Bundesarbeitsgericht Urteil, 20. Feb. 2018 - 1 AZR 361/16
Gericht
Tenor
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Die Revisionen der Kläger zu 1. sowie zu 3. bis 6. gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 31. März 2016 - 17 Sa 1619/15 - werden zurückgewiesen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens haben der Kläger zu 1. und die Kläger zu 3. bis 6. je zu 19 % und der Kläger zu 2. zu 5 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten tragen die Kläger zu 1. und zu 3. bis 6. je zu 18 % und der Kläger zu 2. zu 10 %. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Kläger jeweils selbst.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Anwendbarkeit einer Betriebsvereinbarung.
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Die Kläger sind bei der Beklagten, in deren Betrieb ein einköpfiger Betriebsrat gewählt war, als Fahrer beschäftigt. Am 11. Februar 2014 beschloss eine im Betrieb gebildete Einigungsstelle die „Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeitgestaltung und Einführung eines flexiblen Arbeitszeitmodells“ (BV Arbeitszeit). In deren § 2 ist niedergelegt, dass sich die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit der Kraftfahrer nach den individuellen Arbeitsverträgen bestimmt und auf eine Fünf-Tage-Woche verteilt wird. § 4 BV Arbeitszeit trifft nähere Regelungen zum Schichtbeginn für die Früh- und die Spätschicht sowie zur Dienstplangestaltung. Im Übrigen lautet die BV Arbeitszeit auszugsweise:
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„§ 3 Arbeitszeitkonto
(1) Die Arbeitszeit wird flexibilisiert. Die über die individuell geschuldete wöchentliche Arbeitszeit hinaus anfallenden Arbeitsstunden werden einem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben. Das Arbeitszeitkonto darf 60 Stunden nicht überschreiten. Ein negativer Arbeitszeitsaldo ist nicht zulässig.
(2) Das Arbeitszeitkonto ist in dem Monat auszugleichen, der auf den Monat folgt, in dem die Arbeitsstunden angefallen sind. Ein Ausgleich findet statt durch Verrechnungen mit Freischichten im Dienstplan für diesen Monat. Ist dies nicht möglich, erfolgt mit Zustimmung des Betriebsrats und Einverständnis des Arbeitnehmers eine Abgeltung mit der Gehaltsabrechnung für den Folgemonat. …
§ 4 Schlussbestimmungen
Diese Betriebsvereinbarung tritt mit Wirkung vom 01.03.2014 in Kraft. Sie kann mit einer Frist von 3 Monaten zum Monatsende gekündigt werden. Sie wirkt in allen Bestandteilen nach.“
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Am 15. Februar 2014 kündigte das einzige Betriebsratsmitglied die BV Arbeitszeit zum 31. Mai 2014. Danach schied es aus dem Arbeitsverhältnis aus. Ein Betriebsrat wurde nicht mehr gewählt. Unter anderem im Zusammenhang mit vorgerichtlichen Auseinandersetzungen über eine von den Klägern beanspruchte Mindestdauer ihrer täglichen Arbeitszeit und über die betriebliche Praxis, Mehrarbeit in dem auf den Leistungsmonat folgenden Monat zu vergüten, berief sich die Beklagte auf die Umsetzung der - aus ihrer Sicht nachwirkenden - BV Arbeitszeit.
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Hiergegen haben sich die Kläger mit ihren beim Arbeitsgericht erhobenen Klagen gewandt. Sie haben die Ansicht vertreten, die gekündigte BV Arbeitszeit sei nicht auf ihre Arbeitsverhältnisse anzuwenden. Mit dem Wegfall des Betriebsrats scheide eine Nachwirkung der Betriebsvereinbarung aus. Andernfalls käme es wegen des fehlenden Betriebspartners auf Seiten der Arbeitnehmer zu einer dauerhaften Bindung an eine gekündigte Betriebsvereinbarung.
