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1.
Aus den Gründen zu den persönlichen Verhältnissen des Beamten:
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Der Beamte war im Zeitpunkt der Begehung des Dienstvergehens als Obersekretär im Justizvollzugsdienst der Justizvollzugsanstalt X tätig.
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Der Beamte ist verheiratet und hat drei Kinder ...
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Der Beamte ist disziplinarisch nicht vorbelastet. Ein Disziplinarverfahren wurde mit Verfügung vom ... eingestellt.
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2. Am 01.01.2003 gegen 11.30 Uhr kam es im Flurbereich des 1. Obergeschosses der JVA vor dem Haftraum 108 zu einem Vorfall, in dessen Verlauf der Beamte den Untersuchungsgefangenen V mit einem Faustschlag auf das Gesicht zu Boden schlug. Durch den Faustschlag erlitt der Untersuchungsgefangene ein Hämatom am rechten Auge. Der Beamte erlitt eine Mittelhandfraktur der linken Hand. Wegen dieser Tat wurde der Beamte wegen Körperverletzung im Amt verurteilt (siehe unten).
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In ihrer ersten Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft vom 10. Januar 2003 ging die Justizvollzugsanstalt davon aus, dass der Beamte in Notwehr gehandelt habe. Gegen den Untersuchungsgefangenen V wurden Disziplinarmaßnahmen eingeleitet. Zu dieser Bewertung des Geschehens gelangte die Justizvollzugsanstalt aufgrund der Aussagen des Beamten, des Hauptsekretärs im Justizvollzugsdienst D, der Obersekretäranwärterin R sowie der Angaben der Untersuchungsgefangenen M und N, die als Reiniger und Essensausgeber in der Justizvollzugsanstalt eingesetzt waren.
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Bei einer Vernehmung durch die Polizeidirektion am 22.01.2003 revidierte die Obersekretäranwärterin R, die die Angaben des Beamten zunächst bestätigt hatte, ihre zuvor gemachten Aussagen in wesentlichen Punkten und belastete den Beamten. Hauptsekretär im Justizvollzugsdienst D; der den Beamten durch seine ersten Angaben entlastet hatte, widerrief diese in seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Polizeidirektion am 23.01.2003 in wesentlichen Punkten. Nach der Änderung der Aussagen geriet der Beamte in den Verdacht, gegenüber dem Untersuchungsgefangenen V nicht in Notwehr gehandelt, sondern eine Straftat zu dessen Lasten begangen zu haben.
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3. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt leitete am 23.01.2003 Vorermittlungen gemäß § 27 Landesdisziplinarordnung - LDO - ein. Der Beamte sei hinreichend verdächtig, den Untersuchungsgefangenen V ohne rechtfertigenden Grund körperlich angegriffenen und verletzt zu haben. Darüber hinaus habe er gegen den verletzten V fälschlicherweise Strafanzeige erstattet. Im Hinblick auf das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen den Beamten setzte der Leiter der Justizvollzugsanstalt das Disziplinarverfahren aus.
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Mit Schreiben vom 06.02.2003 teilte das Justizministerium Baden-Württemberg dem Beamten mit, dass gegen ihn der dringende Verdacht der Begehung eines Dienstvergehens bestehe. Es sei beabsichtigt, ein förmliches Disziplinarverfahren mit dem Ziel der Entfernung aus dem Dienst einzuleiten sowie den Beamten vorläufig des Dienstes zu entheben und einen Teil seiner Besoldungsbezüge einzubehalten. Dem Beamten wurde Gelegenheit gegeben, schriftlich oder mündlich Stellung zu nehmen. Daneben wurde er aufgefordert, zu einem Personalgespräch zu erscheinen. Dieses fand am 26.02.2003 statt.
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Mit Verfügung vom 04.03.2003 wurde gegen den Beamten das förmliche Disziplinarverfahren eingeleitet und die Durchführung einer Untersuchung angeordnet. Das förmliche Disziplinarverfahren wurde bis zum rechtskräftigen Abschluss des gegen den Beamten bei der Staatsanwaltschaft geführten Ermittlungsverfahren bzw. des Strafverfahrens ausgesetzt.
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4. Durch dieselbe Verfügung ordnete das Justizministerium Baden-Württemberg gemäß § 89 LDO die vorläufige Dienstenthebung des Beamten an. Daneben wurde der Beamte zur Einbehaltung der Dienstbezüge nach § 90 LDO angehört. Eine Minderung der Dienstbezüge erfolgte aber nicht. Die vorläufige Dienstenthebung wurde von der Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Sigmaringen mit Beschluss vom 31.07.2003 - DL 10 K 3/03 - aufrecht erhalten. Die Beschwerde des Beamten wurde vom VGH Baden-Württemberg mit Beschluss vom 29.12.2003 - DL 17 S 15/03 - zurückgewiesen.
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5. a) Die Staatsanwaltschaft erhob gegen den Beamten mit Anklageschrift vom 26.03.2003 Anklage wegen Körperverletzung im Amt (§ 340 StGB). Das Amtsgericht - Schöffengericht - verurteilte den Beamten durch Urteil vom 21.08.2003 wegen Körperverletzung im Amt zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten mit Bewährung. Auf die Berufung des Klägers hob das Landgericht (1. Kleine Strafkammer) das Urteil des Amtsgerichts durch Urteil vom 21.01.2004 im Rechtsfolgeausspruch auf und verurteilte den Beamten zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 30,00 EUR. Die weitergehende Berufung des Beamten wurde verworfen. Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft Revision ein. Das Oberlandesgericht hob das Urteil des Landgerichts (1. Kleine Strafkammer) vom 21.01.2004 durch Urteil vom 24.05.2004 im Strafausspruch auf, hielt die zugehörigen Feststellungen aufrecht und verwies die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Berufungsstrafkammer des Landgerichts zurück.
