Verwaltungsgericht Minden Beschluss, 27. Jan. 2015 - 10 L 820/14.A
Gericht
Tenor
1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das keine Gerichtskosten erhoben werden.
1
Gründe:
2Der zulässige, insbesondere innerhalb der einwöchigen Frist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der unter dem Aktenzeichen 10 K 2533/14.A anhängigen Klage gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Oktober 2014 enthaltene Abschiebungsanordnung anzuordnen,
4ist unbegründet. Die im Verfahren nach § 34a Abs. 2 AsylVfG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung, bei der die Erfolgsaussichten der Klage maßgeblich zu berücksichtigen sind, geht zu Lasten des Antragstellers aus, da sich die Abschiebungsanordnung als rechtmäßig erweist.
51. Für die vorzunehmende Interessenabwägung gelten die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO anwendbaren allgemeinen Grundsätze. Dementsprechend ist das Interesse des Antragstellers an einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung gegen das öffentliche Interesse an deren alsbaldiger Vollziehung abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten der Klage maßgeblich zu berücksichtigen.
6Dagegen setzt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage anders als in Fällen der Unbeachtlichkeit oder der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrags (§ 36 Abs. 1 und 4 Satz 1 AsylVfG) nicht voraus, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen. Im Gegensatz zu § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG enthält § 34a Abs. 2 AsylVfG keine entsprechende Einschränkung. Ein Antrag, § 34a Abs. 2 AsylVfG entsprechend zu fassen, fand im Gesetzgebungsverfahren keine Mehrheit.
7Vgl. VG Trier, Beschluss vom 18. September 2013 - 5 L 1234/13.TR -, juris Rn. 5 ff. mit ausführlicher Darstellung des Ablaufs des Gesetzgebungsverfahrens.
82. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung ist rechtmäßig. Nach dieser Norm ordnet das Bundesamt die Abschiebung eines Ausländers in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
9a) Das Bundesamt ist zu Recht davon ausgegangen, dass Belgien für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig ist.
10aa) Welcher Staat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist, richtet sich nach den Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder einschlägigen völkerrechtlichen Verträgen. Dies ergibt sich aus § 27a AsylVfG, auf den § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auch insoweit verweist. Im vorliegenden Verfahren findet dabei die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. EU L 180, S. 31, sog. Dublin III-VO) Anwendung, weil das an Belgien gerichtete Wiederaufnahmeersuchen Deutschlands vom 21. September 2014 nach dem 1. Januar 2014, dem gemäß Artikel 49 Unterabs. 1 Satz 1 Dublin III-VO für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Dublin III-VO maßgeblichen Zeitpunkt, gestellt worden ist.
11Der Anwendbarkeit dieser Verordnung steht - anders als der Antragsteller meint - nicht entgegen, dass er in Deutschland lediglich einen isolierten Antrag auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG und keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Denn die Dublin III-VO regelt in Art. 24 gerade den Fall eines Wiederaufnahmegesuchs, wenn im ersuchenden Mitgliedstaat - hier Deutschland - kein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde. Auch Art. 18 Abs. 1 lit. b) bis d) Dublin III-VO ist zu entnehmen, dass eine Antragstellung im ersuchenden Mitgliedstaat nicht erforderlich ist, denn diese Regelungen berücksichtigen - neben Personen, die im ersuchenden Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben - auch Personen, die "sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates" aufhalten.
12Vgl. zur Anwendbarkeit der Dublin II-VO auf Fälle, in denen im ersuchenden Mitgliedstaat kein neuer Asylantrag gestellt wurde: VG Karlsruhe, Urteil vom 11. Juli 2013 - 3 K 1276/13 -, juris Rn. 6.
13Entscheidend für die Anwendbarkeit der Dublin III-VO ist vielmehr, dass überhaupt in einem Mitgliedsstaat ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist. Denn gemäß Art. 1 Dublin III-VO legt die Verordnung die Kriterien und Verfahren fest, die bei der Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen ineinem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Einen solchen Antrag hat der Antragsteller nach seinen eigenen Angaben im Fragenkatalog Dublin im Dezember 2010 in Belgien gestellt. Der Antragsteller kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Antragstellung in Belgien sei unwirksam gewesen, weil er damals noch minderjährig gewesen sei und auf Anraten eines Fluchthelfers sein Geburtsdatum wahrheitswidrig mit 12. März 1989 - in Wirklichkeit sei er am 25. März 1997 geboren - angegeben habe.