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Nachdem die Kläger erstinstanzlich die Verurteilung der Beklagten begehrt haben, sie an jedem Arbeitstag mindestens 7,8 Stunden zu beschäftigen und von ihnen geleistete Mehrarbeitsstunden mit der Abrechnung für denjenigen Monat, in dem sie tatsächlich erbracht wurden, abzurechnen und zu vergüten, haben sie - soweit für die Revision noch von Belang - zuletzt beantragt
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festzustellen, dass die Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeitgestaltung und Einführung eines flexiblen Arbeitszeitmodells vom 11. Februar 2014 auf ihr Arbeitsverhältnis keine Anwendung findet.
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat Zweifel an der Zulässigkeit des Feststellungsantrags geäußert und im Übrigen die Auffassung vertreten, die BV Arbeitszeit wirke nach, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werde.
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Das Arbeitsgericht hat das bei ihm allein streitgegenständliche Leistungsbegehren abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungen der Kläger, mit denen sie neben der Verpflichtung der Beklagten zu einem bestimmten arbeitstäglichen Beschäftigungsumfang den in der Revision allein noch streitbefangenen Feststellungsantrag angebracht haben, zurückgewiesen. Mit ihren auf die Abweisung des Feststellungsbegehrens beschränkten Revisionen verfolgen sechs der ursprünglich sieben Kläger dieses Rechtsschutzziel weiter, wobei der Kläger zu 2. seine Revision vor der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgenommen hat.
Entscheidungsgründe
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Die zulässigen Revisionen der Kläger sind unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht das in der Berufung angebrachte und in der Revision allein noch streitbefangene Feststellungsbegehren abgewiesen. Dieser Antrag ist allerdings entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts bereits unzulässig, denn es fehlt an dem von § 256 Abs. 1 ZPO vorausgesetzten Interesse an alsbaldiger Feststellung des erstrebten Inhalts.
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I. Nach § 256 Abs. 1 ZPO ist für die Zulässigkeit eines Feststellungsantrags ein besonderes rechtliches Interesse daran erforderlich, dass das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses durch eine gerichtliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Es handelt sich um eine auch noch im Revisionsverfahren zu prüfende Prozessvoraussetzung (vgl. BAG 25. Januar 2017 - 4 AZR 520/15 - Rn. 16). Sie stellt sicher, dass die Gerichte das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses tatsächlich klären können und nicht im Sinn einer gutachterlichen Tätigkeit über bloße Meinungsverschiedenheiten der Betroffenen befinden (vgl. BAG 17. März 2015 - 1 ABR 49/13 - Rn. 13 mwN). Demzufolge muss die erstrebte Feststellung geeignet sein, den zwischen den Parteien bestehenden Streit zu beenden und die Rechtsunsicherheit über die Rechtsstellung der klagenden Partei zu beseitigen sowie andernfalls ggf. erforderliche Leistungsklagen entbehrlich zu machen (vgl. BAG 17. Oktober 2001 - 4 AZR 641/00 - zu I 4 b der Gründe). Das besondere Feststellungsinteresse des § 256 Abs. 1 ZPO ist nicht gegeben, wenn durch eine Feststellung des begehrten Inhalts eine sachgemäße oder erschöpfende Streitlösung nicht erzielt würde und die Rechtsunsicherheit weiterhin bestehen bliebe.
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II. Vorliegend kommt der verlangten Feststellung keine Befriedungsfunktion zu. Das hat das Landesarbeitsgericht verkannt.
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1. Mit ihrem negativen Feststellungsantrag wollen die Kläger festgestellt wissen, dass die BV Arbeitszeit auf ihre Arbeitsverhältnisse keine Anwendung findet. Nach dem Antragswortlaut beziehen sie sich auf die gesamte BV Arbeitszeit.