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b) Das Landgericht (2. Kleine Strafkammer) verurteilte den Beamten mit Urteil vom 19.10.2004 (..), rechtskräftig seit 14.12.2004, zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten wegen Körperverletzung im Amt (§ 340 Abs. 1 Satz 1, § 56 StGB). In seinem Urteil führte das Landgericht aus, die tatsächlichen Feststellungen aus dem Urteil des Landgerichts (1. Kleine Strafkammer) vom 21.01.2004 seien aufgrund des Urteils des Oberlandesgerichts vom 24.05.2004 bindend geworden. Durch die rechtskräftige Feststellung des Schuldspruchs stehe fest, dass sich der Beamte eines Vergehens der Körperverletzung im Amt gemäß § 340 Abs. 1 StGB schuldig gemacht habe. Bei der Bemessung der neuen Strafe sei deshalb von folgenden Feststellungen der 1. Kleinen Strafkammer des Landgerichts auszugehen. Diese haben, soweit sie den Beamten betreffen, den folgenden Wortlaut:
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„Der Beamte hatte am 01.01.2003 ab 7:00 Uhr Dienst in der Justizvollzugsanstalt . Er war gegen 1:30 Uhr ins Bett gegangen und um 6:00 Uhr aufgestanden. Der Beamte war an diesem Tag im ersten Obergeschoss der Untersuchungshaftanstalt, R im Erdgeschoss und D im zweiten Stock eingeteilt. Am Hofgang, der zwischen 9:30 Uhr und 10:30 Uhr stattfand, nahmen unter anderem V und Y teil. Als sie nach dem Hofgang in ihre Zelle 108 im ersten Stock zurückkehrten, V war der letzte, der zum Hofgang ging und der letzte, der vom Hofgang zurückkehrte, schloss die sich seit 01.10.2002 in Ausbildung befindliche Zeugin R die Zellentür hinter V heftig zu, so dass ein gewisser Lärm entstand. Dadurch erwachte der ebenfalls in der Zelle 108 untergebrachte Häftling Q. Q packte V am Kragen und machte ihm Vorhaltungen. V rechtfertigte sich, indem er Q darauf hinwies, nicht er, sondern die Beamtin R habe die Türe laut zugeschlagen. Dies genügte Q, der erwiderte: ok, dann werde ich mit der Beamtin R sprechen. Gegen ca. 11:30 Uhr erfolgte die Essensausgabe für die Insassen der Zelle 108 im ersten Stock. R schloss die Zelle 108 auf. Ihr folgten die Reiniger M und N mit dem Essenwagen. Hinter dem Essenwagen ging der Beamte, um nach der Essensausgabe die Zellentüre zu verschließen. Als R die Zellentür 108 aufgeschlossen hatte, traten die Gefangenen V, Q und Y vor die Zelle. V und Q machten R lautstark, möglicherweise gleichzeitig, Vorhaltungen wegen des vorhergehenden zu lauten Türzuschlagens. Sie warfen ihr vor, sie seien keine Tiere und hätten auch Rechte. R, ..., die V und Q nicht verstand, bat diese, leise und deutlicher zu sprechen. V ließ sich nicht beruhigen, sondern erklärte nach wie vor lautstark „das ist nicht menschlich, wo leben wir“. R schaute den Beamten hilfesuchend an. Der Beamte bat V, sich zu beruhigen und die Zelle zu gehen, der Vorfall werde später in Ruhe geklärt werden, worauf V zu dem Beamten gewandt immer nervöser werdend schrie „was wollen sie von mir, sie sind deutscher Beamter, sie können mir sowieso nichts machen, sie sind deutscher Beamter, sie sind Deutsche“. Danach ging V mit seinem Essen in die Zelle zurück. In der Zelle stellte er sein Essen auf den Tisch und legte sich hin. Er war nach wie vor aufgeregt, nervös und aggressiv. Nachdem der Beamte die Zelle geschlossen hatte, wurde zunächst das Essen auf den weiteren Zellen Richtung Nr. 102 verteilt. Als R, die Reiniger M und N sowie der Beamte wieder an der Zelle 108 vorbeikamen, bat der Beamte die R, das Essen wegzubringen. R ging daher hinter den Reinigern M und N , die den Essenwagen schoben, weiter. Sie ging an der Zelle 108 ca. zwei Meter geradeaus und dann nach links über eine ca. 2,40 m breite Glasflügeltüre, deren rechte Hälfte stets offen steht, zur Küche. Gegenüber dieser Glasflügeltür liegt das ca. 2,50 breite Stockwerkbüro 109, das unmittelbar an die Zelle 108 angrenzt. Nach der ersten Glasflügeltür schließt sich nach ca. 3,50 m eine weitere Glastür an, deren rechte Hälfte ebenfalls offen stand. Nach dieser zweiten Glastür befindet sich rechts die Küche und links der Aufzug, durch den die Essensbehälter ins Erdgeschoss transportiert werden.