14Der Antragsteller hat keine Personalpapiere vorgelegt, aus denen sich dieses Geburtsdatum ergibt. Das von ihm vor den deutschen Behörden angegebene Geburtsdatum ist nachweislich nicht zutreffend. Aus dem Gutachten zur Altersfeststellung von Prof. Dr. Schmeling und Prof. Dr. Pfeiffer vom 3. August 2014 ergibt sich, dass der Antragsteller zum Untersuchungszeitpunkt am 16. Juli 2014 ein absolutes Mindestalter von 21 Jahren und 6 Monaten erreicht hat. Er kann damit nicht nach Januar 1993 geboren sein. Das Gericht ist vielmehr davon überzeugt (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dass der Antragsteller - wie von ihm in Belgien angegeben - am 12. März 1989 geboren ist. Hierfür spricht, dass er die - nachweislich falschen - Angaben in der Bundesrepublik Deutschland getätigt hat, nachdem sein Asylantrag in Belgien abgelehnt worden war, um von der angeblichen Minderjährigkeit zu profitieren. Dem steht auch das oben genannte Gutachten nicht entgegen, weil es nur ein absolutes Mindestalter nennt.
15bb) Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO sieht vor, dass Anträge auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft werden. Welcher Mitgliedstaat dies ist, bestimmt sich nach den Kriterien der Art. 8 bis 15 Dublin III-VO und zwar in der Rangfolge ihrer Nummerierung (Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO). Lässt sich anhand dieser Kriterien nicht bestimmen, welcher Mitgliedsstaat zuständig ist, so ist der erste Mitgliedstaat zuständig, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde (Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO). Bei Anwendung dieser Kriterien ist Belgien für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig.
16(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht nach Art. 8 Dublin Abs. 4 III-VO zuständig. Nach dieser Norm ist in Fällen, in denen ein unbegleiteter Minderjähriger, der keinen sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates rechtmäßig aufhaltenden Familienangehörigen hat, für die Prüfung des Asylantrags des unbegleiteten Minderjährigen der Mitgliedsstaat zuständig, in dem der unbegleitete Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient. Dies gilt auch dann, wenn der Betreffende schon zuvor einen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat.
17Vgl. zu Art. 6 Dublin II-VO EuGH, Urteil vom 6. Juni 2013 - C-648/11 -, InfAuslR 2013, 299 (juris Rn. 60 und 66).
18Gemäß Art. 2 lit. i) Dublin III-VO ist minderjährig ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser unter 18 Jahren. Vorliegend greift Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO schon deshalb nicht, weil der Antragsteller in Deutschland gerade keinen Asylantrag gestellt hat.
19Die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschlands ergäbe sich aber auch dann nicht aus Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO, wenn der Antragsteller hier einen Asylantrag gestellt hätte. Dabei ist bei der Bestimmung der Minderjährigkeit - abweichend von Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO - nicht auf die Situation abzustellen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedsstaat stellt. Sinn und Zweck der Zuständigkeitsbestimmung nach Art. 8 Dublin III-VO ist der Minderjährigenschutz. Bei unbegleiteten Minderjährigen, die eine besonders gefährdete Personengruppe bilden, soll sich das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats nicht länger als unbedingt nötig hinziehen.
20Vgl. zu Art. 6 Dublin II-VO EuGH, Urteil vom 6. Juni 2013 - C-648/11 -, InfAuslR 2013, 299 (juris Rn. 54 ff).
21Würde bei der Prüfung der Zuständigkeit nach Art. 8 Dublin III-VO gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO auf die Situation abgestellt werden, die zu dem Zeitpunkt bestanden hat, zu dem der Antragsteller zum ersten Mal in einem Mitgliedsstaat einen Asylantrag gestellt hat, würde dies in Fällen, in denen ein Antragsteller bei seiner wiederholten Asylantragstellung in einem anderen Mitgliedsstaat mittlerweile volljährig geworden ist, dazu führen, dass auf ihn Regelungen für eine besonders schutzwürdige Personengruppe Anwendung finden würden, zu denen er nicht (mehr) gehört. Das kann nicht gewollt sein. Deshalb ist bei der Prüfung des Art. 8 Dublin III-VO auf einen Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Antragsteller sich bereits in dem Mitgliedsstaat befindet, in dem er seinen letzten Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Dabei kann das Gericht offen lassen, ob es diesbezüglich auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung
22- so VG Stuttgart, Gerichtsbescheid vom 16. September 2014 - A 1 K 447/14 -, Abdruck S. 4 -,
23den Zeitpunkt der Entscheidung über den Asylantrag durch das Bundesamt oder den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) ankommt. Der Antragsteller hat nach dem oben unter aa) Gesagten nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, dass er zu dem für ihn günstigsten Zeitpunkt - dem Zeitpunkt der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland am 29. November 2013 - minderjährig war.
