmäßig sei und die Kläger nicht in ihren Rechten verletze. Nach den zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses erkennbaren Umständen sei die vom Landratsamt P. vorgenommene Gefahrenprognose rechtlich nicht zu beanstanden. Nach dem damals aktuellen Verfassungsschutzbericht 2014 des Bundesministeriums des Innern sei die rechtsextreme Partei „Der III. Weg“ die derzeit prägende neonazistische Partei in Bayern, die ein völkisch-biologistisches Menschen- und Gesellschaftsbild vertrete, das mit dem individuellen Menschenrechtsverständnis des Grundgesetzes nicht vereinbar sei. Die Partei stehe nach dem Verfassungsschutzbericht dem demokratischen Rechtsstaat fundamental ablehnend gegenüber und habe unter anderem das Ziel, eine Atmosphäre der Angst und Einschüchterung durch aggressives und provokantes Auftreten zu fördern. Auch dem Verfassungsschutzbericht 2014 des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr seien entsprechende Feststellungen zu entnehmen. Die ideologischen Ziele der Partei ergäben sich aus ihrer Satzung sowie aus einem „Zehn-Punkte-Programm“, das auf Elemente des 25-Punkte-Programms der NSDAP zurückgreife. Auch Antisemitismus sei für die Ideologie der Partei prägend. Zudem sei die Versammlung auf der Internetseite der Klägerin zu 1 damit beworben worden, dass der Zorn und die Wut über das ausbeuterische und völkerfeindliche Unrechtssystem auf die Straße getragen werden sollen. Wie das Verwaltungsgericht überzeugend dargelegt habe, habe der Beklagte aus der Gesamtschau der erkennbaren Umstände von der Gefahr ausgehen dürfen, dass die Versammlung sich ohne entsprechende Auflage durch ihr Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifizieren und durch Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtern würde. Zutreffend sei das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass auch bei 20 Teilnehmern ein aggressives und provokantes, die Bürger einschüchterndes Verhalten der Versammlungsteilnehmer zu befürchten sei.

Zusätzlich seien für die Gefahrenprognose nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG auch sonstige Umstände zu berücksichtigen, die bei Erlass des Bescheides bereits objektiv vorgelegen haben. Schließlich dürften auch Umstände, die erst nach dem Zeitpunkt des Bescheidserlasses eingetreten bzw. bekannt geworden seien, ergänzend herangezogen werden, soweit diese die getroffene Gefahrenprognose lediglich bestätigten bzw. untermauerten. Demgemäß werde die Begründung des Bescheids hinsichtlich der Gefahrenprognose ergänzt. Die Versammlung habe an einem historisch stark belasteten Ort stattgefunden, der während der Zeit des Nationalsozialismus Schauplatz mehrerer Kundgebungen gewesen sei, 1935 in „A. H. Platz“ umbenannt worden sei und in der Folgezeit zu Propagandazwecken gedient habe. Die Geschichte der Stadt P. sei zudem in besonderer Weise durch die Zeit des Nationalsozialismus belastet. Vor diesem Hintergrund sei die Wahl des Versammlungsortes durch die Kläger besonders problematisch. Hinzu komme, dass die Stadt P. ihre NS-Geschichte derzeit aktiv aufarbeite, sodass sie bei den Bürgern sehr präsent sei. Auch liege in unmittelbarer Nähe des Versammlungsortes das Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus. Das Skandieren von Parolen mit Bezug zum NS-Regime und der Parole „Wir sind wieder da“ durch rechtsextremistische Versammlungsteilnehmer an diesem historisch belasteten Ort sei im Zusammenhang mit dem Versammlungsthema ohne weiteres geeignet, Erinnerungen an die Schrecken der NS-Zeit wachzurufen und die Bürger einzuschüchtern.

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts könnten auch die Geschehnisse bei Versammlungen der Klägerin zu 1 in Saalfeld und Plauen im Rahmen der Gefahrenprognose Berücksichtigung finden. Die Versammlung in Saalfeld, bei der es nach Feststellungen des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz sowie des Thüringer Landeskriminalamts zu Gewalttätigkeiten durch Versammlungsteilnehmer und Gegendemonstranten gekommen sei, habe am 1. Mai 2015 und damit – entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts – zeitlich vor der hier streitgegenständlichen Versammlung stattgefunden. Die Versammlung in Plauen habe am 1. Mai 2016 und damit zeitlich nach der streitgegenständlichen Versammlung stattgefunden. Auch die dabei gewonnenen Erkenntnisse, nämlich gewalttätige Ausschreitungen auch gegen polizeiliche Einsatzkräfte, könnten jedoch Berücksichtigung finden, weil sie die bisherige Gefahrenprognose lediglich bestätigten und untermauerten.

Aus der Gesamtschau dieser Gesichtspunkte ergebe sich eine tatbestandsmäßige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Die Behauptung der Kläger, dass die Parole „Wir sind wieder da“ neutral zu verstehen sei, sei als Schutzbehauptung zurückzuweisen. Von einer Partei wie der Klägerin zu 1 könne diese Parole nur in dem Sinne verstanden werden, dass damit eine Assoziation zur Zeit des Nationalsozialismus hervorgerufen werden solle. Das streitbefangene Verbot richte sich auch nicht gegen den Inhalt der Meinung; vielmehr werde auf die Art und Weise der Äußerungen abgestellt. Die untersagten Parolen hätten selbst einen aggressiven, kämpferischen Duktus. Ihr Skandieren hätte der Versammlung ein militärisches Gepräge verliehen, das auf die überwiegend friedliche Bevölkerung einschüchternd wirke. Nicht überzeugend sei auch der Einwand, dass die Auflage mit Blick auf die Bezeichnung „NSRegime“ zu unbestimmt sei.

Schließlich lägen auch keine Rechtsfehler bei der Ausübung des Ermessens durch das Landratsamt vor. Das Landratsamt habe im angegriffenen Bescheid unter Nr. II. 2. auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG Bezug genommen und zum Ausdruck gebracht, dass es von einer Ermessensentscheidung ausgegangen sei. Unter Nr. II. 3.6 des Bescheids habe das Landratsamt darüber hinaus begründet, warum es die streitbefangene Auflage für erforderlich halte. Unter Nr. II. 5. fänden sich Aussagen zur Verhältnismäßigkeit mit Blick auf die berührten Grundrechte. Weitergehende Ermessenserwägungen seien im Bescheid nicht veranlasst gewesen. Hilfsweise würden die Ermessenserwägungen gemäß § 114 Satz 2 VwGO ergänzt; auf die nachgeschobenen Ermessenserwägungen des Beklagten in der Berufungserwiderung vom 15. Januar 2018 (S. 8/9) wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

Taugliche Rechtsgrundlage für die streitbefangene Beschränkung sei im Übrigen auch Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG. Demgemäß habe das Gericht die beanstandete Auflage auch anhand dieser Rechtsgrundlage zu prüfen. Die Voraussetzungen dieser Befugnisnorm hätten (ebenfalls) vorgelegen. Denn nach den erkennbaren Umständen habe die Gefahr einer Billigung und Verherrlichung der NS-Gewalt- und Willkürherrschaft bestanden.

In der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichtshofs wurden mit den Parteien insbesondere die Fragen einer hinreichend tragfähigen Gefahrenprognose und Ermessensausübung erörtert; auf die Sitzungsniederschrift vom 9. Juli 2018 wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Behördenakten verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Kläger hat in der Sache Erfolg. Ihre auf Feststellung der Rechtswidrigkeit (auch) der Beschränkung 1.6 im Bescheid des Beklagten vom 8. April 2016 (bezüglich der noch streitbefangenen Passage) gerichtete Klage ist begründet, weil diese durch Zeitablauf erledigte versammlungsrechtliche Beschränkung rechtswidrig war und die Kläger dadurch in ihren Rechten verletzt wurden (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog). Demgemäß war das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 25. April 2017 insoweit abzuändern und die begehrte Feststellung zu treffen.

1. Maßgeblich für die gerichtliche Prüfung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsaktes (Art. 35 Satz 1 BayVwVfG) – hier der durch Zeitablauf erledigten (s. Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG) versammlungsrechtlichen Beschränkung gemäß Art. 15 BayVersG (zum Rechtscharakter derartiger Maßnahmen vgl. BayVGH, U.v. 22.9.2015 – 10 B 14.2246 – juris Rn. 33) – ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Erledigung des Verwaltungsakts und die zu diesem Zeitpunkt bestehende Sach- und Rechtslage (Decker in BeckOK VwGO, Posser/Wolff, Stand: 1.4.2018, § 113 Rn. 88; H. A. Wolff in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 113 Rn. 299; Riese in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: Juni 2017, § 113 Rn. 152 jeweils m.w.N.; BayVGH, U.v. 22.9.2015 – 10 B 14.2246 – juris Rn. 44).

2. Im maßgeblichen Zeitpunkt der Erledigung war die streitbefangene Beschränkung der am 9. April 2016 in P. durchgeführten Versammlung der Kläger rechtswidrig. Bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen der im Bescheid des Beklagten vom 8. April 2016 herangezogenen Rechtsgrundlage des Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG waren nicht erfüllt, weil nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen hinreichend konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine tragfähige Prognose hinsichtlich einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung nicht vorlagen (2.1.) und ein „Nachschieben“ von Gründen in einer verfahrensrechtlichen Konstellation wie der vorliegenden diesen Mangel nicht zu heilen vermag (2.2.). Zudem lag hinsichtlich der streitbefangenen Beschränkung jedenfalls ein der gerichtlichen Überprüfung gemäß § 114 Satz 1 VwGO unterliegender Ermessensfehlgebrauch der Versammlungsbehörde vor (2.3.), der durch die im Gerichtsverfahren nachträglich angestellten bzw. ergänzten Ermessenserwägungen nicht (mehr) beseitigt bzw. geheilt werden konnte (2.4.).

2.1. Die vom Beklagten für diese Beschränkung der Versammlung – Verbot bestimmter Parolen – im zugrunde liegenden Bescheid herangezogene Rechtsgrundlage des Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG trägt die angegriffene Verfügung nicht.

Nach dieser Bestimmung kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) darf die Behörde allerdings auch bei dem Erlass von Auflagen (Beschränkungen) keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17; B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17 jeweils m.w.N.; BayVGH, B.v. 19.12.2017 – 10 C 17.2156 – juris Rn. 16). Aufgabe der Gerichte ist es zu prüfen, ob die (von der Versammlungsbehörde) für die Beurteilung der Gefahrenlage herangezogenen Tatsachen unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Art. 8 GG in nachvollziehbarer Weise auf eine unmittelbare Gefahr hindeuten (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 7.11.2008 – 1 BvQ 43/08 – juris Rn. 20). Die Frage, ob bei der (allgemein) im Gefahrenabwehrrecht gebotenen ex-ante-Betrachtung im Zeitpunkt der Maßnahme konkrete Tatsachen vorlagen, die die Annahme einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung begründeten, unterliegt voller gerichtlicher Nachprüfung; die darin enthaltenen prognostischen Elemente rechtfertigen keine Kontrollbeschränkung der Gerichte (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 20.4.2017 – 2 BvR 1754/14 – juris Rn. 46).

Gemessen daran ergeben sich entgegen der Bewertung des Verwaltungsgerichts hinreichend tragfähige Gesichtspunkte und Erwägungen für die Gefahrenprognose bezüglich der streitbefangenen Beschränkung weder unmittelbar aus der Begründung des Bescheids des Beklagten vom 8. April 2016 noch (ergänzend) aus den vorgelegten Behördenakten oder sonstigen zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen bzw. zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten.

In den Gründen des Bescheids des Beklagten vom 8. April 2016 ist vorweg lediglich formelhaft ausgeführt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 BayVersG erfüllt seien; es liege eine Sachlage vor, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen der öffentlichen Sicherheit und/oder Ordnung führe. Unter Nr. 3.6 dieses Bescheids ist zur streitbefangenen Beschränkung ergänzend ausgeführt, das lautstarke Skandieren der in dieser Beschränkung aufgezählten Parolen erwecke einen paramilitärischen Eindruck, der Eindruck der Gewalt- und Kampfbereitschaft könne unbefangene Beobachter verängstigen, Versammlungen, die ein solches militantes Gepräge mit der damit verbundenen Gewaltmetaphorik aufwiesen, liefen dem Friedlichkeitsgebot von Art. 8 Abs. 1 GG und Art. 113 der (Bayerischen) Verfassung zuwider; „Wir sind wieder da!“ sei eine Parole der 1972 im Ausland gegründeten NSDAP/AO.

Konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine unmittelbare Gefährdung der Schutzgüter der angeführten Rechtsgrundlage bei Durchführung gerade der vorliegenden Versammlung ergeben sich daraus aber nicht. Vielmehr fehlt insoweit der erforderliche konkrete Fallbezug. Zum einen wird schon nicht deutlich, ob und gegebenenfalls welche Anhalts- oder Gesichtspunkte die Versammlungsbehörde für ihre Gefahreneinschätzung bzw. -prognose herangezogen hat, zum anderen fehlt aber vor allem jeder nachvollziehbare Bezug zu der konkret geplanten Versammlung. Beides ergibt sich auch nicht aus dem in der Behördenakte (Bl. 32 ff.) befindlichen Vermerk zur Gefahrenprognose bezüglich der streitbefangenen Versammlung der Kläger am 9. April 2016. Unabhängig davon, dass dieser Vermerk mit Datum 9. April 2016, also einem Tag nach der Erstellung des streitbefangenen Bescheids versehen ist, im ersten Absatz des Vermerks aber noch den nachträglich handschriftlich korrigierten ursprünglichen Termin des „stattgefundenen Kooperationsgesprächs“ (8.4.2016) enthält, was auf eine deutlich frühere Erstellung dieses Vermerks hindeutet, finden sich auch darin lediglich formelhafte Ausführungen: Im Rahmen des Kooperationsgesprächs sei deutlich geworden, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 BayVersG für die Festsetzung von Beschränkungen erfüllt seien; es liege eine Sachlage vor, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen der öffentlichen Sicherheit und/oder Ordnung führe. Nach den polizeilichen Erkenntnissen, insbesondere hinsichtlich der örtlichen und sachlichen Gegebenheiten am Tag der Kundgebung, seien die beschränkenden Verfügungen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig, um einen störungsfreien Ablauf der Versammlung sicherzustellen. Bezüglich des Verbots von Parolen enthält dieser Vermerk unter Nr. 6. lediglich die Bewertung, wie sie praktisch wortgleich in den streitbefangenen Bescheid Eingang gefunden hat. Irgendwelche konkreten tatsächlichen Anhalts- oder Gesichtspunkte für die diesbezügliche Gefahreneinschätzung und der erforderliche nachvollziehbare Bezug zur konkreten Versammlung fehlen auch hier.

Auch die in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof abgegebene Erklärung der Vertreter des Beklagten, die Erwägungen zur Gefahrenprognose seien vor allem mündlich im Kooperationsgespräch zur angemeldeten Versammlung am 7. April 2016 erörtert worden, und Anhaltspunkte und Erkenntnismittel seien zudem die Selbstaussage der Klägerin zu 1 über ihre Aktivitäten und Ziele sowie die konkrete Bewerbung dieser Veranstaltung im Internet gewesen, vermag letztlich nicht zu überzeugen. Weder der Vermerk über dieses Kooperationsgespräch in der Behördenakte (Bl. 27 ff.) noch etwa der ebenfalls bei den Akten befindliche Bericht der KPI Ingolstadt zu den Veranstaltungen der Klägerin zu 1 am Samstag, 9. April 2016, in Bayern enthalten diesbezüglich konkrete tatsächliche Anhaltspunkte oder wenigstens Hinweise darauf. Vielmehr liegt im vorliegenden Fall gerade auch mit Blick auf ein bei der Behördenakte befindliches E-Mail der Regierung von Oberbayern vom 21. April 2016 (Bl. 103) nahe, dass die Versammlungsbehörde eine Auflage aus einem Muster-Bescheid der Regierung in den streitbefangenen Bescheid ohne hinreichend tragfähige Gefährdungsprognose und ohne konkreten Bezug zu der von den Klägern geplanten Veranstaltung und deren Begleitumständen aufgenommen hat.

Für letzteres spricht im Übrigen auch, dass eine im Verlauf des vorliegenden Rechtsstreits durch die Versammlungsbehörde am 20. September 2016 per E-Mail erfolgte konkrete Anfrage, ob zum Zeitpunkt der Gefahreinschätzung vor der Versammlung am 9. April 2016 zu erwarten gewesen sei, dass durch die Art und Weise der Meinungsäußerungen (aggressives und provozierendes Skandieren von Parolen … etc.) eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entstehen könnte, und ob bei bisherigen anderen Kundgebungen der Klägerin zu 1 eine solche Art und Weise der Meinungsäußerung schon erfolgt sei, vom zuständigen Beamten der KPI Ingolstadt dahingehend beantwortet wurde, dass bezüglich beider Fragen im Vorfeld keine Erkenntnisse vorlagen, das Skandieren von provozierenden Parolen allerdings im Vorfeld „nie ausgeschlossen werden“ könne (vgl. beiliegende nicht paginierte Prozessakte des Landratsamts).

Auch wenn man – ohne dafür irgendwelche Anhaltspunkte in den Behördenakten zu finden – zu den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen im Sinne des Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG die Erkenntnisse und Bewertungen der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und Bayerns über die Klägerin zu 1 in den jeweiligen Verfassungsschutzberichten 2014 zählt und demgemäß für die Gefahrenprognose heranzieht, reicht das allein aus der gebotenen ex-ante-Betrachtung für eine tragfähige Gefahrenprognose der Versammlungsbehörde nicht aus. Der Beklagte hat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich nach diesen Erkenntnissen bei der Klägerin zu 1 um eine derzeit prägende neonazistische (Kleinst-)Partei mit völkisch-biologistischem Menschen- und Gesellschaftsbild handelt, deren Ziel unter anderem die Förderung einer Atmosphäre der Angst und Einschüchterung durch aggressives und provokantes Auftreten ist. Darüber hinausgehende tragfähige Anhaltspunkte mit hinreichend konkretem Bezug zur geplanten Veranstaltung der Kläger, woraus sich der von der Versammlungsbehörde angenommene bzw. unterstellte Eindruck der Gewalt- und Kampfbereitschaft, das militante Gepräge mit der damit verbundenen Gewaltmetaphorik und die paramilitärischen oder sonstigen einschüchternden Begleitumstände der geplanten Versammlung nachvollziehbar ableiten oder folgern ließen, fehlen hier jedoch.

2.2. Ein Nachschieben von Gründen im Verwaltungsprozess im Sinne einer Nachholung oder Ergänzung der materiell-rechtlich relevanten Begründung (zum Begriff vgl. z.B. Schemmer in BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, Stand: 1.7.2018, § 45 Rn. 34) – hier der Gefahrenprognose gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG – ist entgegen der Auffassung des Beklagten in der vorliegenden Konstellation aus prozessualen Gründen und vor allem Gründen des materiellen Rechts nicht möglich.

In prozessualer Hinsicht spricht dagegen, dass bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog) Gegenstand der gerichtlichen Prüfung allein die Rechtswidrigkeit der durch Zeitablauf (hier: Durchführung der Versammlung am 9. April 2016) erledigten, d.h. unwirksam gewordenen, Beschränkung ist. Maßgeblich dabei ist – wie bereits oben ausgeführt – grundsätzlich der Zeitpunkt der Erledigung des Verwaltungsakts und die zu diesem Zeitpunkt bestehende Sach- und Rechtslage. Die (rückwirkende) Nachbesserung oder sogar Nachholung einer materiell-rechtlich relevanten Begründung nach diesem Zeitpunkt wäre insoweit geradezu systemwidrig, weil nach dem Ende der äußeren und inneren Wirksamkeit des Verwaltungsakts (vgl. dazu Schemmer in BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, Stand: 1.7.2018, § 43 Rn. 46) Streitgegenstand und Sachlage durch die Behörde noch einseitig beeinflusst werden könnten. Ebenso wenig wie die Heilung eines Verfahrens- oder Formfehlers nach der Erledigung des Verwaltungsakts gemäß Art. 45 BayVwVfG in Betracht kommt, der einen wirksamen Verwaltungsakt voraussetzt, kann deshalb nach Auffassung des Senats ein Nachschieben von Gründen im oben genannten Sinn im Rahmen der vorliegenden Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog) zulässig sein.

Auch materiell-rechtliche Gründe sprechen für dieses Ergebnis. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG lässt mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) Beschränkungen (oder ein Verbot) einer Versammlung nur für den Fall zu, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist (vgl. z.B. BVerfG, B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17 m.w.N.). Dadurch ist klargestellt, dass Grundlage der Gefahrenprognose und damit der Entscheidung der Versammlungsbehörde nur zum Zeitpunkt der behördlichen Verfügung erkennbare tatsächliche Anhaltspunkte sein können. Demgemäß kommt es für die Rechtmäßigkeit der Gefahrenprognose auf die zu diesem Zeitpunkt der Versammlungsbehörde zur Verfügung stehenden Erkenntnisse an (vgl. Dürig-Friedl in Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, Kommentar, VersammlG § 15 Rn. 60; Hettich, Versammlungsrecht in der Praxis, 2. Aufl. 2018, Rn. 149; BayVGH, B.v. 26.11.1992 – 21 B 92.1672 – juris Rn. 34). Danach ist es aber auch mit Blick auf die nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG gebotene Ausübung pflichtgemäßen Ermessens nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs nicht zulässig, wenn die Versammlungsbehörde die von ihr diesbezüglich zu fordernden Bemühungen um Sachaufklärung (vgl. Dürig-Friedl, a.a.O.; zu den auch bei dem Erlass von Auflagen/Beschränkungen nicht zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose vgl. BVerfG, B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17) nicht zum Zeitpunkt ihrer Verfügung, sondern erst nachträglich im Verwaltungsstreitverfahren unternimmt und mit den nachgeschobenen Gründen – selbst bei unveränderter Sachlage – die getroffene Entscheidung nach deren Unwirksamwerden zu rechtfertigen versucht. Dies würde zudem der Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) nicht gerecht und dem Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) des Betroffenen zuwiderlaufen.

Selbst wenn man aber entsprechend den in der Rechtsprechung nach dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht gebildeten Grundsätzen neue Gründe für einen Verwaltungsakt – hier die erledigte streitbefangene Beschränkung – dann zuließe, wenn sie schon bei Erlass des Verwaltungsakts vorlagen, dieser nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird (vgl. BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 8 C 46.12 – juris Rn. 32 m.w.N., allerdings ausdrücklich offen gelassen für den Fall einer rückwirkenden Änderung bei einem endgültig erledigten Dauerverwaltungsakt), würde das an der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Beschränkung nichts ändern. Denn ein Nachschieben in diesem Sinne könnte allenfalls eine Ergänzung, Präzisierung oder Vertiefung jedenfalls im Ansatz bereits vorhandener tragender Erwägungen zur Begründung einer unmittelbaren Gefährdung im Sinne des Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG, nicht aber die Nachholung einer (nahezu) vollständig fehlenden Gefahrenprognose bedeuten. Wird wie im vorliegenden Fall ursprünglich praktisch nur der Gesetzestext wiederholt und mit formelhaften Ausführungen ohne hinreichenden konkreten Fallbezug ergänzt, kommt ein Nachschieben von Gründen im Sinne der angeführten Rechtsprechung jedenfalls nicht (mehr) in Betracht (vgl. Riese in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: Juni 2017, § 113 Rn. 35).

Aus den genannten Gründen ist es – ungeachtet der Frage des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen und der diesbezüglich erforderlichen Gefahrenprognose – dem Beklagten auch verwehrt, die streitbefangene Beschränkung nunmehr nachträglich (vgl. Nr. 7. der Berufungserwiderung vom 15.1.2018, Bl. 30 ff. der VGH-Akte) auf Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG als Rechtsgrundlage zu stützen.

2.3. Hinsichtlich der streitbefangenen Beschränkung lag im maßgeblichen Zeitpunkt der Erledigung jedenfalls auch ein der gerichtlichen Überprüfung gemäß § 114 Satz 1 VwGO unterliegender Ermessensfehlgebrauch der Versammlungsbehörde vor.

Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG sieht auf der Rechtsfolgenseite Ermessen der Versammlungsbehörde vor, das heißt (auch) bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Rechtsgrundlage steht die Anordnung von Beschränkungen der Versammlung im Ermessen der Behörde, das diese im Rahmen des Art. 40 BayVwVfG unter Berücksichtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auszuüben hat. Insoweit ist die Ermessensausübung der Versammlungsbehörde durch die Gerichte nach § 114 Satz 1 VwGO überprüfbar.

Ein danach gerichtlich zu beanstandender Ermessensfehlgebrauch der Versammlungsbehörde lag im maßgeblichen Zeitpunkt schon deshalb vor, weil die entsprechend dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung (s. Art. 40 BayVwVfG) anzustellende Prüfung bzw. Prognose, ob und in welchem Umfang bei der Durchführung der angemeldeten Versammlung eine unmittelbare Gefährdung der Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG zu erwarten ist, von der Behörde nicht in der gebotenen Weise durchgeführt bzw. angestellt worden ist; auf die Ausführungen unter 2.1. kann hier Bezug genommen werden.

In den Gründen des Bescheids des Beklagten vom 8. April 2016 (Nr. II. 2.) finden sich zum Ermessen lediglich die formelhaften Ausführungen, „Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 BayVersG entscheidet die zuständige Behörde über die Festsetzung von beschränkenden Verfügungen nach pflichtgemäßem Ermessen.“ und „Nach den polizeilichen Erkenntnissen, insbesondere hinsichtlich der örtlichen und sachlichen Gegebenheiten am Tag der Kundgebung sind die beschränkenden Verfügungen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig, um einen störungsfreien Ablauf der Versammlung sicherzustellen.“. Unter II. 3.6 wird diesbezüglich lediglich ausgeführt, „Da auch in Musikstücken diese Parolen enthalten sein können, ist eine entsprechende Regelung auch für die ausgestrahlte Musik erforderlich.“

Soweit der Beklagte noch auf umfangreichere Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit unter II. 5. des Bescheids verweist, beziehen sich diese offensichtlich und eindeutig ausschließlich auf die unter Nr. 1.5 des Bescheids verfügte Beschränkung der Kundgebungsmittel; einen auch nur ansatzweisen Bezug zur streitbefangenen Verfügung bezüglich der Parolen vermag der Senat darin nicht zu erkennen. Demgemäß fehlt insoweit auch die im Hinblick auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit erforderliche Güterabwägung.

Nicht durchzugreifen vermag schließlich der Einwand des Beklagten, die Angabe weiterer Einzelheiten und Erwägungen sowohl bezüglich der Gefahrenprognose als auch der darauf beruhenden Ermessensausübung im Ausgangsbescheid sei schon deshalb entbehrlich, weil der beim Kooperationsgespräch anwesende Vertreter der Klägerin zu 1 nach kurzer Erläuterung der beabsichtigten Beschränkungen erklärt habe, „dies sei ihm bekannt, da dies nicht die erste Versammlung des III. Wegs sei“ (vgl. Vermerk über das Kooperationsgespräch am 7.4.2016, Bl. 30 der Behördenakte). Denn daraus konnte weder ein Einverständnis der Klägerin zu 1 mit der streitbefangenen Verfügung noch etwa ein Verzicht auf eine Begründung oder die pflichtgemäße Ermessensentscheidung abgeleitet werden.