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Der Beamte hatte sich, als er R aufforderte, das Essen wegzubringen, entschlossen, mit V zu sprechen und die Situation zu klären. Er wusste zu diesem Zeitpunkt, dass sich sein Kollege D im Stockwerksbüro 109 befand. Diesem hatte er unmittelbar zuvor erklärt, er möge dort auf ihn warten, er habe noch etwas auf der Zelle 108 zu erledigen. Der Abstand zwischen der Zellentür 108 und der Tür zum Stockwerksbüro 109 beträgt ca. 2,50 m. In der Absicht, die Situation zu klären, schloss der Beamte etwa zehn Minuten nach der auf Zelle 108 erfolgten Essensausgabe die Zelle Nr. 108 auf. Er forderte V auf, aus der Zelle herauszutreten. Q, der mit ihm sprechen wollte, wies er zurück. Er wolle nur mit V sprechen, dieser möge aus der Zelle heraustreten. V, der vor dem Aufschließen der Zellentüre noch immer in seinem Bett lag, stand auf und trat „normal“ auf den 2 m breiten Gang heraus. Der Beamte schloss die Zellentür und fragte V „was willst du eigentlich, was bezweckst du“. V schrie „was willst du von mir, ich bin in Deutschland, ich bin kein Tier, ich habe Rechte“. Der Beamte bat V, sich zu beruhigen. Beide schrieen, wobei der Inhalt nicht geklärt werden konnte. V trat in Richtung des Stockwerksbüros Nr. 109 zurück. Beide standen sich schreiend gegenüber, V mit dem Rücken in Richtung Stockwerksbüro 109. Der Beamte bat V nochmals, sich zu beruhigen. V bedrohte nun den Beamten mit den Worten „du hast Familie und Kinder, was willst du von mir, ich bringe deine Familie, deine Kinder, um“. Als dies V äußerte, näherte sich der Beamte ihm, so dass beide sehr eng beieinander standen. Der Beamte äußerte, „es reicht mir“. V hielt seine Arme, als sich ihm der Beamte näherte, vor die Brust. Er beabsichtigte nicht, gegenüber dem Beamten tätig zu werden. Er hatte seine Arme nur nach oben, nicht aber in Richtung des Beamten gerichtet. Ihm war bewusst, dass er aufgrund seiner körperlich schmächtigen Konstitution dem weitaus kräftigeren Beamten körperlich unterlegen ist, D n unmittelbarer Nähe steht und dass er bereits bei einem Versuch, gegenüber einem Bediensteten tätlich zu werden, mit erheblichen Sanktionen zu rechnen hat. Das alles war auch dem Beamten bekannt. Nicht weil er sich körperlich angegriffen fühlte, sondern weil er sich über die Äußerung von V und dessen „unbotmäßiges Verhalten“ ärgerte, entschloss er sich spontan, V dafür unmittelbar zu bestrafen. Der Beamte war wütend, erfasste aber vollständig die Situation. Er hatte keine Angst vor V. Er wusste, dass dieser ihm körperlich unterlegen war und sich auch in seiner Erregung nicht traut, über die verbalen Attacken hinauszugehen und ihn anzugreifen. Er wusste auch, dass eine unmittelbare Gefahr für ihn, seine Familie und seine Kinder nicht bestand, er diese jedenfalls nicht durch eine „sofortige körperliche Reaktion“ gegen V abwenden konnte und eine Disziplinierung von V auch durch eine später von ihm zu fertigende Meldung möglich ist. Das Verhalten von V hatte ihn aufgebracht. Er war verärgert und aufgrund der Bedrohung seiner Familie tief getroffen. Deshalb und nicht weil er einen körperlichen Angriff von V befürchtete oder von V verängstigt war, schupste er V unmittelbar nach dessen Äußerung weg, wich zurück und schlug wieder auf V zugehend mit einer Links-rechts-Kombination auf Ahmet V ein. Dabei war ihm bewusst, dass ihm in der konkreten Situation Möglichkeiten zur Deeskalation zur Verfügung standen. Er hätte V auffordern können, wieder in die Zelle zurückzugehen oder in das Stockwerksbüro 109 zu gehen, wo sich D. aufhielt. Er hätte auch D zur Hilfe rufen können. Von diesen Möglichkeiten zur Deeskalation, die ihm trotz seiner Verärgerung bewusst waren, sah er jedoch ab, um V, von der er wusste, dass er durch das Amtsgericht - Schöffengericht - G am 27.11.2002 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, jeweils tateinheitlich begangen mit sexuellem Missbrauchs von Schutzbefohlenen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt worden war (die von V eingelegte Berufung hat die Strafkammer mit Urteil vom 26.02.2003 mit der Maßgabe verworfen, dass zudem die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet wird, das Urteil ist seit dem 06.03.2003 rechtskräftig), zu bestrafen. Deshalb schupste er V von sich weg, beließ es nicht dabei, sondern versetzte ihm mit der linken Faust einen Faustschlag auf das rechte Auge, wodurch V an der Tür des Stockwerksbüro 109 vorbeiflog und zu Boden stürzte. Der zweite Schlag mit rechts traf V nicht mehr, da er schon zu Boden fiel. V lag mit dem Kopf in Richtung Stockwerksbüro 109 und mit den Füßen in Richtung Raum 110 (der Raum 110 grenzt an den Glastürenbereich an). D, der seit der Aufforderung durch den Beamten an V, er möge aus der Zelle 108 heraustreten, in dem ca. 0,40 m tiefen Türrahmen des Stockwerksbüros stand und den Vorgang beobachtet hatte, rief zu dem Beamten gewandt „was hast du für einen Blödsinn gemacht“. V war kurz bewusstlos. Als er darauf wieder zu sich kam, wiederholte er seine Drohungen gegenüber den Beamten, er werde seine Familie umbringen. Dies wiederholte er mehrfach, auch als die Vollzugsbeamten ... vor Ort erschienen waren. Der Beamte war über sein Tun erschrocken. Als V wieder zu sich kam, erklärte er ihm, er möge in seine Zelle gehen, sonst komme er in den Bunker. V bat um einen Arzt. Er wurde anschließend vom Anstaltsarzt der Justizvollzugsanstalt ... behandelt. Nachdem er kurz darauf wieder in die Zelle 108 gebracht wurde, wurde V in der Zelle 108 bewusstlos. Er wurde deshalb ins Krankenhaus verbracht, konnte aber noch am gleichen Tag entlassen werden. Durch den Faustschlag auf das rechte Auge erlitt V eine Halswirbelsäulendistorsion sowie ein Monokelhämatom rechts. Sein Auge war für ca. zwei Tage zugeschwollen. Er hatte zwei Wochen Beschwerden. Der Beamte seinerseits brach sich durch den Faustschlag den Mittelhandknochen der linken Hand am Ringfinger, weshalb er ... bis ... Wochen krankgeschrieben war.
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Nach dem Vorfall berichtete V seinem Zellengenossen Q, dass ihm der Beamte einen Faustschlag versetzt habe. Auch auf Vorhalt von Q, dass er mehrere Schläge bekommen habe, blieb V dabei, nur einmal mit der Faust geschlagen worden zu sein.
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Der Angeklagte kam mit R überein, den Sachverhalt in einer dienstlichen Äußerung so darzustellen, dass sein Verhalten als Reaktion auf ein Angriffsverhalten von V erscheine. In diese Absprachen sollten später auch die ehemaligen Mitangeklagten M und N einbezogen werden.
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In Ausführung dieses Entschlusses verfasste der Angeklagte in der Folgezeit, noch vor seinem Dienstende am 01.01.2003 um 14:30 Uhr, unter Mithilfe von R eine dienstliche Meldung, welche folgenden Inhalt hatte:
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...
Betrifft: V ...
