Verwaltungsgericht Minden Urteil, 19. März 2015 - 10 K 311/14.A
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. Januar 2014 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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Der nicht durch amtliche Dokumente seines Heimatlandes ausgewiesene Kläger gibt an, am 5. September 1981 geboren zu sein und aus Ghana zu stammen.
2Am 5. Juni 2013 stellte er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (künftig: Bundesamt) einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt schilderte der Kläger, er habe zunächst in Griechenland und danach in Ungarn einen Asylantrag gestellt. Eine Anfrage des Bundesamtes an die EURODAC-Datenbank ergab, dass der Kläger im Mai 2013 in Ungarn einen Asylantrag gestellt hatte. Am 2. Dezember 2013 richtete das Bundesamt ein Übernahmeersuchen an die ungarischen Behörden, welche sich mit Schreiben vom 10. Dezember 2013 unter Bezugnahme auf Art. 16 Abs. 1 lit. e) der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (ABl. 50, S. 1; im Folgenden: Dublin II-VO) zur Rückübernahme des Klägers bereit erklärten. Des Weiteren teilten die ungarischen Behörden mit, dass das Asylgesuch des Klägers zwischenzeitlich zurückgewiesen worden war.
3Mit Bescheid vom 28. Januar 2014, dem Kläger zugestellt am 30. Januar 2014, stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag des Klägers unzulässig ist und ordnete seine Abschiebung nach Ungarn an. Dieses Land und nicht die Bundesrepublik Deutschland sei nach den einschlägigen Bestimmungen der Dublin II-VO für die Entscheidung über den Asylantrag des Klägers zuständig.
4Der Kläger hat am 6. Februar 2014 Klage erhoben. Er beantragt,
5den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. Januar 2014 aufzuheben.
6Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
7die Klage abzuweisen.
8Mit Beschluss vom 6. März 2014 - 10 L 115/14.A - hat das Gericht einen Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt. Mit Beschlüssen vom 25. April 2014 - 238/14.A - und 20. August 2014 - 10 L 539/14.A - hat das Gericht Anträge auf Abänderung des Beschlusses vom 6. März 2014 abgelehnt. Mit weiterem Beschluss vom 16. Dezember 2014 - 10 L 909/14.A - hat das Gericht die Beschlüsse vom 6. März, 25. April und 20. August 2014 abgeändert und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im Bescheid des Bundesamtes vom 28. Januar 2014 enthaltene Abschiebungsanordnung angeordnet. Ferner hat das Gericht dem Kläger mit Beschluss vom 3. März 2015 unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten Prozesskostenhilfe bewilligt.
9Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten der Verfahren 10 K 311/14.A, 10 L 115/14.A, 10 L 238/14.A, 10 L 539/14.A und 10 L 769/14.A sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamts (zwei Hefte) Bezug genommen.
10E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
11Das Gericht kann trotz des Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung eine Entscheidung treffen, da diese ordnungsgemäß geladen und mit der Ladung gemäß § 102 Abs. 2 VwGO darauf hingewiesen wurde, dass auch im Falle ihres Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann.
12A. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) statthaft
13- vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 (juris Rn. 28 ff.); OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 - 3 L 643/12 -, juris Rn. 21 ff.; Bayerischer VGH, Urteil vom 28. Februar 2014 - 13a B 13.30295 -, BayVBl. 2014, 628 (juris Rn. 22); VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, InfAuslR 2014, 293 (juris Rn. 18) und vom 18. November 2014 - A 3 S 265/14 -, Abdruck S. 5; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 2. Februar 2015- 1 Bf 208/14.AZ -, juris Rn. 12 ff.; a.A. VG Würzburg, Urteil vom 23. Mai 2014 - W 7 K 14.30072 - Abdruck S. 5, welches eine Verpflichtungsklage auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO für statthaft hält -
14und auch im Übrigen zulässig.
15I. Der angefochtene Bescheid enthält zwei Verwaltungsakte, nämlich zum einen die unter Ziffer 2 verfügte, auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung und zum anderen die unter Ziffer 1 enthaltene Feststellung, dass der Asylantrag unzulässig ist. Dieser auf § 27a AsylVfG gestützte Ausspruch erschöpft sich nicht in der konkludent zum Ausdruck kommenden verfahrensrechtlichen Folge der Beendigung des vom Kläger eingeleiteten Asylverfahrens, sondern regelt auch mit unmittelbarer Wirkung nach außen (§ 35 Satz 1 VwVfG) dessen materielle Rechtsposition.
16Vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 28. Februar 2014 - 13a B 13.30295 -, BayVBl. 2014, 628 (juris Rn. 22); BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264.94 -, DVBl. 1995, 857 (juris Rn. 12) zu einer auf §§ 32, 33 AsylVfG gestützten Feststellung, dass das Verfahren eingestellt ist.
17Denn infolge der Beendigung des Asylverfahrens kann der Kläger das mit seinem Asylantrag verfolgte Ziel der Schutzgewährung in Deutschland nicht mehr erreichen, ohne dass der angefochtene Bescheid aufgehoben wird. Ferner erlischt die dem Kläger durch die Stellung eines Asylantrags vermittelte Aufenthaltsgestattung (§ 55 Abs. 1 AsylVfG) gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylVfG auch unabhängig vom Erlass einer Abschiebungsanordnung (§§ 67 Abs. 1 Nr. 5, 34a AsylVfG), sobald Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids unanfechtbar geworden ist. Deren Wortlaut steht dem Eintritt dieser Rechtsfolge nicht entgegen; der Sinngehalt der Feststellung, dass der Asylantrag unzulässig ist, ist identisch mit demjenigen einer Ablehnung des Asylantrags als unzulässig und steht letzterer der Sache nach gleich.
18A.A. VG Frankfurt/Main, Beschluss vom 1. April 2014 - 7 L 401/14.F.A -, juris Rn. 12 ff.
19II. Die Anfechtungsklage ist nicht wegen des Vorrangs einer Verpflichtungsklage im Hinblick darauf unzulässig, dass für das vom Kläger verfolgte Ziel, in der Bundesrepublik Deutschland Schutz vor Verfolgung oder anderen Gefahren zu erhalten, an sich die Verpflichtungsklage die richtige Klageart ist. Allerdings wird im Bereich gebundener begünstigender Verwaltungsakte aus § 113 Abs. 5 VwGO in Verbindung mit dem Amtsermittlungsprinzip des § 86 Abs. 1 VwGO allgemein abgeleitet, dass bei fehlerhafter oder verweigerter sachlicher Entscheidung der Behörde die dem Rechtsschutzbegehren des Klägers allein entsprechende Verpflichtungsklage die richtige Klageart ist mit der Konsequenz, dass das Verwaltungsgericht die Sache spruchreif zu machen hat und sich nicht auf eine Entscheidung über die Anfechtungsklage beschränken darf, die im Ergebnis einer Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde gleichkäme. Dieser Grundsatz, der auch im Asylverfahren Geltung beansprucht
20- vgl. BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264.94 -, DVBl. 1995, 857 (juris Rn. 14), Beschluss vom 28. Mai 1982 - 9 B 1152.82 -, NVwZ 1982, 630 (juris Rn. 5) -,
21gilt jedoch nicht ausnahmslos. Jedenfalls dann, wenn das Bundesamt - wie hier - noch keine Sachentscheidung getroffen hat, steht die besondere, auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde gerichtete Ausgestaltung des Asylverfahrens durch das Asylverfahrensgesetz dem Vorrang einer auf die Asylanerkennung gerichteten Verpflichtungsklage, auf die hin das Verwaltungsgericht die Sache spruchreif zu machen hätte, entgegen. Eine Verpflichtung des Gerichts, auch in Fällen der (konkludenten) Beendigung des Asylverfahrens wegen fälschlich angenommener Zuständigkeit eines anderen Staats über das Asylbegehren in der Sache zu entscheiden, würde die dem Bundesamt vom Gesetzgeber im Bemühen um Verfahrensbeschleunigung zugewiesenen Gestaltungsmöglichkeiten unterlaufen. Gelangt das Bundesamt nach sachlicher Prüfung des Asylbegehrens zu dem Ergebnis, das Begehren sei gemäß §§ 29a, 30 AsylVfG offensichtlich unbegründet, so sieht § 36 AsylVfG eine starke Beschleunigung der gerichtlichen Kontrolle dieser Entscheidung und gegebenenfalls eine kurzfristige Beendigung des Aufenthalts des betroffenen Asylbewerbers vor. Eine vergleichbare Möglichkeit steht dem Gericht nicht zu, denn es kann eine Abschiebungsandrohung gemäß § 34 AsylVfG unter Fristsetzung (§ 36 Abs. 1 AsylVfG) nicht aussprechen. Stellt sich das Asylbegehren nach Ansicht des Verwaltungsgerichts als schlicht unbegründet dar, bemisst § 38 Abs. 1 AsylVfG die Ausreisefrist auf 30 Tage; sie müsste, da sie nicht vom Gericht ausgesprochen werden kann, nachträglich von der Behörde festgesetzt werden.
22Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264.94 -, DVBl. 1995, 857 (juris Rn. 15) zu einer auf §§ 32, 33 AsylVfG gestützten Feststellung, dass das Verfahren eingestellt ist.
23Darüber hinaus ginge dem betroffenen Asylbewerber, wenn einer Verpflichtungsklage Vorrang zukäme, eine mit umfassenderen Verfahrensgarantien ausgestattete Tatsacheninstanz verloren. Das gilt sowohl für die Verpflichtung der Behörde zur persönlichen Anhörung (§ 24 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG) als auch für ihre Verpflichtung zur umfassenden Sachaufklärung sowie der zur Erhebung der erforderlichen Beweise von Amts wegen (§ 24 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) ohne die einmonatige Präklusionsfrist, wie sie für das Gerichtsverfahren vorgesehen ist (§§ 74 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG, 87b Abs. 3 VwGO).
24Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 - 3 L 643/12 -, juris Rn. 24 ff.; Bayerischer VGH, Urteil vom 28. Februar 2014 - 13a B 13.30295 -, BayVBl. 2014, 628 (juris Rn. 22); BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264.94 -, DVBl. 1995, 857 (juris Rn. 16) zu einer auf §§ 32, 33 AsylVfG gestützten Feststellung, dass das Verfahren eingestellt ist.
25Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Herstellung der Spruchreife bei Folgeanträgen i.S.d. § 71 Abs. 1 AsylVfG lässt sich ein Vorrang der Verpflichtungsklage für Fälle der hier vorliegenden Art ebenfalls nicht herleiten. Die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland oder ein anderer Staat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist, ist anders als die in §§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG normierten Voraussetzungen für ein obligatorisches Wiederaufgreifen eines bereits bestandkräftig abgeschlossenen Asylverfahrens
26- vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 -, BVerwGE 106, 171 (juris Rn. 10) -
27nicht den Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 16a GG, §§ 3 und 4 AsylVfG und §§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG für die Gewährung von Asyl, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus oder der Feststellung eines Abschiebungsverbots gleich zu stellen. Vielmehr handelt es sich bei der nach den Kriterien der Dublin II-VO durchzuführenden Bestimmung des für die Durchführung eines Asylverfahren zuständigen Staates um ein eigenständiges, der inhaltlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagertes Verfahren.
28Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 (juris Rn. 36); Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 -, InfAuslR 2015, 74 (juris Rn. 7); Bayerischer VGH, Beschluss vom 23. Januar 2015 - 13a ZB 14.50071 -, juris Rn. 6.
29III. Eine auf die Aufhebung des angefochtenen Bescheids gerichtete Anfechtungsklage bietet dem Kläger auch effektiven Rechtsschutz. Werden die beiden in diesem Bescheid enthaltenen Verwaltungsakte aufgehoben, ist das Bundesamt gesetzlich verpflichtet, das Asylverfahren des Klägers fortzuführen (§§ 24, 31 AsylVfG). Anhaltspunkte dafür, dass das Bundesamt seiner gesetzlichen Verpflichtung nicht nachkommt, liegen nicht vor.
30IV. Die Klage ist auch ansonsten zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben. Dabei kann offen bleiben, ob diese Frist zwei Wochen (§ 74 Abs. 1 Halbsatz 1 AsylVfG)
31- so z.B. VG Stuttgart, Urteil vom 26. Mai 2014 - A 12 K 12/14 -, Abdruck S. 3 -
32oder in Anknüpfung an die gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG einwöchige Frist für die Stellung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO eine Woche (§ 74 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylVfG) ab Zustellung des Bescheids vom 28. Januar 2014 beträgt.
33So z.B. VG Ansbach, Urteil vom 8. April 2014 - AN 11 K 14.30189 -, juris Rn. 15.
34Im vorliegenden Fall wäre auch die Wochenfrist eingehalten. Der angefochtene Bescheid wurde dem Kläger ausweislich der im Verwaltungsvorgang befindlichen Zustellungsurkunde am 30. Januar 2014 zugestellt; seine Klage ist am 6. Februar 2014 beim Verwaltungsgericht eingegangen.
35B. Die Klage ist auch begründet. Die in dem Bescheid des Bundesamtes vom 28. Januar 2014 enthaltenen Verwaltungsakte, nämlich die Feststellung, dass der Asylantrag des Klägers unzulässig ist (I.) und die Anordnung seiner Abschiebung nach Ungarn (II.), sind in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
36I. Die Feststellung, dass der Asylantrag des Klägers unzulässig ist, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Rechtsgrundlage für diese Feststellung ist § 27a AsylVfG. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Diese Voraussetzungen sind nicht mehr erfüllt. Zwar war zunächst Ungarn für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständig (1.). Diese Zuständigkeit ist jedoch mittlerweile auf die Beklagte übergegangen (2.). Durch den unveränderten Fortbestand des Ausspruchs unter Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids ist der Kläger auch in seinen Rechten verletzt (3.). Eine Aufrechterhaltung der Regelung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids auf anderer tatsächlicher oder rechtlicher Grundlage oder eine Umdeutung dieser Regelung in eine rechtmäßige Regelung kommen ebenfalls nicht in Betracht (4.).
371. Nach den hier gemäß Art. 49 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180, 31; im Folgenden: Dublin III-VO) noch maßgeblichen Bestimmungen der Dublin II-VO war zunächst Ungarn für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Zwar ist der Kläger von der Türkei kommend über Griechenland in das Gebiet der Mitgliedstaaten eingereist, so dass gemäß Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO eigentlich Griechenland für die Durchführung des Asylantrags des Klägers zuständig war. Jedoch verbietet sich eine Überstellung des Klägers dorthin aufgrund der dort weiterhin vorliegenden systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen
38- vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. (N.S. u.a.) -, NVwZ 2012, 417 (juris Rn. 87 ff.), sowie Entscheiderbrief 1/2015, S. 7, wonach der Bundesinnenminister Überstellungen nach Griechenland mit Erlass vom 12. Januar 2015 für ein weiteres Jahr ausgesetzt hat -,
39so dass die Beklagte zu prüfen hatte, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
40Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. (N.S. u.a.) -, NVwZ 2012, 417 (juris Rn. 96 und 107), sowie nunmehr Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO.
41Diese Prüfung führt jedenfalls deshalb auf die Zuständigkeit Ungarns, weil der Kläger dort vor seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag gestellt hat (vgl. Art. 13 Dublin II-VO). Im Übrigen hatten die ungarischen Behörden der Überstellung des Klägers zugestimmt.
422. Im für die Entscheidung des Gerichts maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist nicht mehr Ungarn, sondern die Beklagte für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständig. Die Zuständigkeit für dieses Verfahren ist gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen, weil zwischenzeitlich die Überstellungsfrist des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO verstrichen ist. Nach dieser Norm erfolgt die Überstellung eines Antragstellers aus dem ersuchenden Mitgliedstaat (hier: Deutschland) in den Mitgliedstaat, der die Wiederaufnahme akzeptiert hat (hier: Ungarn), spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme (Alt. 1) oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat (Alt. 2). Art. 20 Abs. 1 und 2 Dublin II-VO finden hier Anwendung, weil der Kläger auch in Ungarn einen Asylantrag gestellt hat, so dass ein Fall der Wiederaufnahme i.S.d. Art. 16 Abs. 1 lit. c) bis e) und Art. 20 Dublin II-VO vorliegt.
43a) Hat ein Antragsteller einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Abschiebungsanordnung erhobenen Klage gestellt und wird dieser Antrag - wie im vorliegenden Fall - abgelehnt, beginnt die Überstellungsfrist gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Alt. 2 Dublin II-VO erst mit der Wirksamkeit dieser Entscheidung, d.h. mit deren Zustellung zu laufen. Der vom Kläger rechtzeitig gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner gegen die Abschiebungsandrohung gerichteten Klage ist ein Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung i.S.d. Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Alt. 2 Dublin II-VO, da dieser Antrag seit Inkrafttreten des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG i.d.F. durch Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95 EU vom 28. August 2013 (BGBl. I, S. 3474) am 6. September 2013 (Art. 7 Satz 2 des Gesetzes vom 28. August 2013) die Abschiebung des Klägers bis zur gerichtlichen Entscheidung über diesen Antrag ausschließt.
44Vgl. VG Regensburg, Beschluss vom 13. Dezember 2013 - RO 9 S 13.30618 -, juris Rn. 19 ff.; VG Hannover, Beschluss vom 27. Mai 2014 - 5 B 634/14 -, juris Rn. 23; VG Würzburg, Beschluss vom 11. Juni 2014 - W 6 S 14.50065 -, juris Rn. 20 ff.; VG Minden, Beschluss vom 23. Juli 2014 - 10 L 553/14.A -, Abdruck S. 2 f. (jeweils zur Rechtlage nach der Dublin II-VO); VG Augsburg, Gerichtsbescheid vom 22. Oktober 2014 - Au 3 K 14.50135 -, juris Rn. 31 ff.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Dezember 2014 - 23 L 3127/14.A -, juris Rn. 6 ff. (jeweils zur Rechtlage nach der Dublin III-VO).
45Dementsprechend beginnt die Überstellungsfrist in der hier vorliegenden Fallkonstellation nicht schon gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Alt. 1 Dublin II-VO mit der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch den ersuchten Mitgliedstaat zu laufen.
46So aber z.B. OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014- 13 A 1347/14.A -, Asylmagazin 2014, 343 (juris Rn. 5 ff.); VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. März 2014 - 13 L 644/14.A -, juris Rn. 26; VG Göttingen, Beschluss vom 30. Juni 2014 - 2 B 86/14 -, juris Rn. 5 ff. (zur Rechtslage nach der Dublin II-VO); VG Minden, Urteil vom 12. Dezember 2014 - 6 K 1843/14.A -, Abdruck S. 5 ff.; VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris Rn. 37 f. (zur Rechtslage nach der Dublin III-VO); ähnlich VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, InfAuslR 2014, 452 (juris Rn. 58) -, allerdings mit der Einschränkung, dass der Lauf der Überstellungsfrist vom Eingang eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung bis zur Zustellung einer ablehnenden Entscheidung mit der Folge gehemmt wird, dass sich die Überstellungsfrist entsprechend verlängert.
47Dem Wortlaut des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Alt. 2 Dublin II-VO lässt sich nicht eindeutig entnehmen, ob unter "Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn er aufschiebende Wirkung hat" nur die endgültige gerichtliche Entscheidung im Hauptsacheverfahren oder auch die Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu verstehen ist. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Union für den Fall, dass einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung - anders als hier - Erfolg beschieden ist, ausdrücklich festgestellt
48- vgl. Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 (Petrosian) -, NVwZ 2009, 639 (juris Rn. 33); a.A. wohl OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, Asylmagazin 2014, 343 (juris Rn. 5 ff.) -
49und gilt auch für den hier gegebenen Fall, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgewiesen wurde. Art. 2 Dublin II-VO definiert weder den Begriff "Rechtsbehelf" noch den der "aufschiebenden Wirkung". Ausgehend davon, dass unionsrechtliche Begriffe autonom, d.h. losgelöst vom nationalen Begriffsverständnis zu interpretieren sind, lassen beide Begriffe es zu, einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, der nach nationalem Recht kraft Gesetzes dem Vollzug der Überstellung entgegen steht und der somit bis zu einer Entscheidung über diesen Antrag faktisch zu demselben Ergebnis wie eine gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO führt, als Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung anzusehen.
50Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand: Juni 2012, § 27a Rn. 193 zu der mit § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG inhaltsgleichen Regelung des § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylVfG, sowie ders., in: GK-AsylVfG, Stand: November 2013, § 27a Rn. 228.
51Bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts sind jedoch nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden.
52Vgl. EuGH, Urteile vom 29. Januar 2009 - C-19/08 (Petrosian) -, NVwZ 2009, 639 (juris Rn. 34), vom 6. Juni 2013 - C-648/11 -, InfAuslR 2013, 299 (juris Rn. 50), und vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 (Abdullahi) -, ZAR 2014, 199 (juris Rn. 51).
53Ziel des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 sowie der inhaltsgleichen Regelung in Art. 19 Abs. 3 Unterabs. 1 Dublin II-VO ist es zu gewährleisten, dass angesichts der praktischen Komplexität und der organisatorischen Schwierigkeiten, die mit der Durchführung der Überstellung eines Antragstellers in einen anderen Mitgliedstaats verbunden sind, der Mitgliedstaat, der eine solche Überstellung durchführt, nach beiden Tatbestandsalternativen des Art. 19 Abs. 3 Unterabs. 1 bzw. des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO über eine Frist von sechs Monaten für die Durchführung der Überstellung verfügt. Aus diesem Grund kann die Frist für die Durchführung der Überstellung erst zu laufen beginnen, wenn grundsätzlich sichergestellt ist, dass diese durchgeführt werden kann und lediglich noch deren Modalitäten zu regeln sind.
54Vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 (Petrosian) -, NVwZ 2009, 639 (juris Rn. 40 f. und 43 bis 45).
55Hierfür spricht insbesondere, dass die Überstellungsfrist, die nach dem Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags vom 15. Juni 1990 (ABl.1997, C 254, S. 1) noch einen Monat betrug, mit Inkrafttreten der Dublin II-VO auf Vorschlag der Kommission auf sechs Monate verlängert wurde, um den bei der Durchführung von Überstellungen auftretenden praktischen Schwierigkeiten angemessen Rechnung zu tragen.
56Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat, KOM (2001) 447 endgültig, S. 4, 5, 7 und 20.
57Steht ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung bis zu einer Entscheidung über diesen Antrag kraft Gesetzes einer Durchführung der Überstellung entgegen, ist - ebenso wie dann, wenn die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung die Durchführung der Überstellung ausschließt -, nicht ausreichend sichergestellt, dass die Überstellung durchgeführt werden kann. Es lässt sich auch kein Hinweis dafür finden, dass der Unionsgesetzgeber beabsichtigt hätte, die hier zu entscheidende Fallgruppe anders zu behandeln als die beiden Fallgruppen, auf die der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 29. Januar 2009 eingegangen ist.
58Vgl. Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 (Petrosian) -, NVwZ 2009, 639 (juris Rn. 43).
59Ebenso wenig ist ersichtlich, dass er die Absicht hatte, den Antragstellern die Möglichkeit einzuräumen, durch Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung die Frist für die Durchführung der Überstellung faktisch zu verkürzen.
60Vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 11. Juni 2014 - W 6 S 14.50065 -, juris Rn. 23.
61Dementsprechend ist Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Alt. 2 Dublin II-VO zur Wahrung der praktischen Wirksamkeit der in dieser Regelung festgelegten Frist dahingehend auszulegen, dass unter "Entscheidung über den Rechtsbehelf" auch die Entscheidung über einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zu verstehen sein kann und dass dann, wenn ein solcher Antrag vom Gericht abgewiesen wird, die Überstellungsfrist erst mit der Zustellung dieser Entscheidung zu laufen beginnt.
62Das bereits zitierte Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 29. Januar 2009 steht dieser Entscheidung nicht entgegen. Zwar hat der Gerichtshof mit diesem Urteil für den Fall, dass einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung- anders als hier - stattgegeben wurde, entschieden, dass die Überstellungsfrist gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Alt. 2 Dublin II-VO nicht mit der Entscheidung über den Antrag, sondern erst mit der endgültigen Entscheidung in der Hauptsache zu laufen beginnt.
63Vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 (Petrosian) -, NVwZ 2009, 639 (juris Rn. 46 und 53).
64Aus dieser Entscheidung folgt aber nicht, dass für die hier zu entscheidende Fallgruppe nicht auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgestellt werden kann oder - umgekehrt - dass wenn für die hier zu entscheidende Fallgruppe auf diesen Zeitpunkt abzustellen ist, dies auch für die vom Gerichtshof der Europäischen Union entschiedene Fallgruppe zu gelten hat.
65A.A. wohl OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014- 13 A 1347/14.A -, Asylmagazin 2014, 343 (juris Rn. 9).
66Vielmehr ist angesichts des aus unionsrechtlicher Sicht offenen Wortlauts des Art. 20 Abs. 1 lit. b) Satz 2 Alt. 2 Dublin II-VO für jede Fallgruppe unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck bzw. - in der Diktion des Gerichtshofs - des Ziels der Überstellungsfrist gesondert zu bestimmen, welche Entscheidung - endgültige Entscheidung in der Hauptsache oder Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung - die Überstellungsfrist in Lauf setzt. Die Auslegung des Art. 20 Abs. 1 lit. b) Satz 2 Alt. 2 Dublin II-VO durch das Gericht gewährleistet, dass den Mitgliedstaaten bei allen relevanten Fallkonstellationen - ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird nicht gestellt, Ablehnung des Antrags oder Stattgabe - entsprechend dem laut Gerichtshof mit der Überstellungsfrist verfolgten Ziel für die Durchführung der Überstellung sechs Monate ab dem Zeitpunkt verbleiben, ab dem die Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Überstellung nicht (mehr) entgegen steht. Dem lässt sich nicht mit Erfolg entgegen halten, die bloße Hemmung der Vollziehung hindere die zuständigen Behörden nicht, bereits vor der Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit der Vorbereitung der Überstellung zu beginnen.
67A.A. OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, Asylmagazin 2014, 343 (juris Rn. 18); VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. März 2014 - 13 L 644/14.A -, juris Rn. 26.
68Abgesehen davon, dass diese Überlegung dem Ziel der Überstellungsfrist widerspricht, dürfte sich eine derartige Vorgehensweise in der Praxis häufig als nicht oder nur schwer durchführbar erweisen. Zu denken ist insbesondere an Fälle der Überstellung kranker Personen, für die im Zielstaat der Überstellung besondere Vorkehrungen zu treffen sind, oder die vom Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bei Überstellungen von Familien nach Italien geforderten Zusicherungen der italienischen Behörden.
69Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 732/14 -, AuAS 2014, 244 (juris Rn. 16); EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel) -, HUDOC Rn. 120.
70Derartige Vorkehrungen lassen sich in der Praxis nur dann sachgerecht treffen, wenn der Termin der Überstellung zumindest absehbar ist. Dies ist nicht der Fall, solange noch ein gerichtliches Verfahren schwebt, aufgrund dessen eine Überstellung rechtlich unzulässig ist.
71b) Aufgrund der weiteren Beschlüsse vom 25. April (10 L 238/14.A) und 20. August 2014 (10 L 539/14.A), mit denen das Gericht auf § 80 Abs. 7 VwGO gestützte Anträge auf Abänderung des die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ablehnenden Beschlusses vom 6. März 2014 (10 L 115/14.A) abgelehnt hat, wurde die Überstellungsfrist nicht erneut in Lauf gesetzt. Die Anhängigkeit dieser beiden Verfahren stand einer Abschiebung des Klägers nicht entgegen, da § 80 Abs. 7 VwGO keine § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG entsprechenden Regelung enthält.
72c) Bei Anlegung des vorstehend dargelegten Maßstabs begann die Überstellungsfrist mit Zustellung des Beschlusses vom 6. März 2014 (10 L 115/14.A) zu laufen, mit dem das Gericht den Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt hat. Anhaltspunkte dafür, dass Gründe für eine Verlängerung der Überstellungsfrist (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO) vorliegen, sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich, so dass die sechsmonatige Frist des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO im September 2014 mit der Folge ablief, dass die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Satz 1 Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen ist. Dem steht nicht entgegen, dass das Gericht mit Beschluss vom 16. Dezember 2014 (10 L 909/14.A) die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung angeordnet hat. Zwar beginnt die Überstellungsfrist bei Stattgabe eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Alt. 2 Dublin II-VO grundsätzlich erst mit der abschließenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu laufen.
73Vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 (Petrosian) -, NVwZ 2009, 639 (juris Rn. 46 und 53).
74Dies gilt aber jedenfalls dann nicht, wenn die Frist des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Alt. 1 oder Alt. 2 Dublin II-VO - wie hier - bereits abgelaufen ist, bevor die aufschiebende Wirkung angeordnet wird.
75Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, juris Rn. 35; a.A. wohl VG Düsseldorf, Urteil vom 12. September 2014 - 13 K 8286/13.A -, juris Rn. 63 ff.; s.a. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 6. Februar 2013- 13 LA 270/11 -, juris Rn. 6 ff. zu einer hier nicht vorliegenden Fallkonstellation.
76Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Alt. 2 Dublin II-VO soll dem ersuchenden Mitgliedstaat ausreichend Zeit für die Vorbereitung der Überstellung in den ersuchten Mitgliedstaat einräumen
77- vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 (Petrosian) -, NVwZ 2009, 639 (juris Rn. 44 f.) -,
78nicht aber eine neue Überstellungsfrist in Lauf setzen, wenn die aufschiebende Wirkung gerade wegen der Überschreitung der Überstellungsfrist angeordnet wurde. Dementsprechend ist Art. 20 Abs. 1 lit d) Satz 2 Alt. 2 Dublin II-VO einschränkend auszulegen.
79d) Dass Ungarn erneut für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig geworden ist, lässt sich nicht feststellen. Ist die Zuständigkeit eines Mitgliedstaats aufgrund Fristablaufs entfallen, so kann dessen erneute Zuständigkeit nur begründet werden, wenn die normativen Voraussetzungen hierfür vorliegen. Im vorliegenden Fall kommt insoweit nur in Betracht, dass Ungarn (konkludent) von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch macht, indem sich die ungarischen Behörden weiterhin mit der Überstellung des Klägers dorthin einverstanden erklären. Dass die Ausübung des Selbsteintrittsrechts die Anwesenheit der betroffenen Person auf dem Staatsgebiet des betreffenden Staats voraussetzt
80- so Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand: Juni 2012, § 27a Rn. 199 -,
81lässt sich weder dem Wortlaut der Norm, noch den Gesetzgebungsmaterialien entnehmen.
82Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat, KOM (2001) 447 endgültig, S. 11; die Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinnen in der Rechtssache C-4/11 (Puid) vom 18. April 2013, Rn. 70, gehen ebenfalls nicht von einer entsprechenden Einschränkung aus.
83Daraus, dass die ungarischen Behörden mit Schreiben vom 10. Dezember 2013 der Übernahme des Klägers zugestimmt haben, kann nicht geschlossen werden, dass Ungarn unbefristet mit einer Überstellung des Klägers einverstanden ist. Die Zustimmungserklärung ist vielmehr im Kontext der Dublin II-VO zu verstehen, wonach Zuständigkeiten auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergehen, wenn bestimmte Fristen nicht eingehalten werden.
84Vgl. VG Würzburg, Urteil vom 13. Januar 2015 - W 3 K 14.30092 -, juris Rn. 17; VG Ansbach, Urteil vom 16. Januar 2015 - AN 14 K 14.50166 -, juris Rn. 20; VG Sigmaringen, Urteil vom 28. Januar 2015 - A 1 K 500/14 -, juris Rn. 35.
85Auch der Unionsgesetzgeber ist davon ausgegangen, dass sich die Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaats mit dem Ablauf der Überstellungsfrist erledigt.
86Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat, KOM (2001) 447 endgültig, S. 21.
87Aus diesen Gründen kann nicht bis zu einem ausdrücklichen Widerruf der Zustimmung bzw. einer ausdrücklichen Ablehnung der Überstellung durch den ersuchten Mitgliedstaat davon ausgegangen werden, dass dieser weiterhin mit einer Überstellung einverstanden ist.
88A.A. OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 24. Februar 2015 - 2 LA 15/15 -, juris Rn. 13.
89Anhaltspunkte dafür, dass die ungarischen Behörden trotz des zwischenzeitlichen Übergangs der Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens weiterhin mit der Überstellung des Klägers einverstanden sind, sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Die Beklagte hat weder im vorliegenden Fall noch in anderen beim erkennenden Gericht anhängigen Fällen eine entsprechende einzelfallbezogene Erklärung der Behörden des ersuchten Mitgliedstaats oder Nachweise dafür vorgelegt, dass sich im Verhältnis zu bestimmten Mitgliedstaaten eine entsprechende Verwaltungspraxis herausgebildet hätte.
903. Durch den unveränderten Fortbestand des Ausspruchs unter Nr. 1 des angefochtenen Bescheids trotz Ablaufs der Überstellungsfrist und Übergangs der Zuständigkeit für das Asylverfahren des Klägers auf die Bundesrepublik Deutschland ist dieser auch in seinen Rechten verletzt.
91Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. August 2013- 12 S 675/13 -, InfAuslR 2014, 29 (juris Rn. 13); VG Minden, Urteil vom 12. Dezember 2014 - 6 K 1843/14.A -, Abdruck S. 8 f.; VG Düsseldorf, Urteil vom 12. Januar 2015 - 11 K 1640/14.A -, juris Rn. 24; VG Würzburg, Urteil vom 13. Januar 2015 - W 3 K 14.30092 -, juris Rn. 18; VG Ansbach, Urteil vom 16. Januar 2015 - AN 14 K 14.50166 -, juris Rn. 21 ff.; VG Sigmaringen, Urteil vom 28. Januar 2015 - A 1 K 500/14 -, juris Rn. 34 f.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 17. Februar 2015 - 6a L 239/15.A -, juris Rn. 12 ff.; a.A. Hessischer VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 975/14.A -, juris Rn. 17; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, InfAuslR 2014, 452 (juris Rn. 59, mit der Einschränkung, dass die Überstellung noch zeitnah möglich sein muss); Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 6. November 2014- 13 LA 66/14 -, InfAuslR 2015, 74 (juris Rn. 11 f.); OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 24. Februar 2015 - 2 LA 15/15 -, juris Rn. 7; Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014 Anm. 3, S. 2; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand: November 2014, § 27a Rn. 234.
92Diese Rechtsverletzung ergibt sich schon aus dem nationalen Recht (a). Das Unionsrecht steht der Anwendung des nationalen Rechts nicht entgegen (b). Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt sich nichts anderes (c). Dass sich der Kläger auf die Verletzung seiner Rechte beruft, verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben (d).
93a) Nach nationalem Recht verletzt die einer Ablehnung des Asylantrags als unzulässig gleichkommende (s.o. A. I.) Feststellung, dass der Asylantrag unzulässig ist, den Kläger in seinen Rechten, weil dem Kläger gemäß §§ 24, 31 AsylVfG ein Anspruch auf sachliche Prüfung seines Asylantrags durch die Beklagte zusteht. Die Beklagte darf allerdings gemäß § 27a AsylVfG dann von einer sachlichen Prüfung eines Asylantrags absehen, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Liegen diese Voraussetzungen - so wie hier - nicht vor, verletzt der objektiv rechtswidrige Verwaltungsakt das subjektiv-öffentliche Recht des Klägers aus §§ 24, 31 AsylVfG, da dann nicht davon ausgegangen werden kann, dass eine Prüfung des Asylbegehrens überhaupt bzw. innerhalb angemessener Frist erfolgt. Dies gilt unabhängig vom Schutzzweck des § 27a AsylVfG. Auf den Schutzzweck der verletzten Norm kommt es hier angesichts der Verletzung anderweitiger subjektiver Rechte nicht an.
94Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. August 2013- 12 S 675/13 -, InfAuslR 2014, 29 (juris Rn. 13); VG München, Gerichtsbescheid vom 26. November 2014 - M 21 K 14.30334 -, Abdruck S. 15 ff ; VG Würzburg, Urteil vom 13. Januar 2015- W 3 K 14.30092 -, juris Rn. 18; VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris Rn. 43; VG Gelsen-kirchen, Beschluss vom 17. Februar 2015 - 6a L 239/15.A -, juris Rn. 12 ff.
95b) Das Unionsrecht steht der Anwendung der vorstehend dargelegten Rechtsgrundsätze nicht entgegen. Allerdings hat das Unionsrecht Vorrang gegenüber dem nationalen Recht; daraus folgt die Verpflichtung der nationalen Gerichte und Behörden, unmittelbar geltendes Unionsrecht ohne Rücksicht auf nationales Recht anzuwenden und entgegenstehendes nationales Recht unberücksichtigt zu lassen.
96Vgl. EuGH, Urteile vom 15. Juli 1964 - Rechtssache 6/64 (Cos-ta) -, juris S. 6 f., vom 9. März 1978 - Rechtssache 106/77 -, NJW 1978, 1741 (juris S. 5), und vom 19. Januar 2010 - C-555/07 (Kücükdeveci) -, NJW 2010, 427 (juris Rn. 54).
97Im vorliegenden Fall steht das Unionsrecht dem nationalen Recht aber jedenfalls deshalb nicht entgegen, weil Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO Asylbewerbern ebenfalls ein subjektives Recht einräumt, sich auf den Ablauf der Überstellungsfrist und den damit verbundenen Übergang der Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens zu berufen.
98Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6. August 2013- 12 S 675/13 -, InfAuslR 2014, 29 (juris Rn. 13); VG Ansbach, Urteil vom 16. Januar 2015 - AN 14 K 14.50166 -, juris Rn. 21 ff.; weitergehend (Zuständigkeitsregelungen der Dublin-Verordnungen begründen generell Rechte der betroffenen Asylbewerber) VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015- 22 K 2262/14.A -, juris Rn. 47 ff.; a.A. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, InfAuslR 2014, 452 (juris Rn. 59) unter Bezugnahme auf VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, InfAuslR 2014, 293 (juris Rn. 25 ff.); Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 -, InfAuslR 2015, 74 (juris Rn. 11 f.); OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 24. Februar 2015 - 2 LA 15/15 -, juris Rn. 7; Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014 Anm. 3, S. 2; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand: November 2014, § 27a Rn. 234.
99Zwar räumt die Dublin II-VO einem Asylbewerber kein Recht auf Prüfung seines Antrags in einem bestimmten Staat ein
100- vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6. August 2013- 12 S 675/13 -, InfAuslR 2014, 29 (juris Rn. 13); Nieder-sächsisches OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 -, InfAuslR 2015, 74 (juris Rn. 11) -
101und dienen die Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und einer zeitnahen Überstellung in diesen Staat
102- vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, InfAuslR 2014, 293 (juris Rn. 25); OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 24. Februar 2015 - 2 LA 15/15 -, juris Rn. 7 -
103und damit in erster Linie dem Schutz öffentlicher Interessen.
104Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18. November 2014- A 3 S 265/14 -, Abdruck S. 9.
105Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. Jedenfalls einzelne Regelungen der Dublin II-VO dienen zumindest auch dem Schutz von Asylbewerbern. Dies ist in der Rechtsprechung z.B. für Art. 6 Abs. 2 Dublin II-VO (Zuständigkeit für unbegleitete Minderjährige)
106- vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 9. Dezember 2014 - 2 A 313/13 -, juris Rn. 38; s.a. EuGH, Urteil vom 6. Juni 2013 - C-648/11 -, InfAuslR 2013, 299 (juris Rn. 55) -
107sowie Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO (Zusammenführung von Familienmitgliedern bei Hilfsbedürftigkeit)
108- vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18. November 2014 - A 3 S 265/14 -, Abdruck S. 9 -
109anerkannt. Dementsprechend trifft die Auffassung des Generalanwalts Jääskinnen, die Dublin II-VO sei nicht darauf gerichtet, Rechte des Einzelnen zu begründen, sondern (nur) darauf, die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten zu regeln
110- vgl. Schlussanträge in der Rechtssache C-4/11 (Puid) vom 18. April 2013, Rn. 58 -,
111zwar im Grundsatz, nicht aber absolut zu.
112Auch die Regelung in Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO dient nicht nur dem Schutz öffentlicher Interessen, sondern - gleichrangig - auch dem Schutz des Interesses des betroffenen Asylbewerbers an einer zügigen Durchführung seines Asylverfahrens. Aus Erwägungsgrund Nr. 4 zur Dublin II-VO ergibt sich, dass die Verordnung "insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen" soll, "um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden." Schon diese offen formulierte, nicht auf den Schutz staatlicher Interessen beschränkte Erwägung deutet darauf hin, dass jedenfalls einzelne Regelungen der Verordnung zumindest auch dem Schutz der Interessen der betroffenen Asylbewerber, nämlich dem effektiven Zugang zu einem Asylverfahren innerhalb angemessener Frist und - soweit die rechtlichen Voraussetzungen dafür vorliegen - der Verleihung eines Schutzstatus dienen. Dies wird durch die Ziele bestätigt, die der Unionsgesetzgeber mit der Verordnung erreichen wollte. Danach soll die Verordnung u.a. sicherstellen, "dass jeder Asylbewerber effektiv Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft hat, indem … Bestimmungen festgelegt werden, die im Falle einer Fristüberschreitung Konsequenzen ermöglichen" (Hervorhebungen durch das Gericht).
113Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat, KOM (2001) 447 endgültig, S. 3.
114In einem Arbeitspapier der Kommission zur Überarbeitung des Dublin-Übereinkommens wird die Gewährleistung eines effektiven Zugangs zum Asylverfahren für alle Antragsteller ("for all applicants") sogar als Hauptzweck ("fundamental purpose") dieses Übereinkommens bezeichnet.
115Vgl. Commission of the European Communities; Commission staff working paper, Revisiting the Dublin Convention, SEC (2000) 522.
116Insbesondere wollte der Unionsgesetzgeber mit der Regelung in Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO das Problem des "refugee in orbit" vermeiden, dessen Asylantrag über längere Zeit in keinem Mitgliedstaat geprüft wird. Dieses Ziel wird gleichrangig neben der Erwägung genannt, dass der Mitgliedstaat, der die gemeinsamen Zielvorgaben zur Kontrolle der illegalen Zuwanderung nicht umsetzt, gegenüber den Partnerländern die Folgen tragen soll.
117Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat, KOM (2001) 447 endgültig, S. 20; Filzwieser/Sprung, Dublin II- VO, 1. Auflage 2010, Art. 19 Rn. 34; dies., Dublin III-VO, 1. Auflage 2014, Art. 29 Rn. 9.
118Auch der Gerichthof der Europäischen Union erkennt an, dass die Dublin II-VO hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen
119- vgl. Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. (N.S. u.a.) -, NVwZ 2012, 417 (juris Rn. 79), und vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 (Abdullahi) -, ZAR 2014, 199 (juris Rn. 53) -,
120und dass der Mitgliedstaat, in dem sich ein Asylbewerber befindet, darauf zu achten hat, dass eine Situation, in der dessen Grundrechte verletzt werden, nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats verschlimmert wird.
121Vgl. Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. (N.S. u.a.) -, NVwZ 2012, 417, (juris Rn. 98), und vom 14. November 2013 - C-4/11 (Puid) -, NVwZ 2014, 129 (juris Rn. 35).
122Verzögerungen bei der Überstellung eines Asylbewerbers in den zuständigen Mitgliedstaat stehen dem Ziel des Verordnungsgebers - Gewährleistung, dass trotz Durchführung des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats über Asylanträge innerhalb angemessener Frist entschieden wird - in gleicher Weise entgegen wie ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats.
123Dass sich aufgrund Zeitablaufs eine Verpflichtung der Beklagten ergeben kann, zur sachlichen Prüfung des Asylantrags überzugehen, erkennen auch einige Vertreter der Gegenansicht, wonach sich Asylbewerber nicht auf den Ablauf der Überstellungsfrist und den damit verbundenen Zuständigkeitsübergang berufen können, an. Danach hat die zuständige Behörde im Falle einer unangemessen langen Verfahrensdauer von einer Überstellung abzusehen und das Verfahren mit der sachlichen Prüfung des Asylantrags fortzusetzen. Keine Einigkeit besteht allerdings bezüglich dessen, was unangemessen ist.
124Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August 2014- A 11 S 1285/14 -, InfAuslR 2014, 452 (juris Rn. 59: solange Überstellung noch zeitnah möglich ist); VG Düsseldorf, Urteil vom 12. September 2014 - 13 K 8286/13.A -, juris Rn. 88 ff. (zwölf Monate unter Berücksichtigung der Entscheidungsfrist aus § 24 Abs. 4 AsylVfG).
125Abgesehen davon, dass es sich verbieten dürfte, die (unionsrechtliche) Unangemessenheit der Verfahrensdauer unter Rückgriff auf dem nationalen Recht entliehene Wertungen zu bestimmen, entnimmt das Gericht der Regelung in Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO und dem vom Unionsgesetzgeber mit dieser Regelung (auch) verfolgten Ziel, eine unangemessene Verzögerung der sachlichen Prüfung von Asylanträgen auszuschließen, dass der Unionsgesetzgeber für die Durchführung der Überstellung eine Dauer von sechs Monaten als angemessen erachtet hat.
126c) Mit seiner Auffassung, die Regelung in Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO verleihe Asylbewerbern ein subjektives Recht, sich auf den Ablauf der Überstellungsfrist und den damit verbundenen Zuständigkeitsübergang zu berufen, setzt sich das Gericht nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofs der europäischen Union. Dies gilt insbesondere auch für dessen Urteil vom 10. Dezember 2013
127- C-394/12 (Abdullahi) -, ZAR 2014, 199 (juris) -,
128auf das sich die Gegenansicht, wonach sich Asylbewerber nicht auf den Ablauf der Überstellungsfrist und den damit verbundenen Zuständigkeitsübergang berufen können, stützt.
129Vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 -, InfAuslR 2015, 74 (juris Rn. 11 f.); OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 24. Februar 2015 - 2 LA 15/15 -, juris Rn. 8 f.; Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014 Anm. 3, S. 2.
130Mit diesem Urteil hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylbewerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO niedergelegten Kriteriums (Mitgliedstaat der ersten Einreise) zugestimmt hat, der Asylbewerber der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht.
131Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 (Abdul-lahi) -, ZAR 2014, 199 (juris Rn. 62).
132Weder verhält sich diese Entscheidung zu sämtlichen der in Kapitel III (Art. 5 bis 14) der Dublin II-VO aufgeführten Kriterien, noch enthält sie die Aussage, dass Asylbewerber sich gegen eine Überstellung in den Staat, der ihrer Aufnahme bzw. Wiederaufnahme zugestimmt hat, unabhängig vom jeweiligen Zuständigkeitskriterium allein darauf berufen können, dass dort systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen vorliegen. Dasselbe gilt bezüglich der hier relevanten Frage, ob Asylbewerber sich auf den Ablauf der Überstellungsfrist und den damit verbundenen Zuständigkeitsübergang berufen können.
133Vgl. VG Düsseldorf, Urteile vom 12. Januar 2015 - 11 K 1640/14.A -, juris Rn. 26 ff. und vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris Rn. 70 ff.; VG Sigmaringen, Urteil vom 28. Januar 2015 - 1 K 500/14 -, juris Rn. 35; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 17. Februar 2015 - 6a L 239/15.A -, juris Rn. 16.
134Vielmehr ist ausgehend von dem Grundsatz, dass die Dublin II-VO nicht darauf gerichtet ist, Rechte des Einzelnen zu begründen
135- vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinnen in der Rechtssache C-4/11 (Puid) vom 18. April 2013, Rn. 58 -,
136für jede Zuständigkeitsregelung der Dublin-II-VO einzeln zu untersuchen, ob sie subjektive Rechte zugunsten von Asylbewerbern begründet. Dies ist in Bezug auf die Regelung in Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO - wie bereits unter b) dargelegt - der Fall.
137d) Dass sich der Kläger auf den Ablauf der Überstellungsfrist und den damit verbundenen Zuständigkeitsübergang beruft, verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben, insbesondere nicht gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens.
138So aber VG Düsseldorf, Urteil vom 12. September 2014 - 13 K 8286/13.A -, juris Rn. 83 ff.; VG Cottbus, Beschluss vom 3. März 2015 - VG 5 L 108/15.A -, Rn. 19.
139Die Rechtsordnung lässt widersprüchliches Verhalten grundsätzlich zu. Ein solches Verhalten ist nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Eine Rechtsausübung kann unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen. Das ist der Fall, wenn der Betroffene zumindest daran mitgewirkt hat, dass bei dem anderen Teil der Eindruck entstehen musste, er werde sich im Nachhinein nicht auf eine bestimmte Rechtsposition berufen.
140Vgl. dazu etwa BVerwG, Urteil vom 9. Oktober 2014 - 5 C 26.13 -, NVwZ-RR 2015, 46 (juris Rn. 31); OVG NRW, Urteil vom 13. August 2014 - 8 B 340/14 -, NVwZ-RR 2014, 918 (juris Rn. 28); VG Hamburg, Urteil vom 17. März 2014 - 8 A 445/14 -, juris Rn. 18; Grüneberg, in: Palandt, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 74. Auflage 2015, § 242 Rn. 55.
141Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Der Kläger hat keinen Vertrauenstatbestand geschaffen, der einer erfolgreichen Berufung auf das Verstreichen der Überstellungsfrist entgegenstehen würde. Vor allem ist weder substanziiert dargelegt noch sonst ersichtlich, dass der Kläger gegenüber der Beklagten den Eindruck erweckt hätte, er werde die Bundesrepublik Deutschland innerhalb der Überstellungsfrist freiwillig verlassen, und eine fristgerechte Abschiebung gerade mit Blick auf ein solches Verhalten des Klägers unterblieben wäre.
1424. Eine Aufrechterhaltung der Regelung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids auf anderer tatsächlicher oder rechtlicher Grundlage oder eine Umdeutung dieser Regelung in eine rechtmäßige Regelung kommen ebenfalls nicht in Betracht.
143a) Erweist sich, dass die Begründung eines angefochtenen Bescheids dessen Regelung nicht trägt, hat das Gericht zu prüfen, ob diese gestützt auf andere, in der Begründung des angefochtenen Bescheids nicht enthaltene tatsächliche oder rechtliche Erwägungen ganz oder teilweise aufrechterhalten werden kann. Etwas anderes gilt nur, wenn die Schranke eingreift, die der Zulässigkeit eines Nachschiebens von Gründen entgegen steht, wenn also die anderweitige rechtliche Begründung oder die erstmals zugrundegelegten Tatsachen zu einer Wesensveränderung des angefochtenen Bescheids führten.
144Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Januar 1982 - 8 C 12.81 -, BVerwGE 64, 356 (juris Rn. 12), sowie vom 19. August 1988- 8 C 29.87 -, BVerwGE 80, 96 (juris Rn. 11 ff.); Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 13. Auflage 2010, § 113 Rn. 17.
145Dies gilt grundsätzlich auch für das Asylverfahren.
146Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 1998 - 9 C 53.97 -, BVerwGE 108, 30 (juris Rn. 16).
147Von der Aufrechterhaltung der Regelung eines Bescheids auf anderer tatsächlicher oder rechtlicher Grundlage ist die Umdeutung (§ 47 VwVfG) zu unterscheiden. Während bei ersterer die Regelung des angefochtenen Verwaltungsakts unangetastet bleibt und lediglich auf eine neue Grundlage gestellt wird, wird die Regelung des angefochtenen Verwaltungsakts bei der Umdeutung durch eine neue Regelung ersetzt. Dazu sind im gerichtlichen Verfahren auch die Verwaltungsgerichte ermächtigt.
148Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. August 1988 - 8 C 29.87 -, BVerwGE 80, 96 (juris Rn. 12).
149Auch dies gilt grundsätzlich auch für das Asylverfahren.
150Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. September 2001 - 1 C 4.01 -, BVerwGE 115, 111 (juris Rn. 10).
151b) Eine Aufrechterhaltung der Regelung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids auf anderer rechtlicher oder tatsächlicher Grundlage ist weder gestützt auf § 26a AsylVfG noch gestützt auf § 71a AsylVfG möglich.
152Siehe hierzu auch BVerwG, Beschluss vom 18. Februar 2015-1 B 2.15 -, juris Rn. 8, sowie Bayerischer VGH, Urteil vom 9. Oktober 2014 - 20 B 13.30332 -, juris Rn. 20, die diese Frage für einen auf §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG gestützten Bescheid offen lassen.
153aa) Die Regelung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids kann nicht gestützt auf § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG aufrecht erhalten werden. Nach dieser Norm kann sich ein Ausländer, der aus einem Drittstaat im Sinne des Artikels 16a Abs. 2 Satz 1 GG (sicherer Drittstaat) eingereist ist, nicht auf Art. 16a Abs. 1 GG berufen. Ergänzend hierzu bestimmt § 31 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG, dass dann, wenn ein Asylantrag nur nach § 26a AsylVfG abgelehnt wird, nur festzustellen ist, dass dem Ausländer aufgrund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht.
154Zwar ist Ungarn als Mitgliedstaat der Europäischen Union gemäß Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a Abs. 2 AsylVfG ein sicherer Drittstaat. Jedoch findet die Drittstaatenregelung gemäß § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG keine Anwendung, wenn die Beklagte - wie hier (s.o. 2.) - aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
155bb) Eine Aufrechterhaltung der Regelung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids auf Grundlage des § 71a Abs. 1 AsylVfG scheidet ebenfalls aus. Nach dieser Norm ist ein weiteres Asylverfahren dann, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat i.S.d. § 26a AsylVfG, für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt.
156Die Regelung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids kann nicht auf Grundlage des § 71a Abs. 1 AsylVfG aufrecht erhalten werden, weil dies angesichts der besonderen Ausgestaltung des Asylverfahrensgesetzes zu einer Wesensveränderung dieser Regelung führte. Das Bundesamt hat sich bisher auf die der eigentlichen Sachentscheidung vorgelagerte Prüfung der Zuständigkeit der Beklagten beschränkt und ist nicht in die sachliche Prüfung des Asylbegehrens eingetreten, zu der nicht nur die Prüfung der in §§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG (s.o. A. II.), sondern auch die Prüfung der in § 71a Abs. 1 AsylVfG, 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG normierten Voraussetzungen gehört. Die sachliche Prüfung des Asylbegehrens ist jedoch - wie bereits unter A. II. dargelegt - aufgrund der besonderen Ausgestaltung des Asylverfahrensgesetzes (Beschleunigung des Verfahrens, Konzentration des Verfahrens auf das Bundesamt, umfassende Verfahrensgarantien) dem Bundesamt vorbehalten.
157Die mit einer Aufrechterhaltung auf Grundlage des § 71a Abs. 1 AsylVfG verbundene Wesensänderung der Regelung unter Ziffer 1 wird auch bei einem Blick auf die mit einer auf § 27a AsylVfG sowie die mit einer auf § 71a Abs. 1 AsylVfG gestützten Entscheidung verbundenen "Nebenentscheidungen" deutlich. Da diese Entscheidungen regelhaft zusammen mit der Entscheidung gemäß § 27a bzw. 71a Abs. 1 AsylVfG ergehen, sind letztere nicht isoliert zu betrachten, sondern sind die "Nebenentscheidungen" in die Betrachtung, ob eine Wesensveränderung vorliegt, mit einzubeziehen.
158Während bei einer Entscheidung gemäß § 27a AsylVfG - wie auch im vorliegenden Fall - eine Abschiebungsanordnung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat ergeht (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG), ist bei einer auf § 71a Abs. 1 AsylVfG gestützten Entscheidung zunächst zu prüfen, ob Abschiebungsverbote bezüglich des Herkunftsstaats des Ausländers vorliegen (§§ 71a Abs. 2 Satz 1, 24 Abs. 2 AsylVfG) und auf Grundlage dieser Prüfung die Abschiebung in den Herkunftsstaat anzudrohen (§§ 71a Abs. 4, 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Schon beim Austausch des Zielstaats der Abschiebung handelt es sich um eine weitgehende inhaltliche Änderung.
159Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 - 10 C 7.13 -, BVerwGE 150, 29 (juris Rn. 35).
160c) Die Regelung in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids kann auch nicht gemäß § 47 Abs. 1 VwVfG in die rechtmäßige Ablehnung eines Zweitantrags (§ 71a AsylVfG) umgedeutet werden.
161Vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 23. Januar 2015 - 13a ZB 14.50071 -, juris Rn. 9; VG Regensburg, Urteil vom 21. Oktober 2014 - RO 9 K 14.30217 -, juris Rn. 22 ff.; VG München, Gerichtsbescheid vom 26. November 2014 - M 21 K 14.30334 -, Abdruck, S. 19 ff.; VG Würzburg, Urteil vom 13. Januar 2015 - W 3 K 30092 -, juris Rn. 19 ff.; VG Ansbach, Urteil vom 16. Januar 2015 - AN 14 K 14.50166 -, juris Rn. 24 ff.; VG Oldenburg, Urteil vom 11. März 2015 - 1 A 156/15 -, juris Rn. 24 ff.; s.a. BVerwG, Beschluss vom 18. Februar 2015 - 1 B 2.15 -, juris Rn. 8, und Bayerischer VGH, Urteil vom 9. Oktober 2014 - 20 B 13.30332 -, juris Rn. 20, die diese Frage für einen auf §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG gestützten Bescheid offen lassen.
162§ 47 Abs. 1 VwVfG bestimmt, dass ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden kann, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Dies gilt gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwVfG nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsakts.
163Das Gericht lässt offen, ob eine Umdeutung auch schon deshalb ausgeschlossen ist, weil sie der in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids zum Ausdruck gekommenen Absicht widerspricht, nicht in eine sachliche Prüfung des Asylantrags des Klägers einzutreten, oder ob der angefochtene Bescheid aufgehoben werden muss, um den Asylantrag des Kläger überhaupt sachlich prüfen zu können. Die Voraussetzungen für eine Umdeutung liegen hier jedenfalls deshalb nicht vor, weil die Ablehnung der Prüfung eines Zweitantrags nicht auf dasselbe Ziel gerichtet ist und für den Betroffenen mit ungünstigeren Rechtsfolgen verbunden ist wie bzw. als die vom Bundesamt getroffene Regelung. Die Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrensgesetzes zuständigen Mitgliedstaats ist der Prüfung des Asylantrags - wie bereits unter A. II. dargelegt - vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Asylanspruchs, zu denen auch die Voraussetzungen gehören, unter denen nach §§ 71a Abs. 1 AsylVfG, 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein in einem anderen Staat abgeschlossenes Asylverfahren wiederaufzugreifen ist. Vielmehr kommt es für die Entscheidung nach § 27a AsylVfG allein darauf an, ob die Beklagte nach den Vorschriften der Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist oder nicht. Außerdem hat die Ablehnung eines Zweitantrags nach § 71a AsylVfG eine entscheidend andere Rechtswirkung. Dies ergibt sich bereits daraus, dass im Falle der Ablehnung eines Zweitantrags keine Abschiebungsanordnung in den zuständigen Mitgliedstaat, sondern regelmäßig eine Abschiebungsandrohung in den jeweiligen Herkunftsstaat ergeht. Die Beklagte müsste somit im Rahmen der Prüfung des Zweitantrags nicht nur die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG, sondern gemäß §§ 71a Abs. 2 Satz 1, 24 Abs. 2 AsylVfG auch zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG prüfen.
164Ferner steht einer Umdeutung auch entgegen, dass hier über eine Anfechtungsklage zu entscheiden ist, während im Falle der Ablehnung eines Zweitantrags die Verpflichtungsklage die statthafte Klageart ist.
165VG Ansbach, Urteil vom 16. Januar 2015 - AN 14 K 14.50166 -, juris Rn. 31.
166II. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung nach Ungarn in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides ist inzwischen ebenfalls rechtswidrig geworden und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Nach dieser Norm ordnet das Bundesamt, wenn der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Wie bereits ausgeführt, ist Ungarn nicht mehr für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständig. Außerdem steht nicht i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG fest, dass Ungarn nach Ablauf der Überstellungsfrist weiter bereit ist, den Kläger wiederaufzunehmen (s.o. I. 2. d).
167Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Minden Urteil, 19. März 2015 - 10 K 311/14.A
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Verwaltungsgericht Minden Urteil, 19. März 2015 - 10 K 311/14.A zitiert oder wird zitiert von 26 Urteil(en).
(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.
(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.
(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Der am 22. Januar 1979 in Rimal/Marokko geborene Kläger ist nach seinen Angaben marokkanischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit.
3Er war bereits im Sommer/Herbst 2009 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und wurde am 23. September 2009 in Erfurt von der Polizei aufgegriffen. Am 2. Oktober 2009 stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß § 25 AsylVfG gab der Kläger an, er sei von Libyen mit dem Schlauchboot nach Sizilien gebracht worden. Von dort aus sei er mit dem Zug nach Mailand, dann weiter nach Paris und von dort nach Deutschland gefahren.
4Das Bundesamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 als unzulässig ab; zugleich ordnete es die Abschiebung nach Italien an. In der Begründung hieß es unter anderem: Laut Eurodac sei der Kläger am 24. Mai 2009 illegal über Italien in den Bereich der Mitgliedstaaten der Dublin II-VO eingereist. Auf ein am 16. November 2009 gestelltes Übernahmeersuchen hin habe Italien seine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO erklärt. Daher werde dieser Antrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.
5Aufgrund des Übernahmeersuchens wurde der Kläger am 22. Dezember 2009 auf dem Luftwege über den Flughafen Rom-Fiumicino nach Italien überstellt.
6Am 11. Januar 2011 wurde der Kläger wegen erneuten illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet wiederum in Erfurt aufgegriffen. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Thüringer Polizei gab er an, er habe nach der Abschiebung nach Italien dort keinen festen Wohnsitz gehabt. Einen Asylantrag habe er nicht stellen können. Er sei deshalb nach Frankreich weitergereist, habe sich aber auch dort ohne festen Wohnsitz aufgehalten, ohne einen Asylantrag zu stellen. Schließlich sei er – einen Tag zuvor – wieder nach Deutschland gekommen. Er bitte um Asylgewährung, weil er in Marokko von der Familie seiner Freundin, die er geschwängert habe, mit dem Tode bedroht werde.
7Unter dem 17. Januar 2011 ersuchte das Bundesamt Italien unter Bezugnahme auf Art. 16 Satz 1, Art. 13 Dublin II‑VO um Übernahme des Klägers. Das Ersuchen blieb – ebenso wie eine unter Hinweis auf die Annahmefiktion erfolgte Erinnerung vom 18. Februar 2011 – unbeantwortet.
8Mit Bescheid vom 27. April 2011 lehnte das Bundesamt den erneuten Antrag des Klägers auf Durchführung eines Asylverfahrens ab und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an. Italien sei für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Wiederaufgreifensgründe lägen insoweit nicht vor, als diese nicht das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II-VO beträfen. Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO seien ebenfalls nicht ersichtlich. Ein Ausnahmefall vom Konzept der normativen Vergewisserung liege nicht vor.
9Ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes war die Überstellung des Klägers von Düsseldorf nach Rom-Fiumicino mit einem Flug am 10. Mai 2011 vorgesehen.
10Mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A – hat das Verwaltungsgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, vorläufig für die Dauer von sechs Monaten Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen.
11Mit seiner am 16. Mai 2011 erhobenen Klage hat der Kläger im Kern geltend gemacht, die tatsächliche Situation für Asylsuchende in Italien lasse unverändert nicht den Schluss zu, dass dort ein Asylverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werde.
12Der Kläger hat beantragt,
13den Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Asylantrag in der Sache zu entscheiden.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, hat das Verwaltungsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Der Kläger habe einen aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Selbsteintrittsrecht) folgenden Anspruch darauf, dass ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werde. Das insoweit bestehende Ermessen sei auf Null reduziert. Denn es sei nach den tatsächlichen Verhältnissen in Italien nicht gewährleistet, dass dem Kläger dort ein den Richtlinien der Europäischen Union konformes Asylverfahren zugänglich gemacht werde und namentlich die Erfüllung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse sichergestellt sei. Unabhängig davon sei Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens auch deswegen zuständig, weil die nach der Dublin II-VO geltende Überstellungsfrist von 6 Monaten abgelaufen sei. Diese Frist habe sich infolge des durchgeführten Eilverfahrens nicht verlängert.
17In einem weiteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes während des anhängigen Verfahrens auf Zulassung der Berufung hat der Senat durch Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamts vom 27. April 2011 angeordnet.
18Die mit Beschluss vom gleichen Tage zugelassene Berufung hat die Beklagte fristgerecht begründet. Sie hält aus im Einzelnen dargelegten Gründen Italien weiterhin für zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens.
19Der Kläger beantragt, seinen erstinstanzlichen Antrag neu fassend,
20den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2011 aufzuheben.
21Die Beklagte beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage mit dem neu gefassten Antrag abzuweisen.
23Der Kläger beantragt weiter,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Der Kläger tritt der Berufung entgegen und macht hierzu im Wesentlichen geltend: Jedenfalls im Falle ernsthafter Anhaltspunkte für eine mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen im Zielstaat einer Dublin-Überstellung drohende Verletzung von Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: EUGRCh) habe der betroffene Asylbewerber ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts, zumindest aber auf Absehen von einer Überstellung. Was den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO betreffe, lasse sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache „Petrosian“ für die Rechtslage in Deutschland kein klares Ergebnis herleiten. Hinsichtlich der tatsächlichen Aspekte des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer in Italien überzeuge die Bewertung der konkreten Situation vor Ort durch die Beklagte sowie in den von dieser zur Stützung ihrer Auffassung in Bezug genommenen Erkenntnismitteln nicht. Es fänden sich dort zum Teil widersprüchliche und/oder ungenaue Aussagen. Zu den Quellen gebe es insbesondere bei den Auskünften des Auswärtigen Amtes nur sehr allgemeine Angaben. Die konkreten Fragen des Senats in dessen Anfrage vom 18. Oktober/27. November 2013 seien unbeantwortet geblieben; das habe der gesetzlich vorgeschriebenen Amtshilfe nicht Genüge getan. Zumindest ein Teil der von der Beklagten außerdem in Bezug genommenen Gerichtsentscheidungen betreffe schon keine hinreichend vergleichbaren Fallkonstellationen; andere Entscheidungen schöpften nicht die Erkenntnisse aus den neuesten vorhandenen Auskünften/Berichten in der gebotenen Weise aus. Auf der Grundlage einer verständigen Würdigung aller vorhandenen und namentlich der besonders aktuellen Erkenntnismittel stelle sich die Lage demgegenüber so dar, dass eine von den tatsächlich zur Verfügung stehenden– hier bei weitem unzureichenden und derzeit auch erheblich überbelegten – Unterbringungskapazitäten schlüssig getragene Sicherstellung einer Versorgung der Asylbewerber und speziell der Dublin-Rückkehrer mit Unterkunft sowie außerdem mit Verpflegung, Kleidung und medizinischer Hilfe – alles gemessen an dem (Mindest-)Schutzniveau des Art. 4 EUGRCh – nicht gewährleistet und auch nicht regelmäßig vorhanden sei. Da das eigentliche Problem des italienischen Asyl-/Aufnahmesystems eine enorme Diskrepanz zwischen dem (nach den Rechtsvorschriften gebotenen) Soll-Zustand und dem (die Praxis und Lebenswirklichkeit bestimmenden) Ist-Zustand sei, umfassende empirische Untersuchungen zu den tatsächlichen Verhältnissen aber in der Regel fehlten, ließen sich zulässigerweise auch aus (etwa Berichten von Nichtregierungsorganisationen zugrunde liegenden) Schilderungen von typischen Einzelfällen Schlüsse auf die im Land vorherrschenden Rahmenbedingungen ziehen. Darauf gründend lägen hier gravierende Defizite vor, die zugleich als strukturell zu bewerten seien. So sei etwa das italienische Asyl- und (daran anknüpfend) Aufnahmesystem dergestalt zweistufig ausgestaltet, dass es nach der ersten Anbringung des Asylgesuchs noch dessen förmlicher Registrierung in einer Questura bedürfe, um überhaupt Leistungen wie Unterkunft o.ä. erhalten zu können. Da diese Registrierung in der Praxis manchmal erst Wochen oder zum Teil sogar Monate später erfolge, ergebe sich eine zeitliche Lücke, welche missachte, dass nach europäischem Recht schon ab Einreise und Asylantragstellung ein Anspruch auf soziale Leistungen bestehe. Bei den in Rede stehenden Aufnahmemodalitäten, darunter insbesondere den massiven Kapazitätsengpässen, handele es sich auch nicht nur um ein temporäres, inzwischen überstandenes Problem. Im Gegenteil habe sich die Situation in der letzten Zeit nicht beruhigt, sondern sogar weiter zugespitzt. Denn zum einen habe der Zustrom von Asylbewerbern nach Italien im Jahr 2013 – und namentlich dessen zweiter Hälfte – wieder dramatisch zugenommen (insgesamt ca. 43.000 Bootsflüchtlinge), andererseits seien die im Zuge des sog. „Notstands Nordafrika“ zusätzlich eingerichteten Unterkunftsmöglichkeiten des Zivilschutzes im Laufe des Jahres 2013 weggefallen und es sei hierfür kein adäquater Ausgleich geschaffen worden. Die insoweit bestehende Lücke zu schließen und zugleich ein – bislang fehlendes – klar überschaubares, möglichst zentrales System der Verteilung von Unterkünften und Verpflegung einzurichten, falle in die staatliche Verantwortung Italiens. Durch die Kirche und etwaige sonstige karitative Einrichtungen erbrachte zusätzliche Nothilfe, auf welche etwa das Auswärtigen Amt immer wieder ergänzend hinweise, könne daher das anzunehmende strukturelle Defizit im Sinne der Rechtsprechung zum „systemischen Mangel“ nicht beseitigen. Das gelte zumal dann, wenn diese Hilfe nicht im staatlichen Auftrag, sondern bezogen auf das Selbstverständnis dieser Organisationen „aus eigenem Antrieb“ erfolge. Das Vorliegen eines „systemischen Mangels“ sei im Übrigen nicht im Sinne einer zusätzlichen Anforderung zu begreifen. Das gelte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Supreme Court des Vereinigten Königreichs jedenfalls dann, wenn kein Zweifel daran bestehe, dass in dem jeweiligen Einzelfall die ernstzunehmende Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gegeben sei. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof durch Urteil vom 27. Februar 2014 nochmals klargestellt, dass der Asylbewerber bereits ab dem Zeitpunkt des Asylantrages den Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben habe, was bei Fehlen einer verfügbaren Unterkunft auch die ersatzweise Zurverfügungstellung finanzieller Mittel betreffe.
26In der (ersten) mündlichen Verhandlung des Senats vom 26. September 2013 ist der Kläger ausführlich (u.a.) zu den Umständen seiner 2009 erfolgten Rückführung nach Italien befragt worden; wegen der Einzelheiten seiner Angaben wird auf die betreffende Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der sonstigen Beiakten (insgesamt 9 Hefte) sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
30I. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Der Kläger hat seinen Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entsprechend klargestellt, die Beklagte hat sich hiermit einverstanden erklärt. Eine Anfechtungsklage bietet den erforderlichen und ausreichenden Rechtsschutz, so dass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf. Dies ergibt sich aus Folgendem:
31Nach den Regelungen der vorliegend anzuwendenden (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, Art. 49 Satz 3 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180/31, sog. Dublin III-VO) Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50/1, sog. Dublin II-VO, ist grundsätzlich nur ein einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung eines Asylantrags zuständig. Lehnt vor diesem Hintergrund die Beklagte, wie ihr Terminsvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Bezug auf den streitbefangenen Bescheid klargestellt hat, die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats ab, kann der Asylbewerber geltend machen, seine Überstellung in eben diesen Staat sei wegen dort gegebener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unzulässig. Erweist sich diese Behauptung als zutreffend, so ist die Beklagte schon kraft Unionsrechts verpflichtet zu prüfen, ob nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO ein anderer Mitgliedstaat zur Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof wiederholt entschieden und hierzu ausgeführt: „... hat folglich dann, wenn die Überstellung eines Antragstellers an den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständig bestimmten Mitgliedstaat nicht möglich ist, der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ..., die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, nach Art. 13 der Verordnung für dessen Prüfung zuständig.“
32EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –(Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 33 f.; inhaltlich übereinstimmend ferner Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 u.a. – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 96, 97 u. 107.
33Diese unionsrechtliche Verpflichtung tritt, wenn sich die systemischen Mängel erweisen sollten, automatisch ein. Die Verwaltungsgerichte haben demnach zu prüfen, ob in dem in Betracht kommenden Mitgliedstaat der Europäischen Union die behaupteten systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen vorliegen, und bejahendenfalls weiter zu untersuchen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den Regelungen der Dublin II-VO für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Die Prüfung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats brauchen die Verwaltungsgerichts nach allgemeinen Grundsätzen aber nicht gleichsam „ins Blaue hinein“ vorzunehmen, sondern nur insoweit, als sich aus den Akten oder dem sonstigen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben. Dementsprechend erweist sich Ziffer 1 des angefochtenen Bundesamtsbescheides als rechtmäßig entweder, wenn der für die Durchführung des Asylverfahrens als zuständig benannte Staat tatsächlich zuständig ist und nicht wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen ausfällt oder wenn dies auf einen anderen Mitgliedstaat zutrifft, der nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens vorrangig zuständig ist. Ergibt die verwaltungsgerichtliche Prüfung aber, dass in dem von der Beklagten als zuständig bezeichneten Mitgliedstaat systemische Mängel bestehen, und lässt sich kein anderer vorrangig zuständiger Mitgliedstaat ausmachen, so ist Deutschland nach Art. 13 Dublin II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig, weil (regelmäßig) jedenfalls hier ein Asylantrag gestellt worden ist. Eines auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsausspruchs bedarf es daher nicht, weil bei bestehender Zuständigkeit der Asylantrag von Amts wegen sachlich zu prüfen ist. Dementsprechend besteht – ungeachtet der Möglichkeit zum Selbsteintritt – selbst beim Bestehen systemischer Mängel auch keine Verpflichtung zum Selbsteintritt des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO,
34vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), a.a.O., Rn. 37; Thym, NVwZ 2014, 130,
35und demzufolge auch kein hierauf gerichteter Anspruch des Asylbewerbers.
36Dies gilt nicht nur bei erstmaliger Antragstellung, sondern auch im Wiederholungsfalle und zwar unabhängig davon, ob der Asylbewerber zwischenzeitlich in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat überstellt wurde. Es spielt daher vorliegend keine Rolle, dass die Beklagte den Asylantrag des Klägers als Folgeantrag eingestuft und in dem Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 die Durchführung eines „weiteren“ Asylverfahrens abgelehnt hat. Insbesondere ist im Lichte der vorbezeichneten neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Fällen der vorliegenden Art die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht einschlägig, derzufolge sich die Verwaltungsgerichte bei Ablehnung der Durchführung eines Asylfolgeverfahrens nicht auf die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung des Folgeverfahrens beschränken dürfen, sondern die Sache im Hinblick auf die begehrte Anerkennung als Flüchtling spruchreif zu machen haben.
37BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 –, BVerwGE 107, 128 = juris, Rn. 10; dem auch für Fälle folgend, in denen die Prüfung der sog. Dublin-Zuständigkeit inmitten steht, OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2011 – 3 A 133/10.A –, juris.
38Denn die hier zentrale Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist – wie der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 zutreffend ausführt – der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-)Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Dies wird bestätigt durch die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326/13), die sog. Verfahrensrichtlinie, wonach die materielle Prüfung des Asylgesuchs durch eine „Asylbehörde“ erfolgt, deren Entscheidung gerichtlich überprüft werden kann. Diese Richtlinie betrifft ausweislich ihres Artikels 39 Abs. 1 Buchst. a) i) i.V.m. Art. 25 Abs. 1 sowie ihres 29. Erwägungsgrundes aber nicht das Verfahren der Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II-VO, was belegt, dass die Zuständigkeitsprüfung ein von der materiellen Prüfung des Asylbegehrens abgetrenntes Verfahren darstellt. Noch deutlicher formuliert dies der 53. Erwägungsgrund der nachfolgenden (Verfahrens-)Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60, der von einem Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit „zwischen Mitgliedstaaten“ spricht. Auch der Europäische Gerichtshof weist darauf hin, dass die Bestimmungen der Dublin II-VO die „Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln“.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 56.
40II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
41Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unabhängig von der formalen Einordnung des Asylantrags des Klägers durch die Beklagte als Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylVfG findet– wie der Sitzungsvertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat – der Bescheid hinsichtlich der Ablehnung der Durchführung eines Asylverfahrens seine Rechtsgrundlage in § 27a AsylVfG und hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in § 34a Abs. 1 AsylVfG. Beide Regelungen des Bescheides sind rechtlich nicht zu beanstanden.
421. Das Bundesamt hat richtig entschieden, dass die Beklagte für die sachliche Prüfung und Entscheidung des streitbefangenen Asylantrags nicht zuständig ist. Damit musste dieser Antrag, wie in Ziffer 1 des Bescheides vom 27. April 2011 geschehen, abgelehnt werden, weil er unzulässig ist (§ 27a AsylVfG). Maßgebend hierfür ist die Dublin II-VO (nachfolgend a)). Die danach bestehende ursprüngliche Zuständigkeit Italiens zur Durchführung des Asylverfahrens ist nicht nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen (nachfolgend b)). Schließlich fällt Italien als zuständiger Staat auch nicht aus, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des der Dublin II-VO zugrunde liegenden Prinzips gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist (nachfolgend c)).
43a) Grundlage der Prüfung dieser Zuständigkeit ist für das im Januar 2011 angebrachte Gesuch des Klägers (noch) die Dublin II-VO. Diese wurde zwar gemäß Art. 48 Satz 1 der Dublin III-VO zwischenzeitlich aufgehoben. Für vor dem 1. Januar 2014 angebrachte Schutzgesuche bleibt jedoch gemäß Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO die Vorläufer-Verordnung weiterhin anwendbar (siehe bereits oben I.).
44b) Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin II-VO hat prinzipiell allein auf der Grundlage der dort festgelegten Kriterien zu erfolgen, für die eine bestimmte Rangfolge gilt (Art. 5 ff. Dublin II-VO). Hiernach war im vorliegenden Falle Italien zuständig (dazu aa)). Diese Zuständigkeit hat Italien nicht verloren; sie ist nicht während des Asylverfahrens nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergegangen (dazu bb) bis ee)).
45Inwieweit diesen Zuständigkeitsvorschriften (und ob allen bzw. gegebenenfalls welchen) dabei überhaupt subjektive Rechte des Asylsuchenden entnommen werden können, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Allerdings spricht auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
46vgl. Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 60,
47viel dafür, dass die subjektive Rechtsstellung von Asylbewerbern in sog. „Dublin-Verfahren“ nur insofern betroffen ist, als es darum geht, ob diese auf der Grundlage von ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen in dem Mitgliedstaat, in den sie überstellt werden sollen, tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303/1) (EUGRCh) ausgesetzt zu werden. Keine subjektiven Rechte seien hingegen von der Prüfung berührt, ob in dem jeweiligen Fall die Rangkriterien der Dublin II-VO wie etwa Art. 10 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 3 vorgesehenen Rechtsbehelf richtig angewendet oder aber damit verbundene Form- und Fristerfordernisse korrekt beachtet wurden. Eine solche Begrenzung der subjektiven Rechtsstellung soll namentlich dann gelten, wenn der für zuständig befundene Mitgliedstaat der Überstellung zugestimmt hat. Sie dürfte konsequenterweise dann auch den hier gegebenen Fall der Fiktion dieser Zustimmung nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO erfassen, was aber der Europäische Gerichtshof nicht ausdrücklich (mit)entschieden hat. Mit Blick darauf geht der Senat im Folgenden vorsorglich auf die Zuständigkeitsbestimmung nach den Maßgaben der Dublin II-VO ein:
48aa) Die ursprüngliche Dublin-Zuständigkeit Italiens ist hier unstreitig. Sie ergibt sich (mangels vorrangiger Dublin-Kriterien) aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO. Denn ausgehend von seinen eigenen, insofern von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben hat der Kläger aus einem Drittstaat (Libyen) kommend als erstes die (See-)Grenze zu dem Mitgliedstaat Italien überschritten. Dies erfolgte ohne einen Aufenthaltstitel und insofern illegal. Der betreffende Sachverhalt wird durch den im Bescheid des Bundesamtes vom 11. Dezember 2009 erwähnten Eurodac-Treffer der Kategorie „2“ (Kennzeichnung für illegal Eingereiste ohne Status des Asylbewerbers) bestätigt. Dementsprechend hat Italien im Jahre 2009 auch der Aufnahme des Klägers zugestimmt.