2.4. Durch die im Gerichtsverfahren nachträglich angestellten bzw. ergänzten Ermessenserwägungen konnte der gerichtlich zu beanstandende Ermessensfehlgebrauch nicht (mehr) beseitigt bzw. geheilt werden.

Die Zulässigkeit eines Nachschiebens oder einer Ergänzung von Ermessenserwägungen bestimmt sich nach ganz herrschender Meinung nach dem materiellen Recht und dem Verwaltungsverfahrensrecht; § 114 Satz 2 VwGO ermöglicht dagegen allein keine Mängelheilung, sondern bestimmt lediglich, dass einem danach zulässigen Nachholen von Ermessenserwägungen prozessuale Hindernisse unter den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen nicht entgegenstehen (stRspr des BVerwG, vgl. z.B. U.v. 20.6.2013 – 8 C 46.12 – juris Rn. 31; Decker in BeckOK VwGO, Posser/Wolff, Stand: 1.4.2018, § 114 Rn. 38; Riese in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: Juni 2017, § 113 Rn. 45; H. A. Wolff in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 114 Rn. 205; Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 114 Rn. 85 f.; Schemmer in BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, Stand: 1. 4. 2018, § 45 Rn. 35, 37 jeweils m.w.N.).

Nicht abschließend entschieden werden muss im vorliegenden Fall, ob nicht bereits aus prozessualen Gründen eine Ergänzung der Ermessenserwägungen der Versammlungsbehörde in der Situation einer Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog ausscheidet. Zwar geht – soweit ersichtlich – die herrschende Meinung und Rechtsprechung von der Anwendbarkeit des § 114 Satz 2 VwGO auch in den Fällen der Fortsetzungsfeststellungsklage aus (vgl. BVerwG, B.v. 15.3.2000 – 2 B 98.99 – NVwZ 2000, 1186; Decker in BeckOK VwGO, a.a.O., § 114 Rn. 1; Gerhardt in Schoch/Schneider/Bier, a.a.O., § 114 Rn. 12d; H. A. Wolff in Sodan/Ziekow, a.a.O., § 114 Rn. 34; Rennert in Eyermann, a.a.O., § 114 Rn. 6). Das dafür angeführte Wortlautargument „hinsichtlich des Verwaltungsakts“ erscheint dem Senat allerdings aus den bereits oben unter 2.2. dargelegten Gründen gerade in der vorliegenden prozessualen Konstellation wenig überzeugend (im Ergebnis so auch OVG NW, B.v. 20.2.2001 – 18 A 1520/92 – NVwZ 2001,1424). Unabhängig davon stellt das im Berufungsverfahren mit Schriftsatz des Beklagten vom 15. Januar 2018 vorgenommene Nachschieben von Ermessenserwägungen auch keine bloße „Ergänzung“ im Sinne dieser prozessualen Bestimmung dar, sondern entspricht vielmehr einer erstmaligen Begründung der Ermessensentscheidung.

Einer Ergänzung der Ermessenserwägungen mit heilender Rückwirkung (ex tunc) nach Erledigung des versammlungsrechtlichen Verwaltungsakts (hier: der angefochtenen Beschränkung) stehen jedenfalls die bereits oben angeführten materiell-rechtlichen Gründe entgegen (im Ergebnis so auch OVG NW, a.a.O.; zweifelnd: Rennert in Eyermann, a.a.O., § 114 Rn. 88; offen gelassen: BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 8 C 46.12 – juris Rn. 32 im Fall eines für einen bereits abgelaufenen Zeitraum erledigten Dauerverwaltungsakts), auf die zur Vermeidung von Wiederholungen ebenfalls Bezug genommen wird.

Auf die weiteren im Verwaltungsstreitverfahren ausführlich erörterten materiellen Fragen insbesondere zur Bestimmtheit der streitbefangenen Beschränkung kommt es nach alledem nicht mehr entscheidungserheblich an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Urteilsbesprechung zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 10. Juli 2018 - 10 B 17.1996

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(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Gründe

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof München

10 B 14.2246

Im Namen des Volkes

Urteil

vom 22. September 2015

(VG Würzburg, Entscheidung vom 14. März 2013, Az.: W 5 K 12.555)

10. Senat

Sachgebietsschlüssel: 512

Hauptpunkte: Fortsetzungsfeststellungsklage; berechtigtes Interesse; Wiederholungsgefahr; versammlungsrechtliche Beschränkungen; Versammlung mit Hungerstreik; Einbringen von Gegenständen in die Versammlung; funktionaler Bezug zur gewählten Form der Versammlung; objektiver Maßstab

Rechtsquellen:

Leitsätze:

In der Verwaltungsstreitsache

...,

gegen

Stadt Würzburg,

vertreten durch den Oberbürgermeister, Domstr. 1, Würzburg,

- Beklagte -

beteiligt:

Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses, Ludwigstr. 23, München,

wegen versammlungsrechtlicher Beschränkungen;

hier: Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 14. März 2013,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 10. Senat, durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Senftl, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Martini, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Zimmerer aufgrund mündlicher Verhandlung vom 21. September 2015 am 22. September 2015

folgendes

Urteil:

I.

Unter teilweiser Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 14. März 2013 wird festgestellt, dass auch die Beschränkungen in Nr. 1.15 (Verbot des Aufstellens von Betten), 1.17 (Beschränkung auf einen Pavillon) und Nr. 1.19 (Pavillon muss auf allen Seiten offen sein) im Bescheid der Beklagten vom 15. Juni 2012 rechtswidrig waren.

II.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine Fortsetzungsfeststellungsklage gegen die in Nr. 1.15, Nr. 1.17 und Nr. 1.19 des Bescheids der Beklagten vom 15. Juni 2012 verfügten versammlungsrechtlichen Beschränkungen für eine Dauerversammlung zum Thema Asylrecht vom 16. Juni 2012 bis einschließlich 16. August 2012 in W. weiter.

Unter dem 13. Juni 2012 meldete der Kläger bei der Beklagten die Durchführung einer „Dauerversammlung zum Thema Asylrecht in der Form des Hungerstreiks rund um die Uhr vom 16. Juni 2012 bis einschließlich 16. August 2012“ an. Mit Bescheid vom 15. Juni 2012 setzte die Beklagte u. a. folgende Beschränkungen fest:

Nr. 1.15 Das Aufstellen von Betten ist untersagt.

Nr. 1.17 Als Kundgebungsmittel sind zugelassen:

- Maximal sechs Stühle, die klapp-, stapelbar sein sollen,

- ein Tisch, in einer Größe von maximal 2 x 0,5 m für die Auslage von Infomaterial, Unterschriftslisten,

- ein Pavillon (3 x 3 m),

- Plakate,

- Bilder.

Bilder und Plakate dürfen an einzelnen Seiten des Pavillons nicht den Eindruck der völligen Geschlossenheit erzeugen.

Nr. 1.19 Der Pavillon muss auf allen Seiten offen sein.

Zur Begründung dieser Beschränkungen führte die Beklagte im Bescheid vom 15. Juni 2012 im Wesentlichen an, dass das Nächtigen auf öffentlichen Flächen in konsequenter Anwendung des § 4 Abs. 1 Nr. 2 ihrer Sicherheitssatzung zu untersagen gewesen sei. Das Übernachten in den Zelten habe nicht die Meinungskundgabe zum Ziel. Seit Beginn der Veranstaltung erfolgten die Meinungskundgabe und das Platzieren der Thematik durch Plakate, Transparente, Diskussionen, Interviews, Bilder und Schriften. Eine Übernachtung sei hierfür nicht notwendig. Im Übrigen werde auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. April 2012 (10 CS 12.767) verwiesen. In konsequenter Umsetzung dieser Überlegungen, gesehen im Lichte der Situation vor Ort seit dem 13. April 2012, seien bei den Kundgebungsmitteln die bisherigen zwei Pavillons in Ziffer 1.17 auf einen Pavillon zu reduzieren, der nach Ziffer 1.19 dauerhaft an allen Seiten geöffnet sein müsse. Der zweite Pavillon diene seit dem 13. April 2012 weder dem konkreten Versammlungszweck noch der damit verbundenen kollektiven Aussage der Teilnehmer. Dies ergebe sich bereits daraus, dass der zweite Pavillon seit dem Umzug auf den Unteren Markt zunächst durchgehend geschlossen gewesen sei. In diesem Bereich erfolge keine Meinungskundgabe.

Der Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Klage u. a. gegen die in Nr. 1.15, Nr. 1.17 und Nr. 1.19 des Bescheids vom 15. Juni 2012 verfügten Beschränkungen wurde vom Verwaltungsgericht Würzburg abgelehnt. Mit Beschluss vom 2. Juli 2012 ordnete der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage gegen die Nr. 1.15, Nr. 1.17 und Nr. 1.19 des Bescheids vom 15. Juni 2012 mit den in den Gründen dargelegten Maßgaben an.

Zum Aufstellen der Betten (Nr. 1.15) führte der Senat aus, dass die Beklagte jegliches Aufstellen von Betten im angefochtenen Bescheid untersagt habe, der Kläger dagegen geltend mache, dass bei einer Versammlung rund um die Uhr ein zeitweiliges Ausruhen oder Schlafen der Versammlungsteilnehmer für die effektive Grundrechtswahrnehmung unabdingbar sei. Der Senat sei der Auffassung, dass drei Betten ausreichten, um das Ruhebedürfnis der Versammlungsteilnehmer zu befriedigen. Auf ein gemeinsames gleichzeitiges Nächtigen hätten die Versammlungsteilnehmer keinen Anspruch. Auch der Hinweis des Klägers darauf, dass Versammlungsteilnehmer während des Hungerstreiks ein erhöhtes Schlafbedürfnis hätten, greife nicht durch. Ein Hungerstreik könne ein Mittel sein, um dem Motto der Versammlung besonderen Nachdruck zu verleihen. Daraus folge aber kein Recht, dass der Hungerstreik möglichst komfortabel durchgeführt werden könne. Sei ein Teilnehmer derart geschwächt, dass er an einer Versammlung unter freiem Himmel nicht mehr teilnehmen könne, müsse er notfalls die Versammlung verlassen.

Zu den unter Nr. 1.17 angeführten Kundgebungsmitteln führte der Senat im Beschluss vom 2. Juli 2012 aus, dass die lange andauernde stationäre Versammlung ohne den zweiten Pavillon praktisch nicht durchführbar sei. Bereits im Beschluss vom 12. April 2012 habe der Senat dargelegt, dass gewichtige Gründe dafür sprächen, dass diese von den Versammlungsteilnehmern gewählte Form der Präsentation und Meinungsäußerung, auf die schwierige Lage der Asylsuchenden und ihren Leidensdruck in der Öffentlichkeit gerade auch über einen längeren Zeitraum mit einer Art Mahnwache besonders aufmerksam zu machen und dabei der interessierten Öffentlichkeit Einblicke und Bilder über ihr tägliches Leben, Unterlagen und Dokumente ihrer Asylverfahren etc. zu bieten und zu erläutern sowie Unterschriftslisten auszulegen, wohl einen wesentlichen, inhaltsbezogenen Bestandteil der Kundgebung bilde und andererseits der Aufstellung von zwei Pavillons entgegenstehende gewichtige öffentliche Interessen weder hinreichend geltend gemacht noch für den Senat sonst ersichtlich seien. Der zweite Pavillon sei neben anderen versammlungsbezogenen Funktionen gerade auch zum Ausruhen der Versammlungsteilnehmer als erforderlich angesehen worden. Das Einlegen von Ruhepausen, das Ausruhen und Schlafen zur Sicherung der effektiven Kundgabe des Anliegens der Versammlungsteilnehmer sei im Gegensatz zum dauernden Nächtigen ausweislich der Nr. 1.16 des angefochtenen Bescheides nicht verboten. Auch die Verfügung der Beklagten, der Pavillon müsse auf allen Seiten durchgehend offen sein, sei rechtlich zu beanstanden.

Die vom Kläger bezüglich der Beschränkungen in Nr. 1.15, Nr. 1.17 und Nr. 1.19 des Bescheids vom 15. Juni 2012 erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage wies das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg - bei teilweiser Stattgabe der Klage bezüglich weiterer versammlungsrechtlicher Beschränkungen - mit Urteil vom 14. März 2013 insoweit ab.

Grundsätzlich seien schon Pavillons, die Informationsstände beherbergten, versammlungsrechtlich nicht geschützt. Dies gelte jedenfalls für Informationsstände, die auf einen dauerhaften Betrieb ausgelegt seien, also über die kurzfristige Begleitung einer Demonstration oder Kundgebung hinausgingen. Informationsstände unterfielen grundsätzlich den Vorgaben des Straßen- und Wegerechts bzw. Ortsrechts und genössen keine versammlungsrechtlichen Privilegien. Dies gelte erst recht für einen zweiten Pavillon, der noch nicht einmal für die Unterbringung eines Informationsstandes, sondern zu Aufenthaltszwecken vorgesehen gewesen sei. Der zweite Pavillon sei vom Beginn der Versammlung an primär als Schlaf- und Lagerstätte genutzt worden. Der Aufbau und Betrieb von Zelten und wie Zelte genutzter Pavillons könne nach Art. 15 Abs. 1 Bayerisches Versammlungsgesetz untersagt werden, weil Zelte und wie Zelte genutzte Pavillons vorliegend keine Versammlungsbestandteile gewesen seien. Nichts anderes gelte für die Nutzung von Betten. Es könne zwar in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen auch möglich sein, mittels eines oder mehrerer Zelte eine kollektive Aussage zu treffen. Einem solchen Zweck hätten die von den Versammlungsteilnehmern aufgestellten Zelte und der zweite Pavillon jedoch nicht gedient. Eine versammlungsrechtliche Symbolwirkung sei dem Camp aus Pavillons mit Liegeflächen, Igluzelten und zeitweise einem beheizten Versorgungszelt ersichtlich nicht zugekommen. Zelte, Pavillons und Betten seien einer Versammlung unter freiem Himmel grundsätzlich wesensfremd. Vom Versammlungsrecht nicht umfasst sei nämlich das Recht, körperliche Gegenstände wie Zelte oder Wohnwagen mit Inventar in die Versammlung einzubringen. Das Recht auf Versammlungen unter freiem Himmel gewährleiste grundsätzlich noch nicht einmal einen Rechtsanspruch auf das Aufstellen von Sitzgelegenheiten. Auch die Fortsetzung des Hungerstreiks von Versammlungsteilnehmern rechtfertige nicht die Verwendung von Pavillons und Betten. Der Anwendungsbereich des Versammlungsrechts erfasse nicht alle Versammlungen in gleicher Weise, sondern entfalte nach der Art der Versammlung differenzierende Wirkung. Eine Versammlung unter freiem Himmel unterliege anderen tatsächlichen Gegebenheiten und prägenden Strukturen als eine Versammlung in geschlossenen Räumen. Versammlungen unter freiem Himmel seien nur solche, die von ihrer Umgebung nicht durch feste Außenwände abgegrenzt seien. Versammlungen in Zelten oder geschlossenen Pavillons seien Versammlungen in geschlossenen Räumen. Zwar unterfielen auch länger andauernde Versammlungen, etwa Dauermahnwachen oder dergleichen, ohne weiteres dem Schutzzweck des Versammlungsrechts. Das dabei entstehende Bedürfnis nach einem zeitweiligen Schlafen der Versammlungsteilnehmer am Versammlungsort sei aber nicht mehr vom Versammlungsrecht geschützt. Es sei vielmehr Sache der Versammlungsteilnehmer, gegebenenfalls erforderliche Schlafpausen in Wohnräumen abseits des Versammlungsorts zu absolvieren. Lasse man das Schlafen der Versammlungsteilnehmer bei einer Versammlung unter freiem Himmel zu, sei ein dauerhaftes Campieren auf öffentlichen Flächen die nicht zu verhindernde Folge. Mutiere mit zunehmender Verweildauer die Gestaltung der individuellen Lebensverhältnisse zum eigentlichen Medium der Meinungskundgabe, drohe die Paradoxie, dass die durch spezifische Eigentümlichkeiten geprägte Lebensführung der Versammlungsteilnehmer einem permanenten privilegierten Sonderrecht unterstellt werde.

Auf Antrag des Klägers hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 13. Oktober 2014 die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 14. März 2013, soweit es die Fortsetzungsfeststellungsklage bezüglich der Nr. 1.15, Nr. 1.17 und Nr. 1.19 des Bescheids der Beklagten vom 15. Juni 2012 abgewiesen hat, wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Im Berufungsverfahren beantragt der Kläger,

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 14. März 2013 festzustellen, dass auch die Beschränkungen Nr. 1.15 (Verbot des Aufstellens von Betten), Nr. 1.17 (Beschränkung auf einen Pavillon) und 1.19 (Pavillon muss auf allen Seiten offen sein) im Bescheid der Beklagten vom 15. Juni 2012 rechtswidrig waren.

Das Verwaltungsgericht verkenne die Reichweite der Versammlungsfreiheit. Art. 8 GG enthalte keine zeitliche Beschränkung der Versammlungen. Nach seinem Wortlaut kenne Art. 8 GG ein herkömmliches Bild der Versammlung nicht. Der Begriff der Versammlung sei weit auszulegen. In welcher Form die Versammlungsteilnehmer ihre Meinung kundtun wollten, obliege, solange die Versammlung friedlich bleibe, allein ihnen selbst. Bei der vom Kläger gewählten Form einer Dauermahnwache unter freiem Himmel handle es sich um eine versammlungsrechtlich adäquate Form der Meinungsäußerung. Wenn eine Dauermahnwache aber uneingeschränkt dem Schutz der Versammlungsfreiheit unterliege, dann müssten auch alle für die Durchführung einer solchen Mahnwache erforderlichen Utensilien unter den Schutz der Versammlungsfreiheit fallen, ohne einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis zu bedürfen. Zudem hätten die Versammlungsteilnehmer das Recht, eine Versammlungsform zu wählen, die nach ihrer Meinung ihr Anliegen angemessen zum Ausdruck bringe. Die hierfür erforderlichen Mittel unterfielen ebenfalls der Versammlungsfreiheit. Die zeltähnlichen Pavillons seien ein wesentliches Ausdrucksmittel dessen, was durch die Versammlung der Öffentlichkeit kundgetan werden solle. Die zum Teil offenen, zeltähnlichen Pavillons brächten den Zustand eines unbehausten Campierens, dem die Asylbewerber täglich ausgesetzt seien, adäquat zum Ausdruck. Ein einzelner ordentlicher Pavillon reiche zur Erzeugung dieses Eindrucks nicht aus. Der vom Verwaltungsgericht gerügte Zustand der Versammlung in mehreren Pavillons, Liegeflächen, Igluzelten und beheiztem Versorgungszelt mit Wolldecken und Kissen sei nicht das Ergebnis des Lebensstils unordentlich hausender Asylbewerber, sondern die absichtliche Darstellung der Situation von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Gerade dieser Zustand symbolisiere die prekäre Situation der Asylbewerber. Es stehe den Versammlungsteilnehmern auch frei, in welcher Form sie ihre politische Meinung äußern wollten. Sie seien keinesfalls auf schriftliche Aussagen auf Plakaten oder Vorträgen in freier Rede begrenzt. Sie könnten ihr Anliegen auch durch Symbole zum Ausdruck bringen, wie dies vorliegend mit den Pavillons geschehen sei. Eine solche weite Auslegung des Versammlungsbegriffs mache das Versammlungsrecht auch nicht konturlos, denn ersichtlich könne nicht jede politische Meinung durch den symbolischen Nachbau eines Flüchtlingslagers dargestellt werden. Unstreitig dürfte es sein, dass, sofern die Gegenstände wie hier essentieller Bestandteil der demonstrativen Aussage seien, sie eindeutig dem Versammlungsrecht unterfielen und von der Versammlungsfreiheit geschützt würden. Aber nicht nur die Gegenstände, die von essentieller Bedeutung für die Aussage seien, würden vom Versammlungsrecht geschützt. Es sei auch überwiegende Meinung in Literatur und Rechtsprechung, dass bei Mahnwachen ein Witterungsschutz in Form von Planen, Verpflegungs- und Sanitäreinrichtungen versammlungsrechtlich zulässig sei. Durch den Einsatz von Hilfsmitteln werde aus einer Versammlung unter freiem Himmel auch nicht eine Versammlung in geschlossenen Räumen. Die Versammlung habe nicht, wie dies für eine Versammlung in geschlossenen Räumen typisch sei, wesentlich der Selbstverständigung der Teilnehmer untereinander gedient, sondern sie habe von vornherein darauf abgezielt, möglichst viele Menschen anzusprechen. Dieses Anliegen sei durch die Pavillons nicht verhindert, sondern gefördert worden. Sofern eine bestimmte Form einer Veranstaltung grundsätzlich von der Versammlungsfreiheit geschützt werde, müssten auch die zur Durchführung einer solchen Versammlung unbedingt erforderlichen Hilfsmittel geschützt sein. Dies betreffe vorliegend die Pavillons als Witterungsschutz ebenso wie das Recht, zu schlafen und die dafür erforderlichen Schlafstätten, Betten etc. zur Verfügung zu haben. Die Auffassung, dass, wer eine Veranstaltung im Freien durchführe, sich damit der Witterung aussetze, sei sicher zutreffend, könne jedoch nichts daran ändern, dass für eine Dauermahnwache ein gewisser Witterungsschutz erforderlich sei, damit sie überhaupt durchgeführt werden könne. Ein nach allen Seiten offener Pavillon biete keinen ausreichenden Witterungsschutz. Ein teilweiser geschlossener Pavillon sei allein schon zum Schutz der Informationsmaterialien aus Papier und der für die Öffentlichkeitsarbeit heute zwingend notwendigen Computer erforderlich. Die erforderliche Zahl solcher Pavillons richte sich nach der Zahl der Teilnehmer. Vorliegend hätten an der Versammlung im Durchschnitt über 20 Personen teilgenommen. Ein einzelner auch für das Unterstellen des Informationsmaterials genutzter Pavillon sei offensichtlich nicht ausreichend gewesen. Auch das Verbot, Betten aufzustellen, sei rechtswidrig. Es sei nicht zumutbar, dass die Teilnehmer bei der Dauerwache ununterbrochen wach seien. Ebenso könne von ihnen nicht verlangt werden, zum Schlafen nach Hause zu gehen. Die Teilnehmer müssten die Möglichkeit haben, sich auszuruhen. Zum Schlafen benötige man eine Bettstelle.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, Pavillons, die geschlossen und abgetrennt vom eigentlichen Versammlungsgeschehen der privaten Unterbringung der Versammlungsteilnehmer dienten, seien vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht umfasst. Das nächtliche Schlafen am Versammlungsort sei weder Kundgebungsmittel noch Ausdruck der Meinungsäußerung der Versammlungsteilnehmer gewesen. Es sei den Versammlungsteilnehmern zuzumuten, zum Schlafen den Versammlungsort zu verlassen. Die Versammlung werde dadurch nicht unterbrochen.

Der Vertreter des öffentlichen Interesses stellt keinen eigenen Antrag. Nach Aktenlage stelle sich jedoch die Frage, ob der zweite Pavillon als wesentliches Ausdrucksmittel für den Versammlungszweck gedient habe. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts sei seine logistische Bedeutung gegenüber der funktionalen und inhaltsbezogenen Bedeutung so stark in den Vordergrund getreten, dass ein versammlungsrechtlicher Schutz ausscheide.

Der Verwaltungsgerichtshof hat am 21. September 2015 über die Berufung mündlich verhandelt. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Ergänzend wird auf die Gerichtsakten dieses Verfahrens und der Verfahren 10 B 14.2242, 10 CS 12.767, 10 CS 12.848, 10 CS 12.1106 und 10 CS 12.1419 in beiden Instanzen und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Die Klage ist zulässig (I.) und entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts in vollem Umfang begründet (II.).

I. Die Klage, die auf die Feststellung gerichtet ist, dass auch die Beschränkungen in Nr. 1.17, soweit darin als Kundgebungsmittel nur ein Pavillon (3 m x 3 m) zugelassen worden ist, und in Nr. 1.15 und Nr. 1.19 des Bescheids der Beklagten vom 15. Juni 2012 rechtswidrig waren, ist zulässig. Sie ist als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft (1.). Der Kläger war auch nach § 42 Abs. 2 Alt. 1 VwGO klagebefugt (2.). Es liegt darüber hinaus das nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderliche berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung vor.

1. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft.

In den Fällen einer Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO hebt das Verwaltungsgericht nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO den angefochtenen Verwaltungsakt auf, soweit er rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig war, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

Vorliegend haben sich die allein noch streitgegenständlichen Beschränkungen der Versammlung in Nr. 1.15, Nr. 1.17 und Nr. 1.19 des Bescheids der Beklagten vom 15. Juni 2012 nach Klageerhebung, aber vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichts erledigt.

Die Beschränkungen stellten jeweils Verwaltungsakte dar. Denn es handelte sich dabei, wie Art. 35 Satz 1 BayVwVfG dies voraussetzt, um Entscheidungen, die die Beklagte zur Regelung eines Einzelfalls, nämlich zur Regelung der vom Kläger für den Zeitraum vom 16. Juni 2012 bis zum 16. August 2012 angezeigten Versammlung, auf dem Gebiet des Versammlungsrechts getroffen hat und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet waren, weil sie für den Kläger als Veranstalter und Versammlungsleiter verbindlich festlegten, dass nur ein Pavillon, der an allen Seiten offen sein musste, errichtet und keine Betten aufgestellt werden durften.

Die angegriffenen Beschränkungen haben sich mit dem Verstreichen des Zeitraums, für den der Bescheid vom 15. Juni 2012 gelten sollte, durch Zeitablauf erledigt und sind dadurch nach Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG unwirksam geworden. Erledigung ist erst mit dem Ablauf des letzten Tages dieses Zeitraums am 16. August 2012 eingetreten, weil die Beschränkungen bis zu diesem Zeitpunkt Rechtswirkungen für die Versammlung des Klägers entfalteten. Der Kläger hat noch vor Eintritt der Erledigung innerhalb der Rechtsmittelfrist für den Bescheid vom 15. Juni 2012 am 4. Juli 2012 Anfechtungsklage erhoben.

2. Der Kläger war nach § 42 Abs. 2 Alt. 1 VwGO klagebefugt.

Nach dieser Regelung, die in den Fällen der Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend anwendbar ist (vgl. BayVGH, U. v. 8.3.2010 - 10 B 09.1102, 10 B 0910 B 09.1837 - juris Rn. 23; U. v. 20.3.2015 - 10 B 12.2280 - juris Rn. 31; Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 113 Rn. 286), weil die an die Stelle der Anfechtungsklage tretende Fortsetzungsfeststellungsklage einen zum Zeitpunkt der Erledigung des betreffenden Verwaltungsakts bereits vorhandenen Zulässigkeitsmangel nicht zu heilen vermag (vgl. BVerwG, U. v. 23.3.1982 - 1 C 157/79 - juris Rn. 23; Sodan in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 42 Rn. 375, wo § 42 Abs. 2 VwGO allerdings unmittelbar herangezogen wird), ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Dafür genügt es, dass die behauptete Rechtsverletzung möglich erscheint. Dies ist bereits dann anzunehmen, wenn eine Verletzung eigener subjektiver Rechte des Klägers nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen ist (st. Rspr.; vgl. etwa BVerwG, U. v. 23.3.1982 - 1 C 157/79 - juris Rn. 23; U. v. 10.7.2001 - 1 C 35/00 - juris Rn. 15 jeweils m. w. N.). Danach ist der Kläger klagebefugt. Denn es erscheint zumindest möglich, dass er durch die streitgegenständlichen Beschränkungen in seinem Recht verletzt ist, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Für den Kläger, der iranischer Staatsangehöriger ist, folgt dieses Recht aus seiner allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG sowie aus Art. 11 Abs. 1 Halbsatz 1 Alt. 1 EMRK (vgl. Zeitler, Grundriss des Versammlungsrechts, 2015, S. 27; einschränkend in Bezug auf Art. 2 Abs. 1 GG vgl. Depenheuer in Maunz/Dürig, GG, Stand: 74 Ergänzungslieferung Mai 2015, Art. 8 Rn. 109), nach dem jeder das Recht hat, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln. Darüber hinaus ist dieses Recht einfachgesetzlich durch Art. 1 Abs. 1 BayVersG gewährleistet. Denn danach hat jedermann das Recht, sich friedlich und ohne Waffen öffentlich mit anderen zu versammeln.