Hier: Auseinandersetzung mit dem oben genannten Gefangenen
Meldung
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Am 01.01.2003 bei der Essensausgabe auf der Zelle 108 U-Haftgebäude um ca. 11:30 Uhr gab ich mit der Kollegin R das Essen aus. Die Kollegin öffnete die Zelle 108 und der oben genannte Gefangene griff verbal und massiv die Kollegin an, mit den Worten „wir sind keine Tiere, wir haben auch Rechte. Wieso schlägst du die Tür so laut zu“. Da meine Kollegin ihn nicht verstand, trat sie zwei Schritte zurück und sagte: „schreien sie mich nicht so an, sprechen sie leiser und deutlich, ich verstehe sie nicht“. Daraufhin wurde er immer lauter und aggressiver. Ich sagte, er solle sich in die Zelle begeben und sich beruhigen. Er schrie mich mit den Worten an: „was willst du mir machen“, legte sein Essen auf den Boden und bedrohte mich mit der Faust, daraufhin schloss ich die Zellentür. Da meine Kollegin aufgrund der massiven Drohungen Angst hatte, das Abendessen auszugeben, sagte ich dann zu ihr, dass wir zuerst das Mittagessen ausgeben und uns dann in Ruhe über den Vorfall unterhalten. Nach Ausgabe wollte ich den Haftraum 108 öffnen, um ein klärendes Gespräch zu führen und um die Situation zu deeskalieren, da flog mir die Tür schon entgegen. Es gab einen kräftigen Stoß, so dass ich zurückwich. Meine Kollegin schlug die Tür zu, ich sah nur noch das Gesicht und die Faust auf mich zukommen. Mir blieb nichts anderes übrig als mich aus der Situation zu befreien, indem ich seine Hand von mir abwehrte. Dabei traf ich sein Gesicht, worauf der i.a. Gefangene zu Boden ging. Durch lautes Geschrei kamen Kollegen zur Hilfe. Der Arzt wurde sofort benachrichtigt. Der oben genannte Gefangene drohten mit den Worten: „ich müsse jetzt auf mein Leben und das meiner Familie aufpassen, da er draußen gute Freunde hätte“. Über die Telefonanlage drohte mir der Gefangene Q, dass er ein Messer hat und ich von nun an aufpassen muss.
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In der ursprünglich vom Beamten und R gefertigten Meldung war das Wort „deeskalieren“ noch nicht enthalten. Das fügte der Zeuge K, dem der Beamte die von ihm gefertigte Meldung zeigte, hinzu.
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Aufgrund der Angaben des Beamten wurde gegen V eine Woche Arrest und eine Einkaufssperre festgesetzt.
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Aufgrund der Angaben des verletzten V wurde ein Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft eingeleitet. Dies führte dazu, dass die Arrestvollziehung bei V nach zweieinhalb Tagen unterbrochen wurde“.
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c) Das Landgericht (2. Kleine Strafkammer) führte in seiner Entscheidung vom 19.10.2004 weiter aus, der Beamte habe sich in seinem letzten Wort für sein Verhalten gegenüber V, der zu diesem Zeitpunkt nicht mehr anwesend gewesen sei, entschuldigt.
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Bei der Strafbemessung sei vom Strafrahmen des § 340 Abs. 1 Satz 1 StGB auszugehen, der Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsehe. Die Kammer habe geprüft, ob Gesichtspunkte vorlägen, die einen minderschweren Fall i.S.d. § 340 Abs. 1 Satz 2 StGB begründen könnten. Das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiver Momente und die Täterpersönlichkeit wichen vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle jedoch nicht in einem so erheblichen Maß ab, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheine. Bei dieser Beurteilung habe die Kammer alle maßgeblichen Umstände berücksichtigt, die der Tat vorausgegangen seien, sie begleitet hätten, ihr innewohnten hätten oder nachfolgt seien, ferner die Persönlichkeit des Angeklagten.
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So sei bereits das Erfolgsunrechts der Tat nicht gering, deshalb auch nicht im unteren Bereich anzusiedeln. Durch den Faustschlag auf das rechte Auge habe V eine Halswirbelsäulendistorsion sowie ein Monokelhämatom rechts erlitten. Das Auge sei zwei Tage lang zugeschwollen gewesen. Er habe insgesamt zwei Wochen Beschwerden mit dem Auge gehabt. Er sei, nachdem er wieder auf seine Zelle gebracht worden war, bewusstlos geworden und habe deshalb ins Krankenhaus verbracht werden müssen, das er allerdings noch am gleichen Tag habe verlassen können. Der Schlag sei heftig gewesen. Dies zeige sich schon darin, dass sich der Angeklagte durch den Faustschlag den Mittelhandknochen der linken Hand am Ringfinger gebrochen habe, weshalb er ... Wochen krankgeschrieben gewesen sei. Hinzukomme, dass der Angeklagte mittels einer dienstlichen Meldung den Zeugen V zu Unrecht den Vorwurf gemacht habe, dieser habe den Angeklagten zuerst angegriffen. Durch seine unrichtigen Angaben habe der Beamte den Leiter der Justizvollzugsanstalt über den tatsächlichen Hergang getäuscht, weshalb gegen V erhebliche disziplinarische Sanktionen festgesetzt und auch zum Teil vollzogen worden seien. Aufgrund dieser Meldung sei gegen V eine Woche Arrest und eine Einkaufssperre verhängt worden. Zweieinhalb Tage dieses Arrests seien gegen den noch unter seinen Verletzungen leidenden V auch vollzogen worden. Dies habe der Beamte zumindest billigend in Kauf genommen, um von seinem Fehlverhalten abzulenken und den Zeugen V als Verursacher der Auseinandersetzung darzustellen.
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Die Kammer verkenne nicht, dass sich der Beamte nicht selbst belasten müsse und es zulässig sei, dass er seine Tat und Täterschaft verschleiere. Dadurch, dass er mittelbar die Disziplinarmaßnahmen gegen V verursacht habe und außerdem noch die unerfahrene Vollzugsbeamtin R mit in das Geschehen einbezogen und zusammen mit ihr die falsche dienstliche Meldung verfasst habe, habe er jedoch die Grenze zulässigen Verteidigungsverhaltens überschritten.
