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Auch wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung unter dem 31.05.2006 durch das Regierungspräsidium Stuttgart getroffen wurde, ist der Antrag zutreffend gegen die Antragsgegnerin gerichtet worden (vgl. Bader u.a., VwGO, 3. Aufl., Rn. 75).
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Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
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Im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine Interessenabwägung vorzunehmen zwischen dem privaten Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens der angegriffenen Verfügung keine Folge leisten zu müssen, und dem öffentlichen Interesse, diese sogleich vollziehen zu können. Dabei kommt jedenfalls im Falle einer - hier formell ordnungsgemäß begründeten - behördlichen Anordnung der Vollziehung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO den voraussichtlichen Erfolgsaussichten eine wesentliche, aber nicht allein ausschlaggebende Bedeutung zu.
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Nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verfügung der Antragsgegnerin vom 28.02.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.07.2006, mit der der Antragstellerin in ihren Geschäftsräumen in A. die weitere Ausübung der gewerblichen Tätigkeit „Veranstaltung von Oddset-Sportwetten“ untersagt (Ziffer 1), die nach der Begründung und insbesondere der Klarstellung in der Begründung des Widerspruchsbescheids die Vermittlung von Sportwetten beinhalten soll, und ohne Einräumung einer Frist ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000, -- EUR bzw. weitere Vollstreckungsmaßnahmen angedroht wird (Ziffer 2).
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Das Gericht geht mit der Antragsgegnerin und der, soweit ersichtlich, übereinstimmenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. etwa OVG Münster, B.v. 28.06.2006 - 4 B 961/06 - juris) davon aus, dass es sich bei den hier in Frage stehenden Wettveranstaltungen um Glücksspiele im Sinne des § 3 Abs. 1 Staatsvertrags zum Lotteriewesen in Deutschland vom 18.12.2003 (LottStV) handelt, weil selbst im Falle eines bei den Spielteilnehmern unterstellten einschlägigen Sachverstandes gleichwohl die Entscheidung über den Gewinn zumindest überwiegend vom Zufall abhängt, ganz abgesehen davon, dass dieser Sachverstand gar nicht bei allen Teilnehmern vorausgesetzt werden kann. Allerdings ist entgegen der Annahme der Antragsgegnerin die Antragstellerin nicht Veranstalter des Glücksspiels im Sinne der §§ 6 ff. LottStV. Sie ist lediglich Vermittlerin nach § 14 LottStV bzw. ermöglicht der Fa. O. GmbH die Vermittlung, indem sie dieser ihre Räume zur Verfügung stellt, und unterliegt, wie sich insbesondere auch aus § 14 Abs. 3 LottStV unschwer erschließt, anders als der Veranstalter keiner Erlaubnispflicht. Veranstalter ist vielmehr ausschließlich das in Malta niedergelassene Unternehmen, das über das Internet die einschlägigen Wettveranstaltungen anbietet. Veranstalter wäre der Antragsteller allenfalls dann, wenn die Spielinteressenten gegen ihn unmittelbar eigene Ansprüche erwerben würden (vgl. BGH, U.v. 18.01.1977 - 1 StR 643/76 - juris; Bahr, Glücks- und Gewinnspielrecht, 2005, S. 71 Rn. 287), was hier jedoch nicht der Fall ist. Unter der Voraussetzung, dass das Glücksspiel ohne die erforderliche Erlaubnis betrieben wird, würde die Antragsstellerin zumindest hierzu strafrechtlich relevante Beihilfe i.S.v. § 27 StGB leisten (vgl. OVG Münster aaO.).
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Der Veranstalter hingegen verfügt unstreitig nicht über die nach einfachem Gesetzesrecht erforderliche Erlaubnis, weshalb auf der Grundlage des Art. 12 Abs. 1 LottStV grundsätzlich auch gegen den Antragsteller eingeschritten werden kann. Soweit nach der damaligen Rechtslage die angegriffene Verfügung noch allein auf die §§ 1 und 3 bwPolG gestützt wurde, ist insoweit im Widerspruchsbescheid die erforderliche Korrektur erfolgt.