Da die Möglichkeit einer Rechtsverletzung für die Bejahung der Klagebefugnis ausreicht, braucht an dieser Stelle noch nicht abschließend entschieden werden, ob die angezeigte Dauerversammlung mit Hungerstreik und sämtlichen in der Anzeige des Klägers genannten Kundgebungsmitteln eine Versammlung i. S. d. genannten Vorschriften darstellt (s.u. II.1.).

3. Der Kläger hat darüber hinaus das nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderliche berechtigte Interesse an der Feststellung, dass die angegriffenen Beschränkungen des Bescheids vom 15. Juni 2012 rechtswidrig waren.

Als ein solches Interesse kommt grundsätzlich jedes nach Lage des Falles anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art in Betracht (vgl. BVerwG, B. v. 12.9.1989 - 1 C 40/88 - juris Rn. 10 m.w.N; BayVGH, U. v. 8.3.2010 - 10 B 09.1102, 10 B 0910 B 09.1837 - juris Rn. 25). Insbesondere besteht das erforderliche Feststellungsinteresse, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht. In versammlungsrechtlichen Streitigkeiten setzt dies zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Kläger voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (BVerfG, B. v. 3.3.2004 - 1 BvR 461/03 - juris Rn. 41). Nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Senats (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist hier auf der Grundlage der genannten Maßstäbe von einer Wiederholungsgefahr auszugehen.

Es besteht zunächst die Möglichkeit, dass der Kläger erneut eine vergleichbare Versammlung durchführt. Denn nach den Darlegungen in der mündlichen Verhandlung und unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles besteht erkennbar die Möglichkeit, dass der Kläger auch in Zukunft Versammlungen abhalten wird, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können, wobei nicht erforderlich ist, dass die möglichen weiteren Versammlungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 42).

Der Kläger lebt noch im Stadtgebiet der Beklagten und ist weiterhin politisch aktiv. Seine Bevollmächtigte hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass immer wieder diskutiert werde, ob die Öffentlichkeit erneut mit einer vergleichbaren Aktion auf die Anliegen, die auch schon Gegenstand der damaligen Veranstaltung gewesen seien, hingewiesen werden solle. Außerdem hat sie darauf hingewiesen, dass sich auch ein Hungerstreik, wenn auch vielleicht mit einer geringeren Zahl an Teilnehmern, jederzeit wiederholen lasse. Vor diesem Hintergrund besteht nach Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs aber erkennbar die Möglichkeit, dass der Kläger erneut eine vergleichbare Versammlung veranstalten und leiten wird, die unter Verwendung von Pavillons über längere Zeit hinweg rund um die Uhr stattfindet und damit hinsichtlich der Zahl der zum Einsatz kommenden Pavillons und ihrer Nutzung sowie bezüglich der Zulässigkeit der Aufstellung von Betten zu den gleichen Rechtsproblemen, wie sie den streitgegenständlichen Bestimmungen in Nr. 1.15, Nr. 1.17 und Nr. 1.19 des Bescheids vom 15. Juni 2012 zugrunde lagen, und zu einer gleichen rechtlichen Beurteilung dieser Probleme durch die Versammlungsbehörde führen kann. Dies gilt umso mehr, als in einer Situation, in der wie gegenwärtig die Asylbewerberzahlen rasch ansteigen, mit dem Auftreten von Problemen zu rechnen ist, die mit denjenigen, die Auslöser der Versammlungen im Jahr 2012 waren, vergleichbar sind. Insbesondere liegt insoweit auf der Hand, dass die steigenden Asylbewerberzahlen zumindest vorübergehend mit einer längeren Dauer der einzelnen Asylverfahren und mit Schwierigkeiten bei der Unterbringung der Betroffenen verbunden sein können.

Ebenso wird die Beklagte nach Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten. Denn es ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens davon auszugehen, dass sie Beschränkungen der Durchführung weiterer vergleichbarer Versammlungen des Klägers wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird (vgl. BVerfG, B. v. 3.3.2004 - 1 BvR 461/03 - juris Rn. 43).

Hinsichtlich der Nr. 1.17 des Bescheids vom 15. Juni 2012, die, soweit sie angegriffen ist, lediglich die Errichtung eines einzigen Pavillons zulässt, folgt dies zunächst daraus, dass der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung selbst vom Bestehen einer Wiederholungsgefahr ausgegangen ist, weil die Beklagte weiterhin einen zweiten Pavillon nicht als vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit geschützt ansehe. Dies gilt in gleicher Weise für die Beschränkungen in Nr. 1.15 und Nr. 1.19 des Bescheids vom 15. Juni 2012. Insoweit hat der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass eingebrachte Gegenstände wie Betten nicht mehr mit der Meinungskundgabe in Zusammenhang stünden und daher auch nicht geschützt seien. Zur Beschränkung in Nr. 1.19 hat sich der Vertreter der Beklagten zwar nicht mehr ausdrücklich geäußert. Es wurde aber in der mündlichen Verhandlung hinreichend deutlich, dass die Beklagte jegliche Infrastruktur, die den Versammlungsteilnehmern ermöglicht, sich vom eigentlichen Versammlungsgeschehen abzusondern, weil z. B. in geschlossenen Pavillons übernachtet wird, als nicht mehr vom Schutzbereich des Versammlungsrechts umfasst ansieht.

II. Die Klage ist im noch streitgegenständlichen Umfang auch begründet. Die Beschränkungen in Nr. 1.17, soweit darin als Kundgebungsmittel nur ein Pavillon (3 m x 3 m) zugelassen worden ist, und in Nr. 1.15 und Nr. 1.19 des Bescheids vom 15. Juni 2012 waren im Zeitpunkt ihrer Erledigung rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten. Es ist deshalb antragsgemäß auszusprechen, dass sie rechtswidrig gewesen sind (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).

Als Rechtsgrundlage für die streitgegenständlichen Beschränkungen kommt Art. 15 Abs. 1 BayVersG in Betracht, weil es sich bei der vom Kläger angezeigten „Dauerversammlung in der Form des Hungerstreiks“ vom 16. Juni 2012 bis 16. August 2012 um eine öffentliche Versammlung i. S. d. Art. 2 Abs. 1 und 2 BayVersG gehandelt hat (1.). Die Beklagte war für den Erlass der beschränkenden Verfügungen im Bescheid vom 15. Juni 2012 zuständig (2.). Die verfügten, noch streitgegenständlichen Beschränkungen stellen sich jedoch als unverhältnismäßig bzw. ermessensfehlerhaft dar (3.).

1. Versammlungen im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG sind örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfG, B. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90, 1 BvR 2173/93, 1 BvR 433/96 - juris Rn. 41; BVerwG, U. v. 16.5.2007 - 6 C 23/06 - juris Rn. 15). Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, so ist entscheidend, ob die Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung darstellt. Bleiben insoweit Zweifel, so bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt wird (vgl. BVerfG, B. v. 12.7.2001 - 1 BvQ 28/01, 1 BvQ 30/01 - juris Rn. 29; BVerwG, U. v. 16.5.2007 - 6 C 23/06 - juris Rn. 16). Weitgehend übereinstimmend mit diesen Grundsätzen definiert Art. 2 Abs. 1 BayVersG Versammlungen im Sinne des Bayerischen Versammlungsgesetzes als Zusammenkünfte von mindestens zwei Personen zur gemeinschaftlichen, überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.

Legt man dies zugrunde, so stellte sich die vom Kläger angezeigte Veranstaltung nach ihrem Gesamtgepräge aber als Versammlung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 BayVersG dar. Denn sie war überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet. Bei der Frage, welches Gesamtgepräge einer Veranstaltung zukommt, ist zwar zu berücksichtigen, dass die Beteiligten berechtigt sind, selbst darüber zu bestimmen, was sie zum Gegenstand öffentlicher Meinungsbildung machen und welcher Formen der kommunikativen Einwirkung sie sich bedienen wollen. Die rechtliche Einordnung dieses Verhaltens als Versammlung steht aber den dazu berufenen Gerichten zu (BVerfG, B. v. 12.7.2001 - 1 BvQ 28/01, 30/01 - juris Rn. 30).

Zweck der Veranstaltung, die als länger andauernde Versammlung in Form eines Hungerstreiks zum Thema Asylpolitik angezeigt worden war, war es, die Öffentlichkeit auf die Situation von Asylbewerbern in Deutschland aufmerksam zu machen und dadurch auf eine Verbesserung dieser Situation hinzuwirken. Dabei ging es zum einen darum, die Asylverfahren der Teilnehmer am Hungerstreik zu beschleunigen und deren Anerkennung als Asylberechtigte zu erreichen. Zum anderen wurde eine Verbesserung der Situation aller Asylbewerber angestrebt. Insbesondere wurde von der Politik die Abschaffung der Unterbringung von Asylbewerbern in Gemeinschaftsunterkünften, der Residenzpflicht und der Zuteilung von Essenspaketen, eine drastische Verkürzung der Dauer der Antragsbearbeitung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Einführung eines Anspruchs aller Asylbewerber auf Teilnahme an professionellen Deutschkursen und die Möglichkeit gefordert, den Lebensunterhalt durch eigene Arbeit zu sichern.

War damit die vom Kläger angezeigte Veranstaltung aber auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet, so steht ihrer Einordnung als Versammlung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 BayVersG nicht entgegen, dass in ihrem Rahmen auch Pavillons errichtet worden sind und beibehalten werden sollten, die den Teilnehmern ermöglichten, sich auszuruhen, zu schlafen, Zuflucht vor ungünstigen Witterungsbedingungen zu suchen oder sonst den Aufenthalt am Veranstaltungsort zu erleichtern. Dies betraf nicht nur die hungerstreikenden Versammlungsteilnehmer. Denn ungeachtet dessen stand im Vordergrund der Veranstaltung die beabsichtigte Einflussnahme auf die öffentliche Meinung. Dies gilt nach Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs unabhängig davon, ob - wie der Kläger nunmehr geltend macht - insbesondere durch das Aufstellen der Pavillons auf die prekäre Situation der Asylbewerber in der Gemeinschaftsunterkunft und den dortigen Mangel jeglicher Privatsphäre aufmerksam gemacht werden sollte. Denn auch die Anwesenheit der Teilnehmer am Versammlungsort rund um die Uhr über mehrere Tage hinweg, die ohne die Möglichkeit, sich zum Schutz vor ungünstigen Witterungsbedingungen und zum Ausruhen und Schlafen in die als Kundgebungsmittel vorgesehenen Pavillons begeben zu können, schon rein faktisch nicht gewährleistet gewesen wäre, war geeignet, dem auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Anliegen der Veranstaltung besonderen Nachdruck zu verleihen.

Schließlich steht der Einordnung der vom Kläger angezeigten Veranstaltung in Form eines Hungerstreiks als (Dauer-)Versammlung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 BayVersG auch nicht entgegen, dass mit ihr auch die Anerkennung der Veranstaltungsteilnehmer als Asylberechtigte herbeigeführt werden sollte. Zwar schützt die Versammlungsfreiheit nur die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung, nicht aber die zwangsweise oder sonstige selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen (vgl. BVerfG, B. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90, 1 BvR 2173/93, 1 BvR 433/96 - juris Rn. 44). Jedoch ging es hier nach Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs nicht in erster Linie darum, die eigenen Forderungen in selbsthilfeähnlicher Weise durchzusetzen. Vielmehr stand im Vordergrund das Bestreben, durch den Hungerstreik und durch die Anwesenheit der Veranstaltungsteilnehmer am Veranstaltungsort rund um die Uhr die Bedeutung dieser Forderungen zu unterstreichen und so Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen. Es überwog damit aber gerade der von der Versammlungsfreiheit geschützte Zweck der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung.

2. Die Beklagte war für den Erlass der streitgegenständlichen Beschränkungen zuständig. Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde Versammlungen beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist oder ein Fall des Art. 12 Abs. 1 BayVersG vorliegt. Zuständige Behörde ist nach Art. 24 Abs. 2 Satz 1 BayVersG die Kreisverwaltungsbehörde, ab Beginn der Versammlung die Polizei. Vorliegend verfügte die Beklagte als Kreisverwaltungsbehörde die Beschränkungen vor Beginn der Versammlung am 16. Juni 2012 mit Bescheid vom 15. Juni 2012; sie war damit zuständige Behörde i. S. d. Art. 24 Abs. 2 Satz 1 BayVersG.

Auch wenn seit dem 9. März 2012 im Stadtgebiet der Beklagten schon mehrere Versammlungen zum Thema „Asylrecht“ teilweise verbunden mit einem Hungerstreik stattgefunden hatten, so handelte es sich bei der am 13. Juni 2012 vom Kläger angezeigten Versammlung um eine am 16. Juni 2012 beginnende neue Versammlung. Denn mit seiner nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 BayVersG erforderlichen Anzeige gab der Veranstalter der Versammlungsbehörde zu erkennen, dass ab dem 16. Juni 2012 eine neue, eigenständige Versammlung beginnen wird. Nach Art. 13 Abs. 2 Satz 1 BayVersG sind in der Anzeige nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 BayVersG der Ort der Versammlung, der Zeitpunkt des beabsichtigten Beginns und Endes der Versammlung, das Versammlungsthema und der Veranstalter und der Leiter anzugeben. Die Anmeldung soll die Behörde in die Lage versetzen, organisatorische Vorkehrungen treffen zu können. Nur wenn die Behörde zuvor über Zeitpunkt, Ort und Art der Versammlung unterrichtet wird, ist sie auch in der Lage, den Schutz und die Durchführung der Versammlung zu gewährleiten (Zeitler, Grundriss des Versammlungsrechts, 2015, Rn. 222; Wächtler/Heinhold/Merk, BayVersG, 2011, Art. 13 Rn. 20). Da der Veranstalter das Ende der vorangehenden Versammlung auf dem Dominikanerplatz für den 15. Juni 2012 angezeigt hatte, begann am 16. Juni 2012 mit der beabsichtigten Verlegung des Versammlungsgeschehens an den Vierröhrenbrunnen eine neue Versammlung, weil sich wesentliche Kriterien, nämlich der Versammlungsort und der Zeitraum der Versammlung, geändert hatten und offensichtlich auch der Veranstalter davon ausging, dass eine erneute Abstimmung mit der Versammlungsbehörde über den weiteren Verlauf im Versammlungsgeschehen erforderlich war. Die einzelnen Versammlungen, die aufeinanderfolgend zum Thema „Asylpolitik“ an verschiedenen Orten im Stadtgebiet der Beklagten stattgefunden haben, sind tatsächlich und rechtlich auch nicht deshalb eine Versammlung i. S. d. Art. 13 BayVersG, weil sich die jeweiligen Versammlungszeiträume unmittelbar aneinander angeschlossen hatten. Die jeweiligen Versammlungen unterschieden sich nämlich durch den Versammlungsort, die Zahl der Teilnehmer und auch dadurch, dass zeitweise den politischen Forderungen durch einen Hungerstreik Nachdruck verliehen werden sollte. Die Veranstalter hatten ursprünglich auch nicht geplant, ihren Protest über einen so langen Zeitraum auszudehnen. Sie reihten dann letztlich eine Versammlung an die andere, weil ihr Forderungskatalog von den politisch Verantwortlichen (noch) nicht oder nicht umfassend erfüllt wurde.

3. Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die in Art. 15 Abs. 1 BayVersG genannten beschränkenden Verfügungen sind keine Nebenbestimmungen zu einem begünstigenden Verwaltungsakt. An diesem fehlt es im Versammlungsrecht angesichts der Erlaubnisfreiheit von Versammlungen (BVerfG, B. v. 21.3.2007 - 1 BvR 232/04) - juris 22). Sie enthalten vielmehr einen eigenständigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit, müssen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Versammlungsgeschehen stehen und darauf abzielen, auch noch solche Versammlungen und Aufzüge zu ermöglichen, die aus Rechtsgründen nicht mehr zugelassen werden könnten, wenn sie nach den ursprünglichen Vorstellungen des Veranstalters durchgeführt würden (Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 6. Aufl. 2011, § 15 Rn. 45). Der Begriff der öffentlichen Sicherheit knüpft an die polizeiliche Generalklausel an. Er umfasst die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung (BVerfG, U. v. 14.5.1985 - 1 BvR 233/81 - juris Rn. 77), der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des einzelnen sowie des Bestandes der Einrichtungen und der Veranstaltungen des Staates oder sonstiger Träger der Hoheitsgewalt. Zur Rechtsordnung gehören Strafgesetze und verwaltungsrechtliche Gebots- und Verbotsnormen. Die Beschränkungen müssen der Abwehr einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienen. Eine solche Gefährdung kann sich auch aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung ergeben. Unzulässig sind Beschränkungen, die dem Normzweck widersprechen. Die Beschränkungen nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG müssen zudem erforderlich und geeignet sein, die Gefahren zu verhindern, denen sie begegnen sollen und sich auf das zum Schutz höherwertiger Rechtsgüter unbedingt notwendige Maß unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beschränken (HessVGH, U. v. 26.4.2006 - 5 UE 1567/05 - juris Rn. 32).

Gemessen an diesen Grundsätzen waren die von der Beklagten verfügten Beschränkungen in Nr. 1.15, Nr. 1.17 und Nr. 1.19 des Bescheids vom 15. Juni 2012 aber unverhältnismäßig und damit auch ermessensfehlerhaft. Die Beklagte hat die Bedeutung, die dem Aufstellen des zweiten Pavillons und dem Witterungsschutz durch Planen für die Durchführung der Versammlung zukam, bei ihrer Entscheidung verkannt bzw. nicht hinreichend berücksichtigt (3.1). Zu Nr. 1.15 enthält der Bescheid keinerlei Ausführungen, die erkennen ließen, inwiefern durch das Verbot des Aufstellens von Betten die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet worden wäre (3.2).

3.1 Das Aufstellen eines Pavillons auf einem öffentlichen Platz im Gemeindegebiet der Beklagten verstößt zwar gegen deren Sicherheitssatzung (3.1.1). Der Kläger kann sich als Ausländer zumindest auf die einfachgesetzlich gewährleistete Versammlungsfreiheit nach Art. 1 Abs. 1 BayVersG berufen (3.1.2). Auch der zweite Pavillon war zur Durchführung der Versammlung in der angezeigten Form notwendig (3.1.3). Insoweit ist ein am Durchschnittsbetrachter orientierter objektiver Maßstab anzulegen (3.1.4). Die von der Beklagten zur Begründung des Verbots des Aufstellens eines zweiten Pavillons angeführten Erwägungen stellen sich daher als unverhältnismäßig und ermessensfehlerhaft dar (3.1.5). Dasselbe gilt für die Beschränkung in Nr. 1.19, wonach der Pavillon an allen Seiten offen zu halten war (3.1.6).

3.1.1 Nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 der Satzung der Beklagten über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt Würzburg vom 6. April 2006 (Sicherheitssatzung) ist es zur Vermeidung von Beeinträchtigungen Dritter und zum ordnungsgemäßen Erhalt der Straßen, Wege und Plätze und der öffentlichen Grün- und Erholungsanlagen untersagt, zu nächtigen und zu zelten. Diese Sicherheitssatzung ist Bestandteil der Rechtsordnung, so dass ein Verstoß gegen die in der Sicherheitssatzung geregelten Verbote und Gebote grundsätzlich eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstellen kann. Das Aufstellen eines teilweise geschlossenen Pavillons, um dort die Nacht zu verbringen, erfüllt zumindest den Tatbestand des Zeltens, weil auch der Pavillon eine einem Zelt vergleichbare Grundfläche einnimmt, und somit dem Zweck der Satzung, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Straßen und Plätze zu erhalten und Dritte nicht zu beeinträchtigen, entgegensteht.

3.1.2 Allerdings tritt vorliegend der von der Beklagten durch das Aufstellen des Pavillons angenommene Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Nr. 2 der Sicherheitssatzung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung hinter die einfachgesetzlich gewährleistete Versammlungsfreiheit und die grundgesetzlich geschützte allgemeine Handlungsfreiheit zurück. Der Kläger kann sich zwar als iranischer Staatsangehöriger nicht unmittelbar auf Art. 8 Abs. 1 GG, der allen Deutschen das Recht verleiht, sich ohne Anmeldung friedlich und ohne Waffen zu versammeln, berufen. Ausländern steht allein das Auffanggrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG und das einfachgesetzliche Recht aus Art. 1 Abs. 1 BayVersG bzw. Art. 11 Abs. 1 EMRK zu (s.o. I. 2.). Denn Art. 1 Abs. 1 BayVersG geht von einem Jedermann-Recht aus. Zudem gewährleistet Art. 113 BV allen Bewohnern Bayerns das Recht, sich ohne besondere Erlaubnis und friedlich und unbewaffnet zu versammeln, so dass dem Schutz der Versammlungsfreiheit für Bewohner Bayerns, auch wenn sie Ausländer sind, Verfassungsrang zukommt und die einfachgesetzlich gewährleistete Versammlungsfreiheit eine verfassungsrechtliche Schutzbereichsverstärkung erfährt.

3.1.3 Liegt wie hier nach dem Gesamtgepräge eine Versammlung vor (s.o. II. 1.), so fallen grundsätzlich sämtliche Bestandteile oder Elemente dieser Versammlung in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit. Dies bedeutet, dass diese Versammlungsbestandteile, auch wenn sie nach anderen Rechtsvorschriften erlaubnispflichtig wären, keiner Erlaubnis nach diesen Rechtsvorschriften bedürfen und insoweit privilegiert werden (zum Verhältnis einer versammlungsrechtlichen Beschränkung zu einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis vgl. VGH BW, B. v. 16.12.1993 - 1 S 1957/93 - juris Rn. 7; BVerwG, U. v. 21.4.1989 - 7 C 50/88 - juris Rn. 15; OVG Berlin-Bbg, B. v. 14.11.2003 - 4 B 365/03 - juris Rn. 18). Außerversammlungsgesetzliche Erlaubnisvorbehalte, die unmittelbar versammlungsbezogene Betätigungen und Verhaltensweisen betreffen, sind suspendiert. Dies ergibt sich aus der aus Art. 1 Abs. 1 BayVersG, Art. 113 BV folgenden prinzipiellen Erlaubnisfreiheit für das Gesamtgeschehen der jeweils aktuellen Versammlung oder Demonstration (Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, a. a. O., § 15 Rn. 7).

Nach der Rechtsprechung des BVerfG fallen in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit und der dadurch bewirkten Erlaubnisfreiheit des Versammlungsgeschehens nur Veranstaltungen und Aktionen, die durch gemeinsame Kommunikation geprägt sind und auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen (BVerfG, U. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 - juris Rn. 40, B. v. 20. 12. 2012 - 1 BvR 2794/10 - juris Rn. 16, U. v. 22.2.2011 - 1 BvR 699/06 - juris Rn. 63). In diesem Rahmen gewährleistet die Versammlungsfreiheit auch das Recht, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll, und damit ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (BVerfG, B. v. 20.12.2012 a. a. O. Rn. 16; U. v. 22.2.2011 a. a. O. Rn. 64; B. v. 14.5.1985 - 1 BvR 233/81 - juris Rn. 61). Das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters ist aber beschränkt, soweit durch die geplante Veranstaltung Rechtsgüter beeinträchtigt zu werden drohen. Hinsichtlich der Modalitäten der Durchführung einer Versammlung ergeben sich die Grenzen der Versammlungsfreiheit aus Art. 15 BayVersG. Gefährdet die Durchführung der Versammlung andere Rechtsgüter, so ist es Aufgabe der Behörde, die wechselseitigen Interessen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Ausgleich zu bringen. Die Bewertung der gegenläufigen Interessen und ihre Abwägung mit dem Versammlungsinteresse liegt bei der Behörde (BVerfG, B. v. 5.9.2003 - 1 BvQ 32/03 - juris Rn. 22; B. v. 26.1.2001 - 1 BvQ 8/01 - juris Rn. 15).

Bezogen auf Gegenstände oder Hilfsmittel, die in eine Versammlung eingebracht werden sollen, besteht in Literatur und Rechtsprechung jedenfalls weitgehend Einigkeit darüber, dass sie an der durch die Versammlungsfreiheit bewirkten Privilegierung in Bezug auf die Erlaubnisfreiheit teilnehmen, wenn sie funktionale Bedeutung für die Durchführung der Veranstaltung haben (Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, a. a. O., § 1 Rn. 60) oder sie zur Verwirklichung des Versammlungszweck wesensnotwendig sind (Schneider in BeckOK, GG, Stand 1.6.2015, Art. 8 Rn. 179). Art. 8 GG schützt auch „infrastrukturelle“ Ergänzungen der Veranstaltung in Form von Informationsständen, Sitzgelegenheiten, Imbissständen oder auch Zelten, sofern sie funktional versammlungsspezifisch eingesetzt werden (Schulze-Fielitz in Dreier, Grundgesetz, 3. Aufl. 2013, Art. 8 Rn. 34). Nicht in den Schutzbereich von Art. 8 GG fallen infrastrukturelle Begleitaktivitäten, wenn sie über die eigene Versammlungsaktivität hinausgehen, ohne für diese notwendig zu sein (Depenheuer in Maunz/Dürig, Grundgesetzkommentar, Stand 2014, Art. 8 Rn. 72). Die Rechtsprechung ordnet die Begleiterscheinungen einer Versammlung nur dann dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit zu, wenn die jeweils in Rede stehenden Gegenstände und Hilfsmittel zur Verwirklichung des Versammlungszwecks funktional oder symbolisch für die kollektive Meinungskundgabe wesensnotwendig sind (OVG Berlin-Bbg, B. v. 16.8.2012 - OVG 1 S 108.12 - juris 8), wenn es sich dabei um notwendige Bestandteile der Versammlung handelt, ohne die eine gemeinsame Meinungsbildung und Meinungsäußerung nicht möglich ist (VG Frankfurt, B. v. 6.8.2012 - 5 L 2558/12.F - juris Rn. 43), wenn sie inhaltlich in hinreichendem Zusammenhang mit der Durchführung der Versammlung stehen und einen spezifischen Bezug zum Versammlungsthema aufweisen (BVerfG, B. v. 26.6.2014 - 1 BvR 2135/09 - NVwZ 2014, 1453), ihnen eine funktionale oder symbolische Bedeutung für das Versammlungsthema zukommt und sie einen erkennbaren inhaltlichen Bezug zur Meinungskundgabe aufweisen (BayVGH, B. v. 12.4.2012 - 10 CS 12.767 - juris Rn. 10; B. v.20.4.2012 - 10 CS 12.845 - juris Rn. 845) oder wenn nur unter ihrer Verwendung die Versammlung zweckentsprechend durchgeführt werden kann (BayVGH, B. v. 1.7.1995 - 21 CS 95.2131 - BeckRS 1995, 15373).