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Dem gegenüber sei zu Gunsten des Beamten zu sehen, dass die Tat keinesfalls geplant gewesen sei, sich der Angeklagte vielmehr vom Zeugen V gereizt, spontan zur Tat habe hinreißen lassen, er sich beim Zeugen V - allerdings in dessen Abwesenheit - entschuldigt habe, er im Nachhinein den Vorfall bedauert und zuvor ein straffreies, ordentliches Leben geführt und sich auch dienstlich nichts zu schulden habe kommen lassen. Der Beamte habe eine einschneidende disziplinarische Maßnahmen zu erwarten. Er sei seit 26.02.2003 vom Dienst suspendiert.
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Auch die kurz vor der Tat ausgesprochene Bedrohung der Familie und der Kinder des Angeklagten durch den Zeugen V sei zu bedenken gewesen. Freilich sei von einem Vollzugsbeamten zu erwarten, dass er mit einer schwierigen Situation fertig werde und ohne Gewaltanwendung Eskalationen verhindere. Er müsse ein hohes Maß an Selbstdisziplin aufbringen und auf Provokationen entsprechend seiner erlernten Deeskalationstaktik und Abwehrtechniken besonnen und angemessen reagieren. Auch die dem Zeugen V zuzuschreibende, nicht unerhebliche Mitverursachung an der Tat des Beamten sei in diesem Zusammenhang zu bedenken gewesen.
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In der Gesamtschau der für und gegen den Angeklagten sprechenden Argumente sei festzustellen, dass gravierende Gesichtspunkte ein weitaus größeres Gewicht beanspruchten als die günstigsten Momente. Aus diesen Überlegungen sei das Vorliegen eines minderschweren Falles ausgeschieden.
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6. Das Justizministerium Baden-Württemberg nahm das förmliche Disziplinarverfahren mit Verfügung vom 14.09.2004 mit der Begründung wieder auf, der Schuldspruch im Urteil des Landgerichts sei rechtskräftig geworden und es sei nur noch über das Strafmaß zu entscheiden.
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Der Beamte wurde von der Untersuchungsführerin am 26.11.2004 gemäß § 55 LDO vernommen. Der Beamte trug vor, er habe sich bei der Tat in einer Sondersituation befunden. Der Gefangene V habe gedroht „ich ficke deine Kinder“. V sei wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs in Untersuchungshaft gewesen und deswegen auch verurteilt worden. Er habe in die Auseinandersetzung zwischen seiner Kollegin R und dem V deeskalierend eingreifen wollen. Er habe die Reaktion des V, der die Arme hochgehoben habe, falsch eingeschätzt. Er habe geglaubt, dass er von V angegriffen werde. Er empfinde die Situation auch heute noch als Notwehrsituation. Der Beamte erklärte, es tue ihm leid, dass V Verletzungen erlitten habe. Er habe nicht gewusst, dass die JVA gegen V Anzeige erstattet habe und beim Amtsgericht G einen Antrag auf Verhängung einer Disziplinarmaßnahme gegen V gestellt habe. Ihm sei aber bewusst gewesen, dass Gefangene nicht unerhebliche disziplinarische Maßnahmen zu erwarten hätten, wenn sie einen Bediensteten angriffen.
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Der Verteidiger des Beamten nahm mit Schreiben vom 28.02.2005 Stellung. Der Beamte habe die Drohungen des V gegen die Familie des Beamten wegen der Verbindungen des V als realistisch eingeschätzt. In der Anlage zu diesem Schreiben bezifferte der Beamte seine monatlichen Ausgaben auf X EUR.
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7. Der Vertreter der Einleitungsbehörde legte die Anschuldigungsschrift gegen den Beamten vom 24.06.2005 am 30.06.2005 dem Verwaltungsgericht Sigmaringen vor. In der Anschuldigungsschrift wird dem Beamten vorgeworfen, Dienstvergehen begangen zu haben, die sich aus den folgenden Sachverhalten ergäben:
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„1. Am 01. Januar 2003 gegen Mittag verletzte der Beschuldigte den Untersuchungsgefangenen V ohne rechtfertigenden Grund während seiner Dienstausübung in der Justizvollzugsanstalt, indem er ihm mit der linken Faust einen Schlag auf das rechte Auge versetzte. Der zweite Schlag mit rechts traf den Gefangenen nicht mehr, da er schon zu Boden gestürzt war. Durch den Faustschlag auf das rechte Auge erlitt der Gefangene eine Halswirbelsäulendistorsion sowie ein Monokelhämatom rechts. Sein Auge war ca. zwei Tage zugeschwollen. Er hatte aufgrund des Vorfalls ca. zwei Wochen Beschwerden.
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2. Der Beschuldigte kam anschließend mit der ... R, die den Vorfall selbst nicht beobachtet hatte, überein, den Sachverhalt in einer dienstlichen Äußerung unzutreffend so darzustellen, dass sein Verhalten als Reaktion auf ein Angriffsverhalten des Gefangenen erscheine. In Ausführung dieses Entschlusses verfasste der Beschuldigte unter Mithilfe der R eine dienstliche Meldung vom 01. Januar 2003, die er anschließend an die Anstaltsleitung weiterleitete, in der er der Wahrheit zuwider behauptete, von dem Gefangenen tätlich angegriffen worden zu sein, um hierdurch eine Notwehrsituation vorzutäuschen. Aufgrund der Angaben des Beschuldigten wurde gegen den Gefangenen als Disziplinarmaßnahme eine Woche Arrest und eine Einkaufssperre festsetzt und Strafanzeige gegen den Gefangenen erstattet, was für den Beschuldigten voraussehbar war. Nachdem durch die Angaben der Anwärterin im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung der tatsächliche Ablauf bekannt wurde, wurde die Arrestvollziehung bei dem Gefangenen nach zweieinhalb Tagen beendet und das gegen ihn eingeleitete Strafverfahren eingestellt“.