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Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings mit Urteil vom 28.03.2006 (1 BvR 1054/01 - GewA 2006, 199) zur Rechtslage im Freistaat Bayern festgestellt, dass ein staatliches Monopol für Sportwetten mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG nur vereinbar ist, wenn es konsequent am Ziel der Bekämpfung von Suchtgefahren ausgerichtet ist, und dass das in Bayern errichtete staatliche Wettmonopol in seiner gegenwärtigen gesetzlichen und tatsächlichen Ausgestaltung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit darstellt, weil die Vermeidung und Abwehr von Spielsucht und problematischen Spielverhalten nicht hinreichend gewährleistet ist. Gleiches gilt für die Rechtslage in Baden-Württemberg (BVerfG, Beschluss v. 04.07.2006 -1 BvR 138/05-). Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch nicht die Nichtigkeit der Rechtslage in Bayern festgestellt, sondern dem Bundes- oder Landesgesetzgeber eine Frist zur verfassungskonformen Neuregelung bis zum 31.12.2007 mit der Maßgabe eingeräumt, dass während der Übergangszeit die bisherige Rechtslage anwendbar bleibt und das gewerbliche Veranstalten von Wetten durch private Unternehmen und deren Vermittlung weiterhin als verboten angesehen werden darf. Allerdings müsse in der Übergangszeit damit begonnen werden, das bestehende Wettmonopol konsequent an einer Bekämpfung der Wettsucht und einer Begrenzung der Wettleidenschaft auszurichten. Bis zu einer Neuregelung seien eine Erweiterung des Angebots staatlicher Wettveranstaltungen sowie eine gezielt zum Wetten auffordernde Werbung untersagt. Für die weitergehende Prüfung der Vereinbarkeit des staatlichen Wettmonopols mit den Bestimmungen des europäischen Gemeinschaftsrechts hat sich das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich für nicht zuständig erklärt, inhaltlich aber ausgeführt, die Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts an die Rechtfertigung eines Staatsmonopols liefen den vom Europäischen Gerichtshof in dessen Urteil vom 06.11.2003 - C-243/01 - (-Gambelli-, GewA 2004, 30) formulierten Vorgaben parallel.
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Die Kammer hat im Beschluss vom 17.07.2006 (4 K 2657/06) mit Rücksicht auf den Internetauftritt der „Staatlichen Toto-Lotto GmbH Baden-Württemberg“ vom gleichen Tag die Auffassung vertreten, dass diese Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nach wie vor nicht eingehalten werden. Denn dieser ging weit über eine bloße Information über hohe Gewinnmöglichkeiten und die tatsächlich erzielten Gewinne hinaus. Bemerkenswerterweise wurde dieser Internetauftritt bereits wenige Tage nach Bekannt werden des Beschlusses in signifikanter Weise verändert und gewissermaßen „neutralisiert“. Die Kammer geht daher davon aus, dass die gegenwärtige Praxis in Baden-Württemberg diesen Vorgaben (noch) nicht entspricht (a.A. aber VGH Baden-Württemberg, B.v. 28.07.2006 - 6 S 1987/05). Zu Zweifeln bietet hier zunächst die Praxis der staatlichen Süddeutschen Klassenlotterie (SKL) Anlass, durch aggressive Telefonwerbung Lose an potentielle Lottospieler zu verkaufen (Süddeutsche Zeitung, 15.09.2006). Zum anderen sind bislang keinerlei Maßnahmen (außer der Schließung von 30 Annahmestellen, wie die Antragsgegnerin vorträgt) erkennbar, die vom BVerfG ausdrücklich kritisierten Vertriebswege zu beschränken. Es wird lediglich innerhalb der bestehenden Vertriebswege auf die Suchtgefahr hingewiesen. Das Angebot wird somit nur nicht ausgeweitet, aber auch nicht eingeschränkt, obwohl der Zugang zu den Annahmestellen der staatlichen Toto-Lotto-GmbH für Jugendliche durch keinerlei Barriere erschwert wird, weil diese Annahmestellen sich in der Regel in Zeitschriftenläden befinden (vgl. dazu VG Karlsruhe, Beschl. v. 09.08.2006 - 2 K 500/05 - ). Gleiches gilt für den Vertrieb über das Internetportal der Toto-Lotto-GmbH.