3.1.4 Ob bestimmte Gegenstände, die von den Veranstaltern der Versammlung zur Durchführung der Versammlung als notwendig erachtet werden und damit funktional-spezifisch versammlungsbezogen sind und einen Bezug zur gewählten Form der Versammlung haben, ist von der Behörde nach einem objektiven Maßstab zu beurteilen. Grundlage für diese Beurteilung ist das Vorbringen der Veranstalter. Sie legen gegenüber der Versammlungsbehörde dar, welche Gegenstände sie zur Durchführung der Versammlung in der geplanten Form benötigen. Für die Zugrundelegung eines am Durchschnittsbetrachter orientierten Maßstabs spricht folgendes: Auch bei der Entscheidung darüber, ob überhaupt eine Versammlung vorliegt, richtet sich die rechtliche Beurteilung danach, ob sich die Veranstaltung aus der Sicht des durchschnittlichen Betrachters als Versammlung darstellt, und ob der Veranstalter sein Konzept schlüssig dargelegt hat (BVerwG, U. v. 22.8.2007 - 6 C 22.06 - juris Rn. 14, 17). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, B. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 - juris Rn. 45) spricht ebenfalls davon, dass es bei der Beurteilung, ob es sich bei einer Blockadeaktion noch um eine Kundgebung handelt, die unter den Schutz des Art. 8 GG fällt, oder um eine selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen, darauf ankommt, dass der Veranstalter der Versammlung substantiiert darlegt, dass die Aktion auch einen an die Öffentlichkeit gerichteten Kommunikationszweck verfolgt habe. Wenn somit schon bei der Einordnung eines Geschehens als Versammlung eine Überprüfung des vom Veranstalter vorgelegten Konzepts anhand objektiver Kriterien erfolgt, ist es nur konsequent, dass die Versammlungsbehörde auch überprüft, ob bestimmte Gegenstände, die in die Versammlung eingebracht werden sollen, für die Durchführung der Versammlung in der gewählten Form funktional oder symbolisch eingesetzt werden. Denn schließlich wird das durch Art. 1 Abs. 1 BayVersG geschützte Versammlungsgeschehen insoweit privilegiert, als sämtliche mit dem Versammlungsgeschehen in Zusammenhang stehenden „Bestandteile“ keiner etwaigen nach spezialgesetzlichen Regelungen erforderlichen Erlaubnis bedürfen. Ein Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Ort, Zeitpunkt sowie Art und Inhalt bzw. die Form der Versammlung liegt darin nicht, weil die Behörde insoweit lediglich prüft, ob die vom Veranstalter angezeigten Hilfsmittel (hier: Pavillons und Betten) die für die Durchführung der geplanten Form der Versammlung (Dauerversammlung) erforderliche funktionale oder symbolische Bedeutung haben, dem Veranstalter aber nicht die Form seiner Versammlung vorgibt.

3.1.5 Die von der Beklagten verfügte Beschränkung, dass nur ein Pavillon aufgestellt werden darf, erweist sich danach bereits deshalb als rechtswidrig, weil die Beklagte bei der Bewertung ihres Interesses an der Einhaltung der Bestimmungen der Sicherheitssatzung und der gegenläufigen Interessen der Versammlungsteilnehmer zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass der zweite Pavillon nicht in funktionalem Zusammenhang mit dem Versammlungszweck steht. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 12. April 2012 (10 CS 12.767 - juris) ausgeführt hat, hatte das Aufstellen eines oder mehrerer Pavillons für die vom Kläger angemeldete Dauerversammlung mit Unterschriftenlisten, Dokumenten und Diskussionsrunden diese funktionale Bedeutung für das Versammlungsthema. Die Versammlungsteilnehmer verblieben über einen längeren Zeitraum, auch nachts, am Versammlungsort, so dass es ihnen auch möglich sein musste, sich auszuruhen oder zu schlafen, um eine effektive Kundgabe ihres Anliegens zu gewährleisten. Dies schloss auch das Schlafen in den errichteten Pavillons nicht aus. An dieser Einschätzung hat sich auch für die hier streitgegenständliche Versammlung nichts geändert. Laut Versammlungsanzeige vom 13. Juni 2012 bestand die Kerngruppe aus dreizehn Protestierenden. Zwanzig Personen hatten sich bereit erklärt, am Hungerstreik teilzunehmen. Die Kundgabeform als Dauerversammlung mit Plakaten, Unterschriftslisten, Diskussionen hatte sich seit Beginn der Aktion im März 2012 im hier streitgegenständlichen Zeitraum nicht wesentlich verändert. Es liegt auf der Hand, dass für die zur Meinungskundgabe genutzten Kommunikationsmittel und für den zum witterungsgeschützten Ausruhen erforderlichen Platz bei der angezeigten Teilnehmerzahl ein Pavillon mit einer Grundfläche von 9 m² nicht ausreichend ist. Auch wenn die Versammlungsteilnehmer einen Pavillon überwiegend zum Schlafen und Ausruhen und den anderen zur Unterbringung von Tischen und Stühlen für die Diskussion und Information genutzt haben, verlor der erstgenannte Pavillon dadurch nicht den Bezug zum Versammlungszweck. Auch er blieb Teil des Versammlungsgeschehens und war für die kollektive Meinungskundgabe allein aufgrund der angezeigten Teilnehmerzahl und der gewählten Versammlungsform funktional notwendig, weil sonst die Versammlungsteilnehmer ihren Protest und ihre Meinungskundgabe nicht hätten dauerhaft „auf der Straße“ durchführen können. Es kann bei zwei aneinandergebauten Pavillons keinen entscheidungserheblichen Unterschied in ihrer Bedeutung für das Versammlungsgeschehen machen, wenn in einem Pavillon tatsächlich nur geschlafen und im anderen nur diskutiert wird oder beide sowohl zum Ausruhen als auch zum öffentlichen Diskutieren genutzt werden. Es kommt vielmehr entscheidend darauf an, ob für die von den Versammlungsteilnehmern gewählte Kundgabeform und die Zahl der Versammlungsteilnehmer die von den Pavillons überdachte Fläche zur Verwirklichung des Versammlungszwecks funktional oder symbolisch eingesetzt worden ist. Nicht maßgeblich ist entgegen der Auffassung der Beklagten daher, dass der zweite Pavillon nach ihren Beobachtungen ausschließlich zum Ausruhen und Schlafen sowie zur Lagerung von Gegenständen benutzt worden war, während sich die Diskussionen und Informationen auf den ersten Pavillon beschränkten.

Da die Beklagte somit das Interesse der Versammlungsteilnehmer an der Aufstellung eines zweiten Pavillons als nicht in Zusammenhang mit der kollektiven Meinungskundgabe stehend bewertet hat, hat sie das Interesse der Versammlungsteilnehmer nur mit einer unzureichenden Gewichtung in ihre Abwägungsentscheidung eingestellt.

Selbst wenn man zugunsten der Beklagten davon ausginge, sie habe erkannt, dass auch der zweite Pavillon eine funktionale Bedeutung für die angezeigte Versammlung habe, so erweist sich die verfügte Beschränkung als unverhältnismäßig, weil die von der Beklagten angestellten Erwägungen, wonach ein Verstoß gegen die Sicherheitssatzung vorliege, der Zugang zu den anliegenden Gewerbebetrieben behindert würde und den Versammlungsteilnehme bereits auseichend Zeit zur Kundgabe ihrer Anliegen zur Verfügung gestellt worden sei, das Interesse der Versammlungsteilnehmer, einen zweiten Pavillon aufzustellen, um die Versammlung ihren Vorstellungen entsprechend durchführen zu können, nicht hinreichend gewichtet hat. Sie hat insbesondere keine Erwägungen dahingehend angestellt, ob nicht durch eine örtliche Verschiebung der Pavillons am Versammlungsort oder einen Wechsel des Versammlungsorts eventuelle Beeinträchtigungen für Dritte hätten reduziert werden können. Auch die von der Beklagten angeführte Überlegung, dass die Versammlungsteilnehmer bereits genügend Zeit gehabt hätten, ihr Anliegen darzustellen, führte nicht ohne weiteres dazu, dass ihr Recht, sich zu versammeln und entsprechend dem Versammlungszweck zwei Pavillons aufzustellen, schon hinter das Zelt- und Nächtigungsverbot der Sicherheitssatzung hätte zurücktreten müssen, wenn nicht gerade in der Dauer des Verstoßes gegen die Sicherheitssatzung eine zusätzliche erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit gelegen hätte.

3.1.6 Auch die Beschränkung in Nr. 1.19 des Bescheids vom 15. Juni 2012, den Pavillon auf allen Seiten offen zu halten, ist ermessensfehlerhaft. In den Gründen des Bescheids finden sich auch keine weiteren Ausführungen zu dieser Beschränkung. Die Beklagte ging wohl davon aus, dass ein geschlossener Pavillon nicht spezifisch versammlungsbezogen sei, weil durch das Verhängen der Eingänge des Pavillons eine Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung ausgeschlossen gewesen sei. Dabei verkannte die Beklagte, dass bei Dauerversammlungen zum Schutz der Kundgebungsmittel und der Versammlungsteilnehmer vor Nässe und Wind auch das (teilweise) Verhängen der Pavillons mit Planen zur weiteren Durchführung der Versammlung notwendig war, weil ansonsten bei entsprechenden Witterungsbedingungen die Versammlung hätte abgebrochen werden müssen. Dies hat der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 2. Juli 2012 (10 CS 12.1419 - juris Rn. 32) klargestellt. Daran hält er auch nach wie vor fest.

3.2 Die Beschränkung in Nr. 1.15 des Bescheids vom 15. Juni 2012, wonach keine Betten aufgestellt werden dürfen, war ebenfalls rechtswidrig. Auch diese Regelung war ermessensfehlerhaft und unverhältnismäßig. Die Beklagte hat zum Nächtigungsverbot in Nr. 1.16 des Bescheids vom 15. Juni 2012 und zum Verbot des Aufstellens von Betten in den Gründen ausgeführt, dass das Nächtigen gegen § 4 Abs. 2 Nr. 1 der Sicherheitssatzung verstoße. Das Übernachten hätte nicht die Meinungskundgabe zum Ziel gehabt. Das Aufstellen von Betten sei zu untersagen gewesen, weil diese ausschließlich dem Zweck des dauerhaften Nächtigens gedient hätten. Dem Verbot, Betten aufzustellen, kommt aber nach Auffassung des Senats unabhängig vom Verbot des Nächtigens, das der Kläger hat bestandskräftig werden lassen, bezogen auf den Versammlungszweck, nämlich über einen längeren Zeitraum unterbrochen am Versammlungsort präsent zu sein, um den Forderungen der Versammlungsteilnehmer Nachdruck zu verleihen, eine über das Nächtigungsverbot hinausgehende Bedeutung zu. Der Senat hat bereits im Beschluss vom 12. April 2012 (10 CS 12.767 - juris Rn. 12) erläutert, dass die dauernde Anwesenheit am Versammlungsort zwangsläufig ein Bedürfnis nach Ruhepausen nach sich zieht. Wenn sich die Versammlungsteilnehmer also am Versammlungsort z. B. nur ausruhen (auch tagsüber), steht das Aufstellen eines Bettes zu diesem Zweck in funktionalem Zusammenhang mit dem Versammlungsgeschehen. Es kann offen bleiben, ob das Aufstellen eines Bettes per se bereits gegen die Sicherheitssatzung der Beklagten verstoßen hat oder straßenrechtlich erlaubnispflichtig gewesen wäre. Denn die Beklagte hat bei ihrer Entscheidung über die Beschränkung das Aufstellen von Betten lediglich unter dem Aspekt des Nächtigens gewürdigt und nicht berücksichtigt, dass Betten auch dem Ausruhen dienen und daher einen hinreichend funktionalen Bezug zum konkreten Versammlungsgeschehen aufweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 Abs. 2 und § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 709 Satz 2 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat(§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Rechtsmittelbelehrung

Nach § 139 VwGO kann die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) eingelegt werden. Die Revision muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. Sie ist spätestens innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist beim Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig (Postfachanschrift: Postfach 10 08 54, 04008 Leipzig), einzureichen. Die Revisionsbegründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen angeben, die den Mangel ergeben.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.

[73] Beschluss:

Unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 14. März 2013 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 5.000 Euro festgesetzt (§ 63 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG).

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Tenor

1. Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 15. Oktober 2010 - 3 L 1556/10 - und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2010 - 3 B 307/10 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes.

2. Die Kostenentscheidungen der Beschlüsse werden aufgehoben. Das Verfahren wird insoweit an das Sächsische Oberverwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung über die Kosten des Verfahrens zurückverwiesen.

3. ...

4. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die verwaltungsgerichtliche Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine versammlungsrechtliche Auflage.

I.

2

1. Die Beschwerdeführer meldeten Anfang September 2010 bei der Stadt L. ihr Vorhaben an, am 16. Oktober 2010 (von 12.00 Uhr bis 20.00 Uhr) in L. eine Versammlung unter freiem Himmel durchzuführen. Die geplante Versammlung sollte aus drei Aufzügen und einer Abschlusskundgebung in der Innenstadt von L. bestehen. Die Teilnehmerzahl wurde von den Beschwerdeführern bei der Anmeldung auf 600 Personen geschätzt. Das Motto der geplanten Versammlung lautete "Recht auf Zukunft". Es bezog sich auf eine am 17. Oktober 2009 in L. von der Beschwerdeführerin zu 4), einer Unterorganisation der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), veranstaltete Versammlung, bei der es im Zusammenhang mit einer Versammlungsblockade durch Gegendemonstranten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und letztlich zu einer polizeilichen Auflösung der Versammlung kam.

3

Angesichts dieser Vorgeschichte und der Anmeldung von zahlreichen Gegendemonstrationen kam es zwischen der Anmeldung und der Durchführung der geplanten Versammlung zu umfangreichen Verhandlungen zwischen den Beschwerdeführern und der Stadt L., die unter anderem in Kooperationsgesprächen am 4., am 6. und am 13. Oktober 2010 eingehend die polizeilich sicherbare Anzahl der geplanten Aufzüge und die konkrete Streckenführung erörterten. In einer Gefährdungsanalyse am 4. Oktober 2010 bekundete die Polizeidirektion L. dabei laut den tatsächlichen Feststellungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, dass der Schutz von zwei der angemeldeten Aufzüge mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften gewährleistet werden könne. Am 11. Oktober 2010 teilte der Beschwerdeführer zu 1) der Stadt schließlich mit, dass am 16. Oktober 2010 nunmehr lediglich ein einziger Aufzug stattfinden solle. Am 12. Oktober 2010 ergänzte die Polizeidirektion L. ihre Gefahrprognose insofern, dass nunmehr nur eine maximal vierstündige stationäre Kundgebung durchführbar sei, weil nach den Erfahrungen des Versammlungsgeschehens vom 17. Oktober 2009 mit einer höheren als der angemeldeten Teilnehmerzahl zu rechnen sei und jeweils ca. 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration und der Gegendemonstrationen als gewaltbereit einzustufen seien.

4

2. Mit Bescheid vom 13. Oktober 2010 untersagte die Stadt L. die Durchführung der Versammlung als Aufzug, verfügte die Durchführung als stationäre Kundgebung in der Zeit von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr in einem Bereich am L. Hauptbahnhof und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Auflage an. Die Polizeidirektion L. habe in ihrer Gefahrprognose vom 12. Oktober 2010 dargelegt, dass im Zeitraum vom 15. bis zum 17. Oktober 2010 aufgrund von zahlreichen Versammlungsanmeldungen widerstreitender politischer Lager eine latente Gefährdungssituation vorhanden sei, die einen außerordentlich hohen Kräfteeinsatz der Polizei erfordere. Es sei davon auszugehen, dass sich die Teilnehmer der Aufzüge bei Angriffen durch Personen der linksextremistischen Klientel provozieren ließen und darauf entsprechend reagierten. Die Polizei habe glaubhaft dargelegt, dass sie kräftetechnisch außerstande sei, einen Aufzug zu begleiten, da trotz bundesweiter Anfragen nur 29 der für erforderlich gehaltenen 44 Polizeihundertschaften, also nur 66 % der geplanten Polizeikräfte, zur Verfügung stünden. Die Ausübung der Versammlungsfreiheit werde trotz der Beschränkungen nicht vereitelt, da der zugewiesene Ort eine hinreichende Öffentlichkeitswirksamkeit und eine räumliche Trennung der gegensätzlichen politischen Lager gewährleiste.

5

3. Dagegen erhoben die Beschwerdeführer noch am gleichen Tag Widerspruch und stellten beim Verwaltungsgericht Leipzig die Anträge, die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die Auflage, nur eine stationäre Kundgebung durchzuführen, wiederherzustellen sowie im Wege einer einstweiligen Anordnung ein Verbot sämtlicher Versammlungen in einem Umkreis von 300 m um die angemeldeten Aufzugstrecken anzuordnen. Das Verwaltungsgericht Leipzig lehnte die Eilanträge mit Beschluss vom 15. Oktober 2010 ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Bescheid vom 13. Oktober 2010 rechtmäßig sei und somit das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des Bescheids die Interessen der Beschwerdeführer überwiege. Die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens, die Stadt L., sei auf der Grundlage der Einschätzung der Polizeidirektion L. nachvollziehbar davon ausgegangen, dass infolge zahlreicher Gegenaktionen und -demonstrationen bei Durchführung des im Zuge der Kooperation der Beschwerdeführer zuletzt noch geplanten einzigen Aufzuges eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bestehe. Bei der Vielzahl der angemeldeten und geplanten Veranstaltungen am 16.10.2010, unter anderem ein Fußballspiel, und in Anbetracht der beschriebenen begrenzten Kräftelage der Polizei sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einhergehenden Personen- und Sachschäden zu rechnen, denen nur mit der Beschränkung auf eine stationäre Kundgebung begegnet werden könne. Dieser Gefahr könne in Anbetracht der besonderen Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 auch nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer begegnet werden.

6

4. Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts legten die Beschwerdeführer Beschwerde ein. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Beschluss vom 15. Oktober 2010 zurück. Ob ein polizeilicher Notstand vorliege, sei im Rahmen der summarischen Prüfung nicht abschließend zu beurteilen. Der Einschätzung der Polizeidirektion lasse sich entnehmen, dass aufgrund des Versammlungsgeschehens im Vorjahr mit gewalttätigen Auseinandersetzungen einer Anzahl von 10 bis 20 % der Teilnehmer sowohl auf Seiten der Beschwerdeführer wie auf Seiten linker Demonstranten gerechnet werde. Zwar erschließe sich dem Gericht nicht, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb kurzer Zeit so erhöht haben solle, dass statt der zwei Aufzüge, die die Polizeidirektion ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten habe, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Wegen der fehlenden Überprüfungsmöglichkeit sei aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Danach sei die Beschwerde zurückzuweisen, weil für den Antragsteller die mit der Durchführung einer nur stationären Kundgebung verbundenen Beeinträchtigungen hinnehmbar seien.

7

5. Die Beschwerdeführer beantragten sodann beim Bundesverfassungsgericht zunächst den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Diesen Antrag hat die Kammer aufgrund der besonderen Voraussetzungen der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch das Bundesverfassungsgericht abgelehnt, dabei jedoch zugleich auf die Möglichkeit der Klärung der aufgeworfenen Fragen in einem verfassungsgerichtlichen Hauptsachverfahren hingewiesen (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris).

8

6. Hieraufhin erhoben die Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts fristgemäß Verfassungsbeschwerde mit der Rüge, durch die angegriffenen Entscheidungen in ihren Rechten aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzt zu sein.

9

7. Das Bundesverfassungsgericht hat der Stadt L. als Gegnerin des Ausgangsverfahrens, dem Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Europa sowie der Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

10

Nach Auffassung des Rechtsamtes der Stadt L. liegen die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht vor. Das Sächsische Staatsministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts hat eine Stellungnahme des unter anderem für das Versammlungsrecht zuständigen 6. Revisionssenats übersandt, in der dieser Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen äußert.

II.

11

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung von Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. insbesondere BVerfGE 69, 315 <340 ff.>; 110, 77 <83 ff.>). Nach diesen Maßstäben ist die Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts zulässig und begründet.

12

1. Der Zulässigkeit der Rüge der Verletzung des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG steht weder der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde noch das Erfordernis eines Rechtsschutzinteresses entgegen.

13

a) Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verlangt die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache nur, soweit die geltend gemachte Verletzung von Freiheitsrechten oder von Art. 19 Abs. 4 GG durch die Entscheidung der Gerichte in der Hauptsache noch ausgeräumt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Hier rügen die Beschwerdeführer allerdings gerade die Missachtung der Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG bei der Zurückweisung ihres Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz, die im Hauptsacheverfahren nicht mehr behandelt werden würde.

14

b) Auch ein Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführer besteht, obwohl der Demonstrationstermin verstrichen und damit der Sofortvollzug der strittigen Auflagen gegenstandslos geworden ist. Sind verfassungsrechtliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht (mehr) zu klären, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis auch nach Erledigung des ursprünglichen Begehrens im Falle einer Wiederholungsgefahr, also wenn ein Gericht die bereits herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht beachtet hat und bei hinreichend bestimmter Gefahr einer gleichartigen Entscheidung bei gleichartiger Sach- und Rechtslage zu befürchten ist, dass es diese auch in Zukunft verkennt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Hier führten die Beschwerdeführer bereits konflikthafte Versammlungen in L. durch und planen auch in Zukunft die Durchführung von Versammlungen in L., bei denen sie mit ähnlichen Konfliktsituationen rechnen und gegebenenfalls gleichartige Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts befürchten müssten.

15

2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG.

16

a) Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (vgl. BVerfGE 104, 92 <104>; 128, 226 <250>). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfGE 69, 315 <344 f.>; 128, 226 <250>) und wird im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Gegnern der Freiheit gewährt (vgl. BVerfGE 124, 300 <320>). Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (vgl. BVerfGE 69, 315 <343> oder <355 ff.>; 128, 226 <250 f.>).

17

Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen gemäß Art. 8 Abs. 2 GG zu ihrer Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfGE 69, 315 <350 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Nach § 15 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) vom 24. Juli 1953 in der Fassung vom 8. Dezember 2008 (BGBl I S. 2366; im Folgenden: VersG) kann die zuständige Behörde die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Danach kann im Einzelfall auch die Festlegung geboten sein, dass eine ursprünglich als Aufzug angemeldete Versammlung nur als ortsfeste Versammlung durchgeführt werden darf (vgl. BVerfGK 2, 1 <8>). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde allerdings auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (BVerfGE 69, 315 <353 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Ferner gilt, dass, soweit sich der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter - insbesondere von Gegendemonstrationen - zu befürchten sind, die Durchführung der Versammlung zu schützen ist und behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten sind (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 8, 79 <81>; BVerfG , Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00, NVwZ 2000, S. 1406 <1407>). Gegen die friedliche Versammlung selbst kann dann nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 17, 303 <308>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht (vgl. BVerfGK 8, 79 <82>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, S. 2069 <2072>). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfGK 17, 303 <308>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, S. 141 <142>).

18

b) Art. 19 Abs. 4 GG garantiert einen effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; 96, 27 <39>). Im Verfahren auf Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs, das für den Regelfall sicherstellt, dass die Verwaltungsbehörden keine irreparablen Maßnahmen durchführen, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit geprüft haben, ist der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 69, 315 <363>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Insbesondere im Bereich des Versammlungsrechts muss das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren angesichts der Zeitgebundenheit von Versammlungen zum Teil Schutzfunktionen übernehmen, die sonst das Hauptsacheverfahren erfüllt (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 23. März 2004 - 1 BvR 745/01 -, juris, Rn. 13). Die einstweilige Anordnung im verfassungsgerichtlichen Verfahren als außerhalb der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG liegender Rechtsbehelf kann die primäre Rechtsschutzfunktion der Fachgerichte ebenfalls nicht übernehmen. Angesichts der Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts und im Hinblick auf die weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung auslösen kann, ist hierbei zudem ein strenger, von den verwaltungsgerichtlichen Kriterien grundsätzlich unterschiedener Maßstab anzulegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris, Rn. 4). Daher müssen die Verwaltungsgerichte zum Schutz von Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung die Rechtmäßigkeit der Maßnahme in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Sofern dies nicht möglich ist, haben die Fachgerichte jedenfalls eine sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese hinreichend substantiiert zu begründen, da ansonsten eine Umgehung der beschriebenen strengen Voraussetzungen für Beschränkungen der Versammlungsfreiheit möglich erschiene.

19

3. Diese Maßstäbe haben das Verwaltungsgericht Leipzig und das Sächsische Oberverwaltungsgericht bei den ihnen obliegenden Entscheidungen über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht hinreichend berücksichtigt. Beide Entscheidungen werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG im Hinblick auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen versammlungsbeschränkende behördliche Maßnahmen nicht gerecht.

20

a) Die vom Verwaltungsgericht Leipzig herangezogenen Umstände sind nicht geeignet, die Annahme einer von der Versammlung selbst ausgehenden unmittelbaren Gefährdung für die öffentliche Sicherheit zu tragen, die die Verhinderung der Versammlung in Form eines Aufzugs hätte rechtfertigen können. Das Verwaltungsgericht legt insofern bereits nicht hinreichend deutlich dar, ob seiner Auffassung nach auch von der Versammlung selbst eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht oder diese Gefahr ausschließlich aufgrund der zahlreichen Gegendemonstrationen und den hieraus zu erwartenden Störungen der Versammlung besteht. Dass das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung zur Begründung seines Standpunktes im Wesentlichen lediglich auf die Einschätzung der Polizeidirektion L., die ohne nähere Erläuterung 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration dem gewaltbereiten Klientel zurechnete, verweist, genügt den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG insofern jedenfalls nicht.

21

Auch im Hinblick auf eine Inanspruchnahme der Veranstalter als Nichtstörer im Wege des polizeilichen Notstandes genügen die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Das Verwaltungsgericht weist insofern zur Begründung des Vorliegens einer nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer abwendbaren Gefahr, insbesondere auf die besondere Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 und die deswegen nur begrenzt zur Verfügung stehenden Polizeikräfte, hin und beruft sich dabei pauschal auf die Einschätzung der Polizeidirektion L. vom 13. Oktober 2010. Berücksichtigt man aber den Umstand, dass die Polizeidirektion in ihrer Gefährdungsanalyse vom 4. Oktober 2010 offenbar noch zwei der angemeldeten Aufzüge mit den ihr voraussichtlich zur Verfügung stehenden Kräften für sicherbar hielt, erfüllt diese pauschale Bezugnahme auf die Einschätzung der Polizeidirektion vom 13. Oktober 2010 nicht die den Anforderungen an die entsprechend obigen Maßstäben bereits im Eilverfahren gebotene intensivere Rechtmäßigkeitsprüfung. Vielmehr hätte die kurzfristige Änderung der polizeilichen Einschätzung, die sich nicht ohne weiteres erschließt, das Verwaltungsgericht zu einer substantiierteren Prüfung der veränderten polizeilichen Einschätzung und zur Nachfrage einer genaueren Begründung ihrer Entscheidung veranlassen müssen. Dass dies vorliegend aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen wäre, ist nicht erkennbar. Auch im Übrigen hätte es dezidierterer Feststellungen bedurft, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit und aufgrund welcher konkreter, vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte mehr zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestanden hätten. Die behauptete Bindung von Polizeikräften durch die zeitgleich stattfindenden Gegendemonstrationen kann nach obigen Maßstäben jedenfalls nicht ohne weiteres als hinreichendes Argument dafür herangezogen werden. Auch die Bindung von Polizeikräften aufgrund eines parallel stattfindenden Fußballspiels und sonstiger Veranstaltungen, deren vorrangige Schutzwürdigkeit sich nicht ohne weiteres erschließt, reicht hierfür nicht aus.