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Der Vertreter der Einleitungsbehörde führte weiter aus, der Beamte habe sich eines Dienstvergehens nach § 95 Abs. 1 Satz 1 LBG schuldig gemacht. Er habe mit den festgestellten Handlungen vorsätzlich gegen seine Pflicht, das Recht zu achten (§ 71 Abs. 1 LBG), das Amt nach bestem Gewissen zu verwalten (§ 73 Satz 2 LBG) sowie mit seinem Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die der Beruf erfordere (§ 73 Satz 3 LBG), verstoßen und sich hierdurch zugleich wegen Körperverletzung im Amt gemäß § 340 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
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Nach Auffassung des Justizministeriums sei das Dienstvergehen gegen den Beamten von erheblichem disziplinärem Gewicht. Es sei mit der Entfernung aus dem Dienst gemäß § 11 LDO zu ahnden. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Dienstherrn und dem Beamten sei endgültig zerstört. Der Beamte sei untragbar. Das Dienstvergehen habe einen so großen Ansehensverlust bewirkt, dass eine Weiterbeschäftigung als Beamter die Integrität des Beamtentums unzumutbar belaste. Das Dienstvergehen des Beamten habe im Kernbereich seiner Beamtenpflichten stattgefunden. Körperverletzung im Amt sei in einem Rechtsstaat, der alles daran setzen müssen, die Rechte seiner Bürger gegen - insbesondere gewaltsame - Übergriffe seiner Vollzugsorgane wirksam zu schützen, besonders geeignet, das Ansehen des öffentlichen Dienstes in der Öffentlichkeit und in das in ihn gesetzte Vertrauen herabzuwürdigen. Eine Körperverletzung im Amt zu Lasten von Gefangenen widerspreche zudem in besonderem Maße dem vorrangigen gesetzlichen Vollzugsziel, den Gefangenen im Vollzug der Freiheitsstrafe zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Strafvollzugsgesetz). Hinzu komme, dass es für das Zusammenleben in dem abgeschlossenen Raum einer Justizvollzugsanstalt unerlässlich sei, dass sich der Dienstherr auf das korrekte Verhalten seiner Beamten verlassen könne. Nach der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg ziehe schon eine einmalige und dazu noch provozierte Körperverletzung im Amt regelmäßig die Höchstmaßnahme einer Entfernung aus dem Dienst nach sich (Urteil vom 30.09.1991 - D 17 5 S/91 -). Ein anderes Ergebnis käme nur dann in Betracht, wenn hinreichende Milderungsgründe vorlägen. Diese seien jedoch nicht zu erkennen. Insbesondere stellten die vorausgegangene Provokation und Bedrohung durch den Geschädigten keinen hinreichenden Milderungsgrund dar. Vielmehr müsse von Bediensteten des Justizvollzugs erwartet werden, dass sie auf Fehlverhalten von Gefangenen, das in dieser Art im Justizvollzug keine Seltenheit darstelle, besonnen reagierten und die gesetzlich vorgegebenen Reaktionsmöglichkeiten einhielten.
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Erschwerend komme hinzu, dass der Beamte in seiner Meldung gegenüber der Anstaltsleitung den Sachverhalt unter Mithilfe der beruflich unerfahrenen Kollegin R bewusst wahrheitswidrig dargestellt und dadurch vorhersehbar bewirkt habe, dass der Gefangene diszipliniert und zudem der Gefahr einer weiteren Strafverfolgung ausgesetzt werde. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Geschädigte durch den Faustschlag des Beamten nicht unerheblich verletzt worden sei.
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8. Der Beamte bzw. sein Verteidiger haben in der Hauptverhandlung im Wesentlichen das Folgende vorgetragen: Der Untersuchungsgefangene V sei in der JVA als gewalttätig bekannt gewesen. Vor der Auseinandersetzung mit dem Beamten habe er einen anderen Gefangenen beim Hofgang geschlagen, auch danach sei es noch zu einem solchen Vorfall gekommen. Bei der Auseinandersetzung habe er gedroht, er „... die Frau und die Kinder“ des Beamten. Von einem Oberstaatsanwalt sei V als „...“ bezeichnet worden. V habe gute Verbindungen nach draußen gehabt. Der Beamte habe deshalb Angst um seine Frau und seine Kinder gehabt. Das Bedrohungspotential des V habe sich auf die Familie des Beamten ausgewirkt. Bei Anwendung einer philippinischen Kampftechnik hätte auch der körperlich unterlegene V dem Beamten erhebliche Verletzungen zufügen können. ... Seine Familie habe unter den Auswirkungen der Tat und den Drohungen des V stark gelitten. V habe in der Strafverhandlung gesagt, dass er ein guter Beamter sei und nicht wolle, dass er seine Arbeit verliere. Er habe sich oft in schwierigen Situationen in der JVA für seine Kollegen eingesetzt. Was geschehen sei, tue ihm leid. V habe die Hände schnell hochgezogen. Deshalb hab er sich angegriffen gefühlt. V sei als gewalttätig bekannt gewesen. Der Beamte habe die Folgen für V nicht gekannt. Als ihn sein Chef angerufen habe, habe er alles klarstellen wollen. Er habe aber vorher mit seinem Rechtsanwalt sprechen wollen, weil er es nicht allein habe klären wollen. Der sei aber im Urlaub gewesen. Seinen Rechtsanwalt kenne er schon lange. Er sei für ihn auch schon in einer anderen Angelegenheit tätig geworden, als er und Kollegen Rechtsrat wegen Problemen in der JVA gesucht hätten. Falls es zu seiner Entlassung komme, bitte er bei der Bewilligung des Unterhaltsgeldes zur berücksichtigen, dass er eine fundierte Berufsausbildung im sozialen Bereich machen wolle.
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Die Prognose bei einer Weiterbeschäftigung des Beamten sei gut. Es sei die besondere Situation zu berücksichtigen, in der sich der Beamte befunden habe. Die Anforderungen an die Beamten im Justizvollzugsdienst hätten sich gegenüber früher erhöht, weil es Gefangene mit vielen verschiedenen kulturellen Hintergründen gebe. Er sei in der Vergangenheit immer wieder in der Lage gewesen, auch für Kollegen bei solchen Spannungen mäßigend zu wirken. In der Situation, die zu der Tat geführt habe, habe er sich für seine junge Kollegin R einsetzen wollen. Er habe durchgedreht, weil seine Familie durch die Drohungen des V betroffen gewesen sei. Er habe in einer besonderen Ausnahmesituation ausnahmsweise versagt. Man habe versucht, ihn außerhalb des Justizvollzugsdienstes zu beschäftigen. Dies sei nur wegen der Stellensituation nicht gelungen. Zu berücksichtigen sei auch die positive Äußerung des Justizministers G in seinem Schreiben. Hilfsweise möge bei der Entscheidung über das Unterhaltsgeld der Zeitbedarf für eine ordentliche Ausbildung berücksichtigt werden.