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2. Mit der Entscheidung über diesen Antrag erfahren die streitigen Fragen der Parteien keine Klärung. Zwar beruft sich die Beklagte bei der Schichtgestaltung und der Abgeltung geleisteter Mehrarbeit auf die - aus ihrer Sicht nachwirkende - BV Arbeitszeit. Deren objektiver Regelungsgehalt gibt die praktizierte Handhabung der Lage der Arbeitszeit und des Auszahlzeitpunktes der Mehrarbeitsvergütung aber nicht vor. Die BV Arbeitszeit legt vielmehr in ihrem § 4 ein Ein- bzw. Zweischichtsystem mit einem zeitlichen Korridor für den Schichtbeginn fest, enthält zur Mindestschichtlänge eine Sollvorgabe und bestimmt das Verfahren zur Dienstplanaufstellung und der Zustimmung des Betriebsrats hierzu. Zur Flexibilisierung der Arbeitszeit regelt sie die Errichtung eines Arbeitszeitkontos und legt ua. Bedingungen für dessen Ausgleich fest (§ 3 BV Arbeitszeit), wobei sie die - der Verrechnung mit Freischichten nachrangige - Abgeltung von über die individuell geschuldete wöchentliche Arbeitszeit hinaus anfallenden und geleisteten Arbeitsstunden an die Zustimmung des Betriebsrats und das Einverständnis des Arbeitnehmers knüpft (§ 3 Abs. 2 Satz 3 BV Arbeitszeit). Angesichts dieser Bestimmungen ist die BV Arbeitszeit mit dem Wegfall des Betriebsrats - gerade im Hinblick auf die umstrittene Schichteinteilung bzw. Dienstplangestaltung und den Auszahlungszeitpunkt einer Mehrarbeitsvergütung - gegenstandslos. Die Beklagte vermag die BV Arbeitszeit gar nicht mehr anzuwenden, weil die an die Existenz des Betriebsrats als Gremium anknüpfenden Bestimmungen ins Leere gehen. Letztlich macht sie nunmehr von ihrem Direktionsrecht Gebrauch. Entsprechend wären bei einem Ausspruch der begehrten Feststellung die Rechte und Pflichten der Parteien nicht bereinigt oder einzelne Leistungsklagen vermieden. Vor allem bliebe ungeklärt, in welchem zeitlichen Umfang die Beklagte den Klägern Arbeit zuweisen darf oder muss und wann die Mehrarbeitsvergütung fällig wird. Die Entscheidung über den Feststellungsantrag der Beklagten liefe auf die Erstattung eines Rechtsgutachtens durch den Senat hinaus, ob eine gekündigte Betriebsvereinbarung in einem auf absehbare Zeit betriebsratslosen Betrieb weiter gilt.
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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 100 Abs. 1 ZPO. Die Trennung nach Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten ist aufgrund der unterschiedlichen Beteiligung der Revisionskläger am Revisionsverfahren geboten. Um den Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung zu wahren, sind die Kosten auch hinsichtlich des Klägers zu 2., welcher seine Revision zurückgenommen hat, zu verteilen (vgl. dazu auch BAG 26. Januar 2017 - 6 AZR 442/16 - Rn. 37, BAGE 158, 104).
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Schmidt
Treber
K. Schmidt
H. Schwitzer
Benrath
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Annotations
(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.
(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)
(1) Besteht der unterliegende Teil aus mehreren Personen, so haften sie für die Kostenerstattung nach Kopfteilen.
(2) Bei einer erheblichen Verschiedenheit der Beteiligung am Rechtsstreit kann nach dem Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.
(3) Hat ein Streitgenosse ein besonderes Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend gemacht, so haften die übrigen Streitgenossen nicht für die dadurch veranlassten Kosten.
(4) Werden mehrere Beklagte als Gesamtschuldner verurteilt, so haften sie auch für die Kostenerstattung, unbeschadet der Vorschrift des Absatzes 3, als Gesamtschuldner. Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, nach denen sich diese Haftung auf die im Absatz 3 bezeichneten Kosten erstreckt, bleiben unberührt.