22

b) Die angegriffene Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts hält den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG ebenfalls nicht stand. Zwar hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht deutliche Bedenken am Vorliegen der Voraussetzungen eines für die Rechtfertigung der versammlungsrechtlichen Auflage erforderlichen polizeilichen Notstandes geäußert und nachvollziehbar dargelegt, dass sich ihm nicht erschließe, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb des kurzen Zeitraumes zwischen der Gefährdungsanalyse der Polizeidirektion L. vom 4. Oktober 2010 und dem Erlass der Auflage am 13. Oktober 2010 so erhöht haben soll, dass statt der zwei Aufzüge, die ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten wurden, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Auch erscheint es nachvollziehbar, dass dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in der Kürze der ihm zur Verfügung stehenden Zeit die Vornahme der hier grundsätzlich gebotenen und soweit als möglich nicht lediglich summarischen Rechtmäßigkeitskontrolle der behördlichen Auflage nicht mehr möglich war. Allerdings hätte es dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in dieser Konstellation, um der Freiheitsvermutung zugunsten der Versammlungsfreiheit zumindest in der Sache Rechnung zu tragen, oblegen, eine besonders sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese in der Begründung seiner Entscheidung hinreichend offenzulegen. Vorliegend hat sich das Sächsische Oberverwaltungsgericht in der Begründung seiner Entscheidung jedoch im Wesentlichen darauf beschränkt, auf die vermeintlich geringe Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit hinzuweisen, ohne auch nur ansatzweise ausreichend auf das Bestehen einer die Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit überwiegenden potentiellen Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter einzugehen.

23

4. Demgemäß ist festzustellen, dass sowohl der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig als auch der angegriffene Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzen. Einer Aufhebung der Entscheidungen und Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung bedarf es darüberhinausgehend nur bezüglich der Kostenentscheidungen, da in der Sache selbst Erledigung eingetreten ist (vgl. Schemmer, in: Umbach/Clemens/Dollinger, 2. Aufl. 2005, BVerfGG, § 93c Rn. 33).

24

5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 16. April 2003 - 11 K 671/02 -, soweit darin die Klage des Beschwerdeführers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Auflage Nr. 4 in dem Auflagenbescheid des Polizeipräsidiums Bielefeld vom 1. März 2002 - VL 12.5-231-W-02/01 - abgewiesen wird, und der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Oktober 2004 - 5 A 2764/03 -, soweit darin der Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung zurückgewiesen wird, verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Die Entscheidungen werden in dem vorgenannten Umfang aufgehoben. Die Sache wird zur Entscheidung an das Verwaltungsgericht Minden zurückverwiesen.

...

Gründe

1

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer als Veranstalter einer Versammlung gegen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, die eine versammlungsrechtliche Auflage gemäß § 15 Abs. 1 VersG zum Gegenstand haben, aufgrund derer die Teilnehmer der Versammlung vor Beginn der Veranstaltung polizeilich durchsucht werden.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer meldete aus Anlass der vom 27. Januar bis zum 17. März 2002 in Bielefeld gezeigten Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 - 1944" (im Folgenden: Wehrmachtsausstellung) für den 2. März 2002 in Bielefeld eine Versammlung unter freiem Himmel mit dem Motto "Die Soldaten der Wehrmacht waren Helden, keine Verbrecher" an. Mit sofort vollziehbarer Verbotsverfügung vom 18. Februar 2002 verbot das Polizeipräsidium Bielefeld die Versammlung. Die hiergegen vom Beschwerdeführer angestrengten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor den Verwaltungsgerichten blieben erfolglos (vgl. VG Minden, Beschluss vom 27. Februar 2002 - 11 L 185/02 -, juris; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. März 2002 - 5 B 388/02 -, juris).

3

2. Mit Beschluss vom 1. März 2002 stellte die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts im Wege der einstweiligen Anordnung die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Beschwerdeführers gegen die Verbotsverfügung wieder her (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. März 2002 - 1 BvQ 5/02 -, NVwZ 2002, S. 982).

4

3. Mit Bescheid vom 1. März 2002 ordnete das Polizeipräsidium Bielefeld daraufhin für die Durchführung der Versammlung eine Reihe von Auflagen an, darunter auch die Auflage Nr. 4:

5

"Die Teilnehmer der Versammlung werden vor Beginn der Veranstaltung polizeilich durchsucht".

6

4. Im Laufe des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht legte der Beschwerdeführer eidesstattliche Versicherungen von zwei Teilnehmern der einen Monat zuvor am 2. Februar 2002 durchgeführten, ebenfalls gegen die Wehrmachtsausstellung gerichteten Versammlung der NPD vor (im Folgenden: Anti-Wehrmachtsausstellungs-Versammlung am 2. Februar 2002). Darin schilderten die zwei Teilnehmer, dass ihnen auf der Versammlung die Aufgabe zugefallen sei, den Lautsprecherwagen gegen eventuelle Übergriffe gewaltsamer Gegendemonstranten zu sichern, insbesondere zu verhindern, dass eventuell Steinwürfe oder sonstige Wurfgeschosse die Fenster beschädigten. Des Weiteren legte der Beschwerdeführer die eidesstattliche Versicherung eines Teilnehmers einer Versammlung am 1. September 2001 in Leipzig vor. Darin schilderte dieser, dass die Versammlung von linken Demonstranten mit Steinen, Flaschen und anderen Gegenständen beworfen worden sei. Nur den Ordnern der Versammlung sei es zu verdanken gewesen, dass die Teilnehmer der Versammlung von einer berechtigten Notwehrreaktion hätten zurückgehalten werden können. Einmal sei eine Polizeikette gegen die Teilnehmer vorgegangen, als sie sich hätten verteidigen wollen.

7

5. Mit angegriffenem Urteil vom 16. April 2003 wies das Verwaltungsgericht - unter anderem - die Klage des Beschwerdeführers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Auflage Nr. 4 im Auflagenbescheid vom 1. März 2002 ab. Für seine Gefahrenprognose gemäß § 15 Abs. 1 VersG stützte sich das Verwaltungsgericht auf den Umstand, dass die zwei Teilnehmer der Anti-Wehrmachtsausstellungs-Versammlung am 2. Februar 2002 Steinwürfe oder sonstige Wurfgeschosse befürchtet hätten. Außerdem bezog das Verwaltungsgericht den Umstand mit ein, dass es laut der eidesstattlichen Versicherung des Teilnehmers der Versammlung am 1. September 2001 in Leipzig tatsächlich zu Gewalttätigkeiten durch Gegendemonstranten gekommen sei. Ebenso wie die beiden Teilnehmer der Anti-Wehrmachtsausstellungs-Versammlung am 2. Februar 2002 die Bereitschaft zu gewalttätigem (Angriffs- oder Abwehr-)Verhalten aus den Reihen der Gegenversammlung für möglich gehalten hätten, habe das Polizeipräsidium Bielefeld Vergleichbares bei der geplanten Versammlung vier Wochen später befürchten müssen, und zwar bei den Teilnehmern der vom Beschwerdeführer angemeldeten Versammlung genauso wie bei den Gegendemonstranten, zumal zu beiden Versammlungen am 2. März 2002 jeweils zahlreiche, in der Menge schwer zu kontrollierende Teilnehmer erwartet worden seien (der Beschwerdeführer sei bei der Anmeldung seiner Versammlung von 1.000 bis 2.000 Teilnehmern ausgegangen). Unter diesen Umständen hätten objektive Anhaltspunkte für das Auffinden sicherstellbarer Gegenstände bestanden, welche das Polizeipräsidium Bielefeld dazu berechtigt hätten, pauschal im Wege einer Auflage die polizeiliche Durchsuchung aller Versammlungsteilnehmer vor dem Veranstaltungsbeginn anzuordnen. Eines konkreten Verdachts gegen bestimmte Versammlungsteilnehmer, insbesondere gegen den Beschwerdeführer, habe es insoweit nicht bedurft.

8

6. Mit angegriffenem Beschluss vom 25. Oktober 2004 wies das Oberverwaltungsgericht - unter anderem - den auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützten Antrag auf Zulassung der Berufung bezüglich der Auflage Nr. 4 zurück. Zur Begründung verwies das Oberverwaltungsgericht entsprechend § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die Ausführungen in dem angegriffenen Urteil. Im Übrigen sei die Auflage Nr. 4 verhältnismäßig, weil sie dazu beitrage, die nach dem Versammlungsgesetz gebotene Gewaltlosigkeit der Versammlung und damit letztlich die Versammlung selbst zu sichern.

9

7. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung seines Grundrechts der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.

10

8. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Polizeipräsidium Bielefeld als Beklagter des Ausgangsverfahrens und der für das Versammlungsrecht zuständige Sechste Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts Stellung genommen. Das Polizeipräsidium hält die Auflage für durch eine hinreichende Gefahrenprognose gerechtfertigt. Demgegenüber hat das Bundesverwaltungsgericht Zweifel, ob die angegriffenen Entscheidungen in jeder Hinsicht mit der Versammlungsfreiheit übereinstimmen. Der Landtag Nordrhein-Westfalen hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

II.

11

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist.

12

1. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen Fragen zur Reichweite der Gewährleistung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG bereits entschieden und dabei auch die zu berücksichtigenden Grundsätze entwickelt. Dies gilt insbesondere für die Bedeutung der Versammlungsfreiheit bei der Gefahrenprognose im Rahmen von Entscheidungen der Behörden und Gerichte anhand von § 15 Abs. 1 VersG (vgl. BVerfGE 69, 315 <349, 352 ff.>; speziell zu versammlungsrechtlichen Auflagen: Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, S. 671 <672>; vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>), namentlich in der Konstellation von Störungen der öffentlichen Sicherheit durch Gegendemonstranten (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. März 2001 - 1 BvQ 15/01 -, NJW 2001, S. 1411 <1412>) und von polizeilichen Kontrollen im Vorfeld von Versammlungen (vgl. BVerfGE 69, 315 <349>; 84, 203 <209>).

13

2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.

14

a) Der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG ist eröffnet, da die Auflage, dass die Teilnehmer der Versammlung vor Beginn der Veranstaltung polizeilich durchsucht werden, den freien Zugang zu einer bevorstehenden Versammlung betrifft. Der gesamte Vorgang des Sich-Versammelns unterfällt dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 84, 203 <209>).

15

b) Die Auflage bedeutet auch einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit. Ein Eingriff ist nicht nur dann gegeben, wenn eine Versammlung verboten oder aufgelöst wird, sondern auch, wenn die Art und Weise ihrer Durchführung durch staatliche Maßnahmen beschränkt wird (vgl. BVerfGE 69, 315 <349>). Die Auflage, dass die Teilnehmer einer Versammlung vor Beginn der Veranstaltung polizeilich durchsucht werden, behindert den freien Zugang zu der Versammlung. Eine polizeiliche Durchsuchung ist - zumal wenn sie pauschal jeden Versammlungsteilnehmer erfasst - geeignet, einschüchternde, diskriminierende Wirkung zu entfalten, die Teilnehmer in den Augen der Öffentlichkeit als möglicherweise gefährlich erscheinen zu lassen und damit potentielle Versammlungsteilnehmer von einer Teilnahme abzuhalten.

16

c) Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen gemäß Art. 8 Abs. 2 GG zu ihrer Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage. Im vorliegenden Fall wurde die Auflage auf § 15 Abs. 1 VersG gestützt.

17

aa) Diese Norm sieht mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit Einschränkungen gegenüber Versammlungen nur für den Fall vor, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (vgl. Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>; vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, S. 671 <672>; vom 7. November 2008 - 1 BvQ 43/08 -, juris Rn. 17). Für die Gefahrenprognose können Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplante Versammlung aufweisen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, S. 141).

18

Wenn sich der Veranstalter und sein Anhang allerdings friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit, insbesondere Gewalttaten, lediglich von Gegendemonstrationen ausgehen, müssen sich behördliche Maßnahmen primär gegen die störenden Gegendemonstrationen richten. Es ist Aufgabe der zum Schutz der rechtsstaatlichen Ordnung berufenen Polizei, in unparteiischer Weise auf die Verwirklichung des Versammlungsrechts hinzuwirken. Gegen die friedliche Versammlung, die den Anlass für die Gegendemonstration bildet, darf nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00 -, NVwZ 2000, S. 1406 <1407>).

19

Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt bei der Behörde (vgl.  BVerfG , Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. Mai 2001 - 1 BvQ 21/01 -, NJW 2001, S. 2078 <2079>; vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, S. 141 <142>).

20

Zwar sind die Feststellung der Tatsachen, auf die sich die Gefahrenprognose gründet, sowie die Würdigung dieser Tatsachen grundsätzlich Sache der Fachgerichte und entziehen sich einer Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hat allerdings zu überprüfen, ob bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts der Einfluss der Versammlungsfreiheit hinreichend beachtet worden ist. Eine solche Prüfung verlangt eine intensivierte Kontrolle, ob die von den Fachgerichten getroffenen tatsächlichen Feststellungen die daraus gezogenen Schlussfolgerungen zu tragen vermögen (vgl. BVerfGE 84, 203 <210>).

21

bb) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen für die Gefahrenprognose im Rahmen von § 15 Abs. 1 VersG wird die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht gerecht.

22

(1) Die von dem Verwaltungsgericht herangezogenen Umstände sind nicht geeignet, eine von der Versammlung selbst ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit nahezulegen, die den Erlass einer gegenüber der Versammlung belastenden Auflage hätte rechtfertigen können.

23

Zwar durfte das Verwaltungsgericht grundsätzlich den Verlauf der Anti-Wehrmachtsausstellungs-Versammlung am 2. Februar 2002 als Indiz heranziehen, da sie wegen der Zielrichtung, hier der Propagierung einer bestimmten Interpretation der jüngeren deutschen Geschichte, des Ortes und der zeitlichen Nähe Ähnlichkeiten zu der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung aufwies. Die zwei Teilnehmer dieser Versammlung haben in ihren von dem Verwaltungsgericht angeführten eidesstattlichen Versicherungen indes lediglich organisatorische Vorsichtsmaßnahmen auf Veranstalterseite gegen eventuelle Übergriffe gewaltbereiter linker Gegendemonstranten beschrieben. Diese Aussagen privater Personen zu ihrerseits lediglich verdachtsgeleiteten Handlungen stellen keine nachvollziehbaren tatsächlichen Anhaltspunkte dar, wie sie für eine Gefahrenprognose im Rahmen des § 15 Abs. 1 VersG erforderlich sind. Vor allem lässt sich dieser Aussage nicht ansatzweise entnehmen, dass sich die Teilnehmer der Versammlung bei dieser Gelegenheit nicht rechtstreu verhalten haben.

24

Dagegen hat das Verwaltungsgericht keine tatsächlichen Feststellungen zu der Frage getroffen, ob und inwieweit die Versammlung am 1. September 2001 in Leipzig Ähnlichkeiten zu der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung aufwies und daher im Rahmen der Gefahrenprognose als Indiz herangezogen werden durfte. Außerdem hat der Teilnehmer der Versammlung in seiner von dem Verwaltungsgericht angeführten eidesstattlichen Versicherung lediglich Übergriffe gewalttätiger linker Gegendemonstranten beschrieben. Nach seiner Darstellung haben hauptsächlich die Ordner, in einem Fall die Einsatzkräfte der Polizei, die solchermaßen provozierten Teilnehmer der Versammlung erfolgreich im Zaum gehalten. Anhaltspunkte dafür, dass die Teilnehmer der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung aus eigenem Antrieb die gewalttätige Auseinandersetzung mit den linken Gegendemonstranten gesucht hätten, ergeben sich aus dieser Aussage nicht.

25

Auch soweit das Verwaltungsgericht bei seiner Gefahrenprognose auf die Größe des zu erwartenden Teilnehmerkreises der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung abgestellt hat, trägt dieser Umstand die Auflage nicht. Denn allein aus der Größe einer Versammlung kann nicht auf die Gewaltbereitschaft der Teilnehmer geschlossen werden.

26

Insgesamt scheint die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts allein auf der - nicht ausgesprochenen - Vermutung zu gründen, die Teilnehmer der vom Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung könnten durch frühere Störungen von gewalttätigen linken Gegendemonstranten gereizt nunmehr zum Präventivschlag ausholen. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen ohne hinreichende konkrete Tatsachengrundlage reichen jedoch, wie dargelegt, für die Gefahrenprognose im Rahmen des § 15 Abs. 1 VersG nicht aus. Der Umstand, dass bei der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung Störungen der öffentlichen Sicherheit durch gewaltbereite linke Gegendemonstranten zu befürchten waren, hätte den zuständigen Behörden Anlass sein müssen, zuvörderst gegen die angekündigten Gegendemonstrationen Maßnahmen zu ergreifen. Das durch gewaltbereite Gegendemonstranten drohende Gefahrenpotential ist der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung nicht zurechenbar.

27

(2) Als Nichtstörerin hätte die vom Beschwerdeführer veranstaltete Versammlung daher nur im Wege des polizeilichen Notstandes in Anspruch genommen werden können.

28

Im Hinblick auf die besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes sind der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts indessen weder die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen noch Ansätze für deren notwendige rechtliche Würdigung zu entnehmen. Zwar dürfen die diesbezüglichen Anforderungen an Durchsuchungen, die letztlich nur der Ermöglichung einer friedlichen Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit dienen, in Situationen, die insgesamt durch drohende Gewalt geprägt sind, nicht zu hoch angesetzt werden. Jedoch bedarf es insoweit zumindest der Darlegung, dass ein Schutz vor Gefahren für die öffentliche Sicherheit primär durch Maßnahmen gegenüber den Störern ins Werk gesetzt wird und dass er auf diese Weise aber nur unzureichend gewährleistet werden kann. Hieran fehlt es indes. So fehlen insbesondere Ausführungen dazu, dass und inwieweit gegen die angekündigten Gegendemonstrationen gerichtete, behördliche Maßnahmen nicht ausgereicht haben, der gewaltbereiten Gegendemonstranten Herr zu werden und so der Gefahr einer etwaigen gewalttätigen Eskalation zu begegnen. Feststellungen hierzu hat das Verwaltungsgericht nicht getroffen. Unter dem Gesichtspunkt der Eskalation fehlt es weiterhin an konkreten und nachvollziehbaren tatsächlichen Anhaltspunkten für die Annahme, dass die Teilnehmer der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung überhaupt unter Rückgriff auf mitgebrachte Gegenstände zur Schutz- und Trutzwehr übergehen würden.

29

cc) Der angegriffene Beschluss des Oberverwaltungsgerichts teilt den festgestellten Mangel des verwaltungsgerichtlichen Urteils. Das Oberverwaltungsgericht hat sich die Gründe des Verwaltungsgerichts ausdrücklich gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO zu Eigen gemacht. Der über diese Bezugnahme hinausgehende pauschale Verweis auf die behauptete Verhältnismäßigkeit der Auflage erweist sich angesichts der aufgezeigten verfassungsrechtlichen Defizite hinsichtlich der erforderlichen tatsächlichen Feststellungen und der notwendigen rechtlichen Würdigung als nicht tragfähig.

30

dd) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf dem aufgezeigten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei der erforderlichen erneuten Befassung und unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Anforderungen aus Art. 8 Abs. 1 GG zu einem anderen Ergebnis kommen. Hierbei werden die Gerichte - neben den bereits angesprochenen Gesichtspunkten - zu prüfen haben, ob und gegebenenfalls welche Gegenstände die polizeiliche Durchsuchung der Teilnehmer bei der Anti-Wehrmachtsausstellungs-Versammlung am 2. Februar 2002 zutage gefördert wurden, die laut der Stellungnahme des Polizeipräsidiums Bielefeld in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren bereits gegenüber dieser Versammlung angeordnet worden war.

31

3. Da die Verfassungsbeschwerde bereits wegen des Verstoßes gegen Art. 8 Abs. 1 GG Erfolg hat, bedarf es keiner Prüfung, ob daneben weitere Grundrechte verletzt sind.

32

4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Tenor

Unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 5. Oktober 2017 wird dem Kläger für seine Klage bezüglich Nr. 1.12 des Bescheids der Beklagten vom 17. April 2015 Prozesskostenhilfe bewilligt und sein Rechtsanwalt F … M …, …, beigeordnet.

Gründe

I.

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Fortsetzungsfeststellungsklage bezüglich einer versammlungsrechtlichen Beschränkung im Bescheid der Beklagten vom 17. April 2015 weiter.

Dieser Bescheid enthielt u.a. die Beschränkung Nr. 1.12: „In Versammlungsreden und Sprechchören sowie auf Transparenten haben alle Aussagen zu unterbleiben, die das NS-Regime, sowie Organisationen bzw. Untergruppierungen und deren (auch selbsternannten) Folgeorganisationen sowie verbotene Parteien und Vereine einschließlich deren Nachfolge- und Ersatzorganisationen sowie unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlungen billigen, rechtfertigen oder verharmlosen. Gleiches gilt für etwa zu verbreitende Druckwerke und musikalische Darbietungen“. Die vom Kläger am 11. Mai 2015 erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage richtet sich u.a. gegen die Beschränkung.

Mit Beschluss vom 5. Oktober 2017 lehnte das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Zu der im Beschwerdeverfahren ausschließlich streitgegenständlichen Beschränkung Nr. 1.12 führte es aus, dass diese Beschränkung im Zusammenhang mit der Begründung des Bescheids gelesen werden müsse. Daraus werde deutlich, dass gerade solche Aussagen unterbleiben müssten, die den Tatbestand des § 130 StGB und Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG erfüllten. Folglich seien die Handlungen des NS-Regimes gemeint, die die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft prägten. Eine solche Beschränkung sei geeignet, erforderlich und angemessen.

Der Kläger legte mit Schreiben vom 25. Oktober 2017 Beschwerde gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 5. Oktober 2017 ein und beantragte,

ihm unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 5. Oktober 2017 Prozesskostenhilfe für die Verfolgung seiner gegen die Beschränkung Nr. 1.12 gerichteten Klage unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.

Die Klage habe insoweit hinreichende Aussicht auf Erfolg. Das Gericht verkenne, dass die Beschränkung Nr. 1.12 absolut formuliert und nicht etwa auf die Tatbestände des § 130 StGB und Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG beschränkt worden sei. Auch in der Begründung des Bescheides werde nicht zum Ausdruck gebracht, dass nicht strafbare Aussagen über Handlungen während der Herrschaft des Nationalsozialismus nicht unter die beschränkende Auflage fielen. Unklarheiten und Unbestimmtheiten gingen zulasten der Behörde.

Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

Es verstehe sich selbstredend, dass in der Beschränkung solche Handlungen angesprochen seien, die die nationalsozialistische Willkürherrschaft prägten. Im Zusammenhang mit der angezeigten Versammlung sei die Gefahr gesehen worden, dass durch die Versammlung die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft gebilligt, verherrlicht, gerechtfertigt oder verharmlost werde. Die Beschränkung sei erforderlich und gerechtfertigt, um strafrechtlichen Verstößen gegen § 130 StGB vorzubeugen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Dem Kläger ist in Abänderung des angegriffenen Beschlusses nach § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO Prozesskostenhilfe für seine Fortsetzungsfeststellungsklage bezüglich der Beschränkung Nr. 1.12 des Bescheides der Beklagten vom 17. April 2015 zu bewilligen.

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor, weil der Kläger nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Nach seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 27. April 2015 ist der Kläger nicht in der Lage, die Kosten für die Prozessführung aufzubringen. Diese Erklärung entspricht auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats seinen aktuellen wirtschaftlichen Verhältnissen. Der Kläger hat mit Schreiben vom 14. Juni 2017 beim Verwaltungsgericht Ansbach eine Entscheidung über die seit 11. Mai 2015 anhängige Fortsetzungsfeststellungsklage angemahnt und um Verbescheidung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gebeten.

Auch bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig. Im für die Beurteilung der Erfolgsaussichten maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungs- und Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (stRspr; vgl. BayVGH, B.v. 20.12.2016 – 1 C 16.312 – juris Rn. 7 m.w.N.) bot der Antrag des Klägers, festzustellen, dass die Beschränkung Nr. 1.12 des Bescheides vom 17. April 2015 rechtswidrig war, hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Rechtsgrundlage für diese versammlungsrechtliche Beschränkung ist Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung insbesondere dann beschränken, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen durch die Versammlung die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft gebilligt, verherrlicht, gerechtfertigt oder verharmlost wird, auch durch das Gedenken an führende Repräsentanten des Nationalsozialismus, und dadurch die unmittelbare Gefahr einer Beeinträchtigung der Würde der Opfer besteht.

Unabhängig von dem in der Ausgangsentscheidung diskutierten Problem der hinreichenden Bestimmtheit der Beschränkung Nr. 1.12 hat nach summarischer Überprüfung der Rechtslage im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags die Fortsetzungsfeststellungsklage bereits deshalb Erfolg, weil durch die Beklagte weder hinreichende Anhaltspunkte dafür dargelegt wurden, dass bei der Versammlung am 18. April 2015 die unmittelbare Gefahr der Begehung von Straftaten nach § 130 Abs. 4 StGB bestand, noch aus den Verfahrensakten entsprechende konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind.

Weder aus den Behördenakten noch aus der Begründung des Bescheides ergeben sich Umstände oder Tatsachen, die die Annahme einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG rechtfertigen würden.

Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG dürfen bei der auch im Rahmen des Art. 15 Abs. 2 BayVersG anzustellenden Gefahrenprognose beim Erlass von Beschränkungen keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (BayVGH, B.v. 9.11.2015 – 10 CS 15.2437 – juris Rn. 5). Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen hierzu nicht aus (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17; B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17 jeweils m.w.N.). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für eine Beschränkung liegt dabei bei der Behörde (BayVGH, B.v. 24.2.2015 – 10 CS 15.431 – juris Rn. 18). Dementsprechend können auch Beschränkungen, die darauf abzielen, Straftaten zu verhindern, nur verfügt werden, wenn konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei der fraglichen Versammlung die unmittelbare Gefahr besteht, dass solche Straftaten begangen werden (vgl. BayVGH, B.v. 28.6.2013 – 10 CS 13.1356 – juris Rn. 4; B.v. 12.4.2013 – 10 CS 13.787 – juris Rn. 4).

Die polizeiliche Einschätzung der Polizeiinspektion F. für die für den 18. April 2015 angezeigte Versammlung beschäftigt sich ausschließlich mit einer Gefahrenprognose im Falle des Aufeinandertreffens der Teilnehmer der Versammlung des Klägers und der Gegenveranstaltung. Anhaltspunkte dafür, dass es bei der Versammlung des Klägers zu Straftaten nach § 130 Abs. 4 StGB kommen könnte, ergeben sich daraus nicht. Auch in der Begründung des Bescheids vom 17. April 2015 finden sich diesbezüglich keine weiteren Ausführungen. Soweit die Beklagte in der Beschwerdeerwiderung vom 29. November 2017 vorträgt, dass „diese Gefahr auch in Zusammenhang mit der angezeigten Versammlung gesehen wurde“, erläutert oder begründet sie dies nicht näher.