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Der Verteidiger des Beamten beantragt,
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den Beamten im Dienst zu belassen und eine mildere Maßnahme auszusprechen.
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Der Vertreter der Einleitungsbehörde beantragt,
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den Beamten aus dem Dienst zu entfernen.
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Der Vertreter der Einleitungsbehörde hat abschließend vorgetragen, im Zusammenhang mit dem Unterhaltsgeld müsse berücksichtigt werden, dass der Beamte schon seit Mitte des Jahres 2003 mit seiner Entfernung aus dem Dienst habe rechnen müssen. Bei der Tat des Beamten sei die Entfernung aus dem Dienst die Regel. Ein Milderungsgrund liege nicht vor. Zu berücksichtigen seien auch die erheblichen Verletzungen des V.
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1. Die Disziplinarkammer geht von dem Sachverhalt aus, den das Landgericht (2. Kleine Strafkammer) in seinem Urteil vom 19.10.2004 festgestellt hat (siehe oben I 5 b). Die Disziplinarkammer ist nach § 19 Abs. 1 Satz LDO an diese Feststellungen gebunden. Es sind keine Umstände erkennbar geworden, die eine nochmalige Prüfung von Feststellungen des Landgerichts erforderlich gemacht hätten.
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Die Disziplinarkammer geht somit davon aus, dass der Beamte eine vorsätzliche, nicht durch Notwehr gerechtfertige Körperverletzung im Amt (§ 340 StGB) zum Nachteil des Untersuchungsgefangenen V begangen hat. Die Disziplinarkammer geht aufgrund der Feststellungen des Landgerichts weiter davon aus, dass der Beamte mit der Anwärterin R übereinkam, den Sachverhalt in einer Meldung so darzustellen, dass sein Verhalten als eine Reaktion auf einen tätlichen Angriff des V erscheine. Dabei nahm er billigend in Kauf, dass gegenüber V disziplinarische Sanktionen festgesetzt und vollstreckt wurden (siehe oben I 5 c). Die in der Anschuldigungsschrift dargestellten Sachverhalte (siehe oben I 7) sind somit erwiesen.
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2. Der Beamte hat durch die Verwirklichung der festgestellten Sachverhalte eine vorsätzliche Dienstpflichtverletzung nach § 95 Abs. 1 Satz 1 LBG begangen. Er hat gegen seine beamtenrechtliche Pflicht aus § 70 Abs. 1 Satz 2, § 73 Satz 2 und 3 LBG verstoßen hat. Nach diesen Vorschriften hat der Beamte die Pflicht, seine Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen (§ 70 Abs. 1 Satz 2 LBG), sein Amt uneigennützig und nach bestem Gewissen zu verwalten (§ 73 Satz 2 LBG) und sich als Beamter innerhalb und außerhalb seines Dienstes so zu verhalten, dass er der Achtung und dem Vertrauen gerecht wird, die sein Beruf erfordern (§ 73 Satz 3 LBG). Diese Pflichten werden durch die Begehung einer Straftat im Amt, die Verleitung einer Kollegin zur Abgabe einer falschen Sachverhaltsschilderung gegenüber dem Dienstherrn und durch die Inkaufnahme der Verhängung und des Andauerns von Disziplinarmaßnahmen gegenüber dem Untersuchungsgefangenen V, um sich selbst vor einem Untersuchungsverfahren und Maßnahmen zu schützen, verletzt.
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Die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme ist nach § 15 LDO neben der strafrechtlichen Ahndung des Vergehens des Beamten zusätzlich erforderlich.
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3. Auf das Dienstvergehen des Beamten kann nur durch seine Entfernung aus dem Dienst (§ 5 Abs. 1, § 11 LDO) angemessen reagiert werden.
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Die Disziplinarkammer hat in ihrem Beschluss vom 31.07.2003 - DL 10 K 3/03 - das Folgende ausgeführt:
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„Die Entfernung aus dem Dienst nach § 11 Abs. 1 LDO setzt voraus, dass sich der Beamte durch sein Fehlverhalten untragbar gemacht hat und auch ein Rest an Vertrauen an die künftige ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht besteht (Köhler/Ratz, Kommentar zur Bundesdisziplinarordnung, 2. Aufl. 1995, S. 122). Davon ist bei Beamten im Justizvollzugsdienst, die sich einer vorsätzlichen Körperverletzung im Amt gegenüber einem Gefangenen schuldig gemacht haben, in aller Regel auszugehen. Stellt sich heraus, dass ein Beamter im Justizvollzugsdienst einen Gefangenen ohne Rechtfertigung schlägt, wird er dadurch für seinen Dienstherrn untragbar. Es ist für das Zusammenleben in dem abgeschlossenen Raum einer Justizvollzugsanstalt unerlässlich, dass sich der Dienstherr auf das korrekte Verhalten seiner Beamten verlassen kann. Die besondere Verantwortung, der ein Beamter im Justizvollzugsdienst gerecht werden muss, kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass ein Gefangener in einer Justizvollzugsanstalt die Anordnungen des Vollzugsbediensteten auch dann zu befolgen hat, wenn er sich durch sie beschwert fühlt, und er einen zugewiesenen Bereich nicht ohne Erlaubnis verlassen darf (§ 82 Abs. 2 Strafvollzugsgesetz). Ein Gefangener hat somit kaum die Möglichkeit einem Vollzugsbediensteten auszuweichen. Umso mehr muss sich der Dienstherr in diesem „besonderen Gewaltverhältnis“ darauf verlassen können, dass sich der Beamte korrekt verhält. Bestätigt sich der hinreichende Verdacht der Straftat der Körperverletzung im Amt, kommt hier noch hinzu, dass der Beamte nach seinem Versagen sein Unrecht nicht eingesehen hat, sondern darüber hinaus den geschädigten Untersuchungsgefangenen V selbst der Gefahr einer weiteren Strafverfolgung ausgesetzt hat. Ausnahmen von der Entfernung aus dem Dienst sind nur dann möglich, wenn wegen des besonderen Charakters der Verfehlung das Vertrauensverhältnis mit dem Dienstherrn nicht unheilbar zerstört, sondern wiederherstellbar ist (BVerwG, Urteil vom 24.11.1992 - 1 D 1/91 - zitiert nach juris)“.