49bb) Die Zuständigkeit Italiens hat nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO geendet. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Zuständigkeit (eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens) zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem der Mitgliedstaaten ein Asylantrag gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Kriterien für die Bestimmung der sog. Dublin-Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Asylantrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob der Zwölfmonatszeitraum im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist.
50Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 8), siehe auch (im Wesentlichen gleichlautend und nachfolgend nicht mehr gesondert zitiert) Urteil jenes Gerichts vom gleichen Tage – 3 L645/12 –, n.v.; ferner Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 9.
51Hieran gemessen war die Zwölfmonatsfrist bei der ersten Asylantragstellung des Klägers in Deutschland (2. Oktober 2009) noch nicht abgelaufen. Denn der Eurodac-Treffer zu Italien datiert vom 24. Mai 2009. Dafür, dass der Kläger das italienische Staatsgebiet deutlich früher betreten hätte, gibt es auch bei Einbeziehung seiner eigenen vorprozessualen und in diesem Verfahren gemachten Angaben keinen Anhalt. So hat der Kläger in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, nach seiner Einreise über Lampedusa nach Sizilien gebracht worden zu sein und dort in einer „Sammelstelle für Illegale“ gelebt zu haben. Dies zugrunde gelegt, ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er dort auch – zeitnah zur Einreise – erkennungsdienstlich behandelt wurde.
52cc) Die beklagte Bundesrepublik ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nachträglich für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig geworden. Denn sie hat das dort angesprochene Gesuch um Aufnahme innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Antrags noch in dem Monat der Asylantragstellung (Januar 2011) gestellt. Dass eine Antwort darauf ausblieb, ist im Rahmen der vorgenannten Vorschrift unerheblich, begründet vielmehr nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO (umkehrt) nach Ablauf von zwei Monaten aufgrund fingierter Annahme eine wohl eigenständig hinzutretende Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates, die in Rede stehende Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Gegebenenfalls ergäbe sich Entsprechendes aus Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) und c) Dublin II-VO, wenn keine Aufnahme, sondern eine Wiederaufnahme vorläge.
53dd) Die vom Kläger mit angesprochene Frage, ob die Zuständigkeit Italiens eventuell nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Dublin II-VO erloschen ist, stellt sich hier bereits deshalb nicht, weil die in der Vorschrift geregelte Frist von drei Monaten allein den (hier nicht gegebenen) Fall erfasst, dass der Asylbewerber zwischenzeitlich das Gebiet „der“ (also aller) Mitgliedstaaten verlassen hat. Die Dauer des Aufenthalts des Klägers in Frankreich ist hierfür also nicht von Belang.
54ee) Schließlich ist die Zuständigkeit Italiens auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, d.h. wegen Überschreitung der sog. Überstellungsfrist, auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag gestellt wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Das knüpft an Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO an, welcher unter anderem bestimmt, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Diese Frist ist hier nicht abgelaufen, wobei es maßgeblich auf den Fall 2 („oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf“) ankommt.
55Mit „Entscheidung über den Rechtsbehelf“ ist nicht die gerichtliche Entscheidung in dem zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemeint, mit der die Durchführung der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgesetzt wird, sondern die Entscheidung, mit der das Gericht „über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens“ entscheidet und die der Durchführung des Überstellungsverfahrens nicht mehr entgegenstehen kann.
56Vgl. insoweit zu entsprechenden Frist in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO: EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – (Petrosian), NVwZ 2009, 639 = juris, Rn. 53.
57Das bezieht sich – jedenfalls wenn und solange die Vollziehung der Überstellung (weiter) ausgesetzt ist – nach allgemeiner Auffassung auf die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren.
58Vgl. statt vieler etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 35; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 24; Hessischer VGH,Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A –, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 7; VG Freiburg, Beschluss vom 2. Februar 2012– A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 14; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 39, m.w.N.
59Für die Auslegung des Merkmals „aufschiebende Wirkung“ macht es keinen relevanten Unterschied, ob nach dem hier innerstaatlich einschlägigen deutschen Recht – rechtstechnisch gesehen – die Durchführung der Überstellung in Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO oder des § 123 VwGO durch das Gericht vorläufig gestoppt wird. Denn die Wirkung beider Entscheidungstypen des vorläufigen Rechtsschutzes ist mit Blick auf das praktische Ergebnis die gleiche: Die Überstellung darf zunächst einmal kraft gerichtlicher Anordnung nicht erfolgen. Das bedeutet jeweils, dass eine Abstimmung hinsichtlich der näheren Modalitäten der Überstellung, für welche die Frist eingeräumt ist, noch nicht erfolgen kann bzw. noch keinen Sinn ergäbe.
60Vgl. zur Gleichbehandlung der verschiedenen Arten der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes insoweit auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 ‑ A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 25; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 40.
61Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger hervorgehobenen Umstand, dass § 34a Abs. 2 AsylVfG in seiner bis zum 5. September 2013 gültig gewesenen, also im Zeitpunkt des Ablehnungsbescheides anwendbaren Fassung eine Aussetzung der Abschiebung im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowohl nach § 80 als auch § 123 VwGO kraft Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Dieser Umstand führt nicht darauf, dass hier Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Fall 2 Dublin II-VO gar nicht oder jedenfalls nicht im Sinne eines Einsetzens der Überstellungsfrist erst mit dem Ergehen einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung anzuwenden wäre, wenn Gerichte den Vollzug ausgesetzt haben. Denn was nach dem (sachlich zusammenhängend) in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO in Bezug genommenen „innerstaatlichen Rechtzulässig“ ist, bestimmt sich nach der Rechtsordnung des betroffenen Staates insgesamt und nicht allein nach dem Wortlaut des geschriebenen (einfachen) Gesetzesrechts. Namentlich geht das Verfassungsrecht in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht dem einfachen Gesetzesrecht vor. Dies zugrunde gelegt, fordert die unionsrechtliche Zweckbestimmung der in Rede stehenden Frist, dass diese auch in den hier interessierenden Fällen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nicht anläuft bzw., sofern sie schon angelaufen ist, gehemmt wird.
62Vgl. – in diesem Sinne – etwa auch Hessischer VGH, Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A -, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 5, 6; Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012– 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 17; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L643/12 –, juris (UA S. 11 f.).
63Eine etwa entgegen Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO nicht erfolgte Angabe der Frist für die Durchführung der Überstellung hat entgegen der Auffassung des Klägers keine Bedeutung dafür, ob in Bezug auf den Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO der Überstellungszeitraum von sechs Monaten überschritten ist. Auch die zeitlich begrenzte Verlängerungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO betrifft ganz andere Situationen und hat mit dem Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nichts zu tun.
64Vgl. in diesem Zusammenhang auch VGMeiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 41 f.
65Für die Beurteilung des konkreten Falles anhand des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO folgt daraus: Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A –, zugestellt am 6. Mai 2011, der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig für die Dauer von sechs Monaten aufgegeben, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen. Diese gerichtliche Entscheidung hat zunächst verhindert, dass die Überstellungsfrist nach Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO überhaupt anlaufen konnte. Selbst wenn die Sechsmonatsfrist für die Überstellung danach (ab 7. November 2011) angelaufen sein sollte, war sie in dem Zeitpunkt, in welchem der Senat mit Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid vom 27. April 2011 (neuerlich) angeordnet hat, noch nicht abgelaufen. Da diese Anordnung nicht befristet gewesen ist, ist die hier interessierende Frist seitdem jedenfalls gehemmt und im Ergebnis auch im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht abgelaufen.
66Vorstehende Überlegungen gelten entsprechend für die in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO für den Fall der Wiederaufnahme geregelten Frist von sechs Monaten.
67c) Die Zuständigkeit Italiens zur Entscheidung über den Asylantrag des Klägers entfällt nicht ausnahmsweise deswegen, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des den Bestimmungen der Dublin II-VO zugrunde liegenden Systems des gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist.
68aa) Im Ausgangspunkt liegt dem im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – und dabei gerade auch der Dublin II-VO – die Vermutung zugrunde, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II, S. 559) (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II, S. 1198)) – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – steht. Das wird vom Europäischen Gerichtshof als „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“,
69vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 78 ff.,
70bzw. entsprechend in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „Konzept der normativen Vergewisserung“,
71vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, BVerfGE 94, 49 = NJW 1996, 1665 = juris, Rn.181,
72bezeichnet. Die betreffende Vermutung kann allerdings in Sonderfällen widerlegt sein, nämlich dann, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass in dem nach Maßgabe der Dublin II-VO für die Prüfung eines Asylgesuchs an sich zuständigen Mitgliedstaat das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EUGRCh implizieren. Dabei ist der Inhalt dieses Grundrechts an der Auslegung des Art. 3 EMRK auszurichten (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh einschließlich der gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 EUV zu berücksichtigenden Erläuterungen).
73Vgl. statt vieler OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 16 mit Hinweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
74Jedenfalls im Kern Entsprechendes ergibt sich auch unmittelbar aus der für das vorliegende Verfahren in erster Linie maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dort wird – wohl letztlich nicht in einem (wesentlich) anderen Sinne – gefordert, dass es sich bei den Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber um „systemische“ Mängel bzw. Unzuträglichkeiten handeln muss. Diesbezüglich ist in dem Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 – Rs C-411/10 und C-493/10 – (NVwZ 2012, 417 = juris) ausgeführt worden:
75Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System (gemeint: das System der Behandlung der Asylanträge) in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. (Rn. 81)
76Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde. (Rn. 82)
77Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet. (Rn. 83)
78Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. (Rn. 84)
79Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. (Rn. 86)
80Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen können, obliegt es nach alledem in Situationen wie denen der Ausgangsverfahren den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden. (Rn. 94)
81Daraus ergibt sich im Ergebnis:
82Art. 4 der Charta ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. (Rn. 106)
83Diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof auch in der nachfolgenden Zeit im Kern bestätigt.
84Vgl. etwa Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 30.
85Für die Annahme eines systemischen Mangels im vorgenannten Sinne reicht die Verletzung einzelner Grundrechte außerhalb von Art. 4 EUGRCh ebenso wenig wie die „geringste“ Verletzung von Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts.
86Vgl. auch Thym, in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online Kommentar Ausländerrecht, AEUV Art. 78, Rn. 27 (Stand 1. Februar 2013).
87Vielmehr erfordern systemische Mängel eine in den vom Gericht empirisch gewonnenen Erkenntnissen zum Ausdruck kommende „reelle Unfähigkeit des Verwaltungsapparates zur Beachtung des Art. 4 EUGRCh“,
88vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406, 408,
89liegen also vor bei „strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens“ haben, ohne dass es auf eine hierauf bezogene Zielsetzung des betreffenden Mitgliedstaats ankommt.
90Vgl. Marx, NVwZ 2012, 409, 411.
91Zwar setzt dies nicht voraus, dass in jedem Falle das gesamte Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen und der zugehörigen Verfahren schlechthin als gescheitert einzustufen ist, jedoch müssen die in jenem System festzustellenden Mängel so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig, sondern „in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen“.
92Vgl. Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182, 186.
93Das kann darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern nicht zufällig und im Einzelfall, sondern (objektiv) vorhersehbar von ihnen betroffen sind. Ein systemischer Mangel kann daneben aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – faktisch in weiten Teilen funktionslos wird.
94Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46.
95Ob der Auffassung des Klägers zuzustimmen ist, dass es auf das Vorliegen systemischer Mängel nicht ankomme, wenn im Einzelfall bei Überstellung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh anzunehmen sei,
96in diesem Sinne Supreme Court des Vereinigten Königreichs, R v Secretary of State for the Home Department, Entscheidung vom 19. Februar 2014, UKSC 12, im Internet abrufbar unter www.supremecourt.uk; ebenso Marx, a.a.O., S. 412; a.A. Hailbronner/Thym, a.a.O.,
97bedarf keiner Entscheidung. Denn im Falle des Klägers geht es nicht um die individuell an seine Person anknüpfende Besorgnis einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh, etwa deshalb, weil er innerhalb der Gruppe der asylsuchenden Dublin-Rückkehrer eine in besonderem Maße verletzliche und/oder gefährdete Person wäre. Vielmehr steht die Frage möglicher struktureller Defizite insbesondere der (allgemein für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern geltenden) Aufnahmebedingungen in Italien im Zentrum des Verfahrens.
98Der Prognosemaßstab für das Vorliegen systemischer Mängel ist einheitlich zu bestimmen sowohl, was die (empirischen) Voraussetzungen für das Vorliegen systemischer Mängel betrifft, als auch hinsichtlich der darauf gründenden Einschätzung, ob diese Mängel die begründete Erwartung rechtfertigen, dass der Betroffene im Falle seiner Überstellung Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
99Die oben angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt insofern zunächst, dass die Annahme einer mit Blick auf bestehende systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh durch „ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe“ gestützt und abgesichert sein muss. Die anzustellende Prognose bedarf somit einer konkret nachvollziehbaren und in der Sache fundierten („ernsthaften“) Tatsachengrundlage. Namentlich im Fall von sich (zum Teil) widersprechenden Auskünften oder sonstigen Erkenntnismitteln müssen die vom Gericht für die Widerlegung der Vermutung des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens als „richtig“ zugrunde gelegten Tatsachen hinreichend belastbar sein. Das setzt voraus, dass für ihr Zutreffen, dabei u.a. auch für die Verallgemeinerungsfähigkeit von Erkenntnissen über beobachtete oder berichtete Einzelfälle, ein beachtlicher Grad von Wahrscheinlichkeit spricht.
100Das entspricht dem Maßstab, der auch für die Prognose des voraussichtlichen Eintretens der Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh selbst anzuwenden ist. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ergibt sich insofern aus der vom Europäischen Gerichtshof für die drohende Grundrechtsverletzung verwendeten Formulierung der „tatsächlichen Gefahr“, im Englischen „real risk“. Zu dieser Formulierung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der diese Formulierung entlehnt ist,
101vgl. etwa Urteile vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 125, 128 f., z.B. NVwZ 2008, 1330 (1331), und vom 11. Juli 2000– 40035/98 – (Jabari), Rn. 38, 42, u.a. InfAuslR 2001, 57 (58),
102festgestellt, dass damit der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gemeint ist.
103Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013– 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32, und vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 –, BVerwGE 140, 22 = juris, Rn. 22, m.w.N.
104Dieser besagt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung (hier: eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh) sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
105Vgl. dazu, dass es dabei allerdings nicht auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit im rein mathematischen Sinne („mehr wahrscheinlich als unwahrscheinlich“) ankommt, EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 – 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 140.
106Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung (hier: einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh) hervorgerufen werden kann.
107Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32.
108Von dem in Rede stehenden Überstellungsverbot zweifelsfrei erfasst werden nach alledem (in der Regel) nur solche Verhältnisse, in denen es – hier im Zusammenhang mit Überstellungen von Asylbewerbern nach dem „Dublin-Regime“ – in dem Zielstaat der Überstellung aufgrund entsprechender, hinreichend gesicherter Erkenntnisse nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder zu einer Verletzung der Grundrechtsgewährleistung aus Art. 4 EUGRCh kommen kann.
109Vgl. sinngemäß auch OVG Sachsen-Anhalt,Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 18); OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46, 48.
110Die bloße Möglichkeit derartiger Verletzungshandlungen – auch bei einer allgemein unsicheren Lage in dem betreffenden Staat – reicht dagegen nicht.
111Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 131, u.a. NVwZ 2008, 1330 (1331 f.).
112An dem vorgenannten Maßstab ist im Prinzip auch dann festzuhalten, wenn der Betroffene in der Vergangenheit – wie hier der Kläger – schon einmal in den in Rede stehenden Mitgliedstaat überstellt worden war und er seinerzeit auf der Grundlage seiner Angaben ins Gewicht fallende Mängel und Unzuträglichkeiten der Aufnahmebedingungen tatsächlich erlebt hat. Dieser Umstand ist – je nach der Bedeutsamkeit des Erlebten und den sonstigen Umständen des Einzelfalles mit ggf. unterschiedlichem Gewicht – in die oben erwähnte umfassende Abwägung aller Umstände einzubeziehen. Er rechtfertigt demgegenüber – anders als der Umstand der Vorverfolgung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, ABl. L 337/9, sog. Qualifikationsrichtlinie – nicht generell eine den Prognosemaßstab faktisch verschiebende Beweiserleichterung, wie sie der Kläger wohl sinngemäß auch für den vorliegenden Fall geltend macht. Solches muss insbesondere dann gelten, wenn wie hier keine individuellen Besonderheiten des Asylsuchenden bzw. spezifische Besonderheiten der Gruppe, der er zugehört, gefährdungsrelevant sind, sondern die vorzunehmende Prognose maßgeblich an den allgemein bestehenden – und zwar den aktuellen – Aufnahmebedingungen auszurichten ist. Eine andere Sichtweise wäre nach Auffassung des Senats nicht mit dem nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich aufrecht zu erhaltenden und schützenswerten Prinzip des gegenseitigen Vertrauens zu vereinbaren. Es würde nämlich den konkreten Erfahrungen, welche Einzelpersonen in der Vergangenheit vielleicht mehr oder weniger zufällig gemacht haben, ein zu starres und auch tendenziell zu großes Gewicht im Rahmen der (Gesamt-)Würdigung zumessen, ob ausgehend von den allgemein vorherrschenden Aufnahmebedingungen in dem betroffenen Mitgliedstaat auch (noch) aktuell mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gerechnet werden muss.
113Vgl. auch EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 133: „Die historischen Tatsachen sind zwar insoweit von Bedeutung, als sie die jetzige Lage und die Art, wie sie sich wahrscheinlich entwickelt, beleuchten, entscheidend sind aber die jetzigen Verhältnisse.“
114Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Art. 4 EUGRCh ist wegen der korrespondierenden Gewährleistungsinhalte (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh) auf die Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen.
115Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 338.
116Nach der Rechtsprechung des EGMR ist (allgemein) eine Behandlung dann „unmenschlich“, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Als „erniedrigend“ ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung/Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers.
117Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 219, 220.
118Das kann – etwa bei Asylsuchenden als Angehörige einer besonders benachteiligten und verletzlichen und damit besonders schutzwürdigen Bevölkerungsgruppe – auch die Verhältnisse der Unterbringung, die hygienischen Verhältnisse und die Versorgung mit ausreichender Nahrung betreffen.
119Vgl. das vorgenannte Urteil vom 21. Januar 2011, Rn. 222, 251 und 254.
120Allerdings kann Art. 3 EMRK nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er (aus sich heraus) die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.
121Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EUGRZ 2011, 243, Rn. 249, m.w.N., und Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 – (Mohammed Hussein), ZAR 2013, 336 f. (Rn. 70).
122Anders zu beurteilen ist aber bei Erreichen des erforderlichen Schweregrades (möglicherweise) der Fall, dass in dem betreffenden Staat auf Grund des positiven Rechts die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung tatsächlich besteht oder jedenfalls zu bestehen hat, weil einschlägiges Unionsrecht entsprechend umgesetzt werden muss. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96) (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie), welche die zuvor gültig gewesene Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. L 31/18) inzwischen abgelöst hat. Die genannten Richtlinien haben Minimalstandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedstaaten festgelegt.
123Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 250; siehe auch VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 21; eher kritisch hinsichtlich einer damit ggf. einhergehenden Überdehnung der Reichweite des Art. 3 EMRK, welche in Widerspruch zu der Auslegung des Art. 4 EUGRCh durch den EuGH geraten könnte, aber etwa Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406 (407 f.).
124Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die nach der Aufnahmerichtlinie erforderlichen Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, beginnt mit der Stellung des Asylantrags. Systematik und Zweck der Richtlinie und auch die Wahrung der Grundrechte verbieten es, dass einem Asylbewerber der mit den in der Richtlinie festgelegten Mindestnormen verbundene Schutz entzogen wird, und sei es auch nur vorübergehend nach Asylantragstellung.
125Vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 2014 – C-79/13 – (Saciri u. a.), juris, Rn. 33 – 35, und Urteil vom 27. September 2012 – C-179/11 – (Cimade), NVwZ 2012, 1529 = juris, Rn. 39, 56, jeweils zur Richtlinie 2003/9/EG.
126Davon ausgehend kann ein Staat im Rahmen von Art. 3 EMRK (bzw. entsprechend Art. 4 EUGRCh) – zumindest in Gestalt einer in Betracht kommenden Möglichkeit – für eine Behandlung verantwortlich sein, bei der sich ein von staatlicher Unterstützung vollständig abhängiger Asylsuchender in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn ein Asylsuchender erkanntermaßen mehrere Monate obdachlos auf der Straße gelebt hat, ohne Einnahmen oder Zugang zu Sanitäreinrichtungen und ohne die Mittel zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.
127EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 253, 263.
128Hiernach ergibt sich: Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK liegt (insbesondere) vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin II-VO „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbarer Weise befriedigen kann.
129Sind in diesem Zusammenhang bestimmte Anforderungen in EU-Richtlinien festgelegt worden, kann sich (konkretisierend) auch daraus der im Sinne der angesprochenen Artikel für ein menschenwürdiges Dasein einzuhaltende Maßstab ergeben, soweit es sich dabei erkennbar um Mindestanforderungen handelt. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch und gerade die praktische Umsetzung messen lassen. Das betrifft in vorliegenden Zusammenhang insbesondere die materiellen Aufnahmebedingungen, wie sie in Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie (Neufassung 2013) für bedürftige Personen unter den Asylantragstellern prinzipiell festgelegt sind. Dabei erlauben diese in bestimmten Ausnahmesituationen, wie etwa bei vorübergehender Erschöpfung der üblicherweise zur Verfügung stehenden Unterbringungskapazitäten, aber auch zeitlich begrenzte Einschränkungen (Art. 18 Abs. 9 Satz 1 Buchst. b der Aufnahmerichtlinie). Auch dann muss aber das absolut garantierte Minimum (hier: Deckung der „Grundbedürfnisse“) gewährleistet bleiben (Art. 18 Abs. 9 Satz 2 der Aufnahmerichtlinie).
130Die sich aus der Aufnahmerichtlinie ergebenden Verpflichtungen hat Italien in innerstaatliches Recht übernommen.
131bb) Auf der Grundlage des im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in dem Berufungsverfahren vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern – und darunter namentlich von Dublin-Rückkehrern – in Italien steht zur Überzeugung des Senats fest, dass keine ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründe dafür vorliegen, dass der Kläger im Falle seiner Überstellung in diesen Mitgliedstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, ausgehend von systemischen Mängeln des dortigen Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGRCh ausgesetzt zu werden.
132Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können). Demgemäß ist in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehrern zu beleuchten, die – wie der Kläger – in Italien bislang noch keinen Asylantrag gestellt haben. Ferner ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner (unterstellten) Ankunft in Italien einen Asylantrag stellt und die dort zur Verfügung stehenden Angebote der Versorgung im Rahmen des Möglichen tatsächlich nutzt. Nicht maßgeblich ist demnach z. B. die Situation von Rückkehrern, die bei ihrem ersten Aufenthalt in Italien bereits einen Asylantrag gestellt hatten, über den schon entschieden worden ist, die sich also aktuell nicht mehr in einem Asylverfahren befinden und die ein solches, auch wenn der ursprüngliche Antrag abgelehnt worden war, regelmäßig nicht mehr (unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Erstantrag) neu einleiten können. Dies gilt ebenso für in Italien verbliebene Flüchtlinge, deren Asylverfahren abgeschlossen ist. Es betrifft weiter Flüchtlinge, die keine (in der Regel zuvor angekündigten) Dublin-Rückkehrer sind, sondern – wie beispielsweise die sog. Bootsflüchtlinge – außerhalb eines geordneten Verfahrens in Italien ankommen und um Schutz nachsuchen. Schließlich betrifft dies Flüchtlinge, die sich dem Asylsystem komplett entzogen haben, etwa weil sie überhaupt keinen Asylantrag gestellt haben (und u.U. auch gar nicht stellen wollen), demzufolge auch nicht registriert sind und folglich auch keine der Aufnahmerichtlinie entsprechenden Leistungen erhalten können.
133Hiervon ausgehend kommt der Senat bei der Würdigung des Erkenntnismaterials in einer Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass Italien – mit Blick sowohl auf das dortige Rechtssystem als auch insbesondere die Verwaltungspraxis – über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz ggf. vorliegender einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der „vor Ort“ tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber „im Normalfall“, also bei nach der Erkenntnislage vorhersehbarem Verlauf der Dinge, nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen, namentlich nicht solchen i.S.d. Gewährleistung aus Art. 4 EUGRCh, rechnen muss.
134Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen (nach wie vor) durchaus Mängel und Defizite nicht ganz unwesentlicher Art feststellen lassen, sind diese weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer wie den Kläger nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert.
135Im Einzelnen gilt hierzu:
136(1) Dublin-Rückkehrer werden zurzeit unter Bedingungen nach Italien überstellt, welche in der Regel den ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung auch ein (in dem zu fordernden Mindestmaß) geordnetes Aufnahmeverfahren mitsamt den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse gewährleisten. Soweit Probleme wesentlich erst durch ein eigenmächtiges (Anders-)Verhalten der Betroffenen (z.B. fehlendes Hinbegeben zu den als zuständig mitgeteilten Stellen, Untertauchen, bewusste Nichtinanspruchnahme von Beratung bzw. Vermittlung von Unterkunft, vorzugsweises Wohnen in „besetzten Häusern“ oder Slums statt in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen aufgrund eigener Willensentscheidung) ausgelöst werden, kann dies – das sei hier vorangestellt – nicht dem italienischen Staat als Systemfehler und Auslöser einer Grundrechtsverletzung angelastet werden.
137Dublin-Rückkehrer werden in der Regel auf dem Luftweg nach Italien überstellt. Sie treffen zumeist auf den Flughäfen Fiumicino in Rom oder Malpensa in Mailand (vgl. z.B. UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, Juli 2013 – nachfolgend zitiert: Bericht Juli 2013 –, S. 7), in begrenzter Anzahl auch auf einigen weiteren Flughäfen ein. Für den Kläger war im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Bescheid (wie zuvor auch schon in 2009) eine Überstellung nach Rom konkret vorgesehen. Insofern spricht hier eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine künftige Überstellung ebenfalls nach Rom (oder sonst voraussichtlich nach Mailand) erfolgen wird.
138Nach Rom-Fiumicino (rück-)überstellte Personen werden – regelmäßig nach entsprechender Vorankündigung (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7) – von der Grenz- bzw. Luftpolizei beim Flugzeug abgeholt und zur Questura am Flughafen begleitet. Dort werden Fotos und Fingerabdrücke genommen. Haben die Betroffenen in Italien noch keinen Asylantrag gestellt, so können sie einen solchen Antrag sogleich im Büro der Questura am Flughafen registrieren lassen (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7, und an VG Freiburg, Dezember 2013, S. 7, zu Rom-Fiumicimo); andernfalls erhalten sie ein Schreiben, aus dem sich die für sie zuständige Questura ergibt, wo sie ihren Antrag formalisieren lassen können, einen Termin hierfür sowie ein Zugticket dorthin (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013 – im Folgenden zitiert: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013 –, S. 13 f., 16; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7; Auswärtiges Amt (AA) an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Fragen 2 und 8).
139Vgl. hierzu und zum Folgenden ferner etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013– 3 L 643/12 –, juris (UA S. 21); VG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2014 – A 11 K 3470/13 –, UA S. 13 f.
140Von der Questura aus werden die Ankömmlinge weiter zu der jeweils zuständigen Nichtregierungsorganisation (NGO) begleitet, die sich im Transitbereich der Nicht-Schengen-Zone des Flughafens befindet. Diese NGO – in Rom ist nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Oktober 2013, S. 14) zurzeit die „Badia Grande“ zuständig – bietet dort im Auftrag der Präfektur Beratung mit Blick auf das weitere Verfahren an. Dolmetscher und Informationsbroschüren stehen zur Verfügung. Die betreffende NGO kümmert sich in der Regel auch um die zumindest vorläufige Unterbringung der Dublin-Rückkehrer, jedenfalls derjenigen, die einen Asylantrag gestellt haben bzw. stellen wollen. Das kann eine Übergangsunterkunft (transit accommodation, z.B. FER-Unterkünfte als mit EU-Mitteln finanziertes Projekt speziell für Dublin-Überstellte, nur teilweise begrenzt auf „vulnerable cases“), eine (Not-)Unterkunft in einer kommunalen oder karitativen Einrichtung), ggf. aber auch schon eine längerfristige Unterkunft in einer der „regulären“ Systeme staatlicher Aufnahmeeinrichtungen (namentlich CARA oder SPRAR) betreffen. Ob Letzteres schon möglich ist, hängt davon ab, ob im Einzelfall die örtliche oder eine andere Präfektur für den Betroffenen zuständig ist. Bis es auf diese Weise gelingt, für die Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft zu finden, müssen diese allerdings unter Umständen einige Tage am Flughafen verbleiben und dort (ohne besondere Schlafplätze, aber wohl geduldet) auch übernachten (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14 f., 15 f.; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11 f.; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 2; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 3. und 7., welche u.a. darauf hinweist, die überstellten Asylbewerber würden an den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa nach eigenen Feststellungen „sehr intensiv betreut“; zu „temporary reception systems“ für Dublin-Rückkehrer etwa auch European Network for technical cooperation on the application of the Dublin II Regulation, Dublin II Regulation National Report, Dezember 2012, S. 48; aida – Asylum Information Database -, National Country Report Italy, Update November 2013, nachfolgend zitiert: aida-Report, November 2013, S. 42, wo andererseits aber auch kritisch angemerkt wird, dass die Unterbringung der Dublin-Rückkehrer insgesamt noch zu lange dauere und es vorkomme, dass einzelne Betroffene am Ende nicht mit einer Unterkunft versorgt würden und in alternativen/selbstorganisierten Unterkunftsformen eine Bleibe fänden).
141Richtig ist allerdings auch, dass die beschriebenen Abläufe wohl nicht in jedem Einzelfall sichergestellt sind. Das mag damit zusammenhängen, dass nach vorliegenden Erkenntnissen Grenzpolizei und NGOs von der italienischen Dublin-Unit nicht immer rechtzeitig und ausreichend informiert werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 15). Im Prinzip werden die NGOs aber über die Ankunft von Dublin-Fällen vorab informiert (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7). Ein Versagen des Systems kann daher insoweit nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.
142Dass der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat in der ersten mündlichen Berufungsverhandlung vom 26. September 2013 die Abläufe im Bereich des Flughafens Rom-Fiumicino für seine Ende 2009 und damit vor über vier Jahren erfolgte Rücküberstellung anders geschildert hat, als es der vorstehend zusammengefassten, im Kern übereinstimmenden aktuellen Auskunftslage entspricht, vermag die prinzipielle Belastbarkeit des Inhalts dieser Auskünfte nicht durchgreifend in Frage zu stellen. Denn die aktuellen Erkenntnisquellen zu den derzeitigen Verhältnissen nach der Ankunft von Dublin-Rückkehrern am Flughafen geben für den Regelfall hierfür keinen Anhalt.
143Sollte die Überstellung des Klägers nach Mailand-Malpensa erfolgen, ergäbe sich hiervon keine beachtliche Abweichung. Denn die grundlegenden Strukturen und Verhältnisse der Aufnahme am Flughafen Mailand-Malpensa entsprechen weitgehend denjenigen am Flughafen Rom-Fiumicino (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 13 ff.).
144Allerdings ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch, dass die in Italien notwendige „Formalisierung“ eines gestellten Asylantrags – die sog. Verbalizzazione – nicht nur in Einzelfällen, sondern auch übergreifend und insofern einem in der Praxis auftretenden strukturellen Mangel zumindest nahekommend – zu Problemen für Asylbewerber (im Allgemeinen) führt bzw. zumindest geführt hat. Diese sind nämlich in dem Zeitraum bis zur Verbalizzazione nicht immer hinreichend vor Obdachlosigkeit geschützt. Denn Bemühungen um ihre Unterbringung, soweit sie durch die zuständige Questura getätigt werden, setz(t)en in der Regel erst nach der Verbalizzazione ein. Dieser Zwischenzeitraum kann – je nachdem, welche Stadt oder Region betroffen ist und ob es sich um ein Ballungszentrum mit einer Vielzahl zu bearbeitender Anträge oder um einen ländlich geprägten Raum handelt – von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen oder ggf. sogar Monaten reichen (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 6, 11, und auch schon Bericht Juli 2012, S. 7; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage b, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 9; siehe für die damaligen Zeitpunkte auch Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 9, und Associazione per gli Studi Giuridici sull‘ Immigrazione (ASGI), Die derzeitige Situation von Asylbewerbern in Italien, November 2012, S. 5 der deutschen Übersetzung). Exakte und zugleich zuverlässige Angaben lassen sich insoweit aber nicht mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit machen (vgl. aida-Report, November 2013, S. 42). Den Auskünften ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die beschriebene Verzögerung der Regelfall ist (Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1.: teilweise mit Verzögerung; UNHCR vom Dezember 2013, S. 7: in der Regel Zugang zu Transitunterbringungseinrichtungen; evtl. einige Tage an Flughäfen warten; kann passieren, dass gemäß der Dublin-Verordnung überstellte Personen mehrere Tage am Flughafen verbringen; S. 11: UNHCR erhält Berichte über Fälle, in denen Asylsuchende nicht sofort Zugang zu Aufnahmemaßnahmen gewährt wird, sondern erst Wochen und Monate später; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14: Dublin-Rücküberstellte übernachten manchmal ein paar Tage am Flughafen [ohne Schlafplätze]; aida-Report, November 2013, S. 42: in den meisten Fällen [„in most of the cases“] dauert es zu lange, bis eine Unterkunft gefunden ist, mangels genereller Praxis lässt sich die Wartezeit nicht allgemein angeben, es kommt vor [„it happens“], dass Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden).
145Der darin zum Ausdruck kommende Mangel ist vom italienischen Staat zudem nicht einfach untätig hingenommen worden. So hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 die nachgeordneten Behörden angewiesen, dass die Verbalizzazione zeitgleich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll. Zugleich ist ein neues Informatiksystem (Vestanet) eingeführt worden, von dem man sich ebenfalls eine Verkürzung der Wartezeiten erhofft. Allerdings benötigt die landesweite Implementierung noch Zeit und leidet unter technischen Anfangsschwierigkeiten, so dass die Prognose, ob dies zu einer Verbesserung führen wird, noch schwierig ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Jedenfalls liegen dem Senat aber keine Erkenntnisse darüber vor, dass diese Weisung generell oder zumindest in einer Vielzahl von Fällen nicht befolgt würde.
146Unabhängig davon sind für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern die nachfolgenden Ausführungen bedeutsam, welche den hier in Rede stehenden Mangel noch weiter relativieren: Wenngleich häufig betont wird, dass für Dublin-Rückkehrer insoweit prinzipiell keine Besonderheiten gelten bzw. diese in gleicher Weise von den in Rede stehenden Verzögerungen durch die erst später durchgeführte Registrierung des Asylantrags betroffen sein sollen (vgl. etwa AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 1.4; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 12), ist dies bei verständiger Würdigung (nur) dahin zu verstehen, dass das System des Asylverfahrens für diese Personengruppe in gleicher Weise ausgestaltet ist/war wie bei den sonstigen Asylsuchenden. Das meint hier im Besonderen die „Zweistufigkeit“ des Verfahrens, d.h. das Auseinanderfallen von erster Äußerung eines Asylbegehrens und davon (in der Regel auch zeitlich) getrennter Formalisierung/Registrierung des Asylantrags. Mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh ernstlich bedenklich ist aber in diesem Zusammenhang nicht die hierdurch ggf. mit herbeigeführte Verzögerung des Beginns des Asylverfahrens als solche, sondern nur deren Folge, die die Einhaltung richtlinienkonformer Aufnahmebedingungen betrifft. Dabei geht es namentlich um eine nicht durch systemische Mängel des Verfahrens zeitlich verzögerte Zurverfügungstellung einer Unterkunft und einer daran anknüpfenden weiteren Versorgung mit Kleidung, Essen, Hygieneartikeln etc. Gerade insoweit ist einschlägigen Erkenntnismitteln – zum Teil sogar sehr detailreich (siehe namentlich den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013, S. 13 ff.) – aber zu entnehmen, dass speziell für die Dublin-Rückkehrer, die noch kein Asylgesuch in Italien gestellt hatten, zumindest an den italienischen Hauptflughäfen Einrichtungen zur Verfügung stehen, welche diese (anders als ggf. auf anderem Wege nach Italien einreisende Asylbewerber) bei Bedarf anleitend betreuen und die sich dabei gerade auch – schon in diesem Stadium – um die Suche nach einem (Interims-)Unterkunftsplatz bemühen, was ihnen – bei Wartezeiten von nur wenigen Tagen an den Flughäfen (siehe oben) – in der Regel auch gelingt. Das alles lässt jedenfalls für die Gruppe der Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Schutzstatus haben, wie hier den Kläger, systemische Mängel i.S. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, welche – bezogen auf den Schweregrad ausreichend – zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh implizieren, am Ende nicht hervortreten. Das gilt jedenfalls, soweit es (was bisher behandelt wurde) um die Aufnahmebedingungen unmittelbar nach der Überstellung nach Italien geht.
147Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die durchaus organisierte Einbeziehung auch nichtstaatlicher, kirchlicher und sonstiger karitativer Einrichtungen in die Betreuung und Hilfeleistung auch dem italienischen Staat zurechnen. Denn die in Rede stehenden Organisationen werden in dem hier interessierenden Zusammenhang – auch die Zurverfügungstellung von (Not‑)Unterkünften betreffend – jedenfalls nicht ausschließlich allein aus eigenem Antrieb tätig, sondern in der Regel im Auftrag staatlicher Stellen wie der Präfektur (staatliche Mittelbehörde in den Provinzen) oder der Kommunen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 22, 33). Auch die letztlich fehlende zentrale Koordinierung der nebeneinander bestehenden Systeme zur Unterbringung von Asylbewerbern und hier insbesondere Dublin-Rücküberstellten unter Einbeziehung staatlicher und nichtstaatlicher Stellen bzw. Organisationen mag zwar gewisse Defizite und Reibungsverluste begünstigen, sie stellt aber für sich genommen noch keinen systemischen und auch keinen auf eine zu befürchtende Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh führenden Mangel mit dem dafür erforderlichen Gewicht dar.
148(2) Dublin-Rückkehrer müssen nach der aktuellen Erkenntnislage auch während der (weiteren) Durchführung ihres Asylverfahrens in Italien nicht beachtlich wahrscheinlich damit rechnen, dass sie in ihrem Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh verletzt werden, indem ihnen durch den italienischen Staat wegen von der Zahl her offensichtlich nicht ausreichender angemessener Unterkunftsmöglichkeiten ein Leben „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ (bekanntermaßen) zugemutet würde und damit ihr Recht auf Unterkunft (vgl. hierzu Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Buchst. g der Aufnahmerichtlinie) systematisch unbeachtet bliebe. Eine solchermaßen dramatische Lage lässt sich aktuell für Italien aufgrund belastbarer Tatsachen nicht feststellen. Im Ergebnis unerheblich ist dabei, dass es in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigende Mängel und Defizite gibt, auf die verbreitet hingewiesen wird und deren Abstellen bzw. (weiteres) Verringern sicherlich wünschenswert ist. In diese Richtung hat die italienische Regierung aber auch bereits von den Flüchtlingsorganisationen gewürdigte Schritte unternommen.
149Es fehlt zunächst nicht grundlegend an einem planvollen System bzw. (genauer) an verschiedenen, sich ergänzenden Systemen von Aufnahmeeinrichtungen, in denen Dublin-Rückkehrer, sei es zum Teil auch neben anderen Personengruppen (sonstige Asylbewerber, schon anerkannte Flüchtlinge), während eines in Italien durchgeführten Asylverfahrens nicht nur als vorübergehender „Notbehelf“, sondern prinzipiell für die gesamte Dauer dieses Verfahrens (im Einzelfall auch über 6 Monate hinaus) eine Unterkunft finden können. Diese wird den Betroffenen im Rahmen eines ebenfalls in den Grundstrukturen geordneten Vermittlungs-/Zuweisungsverfahrens – in der Regel durch die jeweils örtlich zuständige Präfektur oder Questura – zugeteilt. Wesentliche Bestandteile dieses Aufnahmesystems sind – insbesondere für die Erstaufnahme – die als CARA bezeichneten, in der Regel größeren Aufnahmezentren sowie – in einer zweiten Phase, ggf. aber auch schon für die Erstaufnahme u.a. von Dublin-Rückkehrern – die Einrichtungen des Aufnahmesystems SPRAR. Letztere umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern stellen sich als ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche dar, welches nicht nur Asylsuchenden offen steht, sondern auch anerkannten Schutzberechtigten (siehe Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22; aida-Report, November 2013, S. 46; borderline-europe, Gutachten Dezember 2012, S. 15 f.)
150Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 43.
151Hinzu treten namentlich in den größeren Städten wie Rom und Mailand noch kommunale oder (im Auftrag der Gemeinden) von NGOs betriebene Unterkünfte, die allerdings ebenfalls nicht exklusiv der Unterbringung von Asylbewerbern bzw. der Dublin-Rückkehrer unter ihnen zur Verfügung stehen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 26 ff., 33 ff.).
152Allerdings können Unterkunftsplätze in allen diesen Einrichtungen nur dann konkret angeboten und belegt werden, soweit sie auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Blick auf die vorhandenen Kapazitäten zu lenken. Diesbezüglich wird, was sich mit gewissen Unterschieden auf alle zur Verfügung stehenden Systeme/Unterbringungsarten erstreckt und schon die Übergangsunterkünfte (FER-Projekte) mit einbezieht, von einem Großteil der dem Senat vorliegenden Auskünfte und Berichte namentlich der Flüchtlingsorganisationen das Gesamtangebot als unzureichend kritisiert (vgl. etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18, 20, 26, 29, 35; aida-Report, November 2013, S. 45, 47; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11: „lack of capacity in the existing reception system“). Zum Teil wird auch auf aktuelle Engpässe der Belegungssituation gerade in bestimmten Unterkunftsarten, wie etwa in den CARA, hingewiesen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18 ff.). Insofern überzeugt es wenig, wenn demgegenüber das Auswärtige Amt in seinen Auskünften (z.B. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3., erster Absatz und am Ende, sowie in seiner Auskunft an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage c)) auch auf Nachfrage des Senats ohne konkret nachvollziehbare Begründung davon ausgeht, es gebe landesweit ausreichende Kapazitäten, um in Italien alle Asylbewerber und Flüchtlinge und darunter insbesondere auch die Dublin-Rückkehrer sofort mit einer Unterkunft zu versorgen (Hervorhebung durch den Senat).
153Die vorstehend thematisierten Erkenntnisse sind in die Gesamtwürdigung mit einzustellen, soweit es um die Frage geht, ob in der Zurverfügungstellung eines solchen begrenzten Gesamtangebots ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen zu sehen ist, und ob dieser zugleich die Prognose rechtfertigt, dass überstellte Dublin-Rückkehrer derzeit konkret der Gefahr ausgesetzt sind, obdachlos zu werden. Die Auskünfte sind allerdings unter den nachfolgenden Gesichtspunkten näher zu hinterfragen und im Gefolge dessen auch zu relativieren:
154Was die Zahl der insgesamt oder in den jeweiligen Unterkunftssystemen für sich genommen vorhandenen Plätze betrifft, gibt es in den Erkenntnismitteln Angaben, die sich hinsichtlich der zugrunde gelegten Zahlen jedenfalls zum Teil voneinander unterscheiden (vgl. AA an VG Minden vom 24. Mai 2013 zu Frage 8. in Bezug auf das Gutachten von borderline-europe; Liaisonbeamtin des Bundesamtes in ihrer Stellungnahme vom 21. November 2013 zu Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, zu 1.). Ferner ist in Rechnung zu stellen, dass – zumindest die CARA betreffend – derzeit faktisch wohl Überbelegungen stattfinden, d.h. mehr Personen dorthin zugewiesen werden als diejenige Zahl, für die die jeweilige Einrichtung ausgelegt ist (vgl. Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1. mit nach einzelnen CARA aufgeschlüsselter Tabelle). Insofern kommen namentlich in den staatlichen Unterkunftseinrichtungen wahrscheinlich mehr Betroffene unter, als es die nackten Zahlen über die Kapazität dieser Einrichtungen annehmen lassen; die „Soll-Belegung“ muss insofern nicht die „Ist-Belegung“ widerspiegeln. Dies mag als unterstützender Beleg für eine insgesamt unzureichende Unterbringung von Flüchtlingen gewertet werden können, zeigt andererseits aber auch anschaulich, dass den italienischen Stellen das Schicksal der Flüchtlinge nicht gleichgültig ist, sie vielmehr in großer Zahl unter Ausschöpfung von Unterbringungsreserven ein Obdach erhalten und deshalb nicht vollkommen schutzlos auf sich selbst gestellt sind.
155Vgl. zur Abgrenzung etwa EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 263, wo der betroffene Mitgliedstaat – dort Griechenland – gerade auch wegen seiner Untätigkeit für die Lage verantwortlich gemacht wurde, aus der die tatsächliche Gefahr, Opfer einer erniedrigenden Behandlung zu werden, erwuchs.
156Und noch ein Weiteres erschwert in diesem Zusammenhang die Betrachtung: Die Zahlen zur (Soll-)Aufnahmekapazität einzelner oder auch aller Einrichtungen geben für sich genommen schon deswegen kein vollständiges Bild, weil es daneben wesentlich darauf ankommt, wie oft (etwa pro Jahr) ein Wechsel erfolgt, also ein vorhandener Platz wieder frei und neu besetzbar wird. Gerade zu Letzterem und auch (als Indiz hierfür) zur Länge der Asylverfahren gibt es aber keine eindeutigen, durch statistisches Material belegten und verfügbaren Erkenntnisse, obwohl gerade dies für eine gesicherte Annahme von etwaigen Rückkoppelungseffekten (Blockierung von Plätzen durch eine längere als die gewöhnliche Aufenthaltsdauer der „Vorgänger“) von Interesse wäre. Man ist deshalb im Wesentlichen auf überschlägige Schätzungen angewiesen. Der aida-Report, November 2013, S. 43, geht von einer durchschnittlichen Verweildauer in CARAs von 8 bis 10 Monaten aus, in SPRARs könne der Aufenthalt 6 bis 12 Monate andauern. In den Auskünften des Auswärtigen Amtes wird typisierend davon ausgegangen, dass ein Unterkunftsplatz (insbesondere in den SPRAR-Einrichtungen) zwei Mal im Jahr neu belegt werden kann; insofern werden die Zahlen zur Aufnahmekapazität – zum Teil ohne die gebotene Erläuterung – schlicht verdoppelt (siehe AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 8; dazu auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 23)). Das verzerrt allerdings das Zahlenmaterial für den notwendigen Vergleich mit anderen Erkenntnismitteln, die häufig eine entsprechende statistische Erhöhung der Kapazität in ihren Zahlenangaben nicht berücksichtigt haben. Die Angabe eines „typischen“ Belegungszeitraums erweist sich bezogen auf nicht staatliche Unterkünfte, die von Kommunen oder NGOs getragen werden, als noch schwieriger und unsicherer im Aussagegehalt. Bezieht man dabei zusätzlich zu festen kommunalen Aufnahmezentren auch die diversen Notschlafstellen bei kirchlichen Einrichtungen oder NGOs mit ein, so ist es unmöglich, überhaupt nur einen Überblick auch schon über die Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze zu gewinnen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 35). Diese Plätze stehen darüber hinaus nicht speziell Asylbewerbern zur Verfügung, obschon auch solche dort inzwischen vermehrt unterkommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27).
157Schließlich kommt Folgendes noch relativierend hinzu, und zwar mit Blick darauf, ob dem Bestand an Unterkunftsplätzen ohne Weiteres die Gesamtzahl der in Italien pro Jahr ankommenden Flüchtlinge vergleichend gegenüber gestellt werden kann, um auf diese Weise ein konkret bestehendes Unterkunftsdefizit hinreichend plausibel zu machen: Insofern muss man sich vergegenwärtigen, dass ein nicht exakt bezifferbarer Teil der in Italien anlandenden Flüchtlinge und auch der nach der Dublin II-VO überstellten Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) einen Asylantrag gestellt hatten, unabhängig von der unter Umständen gegebenen Möglichkeit ihrer Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung selbst die Entscheidung trifft, im Land unterzutauchen und/oder Italien wieder zu verlassen und – ggf. zum wiederholten Male – in einen anderen Mitgliedstaat der EU, in dem (vermeintlich) bessere Aufnahmebedingungen herrschen, weiterzureisen. Insbesondere Letzteres hat zur Folge, dass diese Personen zumindest vorübergehend die italienischen Aufnahmeeinrichtungen nicht belasten. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Asylbewerber bzw. Flüchtlinge ein solches Verhalten immer erst dann an den Tag legen, wenn die Aufnahmebedingungen, die sie erwarten, objektiv dem Maßstab des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh nicht genügen. Vielmehr können die Gründe für das angeführte Verhalten unterschiedlichster Art sein, und sie müssen auch nicht stets nachvollziehbar sein. So wird etwa in dem schon an anderer Stelle zitierten aida-Report von November 2013 (S. 42) von einem Vorkommnis im Oktober 2013 berichtet, bei dem von 155 geretteten Bootsflüchtlingen 89 nach Rom transferiert worden seien; diese seien sämtlich aus dem dortigen Aufnahmezentrum verschwunden, ohne dem Leiter des Zentrums vorher eine Mitteilung zu machen. Ein anderer Teil der Gesamtzahl der in Italien eintreffenden Flüchtlinge kommt– wie schon dargelegt – bei kommunalen und karitativen Einrichtungen unter. Auch dieser nicht gering zu schätzende Teil kann im Rahmen einer vergleichenden (Zahlen-)Betrachtung nicht einfach der Gesamtanzahl der vorhandenen staatlichen Unterkünfte mit gegenübergestellt werden.
158Vgl. zu dem (u.a.) aus beiden vorstehenden Gründen als gering einzustufenden Aussagewert der Zahlen zur Kapazität der öffentlichen (staatlichen) Aufnahmeeinrichtungen auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013– OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 27.
159Aber selbst unterstellt, es gäbe einen geeigneten und hinreichend belastbaren Anhalt dafür, dass die in Italien aktuell vorhandenen Kapazitäten zur Unterbringung von Asylbewerbern – und hier insbesondere der Dublin-Rückkehrer unter ihnen – insgesamt nicht ausreichen würden, um für alle Betroffenen die Zuteilung einer (nicht nur nach der Ankunft in Italien übergangsweise vermittelten) Unterkunft regelmäßig ohne Wartezeiten von Belang sicherzustellen, ergäbe sich allein daraus nach Auffassung des Senats noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Grundrechtsverletzung nach Art. 4 EUGRCh überschreitendes Versagen des Staates im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Hierzu gilt:
160Die Frage, in welchem Umfang ein Staat für Asylbewerber bzw. Flüchtlinge aus anderen Ländern angemessene Unterkunftsmöglichkeiten konkret vorsehen (schaffen und aufrechterhalten) muss, lässt sich nicht abstrakt in einem bestimmten Sinne – etwa durch Festlegung einer genauen Mindestanzahl – bestimmen. Das hängt damit zusammen, dass die betreffende Aufgabe sich erst als Reaktion auf bestimmte andere, den Handlungsauftrag auslösende Umstände ergibt. Das sind hier konkret absehbare oder schon vorhandene Flüchtlingsströme in die EU, welche den in Rede stehenden Mitgliedstaat berühren. Die diesbezügliche Situation kann sich ggf. sehr schnell zuspitzen, kann sich dann aber auch wieder deutlich entspannen, um dann evtl. wieder durch neu entstandene politische Konflikte oder Bürgerkriegssituationen z.B. im Mittelmeerraum zu eskalieren. Da die ständige Vorhaltung von Unterkünften für Asylbewerber und Flüchtlinge in großer Zahl nicht unerhebliche finanzielle Mittel bindet, kann in diesem Zusammenhang zumal von Staaten, die wie Italien aktuell eine Wirtschaftskrise durchgemacht haben, nicht strikt verlangt werden, dass sie rein vorsorglich Unterkunftskapazitäten für Asylbewerber in einem Umfang bereithalten müssen, der nicht ständig, sondern nur bei einer ggf. auftretenden Spitzenbelastung benötigt wird. Vielmehr reicht es grundsätzlich aus, wenn sich der betroffene Mitgliedstaat erfolgversprechend bemüht, den sich aus dem Dublin-System ergebenden europarechtlichen Anforderungen je nach der auftretenden Lage im Wege flexibler Anpassung seines Aufnahmesystems zu entsprechen. Dies kann etwa in der Weise geschehen, dass in „ruhigeren Zeiten“ Kapazitäten maßvoll zurückgefahren, diese bei einer neu auftretenden Belastungssituation dann aber wieder in prinzipiell ausreichendem Maße aufgestockt werden.
161Ähnlich OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 18, 19; für die Berücksichtigung erkennbarer, realer Bemühungen eines Mitgliedstaates im Zusammenhang mit der Bewertung, ob ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen angenommen werden kann, auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 47.
162Hiervon ausgehend hat sich Italien – unbeschadet mancherseits, auch von UNHCR, zu Recht angebrachter (Teil-)Kritik – im Wesentlichen (noch) so verhalten, dass weder die Funktionsfähigkeit des Systems als solches in Frage gestellt worden ist noch die aktuell vorhandenen Mängel ein Ausmaß und Gewicht erreichen, von dem ausgehend die Prognose der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gerechtfertigt erscheint:
163Nachdem im Zuge insbesondere der Ereignisse in Tunesien und in Libyen die Zahl der über das Mittelmeer nach Italien geflüchteten Personen im Jahr 2011 einen Höchststand erreicht hatte (ca. 62.000 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 34.115 Asylgesuchen in jenem Jahr; Zahlenangaben nach AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2, und Schweizerischer Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 7, m.w.N.) trat im Jahr 2012 eine deutliche Entspannung der Situation ein (ca. 13.300 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 15.715 Asylgesuchen; Quellen für die Angaben wie vorstehend). Diese hat vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2013 zwar nicht fortgedauert, sondern es hat wieder eine deutliche Zunahme des Flüchtlingsstroms (auch) nach Italien gegeben. So gab es nach Angaben des Auswärtigen Amtes allein im ersten Halbjahr 2013 ca. 12.000 Anlandungen in Süditalien (AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2), nach Schätzungen von UNHCR für den gleichen Zeitraum allerdings nur ca. 7.800 (Nachricht vom 6. Juli 2013 auf der Internet-Seite http://www.unhcr.de/archiv/nachrichten/artikel). Auf diese Zahlendivergenz kommt es hier nicht an, denn die Entwicklung des Wiederanstiegs hat sich im zweiten Halbjahr des Jahres 2013 unstreitig fortgesetzt und sogar noch verstärkt. So berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe darüber, dass die Zahl der Bootsflüchtlinge, welche in Süditalien angekommen seien, „im Sommer 2013“ stark angestiegen sei (Bericht von Oktober 2013, S. 7). Insgesamt haben im Jahr 2013 knapp unter 43.000 Bootsflüchtlinge Italien erreicht (Luise Amtsberg, Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien, Januar 2014, S. 5 f., abrufbar unter www.luise-amtsberg.de; Bericht Spiegel Online vom 17. Februar 2014 = Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 4. März 2014). Die sich daraus wieder ergebende deutliche Verschärfung der Lage, welche der Senat seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, ist somit eher plötzlich entstanden und konnte nicht ohne Weiteres vorhergesehen werden.
164Vor dem Hintergrund dieser seit 2011 in unterschiedliche Richtungen gehenden Entwicklungen und daran anknüpfender organisatorischer Planungen und Entscheidungen, die immer einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigen, ist zunächst kein durchgreifendes Fehlverhalten Italiens darin zu sehen, dass die zur Bewältigung des sog. „Notstand(es) Nordafrika“ seinerzeit von vornherein für einen vorübergehenden Zeitraum geschaffenen zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten des Zivilschutzes in der Größenordnung von (ursprünglich) 50.000 Plätzen nach dem Auslaufen jenes Projekts Anfang 2013 nahezu vollständig wieder weggefallen sind. Denn als die Planungen für diesen Wegfall erstellt und ins Werk gesetzt wurden, war kein neuerlicher dramatischer Anstieg der Zahl von Bootsflüchtlingen und damit mittelbar zugleich von (künftigen) Dublin-Rückkehrern absehbar. Ob und inwieweit jene Unterbringungsmöglichkeiten, welche von vornherein nur vorübergehend zusätzlich zur Verfügung stehen sollten, über eventuelle Verdrängungseffekte (Hineinströmen neuer Bootsflüchtlinge in die für alle nur begrenzt vorhandenen Aufnahmeeinrichtungen) für die Chance von Dublin-Rückkehrern, untergebracht zu werden, überhaupt von Bedeutung gewesen sind (verneinend AA an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage e), bedarf insofern keiner Klärung. Denn das inzwischen ausgelaufene Notstandsprogramm belegt jedenfalls, dass Italien in erheblichem Umfang zusätzliche Unterkunftsplätze einrichten und zur Verfügung stellen will und kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Daraus lässt sich zugleich schließen, dass bei einem aktuell oder künftig ansteigenden Bedarf an Unterkünften voraussichtlich ebenfalls (zumindest im Prinzip) eine Reaktion in Form der gebotenen Anpassung der zur Verfügung gestellten Unterbringungskapazität erfolgen wird.
165Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 26 f.); OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 19.
166Es gibt darüber hinaus aber auch konkrete Hinweise dafür, dass Italien sich seiner „Dublin-Verantwortung“ auch aktuell bewusst ist und bereits Anstrengungen unternommen sowie weitere Schritte eingeleitet hat, um die von Flüchtlingsorganisationen als zu knapp bemessen kritisierten Unterkunftskapazitäten in einem beachtenswerten und für ein Auffangen der meisten Fälle wohl ausreichenden Umfang wieder auszubauen.
167So ist die Zahl der SPRAR-Unterkünfte von ursprünglich 3.000 auf inzwischen mindestens 5.000 erhöht worden; zumindest im Aufbau begriffen, wenn nicht bereits erreicht oder sogar schon übertroffen (im letztgenannten Sinne aida-Report, November 2013, und die Liaisonbeamtin, siehe unten), ist eine weitere Erhöhung auf 8.000 Plätze. Aufgrund von Dekreten des Innenministeriums von Juli und September 2013 soll in dem Zeitraum von 2014 bis 2016 eine nochmalige Erhöhung auf 16.000 Plätze erfolgen. Mit weiterem Dekret von Oktober 2013 hat das Innenministerium speziell auf die durch den deutlichen Anstieg der auf dem Seeweg ankommenden Flüchtlinge eingetretene Notlage („emergency situation“) reagiert und aufgrund der Bewilligung außerordentlicher Geldmittel eine (wohl unmittelbar in Angriff zu nehmende) Erhöhung der Unterkunftsplätze beschlossen (vgl. insbesondere zu Letzterem aida-Report, November 2013, S. 42; zum Ganzen mit nur geringfügigen Unterschieden, die wohl in erster Linie durch die etwas auseinanderfallenden Zeitpunkte der Erkenntnisgewinnung zu erklären sind, auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22 f.; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Auskunft vom 21. November 2013, zu 1.; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 5, und an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 10). Allerdings hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O.) in diesem Zusammenhang einschränkend darauf hingewiesen, dass durch den Ausbau der SPRAR-Unterkünfte die Gesamtkapazität nicht in gleichem Umfang steige (gestiegen sei), weil beispielsweise bisher unter kommunaler Verantwortung stehende Plätze in das Vorhaben integriert würden.
168Addiert man zu den in den (wenn auch zurzeit überbelegten) CARA laut Liaisonbeamtin des Bundesamtes mit ca. 11.000 untergebrachten Personen eine Kapazität der SPRAR-Projekte von laut aida bzw. der Liaisonbeamtin derzeit zwischen 8.000 und 9.500 Plätzen hinzu, so beträgt die Summe bereits ca. 20.000 staatliche Plätze. Dabei sind die kommunalen oder durch NGOs bereitgestellten Unterbringungsmöglichkeiten nicht mitgezählt, von denen es allein in Rom zusammen ca. 1.500 gibt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27). Nimmt man hinzu, dass nicht alle Flüchtlinge über die Dauer von 12 Monaten in den Unterkünften verbleiben, können während eines Jahres tatsächlich mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als es die Zahl der Unterkunftsplätze annehmen lässt (z.B. beträgt die durchschnittliche Verweildauer in CARAs 8 bis 10 Monate, aida-Report, November 2013, S. 43). Auch vor diesem Hintergrund und weil dies nicht einmal die bis 2016 angestrebte weitere Erhöhung der SPRAR-Plätze berücksichtigt, lassen auch schon die aktuellen Zahlen – unbeschadet der hierzu oben aufgezeigten Schwierigkeiten einer allein an diesen Zahlen orientierten Vergleichsrechnung – jedenfalls kein dramatisches Missverhältnis in Gestalt einer sich nach den empirischen Grundlagen aufdrängenden Kapazitätsunterdeckung erkennen. Das gilt selbst dann, wenn man richtigerweise einbezieht, dass ein Teil der Unterkünfte auch anerkannten Flüchtlingen, die sich schon im Land befinden, (für einen gewissen Zeitraum) zur Verfügung steht. Damit unterscheidet sich die Situation auch deutlich von der seinerzeitigen Lage in Griechenland, in welcher auch ein erwachsener männlicher Asylsuchender praktisch keine Chance auf einen Platz in einer Aufnahmeeinrichtung hatte, weil es weniger als 1000 Unterkünfte gab, um zehntausende Asylsuchende unterzubringen.
169Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 258.
170Auch im Übrigen wird an den Strukturen der Aufnahme in Gestalt von Verbesserungen bzw. zumindest der Sicherung vorhandener Kapazitäten weiter gearbeitet. So soll etwa das am Stadtrand von Rom gelegene Centro Enea, eine zunächst von der Arcofraternita betriebene Einrichtung insbesondere für Dublin-Rückkehrer, die in Rom-Fiumicino ankommen, deren Fortbestand zwischenzeitlich unklar gewesen ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 20 oben), ab Januar 2014 in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft umgewandelt werden. Dies ergibt sich aus einem Bericht des Mitglieds des Deutschen Bundestags Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen) vom 16. Januar 2014 („Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien“, abrufbar unter www.luise-amtsberg.de).
171Es wird insoweit auf eine gute Infrastruktur des Hauses, auf verschiedene Kultur- und Bildungsangeboten sowie auf engagiert wirkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingewiesen. Zwar wird auch angemerkt, dass das betreffende Haus, welches 410 Menschen im Asylverfahren aus 35 verschiedenen Ländern beherberge, isoliert von der Außenwelt und viel zu groß für die individuelle Betreuung der Menschen sei. Das mag einen noch möglichen Verbesserungsbedarf anzeigen, lässt allerdings gewichtige Mängel des bestehenden bzw. im Aufbau begriffenen Zustandes nicht hervortreten. In dem vorgenannten Bericht wird im Übrigen an anderer Stelle (S. 6) auch darauf hingewiesen, dass angesichts des aktuell hohen Zustroms an Flüchtlingen sowie der Überfüllung der CARAs inzwischen alle Regionen Italiens aufgefordert seien, weitere (Aufnahme-)Zentren zu bauen.
172Dass Italien den in Bezug auf die tatsächlichen Aufnahmebedingungen bestehenden Mängeln und Defiziten nicht etwa schlechthin tatenlos zusieht, sondern (namentlich seit Ende 2012) durchaus anerkennenswerte Bemühungen unternimmt, die insoweit bestehende Situation zu verbessern, wird ferner – trotz zugleich geübter, auch struktureller Kritik, auch in dem letzten Bericht von UNHCR von Juli 2013 gewürdigt (S. 10 unten: „UNHCR welcomes the decision of the Ministry of Interior …“, „SPRAR projects … are able to provide for the reception needs of a significant number of asylum-seekers“). Als „äußerst unzureichend“– und damit wohl wesentlicher Grund für eine umfassende Reform des Aufnahmesystems – werden in jenem Zusammenhang allein die Unterstützungsmaßnahmen für anerkannte Flüchtlinge beschrieben (vgl. UNHCR an VG Freiburg von Dezember 2013, S. 6 oben, basierend auf dem UNHCR-Bericht über Italien von Juli 2013, dort S. 10 unten).
173Anders als für andere Staaten wie zuletzt Bulgarien und trotz inzwischen mehrfacher eingehender Befassung mit dem Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Italien auch für Dublin-Rückkehrer hat UNHCR bislang nicht explizit eine Empfehlung ausgesprochen, von der Überstellung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen. In der Anlage zu dem beim Oberverwaltungsgericht etwa zweieinhalb Stunden vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schreiben an den Senat vom 7. März 2014 (Ergänzende Informationen zur Veröffentlichung „UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien – Juli 2013“) hat er hierzu erläuternd darauf hingewiesen, der Umstand, dass in dem betreffenden Papier keine Äußerung enthalten sei, ob systemische Mängel einer Überstellung nach Italien entgegenstünden, könne keine Grundlage für die Annahme bilden, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehende Umstände vorlägen. Ob solches der Fall sei, hätten vielmehr die Behörden und Gerichte im Einzelfall mit Blick darauf zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung ausschlössen. Dabei weiche der Prüfungsmaßstab in den Dublin-Fällen nicht von dem allgemein gültigen Maßstab des Schutzes des Art. 3 EMRK ab.
174Auf der Grundlage dieser Ausführungen ergibt sich weder eine Indizwirkung dafür noch eine solche dagegen, dass die in Italien derzeit vorzufindenden Aufnahmebedingungen die Überstellung eines Dublin-Rückkehrers, der wie der Kläger dort noch kein Asyl beantragt hatte und für den keine individuellen Besonderheiten gelten, allgemein hindern. Somit bleibt der Senat auch im Hinblick auf diese neue Stellungnahme aufgefordert, sich in der gebotenen Gesamtschau aller für und gegen eine drohende Verletzung des Klägers in seinen Grundrechten aus Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK sprechenden Gründe ein eigenes Urteil zu bilden, ob die u.a. von UNHCR in der Sache angeführten Mängel und Defizite in Bezug auf das Asylsystem und die Aufnahmebedingungen gewichtig genug sind, um eine belastbare tatsächliche Grundlage für die Prognose zu bilden, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Unterkunft finden und obdachlos sein. Eine solche Grundlage ist aus den vorstehend angeführten Gründen nicht vorhanden.
175Allerdings merkt der Senat sein Befremden darüber an, dass UNHCR seine jetzige Interpretation des eigenen Berichts von Juli 2013 maßgeblich darauf stützt, dieser richte sich in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die italienische Regierung. Ohne diese Intention anzweifeln zu wollen, gründet das Befremden des Senats darin, dass UNHCR nicht unbekannt sein kann, dass die dort erstellten Berichte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „besonders relevant“ sind auch bei der Bewertung des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Zuge der Rückführung von Asylsuchenden nach der Dublin II-VO.
176Vgl. EuGH, Urteile vom 30. Mai 2013– C-528/11 – (Halaf), NVwZ-RR 2013, 660 =juris, Rn. 44, und vom 21. Dezember 2011– C-411/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris,Rn. 90 f.
177Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr wesentlich auf die nicht durch prüffähige Einzelangaben belegte Darstellung der Liaisonbeamtin des Bundesamtes an, dass die in dem Bericht von UNHCR von Juli 2013 registrierten Mängel bereits zum großen Teil beseitigt worden seien, was ihr am 16. September 2013 die Capo Dipartimento, Angela Pria, versichert habe (vgl. die Stellungnahme der Liaisonbeamtin vom 21. November 2013, zu 7.).
178(3) Es gibt auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel ferner keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die den Asylbewerbern und darunter insbesondere den Dublin-Rückkehrern während der Durchführung des Asylverfahrens zur Verfügung gestellten Unterkünfte gleich welcher Art wegen ihrer Beschaffenheit und Ausstattung (z.B. der hygienischen Verhältnisse) oder auch wegen der dort herrschenden Zustände (insbesondere der Gefahr, das Opfer von Gewalttätigkeit und anderer krimineller Delikte zu werden) typischerweise unzureichend oder in Bezug auf das Zusammenleben mit anderen Personen auf ggf. engem Raum in einer Weise unzumutbar wären, dass daraus auf die konkrete Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Falle der Überstellung des Klägers nach Italien geschlossen werden könnte.
179Vgl. dazu allgemein auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 28 f., m.w.N.).
180Gegenteiliges lässt sich insbesondere auch nicht aus den Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat herleiten. Dies schon deshalb nicht, weil sich diese Angaben auf einen anderen Zeitpunkt und im Übrigen auch ausschließlich auf die Verhältnisse in einer Art „Sammelstelle“ auf Sizilien – und damit allenfalls auf die seinerzeitigen Bedingungen in Süditalien – beziehen. Die konkrete Unterkunftsart konnte der Kläger weder näher bezeichnen noch irgendwie klar umschreiben. Was die angeblich angetroffenen „schlechten“ Lebensbedingungen betrifft, fehlt es im Übrigen auch an der Relevanz, solange die Grenze des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts des Art. 4 EUGRCh nicht berührt wird. Namentlich ist es unerheblich, wenn die Aufnahmebedingungen nicht den Standard erreicht haben bzw. erreichen, wie er bei einer Aufnahme von Asylbewerbern in der Bundesrepublik Deutschland üblich ist. Für die nicht weiter belegte Annahme des Klägers, infolge der derzeitigen Überbelegung vieler Aufnahmeeinrichtungen herrschten dort gemeinhin menschenunwürdige Zustände, geben die Erkenntnisse nichts her. Darauf, ob dies vielleicht in Einzelfällen anders sein mag, kommt es nicht an.
181(4) Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass Dublin-Rückkehrer, welche in Italien einen Asylantrag stellen, während des Verfahrens bis zur Entscheidung über diesen Antrag materielle Not leiden müssen, weil sie gemessen an den Vorgaben des Unionsrechts nicht das zum Leben Benötigte – wie insbesondere Nahrung, Wäsche, Kleidung und Hygieneartikel – erhalten. Vielmehr wird dem Rechtsanspruch der Asylsuchenden auf Verpflegung und Versorgung im Allgemeinen auch in Italien nachgekommen. Dies geschieht bei denjenigen Personen, die in staatlichen/öffentlichen Unterkünften untergebracht sind, in der Regel dadurch, dass die Aufnahmeeinrichtungen/-zentren auch die Verpflegung und Versorgung mit übernehmen. Aber auch für diejenigen Asylbewerber, die in nichtstaatlichen, namentlich in karitativen oder kirchlichen Unterkünften leben, wird grundsätzlich ausreichend gesorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 5.; für seitdem eingetretene Änderungen ist nichts ersichtlich). Dass die Asylbewerber und hier insbesondere die Dublin-Rückkehrer unter ihnen typischerweise in extremer Armut leben und ihren Lebensunterhalt dabei beispielsweise durch Betteln oder Prostitution sichern müssten, kann folglich nicht festgestellt werden.
182Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UAS. 29 ff.).
183Das schließt es nicht aus, dass im Einzelfall solches namentlich bei obdachlosen Personen hin und wieder vorkommen mag. Denn ein staatliches Sozialhilfesystem existiert in Italien nur sehr eingeschränkt. Das reicht indes nicht für die Annahme aus, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung nach Italien ernstlich der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh ausgesetzt sein.
184(5) Soweit es um die medizinische Versorgung der Dublin-Rückkehrer nach Italien geht, die dort ein Asylverfahren einleiten, unterscheidet sich die Situation nicht von derjenigen, die in Italien allgemein für Asylbewerber während ihres Verfahrens gilt. Als unionsrechtliche Vorgabe ist insoweit Art. 19 der Neufassung der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) zu beachten. Dieser garantiert allerdings für Antragsteller ohne besondere medizinische Bedürfnisse – wie hier den Kläger – nur einen Mindeststandard (Notversorgung, unmittelbar erforderliche Behandlungen). Dass Asylbewerber in Italien in der Regel eine medizinische Versorgung kostenfrei erhalten können, welche zumindest diesem Mindeststandard entspricht, wird vom Kläger und auch in den dem Senat vorliegenden (einschlägigen) Erkenntnismitteln nicht prinzipiell in Frage gestellt. In den Erkenntnissen wird allenfalls in Zweifel gezogen, ob auch jenseits der Not- bzw. Akutversorgung der allgemeine Zugang zum italienischen Gesundheitssystem, zu dem eine Gesundheitskarte nötig ist, den Asylbewerbern bereits – ggf. landesweit – dann eröffnet ist, wenn sie (noch) nicht über einen ständigen Wohnsitz bzw. eine feste Adresse verfügen, und inwiefern insoweit eine sog. fiktive bzw. virtuelle Adresse ausreicht und erlangt werden kann (siehe etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 49 f., 52; AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 6., und – dort entsprechend für anerkannte Schutzberechtigte – an VG Gießen vom 26. März 2013, zu Frage 4.; zu einzelnen Defiziten hinsichtlich der praktischen Anwendung der medizinischen Versorgung von Asylbewerbern seinerzeit Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 45 ff.). Mängel der Aufnahmebedingungen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich erscheinen ließen, lassen sich somit auch in diesem Zusammenhang nicht feststellen. Individuelle Besonderheiten im Sinne einer besonderen Verletzlichkeit oder medizinische Behandlungsbedürftigkeit des Klägers bestehen im Übrigen nicht.
185Vgl. zum Zugang zum Gesundheitssystem auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 31 f.).
186(6) Durchgreifende Mängel gibt es auch nicht in Bezug auf die Qualität und Dauer der Asylverfahren in Italien. Die Rechtsstellung der Betroffenen wird insoweit auch, was die faktische Umsetzung in der behördlichen Praxis einschließlich der Gewährung von Rechtsberatung und Rechtsschutz betrifft, nicht in einer nennenswerten Weise beeinträchtigt. Der Senat schließt sich insoweit der (vom Kläger nicht in Zweifel gezogenen) Bewertung durch das OVG Sachsen-Anhalt an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen einschlägigen Ausführungen Bezug, welche sich auch dazu verhalten, dass es in Italien keine unverhältnismäßig restriktive Asylpraxis gibt.
187Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 32 ff.).
188(7) Die in Gesamtwürdigung der Verhältnisse gewonnene Einschätzung des Senats, dass das Asylverfahren und namentlich auch die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber – darunter hier speziell Dublin-Rückkehrer – in Italien nicht an systemischen Mängeln leiden, welche darauf führen, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird, stimmt schließlich mit der Bewertung überein, welche für dessen Entscheidungszeitpunkt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Beschluss vom 2. April 2013– 27725/10 – (Mohammed Hussein u.a.), insb. Rn. 78, unter Würdigung zahlreicher Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen getroffen hat. Dieser Entscheidung lag durchaus jedenfalls auch eine Betrachtung der allgemeinen Situation und der Lebensbedingungen in Italien zugrunde; keineswegs erfolgte sie maßgeblich (nur) vor dem Hintergrund etwaiger besonderer Umstände des zugrunde liegenden Falles wie namentlich des Umstandes, dass die Klägerin in dem Verfahren grundlegend falsche Angaben zum Sachverhalt gemacht hatte; ebenso wenig lässt sich ihr entnehmen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eigentlich etwas anderes, nämlich in Richtung auf das Bestehen systemischer Mängel, sagen wollen.
189In diesem Sinne (zu Unrecht) VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 61 f.; VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 – 1 K 844/11. GI.A –, juris, Rn. 36.
190Hierfür spricht nicht zuletzt auch, dass der EGMR seine Linie zu Italien auch in nachfolgenden Entscheidungen bestätigt hat.
191Vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 2013 – 53852/11 – (Halimi), ZAR 2013, 338 (339, Rn. 68), und vom 10. September 2013 – 2314/10 – (Hussein Diirshi), Rn. 138, 139.
192Wie ein zwischenzeitlich vor der Großen Kammer des EGMR anhängiges und im Februar 2014 verhandeltes (weiteres) Verfahren zu Italien, das der Kläger angesprochen hat, ausgehen wird und inwiefern der EGMR in jenem Verfahren fallübergreifende Feststellungen zu den Verhältnissen in Italien treffen oder die konkreten Verhältnisse des zu entscheidenden Falles in den Vordergrund stellen wird, ist ungewiss; die Entscheidung hierzu steht noch aus.
193(8) Der Senat hatte auch mit Blick auf die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren schriftsätzlich vorgebrachten Beweisanregungen keine Veranlassung, zur Gewinnung der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Überzeugung noch weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation der Asylbewerber in Italien einzuholen. Denn die vorliegenden Erkenntnismittel haben im Ergebnis ausgereicht, ihm diese Überzeugung bereits in einem ausreichenden Maße zu vermitteln.
194Dem steht zunächst nicht durchgreifend entgegen, dass der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 die Sache zunächst vertagt hat. Denn zu jenem Zeitpunkt standen wesentliche aktuelle Erkenntnismittel, wie namentlich der damals bereits angekündigte ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von Oktober 2013, noch nicht zur Verfügung. Der zusätzliche Umstand, dass der Senat unter dem 18. Oktober 2013 ein weiteres, trotz des Umfangs der gestellten Fragen im Wesentlichen die Erläuterung bzw. Konkretisierung/Substantiierung bereits vorliegender Aussagen betreffendes Auskunftsersuchen an das Auswärtige Amt gerichtet hat, welches das Auswärtige Amt dann angeblich mit den eigenen Möglichkeiten nicht beantworten konnte (vgl. die Antwortschreiben vom 5. November und 18. Dezember 2013), hinderte den Senat nicht, sich (aufgrund der insofern neuen Situation) noch einmal neu mit der Frage zu befassen, ob es für seine Entscheidung – etwa auch vor dem Hintergrund des ausführlichen aktuellen Berichts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – der Beantwortung der gestellten Fragen (bzw. aller davon) notwendig bedurfte, und diese Frage zu verneinen. Eine etwaige Bindung war durch die rein vorsorgliche Anfrage vom 18. Oktober 2013 nicht eingetreten; zudem hatte sich die Sachlage inzwischen wesentlich geändert. Denn das Auswärtige Amt hat in dem Schreiben vom 18. Dezember 2013 unmissverständlich mitgeteilt, dass (ergänzende) eigene Erkenntnisse oder Unterlagen nicht vorhanden seien.
195Der Anregung im Schriftsatz des Klägers vom 14. Januar 2014, bestimmte Angehörige der Organisationen „borderline europe“ und Schweizerische Flüchtlingshilfe als sachverständige Zeugen zu hören, musste der Senat nicht entsprechen. Denn es ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, dass „borderline europe“ die Erkenntnisse aus dem im Dezember 2012 erstellten Bericht bzw. Gutachten inzwischen auf der Grundlage neuerer konkreter Erkenntnisse sozusagen „fortgeschrieben“ hätte und/oder dass Angehörige der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus eigener Kenntnis heraus wesentliche zusätzliche Informationen über das hinaus geben könnten, was schon in dem sehr ausführlichen Bericht von Oktober 2013 unter (in der Regel) spezifizierter Offenlegung der Quellen schriftlich niedergelegt ist. Schließlich musste der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht Gelegenheit gegeben werden, auf ihr in der Stellungnahme der Liaisonbeamtin des Bundesamtes vorgehaltene (vermeintliche) Mängel ihres Oktober-Berichts zu erwidern.
1962. Die Abschiebungsanordung in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides ist hiernach ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
197Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
198Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Tenor
I.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungserfahrens zu tragen.
III.
Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Gründe
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Juni 2013 (A 12 K 331/13) geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.
Tenor
I.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungserfahrens zu tragen.
III.
Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Gründe
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.
(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.
(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.
(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.
(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.
Tenor
I.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungserfahrens zu tragen.
III.
Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Gründe
(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Der am 22. Januar 1979 in Rimal/Marokko geborene Kläger ist nach seinen Angaben marokkanischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit.
3Er war bereits im Sommer/Herbst 2009 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und wurde am 23. September 2009 in Erfurt von der Polizei aufgegriffen. Am 2. Oktober 2009 stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß § 25 AsylVfG gab der Kläger an, er sei von Libyen mit dem Schlauchboot nach Sizilien gebracht worden. Von dort aus sei er mit dem Zug nach Mailand, dann weiter nach Paris und von dort nach Deutschland gefahren.
4Das Bundesamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 als unzulässig ab; zugleich ordnete es die Abschiebung nach Italien an. In der Begründung hieß es unter anderem: Laut Eurodac sei der Kläger am 24. Mai 2009 illegal über Italien in den Bereich der Mitgliedstaaten der Dublin II-VO eingereist. Auf ein am 16. November 2009 gestelltes Übernahmeersuchen hin habe Italien seine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO erklärt. Daher werde dieser Antrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.
5Aufgrund des Übernahmeersuchens wurde der Kläger am 22. Dezember 2009 auf dem Luftwege über den Flughafen Rom-Fiumicino nach Italien überstellt.