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Erst recht bestehen aus Gründen des Gemeinschaftsrechts durchgreifende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung, die deren sofortige Durchsetzung nicht rechtfertigen. Die Kammer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die vom BVerfG getroffene Übergangsregelung keine Verbindlichkeit für das Gemeinschaftsrecht hat und beanspruchen kann.
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Die Kammer hat hierzu im Beschluss vom 17.07.2006 folgendes ausgeführt:
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„Auch gemeinschaftsrechtlich bestehen nach Auffassung der Kammer aus den gleichen Gründen erhebliche Bedenken, dass der Erlaubnisvorbehalt oder gar eine Monopolisierung unter Berücksichtigung der Vorgaben des EuGH in seinem Urteil vom 06.11.2003 (C-243/01 - Gambelli) Bestand haben kann, wenn man zutreffend mit dem Bundesverfassungsgericht von einer Parallelität des verfassungsrechtlichen und gemeinschaftsrechtlichen Prüfungsmaßstabs ausgeht.
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Allerdings teilt die Kammer nicht die unter Berufung auf den Schlussantrag des Generalanwalts vom 16.05.2006 (C-338/04 u.a. Ziffer 128 ff.) geäußerte Auffassung des Antragstellers, dass die den Veranstaltern in Großbritannien und Österreich erteilten Konzessionen grenzüberschreitend auch für das Bundesgebiet Geltung beanspruchen würden und der Schaffung eines nationalen Erlaubniserfordernisses entgegenstünden. Dies mag vielleicht für eine Prüfung der allgemeinen Anforderungen an die erforderliche gewerberechtliche Zuverlässigkeit der Fall sein, was aber dahin stehen kann. Würde solches auch in Bezug auf eine nationale Politik der Suchtbekämpfung nach Maßgabe der Anforderungen der „Gambelli-Entscheidung“ gelten, so wäre diese Entscheidung in jeder Hinsicht obsolet, was aber nicht angenommen werden kann, weil der EuGH in dieser Entscheidung von einer jeweils existierenden Konzessionierung in einem Mitgliedstaat ausgegangen sein muss und gleichwohl unter allerdings engen Voraussetzungen nationale Vorbehalte und Sonderwege nach Maßgabe nationalen Verfahrensrechts zugelassen hatte.
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Bedenken ergeben sich aber unter einem anderen gemeinschaftsrechtlichen Aspekt. Unbestreitbar erfüllen die gegenwärtige Rechtslage in der Bundesrepublik wie auch der Gesetzesvollzug nicht die vom EuGH aufgestellten Anforderungen mit der Folge, dass grundsätzlich die hier in Rede stehenden nationalen Regelungen wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts keine Anwendung finden können. Es kann dahinstehen, unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen unter Umständen dieser Anwendungsvorrang - etwa parallel zu den Übergangsbestimmungen des Bundesverfassungsgerichts - zeitlich und vorübergehend zurücktreten kann bzw. muss. Diese Frage ist nicht abschließend geklärt und u.a. Gegenstand eines weiteren Vorlageverfahrens (vgl. den Schlussantrag der Generalanwältin in der Rs. C-475/03 v. 14.03.2006 Ziffer 146 ff.). Es spricht in diesem Zusammenhang aber einiges dafür, dass derartige Übergangsregelungen - nicht anders als im Falle des Bundesverfassungsgerichts - nur vom EuGH getroffen werden können. Aber selbst wenn man hier anderer Auffassung sein wollte, so müssen derartige vorübergehend von nationalen Organen festgelegte Fälle der Nichtanwendung des Gemeinschaftsrechts absoluten Ausnahmecharakter haben (vgl. hierzu im Ausgangspunkt OVG Münster, B.v. 28.06.2006; vgl. auch Schlussantrag vom 14.03.2006 Ziffer 153 zu den Voraussetzungen einer zeitlichen