Auch Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen können als Indizien für eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit herangezogen werden. Dies gilt aber nur, soweit die früheren Versammlungen bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17 m.w.N.). Aber auch insoweit finden sich in den vorgelegten Behördenakten keine Anhaltspunkte dafür, dass es bei früheren Veranstaltungen des Klägers zu Verstößen gegen § 130 Abs. 4 StGB gekommen ist. Auch das Motto der angezeigten Kundgebung „Arbeit – Zukunft – Heimat! Kapitalismus zerschlagen!“ steht jedenfalls in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit den in Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG geschützten Rechtsgütern (vgl. BayVGH B.v. 9.11.2015 – 10 CS 15.2437 – juris Rn. 5). Eine rein vorsorgliche versammlungsrechtliche Beschränkung findet jedoch in Art. 15 Abs. 2 BayVersG keine Rechtsgrundlage.

Die Beiordnung des Prozessbevollmächtigten des Klägers folgt aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Gerichtskosten können im Prozesskostenhilfeverfahren nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) nur erhoben werden, soweit eine Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen oder verworfen wird, was hier nicht der Fall ist. Eine Kostenerstattung ist nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO ausgeschlossen.

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Tenor

1. Der Beschluss des Landgerichts Stralsund vom 20. Januar 2014 - 1 T 8/14 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Stralsund zurückverwiesen.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

3. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die gerichtliche Kontrolle einer präventiven Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin aufgrund von § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG während eines Castor-Transports.

I.

2

1. Nach eigenen Angaben war die Beschwerdeführerin französische Meisterin im Sportklettern und nutzt ihre Fähigkeiten, um mit Kletteraktionen ihren Protest gegen Atomkraft zum Ausdruck zu bringen.

3

Am 16. Dezember 2010 gegen 8:30 Uhr, während eines Castor-Transports in das Zwischenlager Lubmin, begab sich die Beschwerdeführerin in einer Achter-Gruppe an den für den Transport vorgesehenen Gleisabschnitt Greifswald-Lubmin und bestieg - wie drei weitere Personen - mit Seilen gesichert einen in Nähe der Gleise befindlichen Baum. Dass auch die übrigen Angehörigen der Gruppe auf nahegelegene Bäume kletterten, konnte von der Polizei verhindert werden. Um 10:30 Uhr traf eine Spezialeinheit der Polizei ein, um die Beschwerdeführerin zu bergen. Die "Kletteraktivisten" hatten zu diesem Zeitpunkt ein Transparent entrollt und sangen "Anti-Atomkraft-Lieder". Als die Beschwerdeführerin auch nach Auflösung der Versammlung nicht vom Baum kletterte, wurde sie gegen 12:00 Uhr von der Spezialeinheit wieder auf den Boden geholt und in Gewahrsam genommen. Ihre Kletterausrüstung wurde sichergestellt. Gegen 14:00 Uhr traf sie in der Gefangenensammelstelle in Wolgast ein. Die Sammelstelle war in einer Lagerhalle eingerichtet worden, die mit Hilfe von hohen Gittern in einzelne Zellen unterteilt worden war. Gegen 20:00 Uhr kletterte die Beschwerdeführerin, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, an den Verstrebungen der Halle nach oben. Nachdem sie gegen 20:35 Uhr in ihre Zelle zurückgekehrt war, wurde sie gegen 20:50 Uhr entlassen. Eine richterliche Entscheidung wurde nicht eingeholt.

4

2. a) Die Beschwerdeführerin beantragte beim Amtsgericht Wolgast die Feststellung, dass die Ingewahrsamnahme sowohl dem Grunde nach als auch hinsichtlich der Art und Weise rechtswidrig gewesen sei.

5

Der Baum, den sie bestiegen habe, habe sich nicht auf der Bahnanlage, sondern außerhalb des in der Eisenbahnordnung definierten "Regellichtraums" befunden. Sie habe dort lediglich Lieder gesungen und Fragen von Reportern beantwortet. Nachdem die Polizei sie vom Baum geholt habe, sei ihre Kletterausrüstung beschlagnahmt worden. In der Sammelstelle seien die Gefangenen "in Käfigen" untergebracht worden. In der Halle sei es sehr laut und dauerbeleuchtet gewesen, sodass sie keine Ruhe habe finden können. Zum Essen sei "nur Wurst", nichts Vegetarisches gereicht worden. Ihr Rucksack sei trotz der darin befindlichen Ausweispapiere einer anderen Person zugeordnet worden. Das darin mitgebrachte Essen habe sie deshalb erst nach mehrmaliger Forderung gegen 18:30 Uhr erhalten. Auf ihre wiederholte Frage nach einer richterlichen Entscheidung habe sie nur vage Antworten erhalten. Aus Protest gegen die Umstände des Gewahrsams sei sie an die Hallendecke geklettert. Nachdem sie wieder heruntergekommen sei, habe sich ihre Freilassung dadurch verzögert, dass die Polizei die beschlagnahmte Kletterausrüstung nicht habe finden können. Die Versammlung der "Kletteraktivisten" sei nicht ordnungsgemäß aufgelöst, sondern von den sofort bei Eintreffen der Aktivisten herbeigeeilten Polizisten "gesprengt" worden.

6

Ihre "Kletteraktion" habe keine Gefahr für die Allgemeinheit begründet, weil "Aktionen mit Einsatz von Klettertechnik an und oberhalb der Bahnlinie außerhalb des Regellichtraumes" weder eine Straftat noch eine Ordnungswidrigkeit darstellten. Auch sie selbst sei nicht gefährdet gewesen, weil sie durch Seile gesichert gewesen sei. Selbst wenn die Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit unmittelbar bevorgestanden hätte, wäre die Ingewahrsamnahme zu deren Verhinderung nicht "unerlässlich" im Sinne der polizeirechtlichen Ermächtigungsgrundlage gewesen. Die Beschwerdeführerin sei "amtsbekannt". Deshalb wisse die Polizei, dass sie sich friedlich verhalte und sich stets professionell sichere. Nachdem ihre Kletterausrüstung beschlagnahmt war, habe ihr kein Sicherungsmaterial mehr zur Verfügung gestanden. Auf die Schnelle bis zur Durchfahrt des Zuges eine neue Ausrüstung zu besorgen, wäre nicht möglich gewesen. Als milderes Mittel hätte deshalb die Sicherstellung der Kletterausrüstung verbunden mit einem Platzverweis ausgereicht. Schließlich sei gegen den Richtervorbehalt und das Unverzüglichkeitsgebot verstoßen worden. Um Einhaltung dieser grundgesetzlichen Vorgaben habe sich die Polizei nicht einmal bemüht.

7

b) Mit angegriffenem Beschluss vom 17. Februar 2012 stellte das Amtsgericht - nach Anhörung der Beschwerdeführerin - fest, dass ihre Ingewahrsamnahme in der Zeit von 17:00 bis 20:00 Uhr rechtswidrig gewesen sei. Im Übrigen wies es den Antrag zurück.

8

Die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin sei im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG unerlässlich gewesen, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Die acht Personen, zu denen die Beschwerdeführerin gehört habe, hätten eine umfangreiche Kletterausrüstung bei sich getragen. Aus der Art und Weise ihres Auftretens, insbesondere dem Ort des Geschehens, habe die Polizei schließen können, dass es ihnen darauf angekommen sei, den herannahenden Zug anzuhalten oder zumindest so lange wie möglich zu verzögern. Aus polizeilicher Vorsicht sei es geboten gewesen anzunehmen, dass sich die Gruppe nicht auf plakative Aktionen wie das Entrollen von Transparenten beschränken würde, sondern die mitgeführte Ausrüstung nutzen werde, um am Bahnkörper Hindernisse zu bereiten. Dies hätte den Tatbestand des § 315 Abs. 1 StGB erfüllt. Die Beschwerdeführerin könne sich nicht auf Art. 8 GG berufen. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Beschwerdeführerin sich überhaupt friedlich habe versammeln wollen. Jedenfalls sei die Versammlung der acht Aktivisten nach § 15 Abs. 1 und 3 VersG aufgelöst worden. Ein milderes Mittel als die Ingewahrsamnahme habe der Polizei nicht zur Verfügung gestanden, um die Gefahr abzuwenden. Ein Platzverweis hätte nicht ausgereicht. Den Polizisten sei bekannt gewesen, dass die Beschwerdeführerin gegen den Transport war und sich trotz widriger Witterungsverhältnisse an das Gleis begeben hatte, um unter Einsatz ihres Körpers die Fahrt des Zuges zu stoppen oder zu verzögern. Es sei daher naheliegend gewesen anzunehmen, dass sie trotz eines Platzverweises erneut versuchen würde, das Gleis zu erreichen. Ob sie dies tatsächlich mit oder ohne weitere Kletterausrüstung vorgehabt habe, sei unerheblich.

9

Die Rüge der Zustände in der Gefangenensammelstelle sei unbegründet. Der Richter habe die Einrichtung selbst am Vortag besichtigt. Er könne bestätigen, dass die Abtrennungen mit Gittern den Untergebrachten keine persönliche Abgeschiedenheit erlaubt hätten, dies sei für den wenige Stunden dauernden Aufenthalt aber zumutbar. Eine speziell auf ihre Wünsche ausgerichtete Ernährung habe die Beschwerdeführerin nicht erwarten können.

10

Allerdings sei nicht erkennbar, warum die Beschwerdeführerin nach ihrem Eintreffen in der Gefangenensammelstelle entgegen § 40 BPolG nicht unverzüglich einem Richter vorgeführt worden sei. Unter normalen Umständen werde eine Zeit von zwei bis drei Stunden als ausreichend angesehen, um einen Antrag an das zuständige Amtsgericht zu stellen. Angesichts der besonderen Umstände wäre im Fall der Beschwerdeführerin auch eine Vorführung bis 17:00 Uhr noch als unverzüglich anzusehen gewesen. Denn zunächst habe die Beschwerdeführerin selbst ihre Vorführung vor einen Richter verzögert, indem sie den Baum nicht freiwillig verlassen, sondern sich von der Polizei habe herunterholen lassen. Eine weitere Verzögerung habe sich nach der Stellungnahme der Bundespolizei aus einem Widerstandsakt eines weiteren Mitglieds der Gruppe ergeben. Schließlich hätten die gerichtsbekannten schlechten Wetterverhältnisse den Transport der Beschwerdeführerin in die Gefangenensammelstelle verzögert. Lege man dann für die Aufnahme der Beschwerdeführerin in der Sammelstelle, ihre Vernehmung und die Antragstellung bei Gericht eine weitere Stunde zugrunde, hätte bis 17:00 Uhr ein Antrag an das Amtsgericht gestellt werden können. Eine rechtswidrige Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin liege nicht mehr vor, solange sie aus ihrer Zelle entwichen sei und sich in den Konstruktionselementen der Halle aufgehalten habe. Die sich daraus ergebenden Verzögerungen habe sie sich selbst zuzuschreiben.

11

3. a) Die Beschwerdeführerin erhob Beschwerde zum Landgericht Stralsund.

12

Die Versammlung am Bahngleis sei nicht ordnungsgemäß aufgelöst worden. Gleich morgens seien die noch auf dem Boden befindlichen Aktivisten festgenommen worden. Die Durchsage, die Polizei löse die Versammlung auf, sei erst gegen 11:00 Uhr erfolgt. Für diese Auflösung habe kein Grund bestanden. Es habe kein allgemeines Versammlungsverbot gegeben und die Versammlung sei friedlich gewesen. Das Baumklettern habe weder Straf- noch Ordnungswidrigkeitstatbestände erfüllt. Die Voraussetzungen von § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG hätten nicht vorgelegen. Selbst wenn die Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten gedroht hätte, was nicht der Fall gewesen sei, wäre die Ingewahrsamnahme zu deren Verhinderung nicht unerlässlich gewesen. Die Annahme, die Beschwerdeführerin werde sich an einen Platzverweis nicht halten, sei durch nichts belegt. Gegen die Räumung aus dem Baum habe sie keinen Widerstand geleistet. Sie habe den Beamten ausdrücklich erklärt, dass sie sich an einen Platzverweis halten werde, weil sie bereits zehn Stunden, drei davon in einem Baum, draußen bei minus 10 Grad Celsius verbracht habe; sie sei müde gewesen und die Aktion sei aus ihrer Sicht gelungen gewesen, da die Presse gekommen sei und sie Aufmerksamkeit für ihr Anliegen erhalten habe. In der Vergangenheit habe sie nie zwei Kletteraktionen nacheinander durchgeführt. Das sei auch gar nicht möglich, schon gar nicht nach Beschlagnahme ihrer Ausrüstung. Aus diesen Gründen habe das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen ihre von 1:15 bis 3:00 Uhr dauernde Ingewahrsamnahme nach einer Kletteraktion am Gleisbett während eines Nukleartransports im Jahr 2008 für rechtswidrig erklärt.

13

Vor der Abfahrt in die Gefangenensammelstelle habe die Beschwerdeführerin stundenlang im Polizeifahrzeug warten müssen. Dies sei durch die Wetterverhältnisse nicht zu erklären. Die Unterbringung in einem Käfig in der Gefangenensammelstelle sei menschenunwürdig gewesen. Es habe das nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für einen Haftraum zu fordernde Tageslicht gefehlt. Zudem habe die Beschwerdeführerin Anspruch auf gesundheitserhaltende Unterbringung. Dazu gehöre vegetarische Ernährung. Weil sie an chronischer Gelenkentzündung leide, verursache die in Fleisch enthaltene Arachidonsäure ihr Schmerzen. Die Dauer des Gewahrsams sei willkürlich lang gewesen. Bereits um 8:00 Uhr morgens habe die Polizei beschlossen, die Beschwerdeführerin festzunehmen. Bereits zu diesem Zeitpunkt hätte das Amtsgericht verständigt werden können. Soweit das Amtsgericht meine, sie habe sich die aus ihrer erneuten Kletteraktion ergebenden Verzögerungen hinsichtlich ihrer Freilassung selbst zuzuschreiben, sei dem entgegenzuhalten, dass ihre Freilassung dadurch nicht verzögert, sondern vielmehr beschleunigt worden sei.

14

b) Mit angegriffenem Beschluss vom 20. Januar 2014 - den Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin zugegangen am 10. April 2014 - wies das Landgericht die Beschwerde als unbegründet zurück.

15

Die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin sei nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG "rechtmäßig und unerlässlich" gewesen. Es habe "konkret die unmittelbare Gefahr" bestanden, dass die Beschwerdeführerin eine Straftat nach § 315 Abs. 1 StGB begehen werde. Die Polizei habe davon ausgehen dürfen, dass sie mit den anderen Kletterern eine Aktion plane, bei der zumindest einer der Kletterer sich in den Regellichtraum über den Schienen auf der Höhe der Lokomotive abseilen und dadurch ein Hindernis oder einen ähnlich gefährlichen Eingriff in den Schienenverkehr im Sinne des § 315 Abs. 1 StGB bewirken würde. Konkrete Anhaltspunkte für den unmittelbar bevorstehenden Beginn einer solchen Aktion hätten bereits aufgrund der von der Beschwerdeführerin mitgeführten Kletterausrüstung bestanden. Da sich Aktivisten auf beiden Seiten der Gleise befunden hätten, sei es ihnen auch möglich gewesen, ein Seil über die Gleise zu spannen. Die Einlassung der Beschwerdeführerin, sie habe, schon um eine Selbstgefährdung zu vermeiden, kein Hindernis bereiten wollen, sei eine Schutzbehauptung. Die Beschwerdeführerin habe selbst eingeräumt, in der Vergangenheit auch Kletteraktionen über Bahngleise durchgeführt zu haben. Sie sei - polizeibekannt - eine professionelle Kletteraktivistin, die in der Vergangenheit bereits mehrfach durch Abseilaktionen für Aufsehen gesorgt habe. Anfang 2008 habe sie einen Castor-Transport auf dem Weg nach Rotterdam für sieben Stunden dadurch zum Stehen gebracht, dass sie in einer Seilkonstruktion über den Gleisen gehangen habe. Nach einem Zeitungsbericht, der auf der Internetseite der Beschwerdeführerin verlinkt sei, habe sie dazu heimlich ein Seil über die Schienen gespannt und sich mit einem zweiten Seil bis zur Höhe der Lok abgeseilt. In Gefahr sei sie dabei nicht gewesen, weil sie sich jederzeit hätte hochziehen und den Zug "durchrauschen" lassen können.

16

Auch nach der Bergung der Beschwerdeführerin habe die Polizei eine weitere Kletterabsicht befürchten müssen. Die Sicherstellung der Kletterausrüstung verbunden mit einem Platzverweis wäre deshalb nicht ausreichend gewesen. Angesichts der professionellen Vorbereitung durch die Gruppe von Aktivisten habe die Polizei davon ausgehen dürfen, dass auch Vorbereitungen für "Ersatzaktionen" getroffen worden seien. Es würde die Darlegungsanforderungen für die Polizei überspannen, wenn eine Ingewahrsamnahme nur zulässig wäre, wenn schon Material für Ersatzmaßnahmen gefunden worden sei. Dass sich die Beschwerdeführerin vor ihrer Bergung bereits mehrere Stunden im Baum befunden habe, habe nicht ausgeschlossen, dass sie eine weitere Aktion durchführen würde. Schließlich sei sie in der Gefangenensammelstelle gegen 20:00 Uhr erneut geklettert.

17

Die Dauer des Gewahrsams sei bis 17:00 Uhr nicht zu beanstanden. Unabhängig davon, dass die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin bereits um 8:52 Uhr erklärt worden sei, habe sie erst nach der Bergung um 12:00 Uhr verwirklicht werden können. Der Zeitraum von zwei Stunden für die Verbringung in die Gefangenensammelstelle sei angesichts der Wetterverhältnisse mit erheblichem Schneefall und erheblichen Schneeverwehungen "hinreichend". Die Kammer schließe sich der Auffassung des Amtsgerichts an, dass eine richterliche Entscheidung über die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin bis 17:00 Uhr hätte veranlasst werden können. Zu Recht habe das Amtsgericht die Rechtswidrigkeit des Gewahrsams auch nur für den Zeitraum von 17:00 bis 20:00 Uhr ausgesprochen, denn aufgrund der Kletteraktion der Beschwerdeführerin in der Gefangenensammelstelle gegen 20:00 Uhr sei weder ihre Entlassung noch eine richterliche Vorführung möglich gewesen. Nachdem sie in ihre Zelle zurückgekehrt sei, sei sie in einem angemessenen Zeitraum entlassen worden.

18

Die Art und Weise der Unterbringung in der Gefangenensammelstelle habe nicht gegen "Menschen- und Grundrechte" der Beschwerdeführerin verstoßen. Die Einrichtung sei nur auf den Zeitraum bis zur richterlichen Vorführung ausgelegt gewesen. Deshalb seien die vom Bundesverfassungsgericht für Hafträume aufgestellten Maßstäbe nicht anwendbar.

19

4. a) Gegen diesen Beschluss erhob die Beschwerdeführerin Anhörungsrüge. Die Behauptung des Landgerichts, es habe die konkrete Gefahr bestanden, dass sie eine Straftat nach § 315 Abs. 1 StGB begehen werde, sei pauschal und keinesfalls ausreichend gegenüber ihrem detailreichen Vorbringen. Ihr Vortrag, insbesondere dass ihre "Kletteraktion" weder eine Straftat noch eine Ordnungswidrigkeit dargestellt habe und dass die Ingewahrsamnahme zur Verhinderung einer Ordnungswidrigkeit unverhältnismäßig gewesen sei, sei ignoriert worden. Sie wiederholte ihr Vorbringen, dass sie den Beamten, die die Festnahme durchführten, mitgeteilt habe, dass sie sich an den Platzverweis halten werde und verwies zur Begründung unter anderem auf die winterlichen Wetterbedingungen und ihre Erschöpfung.

20

b) Mit Beschluss vom 30. Juli 2014, zugegangen am 13. August 2014, wies das Landgericht die Anhörungsrüge als jedenfalls unbegründet zurück. Die Beschwerdeführerin greife in der Sache die rechtlichen Bewertungen der Kammer an. Soweit sie rüge, die Kammer habe sich mit ihrem Vorbringen nicht hinreichend auseinandergesetzt, sei darauf hinzuweisen, dass Art. 103 Abs. 1 GG nicht erfordere, alle Einzelpunkte des Parteivorbringens in den Entscheidungsgründen ausdrücklich abzuhandeln.

II.

21

1. Mit ihrer am 10. Mai 2014 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die polizeiliche Maßnahme, den Beschluss des Amtsgerichts und den die Beschwerde zurückweisenden Beschluss des Landgerichts. Sie rügt ausdrücklich beziehungsweise der Sache nach eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 EMRK, Art. 5 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 10 EMRK, Art. 8 GG in Verbindung mit Art. 11 EMRK, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 19 Abs. 4 Satz 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 103 Abs. 1 und Art. 104 GG.

22

In ihre Grundrechte sei ohne gesetzliche Grundlage eingegriffen worden, weil die Voraussetzungen einer Ingewahrsamnahme nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG nicht erfüllt gewesen seien. Die Gerichte gingen von der konkreten Gefahr einer unmittelbar bevorstehenden Straftat nach § 315 Abs. 1 StGB aus, ohne dies "konkret zu belegen". Die Feststellungen des Gerichts seien pauschal und keinesfalls ausreichend. Die Ingewahrsamnahme sei - auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte: die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe b EMRK hätten nicht vorgelegen - nicht "unerlässlich" gewesen. Ein Platzverweis verbunden mit einer Sicherstellung der Kletterausrüstung wäre zur Gefahrenabwehr ausreichend gewesen. Das Landgericht habe ungeprüft Informationen aus einem Zeitungsartikel übernommen. Bei der in diesem Artikel beschriebenen "Blockade" habe es sich um die Aktion gehandelt, nach der das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen die Ingewahrsamnahme für unverhältnismäßig erklärt und das Amtsgericht Steinfurt sie vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen habe.

23

Ferner sei gegen den Unverzüglichkeitsgrundsatz (Art. 104 Abs. 2 GG) verstoßen worden, weil versäumt worden sei, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Verzögerungen könnten nicht mit den Witterungsverhältnissen gerechtfertigt werden. Auch die Fortdauer ihrer Ingewahrsamnahme nach 20:00 Uhr sei verfassungswidrig.

24

Art. 8 GG sei verletzt, weil die Versammlung der "Kletteraktivisten" erst aufgelöst worden sei, nachdem die Hälfte ihrer Teilnehmer bereits in Gewahrsam genommen worden sei. Durch die Auflösung der Versammlung sei sie an der freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) gehindert worden. Die Art und Weise der Unterbringung habe ihre Menschenwürde und ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Die Unterbringung in "lärmigen Käfigen ohne Privatsphäre" sei menschenunwürdig gewesen. Das angebotene Fleisch hätten "90 % der Gefangenen" aus politischen oder gesundheitlichen Gründen nicht essen können.

25

Das Landgericht habe überdies Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Dazu wiederholt die Beschwerdeführerin ihren Vortrag aus der Anhörungsrüge.

26

2. Das Justizministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Bundesregierung hat zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen:

27

a) Es bestünden bereits Bedenken gegen die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde. Weil das Landgericht in dem die Anhörungsrüge zurückweisenden Beschluss Bedenken an deren Zulässigkeit geäußert habe, hätte es nach § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG der Darlegung bedurft, dass die Beschwerdeführerin dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde aus § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG gerecht geworden sei, indem sie den Rechtsweg in gehöriger Weise erschöpft und die ihr zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zur Vermeidung oder Beseitigung der geltend gemachten Grundrechtsverletzungen genutzt habe.

28

b) Überdies sei die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG rechtmäßig gewesen und habe diese nicht in ihren Grundrechten verletzt. Ein anderes Ergebnis ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung der Wertungen aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe b EMRK.

29

Nach der konkreten Situation, in der die Beschwerdeführerin und die übrigen Mitglieder der Gruppe angetroffen worden seien, seien die Polizeibeamten zu Recht davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin zusammen mit den anderen Mitgliedern ihrer Gruppe unmittelbar im Begriff gewesen sei, zumindest einen nach § 315 Abs. 2 StGB strafbaren Versuch eines gefährlichen Eingriffs in den Schienenverkehr und eine zumindest versuchte Nötigung nach § 240 Abs. 1 und 2 StGB zu begehen sowie nach § 64b Abs. 2 Nr. 5 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) ein Fahrthindernis zu bereiten, indem sie ein Seil über die Gleise spannen und sich ein Mitglied der Gruppe über den Gleisen bis auf Zughöhe abseilen würde.

30

Die Berechtigung dieser Gefahrenprognose gelte umso mehr, als die Beschwerdeführerin polizeibekannt bereits in der Vergangenheit mit einschlägigen Abseilaktionen auf sich aufmerksam gemacht habe. Die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin anlässlich dieser früheren Kletteraktionen nicht strafrechtlich verfolgt worden sei, sei unerheblich, denn auf die strafrechtliche Würdigung des Sachverhalts bei rückwirkender Betrachtung komme es für die Anwendung des § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG als Gefahrenabwehrmaßnahme nicht an.

31

Die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin sei auch unerlässlich im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG gewesen. Das Unerlässlichkeitserfordernis setze voraus, dass andere Maßnahmen gleich geeignet und effektiv seien und führe nicht dazu, dass die Polizei statt der Ingewahrsamnahme Maßnahmen von geringerer Eingriffsintensität auf das Risiko hin vornehmen müsse, dass diese die Gefahrenlage nicht mit hinreichender Sicherheit beenden würden. Insbesondere verlange es nicht, dass die Polizei zunächst eine minderschwere Maßnahme versuchen müsse und erst nach deren Fehlschlagen zu einer Ingewahrsamnahme greifen dürfe. Andere Maßnahmen als die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin hätten nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, die Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit unterbinden zu können. Die Beschwerdeführerin habe im Rahmen der durchgeführten Aktion eine beträchtliche Entschlossenheit zutage gelegt, die bei lebensnaher ex-ante-Betrachtung habe erwarten lassen, dass sie ohne die Ingewahrsamnahme von ihrem Vorhaben, den Castor-Transport zu behindern, nicht ablassen, sondern eine der von der Polizei beendeten Aktion vergleichbare Folgeaktion unternehmen werde. Nachdem die Beschwerdeführerin der Versammlungsauflösung und der sich daraus unmittelbar kraft Gesetzes ergebenden Verpflichtung, sich sofort zu entfernen (§ 18 Abs. 1 i.V.m. § 13 Abs. 2 VersG), nicht freiwillig nachgekommen sei, sondern im Baum verharrt habe und von einer Spezialeinheit der Polizei habe geborgen werden müssen, hätten die Polizisten keinen Grund zu der Annahme gehabt, sie werde einem Platzverweis Folge leisten. Dass die Beschwerdeführerin angebe, die Aktion sei für sie schon deshalb erfolgreich gewesen, weil die Presse gekommen sei und sie Aufmerksamkeit für ihr Anliegen erhalten habe, ändere nichts daran, dass sie ihr eigentliches Ziel, einen Beitrag zur Verzögerung des Castor-Transports zu leisten, noch nicht erreicht gehabt habe. Den Hinweis auf die Kälte habe das Landgericht zu Recht nicht als Beleg dafür angesehen, dass die Beschwerdeführerin sich einem Platzverweis gebeugt hätte, denn die Witterungsverhältnisse hätten sie auch nicht veranlasst, freiwillig vom Baum herunterzusteigen. Auch die Sicherstellung der von der Beschwerdeführerin und den anderen Mitgliedern der Gruppe mitgeführten Kletterausrüstung sei kein geeignetes Mittel gewesen, um die Wiederholung einer Kletteraktion zu verhindern. Zwar könne es an der faktischen Möglichkeit einer Folgeaktion fehlen, wenn die Behinderungsmaßnahme einen hohen logistischen oder technischen Vorbereitungsaufwand erfordere. Dies sei aber nicht der Fall gewesen. Das Überspannen der Gleise mit Seilen und das anschließende Abseilen könne von erfahrenen Kletterern in vergleichsweise kurzer Zeit organisiert werden - vorausgesetzt, das erforderliche Material sei vorher deponiert worden oder werde von Helfern gebracht. Konkreter Kenntnis der Polizei von Ersatzmaterial habe es nicht bedurft. Das Landgericht habe zutreffend angenommen, dass dies die Darlegungslast der Polizei überspannen würde.