24(2) Belgien ist für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO zuständig. Dies ergibt sich aus den eigenen, insofern von der Antragsgegnerin nicht in Zweifel gezogenen Angaben des Antragstellers, wonach er im Fragenkatalog Dublin mitgeteilt hat, dass er als erstem Land in Belgien im Dezember 2010 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat.
25cc) Anhaltspunkte dafür, dass die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zwischenzeitlich auf einen anderen Staat übergegangen ist, liegen nicht vor.
26(1) Dabei kann offen bleiben, ob vorliegend die zweimonatige Frist für das Wiederaufnahmegesuch nach Art. 24 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO Anwendung findet. Nach dieser Vorschrift ist das Gesuch um Wiederaufnahme einer Person im Sinne des Art. 18 Abs. 1 lit. d), deren Antrag auf internationalen Schutz nicht durch eine endgültige Entscheidung abgelehnt wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Eurodac-Treffermeldung zu unterbreiten. Für den Fall, dass der Asylantrag durch eine endgültige Entscheidung abgelehnt worden ist, sieht Art. 24 Dublin III-VO keine Frist für das Wiederaufnahmegesuch vor. Belgien hat sich am 31. Juli 2014 unter Bezugnahme auf Art. 18 Abs. 1 lit. d) zur Übernahme des Antragstellers bereit erklärt. Hieraus ergibt sich, dass der Antrag des Antragstellers in Belgien abgelehnt worden ist. Ob es sich dabei um eine endgültige Entscheidung handelt, lässt sich der Übernahmeerklärung nicht entnehmen. Jedoch hat die Bundesrepublik Deutschland die Frist des Art. 24 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO eingehalten. Sie hat nach Erhalt der EURODAC-Treffermeldung am 28. Mai 2014 das Wiederaufnahmegesuch an Belgien am 21. Juli 2014 gestellt. Die belgischen Behörden haben zudem mit Schreiben vom 31. Juli 2014, also innerhalb der Frist des Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO, ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags des Antragstellers erklärt.
27(2) Ebenso wenig ist die sechsmonatige Frist für die Überstellung des Antragstellers in den zuständigen Mitgliedsstaat mit der Folge überschritten, dass die Zuständigkeit für die Durchführung seines Asylverfahrens nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO auf die Antragsgegenerin übergegangen wäre. Gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat, sobald sie praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese aufschiebende Wirkung hat. Belgien hat das Wiederaufnahmeersuchen mit Schreiben vom 31. Juli 2014 angenommen, so dass die Überstellungsfrist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) selbst dann noch nicht abgelaufen ist, wenn die bisherige Dauer des vorliegenden Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes auf die Überstellungsfrist anzurechnen sein sollte.
28So OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris Rn. 5 ff.; a.A. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August 2014- A 11 S 1285/14 -, juris Rn. 58 (Hemmung der Überstellungsfrist für die Dauer des Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes).
29b) Auch im Übrigen sind keine durchgreifenden Gründe dafür ersichtlich, dass von einer Abschiebung des Antragstellers nach Belgien abgesehen werden müsste.
30Gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 VO Dublin III-VO setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Art. 8 bis 15 Dublin III-VO vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) mit sich bringen (Unterabs. 2); kann eine Überstellung an einen aufgrund der Kriterien der Art. 8 bis 15 Dublin III-VO bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, nicht vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat (Unterabs. 3).
31Der Regelung in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin-III-VO liegt die Rechtsprechung des EuGH zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem zugrunde. Dieses gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll zu dieser Konvention von 1967 sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden. Es gilt daher die Vermutung, dass Asylbewerbern in jedem Mitgliedsstaat eine Behandlung entsprechend den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskommission zukommt. Diese Vermutung ist allerdings nicht unwiderleglich. Wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist die Widerlegung der Vermutung aber an hohe Hürden geknüpft, so dass nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder jeder Verstoß gegen Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts geeignet sind, die Vermutung zu widerlegen.
32Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. (N.S. u.a.) -, NVwZ 2012, 417, sowie vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 (Abdullahi) -, NVwZ 2014, 208.
33Die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO liegen vor, wenn das Gericht zu der Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gelangt, dass ein Asylbewerber wegen systemischer Mängel, also strukturell bedingter, größerer Funktionsstörungen, im konkret zu entscheidenden Fall in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird.
34Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1039, zur Rechtslage nach der Dublin II-VO.
35Einer solchen Behandlung sind Asylbewerber, die vollständig auf staatliche Hilfe angewiesen sind, ausgesetzt, wenn sie sich in einer mit der menschlichen Würde unvereinbaren Situation ernsthafter Entbehrungen und Not behördlicher Gleichgültigkeit gegenüber sehen.
36Vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, HUDOC Rn. 98; s.a. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, BVerwGE 146, 12 (juris Rn. 24); United Kingdom Supreme Court, Urteil vom 19. Februar 2014 - EM (Eritrea) and others v the Secretary of the State for the Home Department, [2014] UKSC 12 -, Rn. 62.
37Dabei ist zu berücksichtigen, ob staatliche Stellen es durch ihr vorsätzliches Handeln oder Unterlassen Asylbewerbern praktisch verwehren, von ihren gesetzlich verankerten Rechten auf eine Unterkunft und annehmbare materielle Bedingungen Gebrauch zu machen.
38Vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, HUDOC Rn. 96.
39Im Rahmen dieser Prognose ist nicht allein auf die Rechtslage im betreffenden Mitgliedstaat abzustellen, maßgeblich ist vielmehr deren Umsetzung in die Praxis.
40Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 (M.S.S ./. Belgien und Griechenland) -, NVwZ 2011, 413 und HUDOC (Rn. 359); Hailbronner, Ausländerrecht, Band 3, Stand: Juni 2014, § 34a AsylVfG Rn. 21.
41Bei Anlegung dieses Maßstabs ergeben sich entgegen der Ansicht des Antragstellers keine durchgreifenden Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Belgien.
42Vgl. auch VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 23. Dezember 2014 - 6a L 1906/14.A -, juris Rn. 11 f.; VG Würzburg, Beschluss vom 11. Dezember 2014 - W 1 S 14.30152 -, juris Rn. 21 f.; VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 - 13 K 471/14.A -, juris Rn. 55 ff.; VG Magdeburg, Urteil vom 17. Oktober 2014 - 1 A 1073/14 MD -, juris; VG München, Urteil vom 12. Mai 2014 - M 21 K 14.30347 -, juris Rn. 35.
43Während der Prüfung des Asylantrags wird einem Asylbewerber in Belgien von der Föderalen Agentur für die Aufnahme von Asylbewerbern (Fedasil) ein Platz in einer Betreuungseinrichtung zugewiesen. Der Asylbewerber hat dann auch Anspruch auf materielle, medizinische, soziale und rechtliche Begleitung.
44Vgl. Das Generalkommissariat für Flüchtlinge und Staatenlose, Asyl in Belgien, S. 7.
45Entgegen dem Vortrag des Antragstellers ist nicht davon auszugehen, dass Asylbewerbern in Belgien Obdachlosigkeit droht. Die von dem Antragsteller in Bezug genommen Erkenntnisse aus den Jahren 2011 und 2012 entsprechen nicht der aktuellen Situation in Belgien. Aus neuen Erkenntnismitteln lässt sich vielmehr entnehmen, dass die in den Jahren 2008 bis 2011 in Belgien bestehende Überbelegung der Aufnahmezentren nicht mehr gegeben ist. Die Kapazitäten bei den Unterbringungsplätzen sind nicht erschöpft. So waren im März 2014 nur 72 % der Unterkünfte belegt.
46Vgl. aida, Asylum Information Database, National Country Report Belgium, Stand 1. Juni 2014, S. 59.