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Daran ist nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung festzuhalten. Der Sachverhalt, von dem die Disziplinarkammer in ihrem Beschluss vorläufig ausgegangen ist, hat sich bestätigt. Der Beamte hat im Kernbereich der Erfüllung seiner beamtenrechtlichen Pflichten versagt. Es liegen keine Besonderheiten vor, die die Annahme rechtfertigen könnten, das Vertrauensverhältnis des Beamten zu seinem Dienstherrn sei wiederherstellbar. Dabei ist nur zu prüfen, ob das Vertrauen bezogen auf seine Laufbahn als Beamter im Justizvollzug unheilbar zerstört ist. Es kommt nicht darauf, ob der Beamte in einem anderen Bereich der Landesverwaltung noch eingesetzt werden könnte.
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Der Beamte geht davon aus, dass eine Ausnahmesituation darin zu sehen sei, dass aufgrund der Drohungen des V nicht nur er selbst, sondern auch seine Familie unmittelbar betroffen gewesen sei. Er habe die Drohungen des V ernst genommen. V habe sich auch schon vor der Tat in der Justizvollzugsanstalt gegenüber anderen Gefangenen gewalttätig verhalten. Das kann aber nicht rechtfertigen, dass der Beamte die Bestrafung des V für sein ungebührliches Verhalten in die eigene Hand nimmt, zumal da keine unmittelbare Bedrohungssituation vorgelegen hat, die er damit hätte abwenden können. Der Dienstherr muss sich auch in einer solchen Situation darauf verlassen können, dass sich ein Beamter im Justizvollzugsdienst den Vorschriften entsprechend verhält.
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Das Vertrauensverhältnis lässt sich auch nicht deshalb wiederherstellen, weil davon ausgegangen werden könnte, der Beamte habe in einer einmaligen, zugespitzten Situation gehandelt und er werde sich in vergleichbaren Fällen in Zukunft korrekt verhalten. Der im Bereich der Zugriffsdelikte entwickelte Milderungsgrund des Vorliegens einer „Gelegenheitstat“, der in entsprechender Anwendung auch bei dem vorliegenden Dienstvergehen berücksichtigt werden könnte, liegt nicht vor. An der Einmaligkeit der Situation fehlt es schon deshalb, weil gegen den Beamten schon einmal im Jahr 1996 wegen eines Schlages in das Gesicht eines Gefangenen ein Disziplinarverfahren durchgeführt wurde. Dieses Disziplinarverfahren wurde zwar mit Verfügung vom ... eingestellt. Die Einstellung erfolgte aber nur deshalb, weil aufgrund dort genannter Umstände die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme nicht erforderlich war, um den Beamten zur Einhaltung seiner Pflichten anzuhalten. Der Beamte wurde somit schon einmal im Zusammenhang mit einer Körperverletzung mit einem Disziplinarverfahren konfrontiert, das er sich nicht zur Warnung hat dienen lassen. Zu berücksichtigen sind auch die nicht unerheblichen körperlichen Folgen, die bei V aufgrund des Schlages eingetreten sind.
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Bei der Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme kann die vom Beamten begangene Körperverletzung im Amt auch nicht isoliert gesehen werden. Teil der einheitlich zu würdigenden Dienstpflichtverletzung ist auch das Verhalten des Beamten nach der Begehung der Körperverletzung im Amt. Jedenfalls damit hat er den letzten Rest von Vertrauen, der nach Begehung der Körperverletzung noch vorhanden gewesen sein mag, zerstört. Er hat nicht nur die Gelegenheit nicht genutzt, den Sachverhalt aufzuklären und dadurch möglicherweise das Vertrauensverhältnis wiederherzustellen. Er hat vielmehr die Anwärterin R, eine Kollegin, in die Angelegenheit mit hineingezogen, um seine Handlung durch Abgabe einer falschen dienstlichen Erklärung zu vertuschen. Auch wenn er der Meinung gewesen sein sollte, V gerechtfertigt geschlagen zu haben, wurde ein äußerer Ablauf des Geschehens geschildert, das sich so nicht ereignet hat. Frau R war zum Beispiel nicht dabei, als der Beamte die Türe zum Haftraum 108 öffnete, um V zu einem Gespräch herauszurufen. Er hat seine Kollegin damit auch der Gefahr gegen sie gerichteter Disziplinarmaßnahmen und strafrechtlicher Ermittlungsmaßnahmen ausgesetzt, nur um sein eigenes Verhalten in einem für ihn günstigen Licht erscheinen zu lassen. Darüber hinaus hat er es billigend in Kauf genommen, dass Disziplinarmaßnahmen gegen den Untersuchungsgefangenen V verhängt und vollstreckt wurden. Der Beamte kann sein Nachtatverhalten auch nicht damit rechtfertigen, dass sich die Aufklärung des Sacherhalts verzögerte, weil sein Verteidiger, zu dem er besonderes Vertrauen hat, zu jener Zeit in Urlaub war und er sich vorher mit ihm besprechen wollte.
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Unter Berücksichtigung aller Umstände, auch der Folgen für den Beamten und seine Familie, konnte nur auf seine Entfernung aus dem Dienst erkannt werden.
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5. Nach § 75 Abs. 1 LDO kann die Disziplinarkammer einem Beamten in einem auf Entfernung aus dem Dienst lautenden Urteil einen Unterhaltsbeitrag auf bestimmte Zeit bewilligen, wenn er nach seiner wirtschaftlichen Lage der Unterstützung bedürftig und ihrer nicht unwürdig erscheint. Die Disziplinarkammer hält den Beamten eines Unterhaltsbeitrages nicht für unwürdig und im Hinblick auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse auch in der zuerkannten Höhe für bedürftig. Der Beamte kann zur Bestreitung seines Lebensunterhalts nicht auf Vermögen oder nennenswertes anderes Einkommen zurückgreifen. Die Bewilligung erfolgt für den Zeitraum von einem Jahr in der Erwartung, dass der Beamte während dieser Zeit anderweitig Einkünfte erlangen kann. Der Unterhaltsbeitrag kann aber nicht dazu dienen, dem Beamten die Absolvierung einer längeren Berufsausbildung zu ermöglichen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 114 Abs. 1, § 111 Abs. 1 LDO.
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