32

3. Die Beschwerdeführerin hat der Stellungnahme der Bundesregierung insbesondere entgegengehalten:

33

Sie habe gar keine Seile bei sich gehabt, von denen sie eines hätte über die Gleise spannen und eines hätte verwenden können, um sich abzuseilen. Schon deshalb hätten keine konkrete Anhaltspunkte auch nur für den Versuch eines gefährlichen Eingriffs in den Schienenverkehr nach § 315 Abs. 1 und 2 StGB vorgelegen. Hätte sie die Absicht und das notwendige Material gehabt, um sich abzuseilen, wäre ihr dies in der Zeit von der Baumbesteigung gegen 8:30 Uhr bis zum Beginn der Bergung um 11:20 Uhr möglich gewesen. Der Baum, auf den sie geklettert sei, habe sich zudem in mehreren Metern Abstand von den Gleisen befunden. Rechts oder links einer Bahnanlage - und damit außerhalb dieser - in einem Baum zu sitzen, um in Sichtweite des Objekts des Protestes zu demonstrieren, sei nicht strafbar, sondern die Wahrnehmung von Grundrechten.

34

Die Behauptung, die Beschwerdeführerin habe an anderer Stelle weitere Kletterausrüstung deponiert gehabt, erfolge "ins Blaue hinein", ohne dass es dafür Hinweise gebe. Die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin gegen 20:00 Uhr in der Gefangenensammelstelle geklettert sei, könne nicht herangezogen werden, um die Gefahr einer wiederholten Kletteraktion am Gleisbett im Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme zu begründen. Erstens habe sie mit der Kletteraktion in der Gefangenensammelstelle gegen ihr willkürliches Festhalten ohne richterliche Entscheidung protestiert. Zweitens habe das erst nachträgliche Geschehen für die maßgebliche ex-ante-Prognose keine Rolle gespielt. Drittens sei das Klettern in einer Halle mit Metallstangen nicht mit dem Klettern auf einen Baum vergleichbar. Für das Klettern in der Halle habe man kein Seil gebraucht, für das Klettern auf einen Baum dagegen schon.

35

4. Die Akte des fachgerichtlichen Verfahrens wurde beigezogen.

III.

36

Soweit die Beschwerdeführerin die polizeiliche Maßnahme und den Beschluss des Amtsgerichts angreift, sind die Annahmevoraussetzungen nach § 93a Abs. 2 BVerfGG mangels Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde nicht erfüllt (vgl. BVerfGE 90, 22 <24>; 96, 245 <248>; BVerfGK 12, 189 <196>). Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Das Beschwerdegericht hat in vollem Umfang über den Prozessgegenstand entschieden. Damit sind die polizeiliche Maßnahme und der vorhergehende Beschluss des Amtsgerichts prozessual überholt (vgl. BVerfGK 10, 134 <138>).

IV.

37

Soweit die Beschwerdeführerin sich gegen den die Beschwerde zurückweisenden Beschluss des Landgerichts wendet, ist die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen.

38

1. Die am 10. Mai 2014 eingegangene und bis zum Abschluss des Anhörungsrügeverfahrens im Allgemeinen Register geführte Verfassungsbeschwerde ist innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG erhoben worden, ohne dass es darauf ankommt, ob die Anhörungsrüge zu dem nach § 90 Abs. 2 BVerfGG zu erschöpfenden Rechtsweg gehörte und geeignet war, die Verfassungsbeschwerdefrist offenzuhalten. Wäre die Anhörungsrüge nicht dazu geeignet gewesen, hätte die Monatsfrist mit Zugang der Beschwerdeentscheidung bei dem damaligen Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin am 10. April 2014 begonnen (§ 93 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG) und mit Ablauf des 12. Mai 2014 geendet (§ 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Damit wäre die Verfassungsbeschwerde auch in diesem Fall innerhalb der Frist erhoben worden.

39

2. Der Zulässigkeit steht auch weder der in § 90 Abs. 2 BVerfGG enthaltene Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen (vgl. BVerfGE 107, 395 <414>; 112, 50 <60>), noch ist die Beschwerdeführerin ihrer diesbezüglichen Darlegungsobliegenheit nicht nachgekommen (vgl. BVerfGE 112, 304 <314 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2006 - 2 BvR 1612/06 -, juris, Rn. 11 f.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 2. Februar 2016 - 1 BvR 3078/15 -, juris, Rn. 6).

40

Die Frage der ordnungsgemäßen Rechtswegerschöpfung betrifft die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde, deren Voraussetzungen das Bundesverfassungsgericht in eigener Zuständigkeit zu prüfen und über die es allein zu entscheiden hat. Aus der fachgerichtlichen Verwerfung eines Rechtsbehelfs als unzulässig kann daher nicht automatisch geschlossen werden, der Rechtsweg sei nicht ordnungsgemäß erschöpft worden (vgl. BVerfGE 128, 90 <99 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. Januar 2014 - 1 BvR 1126/11 -, juris, Rn. 18). Wenn das Fachgericht die betreffenden Zulässigkeitsanforderungen in verfassungswidriger Weise - etwa unter Verstoß gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes oder das Willkürverbot - überspannt hat, kann die vom Fachgericht angenommene Unzulässigkeit einem Beschwerdeführer nicht entgegengehalten werden (vgl. BVerfGK 13, 181 <185>; 16, 409 <409>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. Januar 2014 - 1 BvR 1126/11 -, juris, Rn. 11, 18; Henke, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf (Hrsg.), BVerfGG, 2015, § 90 Rn. 168). Hat ein Fachgericht dagegen ungeachtet der Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs in der Sache entschieden, indem es den Rechtsbehelf zwar als unzulässig angesehen, aber hilfsweise Ausführungen zur Begründetheit gemacht oder die Frage nach der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs ausdrücklich offengelassen und nur dessen Begründetheit geprüft hat, kann die Unzulässigkeit des fachgerichtlichen Rechtsbehelfs dem Beschwerdeführer ebenfalls nicht als Grund für die Unzulässigkeit seiner Verfassungsbeschwerde entgegengehalten werden. Denn in diesem Fall hat der Rechtsbehelf das mit dem Gebot der Rechtswegerschöpfung verfolgte Ziel - dem Bundesverfassungsgericht durch die umfassende fachgerichtliche Vorprüfung der Beschwerdepunkte ein in mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial zu verschaffen und ihm die Fall- und Rechtsanschauung der Gerichte zu vermitteln (vgl. BVerfGE 86, 15 <27>; 114, 258 <279>) - in der Regel erreicht (vgl. BVerfGK 13, 181 <185>; 13, 409 <415>; 19, 157 <162>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. November 2013 - 2 BvR 2784/12 -, juris, Rn. 19; Henke, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf (Hrsg.), BVerfGG, 2015, § 90 Rn. 168).

41

Danach steht der Zulässigkeit der vorliegenden Verfassungsbeschwerde nicht entgegen, dass das Landgericht die Anhörungsrüge, ihre Gebotenheit zur Rechtswegerschöpfung und Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes unterstellt, als "jedenfalls unbegründet" zurückgewiesen hat. Die Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin hat das Landgericht veranlasst, sich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht mit dem gerügten Gehörsverstoß auseinanderzusetzen und damit das mit dem Gebot der Rechtswegerschöpfung verfolgte Ziel erreicht.

42

Einer über das Vorbringen der Beschwerdeführerin hinausgehenden Darlegung, dass der Rechtsweg in der gehörigen Weise erschöpft wurde, bedurfte es - entgegen der Auffassung der Bundesregierung - nicht. Die Beschwerdeführerin hat ihre Schriftsätze aus dem fachgerichtlichen Verfahren sowie die jeweils darauf ergangenen Entscheidungen vorgelegt und dem Bundesverfassungsgericht damit die Prüfung der Rechtswegerschöpfung und der Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes ermöglicht (vgl. BVerfGE 112, 304 <314 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2006 - 2 BvR 1612/06 -, juris, Rn. 11 f.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 2. Februar 2016 - 1 BvR 3078/15 -, juris, Rn. 6).

43

3. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG durch das Landgericht rügt, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und offensichtlich begründet (vgl. § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Auslegung und Anwendung des § 26 FamFG in Verbindung mit § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG durch das Landgericht werden der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht gerecht.

44

a) Art. 19 Abs. 4 GG verleiht dem Einzelnen, der behauptet, durch einen Akt öffentlicher Gewalt verletzt zu sein, einen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle, das heißt auf eine umfassende Prüfung des Verfahrensgegenstandes (vgl. BVerfGE 101, 106 <122 f.>; 103, 142 <156>; 129, 1 <20>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2017 - 2 BvR 2584/12 -, juris, Rn. 18). Die fachgerichtliche Überprüfung grundrechtseingreifender Maßnahmen kann die Beachtung des geltenden Rechts und den effektiven Schutz der berührten Interessen nur gewährleisten, wenn sie auf zureichender Aufklärung des jeweiligen Sachverhalts beruht (vgl. BVerfGE 101, 275 <294 f.>; BVerfGK 9, 390 <395>; 9, 460 <463>; 13, 472 <476>; 13, 487 <493>; 17, 429 <430 f.>; 19, 157 <164>; 20, 107 <112>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2017 - 2 BvR 2584/12 -, juris, Rn. 18).

45

aa) Die Gewährleistung schließt einen möglichst lückenlosen gerichtlichen Schutz gegen Verletzungen der Individualrechtssphäre durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt ein (vgl. BVerfGE 8, 274 <326>; 101, 106 <122 f.>; stRspr). Ein solcher Rechtsschutz ist von besonderer Bedeutung, wenn es um die Abwehr von Grundrechtsverletzungenoder um die Durchsetzung verfassungsrechtlicher Gewährleistungen zugunsten des Einzelnen gegenüber der öffentlichen Gewalt geht (vgl. BVerfGE 60, 253 <266>; 101, 106 <123>). Zur Effektivität des Rechtsschutzes gegenüber der öffentlichen Gewalt gehört es, dass das Gericht das Rechtsschutzbegehren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht prüfen kann und genügend Entscheidungsbefugnisse besitzt, um drohende Rechtsverletzungen abzuwenden oder erfolgte Rechtsverletzungen zu beheben (vgl. BVerfGE 61, 82 <111>; 101, 106 <123>; stRspr). Das schließt grundsätzlich eine Bindung des Gerichts an die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und Wertungen aus (vgl. BVerfGE 15, 275 <282>; 84, 34 <49>; 101, 106 <123>). Das Gericht muss die tatsächlichen Grundlagen selbst ermitteln und seine rechtliche Auffassung unabhängig von der Verwaltung, deren Entscheidung angegriffen ist, gewinnen und begründen (vgl. BVerfGE 101, 106 <123>).

46

bb) Gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG kann die Bundespolizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Bei der Auslegung und Anwendung des Tatbestandsmerkmals der unmittelbar bevorstehenden Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit ist den Polizeibehörden kein Beurteilungsspielraum eingeräumt. Die Frage, ob bei der im Gefahrenabwehrrecht gebotenen ex-ante-Betrachtung im Zeitpunkt der Maßnahme konkrete Tatsachen vorlagen, die die Annahme begründeten, dass der Schaden sofort oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten werde, unterliegt voller gerichtlicher Nachprüfung. Dass das Merkmal "unmittelbar bevorstehend" wie der Gefahrbegriff im Allgemeinen eine Prognose verlangt, gibt für die Annahme eines Beurteilungsspielraums nichts her. Die prognostischen Elemente sind vielmehr Elemente der Unbestimmtheit des Rechtsbegriffs und rechtfertigen keine Kontrollbeschränkung der Gerichte. Ihre Konkretisierung ist von Verfassungs wegen Sache der Rechtsprechung, die die Rechtsanwendung der Behörden insoweit uneingeschränkt nachzuprüfen hat (vgl. BVerfGE 103, 142 <157> m.w.N. zur "Gefahr im Verzug" nach Art. 13 Abs. 2 GG; OLG Celle, Beschluss vom 14. September 2011 - 22 W 2/11 -, juris, Rn. 15 m.w.N. zu § 18 NdsSOG).

47

b) Das Landgericht hat durch die Art und Weise seiner Befassung mit dem Rechtsschutzbegehren der Beschwerdeführerin das Gebot effektiven Rechtsschutzes verletzt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Dezember 2005 - 2 BvR 447/05 -, juris, Rn. 64 f.). Es hat bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 26 FamFG in Verbindung mit § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG das Vorbringen der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang nicht ausreichend berücksichtigt und seine Entscheidung auf eine nicht tragfähige Würdigung gestützt.

48

aa) Die Beschwerdeführerin hat gerügt, dass man sie in Gewahrsam genommen habe, obgleich eine "Ersatzaktion" nach ihrer Bergung und der Sicherstellung ihrer Kletterausrüstung nicht zu befürchten gewesen sei. Zur Begründung hat sie in ihrem Antrag vom 12. Januar 2011, in ihrer Beschwerdeschrift vom 10. April 2012 und in ihrer Anhörungsrüge vom 23. April 2014 unter anderem auf die zum Zeitpunkt der Ingewahrsamnahmeherrschenden strengen winterlichen Wetterbedingungen verwiesen. In dem Beschluss des Amtsgerichts heißt es dazu, dass es geschneit und ein "kräftiger Wind" geweht habe, dazu hätten die Temperaturen "weit unter dem Gefrierpunkt" gelegen. Die Beschwerdeführerin hat ferner angegeben, dass sie erschöpft gewesen sei, nachdem sie zuvor "bereits über 10 Stunden in der Kälte bei minus 10 Grad verbracht [habe], 3 davon in einem Baum". Sie habe den Beamten, die ihre Festnahme durchführten, mitgeteilt, dass sie sich an einen Platzverweis halten werde, müde sei und ins Warme wolle. Den damit von der Beschwerdeführerin für die gerichtliche Überprüfung der polizeilichen Prognoseentscheidung relevanten vorgetragenen Umständen ist das Gericht nicht nachgegangen. Die Entscheidung enthält keine hinreichende Begründung dafür, warum ein Platzverweis als milderes Mittel vor dem Hintergrund dieses Vorbringens und der besonderen tatsächlichen Umstände des Einzelfalls nicht ausreichend gewesen wäre. Das Gericht verweist insoweit lediglich darauf, dass die Beschwerdeführerin am Abend des Tages ihrer Ingewahrsamnahme - acht Stunden nach ihrer Bergung und nachdem sie etwa sechs Stunden in einer warmen Halle verbracht hatte - erneut an den Verstrebungen der Halle, in der sich die Gefangenensammelstelle befand, nach oben geklettert sei. Diese Erwägung, die auf ein lange nach der Ingewahrsamnahme eingetretenes Ereignis abstellt, ist jedoch für die ex ante anzustellende Gefahrenprognose, mit der die Ingewahrsamnahme zu begründen ist, ohne Bedeutung. Es kann letztlich offen bleiben, ob der Verweis des Landgerichts auf die "professionelle Vorbereitung" der Kletteraktion durch die Gruppe und die daraus gefolgerte "Vorbereitung einer Ersatzaktion" durch das Gericht verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, denn diese Argumentation bezieht den Vortrag der Beschwerdeführerin zu ihrer körperlichen Verfassung und den meteorologischen Bedingungen ebenfalls nicht ein.

49

bb) Das Gericht hat auch den Vortrag der Beschwerdeführerin, sie habe in der Vergangenheit niemals zwei Kletteraktionen nacheinander durchgeführt und die durch das Eingreifen der Bundespolizei beendete Aktion sei aus ihrer Sicht bereits deshalb gelungen, da die Presse gekommen und ihr Protest auf diese Weise sichtbar geworden sei, nicht ausreichend berücksichtigt. Der Beschluss enthält keine Feststellungen dazu, ob diese Umstände der Polizei zum Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme bekannt gewesen sind, und setzt sich im Rahmen der rechtlichen Würdigung nicht mit diesem Vortrag auseinander. Auch dieses Vorbringen ist aber von Relevanz für die Beurteilung der Frage, ob eine unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit aus der maßgeblichen ex-ante-Perspektive drohte.

50

4. Da der angegriffene Beschluss des Landgerichts schon wegen eines Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG keinen Bestand hat, braucht nicht entschieden zu werden, ob der Beschluss weitere Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte der Beschwerdeführerin verletzt.

V.

51

Nach §§ 93c Abs. 2, 95 Abs. 2 BVerfGG ist der Beschluss aufzuheben und ist die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Stralsund zurückzuverweisen.

VI.

52

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Gesetze, welche die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplanes erhöhen oder neue Ausgaben in sich schließen oder für die Zukunft mit sich bringen, bedürfen der Zustimmung der Bundesregierung. Das gleiche gilt für Gesetze, die Einnahmeminderungen in sich schließen oder für die Zukunft mit sich bringen. Die Bundesregierung kann verlangen, daß der Bundestag die Beschlußfassung über solche Gesetze aussetzt. In diesem Fall hat die Bundesregierung innerhalb von sechs Wochen dem Bundestage eine Stellungnahme zuzuleiten.

(2) Die Bundesregierung kann innerhalb von vier Wochen, nachdem der Bundestag das Gesetz beschlossen hat, verlangen, daß der Bundestag erneut Beschluß faßt.

(3) Ist das Gesetz nach Artikel 78 zustande gekommen, kann die Bundesregierung ihre Zustimmung nur innerhalb von sechs Wochen und nur dann versagen, wenn sie vorher das Verfahren nach Absatz 1 Satz 3 und 4 oder nach Absatz 2 eingeleitet hat. Nach Ablauf dieser Frist gilt die Zustimmung als erteilt.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 16. April 2003 - 11 K 671/02 -, soweit darin die Klage des Beschwerdeführers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Auflage Nr. 4 in dem Auflagenbescheid des Polizeipräsidiums Bielefeld vom 1. März 2002 - VL 12.5-231-W-02/01 - abgewiesen wird, und der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Oktober 2004 - 5 A 2764/03 -, soweit darin der Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung zurückgewiesen wird, verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Die Entscheidungen werden in dem vorgenannten Umfang aufgehoben. Die Sache wird zur Entscheidung an das Verwaltungsgericht Minden zurückverwiesen.

...

Gründe

1

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer als Veranstalter einer Versammlung gegen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, die eine versammlungsrechtliche Auflage gemäß § 15 Abs. 1 VersG zum Gegenstand haben, aufgrund derer die Teilnehmer der Versammlung vor Beginn der Veranstaltung polizeilich durchsucht werden.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer meldete aus Anlass der vom 27. Januar bis zum 17. März 2002 in Bielefeld gezeigten Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 - 1944" (im Folgenden: Wehrmachtsausstellung) für den 2. März 2002 in Bielefeld eine Versammlung unter freiem Himmel mit dem Motto "Die Soldaten der Wehrmacht waren Helden, keine Verbrecher" an. Mit sofort vollziehbarer Verbotsverfügung vom 18. Februar 2002 verbot das Polizeipräsidium Bielefeld die Versammlung. Die hiergegen vom Beschwerdeführer angestrengten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor den Verwaltungsgerichten blieben erfolglos (vgl. VG Minden, Beschluss vom 27. Februar 2002 - 11 L 185/02 -, juris; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. März 2002 - 5 B 388/02 -, juris).

3

2. Mit Beschluss vom 1. März 2002 stellte die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts im Wege der einstweiligen Anordnung die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Beschwerdeführers gegen die Verbotsverfügung wieder her (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. März 2002 - 1 BvQ 5/02 -, NVwZ 2002, S. 982).

4

3. Mit Bescheid vom 1. März 2002 ordnete das Polizeipräsidium Bielefeld daraufhin für die Durchführung der Versammlung eine Reihe von Auflagen an, darunter auch die Auflage Nr. 4:

5

"Die Teilnehmer der Versammlung werden vor Beginn der Veranstaltung polizeilich durchsucht".

6

4. Im Laufe des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht legte der Beschwerdeführer eidesstattliche Versicherungen von zwei Teilnehmern der einen Monat zuvor am 2. Februar 2002 durchgeführten, ebenfalls gegen die Wehrmachtsausstellung gerichteten Versammlung der NPD vor (im Folgenden: Anti-Wehrmachtsausstellungs-Versammlung am 2. Februar 2002). Darin schilderten die zwei Teilnehmer, dass ihnen auf der Versammlung die Aufgabe zugefallen sei, den Lautsprecherwagen gegen eventuelle Übergriffe gewaltsamer Gegendemonstranten zu sichern, insbesondere zu verhindern, dass eventuell Steinwürfe oder sonstige Wurfgeschosse die Fenster beschädigten. Des Weiteren legte der Beschwerdeführer die eidesstattliche Versicherung eines Teilnehmers einer Versammlung am 1. September 2001 in Leipzig vor. Darin schilderte dieser, dass die Versammlung von linken Demonstranten mit Steinen, Flaschen und anderen Gegenständen beworfen worden sei. Nur den Ordnern der Versammlung sei es zu verdanken gewesen, dass die Teilnehmer der Versammlung von einer berechtigten Notwehrreaktion hätten zurückgehalten werden können. Einmal sei eine Polizeikette gegen die Teilnehmer vorgegangen, als sie sich hätten verteidigen wollen.

7

5. Mit angegriffenem Urteil vom 16. April 2003 wies das Verwaltungsgericht - unter anderem - die Klage des Beschwerdeführers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Auflage Nr. 4 im Auflagenbescheid vom 1. März 2002 ab. Für seine Gefahrenprognose gemäß § 15 Abs. 1 VersG stützte sich das Verwaltungsgericht auf den Umstand, dass die zwei Teilnehmer der Anti-Wehrmachtsausstellungs-Versammlung am 2. Februar 2002 Steinwürfe oder sonstige Wurfgeschosse befürchtet hätten. Außerdem bezog das Verwaltungsgericht den Umstand mit ein, dass es laut der eidesstattlichen Versicherung des Teilnehmers der Versammlung am 1. September 2001 in Leipzig tatsächlich zu Gewalttätigkeiten durch Gegendemonstranten gekommen sei. Ebenso wie die beiden Teilnehmer der Anti-Wehrmachtsausstellungs-Versammlung am 2. Februar 2002 die Bereitschaft zu gewalttätigem (Angriffs- oder Abwehr-)Verhalten aus den Reihen der Gegenversammlung für möglich gehalten hätten, habe das Polizeipräsidium Bielefeld Vergleichbares bei der geplanten Versammlung vier Wochen später befürchten müssen, und zwar bei den Teilnehmern der vom Beschwerdeführer angemeldeten Versammlung genauso wie bei den Gegendemonstranten, zumal zu beiden Versammlungen am 2. März 2002 jeweils zahlreiche, in der Menge schwer zu kontrollierende Teilnehmer erwartet worden seien (der Beschwerdeführer sei bei der Anmeldung seiner Versammlung von 1.000 bis 2.000 Teilnehmern ausgegangen). Unter diesen Umständen hätten objektive Anhaltspunkte für das Auffinden sicherstellbarer Gegenstände bestanden, welche das Polizeipräsidium Bielefeld dazu berechtigt hätten, pauschal im Wege einer Auflage die polizeiliche Durchsuchung aller Versammlungsteilnehmer vor dem Veranstaltungsbeginn anzuordnen. Eines konkreten Verdachts gegen bestimmte Versammlungsteilnehmer, insbesondere gegen den Beschwerdeführer, habe es insoweit nicht bedurft.

8

6. Mit angegriffenem Beschluss vom 25. Oktober 2004 wies das Oberverwaltungsgericht - unter anderem - den auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützten Antrag auf Zulassung der Berufung bezüglich der Auflage Nr. 4 zurück. Zur Begründung verwies das Oberverwaltungsgericht entsprechend § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die Ausführungen in dem angegriffenen Urteil. Im Übrigen sei die Auflage Nr. 4 verhältnismäßig, weil sie dazu beitrage, die nach dem Versammlungsgesetz gebotene Gewaltlosigkeit der Versammlung und damit letztlich die Versammlung selbst zu sichern.

9

7. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung seines Grundrechts der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.

10

8. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Polizeipräsidium Bielefeld als Beklagter des Ausgangsverfahrens und der für das Versammlungsrecht zuständige Sechste Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts Stellung genommen. Das Polizeipräsidium hält die Auflage für durch eine hinreichende Gefahrenprognose gerechtfertigt. Demgegenüber hat das Bundesverwaltungsgericht Zweifel, ob die angegriffenen Entscheidungen in jeder Hinsicht mit der Versammlungsfreiheit übereinstimmen. Der Landtag Nordrhein-Westfalen hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

II.

11

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist.

12

1. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen Fragen zur Reichweite der Gewährleistung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG bereits entschieden und dabei auch die zu berücksichtigenden Grundsätze entwickelt. Dies gilt insbesondere für die Bedeutung der Versammlungsfreiheit bei der Gefahrenprognose im Rahmen von Entscheidungen der Behörden und Gerichte anhand von § 15 Abs. 1 VersG (vgl. BVerfGE 69, 315 <349, 352 ff.>; speziell zu versammlungsrechtlichen Auflagen: Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, S. 671 <672>; vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>), namentlich in der Konstellation von Störungen der öffentlichen Sicherheit durch Gegendemonstranten (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. März 2001 - 1 BvQ 15/01 -, NJW 2001, S. 1411 <1412>) und von polizeilichen Kontrollen im Vorfeld von Versammlungen (vgl. BVerfGE 69, 315 <349>; 84, 203 <209>).

13

2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.

14

a) Der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG ist eröffnet, da die Auflage, dass die Teilnehmer der Versammlung vor Beginn der Veranstaltung polizeilich durchsucht werden, den freien Zugang zu einer bevorstehenden Versammlung betrifft. Der gesamte Vorgang des Sich-Versammelns unterfällt dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 84, 203 <209>).

15

b) Die Auflage bedeutet auch einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit. Ein Eingriff ist nicht nur dann gegeben, wenn eine Versammlung verboten oder aufgelöst wird, sondern auch, wenn die Art und Weise ihrer Durchführung durch staatliche Maßnahmen beschränkt wird (vgl. BVerfGE 69, 315 <349>). Die Auflage, dass die Teilnehmer einer Versammlung vor Beginn der Veranstaltung polizeilich durchsucht werden, behindert den freien Zugang zu der Versammlung. Eine polizeiliche Durchsuchung ist - zumal wenn sie pauschal jeden Versammlungsteilnehmer erfasst - geeignet, einschüchternde, diskriminierende Wirkung zu entfalten, die Teilnehmer in den Augen der Öffentlichkeit als möglicherweise gefährlich erscheinen zu lassen und damit potentielle Versammlungsteilnehmer von einer Teilnahme abzuhalten.

16

c) Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen gemäß Art. 8 Abs. 2 GG zu ihrer Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage. Im vorliegenden Fall wurde die Auflage auf § 15 Abs. 1 VersG gestützt.

