Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht Beschluss, 12. Nov. 2015 - 5 B 306/15
Gericht
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das keine Gerichtskosten erhoben werden.
Gründe
I.
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Der Antragsteller, ein iranischer Staatsangehöriger, begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen seine Überstellung nach Frankreich im Rahmen des Dublin-Systems.
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Der Antragsteller beantragte im August 2014 Asyl im Bundesgebiet. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ersuchte die französische Dublin-Behörde um seine Übernahme, was diese mit Schreiben vom 18.12.2014 auf der Grundlage von Art. 12 Abs. 4 Dublin-Verordnung akzeptierte. Mit Bescheid vom 19.12.2014 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Frankreich an. Das Gericht wies die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage mit Gerichtsbescheid vom 07.04.2015 – 5 A 18/15 – ab; die Entscheidung ist seit Ende April 2015 rechtskräftig.
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Am 09.06.2015 sollte eine kontrollierte Überstellung des Antragstellers nach Frankreich auf dem Luftwege erfolgen. Die Überstellung konnte nicht durchgeführt werden, da der Antragsteller nicht zum Termin erschien. Mit Schreiben vom 09.06.2015 teilte das Bundesamt der französischen Dublin-Behörde mit, dass die Überstellung derzeit nicht möglich wäre, da der Antragsteller flüchtig sei. Am 08.07.2015 sollte erneut eine kontrollierte Überstellung des Antragstellers nach Frankreich auf dem Luftwege erfolgen. Die Überstellung konnte erneut nicht durchgeführt werden, da der Antragsteller nicht erschien.
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Der Antragsteller ersuchte das Gericht um vorläufigen Rechtsschutz, da die Überstellungsfrist abgelaufen sei. Mit Beschluss vom 13.08.2015 – 5 B 242/15 – lehnte das Gericht den Antrag ab, da ein Anordnungsanspruch mangels Stellung eines Antrages auf Wiederaufgreifen des Verfahrens beim Bundesamt nicht bestehe.
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Am 24.08.2015 beantragte der Antragsteller beim Bundesamt das Wiederaufgreifen des Verfahrens. Mit Scheiben seines Bevollmächtigten vom 08.09.2015 bat er um unverzügliche Stellungnahme zu diesem Antrag und teilte mit, dass er im Klinikum Region B-Stadt GmbH in Langenhagen (Niedersachsen) wegen eines akuten nervlichen Zusammenbruchs sei.
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Der Antragsteller hat das Gericht am 22.09.2015 erneut um vorläufigen Rechtsschutz ersucht.
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Der Antragsteller trägt im Wesentlichen vor: Der Bescheid habe sich wegen Ablaufs der Überstellungsfrist erledigt. Er sei nicht untergetaucht. Er sei vom 08. bis zum 10.06.2015 wegen einer Tablettenintoxikation in stationärer Behandlung im Städtischen Klinikum Lüneburg gewesen.
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Der Antragsteller beantragt,
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der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Ziffer 2 des Bescheides vom 19.12.2014 aufzuheben,
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hilfsweise
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der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihn nicht abzuschieben.
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Die Antragsgegnerin hat sich nicht geäußert.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs verwiesen.
II.
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Der Antrag hat keinen Erfolg.
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1. Der Hauptantrag ist unzulässig, da die Verpflichtung der Antragsgegenerin, einen Verwaltungsakt aufzuheben, zu einer endgültigen Rechtsgestaltung führt. Dies wäre eine grundsätzlich unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache, ohne dass hier aus Gründen effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) eine Ausnahme im Einzelfall geboten ist.
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2. Der Hilfsantrag ist unbegründet, da ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO iVm § 920 Abs. 2 ZPO).
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Ein Anordnungsanspruch könnte zwar an sich aus einem öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch wegen drohender Vollstreckung eines erledigten Verwaltungsaktes folgen, entgegen der Ansicht des Antragstellers führt der Ablauf der Überstellungsfrist jedoch nicht zu einer Erledigung iSd § 43 Abs. 2 VwVfG (VG Würzburg, Gerichtsbescheid vom 28. April 2015 – W 1 K 14.30144 –, Rn. 25, juris; a.A. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 16. Juli 2015 – 21 ZB 15.50137 –, Rn. 2, juris; VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 02. Juli 2015 – 4 L 356/15.A –, Rn. 8, juris; VG Potsdam, Urteil vom 25. Februar 2015 – 6 K 1554/14.A –, Rn. 25, juris). Nach § 43 Abs. 2 VwVfG bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Eine Erledigung durch Zeitablauf kann nicht eintreten (a.A. VG Potsdam, Urteil vom 25. Februar 2015 – 6 K 1554/14.A –, Rn. 25, juris). Der Dublin-Bescheid ist mit keiner Befristung (vgl. § 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG) versehen. Die Überstellungfrist des Art. 29 VO(EU) 604/2013 (Dublin-III-VO) enthält auch keine materiell-rechtliche Regelung zur Geltungsdauer (vgl. BVerwG, Urteil vom 08. April 1997 – 1 C 7/93 –, Rn. 29, juris: Erledigung der probeweisen Bestellung zum Bezirksschornsteinfegermeisternach Ablauf der Geltungsdauer, d.h. der Jahresfrist des § 7 Abs. 1 S. 1 SchfG a.F.). Der dort u.a. geregelte Zuständigkeitswechsel kraft Fristablaufs enthält keine Vorgaben, welche Folgen hieraus für die Wirksamkeit bereits ergangener nationaler Entscheidungen zu ziehen sind. Es liegt auch keine Erledigung in sonstiger Weise vor. Die Annahme einer Erledigung auf andere Weise ist nur in eng begrenzten Ausnahmefällen gerechtfertigt (BVerwG, Urteil vom 09. Mai 2012 – 6 C 3/11 –, BVerwGE 143, 87-118, Rn. 19). Eine nachträgliche Veränderung von Umständen gehört grundsätzlich nicht hierzu (BVerwG, Urteil vom 09. Mai 2012 – 6 C 3/11 –, BVerwGE 143, 87-118, Rn. 25). Dies zeigen gerade die Vorschriften zum Wiederaufgreifen des Verfahrens (vgl. § 51 Abs. 1 VwVfG).
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Dass der Antragsteller sich aktuell in einem die Reisefähigkeit ausschließenden Zustand befindet, ist nicht glaubhaft gemacht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
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Annotations
(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.
(2) Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.
(3) Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam.
(1) Ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, darf mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden.
(2) Unbeschadet des Absatzes 1 darf ein Verwaltungsakt nach pflichtgemäßem Ermessen erlassen werden mit
- 1.
einer Bestimmung, nach der eine Vergünstigung oder Belastung zu einem bestimmten Zeitpunkt beginnt, endet oder für einen bestimmten Zeitraum gilt (Befristung); - 2.
einer Bestimmung, nach der der Eintritt oder der Wegfall einer Vergünstigung oder einer Belastung von dem ungewissen Eintritt eines zukünftigen Ereignisses abhängt (Bedingung); - 3.
einem Vorbehalt des Widerrufs
- 4.
einer Bestimmung, durch die dem Begünstigten ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben wird (Auflage); - 5.
einem Vorbehalt der nachträglichen Aufnahme, Änderung oder Ergänzung einer Auflage.
(3) Eine Nebenbestimmung darf dem Zweck des Verwaltungsaktes nicht zuwiderlaufen.
(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn
- 1.
sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat; - 2.
neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden; - 3.
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.
(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.
(3) Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.
(4) Über den Antrag entscheidet die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist.
(5) Die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 und des § 49 Abs. 1 bleiben unberührt.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.