6Am 11. Januar 2011 wurde der Kläger wegen erneuten illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet wiederum in Erfurt aufgegriffen. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Thüringer Polizei gab er an, er habe nach der Abschiebung nach Italien dort keinen festen Wohnsitz gehabt. Einen Asylantrag habe er nicht stellen können. Er sei deshalb nach Frankreich weitergereist, habe sich aber auch dort ohne festen Wohnsitz aufgehalten, ohne einen Asylantrag zu stellen. Schließlich sei er – einen Tag zuvor – wieder nach Deutschland gekommen. Er bitte um Asylgewährung, weil er in Marokko von der Familie seiner Freundin, die er geschwängert habe, mit dem Tode bedroht werde.
7Unter dem 17. Januar 2011 ersuchte das Bundesamt Italien unter Bezugnahme auf Art. 16 Satz 1, Art. 13 Dublin II‑VO um Übernahme des Klägers. Das Ersuchen blieb – ebenso wie eine unter Hinweis auf die Annahmefiktion erfolgte Erinnerung vom 18. Februar 2011 – unbeantwortet.
8Mit Bescheid vom 27. April 2011 lehnte das Bundesamt den erneuten Antrag des Klägers auf Durchführung eines Asylverfahrens ab und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an. Italien sei für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Wiederaufgreifensgründe lägen insoweit nicht vor, als diese nicht das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II-VO beträfen. Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO seien ebenfalls nicht ersichtlich. Ein Ausnahmefall vom Konzept der normativen Vergewisserung liege nicht vor.
9Ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes war die Überstellung des Klägers von Düsseldorf nach Rom-Fiumicino mit einem Flug am 10. Mai 2011 vorgesehen.
10Mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A – hat das Verwaltungsgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, vorläufig für die Dauer von sechs Monaten Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen.
11Mit seiner am 16. Mai 2011 erhobenen Klage hat der Kläger im Kern geltend gemacht, die tatsächliche Situation für Asylsuchende in Italien lasse unverändert nicht den Schluss zu, dass dort ein Asylverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werde.
12Der Kläger hat beantragt,
13den Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Asylantrag in der Sache zu entscheiden.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, hat das Verwaltungsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Der Kläger habe einen aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Selbsteintrittsrecht) folgenden Anspruch darauf, dass ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werde. Das insoweit bestehende Ermessen sei auf Null reduziert. Denn es sei nach den tatsächlichen Verhältnissen in Italien nicht gewährleistet, dass dem Kläger dort ein den Richtlinien der Europäischen Union konformes Asylverfahren zugänglich gemacht werde und namentlich die Erfüllung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse sichergestellt sei. Unabhängig davon sei Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens auch deswegen zuständig, weil die nach der Dublin II-VO geltende Überstellungsfrist von 6 Monaten abgelaufen sei. Diese Frist habe sich infolge des durchgeführten Eilverfahrens nicht verlängert.
17In einem weiteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes während des anhängigen Verfahrens auf Zulassung der Berufung hat der Senat durch Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamts vom 27. April 2011 angeordnet.
18Die mit Beschluss vom gleichen Tage zugelassene Berufung hat die Beklagte fristgerecht begründet. Sie hält aus im Einzelnen dargelegten Gründen Italien weiterhin für zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens.
19Der Kläger beantragt, seinen erstinstanzlichen Antrag neu fassend,
20den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2011 aufzuheben.
21Die Beklagte beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage mit dem neu gefassten Antrag abzuweisen.
23Der Kläger beantragt weiter,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Der Kläger tritt der Berufung entgegen und macht hierzu im Wesentlichen geltend: Jedenfalls im Falle ernsthafter Anhaltspunkte für eine mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen im Zielstaat einer Dublin-Überstellung drohende Verletzung von Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: EUGRCh) habe der betroffene Asylbewerber ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts, zumindest aber auf Absehen von einer Überstellung. Was den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO betreffe, lasse sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache „Petrosian“ für die Rechtslage in Deutschland kein klares Ergebnis herleiten. Hinsichtlich der tatsächlichen Aspekte des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer in Italien überzeuge die Bewertung der konkreten Situation vor Ort durch die Beklagte sowie in den von dieser zur Stützung ihrer Auffassung in Bezug genommenen Erkenntnismitteln nicht. Es fänden sich dort zum Teil widersprüchliche und/oder ungenaue Aussagen. Zu den Quellen gebe es insbesondere bei den Auskünften des Auswärtigen Amtes nur sehr allgemeine Angaben. Die konkreten Fragen des Senats in dessen Anfrage vom 18. Oktober/27. November 2013 seien unbeantwortet geblieben; das habe der gesetzlich vorgeschriebenen Amtshilfe nicht Genüge getan. Zumindest ein Teil der von der Beklagten außerdem in Bezug genommenen Gerichtsentscheidungen betreffe schon keine hinreichend vergleichbaren Fallkonstellationen; andere Entscheidungen schöpften nicht die Erkenntnisse aus den neuesten vorhandenen Auskünften/Berichten in der gebotenen Weise aus. Auf der Grundlage einer verständigen Würdigung aller vorhandenen und namentlich der besonders aktuellen Erkenntnismittel stelle sich die Lage demgegenüber so dar, dass eine von den tatsächlich zur Verfügung stehenden– hier bei weitem unzureichenden und derzeit auch erheblich überbelegten – Unterbringungskapazitäten schlüssig getragene Sicherstellung einer Versorgung der Asylbewerber und speziell der Dublin-Rückkehrer mit Unterkunft sowie außerdem mit Verpflegung, Kleidung und medizinischer Hilfe – alles gemessen an dem (Mindest-)Schutzniveau des Art. 4 EUGRCh – nicht gewährleistet und auch nicht regelmäßig vorhanden sei. Da das eigentliche Problem des italienischen Asyl-/Aufnahmesystems eine enorme Diskrepanz zwischen dem (nach den Rechtsvorschriften gebotenen) Soll-Zustand und dem (die Praxis und Lebenswirklichkeit bestimmenden) Ist-Zustand sei, umfassende empirische Untersuchungen zu den tatsächlichen Verhältnissen aber in der Regel fehlten, ließen sich zulässigerweise auch aus (etwa Berichten von Nichtregierungsorganisationen zugrunde liegenden) Schilderungen von typischen Einzelfällen Schlüsse auf die im Land vorherrschenden Rahmenbedingungen ziehen. Darauf gründend lägen hier gravierende Defizite vor, die zugleich als strukturell zu bewerten seien. So sei etwa das italienische Asyl- und (daran anknüpfend) Aufnahmesystem dergestalt zweistufig ausgestaltet, dass es nach der ersten Anbringung des Asylgesuchs noch dessen förmlicher Registrierung in einer Questura bedürfe, um überhaupt Leistungen wie Unterkunft o.ä. erhalten zu können. Da diese Registrierung in der Praxis manchmal erst Wochen oder zum Teil sogar Monate später erfolge, ergebe sich eine zeitliche Lücke, welche missachte, dass nach europäischem Recht schon ab Einreise und Asylantragstellung ein Anspruch auf soziale Leistungen bestehe. Bei den in Rede stehenden Aufnahmemodalitäten, darunter insbesondere den massiven Kapazitätsengpässen, handele es sich auch nicht nur um ein temporäres, inzwischen überstandenes Problem. Im Gegenteil habe sich die Situation in der letzten Zeit nicht beruhigt, sondern sogar weiter zugespitzt. Denn zum einen habe der Zustrom von Asylbewerbern nach Italien im Jahr 2013 – und namentlich dessen zweiter Hälfte – wieder dramatisch zugenommen (insgesamt ca. 43.000 Bootsflüchtlinge), andererseits seien die im Zuge des sog. „Notstands Nordafrika“ zusätzlich eingerichteten Unterkunftsmöglichkeiten des Zivilschutzes im Laufe des Jahres 2013 weggefallen und es sei hierfür kein adäquater Ausgleich geschaffen worden. Die insoweit bestehende Lücke zu schließen und zugleich ein – bislang fehlendes – klar überschaubares, möglichst zentrales System der Verteilung von Unterkünften und Verpflegung einzurichten, falle in die staatliche Verantwortung Italiens. Durch die Kirche und etwaige sonstige karitative Einrichtungen erbrachte zusätzliche Nothilfe, auf welche etwa das Auswärtigen Amt immer wieder ergänzend hinweise, könne daher das anzunehmende strukturelle Defizit im Sinne der Rechtsprechung zum „systemischen Mangel“ nicht beseitigen. Das gelte zumal dann, wenn diese Hilfe nicht im staatlichen Auftrag, sondern bezogen auf das Selbstverständnis dieser Organisationen „aus eigenem Antrieb“ erfolge. Das Vorliegen eines „systemischen Mangels“ sei im Übrigen nicht im Sinne einer zusätzlichen Anforderung zu begreifen. Das gelte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Supreme Court des Vereinigten Königreichs jedenfalls dann, wenn kein Zweifel daran bestehe, dass in dem jeweiligen Einzelfall die ernstzunehmende Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gegeben sei. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof durch Urteil vom 27. Februar 2014 nochmals klargestellt, dass der Asylbewerber bereits ab dem Zeitpunkt des Asylantrages den Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben habe, was bei Fehlen einer verfügbaren Unterkunft auch die ersatzweise Zurverfügungstellung finanzieller Mittel betreffe.
26In der (ersten) mündlichen Verhandlung des Senats vom 26. September 2013 ist der Kläger ausführlich (u.a.) zu den Umständen seiner 2009 erfolgten Rückführung nach Italien befragt worden; wegen der Einzelheiten seiner Angaben wird auf die betreffende Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der sonstigen Beiakten (insgesamt 9 Hefte) sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
30I. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Der Kläger hat seinen Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entsprechend klargestellt, die Beklagte hat sich hiermit einverstanden erklärt. Eine Anfechtungsklage bietet den erforderlichen und ausreichenden Rechtsschutz, so dass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf. Dies ergibt sich aus Folgendem:
31Nach den Regelungen der vorliegend anzuwendenden (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, Art. 49 Satz 3 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180/31, sog. Dublin III-VO) Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50/1, sog. Dublin II-VO, ist grundsätzlich nur ein einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung eines Asylantrags zuständig. Lehnt vor diesem Hintergrund die Beklagte, wie ihr Terminsvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Bezug auf den streitbefangenen Bescheid klargestellt hat, die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats ab, kann der Asylbewerber geltend machen, seine Überstellung in eben diesen Staat sei wegen dort gegebener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unzulässig. Erweist sich diese Behauptung als zutreffend, so ist die Beklagte schon kraft Unionsrechts verpflichtet zu prüfen, ob nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO ein anderer Mitgliedstaat zur Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof wiederholt entschieden und hierzu ausgeführt: „... hat folglich dann, wenn die Überstellung eines Antragstellers an den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständig bestimmten Mitgliedstaat nicht möglich ist, der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ..., die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, nach Art. 13 der Verordnung für dessen Prüfung zuständig.“
32EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –(Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 33 f.; inhaltlich übereinstimmend ferner Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 u.a. – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 96, 97 u. 107.
33Diese unionsrechtliche Verpflichtung tritt, wenn sich die systemischen Mängel erweisen sollten, automatisch ein. Die Verwaltungsgerichte haben demnach zu prüfen, ob in dem in Betracht kommenden Mitgliedstaat der Europäischen Union die behaupteten systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen vorliegen, und bejahendenfalls weiter zu untersuchen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den Regelungen der Dublin II-VO für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Die Prüfung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats brauchen die Verwaltungsgerichts nach allgemeinen Grundsätzen aber nicht gleichsam „ins Blaue hinein“ vorzunehmen, sondern nur insoweit, als sich aus den Akten oder dem sonstigen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben. Dementsprechend erweist sich Ziffer 1 des angefochtenen Bundesamtsbescheides als rechtmäßig entweder, wenn der für die Durchführung des Asylverfahrens als zuständig benannte Staat tatsächlich zuständig ist und nicht wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen ausfällt oder wenn dies auf einen anderen Mitgliedstaat zutrifft, der nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens vorrangig zuständig ist. Ergibt die verwaltungsgerichtliche Prüfung aber, dass in dem von der Beklagten als zuständig bezeichneten Mitgliedstaat systemische Mängel bestehen, und lässt sich kein anderer vorrangig zuständiger Mitgliedstaat ausmachen, so ist Deutschland nach Art. 13 Dublin II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig, weil (regelmäßig) jedenfalls hier ein Asylantrag gestellt worden ist. Eines auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsausspruchs bedarf es daher nicht, weil bei bestehender Zuständigkeit der Asylantrag von Amts wegen sachlich zu prüfen ist. Dementsprechend besteht – ungeachtet der Möglichkeit zum Selbsteintritt – selbst beim Bestehen systemischer Mängel auch keine Verpflichtung zum Selbsteintritt des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO,
34vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), a.a.O., Rn. 37; Thym, NVwZ 2014, 130,
35und demzufolge auch kein hierauf gerichteter Anspruch des Asylbewerbers.
36Dies gilt nicht nur bei erstmaliger Antragstellung, sondern auch im Wiederholungsfalle und zwar unabhängig davon, ob der Asylbewerber zwischenzeitlich in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat überstellt wurde. Es spielt daher vorliegend keine Rolle, dass die Beklagte den Asylantrag des Klägers als Folgeantrag eingestuft und in dem Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 die Durchführung eines „weiteren“ Asylverfahrens abgelehnt hat. Insbesondere ist im Lichte der vorbezeichneten neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Fällen der vorliegenden Art die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht einschlägig, derzufolge sich die Verwaltungsgerichte bei Ablehnung der Durchführung eines Asylfolgeverfahrens nicht auf die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung des Folgeverfahrens beschränken dürfen, sondern die Sache im Hinblick auf die begehrte Anerkennung als Flüchtling spruchreif zu machen haben.
37BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 –, BVerwGE 107, 128 = juris, Rn. 10; dem auch für Fälle folgend, in denen die Prüfung der sog. Dublin-Zuständigkeit inmitten steht, OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2011 – 3 A 133/10.A –, juris.
38Denn die hier zentrale Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist – wie der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 zutreffend ausführt – der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-)Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Dies wird bestätigt durch die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326/13), die sog. Verfahrensrichtlinie, wonach die materielle Prüfung des Asylgesuchs durch eine „Asylbehörde“ erfolgt, deren Entscheidung gerichtlich überprüft werden kann. Diese Richtlinie betrifft ausweislich ihres Artikels 39 Abs. 1 Buchst. a) i) i.V.m. Art. 25 Abs. 1 sowie ihres 29. Erwägungsgrundes aber nicht das Verfahren der Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II-VO, was belegt, dass die Zuständigkeitsprüfung ein von der materiellen Prüfung des Asylbegehrens abgetrenntes Verfahren darstellt. Noch deutlicher formuliert dies der 53. Erwägungsgrund der nachfolgenden (Verfahrens-)Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60, der von einem Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit „zwischen Mitgliedstaaten“ spricht. Auch der Europäische Gerichtshof weist darauf hin, dass die Bestimmungen der Dublin II-VO die „Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln“.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 56.
40II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
41Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unabhängig von der formalen Einordnung des Asylantrags des Klägers durch die Beklagte als Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylVfG findet– wie der Sitzungsvertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat – der Bescheid hinsichtlich der Ablehnung der Durchführung eines Asylverfahrens seine Rechtsgrundlage in § 27a AsylVfG und hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in § 34a Abs. 1 AsylVfG. Beide Regelungen des Bescheides sind rechtlich nicht zu beanstanden.
421. Das Bundesamt hat richtig entschieden, dass die Beklagte für die sachliche Prüfung und Entscheidung des streitbefangenen Asylantrags nicht zuständig ist. Damit musste dieser Antrag, wie in Ziffer 1 des Bescheides vom 27. April 2011 geschehen, abgelehnt werden, weil er unzulässig ist (§ 27a AsylVfG). Maßgebend hierfür ist die Dublin II-VO (nachfolgend a)). Die danach bestehende ursprüngliche Zuständigkeit Italiens zur Durchführung des Asylverfahrens ist nicht nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen (nachfolgend b)). Schließlich fällt Italien als zuständiger Staat auch nicht aus, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des der Dublin II-VO zugrunde liegenden Prinzips gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist (nachfolgend c)).
43a) Grundlage der Prüfung dieser Zuständigkeit ist für das im Januar 2011 angebrachte Gesuch des Klägers (noch) die Dublin II-VO. Diese wurde zwar gemäß Art. 48 Satz 1 der Dublin III-VO zwischenzeitlich aufgehoben. Für vor dem 1. Januar 2014 angebrachte Schutzgesuche bleibt jedoch gemäß Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO die Vorläufer-Verordnung weiterhin anwendbar (siehe bereits oben I.).
44b) Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin II-VO hat prinzipiell allein auf der Grundlage der dort festgelegten Kriterien zu erfolgen, für die eine bestimmte Rangfolge gilt (Art. 5 ff. Dublin II-VO). Hiernach war im vorliegenden Falle Italien zuständig (dazu aa)). Diese Zuständigkeit hat Italien nicht verloren; sie ist nicht während des Asylverfahrens nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergegangen (dazu bb) bis ee)).
45Inwieweit diesen Zuständigkeitsvorschriften (und ob allen bzw. gegebenenfalls welchen) dabei überhaupt subjektive Rechte des Asylsuchenden entnommen werden können, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Allerdings spricht auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
46vgl. Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 60,
47viel dafür, dass die subjektive Rechtsstellung von Asylbewerbern in sog. „Dublin-Verfahren“ nur insofern betroffen ist, als es darum geht, ob diese auf der Grundlage von ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen in dem Mitgliedstaat, in den sie überstellt werden sollen, tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303/1) (EUGRCh) ausgesetzt zu werden. Keine subjektiven Rechte seien hingegen von der Prüfung berührt, ob in dem jeweiligen Fall die Rangkriterien der Dublin II-VO wie etwa Art. 10 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 3 vorgesehenen Rechtsbehelf richtig angewendet oder aber damit verbundene Form- und Fristerfordernisse korrekt beachtet wurden. Eine solche Begrenzung der subjektiven Rechtsstellung soll namentlich dann gelten, wenn der für zuständig befundene Mitgliedstaat der Überstellung zugestimmt hat. Sie dürfte konsequenterweise dann auch den hier gegebenen Fall der Fiktion dieser Zustimmung nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO erfassen, was aber der Europäische Gerichtshof nicht ausdrücklich (mit)entschieden hat. Mit Blick darauf geht der Senat im Folgenden vorsorglich auf die Zuständigkeitsbestimmung nach den Maßgaben der Dublin II-VO ein:
48aa) Die ursprüngliche Dublin-Zuständigkeit Italiens ist hier unstreitig. Sie ergibt sich (mangels vorrangiger Dublin-Kriterien) aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO. Denn ausgehend von seinen eigenen, insofern von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben hat der Kläger aus einem Drittstaat (Libyen) kommend als erstes die (See-)Grenze zu dem Mitgliedstaat Italien überschritten. Dies erfolgte ohne einen Aufenthaltstitel und insofern illegal. Der betreffende Sachverhalt wird durch den im Bescheid des Bundesamtes vom 11. Dezember 2009 erwähnten Eurodac-Treffer der Kategorie „2“ (Kennzeichnung für illegal Eingereiste ohne Status des Asylbewerbers) bestätigt. Dementsprechend hat Italien im Jahre 2009 auch der Aufnahme des Klägers zugestimmt.
49bb) Die Zuständigkeit Italiens hat nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO geendet. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Zuständigkeit (eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens) zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem der Mitgliedstaaten ein Asylantrag gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Kriterien für die Bestimmung der sog. Dublin-Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Asylantrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob der Zwölfmonatszeitraum im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist.
50Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 8), siehe auch (im Wesentlichen gleichlautend und nachfolgend nicht mehr gesondert zitiert) Urteil jenes Gerichts vom gleichen Tage – 3 L645/12 –, n.v.; ferner Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 9.
51Hieran gemessen war die Zwölfmonatsfrist bei der ersten Asylantragstellung des Klägers in Deutschland (2. Oktober 2009) noch nicht abgelaufen. Denn der Eurodac-Treffer zu Italien datiert vom 24. Mai 2009. Dafür, dass der Kläger das italienische Staatsgebiet deutlich früher betreten hätte, gibt es auch bei Einbeziehung seiner eigenen vorprozessualen und in diesem Verfahren gemachten Angaben keinen Anhalt. So hat der Kläger in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, nach seiner Einreise über Lampedusa nach Sizilien gebracht worden zu sein und dort in einer „Sammelstelle für Illegale“ gelebt zu haben. Dies zugrunde gelegt, ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er dort auch – zeitnah zur Einreise – erkennungsdienstlich behandelt wurde.
52cc) Die beklagte Bundesrepublik ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nachträglich für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig geworden. Denn sie hat das dort angesprochene Gesuch um Aufnahme innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Antrags noch in dem Monat der Asylantragstellung (Januar 2011) gestellt. Dass eine Antwort darauf ausblieb, ist im Rahmen der vorgenannten Vorschrift unerheblich, begründet vielmehr nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO (umkehrt) nach Ablauf von zwei Monaten aufgrund fingierter Annahme eine wohl eigenständig hinzutretende Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates, die in Rede stehende Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Gegebenenfalls ergäbe sich Entsprechendes aus Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) und c) Dublin II-VO, wenn keine Aufnahme, sondern eine Wiederaufnahme vorläge.
53dd) Die vom Kläger mit angesprochene Frage, ob die Zuständigkeit Italiens eventuell nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Dublin II-VO erloschen ist, stellt sich hier bereits deshalb nicht, weil die in der Vorschrift geregelte Frist von drei Monaten allein den (hier nicht gegebenen) Fall erfasst, dass der Asylbewerber zwischenzeitlich das Gebiet „der“ (also aller) Mitgliedstaaten verlassen hat. Die Dauer des Aufenthalts des Klägers in Frankreich ist hierfür also nicht von Belang.
54ee) Schließlich ist die Zuständigkeit Italiens auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, d.h. wegen Überschreitung der sog. Überstellungsfrist, auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag gestellt wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Das knüpft an Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO an, welcher unter anderem bestimmt, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Diese Frist ist hier nicht abgelaufen, wobei es maßgeblich auf den Fall 2 („oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf“) ankommt.
55Mit „Entscheidung über den Rechtsbehelf“ ist nicht die gerichtliche Entscheidung in dem zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemeint, mit der die Durchführung der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgesetzt wird, sondern die Entscheidung, mit der das Gericht „über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens“ entscheidet und die der Durchführung des Überstellungsverfahrens nicht mehr entgegenstehen kann.
56Vgl. insoweit zu entsprechenden Frist in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO: EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – (Petrosian), NVwZ 2009, 639 = juris, Rn. 53.
57Das bezieht sich – jedenfalls wenn und solange die Vollziehung der Überstellung (weiter) ausgesetzt ist – nach allgemeiner Auffassung auf die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren.
58Vgl. statt vieler etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 35; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 24; Hessischer VGH,Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A –, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 7; VG Freiburg, Beschluss vom 2. Februar 2012– A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 14; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 39, m.w.N.
59Für die Auslegung des Merkmals „aufschiebende Wirkung“ macht es keinen relevanten Unterschied, ob nach dem hier innerstaatlich einschlägigen deutschen Recht – rechtstechnisch gesehen – die Durchführung der Überstellung in Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO oder des § 123 VwGO durch das Gericht vorläufig gestoppt wird. Denn die Wirkung beider Entscheidungstypen des vorläufigen Rechtsschutzes ist mit Blick auf das praktische Ergebnis die gleiche: Die Überstellung darf zunächst einmal kraft gerichtlicher Anordnung nicht erfolgen. Das bedeutet jeweils, dass eine Abstimmung hinsichtlich der näheren Modalitäten der Überstellung, für welche die Frist eingeräumt ist, noch nicht erfolgen kann bzw. noch keinen Sinn ergäbe.
60Vgl. zur Gleichbehandlung der verschiedenen Arten der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes insoweit auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 ‑ A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 25; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 40.
61Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger hervorgehobenen Umstand, dass § 34a Abs. 2 AsylVfG in seiner bis zum 5. September 2013 gültig gewesenen, also im Zeitpunkt des Ablehnungsbescheides anwendbaren Fassung eine Aussetzung der Abschiebung im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowohl nach § 80 als auch § 123 VwGO kraft Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Dieser Umstand führt nicht darauf, dass hier Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Fall 2 Dublin II-VO gar nicht oder jedenfalls nicht im Sinne eines Einsetzens der Überstellungsfrist erst mit dem Ergehen einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung anzuwenden wäre, wenn Gerichte den Vollzug ausgesetzt haben. Denn was nach dem (sachlich zusammenhängend) in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO in Bezug genommenen „innerstaatlichen Rechtzulässig“ ist, bestimmt sich nach der Rechtsordnung des betroffenen Staates insgesamt und nicht allein nach dem Wortlaut des geschriebenen (einfachen) Gesetzesrechts. Namentlich geht das Verfassungsrecht in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht dem einfachen Gesetzesrecht vor. Dies zugrunde gelegt, fordert die unionsrechtliche Zweckbestimmung der in Rede stehenden Frist, dass diese auch in den hier interessierenden Fällen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nicht anläuft bzw., sofern sie schon angelaufen ist, gehemmt wird.
62Vgl. – in diesem Sinne – etwa auch Hessischer VGH, Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A -, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 5, 6; Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012– 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 17; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L643/12 –, juris (UA S. 11 f.).
63Eine etwa entgegen Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO nicht erfolgte Angabe der Frist für die Durchführung der Überstellung hat entgegen der Auffassung des Klägers keine Bedeutung dafür, ob in Bezug auf den Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO der Überstellungszeitraum von sechs Monaten überschritten ist. Auch die zeitlich begrenzte Verlängerungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO betrifft ganz andere Situationen und hat mit dem Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nichts zu tun.
64Vgl. in diesem Zusammenhang auch VGMeiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 41 f.
65Für die Beurteilung des konkreten Falles anhand des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO folgt daraus: Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A –, zugestellt am 6. Mai 2011, der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig für die Dauer von sechs Monaten aufgegeben, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen. Diese gerichtliche Entscheidung hat zunächst verhindert, dass die Überstellungsfrist nach Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO überhaupt anlaufen konnte. Selbst wenn die Sechsmonatsfrist für die Überstellung danach (ab 7. November 2011) angelaufen sein sollte, war sie in dem Zeitpunkt, in welchem der Senat mit Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid vom 27. April 2011 (neuerlich) angeordnet hat, noch nicht abgelaufen. Da diese Anordnung nicht befristet gewesen ist, ist die hier interessierende Frist seitdem jedenfalls gehemmt und im Ergebnis auch im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht abgelaufen.
66Vorstehende Überlegungen gelten entsprechend für die in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO für den Fall der Wiederaufnahme geregelten Frist von sechs Monaten.
67c) Die Zuständigkeit Italiens zur Entscheidung über den Asylantrag des Klägers entfällt nicht ausnahmsweise deswegen, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des den Bestimmungen der Dublin II-VO zugrunde liegenden Systems des gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist.
68aa) Im Ausgangspunkt liegt dem im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – und dabei gerade auch der Dublin II-VO – die Vermutung zugrunde, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II, S. 559) (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II, S. 1198)) – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – steht. Das wird vom Europäischen Gerichtshof als „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“,
69vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 78 ff.,
70bzw. entsprechend in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „Konzept der normativen Vergewisserung“,
71vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, BVerfGE 94, 49 = NJW 1996, 1665 = juris, Rn.181,
72bezeichnet. Die betreffende Vermutung kann allerdings in Sonderfällen widerlegt sein, nämlich dann, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass in dem nach Maßgabe der Dublin II-VO für die Prüfung eines Asylgesuchs an sich zuständigen Mitgliedstaat das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EUGRCh implizieren. Dabei ist der Inhalt dieses Grundrechts an der Auslegung des Art. 3 EMRK auszurichten (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh einschließlich der gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 EUV zu berücksichtigenden Erläuterungen).
73Vgl. statt vieler OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 16 mit Hinweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
74Jedenfalls im Kern Entsprechendes ergibt sich auch unmittelbar aus der für das vorliegende Verfahren in erster Linie maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dort wird – wohl letztlich nicht in einem (wesentlich) anderen Sinne – gefordert, dass es sich bei den Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber um „systemische“ Mängel bzw. Unzuträglichkeiten handeln muss. Diesbezüglich ist in dem Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 – Rs C-411/10 und C-493/10 – (NVwZ 2012, 417 = juris) ausgeführt worden:
75Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System (gemeint: das System der Behandlung der Asylanträge) in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. (Rn. 81)
76Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde. (Rn. 82)
77Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet. (Rn. 83)
78Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. (Rn. 84)
79Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. (Rn. 86)
80Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen können, obliegt es nach alledem in Situationen wie denen der Ausgangsverfahren den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden. (Rn. 94)
81Daraus ergibt sich im Ergebnis:
82Art. 4 der Charta ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. (Rn. 106)
83Diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof auch in der nachfolgenden Zeit im Kern bestätigt.
84Vgl. etwa Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 30.
85Für die Annahme eines systemischen Mangels im vorgenannten Sinne reicht die Verletzung einzelner Grundrechte außerhalb von Art. 4 EUGRCh ebenso wenig wie die „geringste“ Verletzung von Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts.
86Vgl. auch Thym, in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online Kommentar Ausländerrecht, AEUV Art. 78, Rn. 27 (Stand 1. Februar 2013).
87Vielmehr erfordern systemische Mängel eine in den vom Gericht empirisch gewonnenen Erkenntnissen zum Ausdruck kommende „reelle Unfähigkeit des Verwaltungsapparates zur Beachtung des Art. 4 EUGRCh“,
88vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406, 408,
89liegen also vor bei „strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens“ haben, ohne dass es auf eine hierauf bezogene Zielsetzung des betreffenden Mitgliedstaats ankommt.
90Vgl. Marx, NVwZ 2012, 409, 411.
91Zwar setzt dies nicht voraus, dass in jedem Falle das gesamte Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen und der zugehörigen Verfahren schlechthin als gescheitert einzustufen ist, jedoch müssen die in jenem System festzustellenden Mängel so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig, sondern „in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen“.
92Vgl. Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182, 186.
93Das kann darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern nicht zufällig und im Einzelfall, sondern (objektiv) vorhersehbar von ihnen betroffen sind. Ein systemischer Mangel kann daneben aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – faktisch in weiten Teilen funktionslos wird.
94Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46.
95Ob der Auffassung des Klägers zuzustimmen ist, dass es auf das Vorliegen systemischer Mängel nicht ankomme, wenn im Einzelfall bei Überstellung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh anzunehmen sei,
96in diesem Sinne Supreme Court des Vereinigten Königreichs, R v Secretary of State for the Home Department, Entscheidung vom 19. Februar 2014, UKSC 12, im Internet abrufbar unter www.supremecourt.uk; ebenso Marx, a.a.O., S. 412; a.A. Hailbronner/Thym, a.a.O.,
97bedarf keiner Entscheidung. Denn im Falle des Klägers geht es nicht um die individuell an seine Person anknüpfende Besorgnis einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh, etwa deshalb, weil er innerhalb der Gruppe der asylsuchenden Dublin-Rückkehrer eine in besonderem Maße verletzliche und/oder gefährdete Person wäre. Vielmehr steht die Frage möglicher struktureller Defizite insbesondere der (allgemein für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern geltenden) Aufnahmebedingungen in Italien im Zentrum des Verfahrens.
98Der Prognosemaßstab für das Vorliegen systemischer Mängel ist einheitlich zu bestimmen sowohl, was die (empirischen) Voraussetzungen für das Vorliegen systemischer Mängel betrifft, als auch hinsichtlich der darauf gründenden Einschätzung, ob diese Mängel die begründete Erwartung rechtfertigen, dass der Betroffene im Falle seiner Überstellung Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
99Die oben angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt insofern zunächst, dass die Annahme einer mit Blick auf bestehende systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh durch „ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe“ gestützt und abgesichert sein muss. Die anzustellende Prognose bedarf somit einer konkret nachvollziehbaren und in der Sache fundierten („ernsthaften“) Tatsachengrundlage. Namentlich im Fall von sich (zum Teil) widersprechenden Auskünften oder sonstigen Erkenntnismitteln müssen die vom Gericht für die Widerlegung der Vermutung des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens als „richtig“ zugrunde gelegten Tatsachen hinreichend belastbar sein. Das setzt voraus, dass für ihr Zutreffen, dabei u.a. auch für die Verallgemeinerungsfähigkeit von Erkenntnissen über beobachtete oder berichtete Einzelfälle, ein beachtlicher Grad von Wahrscheinlichkeit spricht.
100Das entspricht dem Maßstab, der auch für die Prognose des voraussichtlichen Eintretens der Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh selbst anzuwenden ist. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ergibt sich insofern aus der vom Europäischen Gerichtshof für die drohende Grundrechtsverletzung verwendeten Formulierung der „tatsächlichen Gefahr“, im Englischen „real risk“. Zu dieser Formulierung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der diese Formulierung entlehnt ist,
101vgl. etwa Urteile vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 125, 128 f., z.B. NVwZ 2008, 1330 (1331), und vom 11. Juli 2000– 40035/98 – (Jabari), Rn. 38, 42, u.a. InfAuslR 2001, 57 (58),
102festgestellt, dass damit der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gemeint ist.
103Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013– 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32, und vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 –, BVerwGE 140, 22 = juris, Rn. 22, m.w.N.
104Dieser besagt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung (hier: eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh) sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
105Vgl. dazu, dass es dabei allerdings nicht auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit im rein mathematischen Sinne („mehr wahrscheinlich als unwahrscheinlich“) ankommt, EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 – 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 140.
106Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung (hier: einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh) hervorgerufen werden kann.
107Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32.
108Von dem in Rede stehenden Überstellungsverbot zweifelsfrei erfasst werden nach alledem (in der Regel) nur solche Verhältnisse, in denen es – hier im Zusammenhang mit Überstellungen von Asylbewerbern nach dem „Dublin-Regime“ – in dem Zielstaat der Überstellung aufgrund entsprechender, hinreichend gesicherter Erkenntnisse nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder zu einer Verletzung der Grundrechtsgewährleistung aus Art. 4 EUGRCh kommen kann.
109Vgl. sinngemäß auch OVG Sachsen-Anhalt,Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 18); OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46, 48.
110Die bloße Möglichkeit derartiger Verletzungshandlungen – auch bei einer allgemein unsicheren Lage in dem betreffenden Staat – reicht dagegen nicht.
111Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 131, u.a. NVwZ 2008, 1330 (1331 f.).
112An dem vorgenannten Maßstab ist im Prinzip auch dann festzuhalten, wenn der Betroffene in der Vergangenheit – wie hier der Kläger – schon einmal in den in Rede stehenden Mitgliedstaat überstellt worden war und er seinerzeit auf der Grundlage seiner Angaben ins Gewicht fallende Mängel und Unzuträglichkeiten der Aufnahmebedingungen tatsächlich erlebt hat. Dieser Umstand ist – je nach der Bedeutsamkeit des Erlebten und den sonstigen Umständen des Einzelfalles mit ggf. unterschiedlichem Gewicht – in die oben erwähnte umfassende Abwägung aller Umstände einzubeziehen. Er rechtfertigt demgegenüber – anders als der Umstand der Vorverfolgung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, ABl. L 337/9, sog. Qualifikationsrichtlinie – nicht generell eine den Prognosemaßstab faktisch verschiebende Beweiserleichterung, wie sie der Kläger wohl sinngemäß auch für den vorliegenden Fall geltend macht. Solches muss insbesondere dann gelten, wenn wie hier keine individuellen Besonderheiten des Asylsuchenden bzw. spezifische Besonderheiten der Gruppe, der er zugehört, gefährdungsrelevant sind, sondern die vorzunehmende Prognose maßgeblich an den allgemein bestehenden – und zwar den aktuellen – Aufnahmebedingungen auszurichten ist. Eine andere Sichtweise wäre nach Auffassung des Senats nicht mit dem nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich aufrecht zu erhaltenden und schützenswerten Prinzip des gegenseitigen Vertrauens zu vereinbaren. Es würde nämlich den konkreten Erfahrungen, welche Einzelpersonen in der Vergangenheit vielleicht mehr oder weniger zufällig gemacht haben, ein zu starres und auch tendenziell zu großes Gewicht im Rahmen der (Gesamt-)Würdigung zumessen, ob ausgehend von den allgemein vorherrschenden Aufnahmebedingungen in dem betroffenen Mitgliedstaat auch (noch) aktuell mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gerechnet werden muss.
113Vgl. auch EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 133: „Die historischen Tatsachen sind zwar insoweit von Bedeutung, als sie die jetzige Lage und die Art, wie sie sich wahrscheinlich entwickelt, beleuchten, entscheidend sind aber die jetzigen Verhältnisse.“
114Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Art. 4 EUGRCh ist wegen der korrespondierenden Gewährleistungsinhalte (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh) auf die Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen.
115Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 338.
116Nach der Rechtsprechung des EGMR ist (allgemein) eine Behandlung dann „unmenschlich“, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Als „erniedrigend“ ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung/Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers.
117Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 219, 220.
118Das kann – etwa bei Asylsuchenden als Angehörige einer besonders benachteiligten und verletzlichen und damit besonders schutzwürdigen Bevölkerungsgruppe – auch die Verhältnisse der Unterbringung, die hygienischen Verhältnisse und die Versorgung mit ausreichender Nahrung betreffen.
119Vgl. das vorgenannte Urteil vom 21. Januar 2011, Rn. 222, 251 und 254.
120Allerdings kann Art. 3 EMRK nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er (aus sich heraus) die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.
121Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EUGRZ 2011, 243, Rn. 249, m.w.N., und Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 – (Mohammed Hussein), ZAR 2013, 336 f. (Rn. 70).
122Anders zu beurteilen ist aber bei Erreichen des erforderlichen Schweregrades (möglicherweise) der Fall, dass in dem betreffenden Staat auf Grund des positiven Rechts die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung tatsächlich besteht oder jedenfalls zu bestehen hat, weil einschlägiges Unionsrecht entsprechend umgesetzt werden muss. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96) (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie), welche die zuvor gültig gewesene Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. L 31/18) inzwischen abgelöst hat. Die genannten Richtlinien haben Minimalstandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedstaaten festgelegt.
123Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 250; siehe auch VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 21; eher kritisch hinsichtlich einer damit ggf. einhergehenden Überdehnung der Reichweite des Art. 3 EMRK, welche in Widerspruch zu der Auslegung des Art. 4 EUGRCh durch den EuGH geraten könnte, aber etwa Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406 (407 f.).
124Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die nach der Aufnahmerichtlinie erforderlichen Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, beginnt mit der Stellung des Asylantrags. Systematik und Zweck der Richtlinie und auch die Wahrung der Grundrechte verbieten es, dass einem Asylbewerber der mit den in der Richtlinie festgelegten Mindestnormen verbundene Schutz entzogen wird, und sei es auch nur vorübergehend nach Asylantragstellung.
125Vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 2014 – C-79/13 – (Saciri u. a.), juris, Rn. 33 – 35, und Urteil vom 27. September 2012 – C-179/11 – (Cimade), NVwZ 2012, 1529 = juris, Rn. 39, 56, jeweils zur Richtlinie 2003/9/EG.
126Davon ausgehend kann ein Staat im Rahmen von Art. 3 EMRK (bzw. entsprechend Art. 4 EUGRCh) – zumindest in Gestalt einer in Betracht kommenden Möglichkeit – für eine Behandlung verantwortlich sein, bei der sich ein von staatlicher Unterstützung vollständig abhängiger Asylsuchender in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn ein Asylsuchender erkanntermaßen mehrere Monate obdachlos auf der Straße gelebt hat, ohne Einnahmen oder Zugang zu Sanitäreinrichtungen und ohne die Mittel zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.
127EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 253, 263.
128Hiernach ergibt sich: Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK liegt (insbesondere) vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin II-VO „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbarer Weise befriedigen kann.
129Sind in diesem Zusammenhang bestimmte Anforderungen in EU-Richtlinien festgelegt worden, kann sich (konkretisierend) auch daraus der im Sinne der angesprochenen Artikel für ein menschenwürdiges Dasein einzuhaltende Maßstab ergeben, soweit es sich dabei erkennbar um Mindestanforderungen handelt. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch und gerade die praktische Umsetzung messen lassen. Das betrifft in vorliegenden Zusammenhang insbesondere die materiellen Aufnahmebedingungen, wie sie in Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie (Neufassung 2013) für bedürftige Personen unter den Asylantragstellern prinzipiell festgelegt sind. Dabei erlauben diese in bestimmten Ausnahmesituationen, wie etwa bei vorübergehender Erschöpfung der üblicherweise zur Verfügung stehenden Unterbringungskapazitäten, aber auch zeitlich begrenzte Einschränkungen (Art. 18 Abs. 9 Satz 1 Buchst. b der Aufnahmerichtlinie). Auch dann muss aber das absolut garantierte Minimum (hier: Deckung der „Grundbedürfnisse“) gewährleistet bleiben (Art. 18 Abs. 9 Satz 2 der Aufnahmerichtlinie).
130Die sich aus der Aufnahmerichtlinie ergebenden Verpflichtungen hat Italien in innerstaatliches Recht übernommen.
131bb) Auf der Grundlage des im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in dem Berufungsverfahren vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern – und darunter namentlich von Dublin-Rückkehrern – in Italien steht zur Überzeugung des Senats fest, dass keine ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründe dafür vorliegen, dass der Kläger im Falle seiner Überstellung in diesen Mitgliedstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, ausgehend von systemischen Mängeln des dortigen Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGRCh ausgesetzt zu werden.
132Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können). Demgemäß ist in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehrern zu beleuchten, die – wie der Kläger – in Italien bislang noch keinen Asylantrag gestellt haben. Ferner ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner (unterstellten) Ankunft in Italien einen Asylantrag stellt und die dort zur Verfügung stehenden Angebote der Versorgung im Rahmen des Möglichen tatsächlich nutzt. Nicht maßgeblich ist demnach z. B. die Situation von Rückkehrern, die bei ihrem ersten Aufenthalt in Italien bereits einen Asylantrag gestellt hatten, über den schon entschieden worden ist, die sich also aktuell nicht mehr in einem Asylverfahren befinden und die ein solches, auch wenn der ursprüngliche Antrag abgelehnt worden war, regelmäßig nicht mehr (unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Erstantrag) neu einleiten können. Dies gilt ebenso für in Italien verbliebene Flüchtlinge, deren Asylverfahren abgeschlossen ist. Es betrifft weiter Flüchtlinge, die keine (in der Regel zuvor angekündigten) Dublin-Rückkehrer sind, sondern – wie beispielsweise die sog. Bootsflüchtlinge – außerhalb eines geordneten Verfahrens in Italien ankommen und um Schutz nachsuchen. Schließlich betrifft dies Flüchtlinge, die sich dem Asylsystem komplett entzogen haben, etwa weil sie überhaupt keinen Asylantrag gestellt haben (und u.U. auch gar nicht stellen wollen), demzufolge auch nicht registriert sind und folglich auch keine der Aufnahmerichtlinie entsprechenden Leistungen erhalten können.
133Hiervon ausgehend kommt der Senat bei der Würdigung des Erkenntnismaterials in einer Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass Italien – mit Blick sowohl auf das dortige Rechtssystem als auch insbesondere die Verwaltungspraxis – über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz ggf. vorliegender einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der „vor Ort“ tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber „im Normalfall“, also bei nach der Erkenntnislage vorhersehbarem Verlauf der Dinge, nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen, namentlich nicht solchen i.S.d. Gewährleistung aus Art. 4 EUGRCh, rechnen muss.
134Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen (nach wie vor) durchaus Mängel und Defizite nicht ganz unwesentlicher Art feststellen lassen, sind diese weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer wie den Kläger nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert.
135Im Einzelnen gilt hierzu:
136(1) Dublin-Rückkehrer werden zurzeit unter Bedingungen nach Italien überstellt, welche in der Regel den ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung auch ein (in dem zu fordernden Mindestmaß) geordnetes Aufnahmeverfahren mitsamt den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse gewährleisten. Soweit Probleme wesentlich erst durch ein eigenmächtiges (Anders-)Verhalten der Betroffenen (z.B. fehlendes Hinbegeben zu den als zuständig mitgeteilten Stellen, Untertauchen, bewusste Nichtinanspruchnahme von Beratung bzw. Vermittlung von Unterkunft, vorzugsweises Wohnen in „besetzten Häusern“ oder Slums statt in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen aufgrund eigener Willensentscheidung) ausgelöst werden, kann dies – das sei hier vorangestellt – nicht dem italienischen Staat als Systemfehler und Auslöser einer Grundrechtsverletzung angelastet werden.
137Dublin-Rückkehrer werden in der Regel auf dem Luftweg nach Italien überstellt. Sie treffen zumeist auf den Flughäfen Fiumicino in Rom oder Malpensa in Mailand (vgl. z.B. UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, Juli 2013 – nachfolgend zitiert: Bericht Juli 2013 –, S. 7), in begrenzter Anzahl auch auf einigen weiteren Flughäfen ein. Für den Kläger war im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Bescheid (wie zuvor auch schon in 2009) eine Überstellung nach Rom konkret vorgesehen. Insofern spricht hier eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine künftige Überstellung ebenfalls nach Rom (oder sonst voraussichtlich nach Mailand) erfolgen wird.
138Nach Rom-Fiumicino (rück-)überstellte Personen werden – regelmäßig nach entsprechender Vorankündigung (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7) – von der Grenz- bzw. Luftpolizei beim Flugzeug abgeholt und zur Questura am Flughafen begleitet. Dort werden Fotos und Fingerabdrücke genommen. Haben die Betroffenen in Italien noch keinen Asylantrag gestellt, so können sie einen solchen Antrag sogleich im Büro der Questura am Flughafen registrieren lassen (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7, und an VG Freiburg, Dezember 2013, S. 7, zu Rom-Fiumicimo); andernfalls erhalten sie ein Schreiben, aus dem sich die für sie zuständige Questura ergibt, wo sie ihren Antrag formalisieren lassen können, einen Termin hierfür sowie ein Zugticket dorthin (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013 – im Folgenden zitiert: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013 –, S. 13 f., 16; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7; Auswärtiges Amt (AA) an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Fragen 2 und 8).
139Vgl. hierzu und zum Folgenden ferner etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013– 3 L 643/12 –, juris (UA S. 21); VG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2014 – A 11 K 3470/13 –, UA S. 13 f.
140Von der Questura aus werden die Ankömmlinge weiter zu der jeweils zuständigen Nichtregierungsorganisation (NGO) begleitet, die sich im Transitbereich der Nicht-Schengen-Zone des Flughafens befindet. Diese NGO – in Rom ist nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Oktober 2013, S. 14) zurzeit die „Badia Grande“ zuständig – bietet dort im Auftrag der Präfektur Beratung mit Blick auf das weitere Verfahren an. Dolmetscher und Informationsbroschüren stehen zur Verfügung. Die betreffende NGO kümmert sich in der Regel auch um die zumindest vorläufige Unterbringung der Dublin-Rückkehrer, jedenfalls derjenigen, die einen Asylantrag gestellt haben bzw. stellen wollen. Das kann eine Übergangsunterkunft (transit accommodation, z.B. FER-Unterkünfte als mit EU-Mitteln finanziertes Projekt speziell für Dublin-Überstellte, nur teilweise begrenzt auf „vulnerable cases“), eine (Not-)Unterkunft in einer kommunalen oder karitativen Einrichtung), ggf. aber auch schon eine längerfristige Unterkunft in einer der „regulären“ Systeme staatlicher Aufnahmeeinrichtungen (namentlich CARA oder SPRAR) betreffen. Ob Letzteres schon möglich ist, hängt davon ab, ob im Einzelfall die örtliche oder eine andere Präfektur für den Betroffenen zuständig ist. Bis es auf diese Weise gelingt, für die Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft zu finden, müssen diese allerdings unter Umständen einige Tage am Flughafen verbleiben und dort (ohne besondere Schlafplätze, aber wohl geduldet) auch übernachten (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14 f., 15 f.; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11 f.; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 2; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 3. und 7., welche u.a. darauf hinweist, die überstellten Asylbewerber würden an den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa nach eigenen Feststellungen „sehr intensiv betreut“; zu „temporary reception systems“ für Dublin-Rückkehrer etwa auch European Network for technical cooperation on the application of the Dublin II Regulation, Dublin II Regulation National Report, Dezember 2012, S. 48; aida – Asylum Information Database -, National Country Report Italy, Update November 2013, nachfolgend zitiert: aida-Report, November 2013, S. 42, wo andererseits aber auch kritisch angemerkt wird, dass die Unterbringung der Dublin-Rückkehrer insgesamt noch zu lange dauere und es vorkomme, dass einzelne Betroffene am Ende nicht mit einer Unterkunft versorgt würden und in alternativen/selbstorganisierten Unterkunftsformen eine Bleibe fänden).
141Richtig ist allerdings auch, dass die beschriebenen Abläufe wohl nicht in jedem Einzelfall sichergestellt sind. Das mag damit zusammenhängen, dass nach vorliegenden Erkenntnissen Grenzpolizei und NGOs von der italienischen Dublin-Unit nicht immer rechtzeitig und ausreichend informiert werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 15). Im Prinzip werden die NGOs aber über die Ankunft von Dublin-Fällen vorab informiert (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7). Ein Versagen des Systems kann daher insoweit nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.
142Dass der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat in der ersten mündlichen Berufungsverhandlung vom 26. September 2013 die Abläufe im Bereich des Flughafens Rom-Fiumicino für seine Ende 2009 und damit vor über vier Jahren erfolgte Rücküberstellung anders geschildert hat, als es der vorstehend zusammengefassten, im Kern übereinstimmenden aktuellen Auskunftslage entspricht, vermag die prinzipielle Belastbarkeit des Inhalts dieser Auskünfte nicht durchgreifend in Frage zu stellen. Denn die aktuellen Erkenntnisquellen zu den derzeitigen Verhältnissen nach der Ankunft von Dublin-Rückkehrern am Flughafen geben für den Regelfall hierfür keinen Anhalt.
143Sollte die Überstellung des Klägers nach Mailand-Malpensa erfolgen, ergäbe sich hiervon keine beachtliche Abweichung. Denn die grundlegenden Strukturen und Verhältnisse der Aufnahme am Flughafen Mailand-Malpensa entsprechen weitgehend denjenigen am Flughafen Rom-Fiumicino (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 13 ff.).
144Allerdings ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch, dass die in Italien notwendige „Formalisierung“ eines gestellten Asylantrags – die sog. Verbalizzazione – nicht nur in Einzelfällen, sondern auch übergreifend und insofern einem in der Praxis auftretenden strukturellen Mangel zumindest nahekommend – zu Problemen für Asylbewerber (im Allgemeinen) führt bzw. zumindest geführt hat. Diese sind nämlich in dem Zeitraum bis zur Verbalizzazione nicht immer hinreichend vor Obdachlosigkeit geschützt. Denn Bemühungen um ihre Unterbringung, soweit sie durch die zuständige Questura getätigt werden, setz(t)en in der Regel erst nach der Verbalizzazione ein. Dieser Zwischenzeitraum kann – je nachdem, welche Stadt oder Region betroffen ist und ob es sich um ein Ballungszentrum mit einer Vielzahl zu bearbeitender Anträge oder um einen ländlich geprägten Raum handelt – von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen oder ggf. sogar Monaten reichen (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 6, 11, und auch schon Bericht Juli 2012, S. 7; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage b, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 9; siehe für die damaligen Zeitpunkte auch Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 9, und Associazione per gli Studi Giuridici sull‘ Immigrazione (ASGI), Die derzeitige Situation von Asylbewerbern in Italien, November 2012, S. 5 der deutschen Übersetzung). Exakte und zugleich zuverlässige Angaben lassen sich insoweit aber nicht mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit machen (vgl. aida-Report, November 2013, S. 42). Den Auskünften ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die beschriebene Verzögerung der Regelfall ist (Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1.: teilweise mit Verzögerung; UNHCR vom Dezember 2013, S. 7: in der Regel Zugang zu Transitunterbringungseinrichtungen; evtl. einige Tage an Flughäfen warten; kann passieren, dass gemäß der Dublin-Verordnung überstellte Personen mehrere Tage am Flughafen verbringen; S. 11: UNHCR erhält Berichte über Fälle, in denen Asylsuchende nicht sofort Zugang zu Aufnahmemaßnahmen gewährt wird, sondern erst Wochen und Monate später; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14: Dublin-Rücküberstellte übernachten manchmal ein paar Tage am Flughafen [ohne Schlafplätze]; aida-Report, November 2013, S. 42: in den meisten Fällen [„in most of the cases“] dauert es zu lange, bis eine Unterkunft gefunden ist, mangels genereller Praxis lässt sich die Wartezeit nicht allgemein angeben, es kommt vor [„it happens“], dass Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden).
145Der darin zum Ausdruck kommende Mangel ist vom italienischen Staat zudem nicht einfach untätig hingenommen worden. So hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 die nachgeordneten Behörden angewiesen, dass die Verbalizzazione zeitgleich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll. Zugleich ist ein neues Informatiksystem (Vestanet) eingeführt worden, von dem man sich ebenfalls eine Verkürzung der Wartezeiten erhofft. Allerdings benötigt die landesweite Implementierung noch Zeit und leidet unter technischen Anfangsschwierigkeiten, so dass die Prognose, ob dies zu einer Verbesserung führen wird, noch schwierig ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Jedenfalls liegen dem Senat aber keine Erkenntnisse darüber vor, dass diese Weisung generell oder zumindest in einer Vielzahl von Fällen nicht befolgt würde.
146Unabhängig davon sind für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern die nachfolgenden Ausführungen bedeutsam, welche den hier in Rede stehenden Mangel noch weiter relativieren: Wenngleich häufig betont wird, dass für Dublin-Rückkehrer insoweit prinzipiell keine Besonderheiten gelten bzw. diese in gleicher Weise von den in Rede stehenden Verzögerungen durch die erst später durchgeführte Registrierung des Asylantrags betroffen sein sollen (vgl. etwa AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 1.4; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 12), ist dies bei verständiger Würdigung (nur) dahin zu verstehen, dass das System des Asylverfahrens für diese Personengruppe in gleicher Weise ausgestaltet ist/war wie bei den sonstigen Asylsuchenden. Das meint hier im Besonderen die „Zweistufigkeit“ des Verfahrens, d.h. das Auseinanderfallen von erster Äußerung eines Asylbegehrens und davon (in der Regel auch zeitlich) getrennter Formalisierung/Registrierung des Asylantrags. Mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh ernstlich bedenklich ist aber in diesem Zusammenhang nicht die hierdurch ggf. mit herbeigeführte Verzögerung des Beginns des Asylverfahrens als solche, sondern nur deren Folge, die die Einhaltung richtlinienkonformer Aufnahmebedingungen betrifft. Dabei geht es namentlich um eine nicht durch systemische Mängel des Verfahrens zeitlich verzögerte Zurverfügungstellung einer Unterkunft und einer daran anknüpfenden weiteren Versorgung mit Kleidung, Essen, Hygieneartikeln etc. Gerade insoweit ist einschlägigen Erkenntnismitteln – zum Teil sogar sehr detailreich (siehe namentlich den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013, S. 13 ff.) – aber zu entnehmen, dass speziell für die Dublin-Rückkehrer, die noch kein Asylgesuch in Italien gestellt hatten, zumindest an den italienischen Hauptflughäfen Einrichtungen zur Verfügung stehen, welche diese (anders als ggf. auf anderem Wege nach Italien einreisende Asylbewerber) bei Bedarf anleitend betreuen und die sich dabei gerade auch – schon in diesem Stadium – um die Suche nach einem (Interims-)Unterkunftsplatz bemühen, was ihnen – bei Wartezeiten von nur wenigen Tagen an den Flughäfen (siehe oben) – in der Regel auch gelingt. Das alles lässt jedenfalls für die Gruppe der Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Schutzstatus haben, wie hier den Kläger, systemische Mängel i.S. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, welche – bezogen auf den Schweregrad ausreichend – zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh implizieren, am Ende nicht hervortreten. Das gilt jedenfalls, soweit es (was bisher behandelt wurde) um die Aufnahmebedingungen unmittelbar nach der Überstellung nach Italien geht.
147Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die durchaus organisierte Einbeziehung auch nichtstaatlicher, kirchlicher und sonstiger karitativer Einrichtungen in die Betreuung und Hilfeleistung auch dem italienischen Staat zurechnen. Denn die in Rede stehenden Organisationen werden in dem hier interessierenden Zusammenhang – auch die Zurverfügungstellung von (Not‑)Unterkünften betreffend – jedenfalls nicht ausschließlich allein aus eigenem Antrieb tätig, sondern in der Regel im Auftrag staatlicher Stellen wie der Präfektur (staatliche Mittelbehörde in den Provinzen) oder der Kommunen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 22, 33). Auch die letztlich fehlende zentrale Koordinierung der nebeneinander bestehenden Systeme zur Unterbringung von Asylbewerbern und hier insbesondere Dublin-Rücküberstellten unter Einbeziehung staatlicher und nichtstaatlicher Stellen bzw. Organisationen mag zwar gewisse Defizite und Reibungsverluste begünstigen, sie stellt aber für sich genommen noch keinen systemischen und auch keinen auf eine zu befürchtende Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh führenden Mangel mit dem dafür erforderlichen Gewicht dar.
148(2) Dublin-Rückkehrer müssen nach der aktuellen Erkenntnislage auch während der (weiteren) Durchführung ihres Asylverfahrens in Italien nicht beachtlich wahrscheinlich damit rechnen, dass sie in ihrem Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh verletzt werden, indem ihnen durch den italienischen Staat wegen von der Zahl her offensichtlich nicht ausreichender angemessener Unterkunftsmöglichkeiten ein Leben „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ (bekanntermaßen) zugemutet würde und damit ihr Recht auf Unterkunft (vgl. hierzu Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Buchst. g der Aufnahmerichtlinie) systematisch unbeachtet bliebe. Eine solchermaßen dramatische Lage lässt sich aktuell für Italien aufgrund belastbarer Tatsachen nicht feststellen. Im Ergebnis unerheblich ist dabei, dass es in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigende Mängel und Defizite gibt, auf die verbreitet hingewiesen wird und deren Abstellen bzw. (weiteres) Verringern sicherlich wünschenswert ist. In diese Richtung hat die italienische Regierung aber auch bereits von den Flüchtlingsorganisationen gewürdigte Schritte unternommen.
149Es fehlt zunächst nicht grundlegend an einem planvollen System bzw. (genauer) an verschiedenen, sich ergänzenden Systemen von Aufnahmeeinrichtungen, in denen Dublin-Rückkehrer, sei es zum Teil auch neben anderen Personengruppen (sonstige Asylbewerber, schon anerkannte Flüchtlinge), während eines in Italien durchgeführten Asylverfahrens nicht nur als vorübergehender „Notbehelf“, sondern prinzipiell für die gesamte Dauer dieses Verfahrens (im Einzelfall auch über 6 Monate hinaus) eine Unterkunft finden können. Diese wird den Betroffenen im Rahmen eines ebenfalls in den Grundstrukturen geordneten Vermittlungs-/Zuweisungsverfahrens – in der Regel durch die jeweils örtlich zuständige Präfektur oder Questura – zugeteilt. Wesentliche Bestandteile dieses Aufnahmesystems sind – insbesondere für die Erstaufnahme – die als CARA bezeichneten, in der Regel größeren Aufnahmezentren sowie – in einer zweiten Phase, ggf. aber auch schon für die Erstaufnahme u.a. von Dublin-Rückkehrern – die Einrichtungen des Aufnahmesystems SPRAR. Letztere umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern stellen sich als ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche dar, welches nicht nur Asylsuchenden offen steht, sondern auch anerkannten Schutzberechtigten (siehe Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22; aida-Report, November 2013, S. 46; borderline-europe, Gutachten Dezember 2012, S. 15 f.)
150Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 43.
151Hinzu treten namentlich in den größeren Städten wie Rom und Mailand noch kommunale oder (im Auftrag der Gemeinden) von NGOs betriebene Unterkünfte, die allerdings ebenfalls nicht exklusiv der Unterbringung von Asylbewerbern bzw. der Dublin-Rückkehrer unter ihnen zur Verfügung stehen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 26 ff., 33 ff.).
152Allerdings können Unterkunftsplätze in allen diesen Einrichtungen nur dann konkret angeboten und belegt werden, soweit sie auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Blick auf die vorhandenen Kapazitäten zu lenken. Diesbezüglich wird, was sich mit gewissen Unterschieden auf alle zur Verfügung stehenden Systeme/Unterbringungsarten erstreckt und schon die Übergangsunterkünfte (FER-Projekte) mit einbezieht, von einem Großteil der dem Senat vorliegenden Auskünfte und Berichte namentlich der Flüchtlingsorganisationen das Gesamtangebot als unzureichend kritisiert (vgl. etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18, 20, 26, 29, 35; aida-Report, November 2013, S. 45, 47; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11: „lack of capacity in the existing reception system“). Zum Teil wird auch auf aktuelle Engpässe der Belegungssituation gerade in bestimmten Unterkunftsarten, wie etwa in den CARA, hingewiesen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18 ff.). Insofern überzeugt es wenig, wenn demgegenüber das Auswärtige Amt in seinen Auskünften (z.B. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3., erster Absatz und am Ende, sowie in seiner Auskunft an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage c)) auch auf Nachfrage des Senats ohne konkret nachvollziehbare Begründung davon ausgeht, es gebe landesweit ausreichende Kapazitäten, um in Italien alle Asylbewerber und Flüchtlinge und darunter insbesondere auch die Dublin-Rückkehrer sofort mit einer Unterkunft zu versorgen (Hervorhebung durch den Senat).
153Die vorstehend thematisierten Erkenntnisse sind in die Gesamtwürdigung mit einzustellen, soweit es um die Frage geht, ob in der Zurverfügungstellung eines solchen begrenzten Gesamtangebots ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen zu sehen ist, und ob dieser zugleich die Prognose rechtfertigt, dass überstellte Dublin-Rückkehrer derzeit konkret der Gefahr ausgesetzt sind, obdachlos zu werden. Die Auskünfte sind allerdings unter den nachfolgenden Gesichtspunkten näher zu hinterfragen und im Gefolge dessen auch zu relativieren:
154Was die Zahl der insgesamt oder in den jeweiligen Unterkunftssystemen für sich genommen vorhandenen Plätze betrifft, gibt es in den Erkenntnismitteln Angaben, die sich hinsichtlich der zugrunde gelegten Zahlen jedenfalls zum Teil voneinander unterscheiden (vgl. AA an VG Minden vom 24. Mai 2013 zu Frage 8. in Bezug auf das Gutachten von borderline-europe; Liaisonbeamtin des Bundesamtes in ihrer Stellungnahme vom 21. November 2013 zu Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, zu 1.). Ferner ist in Rechnung zu stellen, dass – zumindest die CARA betreffend – derzeit faktisch wohl Überbelegungen stattfinden, d.h. mehr Personen dorthin zugewiesen werden als diejenige Zahl, für die die jeweilige Einrichtung ausgelegt ist (vgl. Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1. mit nach einzelnen CARA aufgeschlüsselter Tabelle). Insofern kommen namentlich in den staatlichen Unterkunftseinrichtungen wahrscheinlich mehr Betroffene unter, als es die nackten Zahlen über die Kapazität dieser Einrichtungen annehmen lassen; die „Soll-Belegung“ muss insofern nicht die „Ist-Belegung“ widerspiegeln. Dies mag als unterstützender Beleg für eine insgesamt unzureichende Unterbringung von Flüchtlingen gewertet werden können, zeigt andererseits aber auch anschaulich, dass den italienischen Stellen das Schicksal der Flüchtlinge nicht gleichgültig ist, sie vielmehr in großer Zahl unter Ausschöpfung von Unterbringungsreserven ein Obdach erhalten und deshalb nicht vollkommen schutzlos auf sich selbst gestellt sind.
155Vgl. zur Abgrenzung etwa EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 263, wo der betroffene Mitgliedstaat – dort Griechenland – gerade auch wegen seiner Untätigkeit für die Lage verantwortlich gemacht wurde, aus der die tatsächliche Gefahr, Opfer einer erniedrigenden Behandlung zu werden, erwuchs.
156Und noch ein Weiteres erschwert in diesem Zusammenhang die Betrachtung: Die Zahlen zur (Soll-)Aufnahmekapazität einzelner oder auch aller Einrichtungen geben für sich genommen schon deswegen kein vollständiges Bild, weil es daneben wesentlich darauf ankommt, wie oft (etwa pro Jahr) ein Wechsel erfolgt, also ein vorhandener Platz wieder frei und neu besetzbar wird. Gerade zu Letzterem und auch (als Indiz hierfür) zur Länge der Asylverfahren gibt es aber keine eindeutigen, durch statistisches Material belegten und verfügbaren Erkenntnisse, obwohl gerade dies für eine gesicherte Annahme von etwaigen Rückkoppelungseffekten (Blockierung von Plätzen durch eine längere als die gewöhnliche Aufenthaltsdauer der „Vorgänger“) von Interesse wäre. Man ist deshalb im Wesentlichen auf überschlägige Schätzungen angewiesen. Der aida-Report, November 2013, S. 43, geht von einer durchschnittlichen Verweildauer in CARAs von 8 bis 10 Monaten aus, in SPRARs könne der Aufenthalt 6 bis 12 Monate andauern. In den Auskünften des Auswärtigen Amtes wird typisierend davon ausgegangen, dass ein Unterkunftsplatz (insbesondere in den SPRAR-Einrichtungen) zwei Mal im Jahr neu belegt werden kann; insofern werden die Zahlen zur Aufnahmekapazität – zum Teil ohne die gebotene Erläuterung – schlicht verdoppelt (siehe AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 8; dazu auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 23)). Das verzerrt allerdings das Zahlenmaterial für den notwendigen Vergleich mit anderen Erkenntnismitteln, die häufig eine entsprechende statistische Erhöhung der Kapazität in ihren Zahlenangaben nicht berücksichtigt haben. Die Angabe eines „typischen“ Belegungszeitraums erweist sich bezogen auf nicht staatliche Unterkünfte, die von Kommunen oder NGOs getragen werden, als noch schwieriger und unsicherer im Aussagegehalt. Bezieht man dabei zusätzlich zu festen kommunalen Aufnahmezentren auch die diversen Notschlafstellen bei kirchlichen Einrichtungen oder NGOs mit ein, so ist es unmöglich, überhaupt nur einen Überblick auch schon über die Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze zu gewinnen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 35). Diese Plätze stehen darüber hinaus nicht speziell Asylbewerbern zur Verfügung, obschon auch solche dort inzwischen vermehrt unterkommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27).
157Schließlich kommt Folgendes noch relativierend hinzu, und zwar mit Blick darauf, ob dem Bestand an Unterkunftsplätzen ohne Weiteres die Gesamtzahl der in Italien pro Jahr ankommenden Flüchtlinge vergleichend gegenüber gestellt werden kann, um auf diese Weise ein konkret bestehendes Unterkunftsdefizit hinreichend plausibel zu machen: Insofern muss man sich vergegenwärtigen, dass ein nicht exakt bezifferbarer Teil der in Italien anlandenden Flüchtlinge und auch der nach der Dublin II-VO überstellten Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) einen Asylantrag gestellt hatten, unabhängig von der unter Umständen gegebenen Möglichkeit ihrer Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung selbst die Entscheidung trifft, im Land unterzutauchen und/oder Italien wieder zu verlassen und – ggf. zum wiederholten Male – in einen anderen Mitgliedstaat der EU, in dem (vermeintlich) bessere Aufnahmebedingungen herrschen, weiterzureisen. Insbesondere Letzteres hat zur Folge, dass diese Personen zumindest vorübergehend die italienischen Aufnahmeeinrichtungen nicht belasten. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Asylbewerber bzw. Flüchtlinge ein solches Verhalten immer erst dann an den Tag legen, wenn die Aufnahmebedingungen, die sie erwarten, objektiv dem Maßstab des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh nicht genügen. Vielmehr können die Gründe für das angeführte Verhalten unterschiedlichster Art sein, und sie müssen auch nicht stets nachvollziehbar sein. So wird etwa in dem schon an anderer Stelle zitierten aida-Report von November 2013 (S. 42) von einem Vorkommnis im Oktober 2013 berichtet, bei dem von 155 geretteten Bootsflüchtlingen 89 nach Rom transferiert worden seien; diese seien sämtlich aus dem dortigen Aufnahmezentrum verschwunden, ohne dem Leiter des Zentrums vorher eine Mitteilung zu machen. Ein anderer Teil der Gesamtzahl der in Italien eintreffenden Flüchtlinge kommt– wie schon dargelegt – bei kommunalen und karitativen Einrichtungen unter. Auch dieser nicht gering zu schätzende Teil kann im Rahmen einer vergleichenden (Zahlen-)Betrachtung nicht einfach der Gesamtanzahl der vorhandenen staatlichen Unterkünfte mit gegenübergestellt werden.
158Vgl. zu dem (u.a.) aus beiden vorstehenden Gründen als gering einzustufenden Aussagewert der Zahlen zur Kapazität der öffentlichen (staatlichen) Aufnahmeeinrichtungen auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013– OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 27.
159Aber selbst unterstellt, es gäbe einen geeigneten und hinreichend belastbaren Anhalt dafür, dass die in Italien aktuell vorhandenen Kapazitäten zur Unterbringung von Asylbewerbern – und hier insbesondere der Dublin-Rückkehrer unter ihnen – insgesamt nicht ausreichen würden, um für alle Betroffenen die Zuteilung einer (nicht nur nach der Ankunft in Italien übergangsweise vermittelten) Unterkunft regelmäßig ohne Wartezeiten von Belang sicherzustellen, ergäbe sich allein daraus nach Auffassung des Senats noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Grundrechtsverletzung nach Art. 4 EUGRCh überschreitendes Versagen des Staates im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Hierzu gilt:
160Die Frage, in welchem Umfang ein Staat für Asylbewerber bzw. Flüchtlinge aus anderen Ländern angemessene Unterkunftsmöglichkeiten konkret vorsehen (schaffen und aufrechterhalten) muss, lässt sich nicht abstrakt in einem bestimmten Sinne – etwa durch Festlegung einer genauen Mindestanzahl – bestimmen. Das hängt damit zusammen, dass die betreffende Aufgabe sich erst als Reaktion auf bestimmte andere, den Handlungsauftrag auslösende Umstände ergibt. Das sind hier konkret absehbare oder schon vorhandene Flüchtlingsströme in die EU, welche den in Rede stehenden Mitgliedstaat berühren. Die diesbezügliche Situation kann sich ggf. sehr schnell zuspitzen, kann sich dann aber auch wieder deutlich entspannen, um dann evtl. wieder durch neu entstandene politische Konflikte oder Bürgerkriegssituationen z.B. im Mittelmeerraum zu eskalieren. Da die ständige Vorhaltung von Unterkünften für Asylbewerber und Flüchtlinge in großer Zahl nicht unerhebliche finanzielle Mittel bindet, kann in diesem Zusammenhang zumal von Staaten, die wie Italien aktuell eine Wirtschaftskrise durchgemacht haben, nicht strikt verlangt werden, dass sie rein vorsorglich Unterkunftskapazitäten für Asylbewerber in einem Umfang bereithalten müssen, der nicht ständig, sondern nur bei einer ggf. auftretenden Spitzenbelastung benötigt wird. Vielmehr reicht es grundsätzlich aus, wenn sich der betroffene Mitgliedstaat erfolgversprechend bemüht, den sich aus dem Dublin-System ergebenden europarechtlichen Anforderungen je nach der auftretenden Lage im Wege flexibler Anpassung seines Aufnahmesystems zu entsprechen. Dies kann etwa in der Weise geschehen, dass in „ruhigeren Zeiten“ Kapazitäten maßvoll zurückgefahren, diese bei einer neu auftretenden Belastungssituation dann aber wieder in prinzipiell ausreichendem Maße aufgestockt werden.
161Ähnlich OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 18, 19; für die Berücksichtigung erkennbarer, realer Bemühungen eines Mitgliedstaates im Zusammenhang mit der Bewertung, ob ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen angenommen werden kann, auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 47.
162Hiervon ausgehend hat sich Italien – unbeschadet mancherseits, auch von UNHCR, zu Recht angebrachter (Teil-)Kritik – im Wesentlichen (noch) so verhalten, dass weder die Funktionsfähigkeit des Systems als solches in Frage gestellt worden ist noch die aktuell vorhandenen Mängel ein Ausmaß und Gewicht erreichen, von dem ausgehend die Prognose der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gerechtfertigt erscheint:
163Nachdem im Zuge insbesondere der Ereignisse in Tunesien und in Libyen die Zahl der über das Mittelmeer nach Italien geflüchteten Personen im Jahr 2011 einen Höchststand erreicht hatte (ca. 62.000 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 34.115 Asylgesuchen in jenem Jahr; Zahlenangaben nach AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2, und Schweizerischer Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 7, m.w.N.) trat im Jahr 2012 eine deutliche Entspannung der Situation ein (ca. 13.300 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 15.715 Asylgesuchen; Quellen für die Angaben wie vorstehend). Diese hat vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2013 zwar nicht fortgedauert, sondern es hat wieder eine deutliche Zunahme des Flüchtlingsstroms (auch) nach Italien gegeben. So gab es nach Angaben des Auswärtigen Amtes allein im ersten Halbjahr 2013 ca. 12.000 Anlandungen in Süditalien (AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2), nach Schätzungen von UNHCR für den gleichen Zeitraum allerdings nur ca. 7.800 (Nachricht vom 6. Juli 2013 auf der Internet-Seite http://www.unhcr.de/archiv/nachrichten/artikel). Auf diese Zahlendivergenz kommt es hier nicht an, denn die Entwicklung des Wiederanstiegs hat sich im zweiten Halbjahr des Jahres 2013 unstreitig fortgesetzt und sogar noch verstärkt. So berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe darüber, dass die Zahl der Bootsflüchtlinge, welche in Süditalien angekommen seien, „im Sommer 2013“ stark angestiegen sei (Bericht von Oktober 2013, S. 7). Insgesamt haben im Jahr 2013 knapp unter 43.000 Bootsflüchtlinge Italien erreicht (Luise Amtsberg, Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien, Januar 2014, S. 5 f., abrufbar unter www.luise-amtsberg.de; Bericht Spiegel Online vom 17. Februar 2014 = Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 4. März 2014). Die sich daraus wieder ergebende deutliche Verschärfung der Lage, welche der Senat seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, ist somit eher plötzlich entstanden und konnte nicht ohne Weiteres vorhergesehen werden.
164Vor dem Hintergrund dieser seit 2011 in unterschiedliche Richtungen gehenden Entwicklungen und daran anknüpfender organisatorischer Planungen und Entscheidungen, die immer einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigen, ist zunächst kein durchgreifendes Fehlverhalten Italiens darin zu sehen, dass die zur Bewältigung des sog. „Notstand(es) Nordafrika“ seinerzeit von vornherein für einen vorübergehenden Zeitraum geschaffenen zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten des Zivilschutzes in der Größenordnung von (ursprünglich) 50.000 Plätzen nach dem Auslaufen jenes Projekts Anfang 2013 nahezu vollständig wieder weggefallen sind. Denn als die Planungen für diesen Wegfall erstellt und ins Werk gesetzt wurden, war kein neuerlicher dramatischer Anstieg der Zahl von Bootsflüchtlingen und damit mittelbar zugleich von (künftigen) Dublin-Rückkehrern absehbar. Ob und inwieweit jene Unterbringungsmöglichkeiten, welche von vornherein nur vorübergehend zusätzlich zur Verfügung stehen sollten, über eventuelle Verdrängungseffekte (Hineinströmen neuer Bootsflüchtlinge in die für alle nur begrenzt vorhandenen Aufnahmeeinrichtungen) für die Chance von Dublin-Rückkehrern, untergebracht zu werden, überhaupt von Bedeutung gewesen sind (verneinend AA an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage e), bedarf insofern keiner Klärung. Denn das inzwischen ausgelaufene Notstandsprogramm belegt jedenfalls, dass Italien in erheblichem Umfang zusätzliche Unterkunftsplätze einrichten und zur Verfügung stellen will und kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Daraus lässt sich zugleich schließen, dass bei einem aktuell oder künftig ansteigenden Bedarf an Unterkünften voraussichtlich ebenfalls (zumindest im Prinzip) eine Reaktion in Form der gebotenen Anpassung der zur Verfügung gestellten Unterbringungskapazität erfolgen wird.
165Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 26 f.); OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 19.
166Es gibt darüber hinaus aber auch konkrete Hinweise dafür, dass Italien sich seiner „Dublin-Verantwortung“ auch aktuell bewusst ist und bereits Anstrengungen unternommen sowie weitere Schritte eingeleitet hat, um die von Flüchtlingsorganisationen als zu knapp bemessen kritisierten Unterkunftskapazitäten in einem beachtenswerten und für ein Auffangen der meisten Fälle wohl ausreichenden Umfang wieder auszubauen.
167So ist die Zahl der SPRAR-Unterkünfte von ursprünglich 3.000 auf inzwischen mindestens 5.000 erhöht worden; zumindest im Aufbau begriffen, wenn nicht bereits erreicht oder sogar schon übertroffen (im letztgenannten Sinne aida-Report, November 2013, und die Liaisonbeamtin, siehe unten), ist eine weitere Erhöhung auf 8.000 Plätze. Aufgrund von Dekreten des Innenministeriums von Juli und September 2013 soll in dem Zeitraum von 2014 bis 2016 eine nochmalige Erhöhung auf 16.000 Plätze erfolgen. Mit weiterem Dekret von Oktober 2013 hat das Innenministerium speziell auf die durch den deutlichen Anstieg der auf dem Seeweg ankommenden Flüchtlinge eingetretene Notlage („emergency situation“) reagiert und aufgrund der Bewilligung außerordentlicher Geldmittel eine (wohl unmittelbar in Angriff zu nehmende) Erhöhung der Unterkunftsplätze beschlossen (vgl. insbesondere zu Letzterem aida-Report, November 2013, S. 42; zum Ganzen mit nur geringfügigen Unterschieden, die wohl in erster Linie durch die etwas auseinanderfallenden Zeitpunkte der Erkenntnisgewinnung zu erklären sind, auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22 f.; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Auskunft vom 21. November 2013, zu 1.; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 5, und an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 10). Allerdings hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O.) in diesem Zusammenhang einschränkend darauf hingewiesen, dass durch den Ausbau der SPRAR-Unterkünfte die Gesamtkapazität nicht in gleichem Umfang steige (gestiegen sei), weil beispielsweise bisher unter kommunaler Verantwortung stehende Plätze in das Vorhaben integriert würden.
168Addiert man zu den in den (wenn auch zurzeit überbelegten) CARA laut Liaisonbeamtin des Bundesamtes mit ca. 11.000 untergebrachten Personen eine Kapazität der SPRAR-Projekte von laut aida bzw. der Liaisonbeamtin derzeit zwischen 8.000 und 9.500 Plätzen hinzu, so beträgt die Summe bereits ca. 20.000 staatliche Plätze. Dabei sind die kommunalen oder durch NGOs bereitgestellten Unterbringungsmöglichkeiten nicht mitgezählt, von denen es allein in Rom zusammen ca. 1.500 gibt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27). Nimmt man hinzu, dass nicht alle Flüchtlinge über die Dauer von 12 Monaten in den Unterkünften verbleiben, können während eines Jahres tatsächlich mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als es die Zahl der Unterkunftsplätze annehmen lässt (z.B. beträgt die durchschnittliche Verweildauer in CARAs 8 bis 10 Monate, aida-Report, November 2013, S. 43). Auch vor diesem Hintergrund und weil dies nicht einmal die bis 2016 angestrebte weitere Erhöhung der SPRAR-Plätze berücksichtigt, lassen auch schon die aktuellen Zahlen – unbeschadet der hierzu oben aufgezeigten Schwierigkeiten einer allein an diesen Zahlen orientierten Vergleichsrechnung – jedenfalls kein dramatisches Missverhältnis in Gestalt einer sich nach den empirischen Grundlagen aufdrängenden Kapazitätsunterdeckung erkennen. Das gilt selbst dann, wenn man richtigerweise einbezieht, dass ein Teil der Unterkünfte auch anerkannten Flüchtlingen, die sich schon im Land befinden, (für einen gewissen Zeitraum) zur Verfügung steht. Damit unterscheidet sich die Situation auch deutlich von der seinerzeitigen Lage in Griechenland, in welcher auch ein erwachsener männlicher Asylsuchender praktisch keine Chance auf einen Platz in einer Aufnahmeeinrichtung hatte, weil es weniger als 1000 Unterkünfte gab, um zehntausende Asylsuchende unterzubringen.
169Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 258.
170Auch im Übrigen wird an den Strukturen der Aufnahme in Gestalt von Verbesserungen bzw. zumindest der Sicherung vorhandener Kapazitäten weiter gearbeitet. So soll etwa das am Stadtrand von Rom gelegene Centro Enea, eine zunächst von der Arcofraternita betriebene Einrichtung insbesondere für Dublin-Rückkehrer, die in Rom-Fiumicino ankommen, deren Fortbestand zwischenzeitlich unklar gewesen ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 20 oben), ab Januar 2014 in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft umgewandelt werden. Dies ergibt sich aus einem Bericht des Mitglieds des Deutschen Bundestags Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen) vom 16. Januar 2014 („Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien“, abrufbar unter www.luise-amtsberg.de).
171Es wird insoweit auf eine gute Infrastruktur des Hauses, auf verschiedene Kultur- und Bildungsangeboten sowie auf engagiert wirkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingewiesen. Zwar wird auch angemerkt, dass das betreffende Haus, welches 410 Menschen im Asylverfahren aus 35 verschiedenen Ländern beherberge, isoliert von der Außenwelt und viel zu groß für die individuelle Betreuung der Menschen sei. Das mag einen noch möglichen Verbesserungsbedarf anzeigen, lässt allerdings gewichtige Mängel des bestehenden bzw. im Aufbau begriffenen Zustandes nicht hervortreten. In dem vorgenannten Bericht wird im Übrigen an anderer Stelle (S. 6) auch darauf hingewiesen, dass angesichts des aktuell hohen Zustroms an Flüchtlingen sowie der Überfüllung der CARAs inzwischen alle Regionen Italiens aufgefordert seien, weitere (Aufnahme-)Zentren zu bauen.
172Dass Italien den in Bezug auf die tatsächlichen Aufnahmebedingungen bestehenden Mängeln und Defiziten nicht etwa schlechthin tatenlos zusieht, sondern (namentlich seit Ende 2012) durchaus anerkennenswerte Bemühungen unternimmt, die insoweit bestehende Situation zu verbessern, wird ferner – trotz zugleich geübter, auch struktureller Kritik, auch in dem letzten Bericht von UNHCR von Juli 2013 gewürdigt (S. 10 unten: „UNHCR welcomes the decision of the Ministry of Interior …“, „SPRAR projects … are able to provide for the reception needs of a significant number of asylum-seekers“). Als „äußerst unzureichend“– und damit wohl wesentlicher Grund für eine umfassende Reform des Aufnahmesystems – werden in jenem Zusammenhang allein die Unterstützungsmaßnahmen für anerkannte Flüchtlinge beschrieben (vgl. UNHCR an VG Freiburg von Dezember 2013, S. 6 oben, basierend auf dem UNHCR-Bericht über Italien von Juli 2013, dort S. 10 unten).
173Anders als für andere Staaten wie zuletzt Bulgarien und trotz inzwischen mehrfacher eingehender Befassung mit dem Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Italien auch für Dublin-Rückkehrer hat UNHCR bislang nicht explizit eine Empfehlung ausgesprochen, von der Überstellung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen. In der Anlage zu dem beim Oberverwaltungsgericht etwa zweieinhalb Stunden vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schreiben an den Senat vom 7. März 2014 (Ergänzende Informationen zur Veröffentlichung „UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien – Juli 2013“) hat er hierzu erläuternd darauf hingewiesen, der Umstand, dass in dem betreffenden Papier keine Äußerung enthalten sei, ob systemische Mängel einer Überstellung nach Italien entgegenstünden, könne keine Grundlage für die Annahme bilden, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehende Umstände vorlägen. Ob solches der Fall sei, hätten vielmehr die Behörden und Gerichte im Einzelfall mit Blick darauf zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung ausschlössen. Dabei weiche der Prüfungsmaßstab in den Dublin-Fällen nicht von dem allgemein gültigen Maßstab des Schutzes des Art. 3 EMRK ab.
174Auf der Grundlage dieser Ausführungen ergibt sich weder eine Indizwirkung dafür noch eine solche dagegen, dass die in Italien derzeit vorzufindenden Aufnahmebedingungen die Überstellung eines Dublin-Rückkehrers, der wie der Kläger dort noch kein Asyl beantragt hatte und für den keine individuellen Besonderheiten gelten, allgemein hindern. Somit bleibt der Senat auch im Hinblick auf diese neue Stellungnahme aufgefordert, sich in der gebotenen Gesamtschau aller für und gegen eine drohende Verletzung des Klägers in seinen Grundrechten aus Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK sprechenden Gründe ein eigenes Urteil zu bilden, ob die u.a. von UNHCR in der Sache angeführten Mängel und Defizite in Bezug auf das Asylsystem und die Aufnahmebedingungen gewichtig genug sind, um eine belastbare tatsächliche Grundlage für die Prognose zu bilden, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Unterkunft finden und obdachlos sein. Eine solche Grundlage ist aus den vorstehend angeführten Gründen nicht vorhanden.
175Allerdings merkt der Senat sein Befremden darüber an, dass UNHCR seine jetzige Interpretation des eigenen Berichts von Juli 2013 maßgeblich darauf stützt, dieser richte sich in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die italienische Regierung. Ohne diese Intention anzweifeln zu wollen, gründet das Befremden des Senats darin, dass UNHCR nicht unbekannt sein kann, dass die dort erstellten Berichte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „besonders relevant“ sind auch bei der Bewertung des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Zuge der Rückführung von Asylsuchenden nach der Dublin II-VO.
176Vgl. EuGH, Urteile vom 30. Mai 2013– C-528/11 – (Halaf), NVwZ-RR 2013, 660 =juris, Rn. 44, und vom 21. Dezember 2011– C-411/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris,Rn. 90 f.
177Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr wesentlich auf die nicht durch prüffähige Einzelangaben belegte Darstellung der Liaisonbeamtin des Bundesamtes an, dass die in dem Bericht von UNHCR von Juli 2013 registrierten Mängel bereits zum großen Teil beseitigt worden seien, was ihr am 16. September 2013 die Capo Dipartimento, Angela Pria, versichert habe (vgl. die Stellungnahme der Liaisonbeamtin vom 21. November 2013, zu 7.).
178(3) Es gibt auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel ferner keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die den Asylbewerbern und darunter insbesondere den Dublin-Rückkehrern während der Durchführung des Asylverfahrens zur Verfügung gestellten Unterkünfte gleich welcher Art wegen ihrer Beschaffenheit und Ausstattung (z.B. der hygienischen Verhältnisse) oder auch wegen der dort herrschenden Zustände (insbesondere der Gefahr, das Opfer von Gewalttätigkeit und anderer krimineller Delikte zu werden) typischerweise unzureichend oder in Bezug auf das Zusammenleben mit anderen Personen auf ggf. engem Raum in einer Weise unzumutbar wären, dass daraus auf die konkrete Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Falle der Überstellung des Klägers nach Italien geschlossen werden könnte.
179Vgl. dazu allgemein auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 28 f., m.w.N.).
180Gegenteiliges lässt sich insbesondere auch nicht aus den Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat herleiten. Dies schon deshalb nicht, weil sich diese Angaben auf einen anderen Zeitpunkt und im Übrigen auch ausschließlich auf die Verhältnisse in einer Art „Sammelstelle“ auf Sizilien – und damit allenfalls auf die seinerzeitigen Bedingungen in Süditalien – beziehen. Die konkrete Unterkunftsart konnte der Kläger weder näher bezeichnen noch irgendwie klar umschreiben. Was die angeblich angetroffenen „schlechten“ Lebensbedingungen betrifft, fehlt es im Übrigen auch an der Relevanz, solange die Grenze des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts des Art. 4 EUGRCh nicht berührt wird. Namentlich ist es unerheblich, wenn die Aufnahmebedingungen nicht den Standard erreicht haben bzw. erreichen, wie er bei einer Aufnahme von Asylbewerbern in der Bundesrepublik Deutschland üblich ist. Für die nicht weiter belegte Annahme des Klägers, infolge der derzeitigen Überbelegung vieler Aufnahmeeinrichtungen herrschten dort gemeinhin menschenunwürdige Zustände, geben die Erkenntnisse nichts her. Darauf, ob dies vielleicht in Einzelfällen anders sein mag, kommt es nicht an.
181(4) Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass Dublin-Rückkehrer, welche in Italien einen Asylantrag stellen, während des Verfahrens bis zur Entscheidung über diesen Antrag materielle Not leiden müssen, weil sie gemessen an den Vorgaben des Unionsrechts nicht das zum Leben Benötigte – wie insbesondere Nahrung, Wäsche, Kleidung und Hygieneartikel – erhalten. Vielmehr wird dem Rechtsanspruch der Asylsuchenden auf Verpflegung und Versorgung im Allgemeinen auch in Italien nachgekommen. Dies geschieht bei denjenigen Personen, die in staatlichen/öffentlichen Unterkünften untergebracht sind, in der Regel dadurch, dass die Aufnahmeeinrichtungen/-zentren auch die Verpflegung und Versorgung mit übernehmen. Aber auch für diejenigen Asylbewerber, die in nichtstaatlichen, namentlich in karitativen oder kirchlichen Unterkünften leben, wird grundsätzlich ausreichend gesorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 5.; für seitdem eingetretene Änderungen ist nichts ersichtlich). Dass die Asylbewerber und hier insbesondere die Dublin-Rückkehrer unter ihnen typischerweise in extremer Armut leben und ihren Lebensunterhalt dabei beispielsweise durch Betteln oder Prostitution sichern müssten, kann folglich nicht festgestellt werden.
182Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UAS. 29 ff.).
183Das schließt es nicht aus, dass im Einzelfall solches namentlich bei obdachlosen Personen hin und wieder vorkommen mag. Denn ein staatliches Sozialhilfesystem existiert in Italien nur sehr eingeschränkt. Das reicht indes nicht für die Annahme aus, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung nach Italien ernstlich der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh ausgesetzt sein.
184(5) Soweit es um die medizinische Versorgung der Dublin-Rückkehrer nach Italien geht, die dort ein Asylverfahren einleiten, unterscheidet sich die Situation nicht von derjenigen, die in Italien allgemein für Asylbewerber während ihres Verfahrens gilt. Als unionsrechtliche Vorgabe ist insoweit Art. 19 der Neufassung der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) zu beachten. Dieser garantiert allerdings für Antragsteller ohne besondere medizinische Bedürfnisse – wie hier den Kläger – nur einen Mindeststandard (Notversorgung, unmittelbar erforderliche Behandlungen). Dass Asylbewerber in Italien in der Regel eine medizinische Versorgung kostenfrei erhalten können, welche zumindest diesem Mindeststandard entspricht, wird vom Kläger und auch in den dem Senat vorliegenden (einschlägigen) Erkenntnismitteln nicht prinzipiell in Frage gestellt. In den Erkenntnissen wird allenfalls in Zweifel gezogen, ob auch jenseits der Not- bzw. Akutversorgung der allgemeine Zugang zum italienischen Gesundheitssystem, zu dem eine Gesundheitskarte nötig ist, den Asylbewerbern bereits – ggf. landesweit – dann eröffnet ist, wenn sie (noch) nicht über einen ständigen Wohnsitz bzw. eine feste Adresse verfügen, und inwiefern insoweit eine sog. fiktive bzw. virtuelle Adresse ausreicht und erlangt werden kann (siehe etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 49 f., 52; AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 6., und – dort entsprechend für anerkannte Schutzberechtigte – an VG Gießen vom 26. März 2013, zu Frage 4.; zu einzelnen Defiziten hinsichtlich der praktischen Anwendung der medizinischen Versorgung von Asylbewerbern seinerzeit Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 45 ff.). Mängel der Aufnahmebedingungen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich erscheinen ließen, lassen sich somit auch in diesem Zusammenhang nicht feststellen. Individuelle Besonderheiten im Sinne einer besonderen Verletzlichkeit oder medizinische Behandlungsbedürftigkeit des Klägers bestehen im Übrigen nicht.
185Vgl. zum Zugang zum Gesundheitssystem auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 31 f.).
186(6) Durchgreifende Mängel gibt es auch nicht in Bezug auf die Qualität und Dauer der Asylverfahren in Italien. Die Rechtsstellung der Betroffenen wird insoweit auch, was die faktische Umsetzung in der behördlichen Praxis einschließlich der Gewährung von Rechtsberatung und Rechtsschutz betrifft, nicht in einer nennenswerten Weise beeinträchtigt. Der Senat schließt sich insoweit der (vom Kläger nicht in Zweifel gezogenen) Bewertung durch das OVG Sachsen-Anhalt an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen einschlägigen Ausführungen Bezug, welche sich auch dazu verhalten, dass es in Italien keine unverhältnismäßig restriktive Asylpraxis gibt.
187Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 32 ff.).
188(7) Die in Gesamtwürdigung der Verhältnisse gewonnene Einschätzung des Senats, dass das Asylverfahren und namentlich auch die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber – darunter hier speziell Dublin-Rückkehrer – in Italien nicht an systemischen Mängeln leiden, welche darauf führen, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird, stimmt schließlich mit der Bewertung überein, welche für dessen Entscheidungszeitpunkt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Beschluss vom 2. April 2013– 27725/10 – (Mohammed Hussein u.a.), insb. Rn. 78, unter Würdigung zahlreicher Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen getroffen hat. Dieser Entscheidung lag durchaus jedenfalls auch eine Betrachtung der allgemeinen Situation und der Lebensbedingungen in Italien zugrunde; keineswegs erfolgte sie maßgeblich (nur) vor dem Hintergrund etwaiger besonderer Umstände des zugrunde liegenden Falles wie namentlich des Umstandes, dass die Klägerin in dem Verfahren grundlegend falsche Angaben zum Sachverhalt gemacht hatte; ebenso wenig lässt sich ihr entnehmen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eigentlich etwas anderes, nämlich in Richtung auf das Bestehen systemischer Mängel, sagen wollen.
189In diesem Sinne (zu Unrecht) VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 61 f.; VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 – 1 K 844/11. GI.A –, juris, Rn. 36.
190Hierfür spricht nicht zuletzt auch, dass der EGMR seine Linie zu Italien auch in nachfolgenden Entscheidungen bestätigt hat.
191Vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 2013 – 53852/11 – (Halimi), ZAR 2013, 338 (339, Rn. 68), und vom 10. September 2013 – 2314/10 – (Hussein Diirshi), Rn. 138, 139.
192Wie ein zwischenzeitlich vor der Großen Kammer des EGMR anhängiges und im Februar 2014 verhandeltes (weiteres) Verfahren zu Italien, das der Kläger angesprochen hat, ausgehen wird und inwiefern der EGMR in jenem Verfahren fallübergreifende Feststellungen zu den Verhältnissen in Italien treffen oder die konkreten Verhältnisse des zu entscheidenden Falles in den Vordergrund stellen wird, ist ungewiss; die Entscheidung hierzu steht noch aus.
193(8) Der Senat hatte auch mit Blick auf die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren schriftsätzlich vorgebrachten Beweisanregungen keine Veranlassung, zur Gewinnung der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Überzeugung noch weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation der Asylbewerber in Italien einzuholen. Denn die vorliegenden Erkenntnismittel haben im Ergebnis ausgereicht, ihm diese Überzeugung bereits in einem ausreichenden Maße zu vermitteln.
194Dem steht zunächst nicht durchgreifend entgegen, dass der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 die Sache zunächst vertagt hat. Denn zu jenem Zeitpunkt standen wesentliche aktuelle Erkenntnismittel, wie namentlich der damals bereits angekündigte ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von Oktober 2013, noch nicht zur Verfügung. Der zusätzliche Umstand, dass der Senat unter dem 18. Oktober 2013 ein weiteres, trotz des Umfangs der gestellten Fragen im Wesentlichen die Erläuterung bzw. Konkretisierung/Substantiierung bereits vorliegender Aussagen betreffendes Auskunftsersuchen an das Auswärtige Amt gerichtet hat, welches das Auswärtige Amt dann angeblich mit den eigenen Möglichkeiten nicht beantworten konnte (vgl. die Antwortschreiben vom 5. November und 18. Dezember 2013), hinderte den Senat nicht, sich (aufgrund der insofern neuen Situation) noch einmal neu mit der Frage zu befassen, ob es für seine Entscheidung – etwa auch vor dem Hintergrund des ausführlichen aktuellen Berichts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – der Beantwortung der gestellten Fragen (bzw. aller davon) notwendig bedurfte, und diese Frage zu verneinen. Eine etwaige Bindung war durch die rein vorsorgliche Anfrage vom 18. Oktober 2013 nicht eingetreten; zudem hatte sich die Sachlage inzwischen wesentlich geändert. Denn das Auswärtige Amt hat in dem Schreiben vom 18. Dezember 2013 unmissverständlich mitgeteilt, dass (ergänzende) eigene Erkenntnisse oder Unterlagen nicht vorhanden seien.
195Der Anregung im Schriftsatz des Klägers vom 14. Januar 2014, bestimmte Angehörige der Organisationen „borderline europe“ und Schweizerische Flüchtlingshilfe als sachverständige Zeugen zu hören, musste der Senat nicht entsprechen. Denn es ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, dass „borderline europe“ die Erkenntnisse aus dem im Dezember 2012 erstellten Bericht bzw. Gutachten inzwischen auf der Grundlage neuerer konkreter Erkenntnisse sozusagen „fortgeschrieben“ hätte und/oder dass Angehörige der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus eigener Kenntnis heraus wesentliche zusätzliche Informationen über das hinaus geben könnten, was schon in dem sehr ausführlichen Bericht von Oktober 2013 unter (in der Regel) spezifizierter Offenlegung der Quellen schriftlich niedergelegt ist. Schließlich musste der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht Gelegenheit gegeben werden, auf ihr in der Stellungnahme der Liaisonbeamtin des Bundesamtes vorgehaltene (vermeintliche) Mängel ihres Oktober-Berichts zu erwidern.
1962. Die Abschiebungsanordung in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides ist hiernach ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
197Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
198Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der am 16. Dezember 2014 sinngemäß - und zum wiederholten Male - gestellte Antrag,
3den Beschluss des Gerichts vom 15. September 2014 abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage 23 K 5433/14.A gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 21. Mai 2014 anzuordnen,
4wird abgelehnt.
5Nach wie vor liegen - bei unveränderter Sachlage – weder auf der Grundlage der stetig wiederholten Rechtsauffassung des Antragstellers noch bei nochmaliger Überprüfung der Entscheidung des Gerichts Gründe im Sinne des § 80 Abs. 7 VwGO vor.
6I.
7Bei der Überstellungsfrist von sechs Monaten handelt es sich nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO um eine reine Handlungsfrist für die Antragsgegnerin, die nach dem Beschluss im Verfahren 23 L 1907/14.A vom 15. September 2014 frühestens im März 2015 ablaufen wird. Entsprechend kommt es auf die Frage, ob diese Frist überhaupt ein subjektives Recht des Antragstellers begründen kann, derzeit nicht an.
81.
9Bei der Überstellungsfrist handelt es sich um eine reine Handlungsfrist für die Antragsgegnerin bzw. für die mit der Überstellung betraute Ausländerbehörde.
10Die Überstellung erfolgt gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten. Dabei ist die Überstellung aber an die Bedingung geknüpft, dass diese „praktisch möglich“ ist. Die praktische Möglichkeit unterscheidet sich dabei nicht von der Fassung des Art. 19 Abs. 3 Dublin II‑VO. Diese Vorgängerverordnung enthielt zwar in der deutschen Sprachfassung die Wendung „materiell möglich“, beansprucht dadurch aber keine andere Bedeutung. Insofern weicht Art. 29 Abs. 1 Dublin III‑VO mit dem deutschen Wortlaut „praktisch möglich“ nicht vom Inhalt des Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO („materiell möglich“) ab. Das zeigt bereits ein Vergleich der unterschiedlichen Sprachfassungen der Verordnungen, in denen beide Artikel durchgängig sprachlich identisch gefasst sind. So heißt es etwa einheitlich: „matériellement possible“ (französisch), „practically possible“ (englisch“), „materialmente posible“ (spanisch), „materialemente possibile (italienisch), „praktisch mogelijk“ (niederländisch), „materialemente possível“ (portugiesisch), „praktycznie mozliwe“ (polnisch).
11Insofern knüpft die tatsächliche Durchführung der Überstellung (materiell oder praktisch möglich) allein an die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit der Überstellung an. Die Überstellungsfrist läuft - als Handlungsfrist - erst, wenn die Überstellung auch rechtlich möglich ist.
12Das folgt zudem zwanglos aus der Funktion der Überstellungsfrist. Die Frist bezweckt eine zeitliche Begrenzung der Zuständigkeit ab dem Zeitpunkt, zu dem grundsätzlich vereinbart und sichergestellt ist, dass die Überstellung in Zukunft erfolgen wird, und wenn lediglich deren Modalitäten zu regeln bleiben,
13OVG Lüneburg, Beschluss vom 2. August 2012 - 4 MC 133/12 -, in: juris (Rn. 15); EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 (Petrosian u.a.) -, unter: curia.eu (Rn. 45).
14Die notwendigen Vorbereitungen für sowie die Überstellung (Handlung) selbst können (und dürfen) nämlich erst durchgeführt werden, wenn die Überstellung materiell (so: Art. 19 Abs. 2 Dublin II-VO) bzw. praktisch (so: Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO) möglich ist,
15EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 (Petrosian u.a.) -, unter: curia.eu (Rn. 45).
162.
17Die Frist begann vorliegend frühestens mit der Bekanntgabe der Entscheidung vom 15. September 2014 im Verfahren 23 L 1907/14.A.
18Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO bestimmt für den Beginn der Frist unterschiedliche Zeitpunkte. Diese liegen entweder im Zeitpunkt der „Annahme des Antrags auf Aufnahme“ oder der „endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Absatz 3 aufschiebende Wirkung hat“.
19Dabei ist die Entscheidung, welcher dieser beiden genannten Zeitpunkte heranzuziehen ist, bereits in der Dublin III-VO festgelegt. Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO bestimmt nämlich materiell eine Reihenfolge dieser Zeitpunkte. Diese knüpft dabei auch an das europarechtlich vorgegebene System des nationalen Rechtschutzes an.
20Art. 27 Dublin III-VO enthält dabei die europarechtlichen Vorgaben für das nationale Rechtschutzsystem.
21Art. 27 Abs. 3 lit. a) Dublin III-VO bestimmt so zunächst, dass die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass der Antragsteller bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs (der Überprüfung) im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaates verbleiben darf. Daran knüpft die eine Variante des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO an. Maßgeblich ist in diesem Fall, dass über den Rechtsbehelf „endgültig“ entschieden wurde.
22Art. 27 Abs. 3 lit. b) Dublin III-VO ermöglicht alternativ, dass die Überstellung automatisch für eine bestimmte Zeit ausgesetzt ist, binnen derer über die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs (der Überprüfung) zu entscheiden ist. Dabei ist der maßgebliche Bezugspunkt die mögliche aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs (einer Überprüfung). Dieser Bezugspunkt entspricht der dritten Variante in Art. 27 Abs. 2 lit. c) Dublin III‑VO. Die Mitgliedstaaten können danach auch vorsehen, dass ein Rechtsbehelf (eine Überprüfung) binnen einer bestimmten Frist zu erheben ist und eine Überstellung während des Rechtsbehelfsverfahrens nicht durchgeführt werden darf. Dabei knüpft diese Variante an die Vorgängervorschrift in Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO an, nach der die Frist erst zulaufen begann mit der „Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat“. Die Frage, ob ein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, war dabei allein (und einheitlich) europarechtlich zu beantworten ist und nahm folglich nicht auf die Grundsätze des § 80 Abs. 1 VwGO Bezug. Das damalige Recht wurde mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU mit der Einführung des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG europarechtskonform umgesetzt wurde,
23Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksachen 17/13063, 17/13392 -, BT-Drs. 17/13556, Seiten 4 und 7.
24Entsprechend entfaltet ein rechtzeitig bei Gericht gestellter Antrag „aufschiebende Wirkung“ im Sinne der europarechtlichen Vorgaben, was für den - unter dem Regime von Art. 27 Abs. 3 lit. c) Dublin III-VO - unveränderten § 34a AsylVfG fortgilt. Hieran knüpft entsprechend die Variante des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO an: immer dann, wenn das durch Art. 27 Dublin III-VO vorgeprägte nationale Rechtsbehelfssystem vorsieht, dass ein Rechtsbehelf (eine Überprüfung) an eine aufschiebende Wirkung im vorbeschriebenen Sinne anknüpft, die Entscheidung über diesen Rechtsbehelf maßgeblich ist.
25Die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, ein Rechtschutzsystem im Sinne des Art. 27 Abs. 3 lit. c) Dublin III-VO fortzuführen, führt damit dazu, dass immer dann, wenn einstweiliger Rechtschutz nach § 34a AsylVfG - wie hier im Verfahren 23 L 1907/14.A - rechtzeitig beantragt worden ist, die Überstellungsfrist erst beginnt, wenn ‑ wie hier negativ ‑ über diesen Rechtsbehelf endgültig - hier mit Beschluss vom 15. September 2014 - entschieden worden ist,
26vgl. ausführlich zum Ganzen: VG Frankfurt, Beschluss vom 19. September 2014 - 6 L 586/14.A -, in: juris (Rn. 8, 28, 50, 43).
27Mithin steht dem Antragsteller auch nicht - wie er erneut meint - die Rechtsprechung des OVG NRW zur Seite. Der zitierte Beschluss des OVG NRW vom 8. September 2014 ‑ 13 A 1347/14.A ‑ erging zur Vorgängervorschrift des Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO. Zwar ist ‑ wie ausgeführt ‑ das System der Überstellungsfrist in Art. 29 Dublin III‑VO dem Vorgängermodell nachgebildet, jedoch verkennt der Antragsteller erneut, dass die zitierte Entscheidung des OVG NRW vornehmlich auf die vorherige Entscheidung des Senats vom 8. Mai 2014 ‑ 13 A 827/14.A ‑ Bezug nimmt. Dort heißt es eindeutig, dass die Frage, wann die Überstellungsfrist beginnt, geklärt ist (nur) für die Fallkonstellation, in denen das Gericht durch einstweilige Anordnung die Durchführung der Überstellung vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache ausgesetzt hat,
28OVG NRW, Beschluss vom 8. Mai 2014 - 13 A 827/14.A -, in: juris (Rn. 3), Urteil vom 7. März 2014 ‑ 1 A 21/12.A ‑, in: juris (Rn. 55).
29Sofern in der Entscheidung vom 8. September 2014 eine Erweiterung versucht wird, kann das Gericht dem nicht folgen. Unabhängig von der Frage, ob die dort angenommenen Begründungen überhaupt zu Art. 29 Dublin III‑VO passen, steht dem entgegen, dass das angenommene „sinnwidrige Ergebnis“ (dort: auch eine stattgebende Entscheidung des Gerichts im einstweiligen Rechtschutzverfahren führe zu einem Beginn der Überstellungsfrist mit dieser Entscheidung) wohl nicht sinnwidrig ist. Der maßgebliche europarechtliche Rechtsbehelf („wirksamer“ Rechtsbehelf im Sinne des Erwägungsgrundes 19 Dublin III‑VO) führt nach der nationalen Umsetzung in § 34a AsylVfG zwangsläufig dazu, dass mit dem positiven Abschluss des Verfahrens im einstweiligen Rechtschutz eine „endgültige“ Entscheidung im Sinne des Art. 29 Dublin III-VO herbeigeführt worden ist. Denn dieser kommt - wie ausgeführt - aufschiebende Wirkung zu. Zudem ist dieses Ergebnis nicht sinnwidrig. Denn maßgebliches Ziel der Dublin III‑VO ist nicht nur die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates (Erwägungsgrund 40), sondern die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates innerhalb eines angemessenen Zeitraums,
30EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. (N.S. u.a.) -, unter: curia.eu (Rn. 79, 84).
31Durch den Aufbau des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems mit dem Grundsatz, innerhalb der Europäischen Union soll nur einmal und einheitlich über einen Asylantrag entschieden, korrespondiert die Verpflichtung der Staaten, den zuständigen Mitgliedstaat innerhalb angemessener Zeit zu bestimmen, damit der Anspruch auf Durchführung dieses einen Asylverfahrens zeitnah umgesetzt werden kann. Insofern zielt das gesamte Fristensystem darauf ab, den zuständigen Mitgliedstaat zeitnah zu ermitteln.
32II.
33Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 VwGO; die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylVfG.
34Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
35Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Tenor
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 23. Mai 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
1Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
2Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG wegen der allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob mit Bekanntgabe des Beschlusses, mit dem der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt worden ist, die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO neu zu laufen beginnt, da eine Abschiebung wegen der Regelung des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG während der Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens unzulässig war, ist nicht grundsätzlich klärungsbedürftig.
3Es kann offen bleiben, ob dies schon deshalb gilt, weil es sich um auslaufendes Recht handelt. Für alle ab dem 1. Januar 2014 gestellten Anträge auf internationalen Schutz sowie Gesuche der Mitgliedstaaten auf Aufnahme oder Wiederaufnahme ist nicht mehr die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (im Folgenden: Dublin II-VO), sondern nach ihrem Artikel 49 Abs. 2 die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) anwendbar.
4Die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage bedarf jedenfalls deshalb nicht der Klärung im Berufungsverfahren, weil sie sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres – verneinend – beantworten lässt.
5Nach § 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Entscheidung über den Rechtsbehelf die (rechtskräftige) gerichtliche Entscheidung über die Klage gegen die Überstellungsentscheidung im Hauptsacheverfahren ist.
6Vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 53, und Beschluss vom 8. Mai 2014 – 13 A 827/14.A -, juris, Rn. 5; wie hier etwa auch VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. März 2014 – 13 L 644/14.A -, juris; VG Göttingen, Beschluss vom 30. Juni 2014 – 2 B 86/14 -, juris.
7Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Bestimmung. Dem Rechtsbehelf selbst muss aufschiebende Wirkung zukommen. Dies trifft – auch nach dem Unionsrecht – nur auf einen Rechtsbehelf zu, mit dem über die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung und ihren Bestand (abschließend) entschieden wird. Mit einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht die Aufhebung der behördlichen Entscheidung, sondern nur die Aussetzung des Vollzugs erreicht werden. Zudem vermag nicht die Antragstellung, sondern nur die stattgebende gerichtliche Entscheidung die aufschiebende Wirkung herbeizuführen, deren Endpunkt die Hauptsacheentscheidung ist.
8Diese Überlegungen werden durch die Systematik der Dublin II-VO bestätigt. Gegenstand des Rechtsbehelfs ist die Entscheidung des Beklagten nach Art. 19 Abs. 1 Dublin II-VO, den Asylantrag nicht zu prüfen und den Antragsteller an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen. Nach Art. 19 Abs. 2 Satz 3 Dublin II-VO kann gegen diese Entscheidung ein Rechtsbehelf eingelegt werden. Dass dies allein die Klage, nicht aber der Antrag auf Aussetzung sein kann, zeigt vor allem Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO. Danach hat der gegen die Überstellungsentscheidung eingelegte Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders. An diese Vorgaben, die der Sache nach zwischen dem Hauptsache- und dem Aussetzungsverfahren trennen, knüpft der folgende Absatz 3 des Art. 19 Dublin II-VO an, indem er die Frist nur dann erst mit der Entscheidung über den Rechtsbehelf beginnen lässt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wenn er also – so lässt sich mit Blick auf Absatz 2 präzisieren – im Einzelfall aufgrund einer Entscheidung der Gerichte oder zuständigen Stellen nach Maßgabe des mitgliedstaatlichen Rechts aufschiebende Wirkung hat. Dem entspricht das nationale Recht. Ein Rechtsbehelf, dem aufschiebende Wirkung zukommt, ist nach § 80 Abs. 1 VwGO – neben dem Widerspruch – nur die Klage. Die Klage gegen die Überstellungsentscheidung des Bundesamts hat – unionsrechtskonform – aber nach § 75 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung, es sei denn, diese wird gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG in der seit dem 6. September 2013 gültigen Fassung im Einzelfall durch das Gericht angeordnet.
9Hielte man den vorläufigen Rechtsschutzantrag für den Rechtsbehelf im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO, führte dies überdies zu dem sinnwidrigen Ergebnis, dass auch bei einer Stattgabe die Überstellungsfrist zu laufen begänne und regelmäßig vor einer Entscheidung in der Hauptsache abliefe. In der Rechtsprechung ist aber anerkannt, dass bei Aussetzung der Vollziehung der Überstellung die Frist erst mit der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung im Hauptsachverfahren beginnt.
10Vgl. dazu EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495; OVG NRW, Beschluss vom 8. Mai 2014 - 13 A 827/14.A -, juris (zu § 34a Abs. 2 AsylVfG a.F. und einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO); Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 - 4 MC 133/12 -, juris; VGH Bad-Württ., Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 -, juris.
11Diese systematischen Überlegungen werden durch die Dublin III-VO bestätigt, in deren Art. 27 klar zwischen dem Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung und dem Antrag, die Durchführung einer Überstellungsentscheidung auszusetzen, unterschieden wird.
12Hiervon ausgehend führen Sinn und Zweck der Überstellungsfrist, den Mitgliedstaaten Zeit zu geben, um die (technischen) Modalitäten der Durchführung der Überstellung zu regeln, wofür grundsätzlich die vollen sechs Monate zur Verfügung stehen sollen,
13vgl. dazu EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495,
14zu keinem anderen Ergebnis. Die Frist berechnet sich in der Regel ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme durch den zuständigen Mitgliedstaat, da ein gegen die Überstellungsentscheidung eingereichter Rechtsbehelf nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO keine aufschiebende Wirkung hat. Nur wenn ausnahmsweise aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung im Einzelfall die Vollziehung ausgesetzt ist, ist die Entscheidung über den Rechtsbehelf im Hauptsacheverfahren – also die abschließende gerichtliche Entscheidung darüber, ob die Überstellung in Zukunft erfolgen wird – für den Fristbeginn maßgeblich.
15Hiervon ausgehend kann auch § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG nicht dazu führen, dass die Überstellungsfrist erst oder erneut mit der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu laufen beginnt.
16So aber VG Düsseldorf, Beschluss vom 7. April 2014 - 2 L 55/14.A -, juris, Rn. 21; VG Göttingen, Beschluss vom 28. November 2013 - 2 B 887/13 -, juris, Rn. 7 ff.; VG Hamburg, Beschluss vom 4. Juni 2014 - 10 AE 2414/14 -, juris, Rn. 20 ff.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, November 2013, § 27a Rn. 227 f.
17Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung bei rechtzeitiger Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Dadurch wird, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht zu einem Rechtsbehelf im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO, der nach der obigen Auslegung allein die Klage ist. Die Anordnung eines Vollziehungshindernisses durch den nationalen Gesetzgeber kann ferner deshalb nicht mit der vorläufigen Aussetzung des Vollzugs der Abschiebungsanordnung durch gerichtlichen Eilbeschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO gleichgesetzt werden, weil dies den unmittelbar geltenden Vorgaben der Dublin II-VO zuwider liefe. Nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO steht die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes der Durchführung der Überstellung nicht entgegen, es sei denn, der Rechtsbehelf hat aufgrund einer Entscheidung der Gerichte oder zuständigen Stellen im Einzelfall aufschiebende Wirkung. Verankert ist damit zum einen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, zum anderen das Erfordernis einer gerichtlichen oder behördlichen, konkret-individuellen Anordnung. Dem liegt der Beschleunigungsgedanke zugrunde, der auch Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO ist, wonach die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat der Asylantragstellung übergeht, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Im öffentlichen Interesse soll eine zeitnahe Überstellung erfolgen, im Interesse des Asylbewerbers sein Antrag in angemessener Zeit geprüft werden.
18Dem Einwand der Beklagten, es stünden dann aber in Deutschland aufgrund des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG nicht die vollen sechs Monate für die Organisation der Überstellung zur Verfügung, eine Schlechterstellung als Folge eines zugunsten der Antragsteller geschaffenen gesetzlichen Abschiebungshindernisses sei aber unzulässig, ist nicht zu folgen. Die bloße Hemmung der Vollziehung hindert die zuständige Ausländerbehörde schon nicht, bis zur Entscheidung über den Eilantrag bereits mit der Vorbereitung der weiterhin zulässigen, nur noch nicht durchführbaren Überstellung zu beginnen.
19So auch VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. März 2014 – 13 L 644/14.A -, juris, Rn. 26.
20Abgesehen davon beruht die von der Beklagten bemängelte Verkürzung des sechsmonatigen Zeitraums um die Dauer des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens auf einer Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, die durch die Dublin II-VO nicht vorgegeben ist. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie II) vom 28. August 2013 (BGBl. I, S. 3474) ist § 34a Abs. 2 AsylVfG bereits mit Wirkung vom 6. September 2013 geändert worden, obwohl zu dem Zeitpunkt noch die Dublin II-VO anwendbar war. Die Vorgabe des Art. 27 Abs. 3 lit. c Satz 2 der Dublin III-VO, wonach die Überstellung auszusetzen ist, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ihrer Durchführung ergangen ist, ist erst ab dem 1. Januar 2014 – und damit auch für eine Vielzahl von Altfällen noch nicht – anwendbar.
21Entgegenstehende Rechtsprechung anderer Obergerichte, die eine bundeseinheitliche Klärung erforderte, ist nicht ersichtlich. Mit dem Hinweis auf abweichende Entscheidungen einzelner erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte wird angesichts des Vorstehenden kein grundsätzlicher Klärungsbedarf aufgezeigt.
22Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.
23Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. März 2014 wird aufgehoben, soweit in Ziffer 1 das Verfahren auch bezüglich des Antrags der Kläger auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG eingestellt wurde und soweit in Ziffer 2 die Abschiebung der Kläger nach Frankreich angeordnet wurde.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
1
Tatbestand:
2Die Kläger zu 1) und 2) sind die Eltern der am 0.00.2010 geborenen Klägerin zu 3). Sie meldeten sich am 13. Januar 2014 bei der zentralen Ausländerbehörde E. als Asylsuchende. Am 17. Januar 2014 nahm die Außenstelle E. des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ihren Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte zur Niederschrift auf. Hierbei gaben die Kläger an, iranische Staatsangehörige christlichen Glaubens zu sein. Am gleichen Tag teilten sie im Rahmen des persönlichen Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens mit: Sie seien am 19. November 2013 mit dem Reisebus in Richtung Istanbul aus dem Iran ausgereist. Nach einem 40-tägigen Aufenthalt in der Türkei seien sie am 31. Dezember 2013 mit dem Flugzeug nach Deutschland eingereist. Personalpapiere oder andere Dokumente über ihre Person könnten sie nicht vorlegen.
3Ausweislich einer zum Verwaltungsvorgang des Bundesamtes genommenen Auskunft vom 17. Januar 2014 aus dem VIS-Datenbestand war den Klägern zu 1) und 2) am 27. November 2013 durch die französische Botschaft in Teheran jeweils ein Schengen-Visum für einen Kurzaufenthalt erteilt worden, und zwar mit Gültigkeit vom 30. November 2013 bis zum 25. Dezember 2013.
4Am 13. Februar 2014 stellte das Bundesamt bezüglich aller Kläger ein Übernahmeersuchen an die Republik Frankreich. Mit Schreiben vom gleichen Tag unterrichtete das Bundesamt die Kläger über die Einleitung eines Dublin-Verfahrens nach Frankreich und gab ihnen Gelegenheit, sich innerhalb von zwei Wochen zu den Gründen zu äußern, die gegen ihre Überstellung nach Frankreich sprächen. Mit Schreiben vom 28. Februar 2014, beim Bundesamt eingegangen am 4. März 2014, bestellte sich die Prozessbevollmächtigte unter Vorlage schriftlicher Vollmachten für die Kläger und erklärte, die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte sowie auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft würden zurückgenommen, aufrechterhalten würden lediglich die Anträge auf Gewährung subsidiären Schutzes.
5Die Republik Frankreich stimmte mit Schreiben vom 13. März 2014 der Aufnahme der Kläger gemäß Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO) zu.
6Mit Bescheid vom 25. März 2014 stellte das Bundesamt fest, dass die Asylverfahren der Kläger eingestellt sind (Ziffer 1) und ordnete die Abschiebung der Kläger nach Frankreich an (Ziffer 2). Zur Begründung wird ausgeführt, dass in Anbetracht der Rücknahme der Asylanträge gemäß § 32 S. 1, 1. HS AsylVfG festzustellen sei, dass die Asylverfahren eingestellt sind. Die Rücknahme beseitige indes nicht die Regelungswirkung der Dublin-III-VO in Bezug auf den zuständigen Mitgliedstaat. Die Zuständigkeit gelte seit der Asylantragstellung in Deutschland. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die zur Ausübung eines Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO führen könnten, seien nicht ersichtlich. Von einer Prüfung des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG sei abzusehen, da eine Überstellung in das Herkunftsland nicht beabsichtigt sei. Daher werde der Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft; Deutschland sei verpflichtet, die Überstellung nach Frankreich als zuständigem Mitgliedstaat innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Dublin-III-VO festgesetzten Fristen durchzuführen. Die Anordnung der Abschiebung nach Frankreich beruhe auf § 34a Abs. 1 S. 1 AsylVfG.
7Der an die Kläger adressierte Bescheid ist ausweislich eines Aktenvermerks am 26. März 2014 als Einschreiben zur Post gegeben worden. Mit Schreiben vom 26. März 2014 wurde ferner der Prozessbevollmächtigten der Kläger eine Kopie des Bescheides übersandt.
8Die Kläger haben am 1. April 2014 Klage erhoben und in Bezug auf Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt. Zur Begründung geben sie an, es lägen außergewöhnliche humanitäre Gründe vor, die die Beklagte zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts verpflichteten, jedenfalls aber zu einer ermessensfehlerfreien Entscheidung, die mit dem streitgegenständlichen Bescheid nicht erfolgt sei. Der Kläger zu 1) habe zwei Cousinen, die in Nordrhein-Westfalen lebten. Diese hätten sich seit dem Eintreffen der Kläger in Deutschland um diese gekümmert. Die Kläger seien durch die ihnen widerfahrenen Erlebnisse im Iran traumatisiert und hätten lediglich Halt aufgrund der Anwesenheit der Verwandtschaft in Deutschland gefunden. Sie hätten für ihre Ausreise aus dem Iran die Hilfe eines Schleppers in Anspruch genommen. Dieser habe ihnen unter Vorlage falscher Unterlagen einen Termin bei einer Botschaft verschafft, wo sie lediglich einmal ihre Fingerabdrücke hätten abgeben müssen. Ihnen sei bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal sicher bekannt gewesen, dass die in ihren Pässen angebrachten Visa tatsächlich echt seien. Es sei nicht ausgeschlossen, dass sie von Frankreich aus in den Iran abgeschoben würden. Wegen der hohen Zahl der Asylbewerber sei nicht sichergestellt, dass Frankreich für die Kläger eine zumutbare Wohnung zur Verfügung stellen und somit die Mindeststandards einhalten könne.
9Mit Beschluss vom 7. Mai 2014 hat das Gericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt (22 L 791/14.A).
10Am 7. August 2014 haben die Kläger beantragt, unter Abänderung des Beschlusses vom 7. Mai 2014 nunmehr die aufschiebende Wirkung der Klage in Bezug auf Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes anzuordnen. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor: Die Kläger zu 1) und 2) befänden sich aufgrund ihres psychischen Zustandes bereits seit einiger Zeit in neurologischer Behandlung. Dennoch sei am 31. Juli 2014 ein unangekündigter Abschiebeversuch unternommen worden. Die Abschiebemaßnahme sei abgebrochen worden, als die Klägerin zu 3) auf der Fahrt zum Flughafen kollabiert sei und sich im Polizeiauto übergeben habe. Durch diese Abschiebemaßnahme habe sich der Gesundheitszustand der Klägerin zu 2) derart verschlechtert, dass sie am 2. August 2014 stationär in die Klinik des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) eingewiesen worden sei. Zum Beleg haben die Kläger mehrere ärztliche Bescheinigungen vorgelegt, darunter Bescheinigungen des LVR-Klinikums E1. , Abteilung für allgemeine Psychiatrie II vom 6. August 2014 und vom 22. August 2014, ausweislich derer sich die Klägerin zu 2) seit dem 2. August 2014 aufgrund der Schwere ihrer psychischen Erkrankung mit akuter Suizidalität bis auf weiteres in stationärer Behandlung befinde und aufgrund ihrer instabilen psychopathologischen Verfassung sowie konkreten Suizidgefährdung bis auf weiteres reiseunfähig sei.
11Mit Beschluss vom 15. September 2014 hat das Gericht die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides in Abänderung des Beschlusses vom 7. Mai 2014 – 22 L 791/14. A – angeordnet (22 L 1814/14. A).
12Im Klageverfahren haben die Kläger weitere ärztliche Bescheinigungen zum Gesundheitszustand der Klägerin zu 2) vorgelegt und schriftsätzlich beantragt, die behandelnden Ärzte Dr. N. und Dr. U. als Zeugen zu vernehmen zum Beweis der aus den ärztlichen Attesten hervorgehenden, eine Reiseunfähigkeit begründenden Krankheiten der Klägerin zu 2). Ferner haben die Kläger beantragt, zum Beweis ebendieser Tatsachen ein Sachverständigengutachten einzuholen. Schließlich verweisen die Kläger darauf, dass die in Art. 29 Dublin-III-VO bestimmte Frist zur Überstellung der Kläger nach Frankreich bereits abgelaufen sei.
13Die Kläger beantragen,
14den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. März 2014 aufzuheben, soweit in Ziffer 1 das Verfahren auch bezüglich des Antrags der Kläger auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG eingestellt wurde und soweit in Ziffer 2 die Abschiebung der Kläger nach Frankreich angeordnet wurde.
15Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
18Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der dazu beigezogenen Gerichtsakten 22 L 791/14.A und 22 L 1814/14.A und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes sowie der Ausländerbehörde des Kreises L. Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten zum Termin der mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, da die Beteiligten hierauf in der ordnungsgemäßen Ladung hingewiesen wurden, § 102 Abs. 1 und 2 VwGO.
21Die Klage ist zulässig (nachfolgend I.) und begründet (nachfolgend II.).
22I. Die Klage ist zulässig.
23Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1, 1. Var. VwGO statthaft. Die isolierte Aufhebung der angefochtenen Regelungen führt auf die weitere Prüfung der Anträge der Kläger auf Zuerkennung subsidiären Schutzes durch die Beklagte und damit zu dem erstrebten Rechtsschutzziel. Denn mit der Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides in dem angefochtenen Umfang werden die Verwaltungsverfahren in den Verfahrensstand zurückversetzt, in dem sie vor Erlass der streitgegenständlichen Regelungen waren. Das Bundesamt ist im Falle einer Aufhebung des Bescheides gemäß §§ 24, 31 AsylVfG gesetzlich verpflichtet, die Asylverfahren weiterzuführen. Das Bundesamt hat sich in dem vorliegenden Fall lediglich mit der – einer materiellen Prüfung der Asylanträge vorgelagerten – Frage befasst, in welchem Umfang die Asylverfahren eingestellt werden und welcher Staat nach den Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Prüfung der verbleibenden Schutzgesuche zuständig ist. Mit der Aufhebung des Bescheides wird ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung der Asylbegehren beseitigt und die Asylverfahren sind in dem Stadium, in dem sie zu Unrecht beendet worden sind, durch das Bundesamt weiterzuführen.
24Vgl. zu Entscheidungen nach § 27a AsylVfG: OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, juris, Rdn. 28 ff.; zu Entscheidungen nach §§ 32, 33 AsylVfG: BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rdn. 15 ff.
25Die Kläger sind auch klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO. Aus ihrem Vorbringen lässt sich herleiten, dass sie – sollte sich der Bescheid in dem angefochtenen Umfang als objektiv rechtswidrig erweisen – möglicherweise in eigenen Rechten verletzt sind. Denn die angefochtenen Regelungen belasten die Kläger in ihrem subjektiv-öffentlichen Recht aus §§ 4, 24, 31 AsylVfG auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch das Bundesamt.
26Ob und gegebenenfalls inwieweit dieses Recht durch Unionsrecht, namentlich die Dublin-III-VO, beschränkt wird, bedarf hier keiner weiteren Prüfung, da eine Rechtsverletzung zumindest möglich erscheint.
27Die Kläger haben die Klage auch fristgerecht im Sinne von § 74 Abs. 1 AsylVfG, nämlich innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides, erhoben. Die Klagefrist begann mit der wirksamen Bekanntgabe des Bescheides am 29. März 2014. Der Bescheid wurde den Klägern (wie von § 31 Abs. 1 S. 4 AsylVfG vorausgesetzt) persönlich zugestellt, und zwar gemäß § 4 Abs. 1 VwZG durch die Post mittels Einschreiben durch Übergabe oder Einschreiben mit Rückschein. Damit wurde der Bescheid zugleich gemäß § 41 Abs. 5 VwVfG wirksam bekanntgegeben. Gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 VwZG gilt das Dokument am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, es ist nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen. Angesichts der Tatsache, dass der Bescheid ausweislich des Verwaltungsvorgangs am 26. März 2014 als Einschreiben zur Post aufgegeben wurde, gilt er gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 VwZG am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, mithin am 29. März 2014 als zugestellt. Die Kläger haben nicht vorgetragen, dass ihnen der Bescheid nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Die am 29. März 2014 begonnene Klagefrist war bei Klageerhebung am 1. April 2014 noch nicht abgelaufen.
28II. Die Klage ist begründet. In dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. § 77 Abs. 1 S. 1 AsylVfG) ist der Bescheid des Bundesamtes vom 25. März 2014 in dem Umfang, in dem er angefochten ist, rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO. Dies gilt sowohl für Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides, soweit darin die Asylverfahren der Kläger auch insoweit eingestellt wurden, als diese die Zuerkennung subsidiären Schutzes begehren (nachfolgend 1.), als auch für Ziffer 2 des Bescheides, mit der die Abschiebung der Kläger nach Frankreich angeordnet wurde (nachfolgend 2.).
291. Die Feststellung der Einstellung der Asylverfahren auch insoweit, als die Kläger die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG begehren, findet ihre Rechtsgrundlage nicht in der hier allein als Ermächtigungsgrundlage in Betracht kommenden Regelung des § 32 S. 1, 1. Hs., 1. Alt. AsylVfG. Nach dieser Norm stellt das Bundesamt im Falle der Antragsrücknahme in seiner Entscheidung fest, dass das Asylverfahren eingestellt ist. Diese Voraussetzungen liegen hier hinsichtlich des Antrages der Kläger auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG nicht vor. Die Kläger hatten mit anwaltlichem Schreiben vom 28. Februar 2014 ihre ursprünglich auf die Anerkennung als Asylberechtigte im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG sowie auf Zuerkennung internationalen Schutzes im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG insgesamt gerichteten Asylanträge nur teilweise zurückgenommen, nämlich in Bezug auf die Anerkennung als Asylberechtigte und die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention). Aufrechterhalten haben sie hingegen ihre Anträge auf Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie), § 4 AsylVfG. Durch die rechtswidrige Einstellung ihrer Antragsverfahren auf Zuerkennung subsidiären Schutzes werden die Kläger in ihrem subjektiv-öffentlichen Recht auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch das Bundesamt gemäß §§ 4, 24, 31 AsylVfG verletzt.
302. Die Abschiebungsanordnung nach Frankreich in Ziffer 2 des Bescheides ist ebenfalls rechtswidrig. Sie lässt sich nicht auf die allein in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage des § 34a Abs. 1 S. 1 AsylVfG stützen. Danach ordnet das Bundesamt in den Fällen, in denen der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
31Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Dabei kann dahinstehen, ob eine Abschiebungsanordnung nach dieser Norm überhaupt ergehen kann, wenn das Bundesamt – wie hier, wenn auch zu Unrecht – die Asylverfahren insgesamt gemäß § 32 S. 1, 1. Hs., 1. Alt. AsylVfG eingestellt hat. Denn jedenfalls ist Frankreich weder ein sicherer Drittstaat, aus dem die Kläger nach Deutschland eingereist sind (§ 26a AsylVfG) noch ist Frankreich für die Durchführung der Asylverfahren der Kläger zuständig (§ 27a AsylVfG).
32Die Voraussetzungen des § 26a AsylVfG sind
33– unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit dieser Norm im Anwendungsbereich derDublin-III-VO –
34schon deshalb nicht erfüllt, weil die Kläger nach eigenen Angaben aus der Türkei kommend auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist sind und auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für einen Aufenthalt in oder eine Durchreise durch Frankreich vorliegen.
35Auch die Voraussetzungen des § 27a AsylVfG sind nicht erfüllt. Die Republik Frankreich ist nicht auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung der Asylverfahren der Kläger zuständig.
36Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Dublin-III-VO. Diese findet gemäß Art. 49 Abs. 1 und 2 Dublin-III-VO auf alle in Deutschland ab dem 1. Januar 2014 gestellten Anträge auf internationalen Schutz Anwendung, mithin auch auf die im Januar 2014 gestellten Schutzgesuche der Kläger.
37Die Zuständigkeit Frankreichs für die Prüfung der Asylanträge der Kläger dürfte zwar zunächst nach Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO begründet worden sein. Die Republik Frankreich hat das an sie gerichtete Übernahmeersuchen der Beklagten vom 13. Februar 2014 auch am 13. März 2014 auf dieser Rechtsgrundlage akzeptiert. Die Zuständigkeit ist jedoch mittlerweile auf die Beklagte übergegangen. Dies folgt aus Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO. Danach ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über, wenn die Überstellung nicht innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO genannten Frist von sechs Monaten, die unter bestimmten Voraussetzungen auf höchstens 18 Monate verlängert werden kann, durchgeführt wird.
38Im vorliegenden Fall ist die Überstellung nicht in diesem Sinne fristgemäß erfolgt. Die sechsmonatige Frist beginnt nach Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO mit der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin-III-VO aufschiebende Wirkung hat. Die Frist begann nach diesen Maßstäben hier mit der Annahme des Übernahmeersuchens durch die Republik Frankreich am 13. März 2014.
39Die Frist zur Überstellung der Kläger nach Frankreich wurde nicht durch den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung vom 1. April 2014 (22 L 791/14.A) für die Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens, hier also bis zum ablehnenden Eilbeschluss vom 7. Mai 2014, unterbrochen oder gehemmt,
40vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014, - 13 A 1347/14.A -, juris, Rdn. 5 ff. m.w.N..
41Auch lagen keine Gründe für eine Verlängerung der Frist nach Art. 29 Abs. 2 S. 2 Dublin-III-VO vor. Die sechsmonatige Frist endete nach alledem mit Ablauf des 13. September 2014.
42Das Verstreichen der Überstellungsfrist hat gemäß Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO zur Folge, dass der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet ist und die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht. Die Zuständigkeit für die Prüfung der Anträge der Kläger auf Gewährung subsidiären Schutzes ist damit auf die Beklagte übergegangen.
43Die Kläger können sich im vorliegenden Klageverfahren auch auf den Übergang der Zuständigkeit auf die Beklagte berufen.
44A.A. VGH BW, Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rdn. 59 (soweit eine Überstellung in den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist); Nds.OVG, Beschluss vom 6. November 2014 – 13 LA 66/14 ‑, juris, Rdn. 9 ff (ohne Einschränkung); HessVGH, Beschluss vom 25. August 2014 – 2 A 976/14.A ‑, juris, Rdn. 15 (obiter dictum); VG Düsseldorf , Urteil vom 23. Oktober 2014 – 13 K 471/14.A ‑, juris, Rdn. 43; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 102. Ergänzungslieferung, November 2014, § 27a, Rdn. 234, 196.1 (mit Ausnahmen); Hailbronner, Ausländerrecht, 88. Ergänzungslieferung, Oktober 2014, § 27a AsylVfG, Rdn. 20 ff.; Günther, in: Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 5. Edition, Stand: 1. September 2014, § 27a AsylVfG Rdn. 29 ff.; offen gelassen: OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 ‑ 14 A 1943/11.A ‑, juris, Rdn. 24 (das Vorabentscheidungsverfahren bei EuGH, Rs. C-666/11 endete ohne Sachentscheidung nach Rücknahme des Ersuchens wegen Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache beim OVG NRW); vgl. ferner zum Ablauf der Frist zur Stellung des Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeersuchens: VGH BW, Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, juris; Rdn. 25, 27 (bei zeitnaher Überstellung); OVG RhPf, Urteil vom 21. Februar 2014 ‑ 10 A 10656/13 ‑, juris, Rdn. 33.
45Die Kläger haben gemäß §§ 24, 31 AsylVfG ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte. Diese darf auf der Rechtsgrundlage der §§ 27a, 34a AsylVfG die weitere Prüfung eines Asylantrages nur dann ablehnen und eine Abschiebungsanordnung in einen anderen Mitgliedstaat erlassen, wenn dieser andere Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist der Verwaltungsakt rechtswidrig. Zugleich verletzt der objektiv rechtswidrige Verwaltungsakt das subjektiv-öffentliche Recht der Kläger aus §§ 24, 31 AsylVfG, und zwar unabhängig vom Schutzzweck der Norm, deren Verletzung zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts führt. Der Individualschutzzweck von Normen ist nur für diejenigen von Bedeutung, die keine materielle Beeinträchtigung ihrer Rechtsstellung durch den angefochtenen Verwaltungsakt dartun können.
46Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., 2014, § 45 Rdn. 126.
47Die Kläger hingegen werden durch Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides in ihrer Rechtstellung aus §§ 24, 31 AsylVfG materiell beeinträchtigt, wenn die Beklagte die Prüfung der Schutzgesuche mit Verweis auf die Zuständigkeit eines anderen Staates ablehnt, obwohl ihre Zuständigkeit nach den Bestimmungen der Dublin-III-Verordnung objektiv begründet ist.
48Dem nach nationalem Recht bestehenden subjektiv-öffentlichen Recht der Kläger auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die nach der Dublin-III-VO objektiv hierfür zuständige Beklagte steht auch der Anwendungsvorrang des Unionsrechts nicht entgegen. Denn es liegt schon keine Kollision des nationalen Rechts mit der gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV vorrangig anzuwendenden Dublin-III-VO vor.
49Die Zuständigkeitsregelungen in der Dublin-III-VO begründen unmittelbare Rechte der betroffenen Ausländer auf Beachtung dieser Regelungen durch alle Behörden der Mitgliedstaaten. Dies folgt schon aus der Rechtsnatur der Dublin-III-VO. Diese gilt (wie alle EU-Verordnungen) gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Diese unmittelbare Geltung bedeutet, dass die Verordnungen nicht nur für die Mitgliedstaaten (untereinander) gelten, sondern in den Mitgliedstaaten,
50Ulrich Haltern, Europarecht, Tübingen 2005, S. 284 (Hervorhebung im Original).
51Hierin unterscheidet sich das Unionsrecht gerade von Völkervertragsrecht, mit dem sich lediglich die Vertragsstaaten untereinander binden. Das Unionsrecht ist eine Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen sind. Das von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unabhängige Unionsrecht soll daher den Einzelnen, ebenso wie es ihnen Pflichten auferlegt, auch Rechte verleihen,
52EuGH, Urteil vom 5. Februar 1963, Rs. 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, S. 25.
53Die Dublin-III-VO regelt damit schon aufgrund ihrer Rechtsnatur nicht nur Verpflichtungen der Mitgliedstaaten untereinander, sondern auch unmittelbar die Rechtsstellung jedes einzelnen Normunterworfenen, das heißt auch der Drittstaatsangehörigen, auf die die Dublin-III-VO Anwendung findet.
54Der Dublin-III-VO kann auch nicht entnommen werden, dass in Bezug auf die dort geregelten Zuständigkeitsbestimmungen ausnahmsweise etwas anderes gelten sollte, insbesondere ein Asylbewerber, der für die Prüfung seines Asylantrages an einen anderen Mitgliedstaat verwiesen wird, einen hierin liegenden objektiven Verstoß gegen die Zuständigkeitsbestimmungen der Verordnung nicht oder nur unter bestimmten Umständen rügen kann.
55Dies unter Verweis auf den Zweck der Dublin-II-VO erwägend und im Ergebnis ein subjektiv-öffentliches Recht des Ausländers aus der Ermessensvorschrift des Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO (Selbsteintrittsrecht) verneinend: Schlussanträge des GA Jääskinen vom 18. April 2013 ‑ C‑4/11 ‑, Rdn. 58.
56Indem der Unionsgesetzgeber die ursprünglich in einem völkerrechtlichen Vertrag (Dubliner Übereinkommen) vereinbarten Zuständigkeitskriterien für die Prüfung eines Schutzgesuchs ausdifferenziert und in einer EU-Verordnung kodifiziert hat, hat er diese Regelungen zugleich mit den aus Art. 288 Abs. 2 AEUV folgenden Rechtswirkungen ausgestattet. Diese Rechtsqualität der Regelungen steht auch nicht in Widerspruch zu ihrem Sinn und Zweck. Der Unionsgesetzgeber hat die Zuständigkeitsbestimmungen erlassen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrages zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem „forum shopping“ zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen,
57EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013, C‑394/12 (Abdullahi), Rdn. 53, juris; vgl. auch Schlussanträge des GA Jääskinen vom 18. April 2013 ‑ C‑4/11 ‑, Rdn. 57.
58Diese Ziele werden am effektivsten durch die zuverlässige und gleichmäßige Befolgung der in der Dublin-III-VO geregelten Zuständigkeitskriterien in allen Mitgliedstaaten erreicht. Das „forum shopping“ wird unterbunden, indem einem einzigen Mitgliedstaat die Zuständigkeit für die Prüfung des Schutzgesuches zugeordnet wird; die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des zuständigen Staates wird durch detaillierte Kriterien, die keine Entscheidungsspielräume der Mitgliedstaaten vorsehen, erhöht; die Asylverfahren werden insgesamt beschleunigt, indem das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates verbindlich geltenden kurzen Fristen unterworfen wird.
59Die unmittelbare, auch von den Betroffenen durchsetzbare Rechtswirkung der Zuständigkeitsbestimmungen der Dublin-III-VO ‑ soweit sie einem Mitgliedstaat die Zuständigkeit ohne Ermessensspielraum zuweisen ‑ widerspricht diesen Zielen nicht, sondern fördert ihre Erreichung. Der Grundsatz der Effektivität des Unionsrechts („effet utile“) findet eine wesentliche Stütze gerade darin, dass sich der Einzelne vor nationalen Gerichten auf unmittelbar geltendes Unionsrecht berufen kann. Mit Hilfe der Doktrin der unmittelbaren Anwendbarkeit werden die an der Wahrung ihrer Rechte interessierten Betroffenen zu Wächtern des Unionsrechtssystems erhoben, die dessen effektive Anwendung in den Mitgliedstaaten sichern,
60Vgl. Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Kurz-Kommentar, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV, Rdn. 49 m.w.N.
61Zum Zweck der effektiven und gleichen Wirkung des Unionsrechts sollen die Einzelnen, soweit es um den staatlichen Vollzug des Unionsrechts geht, eine dezentrale, die Kommission entlastende Vollzugskontrolle vornehmen können,
62vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt-Kommentar, Band III, EUV/AEUV, Stand September 2014, Art. 288 AEUV Rdn. 44.
63Andernfalls könnte auch Art. 267 AEUV, der zum Zweck der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten das Verfahren zur Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über die Auslegung unionsrechtlicher Bestimmungen auf Vorlage nationaler Gerichte vorsieht, seine Wirkung nicht entfalten. Art. 267 AEUV setzt voraus, dass sich der Einzelne vor nationalen Gerichten auf unmittelbar anwendbares Unionsrecht berufen kann und damit die Frage der Auslegung einer unionsrechtlichen Bestimmung vor dem nationalen Gericht streitentscheidende Bedeutung gewinnt. Der alleinigen Entscheidungskompetenz des EuGH bei der Auslegung des Unionsrechts liefe es zuwider, einer unionsrechtlichen Bestimmung in einem Verfahren vor einem nationalen Gericht (ohne vorherige Klärung der Rechtsfrage durch den EuGH) mit Verweis auf mangelnde individualschützende Wirkung eine streitentscheidende Bedeutung von vornherein abzusprechen.
64Aufgrund dieser generellen Bedeutung der unmittelbaren, individualrechtsbegründenden Anwendbarkeit des Unionsrechts für die Sicherstellung seiner Effektivität kommt es für die Frage, ob sich der Einzelne auf Unionsrecht berufen kann, auch nicht darauf an, ob eine Vorschrift des Unionsrechts bezweckt, individuelle Rechte zu schaffen. Entscheidend ist vielmehr, ob die sich aus der Vorschrift ergebende Verpflichtung anderer Rechtssubjekte eindeutig ist, weil sie hinreichend klar und unbedingt formuliert ist.
65Vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt-Kommentar, Band III, EUV/AEUV, Stand September 2014, Art. 288 AEUV Rdn. 46; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Kurz-Kommentar, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV, Rdn. 51 m.w.N.
66Dies ist bei Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO der Fall. Die Norm regelt den Übergang der Zuständigkeit nach Ablauf der Überstellungsfrist eindeutig, klar und unbedingt, insbesondere sieht sie auch keinen Entscheidungsspielraum einer nationalen Behörde vor.
67Der Annahme, dass sich ein Asylbewerber auf die nach der Dublin-III-Verordnung zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung objektiv begründete Zuständigkeit eines Mitgliedstaates für die Prüfung seines Schutzgesuches berufen kann, steht auch die Rechtsprechung des EuGH,
68Urteil vom 10. Dezember 2013 (Abdullahi), - C-394/12 -, juris,
69sowie des Bundesverwaltungsgerichts,
70Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rdn. 7 und vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 ‑, juris, Rdn. 6,
71nicht entgegen.
72Diesen Entscheidungen ist keine Aussage zur subjektiv-rechtlichen Dimension von (Überstellungs-)Fristen zu entnehmen,
73vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 - 13 K 471/14.A -, Rdn. 41, juris mit Hinweis auf VG Düsseldorf, Urteil vom 15. August 2014 - 13 K 1117/14.A -, Rdn. 54 ff., juris.
74Insbesondere lässt sich eine dahingehende Aussage nicht aus dem vom EuGH aufgestellten Rechtssatz entnehmen, dass der betreffende Ausländer in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat seiner Aufnahme nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 Dublin-II-VO niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat (Mitgliedstaat der ersten Einreise), der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden.
75Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 (Abdullahi) - C-394/12 -, Rdn. 62, juris,
76Mit diesem Rechtssatz betont der EuGH gerade die Verbindlichkeit der in der Dublin-Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriterien, die ihre Grenze erst in der im Einzelfall anzunehmenden tatsächlichen Gefahr der Verletzung eines in der Grundrechtecharta verbürgten Rechts findet. Demgegenüber lässt sich dem vom EuGH aufgestellten Rechtssatz keine Aussage des Inhalts entnehmen, dass sich ein Asylbewerber nicht (oder nur unter bestimmten Bedingungen) auf die Beachtung eines in der Dublin-Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriteriums berufen kann.
77So liegt der Fall hier. Mit dem von den Klägern geltend gemachten Einwand, dass die Zuständigkeit für die Prüfung ihrer Schutzgesuche wegen Überschreitens der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO auf die Beklagte übergegangen ist, wenden sich die Kläger ‑ anders als in dem vom EuGH entschiedenen Fall ‑ gerade nicht gegen die Heranziehung eines in der Dublin-III-VO niedergelegten Zuständigkeitskriteriums, sondern berufen sich auf dieses.
78Auch das BVerwG geht erkennbar nicht davon aus, dass andere Einwände gegen eine Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat als der Einwand systemischer Mängel unbeachtlich wären. Vielmehr benennt es in dem zuletzt ergangenen Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 – konkret die als unbeachtlich einzustufenden Einwände:
79„Aus der zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt sich, dass ein Asylbewerber der Überstellung in den nach der Dublin-II-Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten kann und es nicht darauf ankommt, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war.“
80BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 ‑, juris, Rdn. 6, Hervorhebung nicht im Original.
81Dies verdeutlicht, dass die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates der Prüfung vorgelagert ist, ob einer Überstellung dorthin systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegenstehen. Auch wird die Beschränkung berücksichtigungsfähiger Einwände auf den Einwand systemischer Mängel nur insoweit ausgesprochen, als der Asylbewerber der Überstellung mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen in diesem Staat entgegentritt.
82Eine Beschränkung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers im Hinblick auf die Geltendmachung objektiver Verstöße gegen die Zuständigkeitsregelungen der Dublin-III-Verordnung lässt sich auch nicht mit der Überlegung belegen oder bekräftigen, dass es dem Asylbewerber unbenommen ist, sich freiwillig bei der ihm genannten Stelle des anderen Mitgliedstaates zu melden und hierdurch selbst das Verfahren zu beschleunigen.
83Zu den Modalitäten einer Überstellung auf Initiative des Asylbewerbers siehe Art. 7 Abs. 1 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003, zuletzt geändert durch Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 (DVO Dublin III).
84Zwar kann der Asylbewerber damit zu einer Beschleunigung beitragen. Aus einer fehlenden Inanspruchnahme dieses Rechts kann jedoch nicht auf den Verlust des subjektiv-öffentlichen Rechts des Asylbewerbers auf materielle Prüfung seines Schutzgesuches durch die Beklagte geschlossen werden. Insbesondere steht der vom Gebot von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB abgeleitete Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens ("venire contra factum proprium") der Geltendmachung dieses subjektiv-öffentlichen Rechts nicht entgegen.
85So aber VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 13 K 471/14.A ‑, juris, Rdn. 45 ff.
86Ein widersprüchliches Verhalten der Kläger liegt
87– ganz abgesehen davon, dass im deutschen Recht die Möglichkeit der Überstellung des betroffenen Asylbewerbers auf eigene Initiative gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt ist (vgl. hierzu: VGH BW, Beschluss vom 4. Juli 2014 – A 11 S 1230/14 ‑, juris, Rdn. 4) und die Kläger im vorliegenden Fall (soweit ersichtlich) über dieses ihnen zustehende Initiativrecht auch nicht unterrichtet wurden –
88nicht vor. Die Kläger rügen nicht etwa eine unangemessene Dauer ihrer Verfahren, die sie selbst hätten beschleunigen können. Vielmehr begehren sie die materielle Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte. Selbst wenn zwischenzeitlich ein anderer Staat für die Durchführung ihrer Asylverfahren zuständig gewesen sein sollte, kann ein widersprüchliches Verhalten der Kläger nicht darin gesehen werden, dass sie an ihrem Begehren der Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte festgehalten haben. Die Kläger haben sich zur Begründung ihres Begehrens nicht auf eine drohende unzumutbare Dauer ihrer Schutzgesuche gestützt, sondern auf gesundheitliche Beeinträchtigungen, die der tatsächlichen Durchführung ihrer Überstellung entgegenstünden.
89Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob ein Verlust des subjektiv-öffentlichen Rechts auf Prüfung des Schutzgesuches durch den Staat, der infolge des Ablaufs der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO zuständig geworden ist, dann eintreten kann, wenn dieses Recht missbräuchlich in Anspruch genommen wird. Denn dafür fehlen hier jegliche Anhaltspunkte. Insbesondere haben sich die Kläger weder der ausländerrechtlichen Überwachung entzogen noch Überstellungsmaßnahmen widersetzt. Dass sie unter Vorlage ärztlicher Atteste Rechtsschutz gegen die Abschiebungsanordnung gesucht haben und sich insoweit auf gesundheitliche Überstellungshindernisse berufen, kann nicht als missbräuchliches Verhalten gewertet werden.
90Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Tenor
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 23. Mai 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
1Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
2Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG wegen der allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob mit Bekanntgabe des Beschlusses, mit dem der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt worden ist, die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO neu zu laufen beginnt, da eine Abschiebung wegen der Regelung des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG während der Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens unzulässig war, ist nicht grundsätzlich klärungsbedürftig.
3Es kann offen bleiben, ob dies schon deshalb gilt, weil es sich um auslaufendes Recht handelt. Für alle ab dem 1. Januar 2014 gestellten Anträge auf internationalen Schutz sowie Gesuche der Mitgliedstaaten auf Aufnahme oder Wiederaufnahme ist nicht mehr die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (im Folgenden: Dublin II-VO), sondern nach ihrem Artikel 49 Abs. 2 die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) anwendbar.
4Die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage bedarf jedenfalls deshalb nicht der Klärung im Berufungsverfahren, weil sie sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres – verneinend – beantworten lässt.
5Nach § 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Entscheidung über den Rechtsbehelf die (rechtskräftige) gerichtliche Entscheidung über die Klage gegen die Überstellungsentscheidung im Hauptsacheverfahren ist.
6Vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 53, und Beschluss vom 8. Mai 2014 – 13 A 827/14.A -, juris, Rn. 5; wie hier etwa auch VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. März 2014 – 13 L 644/14.A -, juris; VG Göttingen, Beschluss vom 30. Juni 2014 – 2 B 86/14 -, juris.
7Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Bestimmung. Dem Rechtsbehelf selbst muss aufschiebende Wirkung zukommen. Dies trifft – auch nach dem Unionsrecht – nur auf einen Rechtsbehelf zu, mit dem über die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung und ihren Bestand (abschließend) entschieden wird. Mit einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht die Aufhebung der behördlichen Entscheidung, sondern nur die Aussetzung des Vollzugs erreicht werden. Zudem vermag nicht die Antragstellung, sondern nur die stattgebende gerichtliche Entscheidung die aufschiebende Wirkung herbeizuführen, deren Endpunkt die Hauptsacheentscheidung ist.
8Diese Überlegungen werden durch die Systematik der Dublin II-VO bestätigt. Gegenstand des Rechtsbehelfs ist die Entscheidung des Beklagten nach Art. 19 Abs. 1 Dublin II-VO, den Asylantrag nicht zu prüfen und den Antragsteller an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen. Nach Art. 19 Abs. 2 Satz 3 Dublin II-VO kann gegen diese Entscheidung ein Rechtsbehelf eingelegt werden. Dass dies allein die Klage, nicht aber der Antrag auf Aussetzung sein kann, zeigt vor allem Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO. Danach hat der gegen die Überstellungsentscheidung eingelegte Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders. An diese Vorgaben, die der Sache nach zwischen dem Hauptsache- und dem Aussetzungsverfahren trennen, knüpft der folgende Absatz 3 des Art. 19 Dublin II-VO an, indem er die Frist nur dann erst mit der Entscheidung über den Rechtsbehelf beginnen lässt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wenn er also – so lässt sich mit Blick auf Absatz 2 präzisieren – im Einzelfall aufgrund einer Entscheidung der Gerichte oder zuständigen Stellen nach Maßgabe des mitgliedstaatlichen Rechts aufschiebende Wirkung hat. Dem entspricht das nationale Recht. Ein Rechtsbehelf, dem aufschiebende Wirkung zukommt, ist nach § 80 Abs. 1 VwGO – neben dem Widerspruch – nur die Klage. Die Klage gegen die Überstellungsentscheidung des Bundesamts hat – unionsrechtskonform – aber nach § 75 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung, es sei denn, diese wird gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG in der seit dem 6. September 2013 gültigen Fassung im Einzelfall durch das Gericht angeordnet.
9Hielte man den vorläufigen Rechtsschutzantrag für den Rechtsbehelf im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO, führte dies überdies zu dem sinnwidrigen Ergebnis, dass auch bei einer Stattgabe die Überstellungsfrist zu laufen begänne und regelmäßig vor einer Entscheidung in der Hauptsache abliefe. In der Rechtsprechung ist aber anerkannt, dass bei Aussetzung der Vollziehung der Überstellung die Frist erst mit der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung im Hauptsachverfahren beginnt.
10Vgl. dazu EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495; OVG NRW, Beschluss vom 8. Mai 2014 - 13 A 827/14.A -, juris (zu § 34a Abs. 2 AsylVfG a.F. und einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO); Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 - 4 MC 133/12 -, juris; VGH Bad-Württ., Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 -, juris.
11Diese systematischen Überlegungen werden durch die Dublin III-VO bestätigt, in deren Art. 27 klar zwischen dem Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung und dem Antrag, die Durchführung einer Überstellungsentscheidung auszusetzen, unterschieden wird.
12Hiervon ausgehend führen Sinn und Zweck der Überstellungsfrist, den Mitgliedstaaten Zeit zu geben, um die (technischen) Modalitäten der Durchführung der Überstellung zu regeln, wofür grundsätzlich die vollen sechs Monate zur Verfügung stehen sollen,
13vgl. dazu EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495,
14zu keinem anderen Ergebnis. Die Frist berechnet sich in der Regel ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme durch den zuständigen Mitgliedstaat, da ein gegen die Überstellungsentscheidung eingereichter Rechtsbehelf nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO keine aufschiebende Wirkung hat. Nur wenn ausnahmsweise aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung im Einzelfall die Vollziehung ausgesetzt ist, ist die Entscheidung über den Rechtsbehelf im Hauptsacheverfahren – also die abschließende gerichtliche Entscheidung darüber, ob die Überstellung in Zukunft erfolgen wird – für den Fristbeginn maßgeblich.
15Hiervon ausgehend kann auch § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG nicht dazu führen, dass die Überstellungsfrist erst oder erneut mit der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu laufen beginnt.
16So aber VG Düsseldorf, Beschluss vom 7. April 2014 - 2 L 55/14.A -, juris, Rn. 21; VG Göttingen, Beschluss vom 28. November 2013 - 2 B 887/13 -, juris, Rn. 7 ff.; VG Hamburg, Beschluss vom 4. Juni 2014 - 10 AE 2414/14 -, juris, Rn. 20 ff.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, November 2013, § 27a Rn. 227 f.
17Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung bei rechtzeitiger Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Dadurch wird, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht zu einem Rechtsbehelf im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO, der nach der obigen Auslegung allein die Klage ist. Die Anordnung eines Vollziehungshindernisses durch den nationalen Gesetzgeber kann ferner deshalb nicht mit der vorläufigen Aussetzung des Vollzugs der Abschiebungsanordnung durch gerichtlichen Eilbeschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO gleichgesetzt werden, weil dies den unmittelbar geltenden Vorgaben der Dublin II-VO zuwider liefe. Nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO steht die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes der Durchführung der Überstellung nicht entgegen, es sei denn, der Rechtsbehelf hat aufgrund einer Entscheidung der Gerichte oder zuständigen Stellen im Einzelfall aufschiebende Wirkung. Verankert ist damit zum einen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, zum anderen das Erfordernis einer gerichtlichen oder behördlichen, konkret-individuellen Anordnung. Dem liegt der Beschleunigungsgedanke zugrunde, der auch Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO ist, wonach die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat der Asylantragstellung übergeht, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Im öffentlichen Interesse soll eine zeitnahe Überstellung erfolgen, im Interesse des Asylbewerbers sein Antrag in angemessener Zeit geprüft werden.
18Dem Einwand der Beklagten, es stünden dann aber in Deutschland aufgrund des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG nicht die vollen sechs Monate für die Organisation der Überstellung zur Verfügung, eine Schlechterstellung als Folge eines zugunsten der Antragsteller geschaffenen gesetzlichen Abschiebungshindernisses sei aber unzulässig, ist nicht zu folgen. Die bloße Hemmung der Vollziehung hindert die zuständige Ausländerbehörde schon nicht, bis zur Entscheidung über den Eilantrag bereits mit der Vorbereitung der weiterhin zulässigen, nur noch nicht durchführbaren Überstellung zu beginnen.
19So auch VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. März 2014 – 13 L 644/14.A -, juris, Rn. 26.
20Abgesehen davon beruht die von der Beklagten bemängelte Verkürzung des sechsmonatigen Zeitraums um die Dauer des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens auf einer Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, die durch die Dublin II-VO nicht vorgegeben ist. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie II) vom 28. August 2013 (BGBl. I, S. 3474) ist § 34a Abs. 2 AsylVfG bereits mit Wirkung vom 6. September 2013 geändert worden, obwohl zu dem Zeitpunkt noch die Dublin II-VO anwendbar war. Die Vorgabe des Art. 27 Abs. 3 lit. c Satz 2 der Dublin III-VO, wonach die Überstellung auszusetzen ist, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ihrer Durchführung ergangen ist, ist erst ab dem 1. Januar 2014 – und damit auch für eine Vielzahl von Altfällen noch nicht – anwendbar.
21Entgegenstehende Rechtsprechung anderer Obergerichte, die eine bundeseinheitliche Klärung erforderte, ist nicht ersichtlich. Mit dem Hinweis auf abweichende Entscheidungen einzelner erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte wird angesichts des Vorstehenden kein grundsätzlicher Klärungsbedarf aufgezeigt.
22Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.
23Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
Tenor
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 23. Mai 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
1Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
2Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG wegen der allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob mit Bekanntgabe des Beschlusses, mit dem der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt worden ist, die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO neu zu laufen beginnt, da eine Abschiebung wegen der Regelung des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG während der Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens unzulässig war, ist nicht grundsätzlich klärungsbedürftig.
3Es kann offen bleiben, ob dies schon deshalb gilt, weil es sich um auslaufendes Recht handelt. Für alle ab dem 1. Januar 2014 gestellten Anträge auf internationalen Schutz sowie Gesuche der Mitgliedstaaten auf Aufnahme oder Wiederaufnahme ist nicht mehr die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (im Folgenden: Dublin II-VO), sondern nach ihrem Artikel 49 Abs. 2 die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) anwendbar.
4Die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage bedarf jedenfalls deshalb nicht der Klärung im Berufungsverfahren, weil sie sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres – verneinend – beantworten lässt.
5Nach § 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Entscheidung über den Rechtsbehelf die (rechtskräftige) gerichtliche Entscheidung über die Klage gegen die Überstellungsentscheidung im Hauptsacheverfahren ist.
6Vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 53, und Beschluss vom 8. Mai 2014 – 13 A 827/14.A -, juris, Rn. 5; wie hier etwa auch VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. März 2014 – 13 L 644/14.A -, juris; VG Göttingen, Beschluss vom 30. Juni 2014 – 2 B 86/14 -, juris.
7Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Bestimmung. Dem Rechtsbehelf selbst muss aufschiebende Wirkung zukommen. Dies trifft – auch nach dem Unionsrecht – nur auf einen Rechtsbehelf zu, mit dem über die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung und ihren Bestand (abschließend) entschieden wird. Mit einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht die Aufhebung der behördlichen Entscheidung, sondern nur die Aussetzung des Vollzugs erreicht werden. Zudem vermag nicht die Antragstellung, sondern nur die stattgebende gerichtliche Entscheidung die aufschiebende Wirkung herbeizuführen, deren Endpunkt die Hauptsacheentscheidung ist.
8Diese Überlegungen werden durch die Systematik der Dublin II-VO bestätigt. Gegenstand des Rechtsbehelfs ist die Entscheidung des Beklagten nach Art. 19 Abs. 1 Dublin II-VO, den Asylantrag nicht zu prüfen und den Antragsteller an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen. Nach Art. 19 Abs. 2 Satz 3 Dublin II-VO kann gegen diese Entscheidung ein Rechtsbehelf eingelegt werden. Dass dies allein die Klage, nicht aber der Antrag auf Aussetzung sein kann, zeigt vor allem Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO. Danach hat der gegen die Überstellungsentscheidung eingelegte Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders. An diese Vorgaben, die der Sache nach zwischen dem Hauptsache- und dem Aussetzungsverfahren trennen, knüpft der folgende Absatz 3 des Art. 19 Dublin II-VO an, indem er die Frist nur dann erst mit der Entscheidung über den Rechtsbehelf beginnen lässt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wenn er also – so lässt sich mit Blick auf Absatz 2 präzisieren – im Einzelfall aufgrund einer Entscheidung der Gerichte oder zuständigen Stellen nach Maßgabe des mitgliedstaatlichen Rechts aufschiebende Wirkung hat. Dem entspricht das nationale Recht. Ein Rechtsbehelf, dem aufschiebende Wirkung zukommt, ist nach § 80 Abs. 1 VwGO – neben dem Widerspruch – nur die Klage. Die Klage gegen die Überstellungsentscheidung des Bundesamts hat – unionsrechtskonform – aber nach § 75 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung, es sei denn, diese wird gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG in der seit dem 6. September 2013 gültigen Fassung im Einzelfall durch das Gericht angeordnet.
9Hielte man den vorläufigen Rechtsschutzantrag für den Rechtsbehelf im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO, führte dies überdies zu dem sinnwidrigen Ergebnis, dass auch bei einer Stattgabe die Überstellungsfrist zu laufen begänne und regelmäßig vor einer Entscheidung in der Hauptsache abliefe. In der Rechtsprechung ist aber anerkannt, dass bei Aussetzung der Vollziehung der Überstellung die Frist erst mit der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung im Hauptsachverfahren beginnt.
10Vgl. dazu EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495; OVG NRW, Beschluss vom 8. Mai 2014 - 13 A 827/14.A -, juris (zu § 34a Abs. 2 AsylVfG a.F. und einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO); Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 - 4 MC 133/12 -, juris; VGH Bad-Württ., Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 -, juris.
11Diese systematischen Überlegungen werden durch die Dublin III-VO bestätigt, in deren Art. 27 klar zwischen dem Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung und dem Antrag, die Durchführung einer Überstellungsentscheidung auszusetzen, unterschieden wird.
12Hiervon ausgehend führen Sinn und Zweck der Überstellungsfrist, den Mitgliedstaaten Zeit zu geben, um die (technischen) Modalitäten der Durchführung der Überstellung zu regeln, wofür grundsätzlich die vollen sechs Monate zur Verfügung stehen sollen,
13vgl. dazu EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495,
14zu keinem anderen Ergebnis. Die Frist berechnet sich in der Regel ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme durch den zuständigen Mitgliedstaat, da ein gegen die Überstellungsentscheidung eingereichter Rechtsbehelf nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO keine aufschiebende Wirkung hat. Nur wenn ausnahmsweise aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung im Einzelfall die Vollziehung ausgesetzt ist, ist die Entscheidung über den Rechtsbehelf im Hauptsacheverfahren – also die abschließende gerichtliche Entscheidung darüber, ob die Überstellung in Zukunft erfolgen wird – für den Fristbeginn maßgeblich.
15Hiervon ausgehend kann auch § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG nicht dazu führen, dass die Überstellungsfrist erst oder erneut mit der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu laufen beginnt.
16So aber VG Düsseldorf, Beschluss vom 7. April 2014 - 2 L 55/14.A -, juris, Rn. 21; VG Göttingen, Beschluss vom 28. November 2013 - 2 B 887/13 -, juris, Rn. 7 ff.; VG Hamburg, Beschluss vom 4. Juni 2014 - 10 AE 2414/14 -, juris, Rn. 20 ff.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, November 2013, § 27a Rn. 227 f.
17Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung bei rechtzeitiger Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Dadurch wird, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht zu einem Rechtsbehelf im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO, der nach der obigen Auslegung allein die Klage ist. Die Anordnung eines Vollziehungshindernisses durch den nationalen Gesetzgeber kann ferner deshalb nicht mit der vorläufigen Aussetzung des Vollzugs der Abschiebungsanordnung durch gerichtlichen Eilbeschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO gleichgesetzt werden, weil dies den unmittelbar geltenden Vorgaben der Dublin II-VO zuwider liefe. Nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO steht die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes der Durchführung der Überstellung nicht entgegen, es sei denn, der Rechtsbehelf hat aufgrund einer Entscheidung der Gerichte oder zuständigen Stellen im Einzelfall aufschiebende Wirkung. Verankert ist damit zum einen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, zum anderen das Erfordernis einer gerichtlichen oder behördlichen, konkret-individuellen Anordnung. Dem liegt der Beschleunigungsgedanke zugrunde, der auch Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO ist, wonach die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat der Asylantragstellung übergeht, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Im öffentlichen Interesse soll eine zeitnahe Überstellung erfolgen, im Interesse des Asylbewerbers sein Antrag in angemessener Zeit geprüft werden.
18Dem Einwand der Beklagten, es stünden dann aber in Deutschland aufgrund des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG nicht die vollen sechs Monate für die Organisation der Überstellung zur Verfügung, eine Schlechterstellung als Folge eines zugunsten der Antragsteller geschaffenen gesetzlichen Abschiebungshindernisses sei aber unzulässig, ist nicht zu folgen. Die bloße Hemmung der Vollziehung hindert die zuständige Ausländerbehörde schon nicht, bis zur Entscheidung über den Eilantrag bereits mit der Vorbereitung der weiterhin zulässigen, nur noch nicht durchführbaren Überstellung zu beginnen.
19So auch VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. März 2014 – 13 L 644/14.A -, juris, Rn. 26.
20Abgesehen davon beruht die von der Beklagten bemängelte Verkürzung des sechsmonatigen Zeitraums um die Dauer des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens auf einer Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, die durch die Dublin II-VO nicht vorgegeben ist. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie II) vom 28. August 2013 (BGBl. I, S. 3474) ist § 34a Abs. 2 AsylVfG bereits mit Wirkung vom 6. September 2013 geändert worden, obwohl zu dem Zeitpunkt noch die Dublin II-VO anwendbar war. Die Vorgabe des Art. 27 Abs. 3 lit. c Satz 2 der Dublin III-VO, wonach die Überstellung auszusetzen ist, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ihrer Durchführung ergangen ist, ist erst ab dem 1. Januar 2014 – und damit auch für eine Vielzahl von Altfällen noch nicht – anwendbar.
21Entgegenstehende Rechtsprechung anderer Obergerichte, die eine bundeseinheitliche Klärung erforderte, ist nicht ersichtlich. Mit dem Hinweis auf abweichende Entscheidungen einzelner erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte wird angesichts des Vorstehenden kein grundsätzlicher Klärungsbedarf aufgezeigt.
22Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.
23Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 22. Mai 2013 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem die Unzulässigkeit eines von ihm in Deutschland gestellten Asylantrags festgestellt und die Abschiebung nach Italien angeordnet wird. Er begehrt die Ausübung des Selbsteintrittsrechts und die sachliche Prüfung des Asylantrags in Deutschland.
- 2
Der Kläger stellte am 2. August 2012 bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Trier (Bundesamt) einen Asylantrag, nachdem er am 17. Juli 2012 als Asylbewerber erfasst worden war. Bei der Antragstellung gab er an, am 5. August 1988 in Mogadischu geboren zu sein und die somalische Staatsangehörigkeit zu besitzen. Er sei Mitglied der Volksgruppe der Hawadle und sunnitischer Religionszugehörigkeit.
- 3
Bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 29. August 2012 trug der Kläger vor, zwei Jahre lang als Schneider ausgebildet worden zu sein und diesen Beruf ein Jahr lang selbständig ausgeübt zu haben. Seine Schneiderei habe in der Nähe einer Fabrikruine gelegen, auf deren Gelände äthiopische Soldaten campiert hätten. Immer wieder seien diese von Mitgliedern der Al Shabaab attackiert worden. Auch die äthiopischen Soldaten hätten angegriffen. Die Al Shabaab sei zu ihm gekommen und habe gesagt, sie brauche Hilfe. Er habe nicht kämpfen wollen und sei im August 2008 geflohen. Hierzu habe er Mogadischu mit einem Kraftfahrzeug verlassen und sei über Addis Abeba und Khartum nach Tripolis gelangt, wo er am 18. November 2008 angekommen sei. Von dort aus sei er mit einem Boot nach Sizilien gefahren und am 25. Mai 2009 gelandet. Auf seinen Asylantrag hin habe er in Italien den Status eines subsidiär Schutzberechtigten erhalten. Danach habe er das Flüchtlingslager verlassen müssen und sei nach Florenz gegangen. Dort habe ihm die Caritas einmal am Tag etwas zu essen gegeben. Einen Monat lang habe er in einem verlassenen Haus ohne Wasser und Strom gelebt. Dann sei er insgesamt zwei Mal in die Niederlande gefahren und habe versucht, dort Asyl zu bekommen. Er sei aber jedesmal nach Italien zurückgeflogen worden. Die Polizisten am Flughafen Rom hätten ihm gesagt, er solle zum Bahnhof gehen. Dort seien viele Somalis gewesen, die ihn zur somalischen Botschaft in Rom gebracht hätten. Die Botschaft sei aufgegeben und von Flüchtlingen zum Übernachten genutzt worden. Es sei furchtbar dreckig gewesen und man habe krank werden können. Es habe Wasser, aber keinen Strom gegeben. Schließlich habe er sich auf den Weg nach Deutschland gemacht, wo er am 14. Juli 2012 angekommen sei.
- 4
Er sei krank. Er leide an einer schiefen Wirbelsäule und könne manchmal nicht gehen, außerdem habe er einen Vitamin-D-Mangel und eine Magenerkrankung. In Italien habe man ihm im Krankenhaus nur eine Schmerzspritze gegeben, weil er keinen Gesundheitsausweis habe vorzeigen können.
- 5
Die niederländischen Behörden wiesen ein Übernahmeersuchen der Beklagten zurück und teilten mit, dass sie den Kläger ihrerseits am 23. Dezember 2010 und 10. Oktober 2011 nach Italien überstellt hätten.
- 6
Auf entsprechenden Antrag vom 17. Dezember 2012 akzeptierten die italienischen Behörden mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 unter Bezugnahme auf Art. 16 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 - Dublin-II-VO - ihre Zuständigkeit, wobei der Kläger dort mit syrischer Staatsangehörigkeit und dem Geburtsdatum 1. Januar 1988 geführt wurde, und stimmten einer Überstellung bis zum 20. Juni 2013 zu.
- 7
Vom 14. bis 24. Oktober 2012 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung wegen Schmerzen im Hüftbereich. Entzündliche sowie autoimmune Erkrankungen konnten laborchemisch ausgeschlossen werden. In einer Magnetresonanztomographie zeigten sich arthropische Veränderungen des Hüftgelenks. Es wurden eine ausgewogene eiweißreiche Ernährung und ambulante Krankengymnastik-Maßnahmen beziehungsweise Reha-Sport sowie eine ambulante psychiatrische Betreuung empfohlen. Am 6. und 7. Januar 2013 befand sich der Kläger wegen epigastrischer Schmerzen unklarer Genese erneut in stationärer Krankenhausbehandlung. Nachdem die Laborbefunde sowie eine Gastroskopie keine Auffälligkeiten aufwiesen und der Patient sich subjektiv beschwerdegebessert zeigte, wurde er ohne weitere Medikation entlassen. In privatärztlichen Attesten einer allgemeinmedizinischen Praxis vom 7. Februar 2013 und 29. Januar 2014 werden als Diagnosen Oberbauschschmerzen bei rezidivierender Gastritis, Lws-Syndrom, Coxalgie, Vitamin-D-Mangel und Mangelernährung bei Appetitlosigkeit aufgezählt. Der Patient sei auf regelmäßige medizinische Behandlung und Medikamente angewiesen. Eine Abschiebung nach Italien wäre mit einem hohen Risiko der Verschlechterung des Gesundheitszustandes verbunden.
- 8
Mit Bescheid vom 13. Februar 2013 erklärte die Beklagte den Asylantrag des Klägers gemäß § 27a AsylVfG für unzulässig. Italien sei für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig und habe seine Zuständigkeit auch anerkannt. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich. Insbesondere hinderten die vorgelegten Atteste eine Überstellung des Klägers nach Italien nicht, denn in Italien habe der Kläger wie jeder italienischer Staatsbürger Zugang zum dortigen Gesundheitssystem.
- 9
Am 19. Februar 2013 hat der Kläger Klage erhoben. Die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens sei auf die Beklagte übergegangen, da der Übernahmeantrag an Italien erst nach Ablauf der Frist des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO gestellt worden sei. Im Übrigen dürfe der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Italien überstellt werden, weil er sich in ständiger ärztlicher Behandlung befinde. Schließlich sei die Beklagte zur Prüfung des Antrags verpflichtet, weil in Italien systemische Mängel im Asylverfahren herrschten. Die Mindeststandards in Bezug auf Unterbringung, soziale und medizinische Versorgung würden erheblich unterschritten. Das gelte insbesondere für Sizilien, wohin der Kläger abgeschoben werden sollte. Ihm drohte daher nach seiner Rückführung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ohne Perspektive auf Arbeit oder Obdach.
- 10
Der Kläger hat beantragt,
- 11
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Februar 2013 zu verpflichten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) 343/2003 Gebrauch zu machen,
- 12
hilfsweise,
- 13
die Beklagte zu verpflichten, über die Ausübung des vorgenannten Selbsteintrittsrechts erneut zu entscheiden.
- 14
Die Beklagte hat beantragt,
- 15
die Klage abzuweisen.
- 16
Sie weist darauf hin, dass Personen mit Schutzstatus hinsichtlich der Unterbringung und der medizinischen Versorgung die gleichen Rechte genössen wie italienische Staatsangehörige. Damit seien Unterkunft und Wohnung in eigener Verantwortung zu besorgen. Die entsprechenden Kosten seien selbst zu tragen. Nach Meldung bei dem „Servizio Sanitario Nazionale“ erhielten Personen mit Schutzstatus eine „Tessera Sanitaria“, mit deren Hilfe Zugang zu allen ärztlichen Leistungen erfolge. Die Kosten der Behandlungen würden vom italienischen Staat getragen. Nach Auskunft der deutschen Liaisonbeamtin des Bundesamtes in Rom sei die Gewährung dieser medizinischen Versorgung unabhängig von einem festen Wohnsitz. Alle Personen, die in Italien einen Schutzstatus erhielten, hätten das Recht zu arbeiten (guida practica per i titolari di protezione internazionale). Nach Auskunft der Liaisionbeamtin sei die Arbeitserlaubnis eigentlich an eine „residenza“, also einen festen Wohnsitz geknüpft. Viele Vereinigungen böten den betroffenen Personen aber ihre Adresse als Briefkastenadresse an. Schließlich habe der Kläger auch keine Krankheit substantiiert, die ihn reiseunfähig machen beziehungsweise besondere Lebens- oder Gesundheitsgefahren begründen würde.
- 17
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. Mai 2013 abgewiesen. Die Zuständigkeit Italiens zur Prüfung des Asylantrags ergebe sich aus Art. 16 Abs. 2 Dublin-II-Verordnung, da Italien dem Kläger einen Aufenthaltstitel ausgestellt habe. Die Fristvorschriften des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO begründeten keine subjektiven Rechte, so dass es auf deren Versäumung nicht ankomme. Zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts sei die Beklagte nicht verpflichtet. Es sei nach Auswertung der vorliegenden Auskünfte, Gutachten sowie Berichte und unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung weder zu befürchten, dass dem Kläger keine hinreichende soziale beziehungsweise medizinische Versorgung zugute käme, noch herrschten systemische Mängel im italienischen Asylverfahren, die befürchten ließen, dass dem Kläger in Italien eine menschenunwürdige Behandlung drohte.
- 18
Auf entsprechenden Antrag ließ der Senat die Berufung zu und untersagte der Beklagten mit Beschluss vom 19. Juni 2013, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Berufungsverfahrens aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchzuführen.
- 19
Der Kläger wiederholt und vertieft zur Begründung der Berufung seinen Vortrag aus dem Klageverfahren. Als Schutzberechtigtem stünde ihm weder Anspruch auf Unterkunft, noch auf staatliche Sozialleistungen zu. Er habe auch keinen Anspruch auf Integrationsmaßnahmen und könne allenfalls in ländlichen Gebieten zeitlich befristet und schlecht bezahlt als Erntehelfer arbeiten. Außerhalb von Rom habe er keine Möglichkeit, sich eine virtuelle Adresse geben zu lassen, so dass er vermutlich auch keinen Zugang zum Gesundheitssystem habe. In Not geratene italienische Staatsangehörige könnten in der Regel auf Hilfe durch die (Groß-) Familie hoffen. Diese Möglichkeit hätten Flüchtlinge nicht.
- 20
Der Kläger beantragt,
- 21
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Februar 2013 zu verpflichten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) 343/2003 Gebrauch zu machen,
- 22
hilfsweise,
- 23
die Beklagte zu verpflichten, über die Ausübung des vorgenannten Selbsteintrittsrechts erneut zu entscheiden.
- 24
Die Beklagte beantragt,
- 25
die Berufung zurückzuweisen.
- 26
Sie macht sich im Wesentlichen eine Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern im vorliegenden Verfahren zu Eigen. Danach liegen außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, nicht vor. Italien erfülle seine Verpflichtung nach den Artikeln 20 bis 24 Genfer Flüchtlingskonvention, Flüchtlinge im Sozial- und Arbeitsrecht ebenso zu behandeln wie eigene Staatsangehörige. Eine Besserstellung von Asylbewerbern sei danach nicht vorgesehen. Aus dem Umstand, dass Italien kein ähnliches soziales Netz biete wie Deutschland und andere Mitgliedstaaten, könne nicht geschlossen werden, dass es sich von seiner Verpflichtung aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention gelöst habe. Die von dem Kläger zitierten Gutachten ergäben keine neuen Erkenntnisse, insbesondere kein belastbares Zahlenmaterial darüber, welcher Anteil der Schutzberechtigten für wie lange tatsächlich der Obdachlosigkeit anheimgefallen sei.
- 27
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte, die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 28
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Er hat keinen Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland. Die Beklagte ist weder nach den allgemeinen Regeln zuständig (I), noch besteht ein Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts (II). Daher ist auch die Abschiebungsanordnung nach Italien rechtlich nicht zu beanstanden (III).
I.
- 29
Die Frage, welcher Staat für das Asylverfahren des Klägers zuständig ist, bestimmt sich vorliegend nach den Regeln der Dublin-II-Verordnung (1). Danach ist Italien der zuständige Mitgliedstaat (2). Die Zuständigkeit ist nachträglich weder nach der Vorschrift des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO (3), noch nach der Vorschrift des Art. 20 Abs. 2 Dublin-II-VO (4) auf die Beklagte übergegangen.
- 30
1. Im vorliegenden Fall kommt unbeschadet der Vorschrift des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch die Dublin-II-Verordnung und nicht die mittlerweile in Kraft getretene Nachfolgeverordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin-III-VO) zur Anwendung. Gemäß der Übergangsvorschrift des Art. 49 Dublin-III-VO gilt diese nämlich erst für Anträge auf Internationalen Schutz sowie Anträge der Mitgliedstaaten auf Aufnahme oder Wiederaufnahme, die nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurden. Vorliegend hat der Kläger seinen Asylantrag bei der Beklagten bereits im Jahr 2012 gestellt. Auch der Antrag auf Wiederaufnahme des Klägers wurde noch im Jahr 2012 gestellt und von Italien mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 akzeptiert.
- 31
2. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass Italien nach der Vorschrift des Art. 16 Abs. 2 Dublin-II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Danach fallen dem Mitgliedstaat die Pflichten zur Wiederaufnahme und abschließenden Prüfung eines Asylverfahrens zu, sofern er einem Antragsteller einen Aufenthaltstitel erteilt. Italien hat dem Kläger in Folge der Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter einen Aufenthaltstitel erteilt und diesen im Jahr 2012 nochmals verlängert.
- 32
3. Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens ist auch nicht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Nach dieser Vorschrift sind Aufnahmegesuche an andere Mitgliedstaaten spätestens innerhalb von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrags zu stellen. Wird das Gesuch nicht innerhalb dieser Frist unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung zuständig.
- 33
Zum einen vermittelt diese Vorschrift dem Asylbewerber aber keine subjektiven Rechte, sondern dient als innerstaatliche Organisationsvorschrift in erster Linie der klaren und praktikablen Bestimmung der Zuständigkeit innerhalb der Mitgliedstaaten (vgl. hierzu die Erwägungsgründe 3 und 16 der Verordnung). Im Vordergrund steht daher das Interesse, die Zuständigkeit zeitnah festzustellen und den Asylantrag durch einzig den zuständigen Mitgliedstaat prüfen zu lassen, nicht aber, die Prüfung einem ganz bestimmten Mitgliedstaat zuzusprechen, in dem der Antragsteller einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat.
- 34
Zum anderen ist die Vorschrift auf den vorliegenden Fall schon nicht anwendbar. Die Beklagte hat kein Aufnahmegesuch nach Art. 17, sondern ein Wiederaufnahmegesuch nach den Art. 16. Abs. 2, Abs. 1 lit. c), 20 Abs. 1 Dublin-II-VO gestellt. Für Wiederaufnahmegesuche sieht die Dublin-II-VO aber keine Frist vor.
- 35
4. Schließlich ist die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens auch nicht deshalb nach Art. 20 Abs. 2 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen, weil die Überstellung nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten erfolgt ist. Diese Frist beginnt gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. d) nämlich erst nach rechtskräftigem Abschluss eines Rechtsbehelfsverfahrens zu laufen, sofern diesem aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. EuGH, Urteil vom 29.01.2009 – C 19/08 –, Juris-Rn. 44 ff.; OVG Niedersachen, Urteil vom 04.07.2012 – 2 LB 163/10 – Juris-Rn. 36 m.w.Nw.). Vorliegend hatte der Senat noch vor Ablauf der Frist der Beklagten untersagt, den Kläger nach Italien abzuschieben.
II.
- 36
Es besteht auch kein Anspruch des Klägers auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO.
- 37
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die mittlerweile ihren Niederschlag in Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO gefunden hat, kann ein Mitgliedstaat unter bestimmten Umständen dazu verpflichtet sein, von der Rückführung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat abzusehen. Das ihm insofern eingeräumte Ermessen ist nämlich Teil des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats und stellt ein Element des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems dar. Bei der Ermessensausübung führt der Mitgliedstaat daher Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union aus. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Europäischen Grundrechtscharta, aber auch der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Art. 18 der Charta und Art. 78 AEUV). Die Mitgliedstaaten haben bei der Ausübung ihres Ermessens diese Grundsätze daher zu beachten (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u. C-493/10, N.S. u.a. - Slg. 2011-0000, Rn. 68 ff.).
- 38
Dabei kann jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen, dass alle an dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die Grundrechte einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (sogenanntes Prinzip gegenseitigen Vertrauens beziehungsweise normativer Vergewisserung, vgl. grundlegend BVerfG, Urteil vom 15.05.1996, 2 BvR 1938/93, Juris-Rn. 179 ff.). Es gilt daher die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht. Diese Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass das System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Menschenrechten unvereinbar ist.
- 39
Allerdings berührt nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat das in der Dublin-II- bzw. Dublin-III-Verordnung niedergelegte Zuständigkeitssystem. Der Europäische Gerichtshof macht deutlich, dass nicht weniger als der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auf dem Spiel steht (EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a.a.O., Rn. 83). Das Zuständigkeitssystem ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs deshalb nur dann auszusetzen, wenn einem Mitgliedstaat aufgrund der ihm vorliegenden Informationen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem an sich zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller dort Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Grundrechtecharta ausgesetzt zu sein (vgl. zum Ganzen EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a.a.O., Rn. 78 bis Rn. 106).
- 40
Anhaltspunkte dafür, wann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung anzunehmen ist, lassen sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK entnehmen, der mit Art. 4 der Europäischen Grundrechtecharta übereinstimmt. In seinem Urteil vom 21. Januar 2011 hat der Gerichtshof eine Überstellung nach Griechenland als nicht mit Art. 3 EMRK vereinbar angesehen, da die systematische Unterbringung von Asylbewerbern in Haftzentren ohne Angabe von Gründen eine weit verbreitete Praxis der griechischen Behörden sei. Es gebe auch zahlreiche übereinstimmende Zeugenaussagen zu überfüllten Zellen, Schlägen durch Polizisten und unhygienischen Bedingungen in dem Haftzentrum neben dem internationalen Flughafen von Athen. Hinzu komme, dass der Beschwerdeführer monatelang in extremer Armut gelebt habe und außer Stande gewesen sei, für seine Grundbedürfnisse - Nahrung, Hygieneartikel und eine Unterkunft - aufzukommen. Er sei über Abhilfemöglichkeiten nicht angemessen informiert worden und habe in der ständigen Angst gelebt, angegriffen beziehungsweise überfallen zu werden (Urteil vom 21.01.2011, M.S.S. gegen Belgien und Griechenland, Beschwerde-Nr. 30696/09, Rn. 226 und Rn. 254 ff.).
- 41
Der Senat kommt nach Auswertung der vorliegenden Gutachten, Auskünfte und Berichte und unter Würdigung des Vortrags des Klägers zu dem Ergebnis, dass das italienische Asylsystem nicht an systemischen Mängeln leidet, auf Grund derer dem Antragstellers nach seiner Rückführung eine menschenunwürdige Behandlung droht (ebenso OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14.11.2013 - 4 L 44/13 -, OVG Nds, Beschluss vom 30.01.2014 - 4 LA 167/13 - und vom 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.10.2013 - OVG 3 S 40.13 - und vom 24.06.2013 - OVG 7 S 58.13 -; VG Oldenburg, Beschluss vom 21.01.2014 - 3 B 6802/13 -; VG Regensburg, Beschluss vom 18.12.2013 - RN 6 S 13.30720 -; VG Ansbach, Beschluss vom 18.09.2013 - An 2 K 13.30675 -; VG Meiningen, Urteil vom 26.06.2013 - 5 K 20096/13 Me -; VG Lüneburg, Urteil vom 04.06.2013 - 6 A 176/11 - (n.V.); VG Augsburg, Beschluss vom 19.12.2012 - Au 6 E 12.30377 -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 07.09.2012 - 6 L 1480/12.A -; VG Osnabrück, Urteil vom 02.04.2012 - 5 A 309/11 - (n.V.) a.A. OVG NRW, Beschluss vom 01.03.2012 - 1 B 234/12.A -; VG Gießen, Urteil vom 25.11.2013 - 1 K 844/11.GI.A -; VG Schwerin, Beschluss vom 13.11.2013 - 3 B 315/13 As -; VG Frankfurt, Urteil vom 09.07.2013 - 7 K 560/11.F.A. -; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 16.05.2013 - 5a L 547/13.A -; VG Köln, Beschluss vom 07.05.2013 - 20 L 613/13.A, soweit veröffentlicht zitiert nach Juris).
- 42
Italien verfügt über ein planvolles und ausdifferenziertes Asylsystem (a). Dieses System leidet zwar an Mängeln (b), nicht aber an systemischen Mängel (c). Das gilt auch für Personen mit Schutzstatus (d).
- 43
(a) Zunächst ist festzuhalten, dass Italien über ein planvolles und ausdifferenziertes Aufnahmesystem für Asylbewerber verfügt, das in zwei Phasen gegliedert ist. Nach Stellung des Asylantrags ist die Unterbringung in Aufnahmezentren für Asylsuchende, den sogenannten CARA (Centri di Accoglienza per Richiedenti Asilo) vorgesehen. Die maximale Aufenthaltsdauer dort soll grundsätzlich 35 Tage betragen. Daneben gibt es noch Aufnahmeeinrichtungen für Migranten, die keine Asylsuchenden sind, die so genannten CDA (Centri di Accoglienza). Diese werden in der Praxis ebenfalls für die Erstaufnahme von Asylsuchenden verwendet. In der zweiten Phase sollen die Antragsteller in einer Einrichtung des Aufnahmesystems SPRAR (Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati) untergebracht werden. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk von Unterkünften, das auf einer Zusammenarbeit zwischen dem Innenministerium, den Gemeinden und verschiedenen NGOs basiert. Die SPRAR-Projekte umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche. Die Aufenthaltsdauer im einem SPRAR beträgt normalerweise 6 Monate und kann bis zu einem Jahr verlängert werden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 22 ff.).
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Endet das Asylverfahren mit der Zuerkennung eines Schutzstatus, werden den Schutzsuchenden Aufenthaltsberechtigungen („permessi die soggiorno“) ausgestellt. Danach genießen sie in Italien formal dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige. Sie haben freien Zugang zum Arbeitsmarkt und kostenfreien Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG Freiburg vom 11.07.2012). In den Erstaufnahmeeinrichtungen werden sie nicht mehr aufgenommen. In Einrichtungen des SPRAR können sie Unterkunft finden, sofern sie die vorgesehene maximale Aufenthaltsdauer noch nicht ausgeschöpft haben und ein Platz frei ist (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 22 und S. 25; borderline-europe e.V., Gutachten zum Beweisbeschluss des VG Braunschweig vom 28.09.2012, S. 50).
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(b) In der Praxis litt - und leidet - das italienische Aufnahmesystem an Mängeln. Die Berichtslage zeigt übereinstimmen, dass es insbesondere auf die sehr hohen Antragszahlen in den Jahren 2008 und 2011 nicht ausreichend vorbereitet war (Bethke & Bender, Zur Situation von Flüchtlingen in Italien - Bericht über die Recherchereise nach Rom und Turin im Oktober 2010 -; Schweizer Flüchtlingshilfe/Juss-Buss: Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und „Dublin-Rückkehrern“, Bericht vom Mai 2011; borderline-europe/Judith Gleitze: Zur Lage von Asylsuchenden und „Dublin-Rückkehrern“, Stellungnahme vom Dezember 2012; Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG Darmstadt vom 29.11.2011 und an VG Braunschweig vom 09.12.2011). In der Folge verlängerten sich die Verfahrenszeiten deutlich über die vorgesehenen Fristen hinaus. Die zeitliche Lücke zwischen der Stellung des Asylantrags und dessen formeller Registrierung (verbalizzazione) führte zu der Gefahr der Obdachlosigkeit, da in der Praxis Zugang zu den Erstaufnahmeeinrichtungen erst ab dem Zeitpunkt der Registrierung gewährt wurde (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 12). Zudem waren die Aufnahmekapazitäten der staatlicherseits zur Verfügung gestellten Plätze überlastet. Für Personen mit Schutzstatus bedeutete dies, dass sie Schwierigkeiten hatten, im SPRAR-Aufnahmesystem unterzukommen, auch wenn sie die maximale Verweildauer noch nicht ausgeschöpft hatten. Hinzu kam die wirtschaftliche schwierige Lage, in der sich auch Italien nach der Wirtschaftskrise befand und noch befindet. Nach den Informationen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe lebt vor allem in Rom eine ganz erhebliche Zahl von Asylbewerbern und Personen mit Schutzstatus (die Schätzungen sprechen von 1.200 bis 1.700) in Slums oder besetzten Häusern (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, a.a.O., S. 36).
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(c) Diese Mängel begründen aber keine systemischen Mängel im oben dargestellten Sinne. Dabei versteht der Senat unter systemischen Mängeln solche, die entweder bereits im System selbst angelegt sind und von denen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar betroffen sind oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem faktisch in weiten Teilen funktionsunfähig wird. Nach Auswertung der vorliegenden Auskünfte kommt der Senat zu der Überzeugung, dass die systembedingten Missstände von den italienischen Behörden angegangen werden und sich die Situation deshalb verbessert hat und aller Voraussicht nach weiter verbessern wird. Außerdem ist festzustellen, dass die Zustände punktuell, aber nicht flächendeckend unzureichend sind, so dass nicht davon gesprochen werden kann, dass das Asyl- und Aufnahmesystem faktisch außer Kraft gesetzt ist.
- 47
Ein im System angelegter Mangel ist die Tatsache, dass der Zugang zum Erstaufnahmesystem offensichtlich von der Registrierung (verbalizzazione) abhängt und dies bei einer Verzögerung des Verfahrens zur Obdachlosigkeit führen kann. Allerdings hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 eine Weisung herausgegeben, wonach die Registrierung zeitlich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Auch die Überlastung des Aufnahmesystems nimmt Italien nicht tatenlos hin. Auf die hohen Asylbewerberzahlen im Jahr 2011 reagierte das Land zunächst mit einem Notstandskonzept, bei dem unter Führung des Zivilschutzes (Protezione Civile) Aufnahmestrukturen in der Größenordnung von 26.000 Plätzen bereitgestellt wurden (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013; UNHCR an VG Braunschweig, S. 3; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 9). Daneben wurden und werden die Plätze, die im SPRAR-Projekt zur Verfügung stehen, in erheblichem Umfang aufgestockt (siehe zur Bedeutung dieser Plätze für das Aufnahmesystem den Report von Nils Muižnieks, Commissioner for Human Rights of the Council of Europe, 18.09.2012, Abs. 152). Standen ursprünglich 3.000 Plätze zur Verfügung, waren es Anfang Juni 2013 bereits 4.800 Plätze, wobei hierzu auch bereits vorhandene Unterkunftsplätze gezählt wurden, die um die im SPRAR-System vorgesehen Integrationsleistungen ergänzt wurden. Aufgrund eines im September 2013 erlassenen Dekrets des Innenministeriums soll die Kapazität im Zeitraum 2014 bis 2016 nochmals auf insgesamt 16.000 Plätze erhöht werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22). Außerdem wurde ein neues Informatiksystem „Vestanet“ eingeführt, das ebenfalls zu einer Verbesserung des Verfahrens beitragen soll (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). In seiner Antwort an das Verwaltungsgericht Braunschweig vom 24. April 2012 hat der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen ausdrücklich anerkannt, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des Aufnahmesystems stattgefunden haben. Gleiches gilt für die Auskunft des Auswärtige Amtes vom 21. Januar 2013 an das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt.
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Der Senat geht außerdem davon aus, dass die aufgezeigten Missstände in bestimmten Städten und Regionen auftreten, die Funktionsfähigkeit des Asyl- und Aufnahmesystems aber nicht insgesamt in Frage stellen. Es liegt in der Natur der Sache, dass Aufklärungsreisen die Problemschwerpunkte in den Blick nehmen (so ausdrücklich der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe mit Schwerpunkt Rom und Mailand, S. 1; in der Sache nicht anders der Bericht von Maria Bethke & Dominik Bender mit Schwerpunkt Rom und Turin; Gutachten von borderline-europe e.V. mit Schwerpunkt Rom und Sizilien). Diese Situationen sind aber nicht ohne Weiteres verallgemeinerbar. So geht der UNHCR, dessen Dokumente bei der Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften von besonderer Relevanz sind (vgl. EuGH, Urteil vom 30.05.2013 - C-528/11 - Rn. 44), in seiner Antwort an das Verwaltungsgericht Braunschweig davon aus, dass die CARA, CDA und SPRAR-Projekte in der Lage sind, dem Aufnahmebedarf einer signifikanten Anzahl an Asylsuchenden nachzukommen (UNHCR an VG Braunschweig vom 24. April 2012, S. 3). Anders als im Falle Griechenlands oder jüngst Bulgariens (UNHCR Briefing Notes vom 03.01.2014) hat der UNHCR bislang in keiner seiner Stellungnahmen eine Empfehlung an die Mitgliedstaaten ausgesprochen, Überstellungen nach Italien nicht mehr vorzunehmen (siehe zuletzt UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, July 2013). Auch die Auskünfte des Auswärtigen Amtes sprechen gegen die Annahme eines systemischen Mangels des italienischen Asylsystems. Sie basieren auf laufenden Gesprächen der Botschaft Rom mit dem italienischen Flüchtlingsrat CIR und UNHCR in Rom, grenzpolizeilicher Verbindungsbeamter der Bundespolizei im italienischen Innenministerium, Präsentationen des italienischen Innenministeriums und des statistischen Landesamtes ISTAT, Kontakten zu nichtstaatlichen karitativen Organisationen sowie Informationen des SPRAR und sind daher geeignet, einen Überblick über die Situation im Land zu geben. Nach der Auskunft an das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt konnten seinerzeit (Januar 2013) alle Asylbewerber und Flüchtlinge in öffentlichen Zentren untergebracht werden. Gegebenenfalls gebe es lokale und regionale Überbelegungen, italienweit seien aber genügen Plätze vorhanden. Insbesondere in Norditalien seien die Kapazitäten nicht ausgeschöpft. Zusätzlich zu den staatlichen/öffentlichen Einrichtungen gebe es kommunale und karitative Einrichtungen, so dass meist ein Unterbringungsplatz in der Nähe gefunden werden könne. Es sei nicht davon auszugehen, dass Personen, die in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen und staatlichen Unterkünften keinen Platz fänden, regelmäßig oder überwiegend obdachlos auf der Straße oder in Elendsquartieren leben müssten.
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(d) Mit Blick auf den hier vorliegenden Fall ist weiter festzuhalten, dass sich aus der Auskunftslage auch keine systemischen Mängel für Personen ergeben, denen bereits ein Schutzstatus zugesprochen wurde. Die mit der Anerkennung verbundene Erteilung eines Aufenthaltsrechts (permession di soggiorno) bedeutet in der Praxis, dass sich die Personen mit Schutzstatus grundsätzlich selbst um eine Unterkunft und eine Arbeit kümmern müssen. Sie können nicht mehr in CARA unterkommen, da diese nur Asylbewerbern offenstehen. Sie können sich aber für Plätze im SPRAR-System bewerben, sofern sie die maximale Verweildauer noch nicht überschritten haben. Tatsächlich wird eine große Zahl der Plätze im SPRAR-System von Personen mit Schutzstatus belegt. Allerdings bestehen zum Teil lange Wartezeiten (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22). Hier dürfte die geplante Ausweitung der SPRAR-Plätze eine deutliche Entlastung bringen. Daneben bieten die Gemeinden Unterkünfte an. Jedenfalls in Rom betrug die durchschnittliche Wartezeit auf einen solchen Platz allerdings drei Monate und in Mailand einen bis drei Monate (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27 und S. 30). Schließlich können sich Personen mit Schutzstatus, die keine Unterkunft finden, an kirchliche Organisationen und Nichtregierungsorganisationen wie die Caritas oder das Consiglio Italiano per i Rifugiati wenden (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 an das OVG des Landes Sachsen-Anhalt). Verlässliche Zahlen, wie viele Schutzberechtigte von keiner dieser Möglichkeiten Gebrauch machen können und letztlich obdachlos werden, fehlen. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist im Regelfall oder gar überwiegend aber nicht davon auszugehen, dass Flüchtlinge in Italien beziehungsweise Rückkehrer nach der Dublin-II-Verordnung dort unter Verhältnissen leben müssen, welche man gemeinhin als „Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums (Betteln, Leben auf der Straße etc.)“ bezeichnen könne. Hierbei handle es sich eher um Einzelfälle (Auswärtiges Amtes an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013).
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In Italien gibt es auch für italienische Staatsangehörige kein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen zur Lebensunterhaltssicherung vor dem 65. Lebensjahr. Die Zuständigkeit für die Festsetzung von Sozialhilfeleistungen liegt grundsätzlich im Kompetenzbereich der Regionen. In bestimmten Regionen wird die Höhe des Sozialgeldes durch die Kommune festgesetzt. Öffentliche Fürsorgeleistungen weisen daher deutliche Unterschiede je nach regionaler und kommunaler Finanzkraft auf (Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern im vorliegenden Fall; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 48).
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Auch wenn sich die Situation damit deutlich schlechter und unsicherer darstellt als in der Bundesrepublik Deutschland, begründet dies für sich genommen keinen systemischen Mangel. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ausdrücklich festgehalten, dass Art. 3 EMRK die Vertragsparteien nicht verpflichte, jede Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Obdach zu versorgen. Die Norm enthalte auch keine allgemeine Pflicht, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu bieten, um ihnen einen bestimmen Lebensstandard zu bieten. Ausländer, die von einer Ausweisung betroffen seien, gewähre die Konvention grundsätzlich keinen Anspruch mit dem Ziel, im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates zu verbleiben, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren, die vom ausweisenden Staat zur Verfügung gestellt werde. Wenn keine außergewöhnlichen zwingenden humanitären Gründe vorlägen, die gegen eine Ausweisung sprächen, sei allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse des Antragstellers bedeutend geschmälert würden, falls er oder sie ausgewiesen würde, nicht ausreichend, einen Verstoß gegen Art. 3 EMR zu begründen (Beschluss vom 02.04.2013, Mohammed Hussein u.a. gegen Niederlande und Italien, a.a.O. Rn. 70 f.).
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Keine systematischen Mängel bestehen schließlich auch im Hinblick auf den Zugang zum Gesundheitssystem. Personen mit Schutzstatus sind in Fragen der Gesundheitsversorgung den italienischen Staatsbürgern gleichgestellt. Die Anmeldung beim Nationalen Gesundheitsdienst ermöglicht die Ausstellung eines Gesundheitsausweises, der zur Behandlung bei einem praktischen Arzt, Kinderarzt, in Ambulanzen und zur Aufnahme in ein Krankenhaus berechtigt. Hierzu benötigen Schutzberechtigte den Aufenthaltstitel, die Steuernummer sowie eine feste Adresse. Personen ohne festen Wohnsitz können sich zumindest in Rom unter Sammeladressen karitativer Einrichtungen melden, die von den Behörden akzeptiert werden. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten. Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (Auswärtiges Amt an OVG des Landes Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013).
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(e) Die Einschätzung, dass das italienische Asylsystem nicht an systemischen Mängeln leidet, wird durch die jüngere Rechtsprechung des Gerichtshofs für Menschenrechte bestätigt. In seinem Beschluss vom 2. April 2013 hat er die Überstellung der dortigen Beschwerdeführerin, der - wie dem Kläger - in Italien bereits ein Schutzstatus zugesprochen worden war, mit Art. 3 EMRK für vereinbar gehalten. Dabei hat er - neben der konkreten Situation der Antragstellerin - eine Vielzahl von Stellungnahmen sowie Berichten von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen über die generelle Situation in Italien ausgewertet. Er kommt nach ausführlicher Würdigung der festzustellenden Mängel - und keineswegs nur unter Bezug auf den ihm vorgelegten konkreten Sachverhalt - zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen Schutzes oder zu humanitären Zwecken eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen (Beschluss vom 02.04.2013, Mohammed Hussein u.a. gegen Niederlande und Italien, Rn. 70 ff., in Teilen übersetzt von Wischrath, ZAR 2013, 336, besprochen von Thym in ZAR 2013, 331; siehe auch Hailbronner, AuslR, Dezember 2013, § 34a Rn. 29 f.; ebenso Beschluss vom 18.06.2013, Halimi gegen Österreich und Italien, Rn. 68, in Teilen übersetzt von Wischrath, ZAR 2013, 338). Diese Einschätzung hat er jüngst nochmals ausdrücklich bestätigt (Beschluss vom 10.09.2013 - Nr. 2314/10 -, Hussein Diirshi u.a. gegen Niederlande und Italien, zitiert nach HUDOC).
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(f) Es sind auch keine besonderen Umstände des Einzelfalles ersichtlich, die befürchten ließen, dass gerade dem Kläger in Italien eine mit Art. 4 der Grundrechtecharta nicht vereinbare Behandlung drohen würde. Er leidet insbesondere nicht an außerordentlich schweren oder seltenen Krankheiten, deren Behandlung in Italien nicht möglich erschiene. Nach seiner Schilderung bekam er in Italien in Notfallsituationen zumindest Schmerzmittel verabreicht. Die Probleme bei einer weiterführenden Behandlung resultierten offenbar daraus, dass er mangels festen Wohnsitzes keine Gesundheitskarte beantragt hat. Dem hätte der Kläger nach der Auskunftslage aber zumindest in Rom dadurch abhelfen können, dass er sich bei einer gemeinnützigen Organisation eine fiktive Meldeadresse hätte geben lassen. Aus den Angaben des Klägers lässt sich außerdem schließen, dass er noch keinen Platz im SPRAR-System beansprucht hat. Damit steht ihm nach seiner Rückkehr die Möglichkeit offen, sich für einen solchen Platz zu bewerben. Auf die von dem Kläger zuletzt aufgeworfene Frage, ob die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013 zutrifft, nach der alle im Rahmen der Dublin-Verordnung zurückgeführten Personen von der Questura in eine Unterkunft verteilt werden, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Diese Auskunft dürfte sich auf Personen ohne Schutzstatus bezogen haben, die - wie oben dargestellt - ohnehin einem anderen Aufnahmeregime unterfallen.
III.
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Die Abschiebungsanordnung ist nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen nach § 27a AsylVfG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies ist der Fall, nachdem Italien seine Zuständigkeit akzeptiert hat und der Abschiebung keine relevanten Hindernisgründe entgegenstehen.
IV.
- 56
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.
- 57
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
- 58
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen. Streitentscheidend ist vorliegend die Würdigung der tatsächlichen Umstände in Italien.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterle gung in Höhe von 110 Prozent des auf Grund des Urteils voll streckbaren Be trages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Si cherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben Anfang Oktober 2012 nach Melilla, wo er am 25. Oktober 2012 erkennungsdienstlich behandelt wurde. Bereits am 14. Januar 2013 beantragte der Kläger unter dem Namen U. E. in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Den Antrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 13. März 2013 als unzulässig ab und ord nete die Abschiebung nach Spanien an. Die Überstellung erfolgte am 10. April 2013.
3Am 3. Juni 2013 reiste der Kläger erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und be antragte am 7. Juni 2013 – unter dem im Rubrum angegebenen Namen – Asyl. Ausweis lich der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank vom 27. August 2013 ist der Kläger zuvor in Spanien erkennungsdienstlich behandelt worden.
4Das Bundesamt richtete am 29. August 2013 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Spanien. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 17. September 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.
5Mit Bescheid vom 4. Oktober 2013, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mittels Ein schreiben vom 17. Oktober 2013 zugestellt, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers gemäß § 27a Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Spanien an. Der Kläger erhielt am 23. Oktober 2012 im Rahmen eines Besprechungstermins eine Kopie des Bescheides von seinem Prozessbevollmächtigten.
6Am 25. Oktober 2013 hat der Kläger Klage erhoben.
7Er ist der Ansicht, die Vermutung, dass in Spanien ein ordnungsgemäßes Asylverfahren durchgeführt werde, könne widerlegt werden. Dort sei ihm die Asylantragstellung verwei gert worden. Zudem sei die Überstellungsfrist abgelaufen. Hierauf könne sich der Kläger auch berufen. Die Verfahrensverschleppung stelle einen Grundrechtseingriff dar und Grundrechte seien unstreitig subjektiv-rechtlicher Natur.Ihm werde sein Recht auf Durch führung eines Asylverfahrens abgesprochen, hielte sich Spanien im Zeitpunkt der gerichtli chen Entscheidung nicht mehr für zuständig. Ob die spanischen Behörden sich noch an ihre Zustimmung gebunden fühlen, sei völlig offen.
8Ursprünglich hat der Kläger sinngemäß beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Be scheides des Bundesamtes vom 4. Oktober 2013 zu verpflichten subsidiären Schutz ge mäß § 4 AsylVfG zuzuerkennen und Abschiebungsverbote nach § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) festzustellen,
;
hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung des vorgenannten Bescheides zu verpflichten,
,
das Asylverfahren durchzuführen.
Nach einem entsprechenden Hinweis des Gerichts beantragt er nunmehr,
10den Bescheid des Bundesamtes vom 4. Oktober 2013 aufzuheben.
11Die Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die angefochtene Entscheidung des Bun desamtes. Überdies ist sie der Ansicht, dass die Überstellungsfrist mit der Bekanntgabe des ablehnenden Eilbeschlusses vom 7. Januar 2014 (13 L 2168/13.A) neu zu laufen be ginne bzw. die Überstellungsfrist auf Grund des gemäß § 80 Absatz 7 Verwaltungsge richtsordnung (VwGO) erlassenen Eilbeschlusses vom 24. März 2014 bis zur Erledigung des Hauptsacheverfahrens ausgesetzt sei.
14Der am 25. Oktober 2013 vom Kläger gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides anzuordnen, wurde mit Be schluss vom 7. Januar 2014 abgelehnt (13 L 2168/13.A) .
15Auf den weiteren , unter dem 18. März 2014 gestellten Antrag des Klägers gemäß § 80 Ab s atz . 7 VwGO hat das Gericht mit Beschluss vom 24. März 2014 unter Abänderung des Beschlusses vom 7. Januar 2014 die angestrebte aufschiebende Wirkung angeordnet. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen darauf gestützt, dass bereits mehr als sechs Mo nate vergangen seien, seit Spanien seine Bereitschaft z ur Übernahme des Klägers erklärt habe (13 L 644/14.A) .
16Die Beteiligten haben übereinstimmend am 18. Juni und 23. Juni 2014 auf mündliche Verhandlung verzichtet (Bl. 50 und Bl. 51 d. Gerichtsakte).
17Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19Die Kammer konnte gemäß § 101 Absatz 2 VwGO über die Klage ohne mündliche Ver handlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierauf verzichtet haben.
20Der Kläger konnte sein ursprüngliches Verpflichtungsbegehren zu einer Anfechtungsklage umstellen, ohne dass es auf die Voraussetzungen für eine Klageänderung nach § 91 VwGO ankommt. Es handelt sich um eine nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) zulässige Beschränkung des Klageantrags.
21Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 91, Rn. 9.
22Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig (vgl. unter I.), aber unbegründet (vgl. unter II.).
23I. Die Klage ist zulässig. Sie ist statthaft (vgl. unter 1.) und auch fristgerecht erhoben wor den (vgl. unter 2.).
241. Statthafte Klageart ist allein die Anfechtungsklage gemäß § 42 Absatz 1, 1. Variante VwGO. Der Erhebung einer vorrangigen Verpflichtungsklage – gerichtet auf das Rechts schutzziel, dass die Beklagte das Asylverfahren durchführt – bedarf es nicht.
25Der Kläger begehrt die Aufhebung des ihn belastenden Bescheides vom 4. Oktober 2013, in welchem die Beklagte seinen Asylantrag gemäß § 27a AsylVfG als unzulässig abge lehnt hat. Gegen eine solche Unzulässigkeitsentscheidung ist ein isoliertes Aufhebungs begehren statthaft. Die Entscheidungen nach § 27a und § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG stellen Verwaltungsakte im Sinne des § 35 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) dar, deren isolierte Aufhebung – anders als in sonstigen Fällen eines Verpflichtungsbegeh rens – ausnahmsweise zulässig ist, weil schon ihre Beseitigung grundsätzlich zur formel len und materiellen Prüfung des gestellten Asylantrages und damit zu dem erstrebten Rechtschutzziel führt. Denn das Bundesamt ist nach Aufhebung des Bescheides bereits gesetzlich verpflichtet, das Asylverfahren durchzuführen, §§ 31, 24 AsylVfG. Das Bundes amt hat sich in den Fällen des § 27a AsylVfG lediglich mit der – einer materiellen Prüfung des Asylbegehrens vorgelagerten – Frage befasst, welcher Staat nach den Rechtsvor schriften der Europäischen Union für die Prüfung des Asylbegehrens des Klägers zustän dig ist; eine Prüfung des Asylbegehrens ist in der Sache nicht erfolgt. Mit der Aufhebung des Bescheides wird ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung des Asylbegeh rens beseitigt, und das Asylverfahren ist in dem Stadium, in dem es zu Unrecht beendet worden ist, durch das Bundesamt weiterzuführen.
26Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, juris, Rn. 28 ff.; Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2.
Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris, Rn. 21 f.; VG Düsseldorf, Urteile
vom 27. Juni 2014 ‑
–
13
K
654/14.A –, juris, Rn. 22, Urteil vom 26. April 2013 – 17 K 1777/12.A –, juris, Rn. 14 und Urteil vom 15.
Januar 2010, – 11 K 8136/09.A –, S. 4; VG Köln, Urteil vom 27. Mai 2014 – 2 K 2273/13.A –, juris, Rn. 14; VG München, Gerichtsbescheid vom 21. Mai 2014 – M 21 K 14.30286 –, juris, Rn. 15 m.w.N.; VG Regensburg, Urteil vom 18. Juli 2013 – RN 5 K 13.30027 –, juris, Rn. 19; VG Hamburg, Urteil vom 15. März 2012, –10 A 227/11 –, juris, Rn. 16; VG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 2. Februar 2012 – A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 2; VG Weimar, Urteil vom 23. November 2011 – 5 K 20196/10 –, juris, S.
5; VG Trier, Urteil vom 18. Mai 2011, – 5 K 198/11.TR –, juris, Rn. 16; VG Karlsruhe, Urteil vom 3.
März 2010, – A 4 K 4052/08 –, S. 4; VG Ansbach, Urteil vom 16. September 2009 – AN 11 K 09.30200 –, juris, Rn. 22; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand: 101. Erg.lieferg. Juni 2014, § 27a Rn.
21, § 34a Rn. 64 f.
Diese Verfahrenssituation ist vergleichbar mit derjenigen, die im Falle der Einstellung des Asylverfahrens wegen Nichtbetreibens nach den §§ 33, 32 AsylVfG entsteht. In letzterer Konstellation ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Anfech tungsklage allein gegen den Einstellungsbescheid des Bundesamtes statthaft. Mit der Auf hebung des Einstellungsbescheids wird nämlich ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens beseitigt und das Asylverfahren ist in dem Stadium, in dem es zu Unrecht beendet worden ist, durch das Bundesamt weiterzuführen.
28Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rn. 15 ff.
29Eine Verpflichtungsklage, die unmittelbar auf die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG oder aber – hilfsweise – die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylVfG und die Feststellung von Abschie bungsverboten nach § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltgesetzes AufenthG)
gerichtet ist, scheidet ebenso aus. Denn eine Verpflichtung für das Gericht, die Sache selbst spruchreif zu machen, besteht nur dann, wenn ein „mit seinem Asylantrag beim Bundesamt erfolglos gebliebener Auslän der“ den Klageweg beschreitet.
BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 – BVerwGE 107, 128 ff. = juris, Rn. 10.
31Zwar ist bei fehlerhafter oder verweigerter sachlicher Entscheidung der Behörde im Falle eines gebundenen begünstigenden Verwaltungsakts regelmäßig die dem Rechtsschutz begehren des Klägers allein entsprechende Verpflichtungsklage die richtige Klageart mit der Konsequenz, dass das Gericht die Sache spruchreif zu machen hat und sich nicht auf eine Entscheidung über die Anfechtungsklage beschränken darf, die im Ergebnis einer Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde gleichkäme.
32Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rn. 15.
33Dieser auch im Asylverfahren geltende Grundsatz kann jedoch auf behördliche Entschei dungen, die – wie hier – auf der Grundlage von § 27a AsylVfG ergangen sind, keine Anwendung finden. Denn im Falle einer fehlerhaften Ablehnung des Asylantrags als un zulässig mangels Zuständigkeit ist der Antrag in der Sache von der zuständigen Behörde noch gar nicht geprüft worden. Wäre nunmehr das Gericht verpflichtet, die Sache spruch reif zu machen und durchzuentscheiden, ginge dem Kläger eine Tatsacheninstanz verlo ren, die mit umfassenderen Verfahrensgarantien ausgestattet ist. Das gilt sowohl für die Verpflichtung der Behörde zur persönlichen Anhörung (§ 24 Absatz 1 Satz 3 AsylVfG) als auch zur umfassenden Sachaufklärung sowie der Erhebung der erforderlichen Beweise von Amts wegen (§ 24 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG) ohne die einmonatige Präklusionsfrist, wie sie für das Gerichtsverfahren in § 74 Absatz 2 AsylVfG in Verbindung mit § 87b Ab satz 3 VwGO vorgesehen ist. Im Übrigen führte ein Durchentscheiden des Gerichts im Er gebnis dazu, dass das Gericht nicht eine Entscheidung der Behörde kontrollieren würde, sondern anstelle der Behörde selbst entschiede, was im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung aus Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz (GG) zumindest bedenklich wäre.
34VG Düsseldorf, Urteile
vom 27. Juni 2014 – 13 K 654/14.A –, juris, Rn. 30, vom
26. April 2013 ‑
–
17
K
1777/12.A –, juris, Rn. 18 und Urteil vom 19. März 2013 – 6 K 2643/12.A –, juris, Rn. 16; VG
München, Gerichtsbescheid vom 21. Mai 2014 – M 21 K 14.30286 –, juris, Rn. 17 f.; VG Hamburg, Urteil vom 23. April 2014 – 10 A 1242/12 –, juris, Rn. 19; VG Regensburg, Urteil vom 18. Juli 2013 ‑
–
RN 5 K 13.30027 –, juris, Rn. 20; VG Hannover, Urteil vom 7. November 2013 – 2 A 4696/12 –, juris, Rn. 20; VG Hamburg, Urteil vom 18. Juli 2013 – 10 A 581/13 –, juris, Rn. 18; VG Gießen, Urteil vom 24. Januar 2013 – 6 K 1329/12.GI.A –, juris, Rn. 16 f.; VG Stuttgart, Urteil vom 20. September 2012 ‑
–
A 11 K 2519/12 –, juris, Rn. 15; VG Hamburg, Urteil vom 15. März 2012, – 10 A 227/11 –, juris, Rn.
16; VG Karlsruhe, Urteil vom 3. März 2010, – A 4 K 4052/08 –, S. 5; vgl. zum vergleichbaren Fall der Verfahrenseinstellung nach § 33 AsylVfG: BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rn. 15 ff.
Überdies würden die vom Gesetzgeber im Bemühen um Verfahrensbeschleunigung dem Bundesamt zugewiesenen Gestaltungsmöglichkeiten unterlaufen, wenn eine Verpflichtung des Gerichts zur Spruchreifmachung und damit zum „Durchentscheiden“ bestünde. Ge langt das Bundesamt nämlich nach sachlicher Prüfung des Asylbegehrens zu dem Ergeb nis, das Begehren sei gemäß §§ 29a, 30 AsylVfG offensichtlich unbegründet, so bestimmt § 36 AsylVfG das weitere Verfahren und sieht eine starke Beschleunigung der gerichtli chen Kontrolle und ggf. eine kurzfristige Beendigung des Aufenthalts des Klägers vor. Eine vergleichbare Möglichkeit steht dem Gericht nicht zu. Stellt sich nämlich das Asylbegehren nach gerichtlicher Prüfung als schlicht unbegründet dar, bemisst § 38 Absatz 1 AsylVfG die Ausreisefrist auf 30 Tage. Allerdings müsste sie, da sie nicht vom Gericht ausgespro chen werden kann, nachträglich von der Behörde festgesetzt werden, was im Widerspruch zu dem Beschleunigungsgedanken des Asylverfahrensgesetzes stünde.
36VG Düsseldorf, Urteil vom 27. Juni 2014 – 13 K 654/14.A –, juris, Rn. 32; VG München, Gerichtsbe scheid vom 21. Mai 2014 – M 21 K 14.30286 –, juris, Rn. 16.
37Im Falle der Aufhebung eines auf der Grundlage von § 27a AsylVfG ergangenen Beschei des ist daher das Asylverfahren durch die Beklagte weiterzuführen und das Asylbegehren von ihr in der Sache zu prüfen.
382. Der Kläger hat die Klage auch innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des an gegriffenen Bescheides des Bundesamtes vom 4. Oktober 2013 und damit fristgerecht im Sinne von § 74 Absatz 1 AsylVfG erhoben.
39Dabei ist die Bekanntgabe vorliegend allerdings noch nicht durch die mit Schreiben vom 17. Oktober 2013 erfolgte Übersendung des Bescheides an den Prozess bevollmächtigten des Klägers bewirkt worden. Denn der Prozessbevollmächtigte war insoweit kein Empfangsberechtigter des Klägers im Sinne von § 7 Absatz 1 Satz 2 des Verwaltungszu stellungsgesetzes (VwZG). Wird ein Asylantrag – wie vorliegend – nur nach § 27a AsylVfG abgelehnt, ist nach § 31 Absatz 1 Satz 4 AsylVfG die Entschei dung zusammen mit der Abschiebungsandrohung nach § 34a AsylVfG dem Ausländer persönlich zuzustellen und kommt mithin eine Empfangsvertretung durch den Prozessbe vollmächtigten nicht in Be tracht. Dementsprechend soll, wenn der Ausländer durch einen Bevollmächtigten vertreten wird oder er einen Empfangsberechtigten benannt hat, diesem nach § 31 Absatz 1 Satz 6 AsylVfG auch lediglich ein Abdruck der Entscheidung zugeleitet werden. Dieser Mangel der förmlichen Zustellung wurde aber vorliegend gemäß § 8 VwZG geheilt. Nach dieser Vorschrift gilt ein Schriftstück, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt, oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Empfangsberechtigter ist dabei derjenige, an den die Zustel lung nach dem Gesetz zu richten war,
40vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 43.95 –, BVerwGE 104, 301 und = juris, Rn. 27; Bundesfinanzhof, Urteil vom 2. Oktober 1986 – VII R 58/83 –, juris, Rn. 24,
41vorliegend also nach § 31 Absatz 1 Satz 4 AsylVfG der Kläger selbst, der im Übri gen auch tatsächlich als Adressat in dem angegriffenen Bescheid des Bundesamtes vom 4. Oktober 2013 benannt ist.
42Der Empfangsberechtigte hat das Schriftstück im Sinne von § 8 VwZG erhalten, wenn es ihm vorgelegen hat und er die Möglichkeit hatte, von seinem Inhalt Kenntnis zu nehmen; dass er es auch in Besitz genommen hat, ist nicht erforderlich,
43vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997, a.a.O., m.w.N.
44Darüber hinaus setzt die Heilung von Zustellungsmängeln voraus, dass die Behörde den Willen hatte, den Bescheid bekannt zu geben,
45BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 43.95 –, a.a.O. und juris, Rn. 29 und Beschluss vom 31. Mai 2006 – 6 B 65.05 –, NVwZ 2006, 943 = juris, Rn. 7, m.w.N.
46Nach diesen Maßgaben gilt der Bescheid des Bundesamtes vom 4. Oktober 2013 als dem Kläger am 23. Oktober 2013 mit heilender Wirkung im Sinne von § 8 VwZG zuge stellt. Nach den Angaben des Prozessbevollmächtigten des Klägers fand an diesem Tag ein Be sprechungstermin wegen des mit Schreiben vom 17. Oktober 2013 an die Kanzlei über mittelten Bescheides statt, bei dem der Kläger vom Erlass des Bescheides Kenntnis er halten hat. Zwar reicht die bloße (mündliche) Übermittlung des In halts des Bescheides an den Empfangsberechtigten durch eine Ersatzperson nicht aus, um dem Empfangsberech tigten die nach § 8 VwZG erforderliche zuverlässige Kenntnis des zuzustellenden Schrift stücks zu verschaffen,
47vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 43.95 –, a.a.O. und juris, Rn. 27.
48Allerdings wurde dem Kläger nach Angaben seines Prozessbevollmächtigten am 23. Oktober 2013 anlässlich des Besprechungstermins zugleich auch eine Kopie des Bescheides ausgehändigt. Die Aushändigung der Bescheidkopie war zur Vermittlung der erforderlichen Kenntnis aber geeignet, da sie das Original nach Inhalt und Fassung wiedergibt.
49Die Beklagte hatte schließlich hinsichtlich des Bescheides auch den erforderlichen Bekanntgabewillen. Der Bescheid ist mit Wissen und Wollen der Beklagten und in der Ab sicht, Rechtsfolgen gegenüber dem Kläger auszulösen, aus dem internen behördlichen Bereich herausgegeben worden. Dass Anschreiben und Bescheid willentlich den internen Bereich des Bundesamtes verlassen haben, folgt unzweifelhaft aus der be wussten Wahl des Übermittlungswegs per Einschreiben und dem Vorliegen eines hierüber gesondert gefertigten Aktenvermerks nach § 4 Absatz 2 Satz 4 VwZG (Bl. 67 der Beiakte Heft 1) so wie der zeitgleichen gesonderten Übermittlung des Bescheides auch noch an die zustän dige Ausländerbehörde (Bl. 64 der Beiakte Heft 1). Der Wille, hinsichtlich des Klägers Rechtsfolgen herbeizuführen, ergibt sich ohne weiteres aus dem an den Prozessbevoll mächtigten gerichteten Begleitschreiben vom 17. Oktober 2013, das in der Betreffzeile ausdrücklich den Namen des Klägers und den Bezug zu seinem Asyl verfahren und zudem die Mitteilung enthält, dass dem Prozessbevollmächtigten – der aus der Sicht des Bun desamtes der Empfangsberechtigte des Klägers war – der Be scheid vom 4. Oktober 2013 „zugestellt“ werde. Zur Heilung nicht erforderlich ist, dass ge rade auch die nachträgliche Kenntniserlangung durch den Adressaten vom Willen der Be hörde umfasst ist,
50vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 43.95 –, a.a.O. und juris, Rn. 29.
51Die zweiwöchige Klagefrist begann mithin am Tag nach der Bekanntgabe, also am Donnerstag, den 24. Oktober 2013, § 57 Absatz 2 VwGO i.V.m. § 222 Absatz 1 ZPO, § 187 Absatz 1 BGB und endete gemäß § 57 Absatz 2 VwGO i.V.m. § 222 Absatz 1 ZPO, § 188 Absatz 2 BGB am Mittwoch, den 6. November 2013. Die Klage ist bereits am Freitag, den 25. Oktober 2013 und damit fristgerecht bei Gericht eingegangen.
52II. D Indes ist der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 4. Oktober 2013 ist zu dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. § 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Absatz 1 VwGO.
53Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Recht nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt und auf der Grundlage des § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG die Ab schiebung des Klägers nach Spanien angeordnet. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylan trag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäi schen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchfüh rung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Beklagte den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG).
54Maßgebliche Rechtsvor schrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verord nung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Dritt staatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-VO). Diese findet auf den Asylantrag des Klägers Anwendung, obwohl gemäß § 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Ver handlung bzw. bei Entscheidungen ohne mündliche Verhandlung – wie hier – auf den Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist. Zwar ist und die Nachfolgevorschrift der Dublin II-VO, die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitglied staats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist ( Dublin III-VO) , bereits am 19. Juli 2013 in Kraft getreten ist . Denn Gemäß Artikel 49 Unterabsatz 2 Satz 2 Dublin III-VO bleibt die Dublin II-VO aber für Asylanträge, die vor dem 1. Januar 2014 gestellt werden, anwendbar . Anderes gilt allen falls im Falle von Gesuchen um Aufnahme oder Wiederaufnahme, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden (Artikel 49 Absatz 2 Satz 1 Dublin III-VO), was hier jedoch nicht der Fall ist,
55vgl. bereits VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 12. Februar 2014 – 13 L 2428/13.A –, juris, Rn. 13 und vom 8. Mai 2014 – 13 L 126/14.A –, juris, Rn. 11.
561. Nach den Vorschriften der Dublin II-VO ist Spanien der zuständige Staat für die Prüfung des durch den Kläger gestellten Asylantrags. Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien aus der EURODAC-Datei festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschrit ten hat, so ist dieser Mitgliedstaat gemäß Artikel 10 Absatz 1 Satz 1 Dublin II-VO für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Der Kläger ist nach seinen eigenen Angaben in der Befragung durch das Bundesamt vom 23. August 2013 vor seiner Einreise in die Bundes republik in Spanien gewesen. Überdies folgt aus der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank vom 27. August 2013, dass er bereits am 25. Oktober 2012 im spani schen Melilla erkennungsdienstlich behandelt worden ist. Der Kläger hat die Grenze Spa niens auch illegal überschritten, da er nach seinen eigenen Angaben ohne Ausweispapiere und Aufenthaltsberechtigung eingereist ist und zudem die vom Bundesamt durchgeführte Visa-Abfrage für ihn keinen Treffer ergeben hat.
572. Die danach vorliegende Zuständigkeit Spaniens ist auch nicht nach Artikel 10 Absatz 1 Satz 2 Dublin II-VO erloschen. Danach endet die Zuständigkeit zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Offen bleiben kann insoweit, ob der Kläger erst am Tag der erkennungsdienstlichen Behandlung, also am 25. Oktober 2012 erstmals in das Gebiet der Mitgliedstaaten eingereist und von den Behörden aufgegriffen worden ist oder ob die Einreise – wie der Kläger erstmals im gerichtlichen Verfahren vorträgt – bereits Anfang Oktober 2012 erfolgt ist. Denn der illegale Grenzübertritt lag in jedem Fall zum Zeitpunkt der für die Anwendung der Kriterien des Kapitels III maßgeblichen Zuständigkeitsbestim mung, die spätestens mit der Entscheidung Spaniens über das Aufnahmegesuch mit Schreiben vom 17. September 2013 ihren Abschluss fand (Artikel 19 Absatz 1Dublin II-VO ), noch keine zwölf Monate zurück.
58Dass diese Frist – unterstellt der Kläger sei wie behauptet bereits Anfang Oktober 2012 nach Spanien eingereist – im Zeitpunkt der nach obigen Ausführungen erst am 23. Oktober 2013 erfolgten Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides des Bundesamtes abgelaufen war, würde ebenfalls nicht zur Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung führen.
59Nach Artikel 3 Absatz 1 Satz 2 Dublin II-VO finden die Regelungen des Kapitels III, zu de nen Artikel 10 gehört, ausschließlich im Rahmen des Verfahrens zur Bestimmung des zu ständigen Mitgliedstaates Anwendung. Daher berechtigt Artikel 10 Absatz 1 Satz 2 Dublin II-VO zwar einen Mitglied staat, ein an ihn gerichtetes Aufnahme- oder Wiederaufnahmeersuchen eines anderen Mitgliedstaates abzulehnen, sofern der illegale Grenzübertritt im Zeitpunkt des Ersuchens bereits mehr als zwölf Monate zurückliegt. Nach Abschluss des Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung ist der Anwendungsbe reich des Kapitels III dagegen nicht mehr eröffnet und führt Artikel 10 Absatz 1 Satz 2 Dublin II-VO daher nicht zu einem nachträglichen Wegfall der be reits nach der Dublin II-Verordnung bestimmten Zuständigkeit. Dementsprechend regelt Kapitel V, dass die nach den Kriterien des Kapitels III bestehende Zuständigkeit eines er suchten Mitgliedstaates nachträglich nur unter den Voraussetzungen von Artikel 16 Absatz 3 und 4 Dublin II-VO erlöschen oder wegen eines Fristversäumnisses des ersuchenden Mitgliedstaates nach Artikel 17 Absatz 1 Satz 2, Artikel 19 Absatz 4 oder Artikel 20 Absatz 2 Dublin II-VO auf den ersuchenden Mitgliedstaat selbst übergehen kann. Überdies sieht Artikel 5 Absatz 2 Dublin II-VO vor, dass bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mit gliedstaats von der Situation ausgegangen wird, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
603. Die Zuständigkeit Spaniens ist auch nicht nach Maßgabe der Artikel 16 ff. Dublin II-VO wieder erloschen oder auf Deutschland übergegangen. Die Pflicht Spaniens, den Kläger aufzunehmen, folgt aus Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe a) Dublin II-VO, wonach der nach der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrags zuständige Mitgliedsstaat gehalten ist, einen Asylbewerber, der einen Antrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat, nach Maß gabe der Artikel 17 bis 19 Dublin II-VO aufzunehmen.
61Nachdem die am 27. August 2013 erfolgte Recherche der Beklagten in der Eurodac-Da tenbank für den Kläger einen Treffer ergab und damit Anhaltspunkte für eine Zuständigkeit Spaniens für die Prüfung des Asylantrags des Klägers bestanden, hat die Beklagte bereits am 29. August 2013 via DubliNet rechtzeitig inner halb der Frist nach Artikel 17 Absatz 1 Unterabsatz 1 Dublin II-VO von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrags am 7. Juni 2013 das Aufnahmeersuchen an Spanien gerichtet. Spanien hat seinerseits am 17. September 2013 und mithin innerhalb von zwei Monaten nach seiner Befassung mit dem Gesuch im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Dublin II-VO entschieden.
62Der Kläger kann nicht geltend machen, dass die in Art . ikel 19 Abs atz . 3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO geregelte Sechs-Monatsfrist zu einem Übergang der Zuständigkeit von Spanien auf die Beklagte geführt hat.
63a) Diese Frist ist noch nicht abgelaufen. Sie beginnt im vorliegenden Fall erst zu laufen, nachdem das Gericht in der Hauptsache über die Klage entschieden hat. Dies folgt schon aus dem Wortlaut der Vorschrift des Artikel 19 Abs atz . 3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO. Da nach erfolgt die Überstellung , sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wideraufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Mit dem in der zweiten Alternative dieser Vorschrift in Bezug genommenen Rechtsbehelf ist das gegen die Abschiebung gerichtete Hauptsacheverfah ren gemeint, nicht schon das Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz, auch wenn bereits während dessen Anhängigkeit gemäß § 34a Abs atz . 2 Satz 2 AsylVfG eine Abschiebung zu unterbleiben hat.
64Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 53; Beschluss vom 8. September 2014 – 13 A 1347/14.A –, juris, Rn. 5 ff.; VG Düsseldorf, Beschluss im Verfahren gleichen Rubrums vom 24. März 2014 – 13 L 644/14.A –, juris, Rn. 12 ff.
65Dieser Rechtsbehelf hatte aufgrund der gerichtlichen Anordnung vom 24. März 2014 im Verfahren nach § 80 Absatz 7 VwGO (13 L 644/14.A) aufschiebende Wirkung. Deshalb kann die Frist zur Überstellung und damit auch eine mögliche Frist, deren Ablauf zu einer unzumutbar langen Verfahrensdauer führen kann, erst mit der Entscheidung über diesen Rechtsbehelf – mithin mit Rechtskraft dieses Urteils – zu laufen beginnen. Artikel 19 Ab s atz . 3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO benennt insoweit zwar nicht die Rechtskraft, sondern die „Entscheidung über den Rechtsbehelf“. Da diese Formulierung jedoch in unmittelbarem Zusammenhang zur der diesem Rechtsbehelf beizumessenden aufschiebenden Wirkung verwendet wird, kann dies nur im Sinne einer rechtskräftigen Entscheidung über den Rechtsbehelf verstanden werden.
66Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. Mai 2014 – 13 A 827/14.A –, juris, Rn. 5.
67Ohne Bedeutung ist insoweit, dass die Kammer im vorgenannten Beschluss vom 24. März 2014 – anders als hier – zu der Annahme gelangt ist, die maßgebliche Frist sei bereits ab gelaufen. Denn Artikel 19 Abs atz . 3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO ermöglicht jedenfalls auch eine Überstellung innerhalb der hier noch nicht laufenden Frist von sechs Monaten ab der Entscheidung über den Rechtsbehelf. Im Übrigen hält die Kammer an ihrer allein im sum marischen Verfahren nach § 80 Absatz 5 und 7 VwGO vertretenen Auffassung, wonach sich der Kläger auf den Ablauf dieser Frist beruf en kann, nicht länger fest (s. hierzu unten, b) ).
68Dasselbe Ergebnis ergibt sich auch aus dem Sinn und Zweck der Überstellungsfrist. Durch die in Artikel 19 Absatz 3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO geregelte Überstellungsfrist soll es den Mitgliedstaaten ermöglicht werden , die Überstellung mitsamt ihren technischen Prob leme n zu bewerkstelligen. Die Frist für die Durchführung der Überstellung kann daher erst zu laufen beginnen, wenn grundsätzlich vereinbart und sichergestellt ist, dass die Über stellung in Zukunft erfolgen wird, und wenn lediglich deren Modalitäten zu regeln bleiben. Dass diese Überstellung erfolgen wird, kann nicht als sichergestellt angesehen werden, wenn ein Gericht des ersuchenden Mitgliedstaats, bei dem ein Rechtsbehelf anhängig ist, über die Frage in der Sache nicht entschieden hat, sondern sich darauf beschränkt hat, zu einem Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung Stellung zu nehmen. Denn es ist davon auszugehen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber nicht die Absicht hatte, dem Erfordernis der zügigen Bearbeitung der Asylanträge den gerichtlichen Schutz zu opfern, den die Mitgliedstaaten gewährleisten, deren Gerichte die Durchführung einer Überstellungsentscheidung aussetzen können und es somit dem Asylbewerber er möglichen, die ihn betreffenden Entscheidungen wirksam anzugreifen. Andernfalls be fände sich der Mitgliedstaat, der im Rahmen des Überstellungsverfahrens beschlossen hat, gegebenenfalls mit aufschiebender Wirkung versehene Rechtsbehelfe zu schaffen, und der daher hinnehmen müsste, dass die Frist, über die er für die Ausweisung des Asyl bewerbers verfügt, um die Zeit verkürzt wird, die die innerstaatlichen Gerichte benötigen, um über den Rechtsstreit in der Sache zu entscheiden, in einer misslichen Lage, da er, wenn es ihm nicht gelänge, die Überstellung des Asylbewerbers innerhalb des sehr kurzen Zeitraums zu organisieren, der zwischen der Entscheidung des Tatrichters und dem Ablauf der Frist für die Durchführung der Überstellung liegt, Gefahr liefe, letztlich als für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig bestimmt zu werden.
69Vgl. Europäische r Gerichtshof ( EuGH ) , Urteil vom 29. Januar 2009, – C-19/08 –, juris, S . 11, Rn. 44 ff.; OVG NRW, Beschlüsse vom 8. September 2014 – 13 A 1347/14.A –, Rn. 12 ff., und Be schluss vom 8. Mai 2014 – 13 A 827/14.A –, juris, Rn. 3.
70Vor diesem Hintergrund geht auch die im klägerischen Schriftsatz vom 11. September 2014 geäußerte Ansicht fehl, es bedürfe zunächst einer aktuellen Bestätigung der Über nahmebereitschaft Spaniens. Denn bei der Fristberechnung ab der Rechtskraft dieser Ent scheidung handelt es sich um eine von zwei gleichwertig nebeneinander bestehenden Al ternativen innerhalb der Vorschrift des Artikel 19 Abs atz . 3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO. Da ein Fristablauf objektiv nicht gegeben ist, kann auch Spanien sich nicht hierauf berufen. Im Übrigen würde auch die Möglichkeit, dass sich der übernehmende Staat auf den Ablauf der Frist beruft, dem Kläger nicht den entsprechenden Einwand in Form eines subjektiven Rechts an die Hand geben. Sollte der an sich übernehmende Staat die Aufnahme verwei gern, deckt sich dies mit dem vom Kläger verfolgten Interesse, im Bundesgebiet zu ver bleiben und – sollte kein anderer, dritter Staat zuständig sein – eine Prüfung seines An trags durch die Beklagte zu erreichen. Wäre der übernehmende Staat hingegen noch im mer zur Aufnahme bereit, würden hierdurch – wie nachstehend ausgeführt – keine subjektiven Rechte des Klägers verletzt.