47Auch bezüglich abgelehnter Asylbewerber, wie hier dem Antragsteller, liegen keine systemischen Mängel vor. Zwar steht einem Asylbewerber, dessen Asylantrag negativ beschieden worden ist und der unter Fristsetzung aufgefordert worden ist das Land zu verlassen, nach Art. 6 des Gesetzes über die Aufnahme von Asylsuchenden und von bestimmten anderen Kategorien von Ausländern vom 12. Januar 2007 grundsätzlich kein Anspruch mehr auf materielle Hilfe zu, wenn die Frist zur Ausreise abgelaufen ist. Dies stellt keinen systemischen Mangel dar. Ist der Asylantrag abgelehnt worden, so ist der abgelehnte Asylbewerber ausreisepflichtig. Zumindest in Fällen, in denen ein abgelehnter Asylbewerber trotz der ihm zustehenden Möglichkeit, das Land zu verlassen, die Ausreise unterlässt, stellt der Verlust des Anspruchs auf staatliche Leistungen keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar.
48Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 - 13 K 471/14.A -, juris Rn. 60 ff.
49Für Fälle, in denen der abgelehnte Asylbewerber das Land ohne sein Verschulden nicht verlassen kann, enthält das oben genannte Gesetz Ausnahmen von der Einstellung der Hilfeleistung. Gemäß Art. 7 des oben genannten Gesetzes kann die Gewährung von materieller Hilfe verlängert werden, wenn z.B. der abgelehnte Asylbewerber auf Grund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, nicht in sein Herkunftsland zurückkehren kann oder er bzw. sie wegen Schwangerschaft oder aus nachgewiesenen medizinischen Gründen der Ausreiseaufforderung nicht Folge leisten kann. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Vorschriften in der Praxis nicht umgesetzt werden.
50Vgl. hierzu auch aida, Asylum Information Database, National Country Report Belgium, Stand 1. Juni 2014, S. 58.
51Außerdem kann der Antragsteller nichts daraus herleiten, dass der EGMR in einer Entscheidung festgestellt hat, Belgien habe gegen den Grundsatz des Non-Refoulement verstoßen. So bleibt schon unklar, auf welche Entscheidung des EGMR der Antragsteller sich beruft. Sollte es sich dabei um das Urteil des EGMR zur Rechtssache M.S.S. gegen Belgien und Griechenland
52- EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -
53handeln - wovon das Gericht ausgeht -, in dem der EGMR festgestellt hat, dass Belgien in der Vergangenheit Art. 3 EMRK verletzt hat, weil es trotz Kenntnis der mangelhaften griechischen Aufnahme-, Haft- und Verfahrensbedingungen für Flüchtlinge im Rahmen des Dublin-Verfahrens Abschiebungen nach Griechenland vorgenommen hat, ist dieser Umstand entgegen dem Vortrag des Antragstellers kein Argument, um noch heute für Belgien systemische Mängel im Asylverfahren annehmen zu können.
54Vgl. VG München, Urteil vom 12. Mai 2014 - M 21 K 14.30347 -, juris Rn. 35.
55Und selbst dann, wenn davon auszugehen wäre, dass unabhängig vom Vorliegen systemischer Mängel für jeden Einzelfall noch einmal zu prüfen wäre, ob eine Verletzung des Art. 4 GR-Charta (bzw. des Art. 3 EMRK) vorliegt
56- in diesem Sinne etwa EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel ./. Schweiz) -, HUDOC (Rn. 104), und United Kingdom Supreme Court, Urteil vom 19. Februar 2014 - EM (Eritrea) and others v the Secretary of the State for the Home Department, [2014] UKSC 12 (Rn. 42 bis 64), jeweils zu Überstellungen nach Italien -
57könnte der Antragsteller hieraus nichts für sich herleiten. Denn es ist nach dem oben gesagten nicht erkennbar, dass er Gefahr läuft, im Anschluss an eine Rücküberstellung nach Belgien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden.
58c) Anhaltspunkte dafür, dass der Abschiebung tatsächliche oder sonstige rechtliche Hindernisse entgegen stehen, sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, sondern auch in Bezug auf inlandsbezogene Abschiebungshindernisse (§ 60a Abs. 2 AufenthG) einschließlich sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebender Ansprüche auf Erteilung eines Aufenthaltstitels.
59Vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris Rn. 7; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, InfAuslR 2011, 310 (juris Rn. 3).
60Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Hinweis auf die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens folgt aus § 83 b AsylVfG.
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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.
(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.
(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.
(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.
(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.
(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.
(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.
(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.
(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.
(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn
- 1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen, - 2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder - 3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.