Limitierung durch den EuGH selbst). Anders als das OVG Münster im Beschluss vom 28.06.2006 sieht die Kammer die Voraussetzungen für einen solchen Ausnahmefall als nicht gegeben an, zumal dann, wenn, wie gezeigt, weiter in unzulässiger und unvertretbarer Weise geworben wird. Denn es darf nicht übersehen werden, dass in der jüngsten Vergangenheit immerhin über längere Zeit der aktuelle Zustand unter aktiver Beteiligung der in staatlicher Regie betriebenen Monopolunternehmen hingenommen wurde, ohne dass es, soweit ersichtlich, zu völlig unzuträglichen Verhältnissen gekommen wäre, die eine schwere Beeinträchtigung des Allgemeinwohls zur Folge gehabt hätten und weiter hätten, wenn die ohnehin anstehende Entscheidung des Gesetzgebers zu einer Neuordnung des Glückspiel- und Lotteriewesens abgewartet würde.“
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Auch die 18. Kammer des erkennenden Gerichts hat hierzu in diesem Sinne ausgeführt (Beschluss vom 27.07.2006 - 18 K 2636/06):
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„Den EG-Rechtsnormen kommt gegenüber gültigem nationalen Recht Anwendungsvorrang zu, wobei als gültiges nationales Recht vorliegend auch das vom Bundesverfassungsgericht definierte Übergangsrecht anzusehen ist. Vorrangiges EG-Recht führt zwar nicht zur Nichtigkeit entgegenstehender nationaler Bestimmungen, zwingt aber Gerichte und Verwaltungsbehörden dazu, sie insoweit nicht anzuwenden, als der Konflikt mit EG-Recht auftritt. Einer vorherigen Beseitigung dieser Bestimmungen auf gesetzgeberischem Wege oder durch ein irgendwie geartetes verfassungsrechtliches Verfahren bedarf es nicht (vgl. EuGH, Urteil vom 09.03.1978 - Rs 106/77 -, Slg. 1978, I - 629; Jarass/Belijin, Die Bedeutung von Vorrang und Durchführung des EG-Rechts für die nationale Rechtssetzung und Rechtsanwendung, NVwZ 2004, 1 ff., m.w.N.; Kopp/Schenke, a.a.O., Rdnr. 163). Anders als § 95 Abs. 3 BVerfGG in der durch die Rechtsprechung des BVerfG vorgenommenen Auslegung kennt das Gemeinschaftsrecht keine Übergangsregelung in dem Sinne, dass eine an sich verfassungswidrige Norm für einen Übergangszeitraum weiterhin Geltung hat. Andererseits hat der Europäische Gerichtshof schon verschiedentlich entsprechende Übergangsregelungen getroffen (vgl. z.B. Urteil vom 30.05.2006 - C-317/04 und C-318/04 - sowie die zusammenfassende Darstellung im Schlussantrag der Generalanwältin vom 14.03.2006, Nr. 130 ff, im Verfahren C-475/03, in dem es um die Frage geht, unter welchen Umständen und wie die Wirkungen einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs zeitlich beschränkt werden können). Die Kammer hat aber erhebliche Bedenken dagegen, dass Gerichte der Mitgliedsstaaten Voraussetzungen und Dauer einer europarechtlichen Übergangsregelung jeweils - und möglicherweise unterschiedlich - im Einzelfall festlegen (ebenso die 4. Kammer des beschließenden Gerichts im Beschluss vom 17.07.2006; VG Arnsberg, Beschluss vom 23.05.2006 - 1 L 384/06 -; VG Minden, Beschluss vom 26.06.2006 - 3 L 249/06 -; vgl. auch den zitierten Schlussantrag der Generalanwältin vom 14.03.2006 - C-475/03 -, Nr. 150, der fordert, dass der EuGH jede Entscheidung über die Beschränkung der zeitlichen Wirkung eines seiner Urteile als Einzelfallentscheidung in Ansehung der jeweiligen Umstände zu treffen habe). Soweit ersichtlich hat der Europäische Gerichtshof bisher Übergangsregelungen auch stets selbst getroffen bzw. die Beteiligten darauf hingewiesen, wie sie ihre für eine Übergangsregelung vorgetragenen Interessen auf andere Weise ausreichend geltend machen können (vgl. Jarass/Belijin, a.a.O., Seite 5, und die dort unter Fußnote 60 genannten Entscheidungen). Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen im Beschluss vom 28.06.2006 - 4 B 961/06 - (ihm folgend auch VG Freiburg, a.a.O.), auch im Hinblick auf den Verstoß gegen europarechtliche Vorschriften sei eine Übergangsregelung nach denselben zeitlichen wie materiellen Maßstäben angezeigt, wie sie das Bundesverfassungsgericht unter dem Gesichtspunkt des Art. 12 Abs. 1 GG angenommen habe, überzeugt deshalb nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat sich ausdrücklich nicht mit dem Gewicht der Interessen der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit befasst und insofern auch nicht geprüft, ob die für eine unterstellt zulässige Übergangsregelung erforderliche schwerwiegende Gefahr (vgl. den Schlussantrag der Generalanwältin vom 14.03.2006, aaO, Nr. 153) in einer den Anforderungen des EuGH-Urteils vom 13.11.2003 - C-42/02 - (-Lindman-, Slg. 2003, I-13519) genügenden Weise dargelegt worden ist. In dieser Entscheidung hat der Europäische Gerichtshof darauf hingewiesen, dass die von einem Mitgliedstaat für die Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit geltend gemachten Rechtfertigungsgründe (Gegenstand war die steuerliche Benachteiligung finnischer Steuerpflichtiger bei der Teilnahme an einer in einem anderen Mitgliedsstaat stattfindenden Lotterie) von einer Untersuchung zur Zweckmäßigkeit und zur Verhältnismäßigkeit der von diesem Staat erlassenen beschränkenden Maßnahme begleitet werden müssen. Nach dem vom Finanzministerium Baden-Württemberg am 07.04.2006 vorgestellten Maßnahmenkatalog (Pressemitteilung Nr. 42/2006) ist erst vorgesehen, einer Forschungseinrichtung den Auftrag zu erteilen, sich dezidiert mit dem Suchtpotential der einzelnen Spielangebote, der Werbung und der Vertriebswege zu befassen.“
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Hieran hält die Kammer auch in Ansehung der Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg im Beschluss vom 28.07.2006 fest. Denn nach Auffassung der Kammer vermag eine Verwaltungspraxis, die zudem zum Teil auch lediglich auf Absichtserklärungen beruht und demgemäß noch im Werden begriffen ist, keine gemeinschaftsrechtlich verbindliche Rechtslage zu schaffen, die geeignet ist, in rechtsstaatlich vertretbarer Weise die Vorgaben des primären Gemeinschaftsrechts umzusetzen und dieses zu begrenzen. Es fehlt - auch aus der Sicht der Betroffenen - an einem klaren und ohne weiteres durchschaubaren Regelwerk, das zu einem eindeutigen und zweifelsfreien Bild führen kann. Dies wird nicht zuletzt deutlich aus den Vorgängen um den ursprünglichen nach Auffassung der Kammer zweifelsfrei den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht genügenden oben angesprochenen Internetauftritt der „Staatlichen Toto-Lotto GmbH Baden-Württemberg“ vom 17.07.2006, der erkennbar von dem Bestreben geleitet war, an der bisherigen Praxis möglichst wenig zu ändern und gewissermaßen „hinhaltenden“ Widerstand zu leisten. Es kann in diesem Zusammenhang nicht Aufgabe der Betroffenen sein, die Verwaltungspraxis laufend zu kontrollieren und - namentlich wenn sie infolge des Sofortvollzugs nicht mehr als Gewerbebetriebe existieren - durch Abänderungsanträge nach § 80 Abs. 7 VwGO auf etwaige festgestellte Defizite zu reagieren (so aber wohl VGH Baden-Württemberg, B.v. 28.07.2006). Es kommt hinzu, dass das Wettmonopol in Deutschland Gegenstand eines im April 2006 von der EG-Kommission wegen Verstoßes gegen die Dienstleistungsfreiheit eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens ist, wie jetzt bekannt wurde (Süddeutsche Zeitung, 14.09.2006).