71Die Beklagte ist vorliegend bis zur Entscheidung über die Hauptsache auf Grund des stattgebenden Beschlusses vom 24. März 2014, worin die aufschiebende Wirkung der vor liegenden Klage angeordnet worden ist , an der Überstellung des Klägers nach Spanien rechtlich und daher nicht nur aufgrund der erforderlichen Modalitäten für eine Überstellung gehindert gewesen . Die Überstellungsfrist beginnt erst mit Rechtkraft dieses Urteils zu laufen.
72b) Selbst wenn es hier jedoch auf den Ablauf der Sechs-Monatsfrist in der ersten Altern
a
tive des Art
ikel
.
19 Abs
atz
.
3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO ankäme, also beginnend mit der Annahme des Antrags auf Aufnahme durch Spanien
,
am
17.
Septem
ber 2013, könnte sich der Kläger nicht auf den Ablauf dieser Frist berufen.
Zwar endete die Frist zur Überstellung des Klägers zunächst
,
mit Ablauf des 17. März 2014, da Spanien der Aufnahme bereits am 17. September 2013 zugestimmt hatte
.
Der Kläger kann sich auf einen möglichen Verstoß gegen die Überstellungsfristjedoch nicht berufen. Allein ein Verstoß gegen die Fristenre gelungen der Dublin II-VO verletzt für sich keine subjektiven Rechte der Asylbewerber, sofern damit keine Grundrechtsverletzung einhergeht. Insoweit gibt die Kammer auf der Grundlage der sog. Abdullahi-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs,
74Urteil vom 10. Dezember 2013, – C-394/12 –, juris; vgl.
,
nachfolgend
auch BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 7,
ihre bisherige Rechtsprechungim Beschluss vom 24. März 2014 – 13 L 644/14.A – auf und geht davon aus, dass sich der Kläger nicht auf die Versäumung der Überstellun g s f rist berufen kann. Ob eine Vorschrift dem Schutz subjektiver Interessen dient, folgt maßgeblich aus dem In halt und Regelungszweck der anzuwendenden Norm. Nach seinem Wortlaut regelt Artikel 19 Absatz 3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO allein einen Verfahrensablauf zwischen zwei Ho heitssubjekten ohne Bezug zu nehmen auf den Asylbewerber selbst. Die dort konstituierte mitgliedstaatliche Obliegenheit steht im Einklang mit dem Sinn und Zweck der DublinII-VO, der letztlich in der Verwirklichung des in Artikel 78 Absatz 1 Vertrag über die Arbeits weise der Europäischen Union (AEUV) vorgesehenen gemeinsamen europäischen Asyl systems besteht, vgl. auch Artikel 78 Absatz 2 lit e) AEUV. Grundgedanke der DublinII-VO ist ausweislich den der Verordnung vorangestellten Erwägungen (3 und 16), eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats zu entwerfen. Eine solche Formel sollte nach den Erwägungen auf objekti ven und gerechten Kriterien basieren, die insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten.
76EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 18. April 2013, – C-4/11 –, juris, Rn. 57 f.; VG Düsseldorf, Urteil vom 27. August 2013 – 17 K 4737/12.A –, juris, Rn. 37.
77Die Fristbestimmungen der Dublin II-VO dienen dementsprechend einer zeitnahen Fest stellung des zuständigen Mitgliedsstaats und einer zügigen Überstellung an diesen, ohne aber dem Kläger (mittelbar) einen Anspruch auf Prüfung des Asylantrags durch einen be stimmten Mitgliedsstaat zu gewähren. Der EuGH hat für den Fall, dass der zuständige Mitgliedsstaat der Aufnahme zustimmt, entschieden, dass der Asylbewerber einer Über stellung nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnah mebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann.
78EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013, – C-394/12 –, juris, Rn. 60 und 62; BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 – 10 B 16.
/
14 –, juris, Rn. 12; VG Würzburg, Beschluss vom 11. Juni 2014 ‑
–
W
6
S
14.50065 –, juris, Rn. 18 m.w.N.
Obschon der Abdullahi- Entscheidung keine generelle Aussage zur subjektiv-rechtlichen Dimension von (Überstellungs-)Fristen zu nehmen ist,
80vgl. hierzu auch schon VG Düsseldorf, Urteil vom 15. August 2014 – 13 K 1117/14.A – Seite 9 und 10 des Urteilsabdrucks m.w.N.,zur Veröffentlichung bei juris und www.nrwe.de vorgesehen,
81gelten die vorstehenden Erwägungen auch für die hier relevante Überstellungsfrist im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens. Die Überstellungsfrist dient nicht dem Schutz des Klägers, sondern wie die sonstigen Fristbestimmungen allein den objektiven Zwecken einer sachgerechten Verteilung der mit Durchführung der Asylverfahren verbundenen Lasten in Abstimmung mit dem um (Wieder-)Aufnahme ersuchten Mitglieds
staat. Die Dublin II-VO enthält auch insoweit vor allem Verpflichtungen der Mitglieds
staaten untereinander. Etwas anderes mag – anders als hier – gelten, wenn die Überstellungsfrist abgelaufen und der ersuchte Mitgliedsstaat nicht mehr zur Aufnahme bzw. Wiederaufnahme bereit wäre oder wenn es sonst zur unverhältnismäßigen weiteren Verzögerungen käme (s.u.). Denn die Rechtsstellung des Einzelnen wird durch das Zuständigkeitssystem der Dublin II-Ver ordnung lediglich insoweit geschützt, als jedenfalls ein zuständiger Vertragsstaat für die Prüfung des Asylbegehrens gewährleistet sein muss.
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 16. April 2014 – A 11 S 1721/13 –, juris; Rn.
25; Offen gelassen vom OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 ‑
–
14
A
1943/11.A
–, juris, Rn. 24; VG Trier, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 5 L 1271/14.TR –, juris, Rn.
6 f.; VG Würzburg, Beschluss vom 11. Juni 2014 – W 6 S 14.50065 –, juris, Rn. 19; VG Hamburg, Beschluss vom 8. April 2014 – 17 AE 1762/14 –, juris, Rn. 18; VG Berlin, Beschluss vom 19. März 2014 – 33 L 90.14 A –, juris; VG Regensburg, Gerichtsbescheid vom 26. Februar 2013 – RN 9 K 11.30445 –, juris, Rn. 18; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 98. Ergänzungslieferung, November 2013, § 27a, Rn. 234.
Dieses Ergebnis wird zudem durch folgende Überlegung bestätigt: Dem Asylbewerber bleibt es in jedem Fall unbenommen, sich freiwillig bei der ihm genannten Stelle des ande ren Mitgliedstaates zu melden und hierdurch selbst das Verfahren zu beschleunigen. In soweit regelt Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe 1) der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (DVO Dublin II-VO), dass die Überstel lung in den zuständigen Mitgliedstaat auch auf Initiative des Asylbewerbers erfolgen kann.
84Vgl. hierzu Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 98. Ergänzungslieferung, November 2013, § 27a, Rn. 231 m.w.N.
85Hat es der Asylbewerber aber selbst in der Hand, wann die Überstellung erfolgtund dass sie überhaupt erfolgt
,
kann er mithin
selbst zu einer von ihm gewünschten Beschleunigung beitragen, verbietet
schon der
allgemeine – aus dem Gebot von Treu und Glauben nach §
242 BGB abgeleiteten
– Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“) sich
auf eine verspätete Überstellung seitens der Bundesrepublik Deutschlandzu
berufen. Insoweit ist es ihm auch nicht unzumutbar, sich zunächst in den anderen Mitgliedstaat zu begeben und dort den Ausgang des Hauptsacheverfahrens ab zuwarten.
OVG NRW, Beschluss vom 11. Oktober 2011 – 14 B 1011/11.A –, juris, Rn. 16.
874. Es liegen auch keine Gründe vor, die trotz der genannten Zuständigkeit Spaniens eine Verpflichtung der Beklagten begründen könnten, vom Selbsteintrittsrecht nach Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 Dublin II-VO Gebrauch zu machen oder es ausschließen würden, den Kläger nach Spanien abzuschieben.
88a) Zwar besteht bei einer unangemessenen Verfahrensdauer ein aus den Grundrechten abzuleitendes subjektives Recht des Asylbewerbers auf Durchführung des Asylverfahrens in dem Mitgliedstaat, welcher die Verzögerung zu verantworten hat.
89EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –, juris, Rn. 35 und Urteil vom 21. Dezember 2011 ‑
–
C-411/10 et al. –, juris, Rn. 98 und 108; VG Düsseldorf, Urteil vom 15. August 2014 ‑
–
13
K
1117/14.A
– m.w.N.
Das kann aber ohnehin nur dann gelten, wenn der Antragsteller durch zu langes Zuwarten des Bundesamtes um den zeitnah en Fortgang des Verfahrens auf Feststellung seiner Asylberechtigung bzw. seiner internationalen Schutzberechtigung gebracht wird. Hat der Kläger es jedoch selbst in der Hand, die Prüfung seines Antrags dadurch voranzutreiben, dass er sich freiwillig in den hierfür zuständigen Mitgliedstaat begibt, ist eine Grundrechts verletzung wegen zu langer Verfahrensdauer ausgeschlossen (s.o. , 3. b) ) .
91Selbst
wenn der Grund für die verzögerte Einreise bzw. Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat allein in die Sphäre der Beklagten fiele, wofür vorliegend nichts spricht, fehlt
e
es i
ndes schon
an einer solch unangemessen langen Verfahrensdauer. Anhaltspunkte, ab wann von einer unangemessen langen Verfahrensdauer auszugehen ist, hat der Europäi schen
Gerichtshof nicht gegeben. Nach Auffassung des Gerichts ist insoweit aber zunächst zu berücksichtigen, dass schon die Regelung des Artikel 19 Absatz 3 Dublin II-VO vor sieht, dass die Überstellung spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Annahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, erfolgt. Deren Überschreiten kann dabei nicht gleich gesetzt werden mit der vom EuGH angesprochenen, die Grundrechte des Asylbewerbers beeinträchtigenden unangemessen langen Verfahrensdauer. Der gesetzlichen Wertung des § 24 Absatz 4 AsylVfG folgend geht das Gericht davon aus, dass frühestens nach dem Verstreichen eines Zeitraums, der der regelmäßigen Frist des Artikel 19 Absatz 3 Dublin II-VO von sechs Monaten zuzüglich der durch § 24 Absatz 4 AsylVfG für die inner staatlich für die Entscheidung über den Asylantrag im Regelfall vorgesehenen Frist von sechs Monaten, also insgesamt von zwölf Monaten, entspricht, von einer unangemessen langen Verfahrensdauer ausgegangen werden kann.
Vgl. zur Stellung eines Aufnahmeantrags VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. Februar 2014 ‑ 13 L 2685/13.A –, juris, Rn. 22.
93Damit einhergehend sieht auch Artikel 19 Absatz 4 Satz 2, 1. Alternative Dublin II-VO vor, dass die Frist zur Überstellung höchstens auf ein Jahr verlängert werden kann, wenn diese aufgrund der Inhaftierung des Asylbewerbers nicht erfolgen konnte.
94Diese Frist ist vorliegend noch nicht abgelaufen.
95b) Die Beklagte ist schließlich auch nicht gehindert, den Kläger nach Spanien zu überstel len, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwach stellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behand lung im Sinne des Artikels 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) mit sich bringen. Die Voraussetzungen, unter denen das nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs,
96EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, S. 413,
97der Fall wäre, liegen nicht vor. Systemische Mängel in diesem Sine können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können,
98EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
99Gemessen hieran ist nicht ersichtlich, dass der Kläger Gefahr liefe, nach der Rück über stellung nach Spanien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. im Sinne von Artikel 3 EMRK zu unterfallen. Es liegen dem erkennenden Gericht keinerlei Erkenntnismittel vor, die die Befürchtung recht fertigen könnten, dass in Spanien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im oben genannten Sinne bestehen,
100vgl. Verwaltungsgericht Aachen, Beschluss vom 30. Juni 2014 – 4 L 398/14.A –, juris, Rn. 23 f. m.w.N.; Verwaltungsgericht Potsdam, Beschluss vom 23. Juni 2014 – 6 L 551/14.A –, juris, Rn. 11; Verwaltungsgericht Augsburg, Beschluss vom 27. Mai 2014 – Au 7 S 14.50094 –, juris, Rn. 50.
101Es ergeben sich auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass Spanien das Asylgesuch des Klägers nicht in einem ordnungsgemäßen Asylverfahren prüfen wird. Denn Spanien hat unter Wahrung seiner aus der Dublin II-VO folgende Obliegenheiten bereits zweimal fristgerecht seine Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags des Klägers an erkannt. Soweit der Kläger demgegenüber im gerichtlichen Verfahren vorgebracht hat, ihm sei in Spanien sowohl bei seiner Ersteinreise im Oktober 2012 als auch nach der Über stellung aus Deutschland im April 2013 jeweils die Stellung eines Asylantrags tatsächlich verweigert worden, ist dieses unsubtsantiierte Vorbringen nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht glaubhaft. Der Kläger hat hierzu schon selbst keine widerspruchsfreien Angaben gemacht. Im Rahmen der Anhörung beim Bun desamt am 23. Januar 2013 hat er ausdrücklich angegeben, noch in keinem europäischen Land einen Asylantrag gestellt zu haben (Bl. 39 Beiakte Heft 2). Anlässlich seiner erneuten Asylantragstellung in Deutschland am 7. Juni 2013 hat er zwar in der Anhörung am 23. August 2013 angegeben, er habe in Spanien gefragt, ob er Asyl beantragen könne, was aber abgelehnt worden sei. Allerdings schilderte er diese angebliche Verweigerung der Asylantragstellung als eine solche im Zusammenhang mit der Ersteinreise und damit im Widerspruch zu seinem Vorbringen vom 23. Januar 2013. Zudem legte er nicht offen, dass er unter einem Aliasnamen bereits zuvor in Deutschland einen Asylantrag gestellt hatte und nach Spanien zurückgeführt worden war. Da gerade die Verweigerung eines Asylverfahrens nach der Rücküberstellung nach Spanien nach den Angaben des Klägers im gerichtlichen Verfahren aber der wesentliche Anlass der erneuten Einreise nach Deutschland im Juni 2013 gewesen sein soll, wäre zu erwarten gewesen, dass er diesen für ihn so ent scheidenden Umstand dann auch in der Anhörung am 23. August 2013 schildert. Dies umso mehr, als der Rücküberstellung vom 10. April 2013 eine ausdrückliche Aufnahmeer klärung Spaniens vom 7. März 2013 zugrunde lag. Die Einschätzung, dass dem diesbe züglichen Vorbringen des Klägers kein Glauben geschenkt werden kann, stützt das Ge richt ergänzend darauf, dass der Kläger auch zu seinem angeblichen Verfolgungsschicksal in beiden Anhö rungen vollkommen unterschiedliche und nicht miteinander in Einklang zu bringende An gaben gemacht hat und zudem seinen ersten Asylantrag unter einem falschen Namen gestellt hat, sich mithin insgesamt nicht als glaubwürdig erweist.
102Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach § 34a Absatz 1 AsylVfG bestehen keine Bedenken. Insbesondere besteht auch kein Abschiebungshin der nis. Gemäß § 34a Absatz 1 Satz 1 a. E. AsylVfG setzt die Anordnung der Abschiebung neben der Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 27a AsylVfG voraus, dass sie auch durch geführt werden kann. Es sind weder zielstaatsbezogene, noch in der Person des Klägers bestehende, also inlandsbezogene, Abschiebungshindernisse ersicht lich.
103Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Absatz 1 VwGO. Die Nichterhebung von Gerichts k osten ergibt sich aus § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert folgt aus § 30Ab satz 1 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
104Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
Tenor
I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
I.
II.
Gründe
Tenor
1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Oktober 2014 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrages als unzulässig und die angeordnete Abschiebung nach Italien.
Der 1990 geborene Kläger, somalischer Staatsangehörigkeit, dem Volke der Tumal zugehörig und moslemischer Religionszugehörigkeit, reiste am ... 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 25. März 2014 Asylantrag.
Aufgrund eines EURODAC-Treffers für Italien der Kategorie 1 am 23. April 2014, wonach der Kläger bereits am 17. April 2013 in Italien/... Asyl beantragt hat, richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 28. Mai 2014 ein Übernahmeersuchen nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) an Italien, auf das innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Wochen nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO keine Antwort bei der Beklagten einging.
Mit Bescheid vom 10. Oktober 2014, zugestellt am 14. Oktober 2014, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig, da Italien aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrages gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Die geltend gemachten Einwände, in Italien Obdachlosigkeit sowie mangelnde Verpflegung und medizinische Versorgung erfahren zu haben, rechtfertigten keine abweichende Beurteilung. Italien als Mitgliedstaat der Europäischen Union erfülle gegenüber Drittstaatsangehörigen, die dort einen Asylantrag stellen, die Mindeststandards. Die Anordnung der Abschiebung nach Italien beruhe auf § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
Mit dem beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2014 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wird ausgeführt, wegen des Ablaufs der Überstellungsfrist müsse der Bescheid nicht aufgehoben werden. Vielmehr stelle sich der Asylantrag in Deutschland als Zweitantrag nach § 71 a AsylVfG dar, der mangels geltend gemachter Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1-3 VwVfG ebenfalls als unzulässig abzulehnen sei. Im Wege der Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG sei die mit Ziff. 1 des Bescheides ausgesprochene Ablehnung des Asylantrages als unzulässig daher aufrecht zu erhalten. Für die klageweise verfolgte Aufhebung von Ziff. 1 des Bescheides vom 10. Oktober 2014 fehle insoweit das Rechtsschutzbedürfnis, jedenfalls sei der Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt. Im Hinblick auf die Abschiebungsanordnung seien nach Ablauf der Überstellungsfrist Modifizierungen als Abschiebungsandrohung in ein Drittland zu prüfen. Die in der Abschiebungsanordnung enthaltene Ausreiseaufforderung bleibe aufrecht erhalten.
Mit Beschluss vom 13. November 2014 wurde die Entscheidung über den Rechtsstreit auf die Einzelrichterin übertragen (§ 76 Abs. 1 AsylVfG). Mit Schriftsatz vom 12. Januar 2015 hat der Kläger sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 14. Januar 2015 auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Akte des Bundesamtes Bezug genommen.
Gründe
Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten kann die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, insbesondere innerhalb der Frist nach § 74 Abs. 1 AsylVfG fristgemäß erhoben und als isolierte Anfechtungsklage statthaft (vgl. OVG NRW, U. v. 7.3.2014 - 1 A 21/12. A; VG München, Gerichtsbescheid
Der Kläger, gegenüber dem weiterhin wirksam die Anordnung der Abschiebung nach Italien und die Ablehnung seines Asylantrages als unzulässig ausgesprochen ist, hat auch ein fortbestehendes, rechtlich schutzwürdiges Interesse an dem erstrebten Rechtsschutzziel. Das Rechtsschutzbedürfnis wäre nur dann abzusprechen, wenn die Rechtsverfolgung dem Kläger unter keinem denkbaren Gesichtspunkt einen rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil verschaffen könnte. Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich. Die von der Beklagten angeführte Möglichkeit einer verwaltungsrechtlichen Umdeutung nach § 47 VwVfG lässt indes nicht das Rechtsschutzinteresse des Klägers an der Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides entfallen.
Die Klage ist auch begründet.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 10. Oktober 2014 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 AsylVfG) mit Ablauf der in Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin III-VO geregelten Überstellungsfrist rechtswidrig geworden und verletzt den Kläger in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Die Ablehnung des Asylantrages als unzulässig in Ziff. 1 des angefochtenen Bescheides ist mit Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO wegen des damit verbundenen Übergangs der Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat rechtswidrig geworden.
Mangels eines eingelegten Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz bestimmt sich die Überstellungsfrist im vorliegenden Fall gemäß Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO nach dem Zeitpunkt der Annahme des Wiederaufnahmeersuchens vom 28. Mai 2014, mithin nach der Zustimmungsfiktion nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III VO beginnend am 12. Juni 2014. Das Gericht folgt hinsichtlich der Fristberechnung nicht der in der Literatur vertretenen Auffassung, nach der wegen der nationalen Bestimmung des § 34 a Abs. 2 S. 2 AsylVfG, wonach eine Abschiebung innerhalb der Antragsfrist von einer Woche eine Abschiebung nicht zulässig sei, davon ausgegangen wird, dass für den Fall eines unterlassenen Antrags auf Eilrechtsschutz die Überstellungsfrist wegen dieses nationalen Mechanismus erst ab Ablauf der Wochenfrist zu beginnen laufe, da während dieser Zeit die Abschiebung kraft Verfassungsrecht (Art. 19 Abs. 4 GG) ausgesetzt sei (vgl. Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand 11/2013, § 27 a Rn. 227). Diese Auffassung findet im Wortlaut des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO keine Stütze, der hinsichtlich des Fristbeginns an die Annahme des Aufnahmegesuchs oder die Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung anknüpft. Die in § 34 a Abs. 2 S. 2 AsylVfG gesetzlich vorgesehene Aussetzung der Abschiebung während der Rechtsbehelfsfrist für den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellt sich ohne entsprechenden Antrag auf Eilrechtsschutz jedoch gerade nicht als ein Rechtsbehelf oder eine Überprüfung dar, die den Lauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO erneut in Gang setzt. Nach dieser Auffassung könnte die Überstellungsfrist in keinem denkbaren Fall mit der Annahme des Aufnahmeersuchens beginnen, und die nationalen Behörden könnten durch den Zeitpunkt des Bescheiderlasses den Fristbeginn einseitig bestimmen. Dies stünde jedoch erkennbar im Widerspruch zu der Zielsetzung des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO, der durch die getroffene Fristenregelung im Interesse einer Verfahrensbeschleunigung sowohl den Interessen des aufnehmenden als auch des überstellenden Mitgliedstaates Rechnung tragen will.
Die Überstellungsfrist begann vorliegend somit mit der Annahmefiktion nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO am 12. Juni 2014 war daher am 12. Dezember 2014 abgelaufen. Anhaltspunkte für eine Verlängerung der Frist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO oder eine fortbestehende Aufnahmebereitschaft des Mitgliedstaats Italien trotz Ablaufs der Überstellungsfrist sind nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als vorliegend der Mitgliedstaat Italien weder auf das Aufnahmeersuchen noch auf eine Erinnerung des Bundesamts reagiert hat, mithin die Übernahmebereitschaft nicht positiv bekundet wurde. Mit Ablauf der Überstellungsfrist endet die durch die Zustimmungsfiktion auf das Aufnahmeersuchen begründete Zuständigkeit des Mitgliedstaats Italien, und die Beklagte ist für den bei ihr gestellten Asylantrag nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO zuständig geworden.
Den Übergang der Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz auf die Beklagte kann der Kläger auch geltend machen. Dem steht nicht die Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes entgegen, wonach der Asylbewerber dem erfolgreichen Aufnahmeersuchen nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen treten kann (vergleiche EuGH, U. v. 10.12.2013 - C -394/12 - juris). Daraus wird in der Rechtsprechung die Folgerung gezogen, ein Asylbewerber habe kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin-Verordnungen auch zuständige Mitgliedstaat sei oder ob nicht zwischenzeitlich ein anderer Mitgliedstaat bzw. - durch Zeitablauf oder durch konkludenten Selbsteintritt - die Bundesrepublik Deutschland zuständig geworden sei (so NdsOVG, B. v. 6.11.2014 - 13 LA 66/14; HessVGH, B. v. 25.8.2014 - 2 A 975/14. A - OVG RhPf., U. v. 21.2.2014 - 10 A 10656/13; VGH BW, U. v. 27.8.2014 - A 11 S 1285/14 - und
Zwar kann grundsätzlich eine Berufung auf eine Verletzung von Verfahrens- und Fristenregelungen der Dublin-Verordnungen der Klage eines Asylbewerbers mangels einklagbarer subjektiver Rechte nicht zum Erfolg verhelfen. Denn der Unionsgesetzgeber hat die Bestimmungen der Dublin-Verordnungen erlassen, um im Interesse der Verfahrensbeschleunigung die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und dadurch einem „forum shopping“ zuvorzukommen (vgl. EuGH, a.a.O, Nr. 53). Einer der Hauptzwecke der Verordnung besteht in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden (vgl. EuGH, a. a. O., Nr. 59). Wegen des vorrangigen Ziels einer eindeutigen und zeitnahen Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates wollte der Unionsgesetzgeber einem Asylbewerber mit der Dublin II-Verordnung und gleichermaßen mit der Dublin III-Verordnung keine weitergehende Rechtsposition vermitteln, seinen Asylantrag in einem ganz bestimmten Mitgliedstaat, in dem er einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat, prüfen zu lassen.
Etwas anderes hat jedoch dann zu gelten, wenn durch den Übergang der Zuständigkeit auf den prüfenden bzw. ersuchenden Mitgliedstaat infolge Ablaufs der Überstellungsfrist und nunmehr fehlender Aufnahmebereitschaft des ersuchten Mitgliedstaates die Gefahr besteht, dass der Antrag des Asylbewerbers in keinem Mitgliedstaat geprüft wird. Denn auch wenn die Dublin III-Verordnung kein subjektives Recht auf Durchführung eines Asylverfahrens im zuständigen Mitgliedstaat begründet, so ist die Rechtsstellung des Einzelnen zumindest insoweit als geschützt anzusehen, als jedenfalls ein zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens gewährleistet sein muss. Das mit dem Dublin III-VO verfolgte Interesse einer Verfahrensbeschleunigung und die Überstellungsfrist von sechs Monaten schützen auch das Interesse des Einzelnen an einer Durchführung des Asylverfahrens binnen angemessener Frist (vgl. VG Münster, U. v. 19.11.2014 - 1 K 1136/14.A -; VG Karlsruhe, B. v. 30.11.2014 - A 5 K 2026/14 - juris). Zumindest dann, wenn zur Fristüberschreitung als solche eine fehlende Übernahmebereitschaft des zunächst zuständigen Mitgliedstaates hinzukommt und damit die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens insgesamt versagt bleiben könnte, ist eine geltend zu machende subjektive Rechtsposition zu bejahen (vgl. „Umschlagen in eine Grundrechtsverletzung“, VG Hannover, B. v. 10.11.2014 - 1 B 12764/14 - juris). Durch den Übergang der Zuständigkeit infolge Ablaufs der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO ohne fortbestehende Übernahmebereitschaft des zunächst zuständigen Mitgliedstaat ist somit die Rechtsstellung des Klägers insoweit betroffen, als mit dem Zuständigkeitsübergang das Rechtsregime der Dublin III-Verordnung endet und ihm mit dem Übergang ins nationale Verfahren eine Behandlung seines Asylantrages nach dem Asylverfahrensgesetz zusteht (ebenso VG Ansbach, U. v. 8.10.2014 - AN 10 K 14.30043 -; VG Aachen, U. v. 18.11.2014 - 9 K 161/14. A -; VG Würzburg, B. v. 30.10.2014 - W 3 E 14.50144; a.A. VG Würzburg, B. v. 11.6.2014 - W 6 S 14.50065 - jeweils juris).
Eine Umdeutung des Bescheides vom 10. Oktober 2014 in eine ablehnende Entscheidung nach § 71a AsylVfG ist nicht möglich, da die Voraussetzungen des § 47 VwVfG für eine Umdeutung nicht vorliegen.
Nach § 47 Abs. 1 VwVfG kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und -form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.
Der einer Umdeutung zugrunde liegende Rechtsgedanke ist, dass eine einmal getroffene rechtliche Regelung soweit wie möglich aufrecht zu erhalten ist, wenn der Fehler des ursprünglichen Verwaltungsaktes durch die Erkenntnis einer neuen Rechtsfolge, das Ersetzen der Regelung beseitigt werden kann (vgl. Schemmer in Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 47 Rn. 1, 6). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dürfen zwischen der umzudeutenden und der durch die Umdeutung erzeugten Regelung keine wesentlichen rechtlichen Unterschiede bestehen, d. h. der neue Verwaltungsakt muss die gleiche materiell-rechtliche Tragweite besitzen (BVerwG, U.v. 28.2.1975 - IV C 30.73
Hinsichtlich der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig in Ziffer 1 des Bescheides vom 10. Oktober 2014 sind diese Voraussetzungen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht erfüllt, weil zum einen für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates im Rahmen des Dublin-Verfahrens andere Verfahrensbestimmungen gelten als für die Prüfung eines Zweitantrages nach § 71 a AsylVfG, und zum anderen die Ablehnung der Prüfung eines Zweitantrages eine weitergehende rechtliche Tragweite aufweist als die ursprünglich im Dublin-Verfahren ergangene Entscheidung. Denn die Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-) Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren (vgl. OVG NRW, U. v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - juris, Rn. 36). Die Zuständigkeitsprüfung nach den Dublin-Verordnungen ist ein eigenes, der Prüfung des Asylantrages vorgelagertes Verfahren und von dem Verfahren zur inhaltlichen Prüfung des Asylantrages zu unterscheiden (vgl. NdsOVG, B. v. 6.11.2014 - 13 LA 66/14 - juris, Rn. 7). Die Entscheidung im Dublin-Verfahren erschöpft sich in der Beantwortung der Zuständigkeitsfrage. Für § 27a AsylVfG kommt es nur darauf an, ob die Beklagte nach den Vorschriften der Dublin-Verordnungen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Demgegenüber hat die Ablehnung eines Zweitantrages nach § 71 a AsylVfG eine entscheidend andere Rechtswirkung, dessen Konsequenz insoweit gänzlich unterschiedlich ist, als keine Abschiebungsanordnung in den zuständigen EU-Mitgliedstaat sondern regelmäßig eine Abschiebungsandrohung in den jeweiligen Herkunftsstaat gem. § 36 AsylVfG ergeht. Die Beklagte müsste somit im Rahmen des Zweitantrages, für den sie im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylVfG zuständig ist, nicht nur die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG, sondern gemäß § 71a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG i. V. m. § 24 Abs. 2 AsylVfG auch die zielstaatbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG prüfen.
Die Entscheidung nach § 71 a Abs. 1 AsylVfG weist damit eine weitergehende rechtliche Tragweite auf als die Entscheidung nach § 27 a AsylVfG, auch wenn beide Entscheidungen in ihrem Tenor die Ablehnung des Asylantrages als unzulässig beinhalten können. Deshalb scheitert die von der Beklagten vorgenommene Umdeutung der Ziffer 1 des Bescheides bereits an der Zielgleichheit des Umdeutungsergebnisses.
Darüber hinaus scheitert eine Umdeutung des Bescheides auch an den verfahrensrechtlichen Voraussetzungen. Für den durch die Umdeutung gewonnenen Verwaltungsakt dürfen nämlich keine Verfahrensvorschriften gelten, die bei dem ursprünglichen Verwaltungsakt nicht eingehalten worden sind (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 47 Rn. 17). Die Verfahrensbestimmungen für die Ablehnung eines Zweitantrags nach § 71 a AsylVfG sind indes nicht erfüllt. Der Kläger wurde zu den maßgeblichen Tatsachen des Zweitantrages (materielle Fluchtgründe und Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG) nicht angehört, wie dies nach § 71a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG i. V. m. § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG vorgeschrieben ist. Zwar kann nach § 71 a Abs. 2 S. 2 AsylVfG von der Anhörung abgesehen werden, soweit sie für die Feststellung, dass kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, nicht erforderlich ist. Ausweislich der vorgelegten Behördenakten fanden am 25. März 2014 lediglich eine Befragung zur Vorbereitung der Anhörung und das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens statt. Außerdem wurde der Kläger am 17. März 2014 bei der Regierung von Mittelfranken - Zentrale Rückführungsstelle Nordbayern - zu seiner Identität angehört. Eine Gelegenheit zum Vortrag materieller Fluchtgründe oder zur Klärung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bestand im Verwaltungsverfahren jedoch nie. Die Anhörung ist auch notwendig, weil die Beklagte mangels weiterer Angaben noch nicht einmal entscheiden kann, ob Wiederaufnahmegründe vorliegen, wenn nicht bekannt ist, welche Gründe der Kläger in seinem Erstverfahren in Italien vorgebracht hat. Der Kläger wurde somit bislang weder nach § 25 AsylVfG angehört, noch wurden konkrete Feststellungen zum Vorbringen und dem Abschluss des Asylverfahrens in Italien getroffen. Mangels bislang nicht stattgefundener Anhörung im Bundesgebiet, ist ein ermessensfehlerfreies Absehen von einer Anhörung nach § 71 a Abs. 2 S. 2 AsylVfG praktisch kaum denkbar. Darüber hinaus erscheint eine Beurteilung möglicher Wiederaufnahmegründe nach § 51Abs. 1 bis 3 VwVfG ohne Kenntnis über den Verfahrensabschluss in Italien nicht möglich (vgl. BayVGH, U. v. 9.10.2014 - 20 B 13.30332 - juris).
Wegen fehlender Zielgleichheit des Umdeutungsergebnisses und unterschiedlicher Verfahrensbestimmungen muss eine Umdeutung der Ablehnung des Asylantrages als unzulässig nach § 27 a AsylVfG in die Ablehnung eines Zweitantrages nach § 71 a AsylVfG daher ausscheiden (vgl. ebenso: VG Ansbach, U. v. 8.10.2014 - An 10 K 14.30043 -; VG Würzburg, U. v. 27.11.2014 - W 3 K 13.30553 -; VG Aachen, U. v. 18.11.2014 - 9 K 161/14.A -; VG Regensburg, U. v. 14.11.2014 - RN 5 K 14.30304 - und Gerichtsbesch.
Das Gericht kann die Voraussetzungen für eine Umdeutung des Verwaltungsaktes im gerichtlichen Verfahren auch nicht herbeiführen. Zwar hat das Gericht grundsätzlich die Sache spruchreif zu machen. Dieser auch im Asylverfahren geltende Grundsatz findet allerdings auf behördliche Entscheidungen, die auf der Grundlage von § 27a AsylVfG ergangen sind, keine Anwendung (vgl. auch BayVGH, U. v. 28.2.2014 - 13a B 13.30295 -; VGH BW, U. v. 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 - beide: juris). Denn wenn das Asylbegehren in der Sache noch gar nicht geprüft worden ist und das Gericht verpflichtet wäre, die Sache spruchreif zu machen, ginge der Klagepartei eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien ausgestattet ist. Außerdem würde ein Durchentscheiden des Gerichts dazu führen, dass es nicht eine Entscheidung der Behörde kontrollieren würde, sondern sich anstelle der Exekutive erstmalig selbst mit dem Antrag sachlich auseinandersetzen und entscheiden würde. Dies wäre im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 GG zumindest bedenklich (vgl. VG Würzburg, U. v. 27.11.2014 - W 3 K 13.30553 -; VG Augsburg, Gerichtsbesch.
Ein Aufrechterhalten eines Bescheides unter einer anderen Rechtsgrundlage kommt im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) ebenfalls nicht in Betracht, wenn dies - wie vorliegend - ohne weitere und umfangreiche Ermittlungen bei italienischen Behörden, die nicht der Amtshilfeverpflichtung nach § 14 VwGO unterliegen, nicht möglich ist (vgl. BayVGH, U. v. 9.10.2014 - 20 B 13.30332 - juris).
Die Abschiebungsanordnung nach Italien gem. § 34 a AsylVfG in Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheides ist nach Ablauf der Überstellungsfrist ebenfalls rechtswidrig geworden und kann nicht in eine Abschiebungsandrohung in das Herkunftsland des Klägers umgedeutet werden. Auch hier fehlt es offensichtlich an der Zielgleichheit des Umdeutungsergebnisses. Zudem wäre die Androhung der Abschiebung in den Herkunftsstaat gegenüber der Abschiebung in den EU-Mitgliedsstaat als sicheren Drittstaat eine vergleichsweise ungünstigere Rechtsfolge. Eine Umdeutung der Abschiebungsanordnung nach Italien in eine Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat gemäß § 47 Abs. 1 VwVfG scheitert daran, dass es sich beim Austausch des Zielstaats um eine weitgehende inhaltliche Änderung der Abschiebungsandrohung handelt (vgl. BVerwG, U. v. 17.6.2014 - 10 C 7/13 - NVwZ 2014, 1460 ff.). Somit steht auch hinsichtlich Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheides § 47 Abs. 2 Satz 1 VwVfG der Umdeutung entgegen.
Nachdem die Umdeutung des streitgegenständlichen Bescheides ausscheidet, kann der Kläger durch die Aufhebung des Bescheides auch einen rechtlichen Vorteil erlangen. Denn nach Aufhebung des Bescheides ist die Beklagte verpflichtet, über den gestellten Asylantrag zu entscheiden.
Der Bescheid vom 10. Oktober 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Wie ausgeführt kann auch in Ansehung des Grundsatzes, wonach die Bestimmungen der Dublin II-VO - wie die der Dublin III-VO - grundsätzlich keine subjektiven Rechte des Schutzsuchenden begründen, der Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens als notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs gegenüber dem nunmehr zuständigen Staat geltend gemacht werden, wenn - wie vorliegend - die Überstellungsfrist abgelaufen und wegen nicht fortbestehender Übernahmebereitschaft des ursprünglich zuständigen Mitgliedstaats eine Prüfung des Asylantrages ansonsten gänzlich versagt bliebe.
Somit war der streitgegenständliche Bescheid mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG aufzuheben.
Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 14.02.2014 wird aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Tatbestand
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Entscheidungsgründe
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Gründe
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Tenor
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 7. Kammer, Einzelrichter - vom 3. November 2014 wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Antragsverfahrens.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
- 1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) nicht vorliegt.
- 2
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der einheitlichen Auslegung und Anwendung oder der Fortentwicklung des Rechts der Klärung bedarf, oder wenn sie eine tatsächliche Frage aufwirft, deren in der Berufungsentscheidung zu erwartende Klärung verallgemeinerungsfähige Auswirkungen hat. Verallgemeinerungsfähige Auswirkungen hat die Klärung einer Tatsachenfrage, wenn sich diese Frage nicht nur in dem zu entscheidenden Fall, sondern darüber hinaus auch noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft stellt. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist nur dann im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum die Frage im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren.
- 3
Nach diesen Maßstäben kommt der aufgeworfenen Frage,
- 4
ob ein Asylbewerber sich gegen eine Überstellung in einen Drittstaat darauf berufen darf, dass Deutschland die Überstellungsfrist gemäß Art. 19 Abs. 4 Dublin-II-VO bzw. Art. 29 Abs. 3 Dublin-III-VO versäumt hat,
- 5
keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage bedarf bereits deshalb nicht der Klärung in einem Berufungsverfahren, weil sie sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres - verneinend - beantworten lässt.
- 6
Die Kläger können kein subjektives Recht auf Einhaltung der Zuständigkeits- und Fristvorschriften der Dublin-II-Verordnung geltend machen; auf die hier nicht anwendbaren Vorschriften der Dublin-III-Verordnung kommt es nicht entscheidungserheblich an. Die Dublin-II-Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vom 18. Februar 2003 ist trotz § 77 Abs. 1 AsylVfG und der zwischenzeitlich erlassenen Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 - Dublin-III-Verordnung - auf den vorliegenden Fall weiterhin anzuwenden, weil nach Art. 49 Dublin-III-Verordnung die Neuregelung erst auf Anträge der Mitgliedstaaten auf Wiederaufnahme anzuwenden ist, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind.
- 7
Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 - Abdullahi -, NVwZ 2014, 208, juris; vgl. auch Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, Slg 2011, I-13905-14033, juris Rn. 96 und vom 14. November 2013 - C-4/11, Puid - juris) ist davon auszugehen, dass sich die Kläger nicht auf die Versäumung von Fristen berufen können. Denn die Dublin-II-VO gewährt den Klägern keinen subjektiv einklagbaren Rechtsanspruch darauf, dass ihre Asylanträge in einem bestimmten Mitgliedsstaat geprüft werden, den sie für zuständig halten. Die jeweiligen Fristbestimmungen der Dublin-II-VO dienen hiernach ebenfalls allein einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und einer zeitnahen Überstellung in diesen Staat im Verhältnis der Dublin-Staaten untereinander, ohne aber den Klägern (mittelbar) einen Anspruch auf Prüfung des Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat zu gewährleisten (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 - Rn. 10 ff., VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 - Rn. 59 und vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 - Rn. 25, Hessischer VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 - jeweils juris, siehe auch Berlit, Anmerkung zu BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris PR-BVerwG 12.2014). Ein Asylantragsteller kann der Überstellung in den nach der Dublin-II- Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen treten (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14. u.a. - Rn. 4, vom. 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, vom 21. Mai 2014 - 10 B 3110 B 31.14 - Rn. 4 und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, jeweils juris).
- 8
Nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10. Dezember 2013 (- C-394/12 - „Abdullahi", a.a.O.) kann ein Asylantragsteller nach einem erfolgreichen Aufnahmeersuchen mit dem in Art. 19 Abs. 2 Dublin II-VO vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die Überstellung der Heranziehung des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriteriums nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten. Zwar sind diese Ausführungen des Gerichtshofes ausdrücklich nur im Zusammenhang mit der Bestimmung der Zuständigkeit eines Mitgliedsstaats gemäß Kapitel III der Dublin II-Verordnung erfolgt. Aus ihren tragenden Erwägungen kann aber unmittelbar gefolgert werden, dass sich ein Asylantragsteller ebenfalls nicht mit Erfolg auf einen Zuständigkeitsübergang nach den im Kapitel V geregelten Art. 16 ff. Dublin II-VO berufen kann (ebenso Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 - juris Rn. 10).
- 9
Genauso wie die Vorschriften über die Bestimmung der Zuständigkeit im Kapitel III der Dublin-II-Verordnung keine subjektiven Rechte vermitteln, sondern als Organisationsvorschriften einer klaren und praktikablen Bestimmung der Zuständigkeit innerhalb der Mitgliedstaaten dienen (vgl. hierzu die Erwägungsgründe 3 und 16), sollen auch die Vorschriften des Kapitel V der Verordnung - ebenfalls als Organisationsvorschriften - in erster Linie eine rasche Bestimmung des für die Prüfung zuständigen Mitgliedsstaates ermöglichen (Erwägungsgrund 4). Auch sie vermitteln Asylantragstellern keine subjektiven Rechte, sondern bei ihnen steht das Interesse im Vordergrund, die Zuständigkeit zeitnah festzustellen und den Asylantrag durch einzig den zuständigen Mitgliedstaat prüfen zu lassen, nicht aber, die Prüfung einem ganz bestimmten Mitgliedstaat zuzusprechen, in dem der Antragsteller einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat.
- 10
Dementsprechend führt der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 10. Dezember 2013 (a.a.O.) aus, dass der Unionsgesetzgeber diese Vorschriften erlassen hat, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem „forum shopping" zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen (Rn. 53). Auch er sieht einen der Hauptzwecke der Verordnung in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden (Rn. 59). Vorrangiges Ziel der Dublin-II-Verordnung insgesamt, und nicht nur der Zuständigkeitskriterien des Kapitels III, ist danach eine möglichst eindeutige Bestimmung des zuständiges Mitgliedstaates und in der Folge eine zeitnahe Prüfung des Asylantrages. Der Unionsgesetzgeber wollte einem Asylantragsteller mit der Dublin II-Verordnung (ebenso mit der Dublin III-Verordnung) aber keine weitergehende Rechtsposition einräumen, seinen Asylantrag in einem ganz bestimmten Mitgliedstaat, in dem er einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat, prüfen zu lassen.
- 11
Auch das Bundesverwaltungsgericht (Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14. u.a. - Rn. 4, vom. 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, vom 21. Mai 2014 - 10 B 3110 B 31.14 - Rn. 4 und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, jeweils juris) entnimmt der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union, dass ein Asylantragsteller einer Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann. Auch nach seinem Verständnis dieser Rechtsprechung kann eine Berufung auf eine Verletzung von Verfahrens- und Fristenregelungen der Dublin-II-Verordnung der Klage eines Asylbewerbers demnach grundsätzlich nicht zum Erfolg verhelfen (so ausdrücklich Berlit, jurisPR- BVerwG 12/2014 Anm. 3, Buchst. B am Ende).
- 12
Die Kläger machen geltend, dass sich aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergebe, dass Asylantragsteller zwar keine Fristversäumnisse im Rahmen des (Wieder-)Aufnahmeersuchens geltend machen könnten - dies könne nur der ersuchte Staat - (Beschluss vom 21. Mai 2014 a.a.O.), ein Ablauf der Überstellungsfrist führe aber zu einem Zuständigkeitswechsel und dies könne der Flüchtling geltend machen. Im Beschluss vom 14. Juli 2014 (a.a.O.) habe das Bundesverwaltungsgericht durch den Begriff des zuständigen (statt des ersuchten) Mitgliedsstaats deutlich gemacht, dass der Asylantrag nur dann unzulässig sei, wenn ein anderer Mitgliedsstaat zuständig sei. Auch für den Gerichtshof der Europäischen Union sei in seinem Urteil vom 10. Dezember 2013 (a.a.O.) ausschlaggebend, dass der ersuchte Staat der Übernahme zugestimmt habe. Damit sei aber nichts dazu gesagt, dass nach Fristablauf die Zuständigkeit wieder auf den ersuchenden Staat übergehe und der Antragsteller dies geltend machen könne.
- 13
Der Senat vermag diesen Ausführungen der Kläger nicht zu folgen, solange Frankreich weiterhin bereit ist, ihre Asylanträge zu bearbeiten, da es keinen Anspruch der Kläger auf Prüfung ihrer Anträge durch einen (von ihnen) bestimmten Staat gibt. Dafür, dass Frankreich seine mit Schreiben vom 31. März 2014 erklärte Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge der Kläger nach Fristablauf zurücknehmen und sich auf den Fristablauf berufen werde, gibt es weder Feststellungen des Verwaltungsgerichts - zum Zeitpunkt seiner Entscheidung war die Frist des Art. 19 Abs. 3 UAbs. 1, Abs. 4 Satz 1 Dublin-II-VO noch nicht abgelaufen - noch wird von den Klägern behauptet oder gar dargelegt (vgl. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG), dass Frankreich wegen des Fristablaufs nicht mehr zur Aufnahme bereit wäre. Ob etwas anderes dann gilt, wenn feststeht, dass der ersuchte Mitgliedstaat - hier Frankreich - nicht mehr zur Aufnahme bereit ist (vgl. zu dieser Fallkonstellation VG Schleswig, Gerichtsbescheid vom 19. Februar - 5 A 374/14 -), bedarf hier schon deshalb keiner weiteren Erörterung. Diese Fallkonstellation ist auch nicht vorsorglich vom Senat in die Prüfung einzubeziehen. Sofern mit einem solchen Fall eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 41 Abs. 1 i.V.m. Art 51 Abs. 1 Satz 1 EUGrdRCh einherginge, hätten die Kläger einen Wiederaufgreifensanspruch (vgl. § 51 VwVfG; zur Notwendigkeit in einem solchen Fall ein Verfahren auf Wiederaufgreifen einzuleiten, vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14-juris Rn. 59juris).
- 14
Entgegenstehende Rechtsprechung anderer Obergerichte, die eine bundeseinheitliche Klärung erforderte, ist nicht ersichtlich. Mit dem Hinweis auf einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. Juli 2014 -11 B 789/14.A - zeigen die Kläger letztlich keine abweichende Entscheidung auf, da dieser Beschluss schon keine (nähere) Begründung enthält. Damit bleibt unklar, auf welchen Überlegungen der Beschluss beruht, ob ihm eine Auseinandersetzung mit der dargelegten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vorausgegangen ist, und insbesondere, ob hier im Einzelfall neben dem Ablauf der Überstellungsfrist weitere Umstände hinzugekommen sind, aufgrund derer feststand, dass Italien nicht mehr zur Aufnahme bereit war. Ähnlich verhielte es sich mit der von den Klägern herangezogenen Entscheidung eines Einzelrichters beim österreichischen Bundesverwaltungsgericht, unterstellt mit dem Verweis auf derartige erstinstanzliche Entscheidungen könnte überhaupt eine Klärungsbedürftigkeit dargelegt werden.
- 15
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da dem Antrag auf Zulassung der Berufung nach dem Ausgeführten die hierfür gem. § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten abzusprechen sind.
- 16
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG; Gründe für eine Abweichung (§ 30 Abs. 2 RVG) sind nicht vorgetragen oder sonst erkennbar.
- 17
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG). Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. Februar 2014 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Der nach eigenen Angaben am 00.0.1987 geborene und am 1. Oktober 2013 in die Bundesrepublik Deutschland eingereiste Kläger ist algerischer Staatsangehöriger. Er stellte am 14. Oktober 2013 einen Asylantrag.
3Am 2. Dezember 2013 richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ein Wiederaufnahmeersuchen für den Kläger an die Republik Italien und nahm darin Bezug auf Art. 16 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (im Folgenden: Dublin II-VO), das von den italienischen Behörden unbeantwortet blieb.
4Mit Bescheid vom 26. Februar 2014 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an.
5Der Kläger hat am 6. März 2014 Klage erhoben.
6Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, aufgrund der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Italien sei eine Überstellung dorthin rechtswidrig. Sein Asylantrag müsse von der Beklagten geprüft werden.
7Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
8den Bescheid der Beklagten vom 26. Februar 2014, Az. 5 679 764 – 221, zugestellt am 28. Februar 2014, aufzuheben.
9Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
10die Klage abzuweisen.
11Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, weshalb nach ihrer Auffassung das Asylsystem Italiens keine systemischen Mängel aufweise, dass eine Prüfung des Asylantrages des Klägers dort erfolgen müsse und seine Überstellung nach Italien somit rechtmäßig sei.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
13Entscheidungsgründe:
14Das Gericht entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
15Die Klage hat Erfolg.
16Sie ist zulässig und begründet.
17Der Bescheid des Bundesamtes ist zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
18Der Asylantrag des Klägers ist nicht mehr gemäß § 27a AsylVfG unzulässig.
19Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Dublin II-VO. Diese findet auf den Asylantrag des Klägers gemäß Art. 49 Unterabsatz 2 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO) Anwendung, weil sowohl der Asylantrag, als auch das Wiederaufnahmeersuchen vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind.
20Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens, die ursprünglich gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) und c) der Dublin II-VO bei der Republik Italien lag, ist gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen, weil die Überstellung des Klägers nach Italien nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist von sechs Monaten durchgeführt wurde. Nach dieser Vorschrift erfolgt die Überstellung spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrages auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat (Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO).
21Die Frist begann im vorliegenden Fall am 2. Januar 2014 zu laufen, weil gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. c) Dublin II-VO von der Annahme des Wiederaufnahmeersuchens durch die Republik Italien an diesem Tag auszugehen ist.
22Für den Fristbeginn ist hier die Annahme des Wiederaufnahmeersuchens maßgeblich und nicht die Entscheidung über den Rechtsbehelf, weil dieser keine aufschiebende Wirkung hatte,
23vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 – 13 A 1347714.A –; VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. März 2014 – 13 L 644/14.A -; Urteil vom 23. Mai 2014 – 2 K 719/14.A -.
24Die somit an dem Tag der Annahme des Wiederaufnahmeersuchens beginnende Frist von sechs Monaten ist zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen. Anhaltspunkte für eine Verlängerung dieser Frist gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO liegen nicht vor.
25Die auf Grundlage der §§ 34a Abs. 1, 27a AsylVfG ausgesprochene Unzulässigkeit des Asylantrages des Klägers und damit auch die angeordnete Überstellung nach Italien sind aus den vorgenannten Gründen im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung rechtswidrig.
26Dies verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der erkennende Einzelrichter ist aus den in den nachstehend zitierten Entscheidungen ausgeführten überzeugenden Gründen, auf die Bezug genommen wird, der Auffassung, dass sich der Asylantragsteller auf den Zuständigkeitsübergang kraft Ablaufs der Überstellungsfrist gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO im Klagewege berufen kann,
27vgl. VG Augsburg, Gerichtsbescheid vom 12. November 2014 – Au 7 K 14.50047 –, juris Rn. 45; VG Oldenburg, Urteil vom 7. Juli 2014 – 3 A 416/14 –, juris Rn. 38 ff.; VG Göttingen, Beschluss vom 30. Juni 2014 – 2 B 86/14 –, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. August 2013 – 12 S 675/13 –, juris Rn. 13; VG Magdeburg, Urteil vom 28. Februar 2014 – 1 A 413/13 –, juris Rn. 21; VG Minden, Urteil vom 23. September 2014 – 10 K 717/14.A –, juris Rn. 36; VG Regensburg, Urteil vom 14. November 2014 – RN 5 K 14.30304 –, juris Rn. 28 f.; VG Münster, Urteil vom 19. November 2014 – 1 K 1136/14.A –, juris Rn. 34; VG Karlsruhe, Beschluss vom 30. November 2014 – A 5 K 2026/14 –, juris Rn. 24. Zur anderen Ansicht: vgl. etwa OVG Lüneburg, Beschluss vom 6. November 2014 – 13 LA 66/14 –, juris; Hessischer VGH, Beschluss vom 25. August 2014 – 2 A 975/14.A –, juris Rn. 17; VG Düsseldorf, Urteile vom 12. September 2014 – 13 K 8286/13 –, juris, und vom 27. August 2013 – 17 K 4737/12.A –, juris Rn. 34 ff.
28Entgegenstehendes folgt auch nicht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH). Dessen Ausführungen, in einer Situation, in der der Mitgliedstaat der Aufnahme zustimmt, könne der Asylbewerber der Heranziehung des Zuständigkeitskriteriums nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen geltend macht,
29vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 -, Juris, Rn. 60; BVerwG, Beschlüsse vom 19. März 2014 – 10 B 6/14 -, juris, Rn 7, vom 15. April 2014 – 10 B 17/14 – juris, Rn 12 , vom 6. Juni 2014 – 10 B 35/14-, juris, und vom 14. Juli 2014 – 1 B 9/14, 1 PKH 10/14 -, juris,
30betrafen nur die (vorgelagerte) Frage der Heranziehung des Zuständigkeitskriteriums für die Bestimmung des nach Kapitel III der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaates, nicht aber den (nachgelagerten) Ablauf der Überstellungsfrist. In jenem Verfahren hatte das zuständige Gericht des Mitgliedstaats im Eilverfahren gerade die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs angeordnet, so dass die Überstellungsfrist erst nach dem der EuGH-Entscheidung folgenden Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu laufen begann und der EuGH daher insoweit keine Rechtsfrage zu beantworten hatte.
31Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Dublin II-VO dem Ausländer kein subjektives Recht darauf einräumt, dass sein Asylantrag in einem bestimmten Mitgliedstaat geprüft wird. Denn die Rechtsstellung eines Antragstellers im Sinne der Dublin-Verordnungen wird nur insoweit geschützt, als jedenfalls ein zuständiger Vertragsstaat für die Prüfung des Asylbegehrens des Drittstaatsangehörigen gewährleistet sein muss.
32Der - fruchtlose – Ablauf der Überstellungsfrist führt aber nach dem klaren Wortlaut des Artikels 20 Absatz 2 Satz 1 Dublin II-VO zu einer Beendigung der Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates zur Aufnahme oder Wiederaufnahme des Klägers zwecks Durchführung des Asylverfahrens und zu einem Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte. Mit der Berufung auf Artikel 20 Absatz 2 Satz 1 Dublin II-VO macht der Asylbewerber daher keinen – durch die Dublin-Verordnungen nicht geschützten – Anspruch auf Prüfung seines Asylantrags in einem von ihm bevorzugten anderen als nach den Zuständigkeitskriterien des Kapitels III an sich zuständigen Mitgliedstaates geltend, sondern vielmehr die Prüfung seines Asylbegehrens in dem einzigen, zu diesem Zeitpunkt nach der Dublin II-Verordnung gewährleisteten zuständigen Mitgliedstaat.
33Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
34Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
35Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
Tenor
I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
I.
II.
Gründe
Tenor
1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Oktober 2014 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrages als unzulässig und die angeordnete Abschiebung nach Italien.
Der 1990 geborene Kläger, somalischer Staatsangehörigkeit, dem Volke der Tumal zugehörig und moslemischer Religionszugehörigkeit, reiste am ... 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 25. März 2014 Asylantrag.
Aufgrund eines EURODAC-Treffers für Italien der Kategorie 1 am 23. April 2014, wonach der Kläger bereits am 17. April 2013 in Italien/... Asyl beantragt hat, richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 28. Mai 2014 ein Übernahmeersuchen nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) an Italien, auf das innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Wochen nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO keine Antwort bei der Beklagten einging.
Mit Bescheid vom 10. Oktober 2014, zugestellt am 14. Oktober 2014, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig, da Italien aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrages gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Die geltend gemachten Einwände, in Italien Obdachlosigkeit sowie mangelnde Verpflegung und medizinische Versorgung erfahren zu haben, rechtfertigten keine abweichende Beurteilung. Italien als Mitgliedstaat der Europäischen Union erfülle gegenüber Drittstaatsangehörigen, die dort einen Asylantrag stellen, die Mindeststandards. Die Anordnung der Abschiebung nach Italien beruhe auf § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
Mit dem beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2014 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wird ausgeführt, wegen des Ablaufs der Überstellungsfrist müsse der Bescheid nicht aufgehoben werden. Vielmehr stelle sich der Asylantrag in Deutschland als Zweitantrag nach § 71 a AsylVfG dar, der mangels geltend gemachter Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1-3 VwVfG ebenfalls als unzulässig abzulehnen sei. Im Wege der Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG sei die mit Ziff. 1 des Bescheides ausgesprochene Ablehnung des Asylantrages als unzulässig daher aufrecht zu erhalten. Für die klageweise verfolgte Aufhebung von Ziff. 1 des Bescheides vom 10. Oktober 2014 fehle insoweit das Rechtsschutzbedürfnis, jedenfalls sei der Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt. Im Hinblick auf die Abschiebungsanordnung seien nach Ablauf der Überstellungsfrist Modifizierungen als Abschiebungsandrohung in ein Drittland zu prüfen. Die in der Abschiebungsanordnung enthaltene Ausreiseaufforderung bleibe aufrecht erhalten.
Mit Beschluss vom 13. November 2014 wurde die Entscheidung über den Rechtsstreit auf die Einzelrichterin übertragen (§ 76 Abs. 1 AsylVfG). Mit Schriftsatz vom 12. Januar 2015 hat der Kläger sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 14. Januar 2015 auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Akte des Bundesamtes Bezug genommen.
Gründe
Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten kann die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, insbesondere innerhalb der Frist nach § 74 Abs. 1 AsylVfG fristgemäß erhoben und als isolierte Anfechtungsklage statthaft (vgl. OVG NRW, U. v. 7.3.2014 - 1 A 21/12. A; VG München, Gerichtsbescheid
Der Kläger, gegenüber dem weiterhin wirksam die Anordnung der Abschiebung nach Italien und die Ablehnung seines Asylantrages als unzulässig ausgesprochen ist, hat auch ein fortbestehendes, rechtlich schutzwürdiges Interesse an dem erstrebten Rechtsschutzziel. Das Rechtsschutzbedürfnis wäre nur dann abzusprechen, wenn die Rechtsverfolgung dem Kläger unter keinem denkbaren Gesichtspunkt einen rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil verschaffen könnte. Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich. Die von der Beklagten angeführte Möglichkeit einer verwaltungsrechtlichen Umdeutung nach § 47 VwVfG lässt indes nicht das Rechtsschutzinteresse des Klägers an der Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides entfallen.
Die Klage ist auch begründet.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 10. Oktober 2014 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 AsylVfG) mit Ablauf der in Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin III-VO geregelten Überstellungsfrist rechtswidrig geworden und verletzt den Kläger in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Die Ablehnung des Asylantrages als unzulässig in Ziff. 1 des angefochtenen Bescheides ist mit Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO wegen des damit verbundenen Übergangs der Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat rechtswidrig geworden.
Mangels eines eingelegten Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz bestimmt sich die Überstellungsfrist im vorliegenden Fall gemäß Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO nach dem Zeitpunkt der Annahme des Wiederaufnahmeersuchens vom 28. Mai 2014, mithin nach der Zustimmungsfiktion nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III VO beginnend am 12. Juni 2014. Das Gericht folgt hinsichtlich der Fristberechnung nicht der in der Literatur vertretenen Auffassung, nach der wegen der nationalen Bestimmung des § 34 a Abs. 2 S. 2 AsylVfG, wonach eine Abschiebung innerhalb der Antragsfrist von einer Woche eine Abschiebung nicht zulässig sei, davon ausgegangen wird, dass für den Fall eines unterlassenen Antrags auf Eilrechtsschutz die Überstellungsfrist wegen dieses nationalen Mechanismus erst ab Ablauf der Wochenfrist zu beginnen laufe, da während dieser Zeit die Abschiebung kraft Verfassungsrecht (Art. 19 Abs. 4 GG) ausgesetzt sei (vgl. Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand 11/2013, § 27 a Rn. 227). Diese Auffassung findet im Wortlaut des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO keine Stütze, der hinsichtlich des Fristbeginns an die Annahme des Aufnahmegesuchs oder die Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung anknüpft. Die in § 34 a Abs. 2 S. 2 AsylVfG gesetzlich vorgesehene Aussetzung der Abschiebung während der Rechtsbehelfsfrist für den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellt sich ohne entsprechenden Antrag auf Eilrechtsschutz jedoch gerade nicht als ein Rechtsbehelf oder eine Überprüfung dar, die den Lauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO erneut in Gang setzt. Nach dieser Auffassung könnte die Überstellungsfrist in keinem denkbaren Fall mit der Annahme des Aufnahmeersuchens beginnen, und die nationalen Behörden könnten durch den Zeitpunkt des Bescheiderlasses den Fristbeginn einseitig bestimmen. Dies stünde jedoch erkennbar im Widerspruch zu der Zielsetzung des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO, der durch die getroffene Fristenregelung im Interesse einer Verfahrensbeschleunigung sowohl den Interessen des aufnehmenden als auch des überstellenden Mitgliedstaates Rechnung tragen will.
Die Überstellungsfrist begann vorliegend somit mit der Annahmefiktion nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO am 12. Juni 2014 war daher am 12. Dezember 2014 abgelaufen. Anhaltspunkte für eine Verlängerung der Frist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO oder eine fortbestehende Aufnahmebereitschaft des Mitgliedstaats Italien trotz Ablaufs der Überstellungsfrist sind nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als vorliegend der Mitgliedstaat Italien weder auf das Aufnahmeersuchen noch auf eine Erinnerung des Bundesamts reagiert hat, mithin die Übernahmebereitschaft nicht positiv bekundet wurde. Mit Ablauf der Überstellungsfrist endet die durch die Zustimmungsfiktion auf das Aufnahmeersuchen begründete Zuständigkeit des Mitgliedstaats Italien, und die Beklagte ist für den bei ihr gestellten Asylantrag nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO zuständig geworden.
Den Übergang der Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz auf die Beklagte kann der Kläger auch geltend machen. Dem steht nicht die Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes entgegen, wonach der Asylbewerber dem erfolgreichen Aufnahmeersuchen nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen treten kann (vergleiche EuGH, U. v. 10.12.2013 - C -394/12 - juris). Daraus wird in der Rechtsprechung die Folgerung gezogen, ein Asylbewerber habe kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin-Verordnungen auch zuständige Mitgliedstaat sei oder ob nicht zwischenzeitlich ein anderer Mitgliedstaat bzw. - durch Zeitablauf oder durch konkludenten Selbsteintritt - die Bundesrepublik Deutschland zuständig geworden sei (so NdsOVG, B. v. 6.11.2014 - 13 LA 66/14; HessVGH, B. v. 25.8.2014 - 2 A 975/14. A - OVG RhPf., U. v. 21.2.2014 - 10 A 10656/13; VGH BW, U. v. 27.8.2014 - A 11 S 1285/14 - und
Zwar kann grundsätzlich eine Berufung auf eine Verletzung von Verfahrens- und Fristenregelungen der Dublin-Verordnungen der Klage eines Asylbewerbers mangels einklagbarer subjektiver Rechte nicht zum Erfolg verhelfen. Denn der Unionsgesetzgeber hat die Bestimmungen der Dublin-Verordnungen erlassen, um im Interesse der Verfahrensbeschleunigung die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und dadurch einem „forum shopping“ zuvorzukommen (vgl. EuGH, a.a.O, Nr. 53). Einer der Hauptzwecke der Verordnung besteht in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden (vgl. EuGH, a. a. O., Nr. 59). Wegen des vorrangigen Ziels einer eindeutigen und zeitnahen Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates wollte der Unionsgesetzgeber einem Asylbewerber mit der Dublin II-Verordnung und gleichermaßen mit der Dublin III-Verordnung keine weitergehende Rechtsposition vermitteln, seinen Asylantrag in einem ganz bestimmten Mitgliedstaat, in dem er einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat, prüfen zu lassen.
Etwas anderes hat jedoch dann zu gelten, wenn durch den Übergang der Zuständigkeit auf den prüfenden bzw. ersuchenden Mitgliedstaat infolge Ablaufs der Überstellungsfrist und nunmehr fehlender Aufnahmebereitschaft des ersuchten Mitgliedstaates die Gefahr besteht, dass der Antrag des Asylbewerbers in keinem Mitgliedstaat geprüft wird. Denn auch wenn die Dublin III-Verordnung kein subjektives Recht auf Durchführung eines Asylverfahrens im zuständigen Mitgliedstaat begründet, so ist die Rechtsstellung des Einzelnen zumindest insoweit als geschützt anzusehen, als jedenfalls ein zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens gewährleistet sein muss. Das mit dem Dublin III-VO verfolgte Interesse einer Verfahrensbeschleunigung und die Überstellungsfrist von sechs Monaten schützen auch das Interesse des Einzelnen an einer Durchführung des Asylverfahrens binnen angemessener Frist (vgl. VG Münster, U. v. 19.11.2014 - 1 K 1136/14.A -; VG Karlsruhe, B. v. 30.11.2014 - A 5 K 2026/14 - juris). Zumindest dann, wenn zur Fristüberschreitung als solche eine fehlende Übernahmebereitschaft des zunächst zuständigen Mitgliedstaates hinzukommt und damit die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens insgesamt versagt bleiben könnte, ist eine geltend zu machende subjektive Rechtsposition zu bejahen (vgl. „Umschlagen in eine Grundrechtsverletzung“, VG Hannover, B. v. 10.11.2014 - 1 B 12764/14 - juris). Durch den Übergang der Zuständigkeit infolge Ablaufs der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO ohne fortbestehende Übernahmebereitschaft des zunächst zuständigen Mitgliedstaat ist somit die Rechtsstellung des Klägers insoweit betroffen, als mit dem Zuständigkeitsübergang das Rechtsregime der Dublin III-Verordnung endet und ihm mit dem Übergang ins nationale Verfahren eine Behandlung seines Asylantrages nach dem Asylverfahrensgesetz zusteht (ebenso VG Ansbach, U. v. 8.10.2014 - AN 10 K 14.30043 -; VG Aachen, U. v. 18.11.2014 - 9 K 161/14. A -; VG Würzburg, B. v. 30.10.2014 - W 3 E 14.50144; a.A. VG Würzburg, B. v. 11.6.2014 - W 6 S 14.50065 - jeweils juris).
Eine Umdeutung des Bescheides vom 10. Oktober 2014 in eine ablehnende Entscheidung nach § 71a AsylVfG ist nicht möglich, da die Voraussetzungen des § 47 VwVfG für eine Umdeutung nicht vorliegen.
Nach § 47 Abs. 1 VwVfG kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und -form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.
Der einer Umdeutung zugrunde liegende Rechtsgedanke ist, dass eine einmal getroffene rechtliche Regelung soweit wie möglich aufrecht zu erhalten ist, wenn der Fehler des ursprünglichen Verwaltungsaktes durch die Erkenntnis einer neuen Rechtsfolge, das Ersetzen der Regelung beseitigt werden kann (vgl. Schemmer in Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 47 Rn. 1, 6). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dürfen zwischen der umzudeutenden und der durch die Umdeutung erzeugten Regelung keine wesentlichen rechtlichen Unterschiede bestehen, d. h. der neue Verwaltungsakt muss die gleiche materiell-rechtliche Tragweite besitzen (BVerwG, U.v. 28.2.1975 - IV C 30.73
Hinsichtlich der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig in Ziffer 1 des Bescheides vom 10. Oktober 2014 sind diese Voraussetzungen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht erfüllt, weil zum einen für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates im Rahmen des Dublin-Verfahrens andere Verfahrensbestimmungen gelten als für die Prüfung eines Zweitantrages nach § 71 a AsylVfG, und zum anderen die Ablehnung der Prüfung eines Zweitantrages eine weitergehende rechtliche Tragweite aufweist als die ursprünglich im Dublin-Verfahren ergangene Entscheidung. Denn die Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-) Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren (vgl. OVG NRW, U. v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - juris, Rn. 36). Die Zuständigkeitsprüfung nach den Dublin-Verordnungen ist ein eigenes, der Prüfung des Asylantrages vorgelagertes Verfahren und von dem Verfahren zur inhaltlichen Prüfung des Asylantrages zu unterscheiden (vgl. NdsOVG, B. v. 6.11.2014 - 13 LA 66/14 - juris, Rn. 7). Die Entscheidung im Dublin-Verfahren erschöpft sich in der Beantwortung der Zuständigkeitsfrage. Für § 27a AsylVfG kommt es nur darauf an, ob die Beklagte nach den Vorschriften der Dublin-Verordnungen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Demgegenüber hat die Ablehnung eines Zweitantrages nach § 71 a AsylVfG eine entscheidend andere Rechtswirkung, dessen Konsequenz insoweit gänzlich unterschiedlich ist, als keine Abschiebungsanordnung in den zuständigen EU-Mitgliedstaat sondern regelmäßig eine Abschiebungsandrohung in den jeweiligen Herkunftsstaat gem. § 36 AsylVfG ergeht. Die Beklagte müsste somit im Rahmen des Zweitantrages, für den sie im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylVfG zuständig ist, nicht nur die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG, sondern gemäß § 71a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG i. V. m. § 24 Abs. 2 AsylVfG auch die zielstaatbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG prüfen.
Die Entscheidung nach § 71 a Abs. 1 AsylVfG weist damit eine weitergehende rechtliche Tragweite auf als die Entscheidung nach § 27 a AsylVfG, auch wenn beide Entscheidungen in ihrem Tenor die Ablehnung des Asylantrages als unzulässig beinhalten können. Deshalb scheitert die von der Beklagten vorgenommene Umdeutung der Ziffer 1 des Bescheides bereits an der Zielgleichheit des Umdeutungsergebnisses.
Darüber hinaus scheitert eine Umdeutung des Bescheides auch an den verfahrensrechtlichen Voraussetzungen. Für den durch die Umdeutung gewonnenen Verwaltungsakt dürfen nämlich keine Verfahrensvorschriften gelten, die bei dem ursprünglichen Verwaltungsakt nicht eingehalten worden sind (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 47 Rn. 17). Die Verfahrensbestimmungen für die Ablehnung eines Zweitantrags nach § 71 a AsylVfG sind indes nicht erfüllt. Der Kläger wurde zu den maßgeblichen Tatsachen des Zweitantrages (materielle Fluchtgründe und Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG) nicht angehört, wie dies nach § 71a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG i. V. m. § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG vorgeschrieben ist. Zwar kann nach § 71 a Abs. 2 S. 2 AsylVfG von der Anhörung abgesehen werden, soweit sie für die Feststellung, dass kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, nicht erforderlich ist. Ausweislich der vorgelegten Behördenakten fanden am 25. März 2014 lediglich eine Befragung zur Vorbereitung der Anhörung und das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens statt. Außerdem wurde der Kläger am 17. März 2014 bei der Regierung von Mittelfranken - Zentrale Rückführungsstelle Nordbayern - zu seiner Identität angehört. Eine Gelegenheit zum Vortrag materieller Fluchtgründe oder zur Klärung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bestand im Verwaltungsverfahren jedoch nie. Die Anhörung ist auch notwendig, weil die Beklagte mangels weiterer Angaben noch nicht einmal entscheiden kann, ob Wiederaufnahmegründe vorliegen, wenn nicht bekannt ist, welche Gründe der Kläger in seinem Erstverfahren in Italien vorgebracht hat. Der Kläger wurde somit bislang weder nach § 25 AsylVfG angehört, noch wurden konkrete Feststellungen zum Vorbringen und dem Abschluss des Asylverfahrens in Italien getroffen. Mangels bislang nicht stattgefundener Anhörung im Bundesgebiet, ist ein ermessensfehlerfreies Absehen von einer Anhörung nach § 71 a Abs. 2 S. 2 AsylVfG praktisch kaum denkbar. Darüber hinaus erscheint eine Beurteilung möglicher Wiederaufnahmegründe nach § 51Abs. 1 bis 3 VwVfG ohne Kenntnis über den Verfahrensabschluss in Italien nicht möglich (vgl. BayVGH, U. v. 9.10.2014 - 20 B 13.30332 - juris).
Wegen fehlender Zielgleichheit des Umdeutungsergebnisses und unterschiedlicher Verfahrensbestimmungen muss eine Umdeutung der Ablehnung des Asylantrages als unzulässig nach § 27 a AsylVfG in die Ablehnung eines Zweitantrages nach § 71 a AsylVfG daher ausscheiden (vgl. ebenso: VG Ansbach, U. v. 8.10.2014 - An 10 K 14.30043 -; VG Würzburg, U. v. 27.11.2014 - W 3 K 13.30553 -; VG Aachen, U. v. 18.11.2014 - 9 K 161/14.A -; VG Regensburg, U. v. 14.11.2014 - RN 5 K 14.30304 - und Gerichtsbesch.
Das Gericht kann die Voraussetzungen für eine Umdeutung des Verwaltungsaktes im gerichtlichen Verfahren auch nicht herbeiführen. Zwar hat das Gericht grundsätzlich die Sache spruchreif zu machen. Dieser auch im Asylverfahren geltende Grundsatz findet allerdings auf behördliche Entscheidungen, die auf der Grundlage von § 27a AsylVfG ergangen sind, keine Anwendung (vgl. auch BayVGH, U. v. 28.2.2014 - 13a B 13.30295 -; VGH BW, U. v. 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 - beide: juris). Denn wenn das Asylbegehren in der Sache noch gar nicht geprüft worden ist und das Gericht verpflichtet wäre, die Sache spruchreif zu machen, ginge der Klagepartei eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien ausgestattet ist. Außerdem würde ein Durchentscheiden des Gerichts dazu führen, dass es nicht eine Entscheidung der Behörde kontrollieren würde, sondern sich anstelle der Exekutive erstmalig selbst mit dem Antrag sachlich auseinandersetzen und entscheiden würde. Dies wäre im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 GG zumindest bedenklich (vgl. VG Würzburg, U. v. 27.11.2014 - W 3 K 13.30553 -; VG Augsburg, Gerichtsbesch.
Ein Aufrechterhalten eines Bescheides unter einer anderen Rechtsgrundlage kommt im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) ebenfalls nicht in Betracht, wenn dies - wie vorliegend - ohne weitere und umfangreiche Ermittlungen bei italienischen Behörden, die nicht der Amtshilfeverpflichtung nach § 14 VwGO unterliegen, nicht möglich ist (vgl. BayVGH, U. v. 9.10.2014 - 20 B 13.30332 - juris).
Die Abschiebungsanordnung nach Italien gem. § 34 a AsylVfG in Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheides ist nach Ablauf der Überstellungsfrist ebenfalls rechtswidrig geworden und kann nicht in eine Abschiebungsandrohung in das Herkunftsland des Klägers umgedeutet werden. Auch hier fehlt es offensichtlich an der Zielgleichheit des Umdeutungsergebnisses. Zudem wäre die Androhung der Abschiebung in den Herkunftsstaat gegenüber der Abschiebung in den EU-Mitgliedsstaat als sicheren Drittstaat eine vergleichsweise ungünstigere Rechtsfolge. Eine Umdeutung der Abschiebungsanordnung nach Italien in eine Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat gemäß § 47 Abs. 1 VwVfG scheitert daran, dass es sich beim Austausch des Zielstaats um eine weitgehende inhaltliche Änderung der Abschiebungsandrohung handelt (vgl. BVerwG, U. v. 17.6.2014 - 10 C 7/13 - NVwZ 2014, 1460 ff.). Somit steht auch hinsichtlich Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheides § 47 Abs. 2 Satz 1 VwVfG der Umdeutung entgegen.
Nachdem die Umdeutung des streitgegenständlichen Bescheides ausscheidet, kann der Kläger durch die Aufhebung des Bescheides auch einen rechtlichen Vorteil erlangen. Denn nach Aufhebung des Bescheides ist die Beklagte verpflichtet, über den gestellten Asylantrag zu entscheiden.
Der Bescheid vom 10. Oktober 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Wie ausgeführt kann auch in Ansehung des Grundsatzes, wonach die Bestimmungen der Dublin II-VO - wie die der Dublin III-VO - grundsätzlich keine subjektiven Rechte des Schutzsuchenden begründen, der Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens als notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs gegenüber dem nunmehr zuständigen Staat geltend gemacht werden, wenn - wie vorliegend - die Überstellungsfrist abgelaufen und wegen nicht fortbestehender Übernahmebereitschaft des ursprünglich zuständigen Mitgliedstaats eine Prüfung des Asylantrages ansonsten gänzlich versagt bliebe.
Somit war der streitgegenständliche Bescheid mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG aufzuheben.
Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 14.02.2014 wird aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Tatbestand
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Entscheidungsgründe
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Gründe
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Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage (6a K 5250/14.A) gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 17. Novem-ber 2014 wird unter Abänderung des Beschlusses vom 17. Dezember 2014 (6a L 1837/14.A) angeordnet.Die Kosten des (gerichtsgebührenfreien) Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag,
3den Beschluss der Kammer vom 17. Dezember 2014 (6a L 1837/14.A) abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage 6a K 5250/14.A gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. November 2014 enthaltene Abschiebungsanordnung anzuordnen,
4ist zulässig und begründet.
5Das Gericht kann Beschlüsse über Eilanträge nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) jederzeit ändern oder aufheben und ist dazu auf Antrag eines Beteiligten auch verpflichtet, wenn veränderte oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände vorliegen (§ 80 Abs. 7 VwGO). Aus den neu vorgetragenen Umständen muss sich zumindest die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung ergeben.
6Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 80 Rdnr. 196.
7Dies ist vorliegend der Fall. Geänderte Umstände sind gegeben, weil inzwischen wohl die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, (sog. „Dublin III-Verordnung“) vom 26. Juni 2013 abgelaufen ist.
8Bei summarischer Prüfung bestehen zum jetzigen Zeitpunkt ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides, weil einiges dafür spricht, dass die Antragsgegnerin wegen Ablaufs der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 S. 1 VO (EU) Nr. 604/2013 für das Asylverfahren der Antragsteller zuständig geworden ist. Zwar haben verschiedene Gerichte mit beachtlichen Gründen entschieden, dass während der Anhängigkeit eines gerichtlichen Eilverfahrens gegen einen auf der Grundlage der §§ 27a, 34a AsylVfG erlassenen Bescheid die Überstellungsfrist gehemmt oder gar unterbrochen ist.
9Für eine Hemmung VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris; für Unterbrechung etwa VG Karlsruhe, Beschluss vom 30. November 2014 - A 5 K 2026/14 -, juris, mit weiteren Nachweisen.
10Unter Zugrundelegung dieser Auffassungen wäre die Überstellungsfrist zum jetzigen Zeitpunkt – mit Blick auf das im November/Dezember 2014 durchgeführte, mit einem ablehnenden Beschluss abgeschlossene Eilverfahren 6a L 1837/14.A – noch nicht abgelaufen. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat indes entgegen den vorgenannten Rechtsprechungsansätzen entschieden, dass die Überstellungsfrist bereits mit der Annahmeentscheidung des Zielstaats zu laufen beginnt und dass ein gerichtliches Eilverfahren, wenn dieses nicht zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung führt, auf den Lauf der Frist keinen Einfluss hat, weil mit dem Begriff „Rechtsbehelf“ in Art. 19 Abs. 3 der früheren Dublin II-Verordnung allein der Rechtsbehelf in der Hauptsache gemeint sei.
11Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 1347/14.A -, juris, und wohl auch Beschluss vom 28. Januar 2015 - 11 A 2550/14.A -.
12Dass diese zur Dublin II-Verordnung ergangene Rechtsprechung für die Dublin III-Verordnung nicht gilt, ist kaum anzunehmen. Denn die Überstellungsfrist ist in der Dublin III-Verordnung nicht wesentlich anders geregelt als in der Vorgängerfassung. Zudem hat der Senat zur Begründung seines Beschlusses vom 8. September 2014 bereits auf die neue Dublin III-Verordnung Bezug genommen (Seite 4 des Beschlussabdrucks). Die Kammer legt diese Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts – vorbehaltlich einer näheren Überprüfung im Hauptsacheverfahren – zugrunde und geht davon aus, dass die Überstellungsfrist vorliegend am 5. Februar 2015, sechs Monate nach der Zustimmung der niederländischen Behörde, abgelaufen ist. Die Niederlande sind damit nicht mehr der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Staat; der Bescheid vom 17. November 2014 ist rechtswidrig geworden.
13Bei summarischer Prüfung geht die Kammer auch davon aus, dass die Antragsteller sich auf den Ablauf der Überstellungsfrist berufen können, insoweit also subjektive Rechte der Antragsteller verletzt sind. Ob die in Art. 29 Abs. 2 S. 1 VO (EU) Nr. 604/2013 getroffene Regelung des Zuständigkeitsübergangs für sich genommen subjektive Rechte des betroffenen Asylbewerbers begründet, ist in der Rechtsprechung umstritten.
14Für Drittschutz z.B. VG Aachen, Urteil vom 18. November 2014 - 9 K 161/14.A -, juris, VG Münster, Urteil vom 19. November 2014 - 1 K 1136/14.A -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 – 22 K 2262/14.A ‑; VG Karlsruhe, Beschluss vom 30. November 2014 - A 5 K 2026/14 -, juris VG Sigmaringen, Urteil vom 28. Januar 2015 - A 1 K 500/14 -, juris; gegen Drittschutz z.B. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 A 66/14 -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Dezember 2014 - 13 K 653/14.A -, juris; VG Augsburg, Beschluss vom 23. Januar 2015 - Au 5 K 14.50077 -, juris.
15Dabei verweist die einen Drittschutz verneinende Auffassung vor allem auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Dies erscheint der Kammer bei summarischer Betrachtung nicht zwingend. Denn zwar hat der Gerichtshof entschieden, dass sich ein Asylbewerber nicht auf Zuständigkeitsmängel, sondern nur noch auf „systemische Mängel" berufen kann, wenn ein anderer Mitgliedsstaat der Übernahme zugestimmt und damit seine Zuständigkeit bestätigt oder begründet hat.
16Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 „Abdullahi“ -, juris.
17Damit ist aber nicht gesagt, dass der Asylbewerber auch dann auf die Geltendmachung systemischer Mängel beschränkt ist, wenn die Zuständigkeit des anderen Mitgliedstaates nachträglich kraft Gesetzes erloschen ist.
18Das beschließende Gericht neigt – vorbehaltlich einer näheren Überprüfung im Hauptsacheverfahren – zu der Auffassung, dass mit dem Zuständigkeitsübergang jedenfalls dann eine subjektive Rechtsverletzung einhergeht, wenn die Möglichkeit besteht, dass das Asylbegehren eines Antragstellers vorläufig gar nicht geprüft wird, weil der inzwischen zuständige Staat (vorliegend: Deutschland) das Begehren als unzulässig abgelehnt hat und der Abschiebungszielstaat (vorliegend: Niederlande) wegen Art. 29 Abs. 2 S. 1 VO (EU) Nr. 604/2013 nicht mehr zuständig ist.
19Vgl. auch VG Gelsenkirchen, Urteil vom 30. Januar 2015 - 2a K 3534/14.A -.
20Denn dies liefe nicht nur dem Ziel der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, eine zügige Klärung der Zuständigkeit für einen im Bereich der „Dublinstaaten“ gestellten Asylantrag und eine zügige Überführung des Asylbewerbers in den zuständigen Staat herbeizuführen, zuwider, sondern es würde auch den sowohl nach nationalem Recht als auch nach Unionsrecht zweifellos bestehenden – subjektivrechtlichen – Anspruch, dass das Asylbegehren zumindest in einem der Staaten (innerhalb angemessener Frist) geprüft wird, verletzen.
21Dies zugrunde gelegt, können die Antragsteller sich vorliegend wohl auf die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides berufen. Auf die in der Eingangsverfügung des Gerichts vom 9. Februar 2015 aufgeworfene Frage, ob das Bundesamt belegen könne, dass die Niederlande trotz Ablaufs der Überstellungsfrist weiterhin bereit seien, die Antragsteller wiederaufzunehmen und das Asylverfahren durchzuführen, hat die Behörde nicht reagiert. Weitere Aufklärungsmaßnahmen des Gerichts sind angesichts des unmittelbar bevorstehenden Abschiebungstermins nicht möglich.
22Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 5. Mai 2014 - A 4 K 1410/14 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
I.
II.
Gründe
Tenor
1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Oktober 2014 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrages als unzulässig und die angeordnete Abschiebung nach Italien.
Der 1990 geborene Kläger, somalischer Staatsangehörigkeit, dem Volke der Tumal zugehörig und moslemischer Religionszugehörigkeit, reiste am ... 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 25. März 2014 Asylantrag.
Aufgrund eines EURODAC-Treffers für Italien der Kategorie 1 am 23. April 2014, wonach der Kläger bereits am 17. April 2013 in Italien/... Asyl beantragt hat, richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 28. Mai 2014 ein Übernahmeersuchen nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) an Italien, auf das innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Wochen nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO keine Antwort bei der Beklagten einging.
Mit Bescheid vom 10. Oktober 2014, zugestellt am 14. Oktober 2014, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig, da Italien aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrages gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Die geltend gemachten Einwände, in Italien Obdachlosigkeit sowie mangelnde Verpflegung und medizinische Versorgung erfahren zu haben, rechtfertigten keine abweichende Beurteilung. Italien als Mitgliedstaat der Europäischen Union erfülle gegenüber Drittstaatsangehörigen, die dort einen Asylantrag stellen, die Mindeststandards. Die Anordnung der Abschiebung nach Italien beruhe auf § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
Mit dem beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2014 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wird ausgeführt, wegen des Ablaufs der Überstellungsfrist müsse der Bescheid nicht aufgehoben werden. Vielmehr stelle sich der Asylantrag in Deutschland als Zweitantrag nach § 71 a AsylVfG dar, der mangels geltend gemachter Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1-3 VwVfG ebenfalls als unzulässig abzulehnen sei. Im Wege der Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG sei die mit Ziff. 1 des Bescheides ausgesprochene Ablehnung des Asylantrages als unzulässig daher aufrecht zu erhalten. Für die klageweise verfolgte Aufhebung von Ziff. 1 des Bescheides vom 10. Oktober 2014 fehle insoweit das Rechtsschutzbedürfnis, jedenfalls sei der Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt. Im Hinblick auf die Abschiebungsanordnung seien nach Ablauf der Überstellungsfrist Modifizierungen als Abschiebungsandrohung in ein Drittland zu prüfen. Die in der Abschiebungsanordnung enthaltene Ausreiseaufforderung bleibe aufrecht erhalten.
Mit Beschluss vom 13. November 2014 wurde die Entscheidung über den Rechtsstreit auf die Einzelrichterin übertragen (§ 76 Abs. 1 AsylVfG). Mit Schriftsatz vom 12. Januar 2015 hat der Kläger sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 14. Januar 2015 auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Akte des Bundesamtes Bezug genommen.
Gründe
Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten kann die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, insbesondere innerhalb der Frist nach § 74 Abs. 1 AsylVfG fristgemäß erhoben und als isolierte Anfechtungsklage statthaft (vgl. OVG NRW, U. v. 7.3.2014 - 1 A 21/12. A; VG München, Gerichtsbescheid
Der Kläger, gegenüber dem weiterhin wirksam die Anordnung der Abschiebung nach Italien und die Ablehnung seines Asylantrages als unzulässig ausgesprochen ist, hat auch ein fortbestehendes, rechtlich schutzwürdiges Interesse an dem erstrebten Rechtsschutzziel. Das Rechtsschutzbedürfnis wäre nur dann abzusprechen, wenn die Rechtsverfolgung dem Kläger unter keinem denkbaren Gesichtspunkt einen rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil verschaffen könnte. Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich. Die von der Beklagten angeführte Möglichkeit einer verwaltungsrechtlichen Umdeutung nach § 47 VwVfG lässt indes nicht das Rechtsschutzinteresse des Klägers an der Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides entfallen.
Die Klage ist auch begründet.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 10. Oktober 2014 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 AsylVfG) mit Ablauf der in Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin III-VO geregelten Überstellungsfrist rechtswidrig geworden und verletzt den Kläger in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Die Ablehnung des Asylantrages als unzulässig in Ziff. 1 des angefochtenen Bescheides ist mit Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO wegen des damit verbundenen Übergangs der Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat rechtswidrig geworden.
Mangels eines eingelegten Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz bestimmt sich die Überstellungsfrist im vorliegenden Fall gemäß Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO nach dem Zeitpunkt der Annahme des Wiederaufnahmeersuchens vom 28. Mai 2014, mithin nach der Zustimmungsfiktion nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III VO beginnend am 12. Juni 2014. Das Gericht folgt hinsichtlich der Fristberechnung nicht der in der Literatur vertretenen Auffassung, nach der wegen der nationalen Bestimmung des § 34 a Abs. 2 S. 2 AsylVfG, wonach eine Abschiebung innerhalb der Antragsfrist von einer Woche eine Abschiebung nicht zulässig sei, davon ausgegangen wird, dass für den Fall eines unterlassenen Antrags auf Eilrechtsschutz die Überstellungsfrist wegen dieses nationalen Mechanismus erst ab Ablauf der Wochenfrist zu beginnen laufe, da während dieser Zeit die Abschiebung kraft Verfassungsrecht (Art. 19 Abs. 4 GG) ausgesetzt sei (vgl. Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand 11/2013, § 27 a Rn. 227). Diese Auffassung findet im Wortlaut des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO keine Stütze, der hinsichtlich des Fristbeginns an die Annahme des Aufnahmegesuchs oder die Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung anknüpft. Die in § 34 a Abs. 2 S. 2 AsylVfG gesetzlich vorgesehene Aussetzung der Abschiebung während der Rechtsbehelfsfrist für den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellt sich ohne entsprechenden Antrag auf Eilrechtsschutz jedoch gerade nicht als ein Rechtsbehelf oder eine Überprüfung dar, die den Lauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO erneut in Gang setzt. Nach dieser Auffassung könnte die Überstellungsfrist in keinem denkbaren Fall mit der Annahme des Aufnahmeersuchens beginnen, und die nationalen Behörden könnten durch den Zeitpunkt des Bescheiderlasses den Fristbeginn einseitig bestimmen. Dies stünde jedoch erkennbar im Widerspruch zu der Zielsetzung des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO, der durch die getroffene Fristenregelung im Interesse einer Verfahrensbeschleunigung sowohl den Interessen des aufnehmenden als auch des überstellenden Mitgliedstaates Rechnung tragen will.
Die Überstellungsfrist begann vorliegend somit mit der Annahmefiktion nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO am 12. Juni 2014 war daher am 12. Dezember 2014 abgelaufen. Anhaltspunkte für eine Verlängerung der Frist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO oder eine fortbestehende Aufnahmebereitschaft des Mitgliedstaats Italien trotz Ablaufs der Überstellungsfrist sind nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als vorliegend der Mitgliedstaat Italien weder auf das Aufnahmeersuchen noch auf eine Erinnerung des Bundesamts reagiert hat, mithin die Übernahmebereitschaft nicht positiv bekundet wurde. Mit Ablauf der Überstellungsfrist endet die durch die Zustimmungsfiktion auf das Aufnahmeersuchen begründete Zuständigkeit des Mitgliedstaats Italien, und die Beklagte ist für den bei ihr gestellten Asylantrag nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO zuständig geworden.
Den Übergang der Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz auf die Beklagte kann der Kläger auch geltend machen. Dem steht nicht die Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes entgegen, wonach der Asylbewerber dem erfolgreichen Aufnahmeersuchen nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen treten kann (vergleiche EuGH, U. v. 10.12.2013 - C -394/12 - juris). Daraus wird in der Rechtsprechung die Folgerung gezogen, ein Asylbewerber habe kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin-Verordnungen auch zuständige Mitgliedstaat sei oder ob nicht zwischenzeitlich ein anderer Mitgliedstaat bzw. - durch Zeitablauf oder durch konkludenten Selbsteintritt - die Bundesrepublik Deutschland zuständig geworden sei (so NdsOVG, B. v. 6.11.2014 - 13 LA 66/14; HessVGH, B. v. 25.8.2014 - 2 A 975/14. A - OVG RhPf., U. v. 21.2.2014 - 10 A 10656/13; VGH BW, U. v. 27.8.2014 - A 11 S 1285/14 - und
Zwar kann grundsätzlich eine Berufung auf eine Verletzung von Verfahrens- und Fristenregelungen der Dublin-Verordnungen der Klage eines Asylbewerbers mangels einklagbarer subjektiver Rechte nicht zum Erfolg verhelfen. Denn der Unionsgesetzgeber hat die Bestimmungen der Dublin-Verordnungen erlassen, um im Interesse der Verfahrensbeschleunigung die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und dadurch einem „forum shopping“ zuvorzukommen (vgl. EuGH, a.a.O, Nr. 53). Einer der Hauptzwecke der Verordnung besteht in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden (vgl. EuGH, a. a. O., Nr. 59). Wegen des vorrangigen Ziels einer eindeutigen und zeitnahen Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates wollte der Unionsgesetzgeber einem Asylbewerber mit der Dublin II-Verordnung und gleichermaßen mit der Dublin III-Verordnung keine weitergehende Rechtsposition vermitteln, seinen Asylantrag in einem ganz bestimmten Mitgliedstaat, in dem er einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat, prüfen zu lassen.
Etwas anderes hat jedoch dann zu gelten, wenn durch den Übergang der Zuständigkeit auf den prüfenden bzw. ersuchenden Mitgliedstaat infolge Ablaufs der Überstellungsfrist und nunmehr fehlender Aufnahmebereitschaft des ersuchten Mitgliedstaates die Gefahr besteht, dass der Antrag des Asylbewerbers in keinem Mitgliedstaat geprüft wird. Denn auch wenn die Dublin III-Verordnung kein subjektives Recht auf Durchführung eines Asylverfahrens im zuständigen Mitgliedstaat begründet, so ist die Rechtsstellung des Einzelnen zumindest insoweit als geschützt anzusehen, als jedenfalls ein zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens gewährleistet sein muss. Das mit dem Dublin III-VO verfolgte Interesse einer Verfahrensbeschleunigung und die Überstellungsfrist von sechs Monaten schützen auch das Interesse des Einzelnen an einer Durchführung des Asylverfahrens binnen angemessener Frist (vgl. VG Münster, U. v. 19.11.2014 - 1 K 1136/14.A -; VG Karlsruhe, B. v. 30.11.2014 - A 5 K 2026/14 - juris). Zumindest dann, wenn zur Fristüberschreitung als solche eine fehlende Übernahmebereitschaft des zunächst zuständigen Mitgliedstaates hinzukommt und damit die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens insgesamt versagt bleiben könnte, ist eine geltend zu machende subjektive Rechtsposition zu bejahen (vgl. „Umschlagen in eine Grundrechtsverletzung“, VG Hannover, B. v. 10.11.2014 - 1 B 12764/14 - juris). Durch den Übergang der Zuständigkeit infolge Ablaufs der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO ohne fortbestehende Übernahmebereitschaft des zunächst zuständigen Mitgliedstaat ist somit die Rechtsstellung des Klägers insoweit betroffen, als mit dem Zuständigkeitsübergang das Rechtsregime der Dublin III-Verordnung endet und ihm mit dem Übergang ins nationale Verfahren eine Behandlung seines Asylantrages nach dem Asylverfahrensgesetz zusteht (ebenso VG Ansbach, U. v. 8.10.2014 - AN 10 K 14.30043 -; VG Aachen, U. v. 18.11.2014 - 9 K 161/14. A -; VG Würzburg, B. v. 30.10.2014 - W 3 E 14.50144; a.A. VG Würzburg, B. v. 11.6.2014 - W 6 S 14.50065 - jeweils juris).
Eine Umdeutung des Bescheides vom 10. Oktober 2014 in eine ablehnende Entscheidung nach § 71a AsylVfG ist nicht möglich, da die Voraussetzungen des § 47 VwVfG für eine Umdeutung nicht vorliegen.
Nach § 47 Abs. 1 VwVfG kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und -form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.
Der einer Umdeutung zugrunde liegende Rechtsgedanke ist, dass eine einmal getroffene rechtliche Regelung soweit wie möglich aufrecht zu erhalten ist, wenn der Fehler des ursprünglichen Verwaltungsaktes durch die Erkenntnis einer neuen Rechtsfolge, das Ersetzen der Regelung beseitigt werden kann (vgl. Schemmer in Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 47 Rn. 1, 6). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dürfen zwischen der umzudeutenden und der durch die Umdeutung erzeugten Regelung keine wesentlichen rechtlichen Unterschiede bestehen, d. h. der neue Verwaltungsakt muss die gleiche materiell-rechtliche Tragweite besitzen (BVerwG, U.v. 28.2.1975 - IV C 30.73
Hinsichtlich der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig in Ziffer 1 des Bescheides vom 10. Oktober 2014 sind diese Voraussetzungen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht erfüllt, weil zum einen für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates im Rahmen des Dublin-Verfahrens andere Verfahrensbestimmungen gelten als für die Prüfung eines Zweitantrages nach § 71 a AsylVfG, und zum anderen die Ablehnung der Prüfung eines Zweitantrages eine weitergehende rechtliche Tragweite aufweist als die ursprünglich im Dublin-Verfahren ergangene Entscheidung. Denn die Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-) Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren (vgl. OVG NRW, U. v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - juris, Rn. 36). Die Zuständigkeitsprüfung nach den Dublin-Verordnungen ist ein eigenes, der Prüfung des Asylantrages vorgelagertes Verfahren und von dem Verfahren zur inhaltlichen Prüfung des Asylantrages zu unterscheiden (vgl. NdsOVG, B. v. 6.11.2014 - 13 LA 66/14 - juris, Rn. 7). Die Entscheidung im Dublin-Verfahren erschöpft sich in der Beantwortung der Zuständigkeitsfrage. Für § 27a AsylVfG kommt es nur darauf an, ob die Beklagte nach den Vorschriften der Dublin-Verordnungen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Demgegenüber hat die Ablehnung eines Zweitantrages nach § 71 a AsylVfG eine entscheidend andere Rechtswirkung, dessen Konsequenz insoweit gänzlich unterschiedlich ist, als keine Abschiebungsanordnung in den zuständigen EU-Mitgliedstaat sondern regelmäßig eine Abschiebungsandrohung in den jeweiligen Herkunftsstaat gem. § 36 AsylVfG ergeht. Die Beklagte müsste somit im Rahmen des Zweitantrages, für den sie im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylVfG zuständig ist, nicht nur die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG, sondern gemäß § 71a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG i. V. m. § 24 Abs. 2 AsylVfG auch die zielstaatbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG prüfen.
Die Entscheidung nach § 71 a Abs. 1 AsylVfG weist damit eine weitergehende rechtliche Tragweite auf als die Entscheidung nach § 27 a AsylVfG, auch wenn beide Entscheidungen in ihrem Tenor die Ablehnung des Asylantrages als unzulässig beinhalten können. Deshalb scheitert die von der Beklagten vorgenommene Umdeutung der Ziffer 1 des Bescheides bereits an der Zielgleichheit des Umdeutungsergebnisses.
Darüber hinaus scheitert eine Umdeutung des Bescheides auch an den verfahrensrechtlichen Voraussetzungen. Für den durch die Umdeutung gewonnenen Verwaltungsakt dürfen nämlich keine Verfahrensvorschriften gelten, die bei dem ursprünglichen Verwaltungsakt nicht eingehalten worden sind (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 47 Rn. 17). Die Verfahrensbestimmungen für die Ablehnung eines Zweitantrags nach § 71 a AsylVfG sind indes nicht erfüllt. Der Kläger wurde zu den maßgeblichen Tatsachen des Zweitantrages (materielle Fluchtgründe und Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG) nicht angehört, wie dies nach § 71a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG i. V. m. § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG vorgeschrieben ist. Zwar kann nach § 71 a Abs. 2 S. 2 AsylVfG von der Anhörung abgesehen werden, soweit sie für die Feststellung, dass kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, nicht erforderlich ist. Ausweislich der vorgelegten Behördenakten fanden am 25. März 2014 lediglich eine Befragung zur Vorbereitung der Anhörung und das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens statt. Außerdem wurde der Kläger am 17. März 2014 bei der Regierung von Mittelfranken - Zentrale Rückführungsstelle Nordbayern - zu seiner Identität angehört. Eine Gelegenheit zum Vortrag materieller Fluchtgründe oder zur Klärung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bestand im Verwaltungsverfahren jedoch nie. Die Anhörung ist auch notwendig, weil die Beklagte mangels weiterer Angaben noch nicht einmal entscheiden kann, ob Wiederaufnahmegründe vorliegen, wenn nicht bekannt ist, welche Gründe der Kläger in seinem Erstverfahren in Italien vorgebracht hat. Der Kläger wurde somit bislang weder nach § 25 AsylVfG angehört, noch wurden konkrete Feststellungen zum Vorbringen und dem Abschluss des Asylverfahrens in Italien getroffen. Mangels bislang nicht stattgefundener Anhörung im Bundesgebiet, ist ein ermessensfehlerfreies Absehen von einer Anhörung nach § 71 a Abs. 2 S. 2 AsylVfG praktisch kaum denkbar. Darüber hinaus erscheint eine Beurteilung möglicher Wiederaufnahmegründe nach § 51Abs. 1 bis 3 VwVfG ohne Kenntnis über den Verfahrensabschluss in Italien nicht möglich (vgl. BayVGH, U. v. 9.10.2014 - 20 B 13.30332 - juris).
Wegen fehlender Zielgleichheit des Umdeutungsergebnisses und unterschiedlicher Verfahrensbestimmungen muss eine Umdeutung der Ablehnung des Asylantrages als unzulässig nach § 27 a AsylVfG in die Ablehnung eines Zweitantrages nach § 71 a AsylVfG daher ausscheiden (vgl. ebenso: VG Ansbach, U. v. 8.10.2014 - An 10 K 14.30043 -; VG Würzburg, U. v. 27.11.2014 - W 3 K 13.30553 -; VG Aachen, U. v. 18.11.2014 - 9 K 161/14.A -; VG Regensburg, U. v. 14.11.2014 - RN 5 K 14.30304 - und Gerichtsbesch.
Das Gericht kann die Voraussetzungen für eine Umdeutung des Verwaltungsaktes im gerichtlichen Verfahren auch nicht herbeiführen. Zwar hat das Gericht grundsätzlich die Sache spruchreif zu machen. Dieser auch im Asylverfahren geltende Grundsatz findet allerdings auf behördliche Entscheidungen, die auf der Grundlage von § 27a AsylVfG ergangen sind, keine Anwendung (vgl. auch BayVGH, U. v. 28.2.2014 - 13a B 13.30295 -; VGH BW, U. v. 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 - beide: juris). Denn wenn das Asylbegehren in der Sache noch gar nicht geprüft worden ist und das Gericht verpflichtet wäre, die Sache spruchreif zu machen, ginge der Klagepartei eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien ausgestattet ist. Außerdem würde ein Durchentscheiden des Gerichts dazu führen, dass es nicht eine Entscheidung der Behörde kontrollieren würde, sondern sich anstelle der Exekutive erstmalig selbst mit dem Antrag sachlich auseinandersetzen und entscheiden würde. Dies wäre im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 GG zumindest bedenklich (vgl. VG Würzburg, U. v. 27.11.2014 - W 3 K 13.30553 -; VG Augsburg, Gerichtsbesch.
Ein Aufrechterhalten eines Bescheides unter einer anderen Rechtsgrundlage kommt im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) ebenfalls nicht in Betracht, wenn dies - wie vorliegend - ohne weitere und umfangreiche Ermittlungen bei italienischen Behörden, die nicht der Amtshilfeverpflichtung nach § 14 VwGO unterliegen, nicht möglich ist (vgl. BayVGH, U. v. 9.10.2014 - 20 B 13.30332 - juris).
Die Abschiebungsanordnung nach Italien gem. § 34 a AsylVfG in Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheides ist nach Ablauf der Überstellungsfrist ebenfalls rechtswidrig geworden und kann nicht in eine Abschiebungsandrohung in das Herkunftsland des Klägers umgedeutet werden. Auch hier fehlt es offensichtlich an der Zielgleichheit des Umdeutungsergebnisses. Zudem wäre die Androhung der Abschiebung in den Herkunftsstaat gegenüber der Abschiebung in den EU-Mitgliedsstaat als sicheren Drittstaat eine vergleichsweise ungünstigere Rechtsfolge. Eine Umdeutung der Abschiebungsanordnung nach Italien in eine Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat gemäß § 47 Abs. 1 VwVfG scheitert daran, dass es sich beim Austausch des Zielstaats um eine weitgehende inhaltliche Änderung der Abschiebungsandrohung handelt (vgl. BVerwG, U. v. 17.6.2014 - 10 C 7/13 - NVwZ 2014, 1460 ff.). Somit steht auch hinsichtlich Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheides § 47 Abs. 2 Satz 1 VwVfG der Umdeutung entgegen.
Nachdem die Umdeutung des streitgegenständlichen Bescheides ausscheidet, kann der Kläger durch die Aufhebung des Bescheides auch einen rechtlichen Vorteil erlangen. Denn nach Aufhebung des Bescheides ist die Beklagte verpflichtet, über den gestellten Asylantrag zu entscheiden.
Der Bescheid vom 10. Oktober 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Wie ausgeführt kann auch in Ansehung des Grundsatzes, wonach die Bestimmungen der Dublin II-VO - wie die der Dublin III-VO - grundsätzlich keine subjektiven Rechte des Schutzsuchenden begründen, der Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens als notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs gegenüber dem nunmehr zuständigen Staat geltend gemacht werden, wenn - wie vorliegend - die Überstellungsfrist abgelaufen und wegen nicht fortbestehender Übernahmebereitschaft des ursprünglich zuständigen Mitgliedstaats eine Prüfung des Asylantrages ansonsten gänzlich versagt bliebe.
Somit war der streitgegenständliche Bescheid mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG aufzuheben.
Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 5. Mai 2014 - A 4 K 1410/14 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Juni 2013 (A 12 K 331/13) geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 7. Kammer, Einzelrichter - vom 3. November 2014 wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Antragsverfahrens.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
- 1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) nicht vorliegt.
- 2
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der einheitlichen Auslegung und Anwendung oder der Fortentwicklung des Rechts der Klärung bedarf, oder wenn sie eine tatsächliche Frage aufwirft, deren in der Berufungsentscheidung zu erwartende Klärung verallgemeinerungsfähige Auswirkungen hat. Verallgemeinerungsfähige Auswirkungen hat die Klärung einer Tatsachenfrage, wenn sich diese Frage nicht nur in dem zu entscheidenden Fall, sondern darüber hinaus auch noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft stellt. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist nur dann im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum die Frage im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren.
- 3
Nach diesen Maßstäben kommt der aufgeworfenen Frage,
- 4
ob ein Asylbewerber sich gegen eine Überstellung in einen Drittstaat darauf berufen darf, dass Deutschland die Überstellungsfrist gemäß Art. 19 Abs. 4 Dublin-II-VO bzw. Art. 29 Abs. 3 Dublin-III-VO versäumt hat,
- 5
keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage bedarf bereits deshalb nicht der Klärung in einem Berufungsverfahren, weil sie sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres - verneinend - beantworten lässt.
- 6
Die Kläger können kein subjektives Recht auf Einhaltung der Zuständigkeits- und Fristvorschriften der Dublin-II-Verordnung geltend machen; auf die hier nicht anwendbaren Vorschriften der Dublin-III-Verordnung kommt es nicht entscheidungserheblich an. Die Dublin-II-Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vom 18. Februar 2003 ist trotz § 77 Abs. 1 AsylVfG und der zwischenzeitlich erlassenen Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 - Dublin-III-Verordnung - auf den vorliegenden Fall weiterhin anzuwenden, weil nach Art. 49 Dublin-III-Verordnung die Neuregelung erst auf Anträge der Mitgliedstaaten auf Wiederaufnahme anzuwenden ist, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind.
- 7
Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 - Abdullahi -, NVwZ 2014, 208, juris; vgl. auch Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, Slg 2011, I-13905-14033, juris Rn. 96 und vom 14. November 2013 - C-4/11, Puid - juris) ist davon auszugehen, dass sich die Kläger nicht auf die Versäumung von Fristen berufen können. Denn die Dublin-II-VO gewährt den Klägern keinen subjektiv einklagbaren Rechtsanspruch darauf, dass ihre Asylanträge in einem bestimmten Mitgliedsstaat geprüft werden, den sie für zuständig halten. Die jeweiligen Fristbestimmungen der Dublin-II-VO dienen hiernach ebenfalls allein einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und einer zeitnahen Überstellung in diesen Staat im Verhältnis der Dublin-Staaten untereinander, ohne aber den Klägern (mittelbar) einen Anspruch auf Prüfung des Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat zu gewährleisten (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 - Rn. 10 ff., VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 - Rn. 59 und vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 - Rn. 25, Hessischer VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 - jeweils juris, siehe auch Berlit, Anmerkung zu BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris PR-BVerwG 12.2014). Ein Asylantragsteller kann der Überstellung in den nach der Dublin-II- Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen treten (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14. u.a. - Rn. 4, vom. 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, vom 21. Mai 2014 - 10 B 3110 B 31.14 - Rn. 4 und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, jeweils juris).
- 8
Nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10. Dezember 2013 (- C-394/12 - „Abdullahi", a.a.O.) kann ein Asylantragsteller nach einem erfolgreichen Aufnahmeersuchen mit dem in Art. 19 Abs. 2 Dublin II-VO vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die Überstellung der Heranziehung des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriteriums nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten. Zwar sind diese Ausführungen des Gerichtshofes ausdrücklich nur im Zusammenhang mit der Bestimmung der Zuständigkeit eines Mitgliedsstaats gemäß Kapitel III der Dublin II-Verordnung erfolgt. Aus ihren tragenden Erwägungen kann aber unmittelbar gefolgert werden, dass sich ein Asylantragsteller ebenfalls nicht mit Erfolg auf einen Zuständigkeitsübergang nach den im Kapitel V geregelten Art. 16 ff. Dublin II-VO berufen kann (ebenso Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 - juris Rn. 10).
- 9
Genauso wie die Vorschriften über die Bestimmung der Zuständigkeit im Kapitel III der Dublin-II-Verordnung keine subjektiven Rechte vermitteln, sondern als Organisationsvorschriften einer klaren und praktikablen Bestimmung der Zuständigkeit innerhalb der Mitgliedstaaten dienen (vgl. hierzu die Erwägungsgründe 3 und 16), sollen auch die Vorschriften des Kapitel V der Verordnung - ebenfalls als Organisationsvorschriften - in erster Linie eine rasche Bestimmung des für die Prüfung zuständigen Mitgliedsstaates ermöglichen (Erwägungsgrund 4). Auch sie vermitteln Asylantragstellern keine subjektiven Rechte, sondern bei ihnen steht das Interesse im Vordergrund, die Zuständigkeit zeitnah festzustellen und den Asylantrag durch einzig den zuständigen Mitgliedstaat prüfen zu lassen, nicht aber, die Prüfung einem ganz bestimmten Mitgliedstaat zuzusprechen, in dem der Antragsteller einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat.
- 10
Dementsprechend führt der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 10. Dezember 2013 (a.a.O.) aus, dass der Unionsgesetzgeber diese Vorschriften erlassen hat, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem „forum shopping" zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen (Rn. 53). Auch er sieht einen der Hauptzwecke der Verordnung in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden (Rn. 59). Vorrangiges Ziel der Dublin-II-Verordnung insgesamt, und nicht nur der Zuständigkeitskriterien des Kapitels III, ist danach eine möglichst eindeutige Bestimmung des zuständiges Mitgliedstaates und in der Folge eine zeitnahe Prüfung des Asylantrages. Der Unionsgesetzgeber wollte einem Asylantragsteller mit der Dublin II-Verordnung (ebenso mit der Dublin III-Verordnung) aber keine weitergehende Rechtsposition einräumen, seinen Asylantrag in einem ganz bestimmten Mitgliedstaat, in dem er einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat, prüfen zu lassen.
- 11
Auch das Bundesverwaltungsgericht (Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14. u.a. - Rn. 4, vom. 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, vom 21. Mai 2014 - 10 B 3110 B 31.14 - Rn. 4 und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, jeweils juris) entnimmt der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union, dass ein Asylantragsteller einer Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann. Auch nach seinem Verständnis dieser Rechtsprechung kann eine Berufung auf eine Verletzung von Verfahrens- und Fristenregelungen der Dublin-II-Verordnung der Klage eines Asylbewerbers demnach grundsätzlich nicht zum Erfolg verhelfen (so ausdrücklich Berlit, jurisPR- BVerwG 12/2014 Anm. 3, Buchst. B am Ende).
- 12
Die Kläger machen geltend, dass sich aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergebe, dass Asylantragsteller zwar keine Fristversäumnisse im Rahmen des (Wieder-)Aufnahmeersuchens geltend machen könnten - dies könne nur der ersuchte Staat - (Beschluss vom 21. Mai 2014 a.a.O.), ein Ablauf der Überstellungsfrist führe aber zu einem Zuständigkeitswechsel und dies könne der Flüchtling geltend machen. Im Beschluss vom 14. Juli 2014 (a.a.O.) habe das Bundesverwaltungsgericht durch den Begriff des zuständigen (statt des ersuchten) Mitgliedsstaats deutlich gemacht, dass der Asylantrag nur dann unzulässig sei, wenn ein anderer Mitgliedsstaat zuständig sei. Auch für den Gerichtshof der Europäischen Union sei in seinem Urteil vom 10. Dezember 2013 (a.a.O.) ausschlaggebend, dass der ersuchte Staat der Übernahme zugestimmt habe. Damit sei aber nichts dazu gesagt, dass nach Fristablauf die Zuständigkeit wieder auf den ersuchenden Staat übergehe und der Antragsteller dies geltend machen könne.
- 13
Der Senat vermag diesen Ausführungen der Kläger nicht zu folgen, solange Frankreich weiterhin bereit ist, ihre Asylanträge zu bearbeiten, da es keinen Anspruch der Kläger auf Prüfung ihrer Anträge durch einen (von ihnen) bestimmten Staat gibt. Dafür, dass Frankreich seine mit Schreiben vom 31. März 2014 erklärte Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge der Kläger nach Fristablauf zurücknehmen und sich auf den Fristablauf berufen werde, gibt es weder Feststellungen des Verwaltungsgerichts - zum Zeitpunkt seiner Entscheidung war die Frist des Art. 19 Abs. 3 UAbs. 1, Abs. 4 Satz 1 Dublin-II-VO noch nicht abgelaufen - noch wird von den Klägern behauptet oder gar dargelegt (vgl. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG), dass Frankreich wegen des Fristablaufs nicht mehr zur Aufnahme bereit wäre. Ob etwas anderes dann gilt, wenn feststeht, dass der ersuchte Mitgliedstaat - hier Frankreich - nicht mehr zur Aufnahme bereit ist (vgl. zu dieser Fallkonstellation VG Schleswig, Gerichtsbescheid vom 19. Februar - 5 A 374/14 -), bedarf hier schon deshalb keiner weiteren Erörterung. Diese Fallkonstellation ist auch nicht vorsorglich vom Senat in die Prüfung einzubeziehen. Sofern mit einem solchen Fall eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 41 Abs. 1 i.V.m. Art 51 Abs. 1 Satz 1 EUGrdRCh einherginge, hätten die Kläger einen Wiederaufgreifensanspruch (vgl. § 51 VwVfG; zur Notwendigkeit in einem solchen Fall ein Verfahren auf Wiederaufgreifen einzuleiten, vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14-juris Rn. 59juris).
- 14
Entgegenstehende Rechtsprechung anderer Obergerichte, die eine bundeseinheitliche Klärung erforderte, ist nicht ersichtlich. Mit dem Hinweis auf einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. Juli 2014 -11 B 789/14.A - zeigen die Kläger letztlich keine abweichende Entscheidung auf, da dieser Beschluss schon keine (nähere) Begründung enthält. Damit bleibt unklar, auf welchen Überlegungen der Beschluss beruht, ob ihm eine Auseinandersetzung mit der dargelegten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vorausgegangen ist, und insbesondere, ob hier im Einzelfall neben dem Ablauf der Überstellungsfrist weitere Umstände hinzugekommen sind, aufgrund derer feststand, dass Italien nicht mehr zur Aufnahme bereit war. Ähnlich verhielte es sich mit der von den Klägern herangezogenen Entscheidung eines Einzelrichters beim österreichischen Bundesverwaltungsgericht, unterstellt mit dem Verweis auf derartige erstinstanzliche Entscheidungen könnte überhaupt eine Klärungsbedürftigkeit dargelegt werden.
- 15
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da dem Antrag auf Zulassung der Berufung nach dem Ausgeführten die hierfür gem. § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten abzusprechen sind.
- 16
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG; Gründe für eine Abweichung (§ 30 Abs. 2 RVG) sind nicht vorgetragen oder sonst erkennbar.
- 17
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG). Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Juni 2013 (A 12 K 331/13) geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 7. Kammer, Einzelrichter - vom 3. November 2014 wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Antragsverfahrens.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
- 1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) nicht vorliegt.
- 2
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der einheitlichen Auslegung und Anwendung oder der Fortentwicklung des Rechts der Klärung bedarf, oder wenn sie eine tatsächliche Frage aufwirft, deren in der Berufungsentscheidung zu erwartende Klärung verallgemeinerungsfähige Auswirkungen hat. Verallgemeinerungsfähige Auswirkungen hat die Klärung einer Tatsachenfrage, wenn sich diese Frage nicht nur in dem zu entscheidenden Fall, sondern darüber hinaus auch noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft stellt. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist nur dann im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum die Frage im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren.
- 3
Nach diesen Maßstäben kommt der aufgeworfenen Frage,
- 4
ob ein Asylbewerber sich gegen eine Überstellung in einen Drittstaat darauf berufen darf, dass Deutschland die Überstellungsfrist gemäß Art. 19 Abs. 4 Dublin-II-VO bzw. Art. 29 Abs. 3 Dublin-III-VO versäumt hat,
- 5
keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage bedarf bereits deshalb nicht der Klärung in einem Berufungsverfahren, weil sie sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres - verneinend - beantworten lässt.
- 6
Die Kläger können kein subjektives Recht auf Einhaltung der Zuständigkeits- und Fristvorschriften der Dublin-II-Verordnung geltend machen; auf die hier nicht anwendbaren Vorschriften der Dublin-III-Verordnung kommt es nicht entscheidungserheblich an. Die Dublin-II-Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vom 18. Februar 2003 ist trotz § 77 Abs. 1 AsylVfG und der zwischenzeitlich erlassenen Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 - Dublin-III-Verordnung - auf den vorliegenden Fall weiterhin anzuwenden, weil nach Art. 49 Dublin-III-Verordnung die Neuregelung erst auf Anträge der Mitgliedstaaten auf Wiederaufnahme anzuwenden ist, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind.
- 7
Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 - Abdullahi -, NVwZ 2014, 208, juris; vgl. auch Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, Slg 2011, I-13905-14033, juris Rn. 96 und vom 14. November 2013 - C-4/11, Puid - juris) ist davon auszugehen, dass sich die Kläger nicht auf die Versäumung von Fristen berufen können. Denn die Dublin-II-VO gewährt den Klägern keinen subjektiv einklagbaren Rechtsanspruch darauf, dass ihre Asylanträge in einem bestimmten Mitgliedsstaat geprüft werden, den sie für zuständig halten. Die jeweiligen Fristbestimmungen der Dublin-II-VO dienen hiernach ebenfalls allein einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und einer zeitnahen Überstellung in diesen Staat im Verhältnis der Dublin-Staaten untereinander, ohne aber den Klägern (mittelbar) einen Anspruch auf Prüfung des Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat zu gewährleisten (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 - Rn. 10 ff., VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 - Rn. 59 und vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 - Rn. 25, Hessischer VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 - jeweils juris, siehe auch Berlit, Anmerkung zu BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris PR-BVerwG 12.2014). Ein Asylantragsteller kann der Überstellung in den nach der Dublin-II- Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen treten (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14. u.a. - Rn. 4, vom. 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, vom 21. Mai 2014 - 10 B 3110 B 31.14 - Rn. 4 und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, jeweils juris).
- 8
Nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10. Dezember 2013 (- C-394/12 - „Abdullahi", a.a.O.) kann ein Asylantragsteller nach einem erfolgreichen Aufnahmeersuchen mit dem in Art. 19 Abs. 2 Dublin II-VO vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die Überstellung der Heranziehung des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriteriums nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten. Zwar sind diese Ausführungen des Gerichtshofes ausdrücklich nur im Zusammenhang mit der Bestimmung der Zuständigkeit eines Mitgliedsstaats gemäß Kapitel III der Dublin II-Verordnung erfolgt. Aus ihren tragenden Erwägungen kann aber unmittelbar gefolgert werden, dass sich ein Asylantragsteller ebenfalls nicht mit Erfolg auf einen Zuständigkeitsübergang nach den im Kapitel V geregelten Art. 16 ff. Dublin II-VO berufen kann (ebenso Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 - juris Rn. 10).
- 9
Genauso wie die Vorschriften über die Bestimmung der Zuständigkeit im Kapitel III der Dublin-II-Verordnung keine subjektiven Rechte vermitteln, sondern als Organisationsvorschriften einer klaren und praktikablen Bestimmung der Zuständigkeit innerhalb der Mitgliedstaaten dienen (vgl. hierzu die Erwägungsgründe 3 und 16), sollen auch die Vorschriften des Kapitel V der Verordnung - ebenfalls als Organisationsvorschriften - in erster Linie eine rasche Bestimmung des für die Prüfung zuständigen Mitgliedsstaates ermöglichen (Erwägungsgrund 4). Auch sie vermitteln Asylantragstellern keine subjektiven Rechte, sondern bei ihnen steht das Interesse im Vordergrund, die Zuständigkeit zeitnah festzustellen und den Asylantrag durch einzig den zuständigen Mitgliedstaat prüfen zu lassen, nicht aber, die Prüfung einem ganz bestimmten Mitgliedstaat zuzusprechen, in dem der Antragsteller einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat.
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Dementsprechend führt der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 10. Dezember 2013 (a.a.O.) aus, dass der Unionsgesetzgeber diese Vorschriften erlassen hat, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem „forum shopping" zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen (Rn. 53). Auch er sieht einen der Hauptzwecke der Verordnung in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden (Rn. 59). Vorrangiges Ziel der Dublin-II-Verordnung insgesamt, und nicht nur der Zuständigkeitskriterien des Kapitels III, ist danach eine möglichst eindeutige Bestimmung des zuständiges Mitgliedstaates und in der Folge eine zeitnahe Prüfung des Asylantrages. Der Unionsgesetzgeber wollte einem Asylantragsteller mit der Dublin II-Verordnung (ebenso mit der Dublin III-Verordnung) aber keine weitergehende Rechtsposition einräumen, seinen Asylantrag in einem ganz bestimmten Mitgliedstaat, in dem er einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat, prüfen zu lassen.
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Auch das Bundesverwaltungsgericht (Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14. u.a. - Rn. 4, vom. 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, vom 21. Mai 2014 - 10 B 3110 B 31.14 - Rn. 4 und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, jeweils juris) entnimmt der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union, dass ein Asylantragsteller einer Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann. Auch nach seinem Verständnis dieser Rechtsprechung kann eine Berufung auf eine Verletzung von Verfahrens- und Fristenregelungen der Dublin-II-Verordnung der Klage eines Asylbewerbers demnach grundsätzlich nicht zum Erfolg verhelfen (so ausdrücklich Berlit, jurisPR- BVerwG 12/2014 Anm. 3, Buchst. B am Ende).
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Die Kläger machen geltend, dass sich aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergebe, dass Asylantragsteller zwar keine Fristversäumnisse im Rahmen des (Wieder-)Aufnahmeersuchens geltend machen könnten - dies könne nur der ersuchte Staat - (Beschluss vom 21. Mai 2014 a.a.O.), ein Ablauf der Überstellungsfrist führe aber zu einem Zuständigkeitswechsel und dies könne der Flüchtling geltend machen. Im Beschluss vom 14. Juli 2014 (a.a.O.) habe das Bundesverwaltungsgericht durch den Begriff des zuständigen (statt des ersuchten) Mitgliedsstaats deutlich gemacht, dass der Asylantrag nur dann unzulässig sei, wenn ein anderer Mitgliedsstaat zuständig sei. Auch für den Gerichtshof der Europäischen Union sei in seinem Urteil vom 10. Dezember 2013 (a.a.O.) ausschlaggebend, dass der ersuchte Staat der Übernahme zugestimmt habe. Damit sei aber nichts dazu gesagt, dass nach Fristablauf die Zuständigkeit wieder auf den ersuchenden Staat übergehe und der Antragsteller dies geltend machen könne.
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Der Senat vermag diesen Ausführungen der Kläger nicht zu folgen, solange Frankreich weiterhin bereit ist, ihre Asylanträge zu bearbeiten, da es keinen Anspruch der Kläger auf Prüfung ihrer Anträge durch einen (von ihnen) bestimmten Staat gibt. Dafür, dass Frankreich seine mit Schreiben vom 31. März 2014 erklärte Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge der Kläger nach Fristablauf zurücknehmen und sich auf den Fristablauf berufen werde, gibt es weder Feststellungen des Verwaltungsgerichts - zum Zeitpunkt seiner Entscheidung war die Frist des Art. 19 Abs. 3 UAbs. 1, Abs. 4 Satz 1 Dublin-II-VO noch nicht abgelaufen - noch wird von den Klägern behauptet oder gar dargelegt (vgl. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG), dass Frankreich wegen des Fristablaufs nicht mehr zur Aufnahme bereit wäre. Ob etwas anderes dann gilt, wenn feststeht, dass der ersuchte Mitgliedstaat - hier Frankreich - nicht mehr zur Aufnahme bereit ist (vgl. zu dieser Fallkonstellation VG Schleswig, Gerichtsbescheid vom 19. Februar - 5 A 374/14 -), bedarf hier schon deshalb keiner weiteren Erörterung. Diese Fallkonstellation ist auch nicht vorsorglich vom Senat in die Prüfung einzubeziehen. Sofern mit einem solchen Fall eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 41 Abs. 1 i.V.m. Art 51 Abs. 1 Satz 1 EUGrdRCh einherginge, hätten die Kläger einen Wiederaufgreifensanspruch (vgl. § 51 VwVfG; zur Notwendigkeit in einem solchen Fall ein Verfahren auf Wiederaufgreifen einzuleiten, vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14-juris Rn. 59juris).
- 14
Entgegenstehende Rechtsprechung anderer Obergerichte, die eine bundeseinheitliche Klärung erforderte, ist nicht ersichtlich. Mit dem Hinweis auf einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. Juli 2014 -11 B 789/14.A - zeigen die Kläger letztlich keine abweichende Entscheidung auf, da dieser Beschluss schon keine (nähere) Begründung enthält. Damit bleibt unklar, auf welchen Überlegungen der Beschluss beruht, ob ihm eine Auseinandersetzung mit der dargelegten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vorausgegangen ist, und insbesondere, ob hier im Einzelfall neben dem Ablauf der Überstellungsfrist weitere Umstände hinzugekommen sind, aufgrund derer feststand, dass Italien nicht mehr zur Aufnahme bereit war. Ähnlich verhielte es sich mit der von den Klägern herangezogenen Entscheidung eines Einzelrichters beim österreichischen Bundesverwaltungsgericht, unterstellt mit dem Verweis auf derartige erstinstanzliche Entscheidungen könnte überhaupt eine Klärungsbedürftigkeit dargelegt werden.
- 15
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da dem Antrag auf Zulassung der Berufung nach dem Ausgeführten die hierfür gem. § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten abzusprechen sind.
- 16
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG; Gründe für eine Abweichung (§ 30 Abs. 2 RVG) sind nicht vorgetragen oder sonst erkennbar.
- 17
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG). Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 29.4.2011 zu verpflichten, für ihn ein Asylverfahren durchzuführen.
die Klage abzuweisen.
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 20.7.2012 – 6 K 457/11 – die Klage insgesamt abzuweisen.
die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Gründe
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterle gung in Höhe von 110 Prozent des auf Grund des Urteils voll streckbaren Be trages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Si cherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben Anfang Oktober 2012 nach Melilla, wo er am 25. Oktober 2012 erkennungsdienstlich behandelt wurde. Bereits am 14. Januar 2013 beantragte der Kläger unter dem Namen U. E. in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Den Antrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 13. März 2013 als unzulässig ab und ord nete die Abschiebung nach Spanien an. Die Überstellung erfolgte am 10. April 2013.
3Am 3. Juni 2013 reiste der Kläger erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und be antragte am 7. Juni 2013 – unter dem im Rubrum angegebenen Namen – Asyl. Ausweis lich der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank vom 27. August 2013 ist der Kläger zuvor in Spanien erkennungsdienstlich behandelt worden.
4Das Bundesamt richtete am 29. August 2013 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Spanien. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 17. September 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.
5Mit Bescheid vom 4. Oktober 2013, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mittels Ein schreiben vom 17. Oktober 2013 zugestellt, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers gemäß § 27a Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Spanien an. Der Kläger erhielt am 23. Oktober 2012 im Rahmen eines Besprechungstermins eine Kopie des Bescheides von seinem Prozessbevollmächtigten.
6Am 25. Oktober 2013 hat der Kläger Klage erhoben.
7Er ist der Ansicht, die Vermutung, dass in Spanien ein ordnungsgemäßes Asylverfahren durchgeführt werde, könne widerlegt werden. Dort sei ihm die Asylantragstellung verwei gert worden. Zudem sei die Überstellungsfrist abgelaufen. Hierauf könne sich der Kläger auch berufen. Die Verfahrensverschleppung stelle einen Grundrechtseingriff dar und Grundrechte seien unstreitig subjektiv-rechtlicher Natur.Ihm werde sein Recht auf Durch führung eines Asylverfahrens abgesprochen, hielte sich Spanien im Zeitpunkt der gerichtli chen Entscheidung nicht mehr für zuständig. Ob die spanischen Behörden sich noch an ihre Zustimmung gebunden fühlen, sei völlig offen.
8Ursprünglich hat der Kläger sinngemäß beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Be scheides des Bundesamtes vom 4. Oktober 2013 zu verpflichten subsidiären Schutz ge mäß § 4 AsylVfG zuzuerkennen und Abschiebungsverbote nach § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) festzustellen,
;
hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung des vorgenannten Bescheides zu verpflichten,
,
das Asylverfahren durchzuführen.
Nach einem entsprechenden Hinweis des Gerichts beantragt er nunmehr,
10den Bescheid des Bundesamtes vom 4. Oktober 2013 aufzuheben.
11Die Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die angefochtene Entscheidung des Bun desamtes. Überdies ist sie der Ansicht, dass die Überstellungsfrist mit der Bekanntgabe des ablehnenden Eilbeschlusses vom 7. Januar 2014 (13 L 2168/13.A) neu zu laufen be ginne bzw. die Überstellungsfrist auf Grund des gemäß § 80 Absatz 7 Verwaltungsge richtsordnung (VwGO) erlassenen Eilbeschlusses vom 24. März 2014 bis zur Erledigung des Hauptsacheverfahrens ausgesetzt sei.
14Der am 25. Oktober 2013 vom Kläger gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides anzuordnen, wurde mit Be schluss vom 7. Januar 2014 abgelehnt (13 L 2168/13.A) .
15Auf den weiteren , unter dem 18. März 2014 gestellten Antrag des Klägers gemäß § 80 Ab s atz . 7 VwGO hat das Gericht mit Beschluss vom 24. März 2014 unter Abänderung des Beschlusses vom 7. Januar 2014 die angestrebte aufschiebende Wirkung angeordnet. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen darauf gestützt, dass bereits mehr als sechs Mo nate vergangen seien, seit Spanien seine Bereitschaft z ur Übernahme des Klägers erklärt habe (13 L 644/14.A) .
16Die Beteiligten haben übereinstimmend am 18. Juni und 23. Juni 2014 auf mündliche Verhandlung verzichtet (Bl. 50 und Bl. 51 d. Gerichtsakte).
17Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19Die Kammer konnte gemäß § 101 Absatz 2 VwGO über die Klage ohne mündliche Ver handlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierauf verzichtet haben.
20Der Kläger konnte sein ursprüngliches Verpflichtungsbegehren zu einer Anfechtungsklage umstellen, ohne dass es auf die Voraussetzungen für eine Klageänderung nach § 91 VwGO ankommt. Es handelt sich um eine nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) zulässige Beschränkung des Klageantrags.
21Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 91, Rn. 9.
22Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig (vgl. unter I.), aber unbegründet (vgl. unter II.).
23I. Die Klage ist zulässig. Sie ist statthaft (vgl. unter 1.) und auch fristgerecht erhoben wor den (vgl. unter 2.).
241. Statthafte Klageart ist allein die Anfechtungsklage gemäß § 42 Absatz 1, 1. Variante VwGO. Der Erhebung einer vorrangigen Verpflichtungsklage – gerichtet auf das Rechts schutzziel, dass die Beklagte das Asylverfahren durchführt – bedarf es nicht.
25Der Kläger begehrt die Aufhebung des ihn belastenden Bescheides vom 4. Oktober 2013, in welchem die Beklagte seinen Asylantrag gemäß § 27a AsylVfG als unzulässig abge lehnt hat. Gegen eine solche Unzulässigkeitsentscheidung ist ein isoliertes Aufhebungs begehren statthaft. Die Entscheidungen nach § 27a und § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG stellen Verwaltungsakte im Sinne des § 35 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) dar, deren isolierte Aufhebung – anders als in sonstigen Fällen eines Verpflichtungsbegeh rens – ausnahmsweise zulässig ist, weil schon ihre Beseitigung grundsätzlich zur formel len und materiellen Prüfung des gestellten Asylantrages und damit zu dem erstrebten Rechtschutzziel führt. Denn das Bundesamt ist nach Aufhebung des Bescheides bereits gesetzlich verpflichtet, das Asylverfahren durchzuführen, §§ 31, 24 AsylVfG. Das Bundes amt hat sich in den Fällen des § 27a AsylVfG lediglich mit der – einer materiellen Prüfung des Asylbegehrens vorgelagerten – Frage befasst, welcher Staat nach den Rechtsvor schriften der Europäischen Union für die Prüfung des Asylbegehrens des Klägers zustän dig ist; eine Prüfung des Asylbegehrens ist in der Sache nicht erfolgt. Mit der Aufhebung des Bescheides wird ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung des Asylbegeh rens beseitigt, und das Asylverfahren ist in dem Stadium, in dem es zu Unrecht beendet worden ist, durch das Bundesamt weiterzuführen.
26Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, juris, Rn. 28 ff.; Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2.
Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris, Rn. 21 f.; VG Düsseldorf, Urteile
vom 27. Juni 2014 ‑
–
13
K
654/14.A –, juris, Rn. 22, Urteil vom 26. April 2013 – 17 K 1777/12.A –, juris, Rn. 14 und Urteil vom 15.
Januar 2010, – 11 K 8136/09.A –, S. 4; VG Köln, Urteil vom 27. Mai 2014 – 2 K 2273/13.A –, juris, Rn. 14; VG München, Gerichtsbescheid vom 21. Mai 2014 – M 21 K 14.30286 –, juris, Rn. 15 m.w.N.; VG Regensburg, Urteil vom 18. Juli 2013 – RN 5 K 13.30027 –, juris, Rn. 19; VG Hamburg, Urteil vom 15. März 2012, –10 A 227/11 –, juris, Rn. 16; VG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 2. Februar 2012 – A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 2; VG Weimar, Urteil vom 23. November 2011 – 5 K 20196/10 –, juris, S.
5; VG Trier, Urteil vom 18. Mai 2011, – 5 K 198/11.TR –, juris, Rn. 16; VG Karlsruhe, Urteil vom 3.
März 2010, – A 4 K 4052/08 –, S. 4; VG Ansbach, Urteil vom 16. September 2009 – AN 11 K 09.30200 –, juris, Rn. 22; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand: 101. Erg.lieferg. Juni 2014, § 27a Rn.
21, § 34a Rn. 64 f.
Diese Verfahrenssituation ist vergleichbar mit derjenigen, die im Falle der Einstellung des Asylverfahrens wegen Nichtbetreibens nach den §§ 33, 32 AsylVfG entsteht. In letzterer Konstellation ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Anfech tungsklage allein gegen den Einstellungsbescheid des Bundesamtes statthaft. Mit der Auf hebung des Einstellungsbescheids wird nämlich ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens beseitigt und das Asylverfahren ist in dem Stadium, in dem es zu Unrecht beendet worden ist, durch das Bundesamt weiterzuführen.
28Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rn. 15 ff.
29Eine Verpflichtungsklage, die unmittelbar auf die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG oder aber – hilfsweise – die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylVfG und die Feststellung von Abschie bungsverboten nach § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltgesetzes AufenthG)
gerichtet ist, scheidet ebenso aus. Denn eine Verpflichtung für das Gericht, die Sache selbst spruchreif zu machen, besteht nur dann, wenn ein „mit seinem Asylantrag beim Bundesamt erfolglos gebliebener Auslän der“ den Klageweg beschreitet.
BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 – BVerwGE 107, 128 ff. = juris, Rn. 10.
31Zwar ist bei fehlerhafter oder verweigerter sachlicher Entscheidung der Behörde im Falle eines gebundenen begünstigenden Verwaltungsakts regelmäßig die dem Rechtsschutz begehren des Klägers allein entsprechende Verpflichtungsklage die richtige Klageart mit der Konsequenz, dass das Gericht die Sache spruchreif zu machen hat und sich nicht auf eine Entscheidung über die Anfechtungsklage beschränken darf, die im Ergebnis einer Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde gleichkäme.
32Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rn. 15.
33Dieser auch im Asylverfahren geltende Grundsatz kann jedoch auf behördliche Entschei dungen, die – wie hier – auf der Grundlage von § 27a AsylVfG ergangen sind, keine Anwendung finden. Denn im Falle einer fehlerhaften Ablehnung des Asylantrags als un zulässig mangels Zuständigkeit ist der Antrag in der Sache von der zuständigen Behörde noch gar nicht geprüft worden. Wäre nunmehr das Gericht verpflichtet, die Sache spruch reif zu machen und durchzuentscheiden, ginge dem Kläger eine Tatsacheninstanz verlo ren, die mit umfassenderen Verfahrensgarantien ausgestattet ist. Das gilt sowohl für die Verpflichtung der Behörde zur persönlichen Anhörung (§ 24 Absatz 1 Satz 3 AsylVfG) als auch zur umfassenden Sachaufklärung sowie der Erhebung der erforderlichen Beweise von Amts wegen (§ 24 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG) ohne die einmonatige Präklusionsfrist, wie sie für das Gerichtsverfahren in § 74 Absatz 2 AsylVfG in Verbindung mit § 87b Ab satz 3 VwGO vorgesehen ist. Im Übrigen führte ein Durchentscheiden des Gerichts im Er gebnis dazu, dass das Gericht nicht eine Entscheidung der Behörde kontrollieren würde, sondern anstelle der Behörde selbst entschiede, was im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung aus Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz (GG) zumindest bedenklich wäre.
34VG Düsseldorf, Urteile
vom 27. Juni 2014 – 13 K 654/14.A –, juris, Rn. 30, vom
26. April 2013 ‑
–
17
K
1777/12.A –, juris, Rn. 18 und Urteil vom 19. März 2013 – 6 K 2643/12.A –, juris, Rn. 16; VG
München, Gerichtsbescheid vom 21. Mai 2014 – M 21 K 14.30286 –, juris, Rn. 17 f.; VG Hamburg, Urteil vom 23. April 2014 – 10 A 1242/12 –, juris, Rn. 19; VG Regensburg, Urteil vom 18. Juli 2013 ‑
–
RN 5 K 13.30027 –, juris, Rn. 20; VG Hannover, Urteil vom 7. November 2013 – 2 A 4696/12 –, juris, Rn. 20; VG Hamburg, Urteil vom 18. Juli 2013 – 10 A 581/13 –, juris, Rn. 18; VG Gießen, Urteil vom 24. Januar 2013 – 6 K 1329/12.GI.A –, juris, Rn. 16 f.; VG Stuttgart, Urteil vom 20. September 2012 ‑
–
A 11 K 2519/12 –, juris, Rn. 15; VG Hamburg, Urteil vom 15. März 2012, – 10 A 227/11 –, juris, Rn.
16; VG Karlsruhe, Urteil vom 3. März 2010, – A 4 K 4052/08 –, S. 5; vgl. zum vergleichbaren Fall der Verfahrenseinstellung nach § 33 AsylVfG: BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rn. 15 ff.
Überdies würden die vom Gesetzgeber im Bemühen um Verfahrensbeschleunigung dem Bundesamt zugewiesenen Gestaltungsmöglichkeiten unterlaufen, wenn eine Verpflichtung des Gerichts zur Spruchreifmachung und damit zum „Durchentscheiden“ bestünde. Ge langt das Bundesamt nämlich nach sachlicher Prüfung des Asylbegehrens zu dem Ergeb nis, das Begehren sei gemäß §§ 29a, 30 AsylVfG offensichtlich unbegründet, so bestimmt § 36 AsylVfG das weitere Verfahren und sieht eine starke Beschleunigung der gerichtli chen Kontrolle und ggf. eine kurzfristige Beendigung des Aufenthalts des Klägers vor. Eine vergleichbare Möglichkeit steht dem Gericht nicht zu. Stellt sich nämlich das Asylbegehren nach gerichtlicher Prüfung als schlicht unbegründet dar, bemisst § 38 Absatz 1 AsylVfG die Ausreisefrist auf 30 Tage. Allerdings müsste sie, da sie nicht vom Gericht ausgespro chen werden kann, nachträglich von der Behörde festgesetzt werden, was im Widerspruch zu dem Beschleunigungsgedanken des Asylverfahrensgesetzes stünde.
36VG Düsseldorf, Urteil vom 27. Juni 2014 – 13 K 654/14.A –, juris, Rn. 32; VG München, Gerichtsbe scheid vom 21. Mai 2014 – M 21 K 14.30286 –, juris, Rn. 16.
37Im Falle der Aufhebung eines auf der Grundlage von § 27a AsylVfG ergangenen Beschei des ist daher das Asylverfahren durch die Beklagte weiterzuführen und das Asylbegehren von ihr in der Sache zu prüfen.
382. Der Kläger hat die Klage auch innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des an gegriffenen Bescheides des Bundesamtes vom 4. Oktober 2013 und damit fristgerecht im Sinne von § 74 Absatz 1 AsylVfG erhoben.
39Dabei ist die Bekanntgabe vorliegend allerdings noch nicht durch die mit Schreiben vom 17. Oktober 2013 erfolgte Übersendung des Bescheides an den Prozess bevollmächtigten des Klägers bewirkt worden. Denn der Prozessbevollmächtigte war insoweit kein Empfangsberechtigter des Klägers im Sinne von § 7 Absatz 1 Satz 2 des Verwaltungszu stellungsgesetzes (VwZG). Wird ein Asylantrag – wie vorliegend – nur nach § 27a AsylVfG abgelehnt, ist nach § 31 Absatz 1 Satz 4 AsylVfG die Entschei dung zusammen mit der Abschiebungsandrohung nach § 34a AsylVfG dem Ausländer persönlich zuzustellen und kommt mithin eine Empfangsvertretung durch den Prozessbe vollmächtigten nicht in Be tracht. Dementsprechend soll, wenn der Ausländer durch einen Bevollmächtigten vertreten wird oder er einen Empfangsberechtigten benannt hat, diesem nach § 31 Absatz 1 Satz 6 AsylVfG auch lediglich ein Abdruck der Entscheidung zugeleitet werden. Dieser Mangel der förmlichen Zustellung wurde aber vorliegend gemäß § 8 VwZG geheilt. Nach dieser Vorschrift gilt ein Schriftstück, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt, oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Empfangsberechtigter ist dabei derjenige, an den die Zustel lung nach dem Gesetz zu richten war,
40vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 43.95 –, BVerwGE 104, 301 und = juris, Rn. 27; Bundesfinanzhof, Urteil vom 2. Oktober 1986 – VII R 58/83 –, juris, Rn. 24,
41vorliegend also nach § 31 Absatz 1 Satz 4 AsylVfG der Kläger selbst, der im Übri gen auch tatsächlich als Adressat in dem angegriffenen Bescheid des Bundesamtes vom 4. Oktober 2013 benannt ist.
42Der Empfangsberechtigte hat das Schriftstück im Sinne von § 8 VwZG erhalten, wenn es ihm vorgelegen hat und er die Möglichkeit hatte, von seinem Inhalt Kenntnis zu nehmen; dass er es auch in Besitz genommen hat, ist nicht erforderlich,
43vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997, a.a.O., m.w.N.
44Darüber hinaus setzt die Heilung von Zustellungsmängeln voraus, dass die Behörde den Willen hatte, den Bescheid bekannt zu geben,
45BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 43.95 –, a.a.O. und juris, Rn. 29 und Beschluss vom 31. Mai 2006 – 6 B 65.05 –, NVwZ 2006, 943 = juris, Rn. 7, m.w.N.
46Nach diesen Maßgaben gilt der Bescheid des Bundesamtes vom 4. Oktober 2013 als dem Kläger am 23. Oktober 2013 mit heilender Wirkung im Sinne von § 8 VwZG zuge stellt. Nach den Angaben des Prozessbevollmächtigten des Klägers fand an diesem Tag ein Be sprechungstermin wegen des mit Schreiben vom 17. Oktober 2013 an die Kanzlei über mittelten Bescheides statt, bei dem der Kläger vom Erlass des Bescheides Kenntnis er halten hat. Zwar reicht die bloße (mündliche) Übermittlung des In halts des Bescheides an den Empfangsberechtigten durch eine Ersatzperson nicht aus, um dem Empfangsberech tigten die nach § 8 VwZG erforderliche zuverlässige Kenntnis des zuzustellenden Schrift stücks zu verschaffen,
47vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 43.95 –, a.a.O. und juris, Rn. 27.
48Allerdings wurde dem Kläger nach Angaben seines Prozessbevollmächtigten am 23. Oktober 2013 anlässlich des Besprechungstermins zugleich auch eine Kopie des Bescheides ausgehändigt. Die Aushändigung der Bescheidkopie war zur Vermittlung der erforderlichen Kenntnis aber geeignet, da sie das Original nach Inhalt und Fassung wiedergibt.
49Die Beklagte hatte schließlich hinsichtlich des Bescheides auch den erforderlichen Bekanntgabewillen. Der Bescheid ist mit Wissen und Wollen der Beklagten und in der Ab sicht, Rechtsfolgen gegenüber dem Kläger auszulösen, aus dem internen behördlichen Bereich herausgegeben worden. Dass Anschreiben und Bescheid willentlich den internen Bereich des Bundesamtes verlassen haben, folgt unzweifelhaft aus der be wussten Wahl des Übermittlungswegs per Einschreiben und dem Vorliegen eines hierüber gesondert gefertigten Aktenvermerks nach § 4 Absatz 2 Satz 4 VwZG (Bl. 67 der Beiakte Heft 1) so wie der zeitgleichen gesonderten Übermittlung des Bescheides auch noch an die zustän dige Ausländerbehörde (Bl. 64 der Beiakte Heft 1). Der Wille, hinsichtlich des Klägers Rechtsfolgen herbeizuführen, ergibt sich ohne weiteres aus dem an den Prozessbevoll mächtigten gerichteten Begleitschreiben vom 17. Oktober 2013, das in der Betreffzeile ausdrücklich den Namen des Klägers und den Bezug zu seinem Asyl verfahren und zudem die Mitteilung enthält, dass dem Prozessbevollmächtigten – der aus der Sicht des Bun desamtes der Empfangsberechtigte des Klägers war – der Be scheid vom 4. Oktober 2013 „zugestellt“ werde. Zur Heilung nicht erforderlich ist, dass ge rade auch die nachträgliche Kenntniserlangung durch den Adressaten vom Willen der Be hörde umfasst ist,
50vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 43.95 –, a.a.O. und juris, Rn. 29.
51Die zweiwöchige Klagefrist begann mithin am Tag nach der Bekanntgabe, also am Donnerstag, den 24. Oktober 2013, § 57 Absatz 2 VwGO i.V.m. § 222 Absatz 1 ZPO, § 187 Absatz 1 BGB und endete gemäß § 57 Absatz 2 VwGO i.V.m. § 222 Absatz 1 ZPO, § 188 Absatz 2 BGB am Mittwoch, den 6. November 2013. Die Klage ist bereits am Freitag, den 25. Oktober 2013 und damit fristgerecht bei Gericht eingegangen.
52II. D Indes ist der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 4. Oktober 2013 ist zu dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. § 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Absatz 1 VwGO.
53Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Recht nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt und auf der Grundlage des § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG die Ab schiebung des Klägers nach Spanien angeordnet. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylan trag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäi schen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchfüh rung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Beklagte den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG).
54Maßgebliche Rechtsvor schrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verord nung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Dritt staatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-VO). Diese findet auf den Asylantrag des Klägers Anwendung, obwohl gemäß § 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Ver handlung bzw. bei Entscheidungen ohne mündliche Verhandlung – wie hier – auf den Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist. Zwar ist und die Nachfolgevorschrift der Dublin II-VO, die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitglied staats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist ( Dublin III-VO) , bereits am 19. Juli 2013 in Kraft getreten ist . Denn Gemäß Artikel 49 Unterabsatz 2 Satz 2 Dublin III-VO bleibt die Dublin II-VO aber für Asylanträge, die vor dem 1. Januar 2014 gestellt werden, anwendbar . Anderes gilt allen falls im Falle von Gesuchen um Aufnahme oder Wiederaufnahme, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden (Artikel 49 Absatz 2 Satz 1 Dublin III-VO), was hier jedoch nicht der Fall ist,
55vgl. bereits VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 12. Februar 2014 – 13 L 2428/13.A –, juris, Rn. 13 und vom 8. Mai 2014 – 13 L 126/14.A –, juris, Rn. 11.
561. Nach den Vorschriften der Dublin II-VO ist Spanien der zuständige Staat für die Prüfung des durch den Kläger gestellten Asylantrags. Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien aus der EURODAC-Datei festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschrit ten hat, so ist dieser Mitgliedstaat gemäß Artikel 10 Absatz 1 Satz 1 Dublin II-VO für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Der Kläger ist nach seinen eigenen Angaben in der Befragung durch das Bundesamt vom 23. August 2013 vor seiner Einreise in die Bundes republik in Spanien gewesen. Überdies folgt aus der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank vom 27. August 2013, dass er bereits am 25. Oktober 2012 im spani schen Melilla erkennungsdienstlich behandelt worden ist. Der Kläger hat die Grenze Spa niens auch illegal überschritten, da er nach seinen eigenen Angaben ohne Ausweispapiere und Aufenthaltsberechtigung eingereist ist und zudem die vom Bundesamt durchgeführte Visa-Abfrage für ihn keinen Treffer ergeben hat.
572. Die danach vorliegende Zuständigkeit Spaniens ist auch nicht nach Artikel 10 Absatz 1 Satz 2 Dublin II-VO erloschen. Danach endet die Zuständigkeit zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Offen bleiben kann insoweit, ob der Kläger erst am Tag der erkennungsdienstlichen Behandlung, also am 25. Oktober 2012 erstmals in das Gebiet der Mitgliedstaaten eingereist und von den Behörden aufgegriffen worden ist oder ob die Einreise – wie der Kläger erstmals im gerichtlichen Verfahren vorträgt – bereits Anfang Oktober 2012 erfolgt ist. Denn der illegale Grenzübertritt lag in jedem Fall zum Zeitpunkt der für die Anwendung der Kriterien des Kapitels III maßgeblichen Zuständigkeitsbestim mung, die spätestens mit der Entscheidung Spaniens über das Aufnahmegesuch mit Schreiben vom 17. September 2013 ihren Abschluss fand (Artikel 19 Absatz 1Dublin II-VO ), noch keine zwölf Monate zurück.
58Dass diese Frist – unterstellt der Kläger sei wie behauptet bereits Anfang Oktober 2012 nach Spanien eingereist – im Zeitpunkt der nach obigen Ausführungen erst am 23. Oktober 2013 erfolgten Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides des Bundesamtes abgelaufen war, würde ebenfalls nicht zur Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung führen.
59Nach Artikel 3 Absatz 1 Satz 2 Dublin II-VO finden die Regelungen des Kapitels III, zu de nen Artikel 10 gehört, ausschließlich im Rahmen des Verfahrens zur Bestimmung des zu ständigen Mitgliedstaates Anwendung. Daher berechtigt Artikel 10 Absatz 1 Satz 2 Dublin II-VO zwar einen Mitglied staat, ein an ihn gerichtetes Aufnahme- oder Wiederaufnahmeersuchen eines anderen Mitgliedstaates abzulehnen, sofern der illegale Grenzübertritt im Zeitpunkt des Ersuchens bereits mehr als zwölf Monate zurückliegt. Nach Abschluss des Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung ist der Anwendungsbe reich des Kapitels III dagegen nicht mehr eröffnet und führt Artikel 10 Absatz 1 Satz 2 Dublin II-VO daher nicht zu einem nachträglichen Wegfall der be reits nach der Dublin II-Verordnung bestimmten Zuständigkeit. Dementsprechend regelt Kapitel V, dass die nach den Kriterien des Kapitels III bestehende Zuständigkeit eines er suchten Mitgliedstaates nachträglich nur unter den Voraussetzungen von Artikel 16 Absatz 3 und 4 Dublin II-VO erlöschen oder wegen eines Fristversäumnisses des ersuchenden Mitgliedstaates nach Artikel 17 Absatz 1 Satz 2, Artikel 19 Absatz 4 oder Artikel 20 Absatz 2 Dublin II-VO auf den ersuchenden Mitgliedstaat selbst übergehen kann. Überdies sieht Artikel 5 Absatz 2 Dublin II-VO vor, dass bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mit gliedstaats von der Situation ausgegangen wird, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
603. Die Zuständigkeit Spaniens ist auch nicht nach Maßgabe der Artikel 16 ff. Dublin II-VO wieder erloschen oder auf Deutschland übergegangen. Die Pflicht Spaniens, den Kläger aufzunehmen, folgt aus Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe a) Dublin II-VO, wonach der nach der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrags zuständige Mitgliedsstaat gehalten ist, einen Asylbewerber, der einen Antrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat, nach Maß gabe der Artikel 17 bis 19 Dublin II-VO aufzunehmen.
61Nachdem die am 27. August 2013 erfolgte Recherche der Beklagten in der Eurodac-Da tenbank für den Kläger einen Treffer ergab und damit Anhaltspunkte für eine Zuständigkeit Spaniens für die Prüfung des Asylantrags des Klägers bestanden, hat die Beklagte bereits am 29. August 2013 via DubliNet rechtzeitig inner halb der Frist nach Artikel 17 Absatz 1 Unterabsatz 1 Dublin II-VO von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrags am 7. Juni 2013 das Aufnahmeersuchen an Spanien gerichtet. Spanien hat seinerseits am 17. September 2013 und mithin innerhalb von zwei Monaten nach seiner Befassung mit dem Gesuch im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Dublin II-VO entschieden.
62Der Kläger kann nicht geltend machen, dass die in Art . ikel 19 Abs atz . 3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO geregelte Sechs-Monatsfrist zu einem Übergang der Zuständigkeit von Spanien auf die Beklagte geführt hat.
63a) Diese Frist ist noch nicht abgelaufen. Sie beginnt im vorliegenden Fall erst zu laufen, nachdem das Gericht in der Hauptsache über die Klage entschieden hat. Dies folgt schon aus dem Wortlaut der Vorschrift des Artikel 19 Abs atz . 3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO. Da nach erfolgt die Überstellung , sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wideraufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Mit dem in der zweiten Alternative dieser Vorschrift in Bezug genommenen Rechtsbehelf ist das gegen die Abschiebung gerichtete Hauptsacheverfah ren gemeint, nicht schon das Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz, auch wenn bereits während dessen Anhängigkeit gemäß § 34a Abs atz . 2 Satz 2 AsylVfG eine Abschiebung zu unterbleiben hat.
64Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 53; Beschluss vom 8. September 2014 – 13 A 1347/14.A –, juris, Rn. 5 ff.; VG Düsseldorf, Beschluss im Verfahren gleichen Rubrums vom 24. März 2014 – 13 L 644/14.A –, juris, Rn. 12 ff.
65Dieser Rechtsbehelf hatte aufgrund der gerichtlichen Anordnung vom 24. März 2014 im Verfahren nach § 80 Absatz 7 VwGO (13 L 644/14.A) aufschiebende Wirkung. Deshalb kann die Frist zur Überstellung und damit auch eine mögliche Frist, deren Ablauf zu einer unzumutbar langen Verfahrensdauer führen kann, erst mit der Entscheidung über diesen Rechtsbehelf – mithin mit Rechtskraft dieses Urteils – zu laufen beginnen. Artikel 19 Ab s atz . 3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO benennt insoweit zwar nicht die Rechtskraft, sondern die „Entscheidung über den Rechtsbehelf“. Da diese Formulierung jedoch in unmittelbarem Zusammenhang zur der diesem Rechtsbehelf beizumessenden aufschiebenden Wirkung verwendet wird, kann dies nur im Sinne einer rechtskräftigen Entscheidung über den Rechtsbehelf verstanden werden.
66Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. Mai 2014 – 13 A 827/14.A –, juris, Rn. 5.
67Ohne Bedeutung ist insoweit, dass die Kammer im vorgenannten Beschluss vom 24. März 2014 – anders als hier – zu der Annahme gelangt ist, die maßgebliche Frist sei bereits ab gelaufen. Denn Artikel 19 Abs atz . 3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO ermöglicht jedenfalls auch eine Überstellung innerhalb der hier noch nicht laufenden Frist von sechs Monaten ab der Entscheidung über den Rechtsbehelf. Im Übrigen hält die Kammer an ihrer allein im sum marischen Verfahren nach § 80 Absatz 5 und 7 VwGO vertretenen Auffassung, wonach sich der Kläger auf den Ablauf dieser Frist beruf en kann, nicht länger fest (s. hierzu unten, b) ).
68Dasselbe Ergebnis ergibt sich auch aus dem Sinn und Zweck der Überstellungsfrist. Durch die in Artikel 19 Absatz 3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO geregelte Überstellungsfrist soll es den Mitgliedstaaten ermöglicht werden , die Überstellung mitsamt ihren technischen Prob leme n zu bewerkstelligen. Die Frist für die Durchführung der Überstellung kann daher erst zu laufen beginnen, wenn grundsätzlich vereinbart und sichergestellt ist, dass die Über stellung in Zukunft erfolgen wird, und wenn lediglich deren Modalitäten zu regeln bleiben. Dass diese Überstellung erfolgen wird, kann nicht als sichergestellt angesehen werden, wenn ein Gericht des ersuchenden Mitgliedstaats, bei dem ein Rechtsbehelf anhängig ist, über die Frage in der Sache nicht entschieden hat, sondern sich darauf beschränkt hat, zu einem Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung Stellung zu nehmen. Denn es ist davon auszugehen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber nicht die Absicht hatte, dem Erfordernis der zügigen Bearbeitung der Asylanträge den gerichtlichen Schutz zu opfern, den die Mitgliedstaaten gewährleisten, deren Gerichte die Durchführung einer Überstellungsentscheidung aussetzen können und es somit dem Asylbewerber er möglichen, die ihn betreffenden Entscheidungen wirksam anzugreifen. Andernfalls be fände sich der Mitgliedstaat, der im Rahmen des Überstellungsverfahrens beschlossen hat, gegebenenfalls mit aufschiebender Wirkung versehene Rechtsbehelfe zu schaffen, und der daher hinnehmen müsste, dass die Frist, über die er für die Ausweisung des Asyl bewerbers verfügt, um die Zeit verkürzt wird, die die innerstaatlichen Gerichte benötigen, um über den Rechtsstreit in der Sache zu entscheiden, in einer misslichen Lage, da er, wenn es ihm nicht gelänge, die Überstellung des Asylbewerbers innerhalb des sehr kurzen Zeitraums zu organisieren, der zwischen der Entscheidung des Tatrichters und dem Ablauf der Frist für die Durchführung der Überstellung liegt, Gefahr liefe, letztlich als für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig bestimmt zu werden.