17

aa) Diese Norm sieht mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit Einschränkungen gegenüber Versammlungen nur für den Fall vor, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (vgl. Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>; vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, S. 671 <672>; vom 7. November 2008 - 1 BvQ 43/08 -, juris Rn. 17). Für die Gefahrenprognose können Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplante Versammlung aufweisen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, S. 141).

18

Wenn sich der Veranstalter und sein Anhang allerdings friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit, insbesondere Gewalttaten, lediglich von Gegendemonstrationen ausgehen, müssen sich behördliche Maßnahmen primär gegen die störenden Gegendemonstrationen richten. Es ist Aufgabe der zum Schutz der rechtsstaatlichen Ordnung berufenen Polizei, in unparteiischer Weise auf die Verwirklichung des Versammlungsrechts hinzuwirken. Gegen die friedliche Versammlung, die den Anlass für die Gegendemonstration bildet, darf nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00 -, NVwZ 2000, S. 1406 <1407>).

19

Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt bei der Behörde (vgl.  BVerfG , Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. Mai 2001 - 1 BvQ 21/01 -, NJW 2001, S. 2078 <2079>; vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, S. 141 <142>).

20

Zwar sind die Feststellung der Tatsachen, auf die sich die Gefahrenprognose gründet, sowie die Würdigung dieser Tatsachen grundsätzlich Sache der Fachgerichte und entziehen sich einer Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hat allerdings zu überprüfen, ob bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts der Einfluss der Versammlungsfreiheit hinreichend beachtet worden ist. Eine solche Prüfung verlangt eine intensivierte Kontrolle, ob die von den Fachgerichten getroffenen tatsächlichen Feststellungen die daraus gezogenen Schlussfolgerungen zu tragen vermögen (vgl. BVerfGE 84, 203 <210>).

21

bb) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen für die Gefahrenprognose im Rahmen von § 15 Abs. 1 VersG wird die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht gerecht.

22

(1) Die von dem Verwaltungsgericht herangezogenen Umstände sind nicht geeignet, eine von der Versammlung selbst ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit nahezulegen, die den Erlass einer gegenüber der Versammlung belastenden Auflage hätte rechtfertigen können.

23

Zwar durfte das Verwaltungsgericht grundsätzlich den Verlauf der Anti-Wehrmachtsausstellungs-Versammlung am 2. Februar 2002 als Indiz heranziehen, da sie wegen der Zielrichtung, hier der Propagierung einer bestimmten Interpretation der jüngeren deutschen Geschichte, des Ortes und der zeitlichen Nähe Ähnlichkeiten zu der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung aufwies. Die zwei Teilnehmer dieser Versammlung haben in ihren von dem Verwaltungsgericht angeführten eidesstattlichen Versicherungen indes lediglich organisatorische Vorsichtsmaßnahmen auf Veranstalterseite gegen eventuelle Übergriffe gewaltbereiter linker Gegendemonstranten beschrieben. Diese Aussagen privater Personen zu ihrerseits lediglich verdachtsgeleiteten Handlungen stellen keine nachvollziehbaren tatsächlichen Anhaltspunkte dar, wie sie für eine Gefahrenprognose im Rahmen des § 15 Abs. 1 VersG erforderlich sind. Vor allem lässt sich dieser Aussage nicht ansatzweise entnehmen, dass sich die Teilnehmer der Versammlung bei dieser Gelegenheit nicht rechtstreu verhalten haben.

24

Dagegen hat das Verwaltungsgericht keine tatsächlichen Feststellungen zu der Frage getroffen, ob und inwieweit die Versammlung am 1. September 2001 in Leipzig Ähnlichkeiten zu der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung aufwies und daher im Rahmen der Gefahrenprognose als Indiz herangezogen werden durfte. Außerdem hat der Teilnehmer der Versammlung in seiner von dem Verwaltungsgericht angeführten eidesstattlichen Versicherung lediglich Übergriffe gewalttätiger linker Gegendemonstranten beschrieben. Nach seiner Darstellung haben hauptsächlich die Ordner, in einem Fall die Einsatzkräfte der Polizei, die solchermaßen provozierten Teilnehmer der Versammlung erfolgreich im Zaum gehalten. Anhaltspunkte dafür, dass die Teilnehmer der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung aus eigenem Antrieb die gewalttätige Auseinandersetzung mit den linken Gegendemonstranten gesucht hätten, ergeben sich aus dieser Aussage nicht.

25

Auch soweit das Verwaltungsgericht bei seiner Gefahrenprognose auf die Größe des zu erwartenden Teilnehmerkreises der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung abgestellt hat, trägt dieser Umstand die Auflage nicht. Denn allein aus der Größe einer Versammlung kann nicht auf die Gewaltbereitschaft der Teilnehmer geschlossen werden.

26

Insgesamt scheint die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts allein auf der - nicht ausgesprochenen - Vermutung zu gründen, die Teilnehmer der vom Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung könnten durch frühere Störungen von gewalttätigen linken Gegendemonstranten gereizt nunmehr zum Präventivschlag ausholen. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen ohne hinreichende konkrete Tatsachengrundlage reichen jedoch, wie dargelegt, für die Gefahrenprognose im Rahmen des § 15 Abs. 1 VersG nicht aus. Der Umstand, dass bei der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung Störungen der öffentlichen Sicherheit durch gewaltbereite linke Gegendemonstranten zu befürchten waren, hätte den zuständigen Behörden Anlass sein müssen, zuvörderst gegen die angekündigten Gegendemonstrationen Maßnahmen zu ergreifen. Das durch gewaltbereite Gegendemonstranten drohende Gefahrenpotential ist der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung nicht zurechenbar.

27

(2) Als Nichtstörerin hätte die vom Beschwerdeführer veranstaltete Versammlung daher nur im Wege des polizeilichen Notstandes in Anspruch genommen werden können.

28

Im Hinblick auf die besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes sind der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts indessen weder die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen noch Ansätze für deren notwendige rechtliche Würdigung zu entnehmen. Zwar dürfen die diesbezüglichen Anforderungen an Durchsuchungen, die letztlich nur der Ermöglichung einer friedlichen Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit dienen, in Situationen, die insgesamt durch drohende Gewalt geprägt sind, nicht zu hoch angesetzt werden. Jedoch bedarf es insoweit zumindest der Darlegung, dass ein Schutz vor Gefahren für die öffentliche Sicherheit primär durch Maßnahmen gegenüber den Störern ins Werk gesetzt wird und dass er auf diese Weise aber nur unzureichend gewährleistet werden kann. Hieran fehlt es indes. So fehlen insbesondere Ausführungen dazu, dass und inwieweit gegen die angekündigten Gegendemonstrationen gerichtete, behördliche Maßnahmen nicht ausgereicht haben, der gewaltbereiten Gegendemonstranten Herr zu werden und so der Gefahr einer etwaigen gewalttätigen Eskalation zu begegnen. Feststellungen hierzu hat das Verwaltungsgericht nicht getroffen. Unter dem Gesichtspunkt der Eskalation fehlt es weiterhin an konkreten und nachvollziehbaren tatsächlichen Anhaltspunkten für die Annahme, dass die Teilnehmer der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung überhaupt unter Rückgriff auf mitgebrachte Gegenstände zur Schutz- und Trutzwehr übergehen würden.

29

cc) Der angegriffene Beschluss des Oberverwaltungsgerichts teilt den festgestellten Mangel des verwaltungsgerichtlichen Urteils. Das Oberverwaltungsgericht hat sich die Gründe des Verwaltungsgerichts ausdrücklich gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO zu Eigen gemacht. Der über diese Bezugnahme hinausgehende pauschale Verweis auf die behauptete Verhältnismäßigkeit der Auflage erweist sich angesichts der aufgezeigten verfassungsrechtlichen Defizite hinsichtlich der erforderlichen tatsächlichen Feststellungen und der notwendigen rechtlichen Würdigung als nicht tragfähig.

30

dd) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf dem aufgezeigten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei der erforderlichen erneuten Befassung und unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Anforderungen aus Art. 8 Abs. 1 GG zu einem anderen Ergebnis kommen. Hierbei werden die Gerichte - neben den bereits angesprochenen Gesichtspunkten - zu prüfen haben, ob und gegebenenfalls welche Gegenstände die polizeiliche Durchsuchung der Teilnehmer bei der Anti-Wehrmachtsausstellungs-Versammlung am 2. Februar 2002 zutage gefördert wurden, die laut der Stellungnahme des Polizeipräsidiums Bielefeld in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren bereits gegenüber dieser Versammlung angeordnet worden war.

31

3. Da die Verfassungsbeschwerde bereits wegen des Verstoßes gegen Art. 8 Abs. 1 GG Erfolg hat, bedarf es keiner Prüfung, ob daneben weitere Grundrechte verletzt sind.

32

4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Die zuständige Behörde kann die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.

(2) Eine Versammlung oder ein Aufzug kann insbesondere verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn

1.
die Versammlung oder der Aufzug an einem Ort stattfindet, der als Gedenkstätte von historisch herausragender, überregionaler Bedeutung an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erinnert, und
2.
nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung konkret feststellbaren Umständen zu besorgen ist, dass durch die Versammlung oder den Aufzug die Würde der Opfer beeinträchtigt wird.
Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin ist ein Ort nach Satz 1 Nr. 1. Seine Abgrenzung ergibt sich aus der Anlage zu diesem Gesetz. Andere Orte nach Satz 1 Nr. 1 und deren Abgrenzung werden durch Landesgesetz bestimmt.

(3) Sie kann eine Versammlung oder einen Aufzug auflösen, wenn sie nicht angemeldet sind, wenn von den Angaben der Anmeldung abgewichen oder den Auflagen zuwidergehandelt wird oder wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot nach Absatz 1 oder 2 gegeben sind.

(4) Eine verbotene Veranstaltung ist aufzulösen.

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 16. April 2003 - 11 K 671/02 -, soweit darin die Klage des Beschwerdeführers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Auflage Nr. 4 in dem Auflagenbescheid des Polizeipräsidiums Bielefeld vom 1. März 2002 - VL 12.5-231-W-02/01 - abgewiesen wird, und der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Oktober 2004 - 5 A 2764/03 -, soweit darin der Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung zurückgewiesen wird, verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Die Entscheidungen werden in dem vorgenannten Umfang aufgehoben. Die Sache wird zur Entscheidung an das Verwaltungsgericht Minden zurückverwiesen.

...

Gründe

1

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer als Veranstalter einer Versammlung gegen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, die eine versammlungsrechtliche Auflage gemäß § 15 Abs. 1 VersG zum Gegenstand haben, aufgrund derer die Teilnehmer der Versammlung vor Beginn der Veranstaltung polizeilich durchsucht werden.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer meldete aus Anlass der vom 27. Januar bis zum 17. März 2002 in Bielefeld gezeigten Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 - 1944" (im Folgenden: Wehrmachtsausstellung) für den 2. März 2002 in Bielefeld eine Versammlung unter freiem Himmel mit dem Motto "Die Soldaten der Wehrmacht waren Helden, keine Verbrecher" an. Mit sofort vollziehbarer Verbotsverfügung vom 18. Februar 2002 verbot das Polizeipräsidium Bielefeld die Versammlung. Die hiergegen vom Beschwerdeführer angestrengten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor den Verwaltungsgerichten blieben erfolglos (vgl. VG Minden, Beschluss vom 27. Februar 2002 - 11 L 185/02 -, juris; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. März 2002 - 5 B 388/02 -, juris).

3

2. Mit Beschluss vom 1. März 2002 stellte die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts im Wege der einstweiligen Anordnung die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Beschwerdeführers gegen die Verbotsverfügung wieder her (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. März 2002 - 1 BvQ 5/02 -, NVwZ 2002, S. 982).

4

3. Mit Bescheid vom 1. März 2002 ordnete das Polizeipräsidium Bielefeld daraufhin für die Durchführung der Versammlung eine Reihe von Auflagen an, darunter auch die Auflage Nr. 4:

5

"Die Teilnehmer der Versammlung werden vor Beginn der Veranstaltung polizeilich durchsucht".

6

4. Im Laufe des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht legte der Beschwerdeführer eidesstattliche Versicherungen von zwei Teilnehmern der einen Monat zuvor am 2. Februar 2002 durchgeführten, ebenfalls gegen die Wehrmachtsausstellung gerichteten Versammlung der NPD vor (im Folgenden: Anti-Wehrmachtsausstellungs-Versammlung am 2. Februar 2002). Darin schilderten die zwei Teilnehmer, dass ihnen auf der Versammlung die Aufgabe zugefallen sei, den Lautsprecherwagen gegen eventuelle Übergriffe gewaltsamer Gegendemonstranten zu sichern, insbesondere zu verhindern, dass eventuell Steinwürfe oder sonstige Wurfgeschosse die Fenster beschädigten. Des Weiteren legte der Beschwerdeführer die eidesstattliche Versicherung eines Teilnehmers einer Versammlung am 1. September 2001 in Leipzig vor. Darin schilderte dieser, dass die Versammlung von linken Demonstranten mit Steinen, Flaschen und anderen Gegenständen beworfen worden sei. Nur den Ordnern der Versammlung sei es zu verdanken gewesen, dass die Teilnehmer der Versammlung von einer berechtigten Notwehrreaktion hätten zurückgehalten werden können. Einmal sei eine Polizeikette gegen die Teilnehmer vorgegangen, als sie sich hätten verteidigen wollen.

7

5. Mit angegriffenem Urteil vom 16. April 2003 wies das Verwaltungsgericht - unter anderem - die Klage des Beschwerdeführers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Auflage Nr. 4 im Auflagenbescheid vom 1. März 2002 ab. Für seine Gefahrenprognose gemäß § 15 Abs. 1 VersG stützte sich das Verwaltungsgericht auf den Umstand, dass die zwei Teilnehmer der Anti-Wehrmachtsausstellungs-Versammlung am 2. Februar 2002 Steinwürfe oder sonstige Wurfgeschosse befürchtet hätten. Außerdem bezog das Verwaltungsgericht den Umstand mit ein, dass es laut der eidesstattlichen Versicherung des Teilnehmers der Versammlung am 1. September 2001 in Leipzig tatsächlich zu Gewalttätigkeiten durch Gegendemonstranten gekommen sei. Ebenso wie die beiden Teilnehmer der Anti-Wehrmachtsausstellungs-Versammlung am 2. Februar 2002 die Bereitschaft zu gewalttätigem (Angriffs- oder Abwehr-)Verhalten aus den Reihen der Gegenversammlung für möglich gehalten hätten, habe das Polizeipräsidium Bielefeld Vergleichbares bei der geplanten Versammlung vier Wochen später befürchten müssen, und zwar bei den Teilnehmern der vom Beschwerdeführer angemeldeten Versammlung genauso wie bei den Gegendemonstranten, zumal zu beiden Versammlungen am 2. März 2002 jeweils zahlreiche, in der Menge schwer zu kontrollierende Teilnehmer erwartet worden seien (der Beschwerdeführer sei bei der Anmeldung seiner Versammlung von 1.000 bis 2.000 Teilnehmern ausgegangen). Unter diesen Umständen hätten objektive Anhaltspunkte für das Auffinden sicherstellbarer Gegenstände bestanden, welche das Polizeipräsidium Bielefeld dazu berechtigt hätten, pauschal im Wege einer Auflage die polizeiliche Durchsuchung aller Versammlungsteilnehmer vor dem Veranstaltungsbeginn anzuordnen. Eines konkreten Verdachts gegen bestimmte Versammlungsteilnehmer, insbesondere gegen den Beschwerdeführer, habe es insoweit nicht bedurft.

8

6. Mit angegriffenem Beschluss vom 25. Oktober 2004 wies das Oberverwaltungsgericht - unter anderem - den auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützten Antrag auf Zulassung der Berufung bezüglich der Auflage Nr. 4 zurück. Zur Begründung verwies das Oberverwaltungsgericht entsprechend § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die Ausführungen in dem angegriffenen Urteil. Im Übrigen sei die Auflage Nr. 4 verhältnismäßig, weil sie dazu beitrage, die nach dem Versammlungsgesetz gebotene Gewaltlosigkeit der Versammlung und damit letztlich die Versammlung selbst zu sichern.

9

7. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung seines Grundrechts der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.

10

8. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Polizeipräsidium Bielefeld als Beklagter des Ausgangsverfahrens und der für das Versammlungsrecht zuständige Sechste Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts Stellung genommen. Das Polizeipräsidium hält die Auflage für durch eine hinreichende Gefahrenprognose gerechtfertigt. Demgegenüber hat das Bundesverwaltungsgericht Zweifel, ob die angegriffenen Entscheidungen in jeder Hinsicht mit der Versammlungsfreiheit übereinstimmen. Der Landtag Nordrhein-Westfalen hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

II.

11

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist.

12

1. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen Fragen zur Reichweite der Gewährleistung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG bereits entschieden und dabei auch die zu berücksichtigenden Grundsätze entwickelt. Dies gilt insbesondere für die Bedeutung der Versammlungsfreiheit bei der Gefahrenprognose im Rahmen von Entscheidungen der Behörden und Gerichte anhand von § 15 Abs. 1 VersG (vgl. BVerfGE 69, 315 <349, 352 ff.>; speziell zu versammlungsrechtlichen Auflagen: Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, S. 671 <672>; vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>), namentlich in der Konstellation von Störungen der öffentlichen Sicherheit durch Gegendemonstranten (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. März 2001 - 1 BvQ 15/01 -, NJW 2001, S. 1411 <1412>) und von polizeilichen Kontrollen im Vorfeld von Versammlungen (vgl. BVerfGE 69, 315 <349>; 84, 203 <209>).

13

2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.

14

a) Der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG ist eröffnet, da die Auflage, dass die Teilnehmer der Versammlung vor Beginn der Veranstaltung polizeilich durchsucht werden, den freien Zugang zu einer bevorstehenden Versammlung betrifft. Der gesamte Vorgang des Sich-Versammelns unterfällt dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 84, 203 <209>).

15

b) Die Auflage bedeutet auch einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit. Ein Eingriff ist nicht nur dann gegeben, wenn eine Versammlung verboten oder aufgelöst wird, sondern auch, wenn die Art und Weise ihrer Durchführung durch staatliche Maßnahmen beschränkt wird (vgl. BVerfGE 69, 315 <349>). Die Auflage, dass die Teilnehmer einer Versammlung vor Beginn der Veranstaltung polizeilich durchsucht werden, behindert den freien Zugang zu der Versammlung. Eine polizeiliche Durchsuchung ist - zumal wenn sie pauschal jeden Versammlungsteilnehmer erfasst - geeignet, einschüchternde, diskriminierende Wirkung zu entfalten, die Teilnehmer in den Augen der Öffentlichkeit als möglicherweise gefährlich erscheinen zu lassen und damit potentielle Versammlungsteilnehmer von einer Teilnahme abzuhalten.

16

c) Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen gemäß Art. 8 Abs. 2 GG zu ihrer Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage. Im vorliegenden Fall wurde die Auflage auf § 15 Abs. 1 VersG gestützt.

17

aa) Diese Norm sieht mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit Einschränkungen gegenüber Versammlungen nur für den Fall vor, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (vgl. Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>; vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, S. 671 <672>; vom 7. November 2008 - 1 BvQ 43/08 -, juris Rn. 17). Für die Gefahrenprognose können Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplante Versammlung aufweisen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, S. 141).

18

Wenn sich der Veranstalter und sein Anhang allerdings friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit, insbesondere Gewalttaten, lediglich von Gegendemonstrationen ausgehen, müssen sich behördliche Maßnahmen primär gegen die störenden Gegendemonstrationen richten. Es ist Aufgabe der zum Schutz der rechtsstaatlichen Ordnung berufenen Polizei, in unparteiischer Weise auf die Verwirklichung des Versammlungsrechts hinzuwirken. Gegen die friedliche Versammlung, die den Anlass für die Gegendemonstration bildet, darf nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00 -, NVwZ 2000, S. 1406 <1407>).

19

Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt bei der Behörde (vgl.  BVerfG , Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. Mai 2001 - 1 BvQ 21/01 -, NJW 2001, S. 2078 <2079>; vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, S. 141 <142>).

20

Zwar sind die Feststellung der Tatsachen, auf die sich die Gefahrenprognose gründet, sowie die Würdigung dieser Tatsachen grundsätzlich Sache der Fachgerichte und entziehen sich einer Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hat allerdings zu überprüfen, ob bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts der Einfluss der Versammlungsfreiheit hinreichend beachtet worden ist. Eine solche Prüfung verlangt eine intensivierte Kontrolle, ob die von den Fachgerichten getroffenen tatsächlichen Feststellungen die daraus gezogenen Schlussfolgerungen zu tragen vermögen (vgl. BVerfGE 84, 203 <210>).

21

bb) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen für die Gefahrenprognose im Rahmen von § 15 Abs. 1 VersG wird die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht gerecht.

22

(1) Die von dem Verwaltungsgericht herangezogenen Umstände sind nicht geeignet, eine von der Versammlung selbst ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit nahezulegen, die den Erlass einer gegenüber der Versammlung belastenden Auflage hätte rechtfertigen können.

23

Zwar durfte das Verwaltungsgericht grundsätzlich den Verlauf der Anti-Wehrmachtsausstellungs-Versammlung am 2. Februar 2002 als Indiz heranziehen, da sie wegen der Zielrichtung, hier der Propagierung einer bestimmten Interpretation der jüngeren deutschen Geschichte, des Ortes und der zeitlichen Nähe Ähnlichkeiten zu der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung aufwies. Die zwei Teilnehmer dieser Versammlung haben in ihren von dem Verwaltungsgericht angeführten eidesstattlichen Versicherungen indes lediglich organisatorische Vorsichtsmaßnahmen auf Veranstalterseite gegen eventuelle Übergriffe gewaltbereiter linker Gegendemonstranten beschrieben. Diese Aussagen privater Personen zu ihrerseits lediglich verdachtsgeleiteten Handlungen stellen keine nachvollziehbaren tatsächlichen Anhaltspunkte dar, wie sie für eine Gefahrenprognose im Rahmen des § 15 Abs. 1 VersG erforderlich sind. Vor allem lässt sich dieser Aussage nicht ansatzweise entnehmen, dass sich die Teilnehmer der Versammlung bei dieser Gelegenheit nicht rechtstreu verhalten haben.

24

Dagegen hat das Verwaltungsgericht keine tatsächlichen Feststellungen zu der Frage getroffen, ob und inwieweit die Versammlung am 1. September 2001 in Leipzig Ähnlichkeiten zu der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung aufwies und daher im Rahmen der Gefahrenprognose als Indiz herangezogen werden durfte. Außerdem hat der Teilnehmer der Versammlung in seiner von dem Verwaltungsgericht angeführten eidesstattlichen Versicherung lediglich Übergriffe gewalttätiger linker Gegendemonstranten beschrieben. Nach seiner Darstellung haben hauptsächlich die Ordner, in einem Fall die Einsatzkräfte der Polizei, die solchermaßen provozierten Teilnehmer der Versammlung erfolgreich im Zaum gehalten. Anhaltspunkte dafür, dass die Teilnehmer der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung aus eigenem Antrieb die gewalttätige Auseinandersetzung mit den linken Gegendemonstranten gesucht hätten, ergeben sich aus dieser Aussage nicht.

25

Auch soweit das Verwaltungsgericht bei seiner Gefahrenprognose auf die Größe des zu erwartenden Teilnehmerkreises der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung abgestellt hat, trägt dieser Umstand die Auflage nicht. Denn allein aus der Größe einer Versammlung kann nicht auf die Gewaltbereitschaft der Teilnehmer geschlossen werden.

26

Insgesamt scheint die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts allein auf der - nicht ausgesprochenen - Vermutung zu gründen, die Teilnehmer der vom Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung könnten durch frühere Störungen von gewalttätigen linken Gegendemonstranten gereizt nunmehr zum Präventivschlag ausholen. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen ohne hinreichende konkrete Tatsachengrundlage reichen jedoch, wie dargelegt, für die Gefahrenprognose im Rahmen des § 15 Abs. 1 VersG nicht aus. Der Umstand, dass bei der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung Störungen der öffentlichen Sicherheit durch gewaltbereite linke Gegendemonstranten zu befürchten waren, hätte den zuständigen Behörden Anlass sein müssen, zuvörderst gegen die angekündigten Gegendemonstrationen Maßnahmen zu ergreifen. Das durch gewaltbereite Gegendemonstranten drohende Gefahrenpotential ist der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung nicht zurechenbar.

27

(2) Als Nichtstörerin hätte die vom Beschwerdeführer veranstaltete Versammlung daher nur im Wege des polizeilichen Notstandes in Anspruch genommen werden können.

28

Im Hinblick auf die besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes sind der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts indessen weder die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen noch Ansätze für deren notwendige rechtliche Würdigung zu entnehmen. Zwar dürfen die diesbezüglichen Anforderungen an Durchsuchungen, die letztlich nur der Ermöglichung einer friedlichen Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit dienen, in Situationen, die insgesamt durch drohende Gewalt geprägt sind, nicht zu hoch angesetzt werden. Jedoch bedarf es insoweit zumindest der Darlegung, dass ein Schutz vor Gefahren für die öffentliche Sicherheit primär durch Maßnahmen gegenüber den Störern ins Werk gesetzt wird und dass er auf diese Weise aber nur unzureichend gewährleistet werden kann. Hieran fehlt es indes. So fehlen insbesondere Ausführungen dazu, dass und inwieweit gegen die angekündigten Gegendemonstrationen gerichtete, behördliche Maßnahmen nicht ausgereicht haben, der gewaltbereiten Gegendemonstranten Herr zu werden und so der Gefahr einer etwaigen gewalttätigen Eskalation zu begegnen. Feststellungen hierzu hat das Verwaltungsgericht nicht getroffen. Unter dem Gesichtspunkt der Eskalation fehlt es weiterhin an konkreten und nachvollziehbaren tatsächlichen Anhaltspunkten für die Annahme, dass die Teilnehmer der von dem Beschwerdeführer veranstalteten Versammlung überhaupt unter Rückgriff auf mitgebrachte Gegenstände zur Schutz- und Trutzwehr übergehen würden.

29

cc) Der angegriffene Beschluss des Oberverwaltungsgerichts teilt den festgestellten Mangel des verwaltungsgerichtlichen Urteils. Das Oberverwaltungsgericht hat sich die Gründe des Verwaltungsgerichts ausdrücklich gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO zu Eigen gemacht. Der über diese Bezugnahme hinausgehende pauschale Verweis auf die behauptete Verhältnismäßigkeit der Auflage erweist sich angesichts der aufgezeigten verfassungsrechtlichen Defizite hinsichtlich der erforderlichen tatsächlichen Feststellungen und der notwendigen rechtlichen Würdigung als nicht tragfähig.

30

dd) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf dem aufgezeigten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei der erforderlichen erneuten Befassung und unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Anforderungen aus Art. 8 Abs. 1 GG zu einem anderen Ergebnis kommen. Hierbei werden die Gerichte - neben den bereits angesprochenen Gesichtspunkten - zu prüfen haben, ob und gegebenenfalls welche Gegenstände die polizeiliche Durchsuchung der Teilnehmer bei der Anti-Wehrmachtsausstellungs-Versammlung am 2. Februar 2002 zutage gefördert wurden, die laut der Stellungnahme des Polizeipräsidiums Bielefeld in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren bereits gegenüber dieser Versammlung angeordnet worden war.

31

3. Da die Verfassungsbeschwerde bereits wegen des Verstoßes gegen Art. 8 Abs. 1 GG Erfolg hat, bedarf es keiner Prüfung, ob daneben weitere Grundrechte verletzt sind.

32

4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.