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Gegen die Zubilligung einer gemeinschaftsrechtlichen Übergangsfrist spricht - abgesehen von der nicht ersichtlichen schweren Gefährdung eines wichtigen Rechtsguts (vgl. hierzu die oben wieder gegebenen Ausführungen der Kammer im Beschluss vom 17.07.2006) - auch der Umstand, dass seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 06.11.2003 unmissverständlich die gemeinschaftsrechtlichen verbindlichen Vorgaben formuliert waren und von diesem Zeitpunkt an bei einer sachgerechten und sorgfältigen Behandlung des Themas jeder Anlass bestand, unverzüglich die Gesetzeslage entsprechend anzupassen und nicht im Gegenteil die Tätigkeiten der staatlichen Monopole weiter auszubauen und zu intensivieren. Vor diesem Hintergrund bestand somit bei genauerer Betrachtung bereits eine Übergangszeit von über 2 ½ Jahren, die nicht genutzt wurde.
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Was schließlich die in der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung im Wesentlichen allein angeführte Strafbarkeit des Verhaltens des Antragstellers betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass eine solche von den vorgenannten Bedenken abgesehen auch nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand durchaus zweifelhaft erscheint. Unter Bezugnahme auf die diesbezüglichen Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs im Urteil vom 06.11.2003 hat das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 27.04.2005 (1 BvR 223/05) darauf hingewiesen, dass sich auch die Frage stelle, ob eine Strafbewehrung nicht eine unverhältnismäßige und damit gemeinschaftswidrige Maßnahme darstelle, selbst wenn ein Beschränkung ansonsten gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstanden wäre, was ggf. erneut im Rahmen einer Vorlage zu klären sei (vgl. hierzu die erneuten Vorlagen italienischer Strafgerichte und hierzu die Schlussanträge des Generalanwalts Colomer C-338/04 u.a.). Zudem hat das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 28.03.2006 auch ausdrücklich die Frage einer Strafbarkeit während der Übergangszeit der alleinigen Beurteilung durch die Strafgerichte überantwortet.
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Unter Berücksichtigung dessen und vor diesem Hintergrund muss bei zumindest offenen Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren auch die Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers ausgehen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass dem Gesetzgeber verschiedene rechtlich gleichermaßen zulässige Optionen zur Beseitigung des verfassungs- und gemeinschaftswidrigen Zustands offen stehen, wozu auch eine der Rechtslage in anderen Mitgliedstaaten vergleichbare weitergehende Liberalisierung des Lotteriewesens zählt. Denn aus vielfältigen in der Tagespresse wiedergegebenen Äußerungen vom Verbandsvertretern wie auch Politikern kann nur der Schluss gezogen werden, dass diese letztere Option nach wie vor im politischen Prozess relevant ist und Gewicht hat.
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Ist hiernach die Grundverfügung nicht mehr vollziehbar, so kann auch die Vollziehung der unselbstständigen Zwangsmittelandrohung keinen Bestand haben. Die Kammer kann daher die Frage offen lassen, ob der Antragstellerin zu Recht keine Abwicklungsfrist eingeräumt worden ist.
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