69Vgl. Europäische r Gerichtshof ( EuGH ) , Urteil vom 29. Januar 2009, – C-19/08 –, juris, S . 11, Rn. 44 ff.; OVG NRW, Beschlüsse vom 8. September 2014 – 13 A 1347/14.A –, Rn. 12 ff., und Be schluss vom 8. Mai 2014 – 13 A 827/14.A –, juris, Rn. 3.
70Vor diesem Hintergrund geht auch die im klägerischen Schriftsatz vom 11. September 2014 geäußerte Ansicht fehl, es bedürfe zunächst einer aktuellen Bestätigung der Über nahmebereitschaft Spaniens. Denn bei der Fristberechnung ab der Rechtskraft dieser Ent scheidung handelt es sich um eine von zwei gleichwertig nebeneinander bestehenden Al ternativen innerhalb der Vorschrift des Artikel 19 Abs atz . 3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO. Da ein Fristablauf objektiv nicht gegeben ist, kann auch Spanien sich nicht hierauf berufen. Im Übrigen würde auch die Möglichkeit, dass sich der übernehmende Staat auf den Ablauf der Frist beruft, dem Kläger nicht den entsprechenden Einwand in Form eines subjektiven Rechts an die Hand geben. Sollte der an sich übernehmende Staat die Aufnahme verwei gern, deckt sich dies mit dem vom Kläger verfolgten Interesse, im Bundesgebiet zu ver bleiben und – sollte kein anderer, dritter Staat zuständig sein – eine Prüfung seines An trags durch die Beklagte zu erreichen. Wäre der übernehmende Staat hingegen noch im mer zur Aufnahme bereit, würden hierdurch – wie nachstehend ausgeführt – keine subjektiven Rechte des Klägers verletzt.
71Die Beklagte ist vorliegend bis zur Entscheidung über die Hauptsache auf Grund des stattgebenden Beschlusses vom 24. März 2014, worin die aufschiebende Wirkung der vor liegenden Klage angeordnet worden ist , an der Überstellung des Klägers nach Spanien rechtlich und daher nicht nur aufgrund der erforderlichen Modalitäten für eine Überstellung gehindert gewesen . Die Überstellungsfrist beginnt erst mit Rechtkraft dieses Urteils zu laufen.
72b) Selbst wenn es hier jedoch auf den Ablauf der Sechs-Monatsfrist in der ersten Altern
a
tive des Art
ikel
.
19 Abs
atz
.
3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO ankäme, also beginnend mit der Annahme des Antrags auf Aufnahme durch Spanien
,
am
17.
Septem
ber 2013, könnte sich der Kläger nicht auf den Ablauf dieser Frist berufen.
Zwar endete die Frist zur Überstellung des Klägers zunächst
,
mit Ablauf des 17. März 2014, da Spanien der Aufnahme bereits am 17. September 2013 zugestimmt hatte
.
Der Kläger kann sich auf einen möglichen Verstoß gegen die Überstellungsfristjedoch nicht berufen. Allein ein Verstoß gegen die Fristenre gelungen der Dublin II-VO verletzt für sich keine subjektiven Rechte der Asylbewerber, sofern damit keine Grundrechtsverletzung einhergeht. Insoweit gibt die Kammer auf der Grundlage der sog. Abdullahi-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs,
74Urteil vom 10. Dezember 2013, – C-394/12 –, juris; vgl.
,
nachfolgend
auch BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 7,
ihre bisherige Rechtsprechungim Beschluss vom 24. März 2014 – 13 L 644/14.A – auf und geht davon aus, dass sich der Kläger nicht auf die Versäumung der Überstellun g s f rist berufen kann. Ob eine Vorschrift dem Schutz subjektiver Interessen dient, folgt maßgeblich aus dem In halt und Regelungszweck der anzuwendenden Norm. Nach seinem Wortlaut regelt Artikel 19 Absatz 3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO allein einen Verfahrensablauf zwischen zwei Ho heitssubjekten ohne Bezug zu nehmen auf den Asylbewerber selbst. Die dort konstituierte mitgliedstaatliche Obliegenheit steht im Einklang mit dem Sinn und Zweck der DublinII-VO, der letztlich in der Verwirklichung des in Artikel 78 Absatz 1 Vertrag über die Arbeits weise der Europäischen Union (AEUV) vorgesehenen gemeinsamen europäischen Asyl systems besteht, vgl. auch Artikel 78 Absatz 2 lit e) AEUV. Grundgedanke der DublinII-VO ist ausweislich den der Verordnung vorangestellten Erwägungen (3 und 16), eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats zu entwerfen. Eine solche Formel sollte nach den Erwägungen auf objekti ven und gerechten Kriterien basieren, die insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten.
76EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 18. April 2013, – C-4/11 –, juris, Rn. 57 f.; VG Düsseldorf, Urteil vom 27. August 2013 – 17 K 4737/12.A –, juris, Rn. 37.
77Die Fristbestimmungen der Dublin II-VO dienen dementsprechend einer zeitnahen Fest stellung des zuständigen Mitgliedsstaats und einer zügigen Überstellung an diesen, ohne aber dem Kläger (mittelbar) einen Anspruch auf Prüfung des Asylantrags durch einen be stimmten Mitgliedsstaat zu gewähren. Der EuGH hat für den Fall, dass der zuständige Mitgliedsstaat der Aufnahme zustimmt, entschieden, dass der Asylbewerber einer Über stellung nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnah mebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann.
78EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013, – C-394/12 –, juris, Rn. 60 und 62; BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 – 10 B 16.
/
14 –, juris, Rn. 12; VG Würzburg, Beschluss vom 11. Juni 2014 ‑
–
W
6
S
14.50065 –, juris, Rn. 18 m.w.N.
Obschon der Abdullahi- Entscheidung keine generelle Aussage zur subjektiv-rechtlichen Dimension von (Überstellungs-)Fristen zu nehmen ist,
80vgl. hierzu auch schon VG Düsseldorf, Urteil vom 15. August 2014 – 13 K 1117/14.A – Seite 9 und 10 des Urteilsabdrucks m.w.N.,zur Veröffentlichung bei juris und www.nrwe.de vorgesehen,
81gelten die vorstehenden Erwägungen auch für die hier relevante Überstellungsfrist im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens. Die Überstellungsfrist dient nicht dem Schutz des Klägers, sondern wie die sonstigen Fristbestimmungen allein den objektiven Zwecken einer sachgerechten Verteilung der mit Durchführung der Asylverfahren verbundenen Lasten in Abstimmung mit dem um (Wieder-)Aufnahme ersuchten Mitglieds
staat. Die Dublin II-VO enthält auch insoweit vor allem Verpflichtungen der Mitglieds
staaten untereinander. Etwas anderes mag – anders als hier – gelten, wenn die Überstellungsfrist abgelaufen und der ersuchte Mitgliedsstaat nicht mehr zur Aufnahme bzw. Wiederaufnahme bereit wäre oder wenn es sonst zur unverhältnismäßigen weiteren Verzögerungen käme (s.u.). Denn die Rechtsstellung des Einzelnen wird durch das Zuständigkeitssystem der Dublin II-Ver ordnung lediglich insoweit geschützt, als jedenfalls ein zuständiger Vertragsstaat für die Prüfung des Asylbegehrens gewährleistet sein muss.
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 16. April 2014 – A 11 S 1721/13 –, juris; Rn.
25; Offen gelassen vom OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 ‑
–
14
A
1943/11.A
–, juris, Rn. 24; VG Trier, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 5 L 1271/14.TR –, juris, Rn.
6 f.; VG Würzburg, Beschluss vom 11. Juni 2014 – W 6 S 14.50065 –, juris, Rn. 19; VG Hamburg, Beschluss vom 8. April 2014 – 17 AE 1762/14 –, juris, Rn. 18; VG Berlin, Beschluss vom 19. März 2014 – 33 L 90.14 A –, juris; VG Regensburg, Gerichtsbescheid vom 26. Februar 2013 – RN 9 K 11.30445 –, juris, Rn. 18; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 98. Ergänzungslieferung, November 2013, § 27a, Rn. 234.
Dieses Ergebnis wird zudem durch folgende Überlegung bestätigt: Dem Asylbewerber bleibt es in jedem Fall unbenommen, sich freiwillig bei der ihm genannten Stelle des ande ren Mitgliedstaates zu melden und hierdurch selbst das Verfahren zu beschleunigen. In soweit regelt Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe 1) der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (DVO Dublin II-VO), dass die Überstel lung in den zuständigen Mitgliedstaat auch auf Initiative des Asylbewerbers erfolgen kann.
84Vgl. hierzu Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 98. Ergänzungslieferung, November 2013, § 27a, Rn. 231 m.w.N.
85Hat es der Asylbewerber aber selbst in der Hand, wann die Überstellung erfolgtund dass sie überhaupt erfolgt
,
kann er mithin
selbst zu einer von ihm gewünschten Beschleunigung beitragen, verbietet
schon der
allgemeine – aus dem Gebot von Treu und Glauben nach §
242 BGB abgeleiteten
– Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“) sich
auf eine verspätete Überstellung seitens der Bundesrepublik Deutschlandzu
berufen. Insoweit ist es ihm auch nicht unzumutbar, sich zunächst in den anderen Mitgliedstaat zu begeben und dort den Ausgang des Hauptsacheverfahrens ab zuwarten.
OVG NRW, Beschluss vom 11. Oktober 2011 – 14 B 1011/11.A –, juris, Rn. 16.
874. Es liegen auch keine Gründe vor, die trotz der genannten Zuständigkeit Spaniens eine Verpflichtung der Beklagten begründen könnten, vom Selbsteintrittsrecht nach Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 Dublin II-VO Gebrauch zu machen oder es ausschließen würden, den Kläger nach Spanien abzuschieben.
88a) Zwar besteht bei einer unangemessenen Verfahrensdauer ein aus den Grundrechten abzuleitendes subjektives Recht des Asylbewerbers auf Durchführung des Asylverfahrens in dem Mitgliedstaat, welcher die Verzögerung zu verantworten hat.
89EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –, juris, Rn. 35 und Urteil vom 21. Dezember 2011 ‑
–
C-411/10 et al. –, juris, Rn. 98 und 108; VG Düsseldorf, Urteil vom 15. August 2014 ‑
–
13
K
1117/14.A
– m.w.N.
Das kann aber ohnehin nur dann gelten, wenn der Antragsteller durch zu langes Zuwarten des Bundesamtes um den zeitnah en Fortgang des Verfahrens auf Feststellung seiner Asylberechtigung bzw. seiner internationalen Schutzberechtigung gebracht wird. Hat der Kläger es jedoch selbst in der Hand, die Prüfung seines Antrags dadurch voranzutreiben, dass er sich freiwillig in den hierfür zuständigen Mitgliedstaat begibt, ist eine Grundrechts verletzung wegen zu langer Verfahrensdauer ausgeschlossen (s.o. , 3. b) ) .
91Selbst
wenn der Grund für die verzögerte Einreise bzw. Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat allein in die Sphäre der Beklagten fiele, wofür vorliegend nichts spricht, fehlt
e
es i
ndes schon
an einer solch unangemessen langen Verfahrensdauer. Anhaltspunkte, ab wann von einer unangemessen langen Verfahrensdauer auszugehen ist, hat der Europäi schen
Gerichtshof nicht gegeben. Nach Auffassung des Gerichts ist insoweit aber zunächst zu berücksichtigen, dass schon die Regelung des Artikel 19 Absatz 3 Dublin II-VO vor sieht, dass die Überstellung spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Annahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, erfolgt. Deren Überschreiten kann dabei nicht gleich gesetzt werden mit der vom EuGH angesprochenen, die Grundrechte des Asylbewerbers beeinträchtigenden unangemessen langen Verfahrensdauer. Der gesetzlichen Wertung des § 24 Absatz 4 AsylVfG folgend geht das Gericht davon aus, dass frühestens nach dem Verstreichen eines Zeitraums, der der regelmäßigen Frist des Artikel 19 Absatz 3 Dublin II-VO von sechs Monaten zuzüglich der durch § 24 Absatz 4 AsylVfG für die inner staatlich für die Entscheidung über den Asylantrag im Regelfall vorgesehenen Frist von sechs Monaten, also insgesamt von zwölf Monaten, entspricht, von einer unangemessen langen Verfahrensdauer ausgegangen werden kann.
Vgl. zur Stellung eines Aufnahmeantrags VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. Februar 2014 ‑ 13 L 2685/13.A –, juris, Rn. 22.
93Damit einhergehend sieht auch Artikel 19 Absatz 4 Satz 2, 1. Alternative Dublin II-VO vor, dass die Frist zur Überstellung höchstens auf ein Jahr verlängert werden kann, wenn diese aufgrund der Inhaftierung des Asylbewerbers nicht erfolgen konnte.
94Diese Frist ist vorliegend noch nicht abgelaufen.
95b) Die Beklagte ist schließlich auch nicht gehindert, den Kläger nach Spanien zu überstel len, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwach stellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behand lung im Sinne des Artikels 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) mit sich bringen. Die Voraussetzungen, unter denen das nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs,
96EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, S. 413,
97der Fall wäre, liegen nicht vor. Systemische Mängel in diesem Sine können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können,
98EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
99Gemessen hieran ist nicht ersichtlich, dass der Kläger Gefahr liefe, nach der Rück über stellung nach Spanien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. im Sinne von Artikel 3 EMRK zu unterfallen. Es liegen dem erkennenden Gericht keinerlei Erkenntnismittel vor, die die Befürchtung recht fertigen könnten, dass in Spanien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im oben genannten Sinne bestehen,
100vgl. Verwaltungsgericht Aachen, Beschluss vom 30. Juni 2014 – 4 L 398/14.A –, juris, Rn. 23 f. m.w.N.; Verwaltungsgericht Potsdam, Beschluss vom 23. Juni 2014 – 6 L 551/14.A –, juris, Rn. 11; Verwaltungsgericht Augsburg, Beschluss vom 27. Mai 2014 – Au 7 S 14.50094 –, juris, Rn. 50.
101Es ergeben sich auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass Spanien das Asylgesuch des Klägers nicht in einem ordnungsgemäßen Asylverfahren prüfen wird. Denn Spanien hat unter Wahrung seiner aus der Dublin II-VO folgende Obliegenheiten bereits zweimal fristgerecht seine Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags des Klägers an erkannt. Soweit der Kläger demgegenüber im gerichtlichen Verfahren vorgebracht hat, ihm sei in Spanien sowohl bei seiner Ersteinreise im Oktober 2012 als auch nach der Über stellung aus Deutschland im April 2013 jeweils die Stellung eines Asylantrags tatsächlich verweigert worden, ist dieses unsubtsantiierte Vorbringen nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht glaubhaft. Der Kläger hat hierzu schon selbst keine widerspruchsfreien Angaben gemacht. Im Rahmen der Anhörung beim Bun desamt am 23. Januar 2013 hat er ausdrücklich angegeben, noch in keinem europäischen Land einen Asylantrag gestellt zu haben (Bl. 39 Beiakte Heft 2). Anlässlich seiner erneuten Asylantragstellung in Deutschland am 7. Juni 2013 hat er zwar in der Anhörung am 23. August 2013 angegeben, er habe in Spanien gefragt, ob er Asyl beantragen könne, was aber abgelehnt worden sei. Allerdings schilderte er diese angebliche Verweigerung der Asylantragstellung als eine solche im Zusammenhang mit der Ersteinreise und damit im Widerspruch zu seinem Vorbringen vom 23. Januar 2013. Zudem legte er nicht offen, dass er unter einem Aliasnamen bereits zuvor in Deutschland einen Asylantrag gestellt hatte und nach Spanien zurückgeführt worden war. Da gerade die Verweigerung eines Asylverfahrens nach der Rücküberstellung nach Spanien nach den Angaben des Klägers im gerichtlichen Verfahren aber der wesentliche Anlass der erneuten Einreise nach Deutschland im Juni 2013 gewesen sein soll, wäre zu erwarten gewesen, dass er diesen für ihn so ent scheidenden Umstand dann auch in der Anhörung am 23. August 2013 schildert. Dies umso mehr, als der Rücküberstellung vom 10. April 2013 eine ausdrückliche Aufnahmeer klärung Spaniens vom 7. März 2013 zugrunde lag. Die Einschätzung, dass dem diesbe züglichen Vorbringen des Klägers kein Glauben geschenkt werden kann, stützt das Ge richt ergänzend darauf, dass der Kläger auch zu seinem angeblichen Verfolgungsschicksal in beiden Anhö rungen vollkommen unterschiedliche und nicht miteinander in Einklang zu bringende An gaben gemacht hat und zudem seinen ersten Asylantrag unter einem falschen Namen gestellt hat, sich mithin insgesamt nicht als glaubwürdig erweist.
102Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach § 34a Absatz 1 AsylVfG bestehen keine Bedenken. Insbesondere besteht auch kein Abschiebungshin der nis. Gemäß § 34a Absatz 1 Satz 1 a. E. AsylVfG setzt die Anordnung der Abschiebung neben der Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 27a AsylVfG voraus, dass sie auch durch geführt werden kann. Es sind weder zielstaatsbezogene, noch in der Person des Klägers bestehende, also inlandsbezogene, Abschiebungshindernisse ersicht lich.
103Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Absatz 1 VwGO. Die Nichterhebung von Gerichts k osten ergibt sich aus § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert folgt aus § 30Ab satz 1 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
104Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
Tenor
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 7. Kammer, Einzelrichter - vom 3. November 2014 wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Antragsverfahrens.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
- 1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) nicht vorliegt.
- 2
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der einheitlichen Auslegung und Anwendung oder der Fortentwicklung des Rechts der Klärung bedarf, oder wenn sie eine tatsächliche Frage aufwirft, deren in der Berufungsentscheidung zu erwartende Klärung verallgemeinerungsfähige Auswirkungen hat. Verallgemeinerungsfähige Auswirkungen hat die Klärung einer Tatsachenfrage, wenn sich diese Frage nicht nur in dem zu entscheidenden Fall, sondern darüber hinaus auch noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft stellt. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist nur dann im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum die Frage im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren.
- 3
Nach diesen Maßstäben kommt der aufgeworfenen Frage,
- 4
ob ein Asylbewerber sich gegen eine Überstellung in einen Drittstaat darauf berufen darf, dass Deutschland die Überstellungsfrist gemäß Art. 19 Abs. 4 Dublin-II-VO bzw. Art. 29 Abs. 3 Dublin-III-VO versäumt hat,
- 5
keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage bedarf bereits deshalb nicht der Klärung in einem Berufungsverfahren, weil sie sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres - verneinend - beantworten lässt.
- 6
Die Kläger können kein subjektives Recht auf Einhaltung der Zuständigkeits- und Fristvorschriften der Dublin-II-Verordnung geltend machen; auf die hier nicht anwendbaren Vorschriften der Dublin-III-Verordnung kommt es nicht entscheidungserheblich an. Die Dublin-II-Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vom 18. Februar 2003 ist trotz § 77 Abs. 1 AsylVfG und der zwischenzeitlich erlassenen Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 - Dublin-III-Verordnung - auf den vorliegenden Fall weiterhin anzuwenden, weil nach Art. 49 Dublin-III-Verordnung die Neuregelung erst auf Anträge der Mitgliedstaaten auf Wiederaufnahme anzuwenden ist, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind.
- 7
Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 - Abdullahi -, NVwZ 2014, 208, juris; vgl. auch Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, Slg 2011, I-13905-14033, juris Rn. 96 und vom 14. November 2013 - C-4/11, Puid - juris) ist davon auszugehen, dass sich die Kläger nicht auf die Versäumung von Fristen berufen können. Denn die Dublin-II-VO gewährt den Klägern keinen subjektiv einklagbaren Rechtsanspruch darauf, dass ihre Asylanträge in einem bestimmten Mitgliedsstaat geprüft werden, den sie für zuständig halten. Die jeweiligen Fristbestimmungen der Dublin-II-VO dienen hiernach ebenfalls allein einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und einer zeitnahen Überstellung in diesen Staat im Verhältnis der Dublin-Staaten untereinander, ohne aber den Klägern (mittelbar) einen Anspruch auf Prüfung des Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat zu gewährleisten (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 - Rn. 10 ff., VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 - Rn. 59 und vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 - Rn. 25, Hessischer VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 - jeweils juris, siehe auch Berlit, Anmerkung zu BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris PR-BVerwG 12.2014). Ein Asylantragsteller kann der Überstellung in den nach der Dublin-II- Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen treten (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14. u.a. - Rn. 4, vom. 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, vom 21. Mai 2014 - 10 B 3110 B 31.14 - Rn. 4 und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, jeweils juris).
- 8
Nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10. Dezember 2013 (- C-394/12 - „Abdullahi", a.a.O.) kann ein Asylantragsteller nach einem erfolgreichen Aufnahmeersuchen mit dem in Art. 19 Abs. 2 Dublin II-VO vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die Überstellung der Heranziehung des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriteriums nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten. Zwar sind diese Ausführungen des Gerichtshofes ausdrücklich nur im Zusammenhang mit der Bestimmung der Zuständigkeit eines Mitgliedsstaats gemäß Kapitel III der Dublin II-Verordnung erfolgt. Aus ihren tragenden Erwägungen kann aber unmittelbar gefolgert werden, dass sich ein Asylantragsteller ebenfalls nicht mit Erfolg auf einen Zuständigkeitsübergang nach den im Kapitel V geregelten Art. 16 ff. Dublin II-VO berufen kann (ebenso Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 - juris Rn. 10).
- 9
Genauso wie die Vorschriften über die Bestimmung der Zuständigkeit im Kapitel III der Dublin-II-Verordnung keine subjektiven Rechte vermitteln, sondern als Organisationsvorschriften einer klaren und praktikablen Bestimmung der Zuständigkeit innerhalb der Mitgliedstaaten dienen (vgl. hierzu die Erwägungsgründe 3 und 16), sollen auch die Vorschriften des Kapitel V der Verordnung - ebenfalls als Organisationsvorschriften - in erster Linie eine rasche Bestimmung des für die Prüfung zuständigen Mitgliedsstaates ermöglichen (Erwägungsgrund 4). Auch sie vermitteln Asylantragstellern keine subjektiven Rechte, sondern bei ihnen steht das Interesse im Vordergrund, die Zuständigkeit zeitnah festzustellen und den Asylantrag durch einzig den zuständigen Mitgliedstaat prüfen zu lassen, nicht aber, die Prüfung einem ganz bestimmten Mitgliedstaat zuzusprechen, in dem der Antragsteller einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat.
- 10
Dementsprechend führt der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 10. Dezember 2013 (a.a.O.) aus, dass der Unionsgesetzgeber diese Vorschriften erlassen hat, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem „forum shopping" zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen (Rn. 53). Auch er sieht einen der Hauptzwecke der Verordnung in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden (Rn. 59). Vorrangiges Ziel der Dublin-II-Verordnung insgesamt, und nicht nur der Zuständigkeitskriterien des Kapitels III, ist danach eine möglichst eindeutige Bestimmung des zuständiges Mitgliedstaates und in der Folge eine zeitnahe Prüfung des Asylantrages. Der Unionsgesetzgeber wollte einem Asylantragsteller mit der Dublin II-Verordnung (ebenso mit der Dublin III-Verordnung) aber keine weitergehende Rechtsposition einräumen, seinen Asylantrag in einem ganz bestimmten Mitgliedstaat, in dem er einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat, prüfen zu lassen.
- 11
Auch das Bundesverwaltungsgericht (Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14. u.a. - Rn. 4, vom. 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, vom 21. Mai 2014 - 10 B 3110 B 31.14 - Rn. 4 und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, jeweils juris) entnimmt der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union, dass ein Asylantragsteller einer Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann. Auch nach seinem Verständnis dieser Rechtsprechung kann eine Berufung auf eine Verletzung von Verfahrens- und Fristenregelungen der Dublin-II-Verordnung der Klage eines Asylbewerbers demnach grundsätzlich nicht zum Erfolg verhelfen (so ausdrücklich Berlit, jurisPR- BVerwG 12/2014 Anm. 3, Buchst. B am Ende).
- 12
Die Kläger machen geltend, dass sich aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergebe, dass Asylantragsteller zwar keine Fristversäumnisse im Rahmen des (Wieder-)Aufnahmeersuchens geltend machen könnten - dies könne nur der ersuchte Staat - (Beschluss vom 21. Mai 2014 a.a.O.), ein Ablauf der Überstellungsfrist führe aber zu einem Zuständigkeitswechsel und dies könne der Flüchtling geltend machen. Im Beschluss vom 14. Juli 2014 (a.a.O.) habe das Bundesverwaltungsgericht durch den Begriff des zuständigen (statt des ersuchten) Mitgliedsstaats deutlich gemacht, dass der Asylantrag nur dann unzulässig sei, wenn ein anderer Mitgliedsstaat zuständig sei. Auch für den Gerichtshof der Europäischen Union sei in seinem Urteil vom 10. Dezember 2013 (a.a.O.) ausschlaggebend, dass der ersuchte Staat der Übernahme zugestimmt habe. Damit sei aber nichts dazu gesagt, dass nach Fristablauf die Zuständigkeit wieder auf den ersuchenden Staat übergehe und der Antragsteller dies geltend machen könne.
- 13
Der Senat vermag diesen Ausführungen der Kläger nicht zu folgen, solange Frankreich weiterhin bereit ist, ihre Asylanträge zu bearbeiten, da es keinen Anspruch der Kläger auf Prüfung ihrer Anträge durch einen (von ihnen) bestimmten Staat gibt. Dafür, dass Frankreich seine mit Schreiben vom 31. März 2014 erklärte Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge der Kläger nach Fristablauf zurücknehmen und sich auf den Fristablauf berufen werde, gibt es weder Feststellungen des Verwaltungsgerichts - zum Zeitpunkt seiner Entscheidung war die Frist des Art. 19 Abs. 3 UAbs. 1, Abs. 4 Satz 1 Dublin-II-VO noch nicht abgelaufen - noch wird von den Klägern behauptet oder gar dargelegt (vgl. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG), dass Frankreich wegen des Fristablaufs nicht mehr zur Aufnahme bereit wäre. Ob etwas anderes dann gilt, wenn feststeht, dass der ersuchte Mitgliedstaat - hier Frankreich - nicht mehr zur Aufnahme bereit ist (vgl. zu dieser Fallkonstellation VG Schleswig, Gerichtsbescheid vom 19. Februar - 5 A 374/14 -), bedarf hier schon deshalb keiner weiteren Erörterung. Diese Fallkonstellation ist auch nicht vorsorglich vom Senat in die Prüfung einzubeziehen. Sofern mit einem solchen Fall eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 41 Abs. 1 i.V.m. Art 51 Abs. 1 Satz 1 EUGrdRCh einherginge, hätten die Kläger einen Wiederaufgreifensanspruch (vgl. § 51 VwVfG; zur Notwendigkeit in einem solchen Fall ein Verfahren auf Wiederaufgreifen einzuleiten, vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14-juris Rn. 59juris).
- 14
Entgegenstehende Rechtsprechung anderer Obergerichte, die eine bundeseinheitliche Klärung erforderte, ist nicht ersichtlich. Mit dem Hinweis auf einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. Juli 2014 -11 B 789/14.A - zeigen die Kläger letztlich keine abweichende Entscheidung auf, da dieser Beschluss schon keine (nähere) Begründung enthält. Damit bleibt unklar, auf welchen Überlegungen der Beschluss beruht, ob ihm eine Auseinandersetzung mit der dargelegten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vorausgegangen ist, und insbesondere, ob hier im Einzelfall neben dem Ablauf der Überstellungsfrist weitere Umstände hinzugekommen sind, aufgrund derer feststand, dass Italien nicht mehr zur Aufnahme bereit war. Ähnlich verhielte es sich mit der von den Klägern herangezogenen Entscheidung eines Einzelrichters beim österreichischen Bundesverwaltungsgericht, unterstellt mit dem Verweis auf derartige erstinstanzliche Entscheidungen könnte überhaupt eine Klärungsbedürftigkeit dargelegt werden.
- 15
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da dem Antrag auf Zulassung der Berufung nach dem Ausgeführten die hierfür gem. § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten abzusprechen sind.
- 16
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG; Gründe für eine Abweichung (§ 30 Abs. 2 RVG) sind nicht vorgetragen oder sonst erkennbar.
- 17
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG). Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. Februar 2014 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Der nach eigenen Angaben am 00.0.1987 geborene und am 1. Oktober 2013 in die Bundesrepublik Deutschland eingereiste Kläger ist algerischer Staatsangehöriger. Er stellte am 14. Oktober 2013 einen Asylantrag.
3Am 2. Dezember 2013 richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ein Wiederaufnahmeersuchen für den Kläger an die Republik Italien und nahm darin Bezug auf Art. 16 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (im Folgenden: Dublin II-VO), das von den italienischen Behörden unbeantwortet blieb.
4Mit Bescheid vom 26. Februar 2014 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an.
5Der Kläger hat am 6. März 2014 Klage erhoben.
6Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, aufgrund der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Italien sei eine Überstellung dorthin rechtswidrig. Sein Asylantrag müsse von der Beklagten geprüft werden.
7Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
8den Bescheid der Beklagten vom 26. Februar 2014, Az. 5 679 764 – 221, zugestellt am 28. Februar 2014, aufzuheben.
9Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
10die Klage abzuweisen.
11Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, weshalb nach ihrer Auffassung das Asylsystem Italiens keine systemischen Mängel aufweise, dass eine Prüfung des Asylantrages des Klägers dort erfolgen müsse und seine Überstellung nach Italien somit rechtmäßig sei.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
13Entscheidungsgründe:
14Das Gericht entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
15Die Klage hat Erfolg.
16Sie ist zulässig und begründet.
17Der Bescheid des Bundesamtes ist zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
18Der Asylantrag des Klägers ist nicht mehr gemäß § 27a AsylVfG unzulässig.
19Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Dublin II-VO. Diese findet auf den Asylantrag des Klägers gemäß Art. 49 Unterabsatz 2 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO) Anwendung, weil sowohl der Asylantrag, als auch das Wiederaufnahmeersuchen vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind.
20Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens, die ursprünglich gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) und c) der Dublin II-VO bei der Republik Italien lag, ist gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen, weil die Überstellung des Klägers nach Italien nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist von sechs Monaten durchgeführt wurde. Nach dieser Vorschrift erfolgt die Überstellung spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrages auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat (Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO).
21Die Frist begann im vorliegenden Fall am 2. Januar 2014 zu laufen, weil gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. c) Dublin II-VO von der Annahme des Wiederaufnahmeersuchens durch die Republik Italien an diesem Tag auszugehen ist.
22Für den Fristbeginn ist hier die Annahme des Wiederaufnahmeersuchens maßgeblich und nicht die Entscheidung über den Rechtsbehelf, weil dieser keine aufschiebende Wirkung hatte,
23vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 – 13 A 1347714.A –; VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. März 2014 – 13 L 644/14.A -; Urteil vom 23. Mai 2014 – 2 K 719/14.A -.
24Die somit an dem Tag der Annahme des Wiederaufnahmeersuchens beginnende Frist von sechs Monaten ist zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen. Anhaltspunkte für eine Verlängerung dieser Frist gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO liegen nicht vor.
25Die auf Grundlage der §§ 34a Abs. 1, 27a AsylVfG ausgesprochene Unzulässigkeit des Asylantrages des Klägers und damit auch die angeordnete Überstellung nach Italien sind aus den vorgenannten Gründen im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung rechtswidrig.
26Dies verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der erkennende Einzelrichter ist aus den in den nachstehend zitierten Entscheidungen ausgeführten überzeugenden Gründen, auf die Bezug genommen wird, der Auffassung, dass sich der Asylantragsteller auf den Zuständigkeitsübergang kraft Ablaufs der Überstellungsfrist gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO im Klagewege berufen kann,
27vgl. VG Augsburg, Gerichtsbescheid vom 12. November 2014 – Au 7 K 14.50047 –, juris Rn. 45; VG Oldenburg, Urteil vom 7. Juli 2014 – 3 A 416/14 –, juris Rn. 38 ff.; VG Göttingen, Beschluss vom 30. Juni 2014 – 2 B 86/14 –, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. August 2013 – 12 S 675/13 –, juris Rn. 13; VG Magdeburg, Urteil vom 28. Februar 2014 – 1 A 413/13 –, juris Rn. 21; VG Minden, Urteil vom 23. September 2014 – 10 K 717/14.A –, juris Rn. 36; VG Regensburg, Urteil vom 14. November 2014 – RN 5 K 14.30304 –, juris Rn. 28 f.; VG Münster, Urteil vom 19. November 2014 – 1 K 1136/14.A –, juris Rn. 34; VG Karlsruhe, Beschluss vom 30. November 2014 – A 5 K 2026/14 –, juris Rn. 24. Zur anderen Ansicht: vgl. etwa OVG Lüneburg, Beschluss vom 6. November 2014 – 13 LA 66/14 –, juris; Hessischer VGH, Beschluss vom 25. August 2014 – 2 A 975/14.A –, juris Rn. 17; VG Düsseldorf, Urteile vom 12. September 2014 – 13 K 8286/13 –, juris, und vom 27. August 2013 – 17 K 4737/12.A –, juris Rn. 34 ff.
28Entgegenstehendes folgt auch nicht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH). Dessen Ausführungen, in einer Situation, in der der Mitgliedstaat der Aufnahme zustimmt, könne der Asylbewerber der Heranziehung des Zuständigkeitskriteriums nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen geltend macht,
29vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 -, Juris, Rn. 60; BVerwG, Beschlüsse vom 19. März 2014 – 10 B 6/14 -, juris, Rn 7, vom 15. April 2014 – 10 B 17/14 – juris, Rn 12 , vom 6. Juni 2014 – 10 B 35/14-, juris, und vom 14. Juli 2014 – 1 B 9/14, 1 PKH 10/14 -, juris,
30betrafen nur die (vorgelagerte) Frage der Heranziehung des Zuständigkeitskriteriums für die Bestimmung des nach Kapitel III der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaates, nicht aber den (nachgelagerten) Ablauf der Überstellungsfrist. In jenem Verfahren hatte das zuständige Gericht des Mitgliedstaats im Eilverfahren gerade die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs angeordnet, so dass die Überstellungsfrist erst nach dem der EuGH-Entscheidung folgenden Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu laufen begann und der EuGH daher insoweit keine Rechtsfrage zu beantworten hatte.
31Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Dublin II-VO dem Ausländer kein subjektives Recht darauf einräumt, dass sein Asylantrag in einem bestimmten Mitgliedstaat geprüft wird. Denn die Rechtsstellung eines Antragstellers im Sinne der Dublin-Verordnungen wird nur insoweit geschützt, als jedenfalls ein zuständiger Vertragsstaat für die Prüfung des Asylbegehrens des Drittstaatsangehörigen gewährleistet sein muss.
32Der - fruchtlose – Ablauf der Überstellungsfrist führt aber nach dem klaren Wortlaut des Artikels 20 Absatz 2 Satz 1 Dublin II-VO zu einer Beendigung der Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates zur Aufnahme oder Wiederaufnahme des Klägers zwecks Durchführung des Asylverfahrens und zu einem Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte. Mit der Berufung auf Artikel 20 Absatz 2 Satz 1 Dublin II-VO macht der Asylbewerber daher keinen – durch die Dublin-Verordnungen nicht geschützten – Anspruch auf Prüfung seines Asylantrags in einem von ihm bevorzugten anderen als nach den Zuständigkeitskriterien des Kapitels III an sich zuständigen Mitgliedstaates geltend, sondern vielmehr die Prüfung seines Asylbegehrens in dem einzigen, zu diesem Zeitpunkt nach der Dublin II-Verordnung gewährleisteten zuständigen Mitgliedstaat.
33Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
34Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
35Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. März 2014 wird aufgehoben, soweit in Ziffer 1 das Verfahren auch bezüglich des Antrags der Kläger auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG eingestellt wurde und soweit in Ziffer 2 die Abschiebung der Kläger nach Frankreich angeordnet wurde.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
1
Tatbestand:
2Die Kläger zu 1) und 2) sind die Eltern der am 0.00.2010 geborenen Klägerin zu 3). Sie meldeten sich am 13. Januar 2014 bei der zentralen Ausländerbehörde E. als Asylsuchende. Am 17. Januar 2014 nahm die Außenstelle E. des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ihren Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte zur Niederschrift auf. Hierbei gaben die Kläger an, iranische Staatsangehörige christlichen Glaubens zu sein. Am gleichen Tag teilten sie im Rahmen des persönlichen Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens mit: Sie seien am 19. November 2013 mit dem Reisebus in Richtung Istanbul aus dem Iran ausgereist. Nach einem 40-tägigen Aufenthalt in der Türkei seien sie am 31. Dezember 2013 mit dem Flugzeug nach Deutschland eingereist. Personalpapiere oder andere Dokumente über ihre Person könnten sie nicht vorlegen.
3Ausweislich einer zum Verwaltungsvorgang des Bundesamtes genommenen Auskunft vom 17. Januar 2014 aus dem VIS-Datenbestand war den Klägern zu 1) und 2) am 27. November 2013 durch die französische Botschaft in Teheran jeweils ein Schengen-Visum für einen Kurzaufenthalt erteilt worden, und zwar mit Gültigkeit vom 30. November 2013 bis zum 25. Dezember 2013.
4Am 13. Februar 2014 stellte das Bundesamt bezüglich aller Kläger ein Übernahmeersuchen an die Republik Frankreich. Mit Schreiben vom gleichen Tag unterrichtete das Bundesamt die Kläger über die Einleitung eines Dublin-Verfahrens nach Frankreich und gab ihnen Gelegenheit, sich innerhalb von zwei Wochen zu den Gründen zu äußern, die gegen ihre Überstellung nach Frankreich sprächen. Mit Schreiben vom 28. Februar 2014, beim Bundesamt eingegangen am 4. März 2014, bestellte sich die Prozessbevollmächtigte unter Vorlage schriftlicher Vollmachten für die Kläger und erklärte, die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte sowie auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft würden zurückgenommen, aufrechterhalten würden lediglich die Anträge auf Gewährung subsidiären Schutzes.
5Die Republik Frankreich stimmte mit Schreiben vom 13. März 2014 der Aufnahme der Kläger gemäß Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO) zu.
6Mit Bescheid vom 25. März 2014 stellte das Bundesamt fest, dass die Asylverfahren der Kläger eingestellt sind (Ziffer 1) und ordnete die Abschiebung der Kläger nach Frankreich an (Ziffer 2). Zur Begründung wird ausgeführt, dass in Anbetracht der Rücknahme der Asylanträge gemäß § 32 S. 1, 1. HS AsylVfG festzustellen sei, dass die Asylverfahren eingestellt sind. Die Rücknahme beseitige indes nicht die Regelungswirkung der Dublin-III-VO in Bezug auf den zuständigen Mitgliedstaat. Die Zuständigkeit gelte seit der Asylantragstellung in Deutschland. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die zur Ausübung eines Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO führen könnten, seien nicht ersichtlich. Von einer Prüfung des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG sei abzusehen, da eine Überstellung in das Herkunftsland nicht beabsichtigt sei. Daher werde der Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft; Deutschland sei verpflichtet, die Überstellung nach Frankreich als zuständigem Mitgliedstaat innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Dublin-III-VO festgesetzten Fristen durchzuführen. Die Anordnung der Abschiebung nach Frankreich beruhe auf § 34a Abs. 1 S. 1 AsylVfG.
7Der an die Kläger adressierte Bescheid ist ausweislich eines Aktenvermerks am 26. März 2014 als Einschreiben zur Post gegeben worden. Mit Schreiben vom 26. März 2014 wurde ferner der Prozessbevollmächtigten der Kläger eine Kopie des Bescheides übersandt.
8Die Kläger haben am 1. April 2014 Klage erhoben und in Bezug auf Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt. Zur Begründung geben sie an, es lägen außergewöhnliche humanitäre Gründe vor, die die Beklagte zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts verpflichteten, jedenfalls aber zu einer ermessensfehlerfreien Entscheidung, die mit dem streitgegenständlichen Bescheid nicht erfolgt sei. Der Kläger zu 1) habe zwei Cousinen, die in Nordrhein-Westfalen lebten. Diese hätten sich seit dem Eintreffen der Kläger in Deutschland um diese gekümmert. Die Kläger seien durch die ihnen widerfahrenen Erlebnisse im Iran traumatisiert und hätten lediglich Halt aufgrund der Anwesenheit der Verwandtschaft in Deutschland gefunden. Sie hätten für ihre Ausreise aus dem Iran die Hilfe eines Schleppers in Anspruch genommen. Dieser habe ihnen unter Vorlage falscher Unterlagen einen Termin bei einer Botschaft verschafft, wo sie lediglich einmal ihre Fingerabdrücke hätten abgeben müssen. Ihnen sei bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal sicher bekannt gewesen, dass die in ihren Pässen angebrachten Visa tatsächlich echt seien. Es sei nicht ausgeschlossen, dass sie von Frankreich aus in den Iran abgeschoben würden. Wegen der hohen Zahl der Asylbewerber sei nicht sichergestellt, dass Frankreich für die Kläger eine zumutbare Wohnung zur Verfügung stellen und somit die Mindeststandards einhalten könne.
9Mit Beschluss vom 7. Mai 2014 hat das Gericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt (22 L 791/14.A).
10Am 7. August 2014 haben die Kläger beantragt, unter Abänderung des Beschlusses vom 7. Mai 2014 nunmehr die aufschiebende Wirkung der Klage in Bezug auf Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes anzuordnen. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor: Die Kläger zu 1) und 2) befänden sich aufgrund ihres psychischen Zustandes bereits seit einiger Zeit in neurologischer Behandlung. Dennoch sei am 31. Juli 2014 ein unangekündigter Abschiebeversuch unternommen worden. Die Abschiebemaßnahme sei abgebrochen worden, als die Klägerin zu 3) auf der Fahrt zum Flughafen kollabiert sei und sich im Polizeiauto übergeben habe. Durch diese Abschiebemaßnahme habe sich der Gesundheitszustand der Klägerin zu 2) derart verschlechtert, dass sie am 2. August 2014 stationär in die Klinik des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) eingewiesen worden sei. Zum Beleg haben die Kläger mehrere ärztliche Bescheinigungen vorgelegt, darunter Bescheinigungen des LVR-Klinikums E1. , Abteilung für allgemeine Psychiatrie II vom 6. August 2014 und vom 22. August 2014, ausweislich derer sich die Klägerin zu 2) seit dem 2. August 2014 aufgrund der Schwere ihrer psychischen Erkrankung mit akuter Suizidalität bis auf weiteres in stationärer Behandlung befinde und aufgrund ihrer instabilen psychopathologischen Verfassung sowie konkreten Suizidgefährdung bis auf weiteres reiseunfähig sei.
11Mit Beschluss vom 15. September 2014 hat das Gericht die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides in Abänderung des Beschlusses vom 7. Mai 2014 – 22 L 791/14. A – angeordnet (22 L 1814/14. A).
12Im Klageverfahren haben die Kläger weitere ärztliche Bescheinigungen zum Gesundheitszustand der Klägerin zu 2) vorgelegt und schriftsätzlich beantragt, die behandelnden Ärzte Dr. N. und Dr. U. als Zeugen zu vernehmen zum Beweis der aus den ärztlichen Attesten hervorgehenden, eine Reiseunfähigkeit begründenden Krankheiten der Klägerin zu 2). Ferner haben die Kläger beantragt, zum Beweis ebendieser Tatsachen ein Sachverständigengutachten einzuholen. Schließlich verweisen die Kläger darauf, dass die in Art. 29 Dublin-III-VO bestimmte Frist zur Überstellung der Kläger nach Frankreich bereits abgelaufen sei.
13Die Kläger beantragen,
14den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. März 2014 aufzuheben, soweit in Ziffer 1 das Verfahren auch bezüglich des Antrags der Kläger auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG eingestellt wurde und soweit in Ziffer 2 die Abschiebung der Kläger nach Frankreich angeordnet wurde.
15Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
18Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der dazu beigezogenen Gerichtsakten 22 L 791/14.A und 22 L 1814/14.A und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes sowie der Ausländerbehörde des Kreises L. Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten zum Termin der mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, da die Beteiligten hierauf in der ordnungsgemäßen Ladung hingewiesen wurden, § 102 Abs. 1 und 2 VwGO.
21Die Klage ist zulässig (nachfolgend I.) und begründet (nachfolgend II.).
22I. Die Klage ist zulässig.
23Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1, 1. Var. VwGO statthaft. Die isolierte Aufhebung der angefochtenen Regelungen führt auf die weitere Prüfung der Anträge der Kläger auf Zuerkennung subsidiären Schutzes durch die Beklagte und damit zu dem erstrebten Rechtsschutzziel. Denn mit der Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides in dem angefochtenen Umfang werden die Verwaltungsverfahren in den Verfahrensstand zurückversetzt, in dem sie vor Erlass der streitgegenständlichen Regelungen waren. Das Bundesamt ist im Falle einer Aufhebung des Bescheides gemäß §§ 24, 31 AsylVfG gesetzlich verpflichtet, die Asylverfahren weiterzuführen. Das Bundesamt hat sich in dem vorliegenden Fall lediglich mit der – einer materiellen Prüfung der Asylanträge vorgelagerten – Frage befasst, in welchem Umfang die Asylverfahren eingestellt werden und welcher Staat nach den Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Prüfung der verbleibenden Schutzgesuche zuständig ist. Mit der Aufhebung des Bescheides wird ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung der Asylbegehren beseitigt und die Asylverfahren sind in dem Stadium, in dem sie zu Unrecht beendet worden sind, durch das Bundesamt weiterzuführen.
24Vgl. zu Entscheidungen nach § 27a AsylVfG: OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, juris, Rdn. 28 ff.; zu Entscheidungen nach §§ 32, 33 AsylVfG: BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rdn. 15 ff.
25Die Kläger sind auch klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO. Aus ihrem Vorbringen lässt sich herleiten, dass sie – sollte sich der Bescheid in dem angefochtenen Umfang als objektiv rechtswidrig erweisen – möglicherweise in eigenen Rechten verletzt sind. Denn die angefochtenen Regelungen belasten die Kläger in ihrem subjektiv-öffentlichen Recht aus §§ 4, 24, 31 AsylVfG auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch das Bundesamt.
26Ob und gegebenenfalls inwieweit dieses Recht durch Unionsrecht, namentlich die Dublin-III-VO, beschränkt wird, bedarf hier keiner weiteren Prüfung, da eine Rechtsverletzung zumindest möglich erscheint.
27Die Kläger haben die Klage auch fristgerecht im Sinne von § 74 Abs. 1 AsylVfG, nämlich innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides, erhoben. Die Klagefrist begann mit der wirksamen Bekanntgabe des Bescheides am 29. März 2014. Der Bescheid wurde den Klägern (wie von § 31 Abs. 1 S. 4 AsylVfG vorausgesetzt) persönlich zugestellt, und zwar gemäß § 4 Abs. 1 VwZG durch die Post mittels Einschreiben durch Übergabe oder Einschreiben mit Rückschein. Damit wurde der Bescheid zugleich gemäß § 41 Abs. 5 VwVfG wirksam bekanntgegeben. Gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 VwZG gilt das Dokument am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, es ist nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen. Angesichts der Tatsache, dass der Bescheid ausweislich des Verwaltungsvorgangs am 26. März 2014 als Einschreiben zur Post aufgegeben wurde, gilt er gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 VwZG am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, mithin am 29. März 2014 als zugestellt. Die Kläger haben nicht vorgetragen, dass ihnen der Bescheid nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Die am 29. März 2014 begonnene Klagefrist war bei Klageerhebung am 1. April 2014 noch nicht abgelaufen.
28II. Die Klage ist begründet. In dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. § 77 Abs. 1 S. 1 AsylVfG) ist der Bescheid des Bundesamtes vom 25. März 2014 in dem Umfang, in dem er angefochten ist, rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO. Dies gilt sowohl für Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides, soweit darin die Asylverfahren der Kläger auch insoweit eingestellt wurden, als diese die Zuerkennung subsidiären Schutzes begehren (nachfolgend 1.), als auch für Ziffer 2 des Bescheides, mit der die Abschiebung der Kläger nach Frankreich angeordnet wurde (nachfolgend 2.).
291. Die Feststellung der Einstellung der Asylverfahren auch insoweit, als die Kläger die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG begehren, findet ihre Rechtsgrundlage nicht in der hier allein als Ermächtigungsgrundlage in Betracht kommenden Regelung des § 32 S. 1, 1. Hs., 1. Alt. AsylVfG. Nach dieser Norm stellt das Bundesamt im Falle der Antragsrücknahme in seiner Entscheidung fest, dass das Asylverfahren eingestellt ist. Diese Voraussetzungen liegen hier hinsichtlich des Antrages der Kläger auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG nicht vor. Die Kläger hatten mit anwaltlichem Schreiben vom 28. Februar 2014 ihre ursprünglich auf die Anerkennung als Asylberechtigte im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG sowie auf Zuerkennung internationalen Schutzes im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG insgesamt gerichteten Asylanträge nur teilweise zurückgenommen, nämlich in Bezug auf die Anerkennung als Asylberechtigte und die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention). Aufrechterhalten haben sie hingegen ihre Anträge auf Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie), § 4 AsylVfG. Durch die rechtswidrige Einstellung ihrer Antragsverfahren auf Zuerkennung subsidiären Schutzes werden die Kläger in ihrem subjektiv-öffentlichen Recht auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch das Bundesamt gemäß §§ 4, 24, 31 AsylVfG verletzt.
302. Die Abschiebungsanordnung nach Frankreich in Ziffer 2 des Bescheides ist ebenfalls rechtswidrig. Sie lässt sich nicht auf die allein in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage des § 34a Abs. 1 S. 1 AsylVfG stützen. Danach ordnet das Bundesamt in den Fällen, in denen der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
31Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Dabei kann dahinstehen, ob eine Abschiebungsanordnung nach dieser Norm überhaupt ergehen kann, wenn das Bundesamt – wie hier, wenn auch zu Unrecht – die Asylverfahren insgesamt gemäß § 32 S. 1, 1. Hs., 1. Alt. AsylVfG eingestellt hat. Denn jedenfalls ist Frankreich weder ein sicherer Drittstaat, aus dem die Kläger nach Deutschland eingereist sind (§ 26a AsylVfG) noch ist Frankreich für die Durchführung der Asylverfahren der Kläger zuständig (§ 27a AsylVfG).
32Die Voraussetzungen des § 26a AsylVfG sind
33– unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit dieser Norm im Anwendungsbereich derDublin-III-VO –
34schon deshalb nicht erfüllt, weil die Kläger nach eigenen Angaben aus der Türkei kommend auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist sind und auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für einen Aufenthalt in oder eine Durchreise durch Frankreich vorliegen.
35Auch die Voraussetzungen des § 27a AsylVfG sind nicht erfüllt. Die Republik Frankreich ist nicht auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung der Asylverfahren der Kläger zuständig.
36Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Dublin-III-VO. Diese findet gemäß Art. 49 Abs. 1 und 2 Dublin-III-VO auf alle in Deutschland ab dem 1. Januar 2014 gestellten Anträge auf internationalen Schutz Anwendung, mithin auch auf die im Januar 2014 gestellten Schutzgesuche der Kläger.
37Die Zuständigkeit Frankreichs für die Prüfung der Asylanträge der Kläger dürfte zwar zunächst nach Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO begründet worden sein. Die Republik Frankreich hat das an sie gerichtete Übernahmeersuchen der Beklagten vom 13. Februar 2014 auch am 13. März 2014 auf dieser Rechtsgrundlage akzeptiert. Die Zuständigkeit ist jedoch mittlerweile auf die Beklagte übergegangen. Dies folgt aus Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO. Danach ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über, wenn die Überstellung nicht innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO genannten Frist von sechs Monaten, die unter bestimmten Voraussetzungen auf höchstens 18 Monate verlängert werden kann, durchgeführt wird.
38Im vorliegenden Fall ist die Überstellung nicht in diesem Sinne fristgemäß erfolgt. Die sechsmonatige Frist beginnt nach Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO mit der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin-III-VO aufschiebende Wirkung hat. Die Frist begann nach diesen Maßstäben hier mit der Annahme des Übernahmeersuchens durch die Republik Frankreich am 13. März 2014.
39Die Frist zur Überstellung der Kläger nach Frankreich wurde nicht durch den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung vom 1. April 2014 (22 L 791/14.A) für die Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens, hier also bis zum ablehnenden Eilbeschluss vom 7. Mai 2014, unterbrochen oder gehemmt,
40vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014, - 13 A 1347/14.A -, juris, Rdn. 5 ff. m.w.N..
41Auch lagen keine Gründe für eine Verlängerung der Frist nach Art. 29 Abs. 2 S. 2 Dublin-III-VO vor. Die sechsmonatige Frist endete nach alledem mit Ablauf des 13. September 2014.
42Das Verstreichen der Überstellungsfrist hat gemäß Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO zur Folge, dass der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet ist und die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht. Die Zuständigkeit für die Prüfung der Anträge der Kläger auf Gewährung subsidiären Schutzes ist damit auf die Beklagte übergegangen.
43Die Kläger können sich im vorliegenden Klageverfahren auch auf den Übergang der Zuständigkeit auf die Beklagte berufen.
44A.A. VGH BW, Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rdn. 59 (soweit eine Überstellung in den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist); Nds.OVG, Beschluss vom 6. November 2014 – 13 LA 66/14 ‑, juris, Rdn. 9 ff (ohne Einschränkung); HessVGH, Beschluss vom 25. August 2014 – 2 A 976/14.A ‑, juris, Rdn. 15 (obiter dictum); VG Düsseldorf , Urteil vom 23. Oktober 2014 – 13 K 471/14.A ‑, juris, Rdn. 43; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 102. Ergänzungslieferung, November 2014, § 27a, Rdn. 234, 196.1 (mit Ausnahmen); Hailbronner, Ausländerrecht, 88. Ergänzungslieferung, Oktober 2014, § 27a AsylVfG, Rdn. 20 ff.; Günther, in: Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 5. Edition, Stand: 1. September 2014, § 27a AsylVfG Rdn. 29 ff.; offen gelassen: OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 ‑ 14 A 1943/11.A ‑, juris, Rdn. 24 (das Vorabentscheidungsverfahren bei EuGH, Rs. C-666/11 endete ohne Sachentscheidung nach Rücknahme des Ersuchens wegen Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache beim OVG NRW); vgl. ferner zum Ablauf der Frist zur Stellung des Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeersuchens: VGH BW, Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, juris; Rdn. 25, 27 (bei zeitnaher Überstellung); OVG RhPf, Urteil vom 21. Februar 2014 ‑ 10 A 10656/13 ‑, juris, Rdn. 33.
45Die Kläger haben gemäß §§ 24, 31 AsylVfG ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte. Diese darf auf der Rechtsgrundlage der §§ 27a, 34a AsylVfG die weitere Prüfung eines Asylantrages nur dann ablehnen und eine Abschiebungsanordnung in einen anderen Mitgliedstaat erlassen, wenn dieser andere Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist der Verwaltungsakt rechtswidrig. Zugleich verletzt der objektiv rechtswidrige Verwaltungsakt das subjektiv-öffentliche Recht der Kläger aus §§ 24, 31 AsylVfG, und zwar unabhängig vom Schutzzweck der Norm, deren Verletzung zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts führt. Der Individualschutzzweck von Normen ist nur für diejenigen von Bedeutung, die keine materielle Beeinträchtigung ihrer Rechtsstellung durch den angefochtenen Verwaltungsakt dartun können.
46Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., 2014, § 45 Rdn. 126.
47Die Kläger hingegen werden durch Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides in ihrer Rechtstellung aus §§ 24, 31 AsylVfG materiell beeinträchtigt, wenn die Beklagte die Prüfung der Schutzgesuche mit Verweis auf die Zuständigkeit eines anderen Staates ablehnt, obwohl ihre Zuständigkeit nach den Bestimmungen der Dublin-III-Verordnung objektiv begründet ist.
48Dem nach nationalem Recht bestehenden subjektiv-öffentlichen Recht der Kläger auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die nach der Dublin-III-VO objektiv hierfür zuständige Beklagte steht auch der Anwendungsvorrang des Unionsrechts nicht entgegen. Denn es liegt schon keine Kollision des nationalen Rechts mit der gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV vorrangig anzuwendenden Dublin-III-VO vor.
49Die Zuständigkeitsregelungen in der Dublin-III-VO begründen unmittelbare Rechte der betroffenen Ausländer auf Beachtung dieser Regelungen durch alle Behörden der Mitgliedstaaten. Dies folgt schon aus der Rechtsnatur der Dublin-III-VO. Diese gilt (wie alle EU-Verordnungen) gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Diese unmittelbare Geltung bedeutet, dass die Verordnungen nicht nur für die Mitgliedstaaten (untereinander) gelten, sondern in den Mitgliedstaaten,
50Ulrich Haltern, Europarecht, Tübingen 2005, S. 284 (Hervorhebung im Original).
51Hierin unterscheidet sich das Unionsrecht gerade von Völkervertragsrecht, mit dem sich lediglich die Vertragsstaaten untereinander binden. Das Unionsrecht ist eine Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen sind. Das von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unabhängige Unionsrecht soll daher den Einzelnen, ebenso wie es ihnen Pflichten auferlegt, auch Rechte verleihen,
52EuGH, Urteil vom 5. Februar 1963, Rs. 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, S. 25.
53Die Dublin-III-VO regelt damit schon aufgrund ihrer Rechtsnatur nicht nur Verpflichtungen der Mitgliedstaaten untereinander, sondern auch unmittelbar die Rechtsstellung jedes einzelnen Normunterworfenen, das heißt auch der Drittstaatsangehörigen, auf die die Dublin-III-VO Anwendung findet.
54Der Dublin-III-VO kann auch nicht entnommen werden, dass in Bezug auf die dort geregelten Zuständigkeitsbestimmungen ausnahmsweise etwas anderes gelten sollte, insbesondere ein Asylbewerber, der für die Prüfung seines Asylantrages an einen anderen Mitgliedstaat verwiesen wird, einen hierin liegenden objektiven Verstoß gegen die Zuständigkeitsbestimmungen der Verordnung nicht oder nur unter bestimmten Umständen rügen kann.
55Dies unter Verweis auf den Zweck der Dublin-II-VO erwägend und im Ergebnis ein subjektiv-öffentliches Recht des Ausländers aus der Ermessensvorschrift des Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO (Selbsteintrittsrecht) verneinend: Schlussanträge des GA Jääskinen vom 18. April 2013 ‑ C‑4/11 ‑, Rdn. 58.
56Indem der Unionsgesetzgeber die ursprünglich in einem völkerrechtlichen Vertrag (Dubliner Übereinkommen) vereinbarten Zuständigkeitskriterien für die Prüfung eines Schutzgesuchs ausdifferenziert und in einer EU-Verordnung kodifiziert hat, hat er diese Regelungen zugleich mit den aus Art. 288 Abs. 2 AEUV folgenden Rechtswirkungen ausgestattet. Diese Rechtsqualität der Regelungen steht auch nicht in Widerspruch zu ihrem Sinn und Zweck. Der Unionsgesetzgeber hat die Zuständigkeitsbestimmungen erlassen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrages zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem „forum shopping“ zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen,
57EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013, C‑394/12 (Abdullahi), Rdn. 53, juris; vgl. auch Schlussanträge des GA Jääskinen vom 18. April 2013 ‑ C‑4/11 ‑, Rdn. 57.
58Diese Ziele werden am effektivsten durch die zuverlässige und gleichmäßige Befolgung der in der Dublin-III-VO geregelten Zuständigkeitskriterien in allen Mitgliedstaaten erreicht. Das „forum shopping“ wird unterbunden, indem einem einzigen Mitgliedstaat die Zuständigkeit für die Prüfung des Schutzgesuches zugeordnet wird; die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des zuständigen Staates wird durch detaillierte Kriterien, die keine Entscheidungsspielräume der Mitgliedstaaten vorsehen, erhöht; die Asylverfahren werden insgesamt beschleunigt, indem das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates verbindlich geltenden kurzen Fristen unterworfen wird.
59Die unmittelbare, auch von den Betroffenen durchsetzbare Rechtswirkung der Zuständigkeitsbestimmungen der Dublin-III-VO ‑ soweit sie einem Mitgliedstaat die Zuständigkeit ohne Ermessensspielraum zuweisen ‑ widerspricht diesen Zielen nicht, sondern fördert ihre Erreichung. Der Grundsatz der Effektivität des Unionsrechts („effet utile“) findet eine wesentliche Stütze gerade darin, dass sich der Einzelne vor nationalen Gerichten auf unmittelbar geltendes Unionsrecht berufen kann. Mit Hilfe der Doktrin der unmittelbaren Anwendbarkeit werden die an der Wahrung ihrer Rechte interessierten Betroffenen zu Wächtern des Unionsrechtssystems erhoben, die dessen effektive Anwendung in den Mitgliedstaaten sichern,
60Vgl. Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Kurz-Kommentar, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV, Rdn. 49 m.w.N.
61Zum Zweck der effektiven und gleichen Wirkung des Unionsrechts sollen die Einzelnen, soweit es um den staatlichen Vollzug des Unionsrechts geht, eine dezentrale, die Kommission entlastende Vollzugskontrolle vornehmen können,
62vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt-Kommentar, Band III, EUV/AEUV, Stand September 2014, Art. 288 AEUV Rdn. 44.
63Andernfalls könnte auch Art. 267 AEUV, der zum Zweck der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten das Verfahren zur Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über die Auslegung unionsrechtlicher Bestimmungen auf Vorlage nationaler Gerichte vorsieht, seine Wirkung nicht entfalten. Art. 267 AEUV setzt voraus, dass sich der Einzelne vor nationalen Gerichten auf unmittelbar anwendbares Unionsrecht berufen kann und damit die Frage der Auslegung einer unionsrechtlichen Bestimmung vor dem nationalen Gericht streitentscheidende Bedeutung gewinnt. Der alleinigen Entscheidungskompetenz des EuGH bei der Auslegung des Unionsrechts liefe es zuwider, einer unionsrechtlichen Bestimmung in einem Verfahren vor einem nationalen Gericht (ohne vorherige Klärung der Rechtsfrage durch den EuGH) mit Verweis auf mangelnde individualschützende Wirkung eine streitentscheidende Bedeutung von vornherein abzusprechen.
64Aufgrund dieser generellen Bedeutung der unmittelbaren, individualrechtsbegründenden Anwendbarkeit des Unionsrechts für die Sicherstellung seiner Effektivität kommt es für die Frage, ob sich der Einzelne auf Unionsrecht berufen kann, auch nicht darauf an, ob eine Vorschrift des Unionsrechts bezweckt, individuelle Rechte zu schaffen. Entscheidend ist vielmehr, ob die sich aus der Vorschrift ergebende Verpflichtung anderer Rechtssubjekte eindeutig ist, weil sie hinreichend klar und unbedingt formuliert ist.
65Vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt-Kommentar, Band III, EUV/AEUV, Stand September 2014, Art. 288 AEUV Rdn. 46; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Kurz-Kommentar, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV, Rdn. 51 m.w.N.
66Dies ist bei Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO der Fall. Die Norm regelt den Übergang der Zuständigkeit nach Ablauf der Überstellungsfrist eindeutig, klar und unbedingt, insbesondere sieht sie auch keinen Entscheidungsspielraum einer nationalen Behörde vor.
67Der Annahme, dass sich ein Asylbewerber auf die nach der Dublin-III-Verordnung zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung objektiv begründete Zuständigkeit eines Mitgliedstaates für die Prüfung seines Schutzgesuches berufen kann, steht auch die Rechtsprechung des EuGH,
68Urteil vom 10. Dezember 2013 (Abdullahi), - C-394/12 -, juris,
69sowie des Bundesverwaltungsgerichts,
70Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rdn. 7 und vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 ‑, juris, Rdn. 6,
71nicht entgegen.
72Diesen Entscheidungen ist keine Aussage zur subjektiv-rechtlichen Dimension von (Überstellungs-)Fristen zu entnehmen,
73vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 - 13 K 471/14.A -, Rdn. 41, juris mit Hinweis auf VG Düsseldorf, Urteil vom 15. August 2014 - 13 K 1117/14.A -, Rdn. 54 ff., juris.
74Insbesondere lässt sich eine dahingehende Aussage nicht aus dem vom EuGH aufgestellten Rechtssatz entnehmen, dass der betreffende Ausländer in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat seiner Aufnahme nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 Dublin-II-VO niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat (Mitgliedstaat der ersten Einreise), der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden.
75Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 (Abdullahi) - C-394/12 -, Rdn. 62, juris,
76Mit diesem Rechtssatz betont der EuGH gerade die Verbindlichkeit der in der Dublin-Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriterien, die ihre Grenze erst in der im Einzelfall anzunehmenden tatsächlichen Gefahr der Verletzung eines in der Grundrechtecharta verbürgten Rechts findet. Demgegenüber lässt sich dem vom EuGH aufgestellten Rechtssatz keine Aussage des Inhalts entnehmen, dass sich ein Asylbewerber nicht (oder nur unter bestimmten Bedingungen) auf die Beachtung eines in der Dublin-Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriteriums berufen kann.
77So liegt der Fall hier. Mit dem von den Klägern geltend gemachten Einwand, dass die Zuständigkeit für die Prüfung ihrer Schutzgesuche wegen Überschreitens der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO auf die Beklagte übergegangen ist, wenden sich die Kläger ‑ anders als in dem vom EuGH entschiedenen Fall ‑ gerade nicht gegen die Heranziehung eines in der Dublin-III-VO niedergelegten Zuständigkeitskriteriums, sondern berufen sich auf dieses.
78Auch das BVerwG geht erkennbar nicht davon aus, dass andere Einwände gegen eine Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat als der Einwand systemischer Mängel unbeachtlich wären. Vielmehr benennt es in dem zuletzt ergangenen Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 – konkret die als unbeachtlich einzustufenden Einwände:
79„Aus der zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt sich, dass ein Asylbewerber der Überstellung in den nach der Dublin-II-Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten kann und es nicht darauf ankommt, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war.“
80BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 ‑, juris, Rdn. 6, Hervorhebung nicht im Original.
81Dies verdeutlicht, dass die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates der Prüfung vorgelagert ist, ob einer Überstellung dorthin systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegenstehen. Auch wird die Beschränkung berücksichtigungsfähiger Einwände auf den Einwand systemischer Mängel nur insoweit ausgesprochen, als der Asylbewerber der Überstellung mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen in diesem Staat entgegentritt.
82Eine Beschränkung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers im Hinblick auf die Geltendmachung objektiver Verstöße gegen die Zuständigkeitsregelungen der Dublin-III-Verordnung lässt sich auch nicht mit der Überlegung belegen oder bekräftigen, dass es dem Asylbewerber unbenommen ist, sich freiwillig bei der ihm genannten Stelle des anderen Mitgliedstaates zu melden und hierdurch selbst das Verfahren zu beschleunigen.
83Zu den Modalitäten einer Überstellung auf Initiative des Asylbewerbers siehe Art. 7 Abs. 1 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003, zuletzt geändert durch Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 (DVO Dublin III).
84Zwar kann der Asylbewerber damit zu einer Beschleunigung beitragen. Aus einer fehlenden Inanspruchnahme dieses Rechts kann jedoch nicht auf den Verlust des subjektiv-öffentlichen Rechts des Asylbewerbers auf materielle Prüfung seines Schutzgesuches durch die Beklagte geschlossen werden. Insbesondere steht der vom Gebot von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB abgeleitete Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens ("venire contra factum proprium") der Geltendmachung dieses subjektiv-öffentlichen Rechts nicht entgegen.
85So aber VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 13 K 471/14.A ‑, juris, Rdn. 45 ff.
86Ein widersprüchliches Verhalten der Kläger liegt
87– ganz abgesehen davon, dass im deutschen Recht die Möglichkeit der Überstellung des betroffenen Asylbewerbers auf eigene Initiative gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt ist (vgl. hierzu: VGH BW, Beschluss vom 4. Juli 2014 – A 11 S 1230/14 ‑, juris, Rdn. 4) und die Kläger im vorliegenden Fall (soweit ersichtlich) über dieses ihnen zustehende Initiativrecht auch nicht unterrichtet wurden –
88nicht vor. Die Kläger rügen nicht etwa eine unangemessene Dauer ihrer Verfahren, die sie selbst hätten beschleunigen können. Vielmehr begehren sie die materielle Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte. Selbst wenn zwischenzeitlich ein anderer Staat für die Durchführung ihrer Asylverfahren zuständig gewesen sein sollte, kann ein widersprüchliches Verhalten der Kläger nicht darin gesehen werden, dass sie an ihrem Begehren der Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte festgehalten haben. Die Kläger haben sich zur Begründung ihres Begehrens nicht auf eine drohende unzumutbare Dauer ihrer Schutzgesuche gestützt, sondern auf gesundheitliche Beeinträchtigungen, die der tatsächlichen Durchführung ihrer Überstellung entgegenstünden.
89Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob ein Verlust des subjektiv-öffentlichen Rechts auf Prüfung des Schutzgesuches durch den Staat, der infolge des Ablaufs der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO zuständig geworden ist, dann eintreten kann, wenn dieses Recht missbräuchlich in Anspruch genommen wird. Denn dafür fehlen hier jegliche Anhaltspunkte. Insbesondere haben sich die Kläger weder der ausländerrechtlichen Überwachung entzogen noch Überstellungsmaßnahmen widersetzt. Dass sie unter Vorlage ärztlicher Atteste Rechtsschutz gegen die Abschiebungsanordnung gesucht haben und sich insoweit auf gesundheitliche Überstellungshindernisse berufen, kann nicht als missbräuchliches Verhalten gewertet werden.
90Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage (6a K 5250/14.A) gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 17. Novem-ber 2014 wird unter Abänderung des Beschlusses vom 17. Dezember 2014 (6a L 1837/14.A) angeordnet.Die Kosten des (gerichtsgebührenfreien) Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag,
3den Beschluss der Kammer vom 17. Dezember 2014 (6a L 1837/14.A) abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage 6a K 5250/14.A gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. November 2014 enthaltene Abschiebungsanordnung anzuordnen,
4ist zulässig und begründet.
5Das Gericht kann Beschlüsse über Eilanträge nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) jederzeit ändern oder aufheben und ist dazu auf Antrag eines Beteiligten auch verpflichtet, wenn veränderte oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände vorliegen (§ 80 Abs. 7 VwGO). Aus den neu vorgetragenen Umständen muss sich zumindest die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung ergeben.
6Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 80 Rdnr. 196.
7Dies ist vorliegend der Fall. Geänderte Umstände sind gegeben, weil inzwischen wohl die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, (sog. „Dublin III-Verordnung“) vom 26. Juni 2013 abgelaufen ist.
8Bei summarischer Prüfung bestehen zum jetzigen Zeitpunkt ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides, weil einiges dafür spricht, dass die Antragsgegnerin wegen Ablaufs der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 S. 1 VO (EU) Nr. 604/2013 für das Asylverfahren der Antragsteller zuständig geworden ist. Zwar haben verschiedene Gerichte mit beachtlichen Gründen entschieden, dass während der Anhängigkeit eines gerichtlichen Eilverfahrens gegen einen auf der Grundlage der §§ 27a, 34a AsylVfG erlassenen Bescheid die Überstellungsfrist gehemmt oder gar unterbrochen ist.
9Für eine Hemmung VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris; für Unterbrechung etwa VG Karlsruhe, Beschluss vom 30. November 2014 - A 5 K 2026/14 -, juris, mit weiteren Nachweisen.
10Unter Zugrundelegung dieser Auffassungen wäre die Überstellungsfrist zum jetzigen Zeitpunkt – mit Blick auf das im November/Dezember 2014 durchgeführte, mit einem ablehnenden Beschluss abgeschlossene Eilverfahren 6a L 1837/14.A – noch nicht abgelaufen. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat indes entgegen den vorgenannten Rechtsprechungsansätzen entschieden, dass die Überstellungsfrist bereits mit der Annahmeentscheidung des Zielstaats zu laufen beginnt und dass ein gerichtliches Eilverfahren, wenn dieses nicht zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung führt, auf den Lauf der Frist keinen Einfluss hat, weil mit dem Begriff „Rechtsbehelf“ in Art. 19 Abs. 3 der früheren Dublin II-Verordnung allein der Rechtsbehelf in der Hauptsache gemeint sei.
11Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 1347/14.A -, juris, und wohl auch Beschluss vom 28. Januar 2015 - 11 A 2550/14.A -.
12Dass diese zur Dublin II-Verordnung ergangene Rechtsprechung für die Dublin III-Verordnung nicht gilt, ist kaum anzunehmen. Denn die Überstellungsfrist ist in der Dublin III-Verordnung nicht wesentlich anders geregelt als in der Vorgängerfassung. Zudem hat der Senat zur Begründung seines Beschlusses vom 8. September 2014 bereits auf die neue Dublin III-Verordnung Bezug genommen (Seite 4 des Beschlussabdrucks). Die Kammer legt diese Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts – vorbehaltlich einer näheren Überprüfung im Hauptsacheverfahren – zugrunde und geht davon aus, dass die Überstellungsfrist vorliegend am 5. Februar 2015, sechs Monate nach der Zustimmung der niederländischen Behörde, abgelaufen ist. Die Niederlande sind damit nicht mehr der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Staat; der Bescheid vom 17. November 2014 ist rechtswidrig geworden.
13Bei summarischer Prüfung geht die Kammer auch davon aus, dass die Antragsteller sich auf den Ablauf der Überstellungsfrist berufen können, insoweit also subjektive Rechte der Antragsteller verletzt sind. Ob die in Art. 29 Abs. 2 S. 1 VO (EU) Nr. 604/2013 getroffene Regelung des Zuständigkeitsübergangs für sich genommen subjektive Rechte des betroffenen Asylbewerbers begründet, ist in der Rechtsprechung umstritten.
14Für Drittschutz z.B. VG Aachen, Urteil vom 18. November 2014 - 9 K 161/14.A -, juris, VG Münster, Urteil vom 19. November 2014 - 1 K 1136/14.A -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 – 22 K 2262/14.A ‑; VG Karlsruhe, Beschluss vom 30. November 2014 - A 5 K 2026/14 -, juris VG Sigmaringen, Urteil vom 28. Januar 2015 - A 1 K 500/14 -, juris; gegen Drittschutz z.B. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 A 66/14 -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Dezember 2014 - 13 K 653/14.A -, juris; VG Augsburg, Beschluss vom 23. Januar 2015 - Au 5 K 14.50077 -, juris.
15Dabei verweist die einen Drittschutz verneinende Auffassung vor allem auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Dies erscheint der Kammer bei summarischer Betrachtung nicht zwingend. Denn zwar hat der Gerichtshof entschieden, dass sich ein Asylbewerber nicht auf Zuständigkeitsmängel, sondern nur noch auf „systemische Mängel" berufen kann, wenn ein anderer Mitgliedsstaat der Übernahme zugestimmt und damit seine Zuständigkeit bestätigt oder begründet hat.
16Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 „Abdullahi“ -, juris.
17Damit ist aber nicht gesagt, dass der Asylbewerber auch dann auf die Geltendmachung systemischer Mängel beschränkt ist, wenn die Zuständigkeit des anderen Mitgliedstaates nachträglich kraft Gesetzes erloschen ist.
18Das beschließende Gericht neigt – vorbehaltlich einer näheren Überprüfung im Hauptsacheverfahren – zu der Auffassung, dass mit dem Zuständigkeitsübergang jedenfalls dann eine subjektive Rechtsverletzung einhergeht, wenn die Möglichkeit besteht, dass das Asylbegehren eines Antragstellers vorläufig gar nicht geprüft wird, weil der inzwischen zuständige Staat (vorliegend: Deutschland) das Begehren als unzulässig abgelehnt hat und der Abschiebungszielstaat (vorliegend: Niederlande) wegen Art. 29 Abs. 2 S. 1 VO (EU) Nr. 604/2013 nicht mehr zuständig ist.
19Vgl. auch VG Gelsenkirchen, Urteil vom 30. Januar 2015 - 2a K 3534/14.A -.
20Denn dies liefe nicht nur dem Ziel der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, eine zügige Klärung der Zuständigkeit für einen im Bereich der „Dublinstaaten“ gestellten Asylantrag und eine zügige Überführung des Asylbewerbers in den zuständigen Staat herbeizuführen, zuwider, sondern es würde auch den sowohl nach nationalem Recht als auch nach Unionsrecht zweifellos bestehenden – subjektivrechtlichen – Anspruch, dass das Asylbegehren zumindest in einem der Staaten (innerhalb angemessener Frist) geprüft wird, verletzen.
21Dies zugrunde gelegt, können die Antragsteller sich vorliegend wohl auf die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides berufen. Auf die in der Eingangsverfügung des Gerichts vom 9. Februar 2015 aufgeworfene Frage, ob das Bundesamt belegen könne, dass die Niederlande trotz Ablaufs der Überstellungsfrist weiterhin bereit seien, die Antragsteller wiederaufzunehmen und das Asylverfahren durchzuführen, hat die Behörde nicht reagiert. Weitere Aufklärungsmaßnahmen des Gerichts sind angesichts des unmittelbar bevorstehenden Abschiebungstermins nicht möglich.
22Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterle gung in Höhe von 110 Prozent des auf Grund des Urteils voll streckbaren Be trages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Si cherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben Anfang Oktober 2012 nach Melilla, wo er am 25. Oktober 2012 erkennungsdienstlich behandelt wurde. Bereits am 14. Januar 2013 beantragte der Kläger unter dem Namen U. E. in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Den Antrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 13. März 2013 als unzulässig ab und ord nete die Abschiebung nach Spanien an. Die Überstellung erfolgte am 10. April 2013.
3Am 3. Juni 2013 reiste der Kläger erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und be antragte am 7. Juni 2013 – unter dem im Rubrum angegebenen Namen – Asyl. Ausweis lich der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank vom 27. August 2013 ist der Kläger zuvor in Spanien erkennungsdienstlich behandelt worden.
4Das Bundesamt richtete am 29. August 2013 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Spanien. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 17. September 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.
5Mit Bescheid vom 4. Oktober 2013, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mittels Ein schreiben vom 17. Oktober 2013 zugestellt, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers gemäß § 27a Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Spanien an. Der Kläger erhielt am 23. Oktober 2012 im Rahmen eines Besprechungstermins eine Kopie des Bescheides von seinem Prozessbevollmächtigten.
6Am 25. Oktober 2013 hat der Kläger Klage erhoben.
7Er ist der Ansicht, die Vermutung, dass in Spanien ein ordnungsgemäßes Asylverfahren durchgeführt werde, könne widerlegt werden. Dort sei ihm die Asylantragstellung verwei gert worden. Zudem sei die Überstellungsfrist abgelaufen. Hierauf könne sich der Kläger auch berufen. Die Verfahrensverschleppung stelle einen Grundrechtseingriff dar und Grundrechte seien unstreitig subjektiv-rechtlicher Natur.Ihm werde sein Recht auf Durch führung eines Asylverfahrens abgesprochen, hielte sich Spanien im Zeitpunkt der gerichtli chen Entscheidung nicht mehr für zuständig. Ob die spanischen Behörden sich noch an ihre Zustimmung gebunden fühlen, sei völlig offen.
8Ursprünglich hat der Kläger sinngemäß beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Be scheides des Bundesamtes vom 4. Oktober 2013 zu verpflichten subsidiären Schutz ge mäß § 4 AsylVfG zuzuerkennen und Abschiebungsverbote nach § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) festzustellen,
;
hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung des vorgenannten Bescheides zu verpflichten,
,
das Asylverfahren durchzuführen.
Nach einem entsprechenden Hinweis des Gerichts beantragt er nunmehr,
10den Bescheid des Bundesamtes vom 4. Oktober 2013 aufzuheben.
11Die Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die angefochtene Entscheidung des Bun desamtes. Überdies ist sie der Ansicht, dass die Überstellungsfrist mit der Bekanntgabe des ablehnenden Eilbeschlusses vom 7. Januar 2014 (13 L 2168/13.A) neu zu laufen be ginne bzw. die Überstellungsfrist auf Grund des gemäß § 80 Absatz 7 Verwaltungsge richtsordnung (VwGO) erlassenen Eilbeschlusses vom 24. März 2014 bis zur Erledigung des Hauptsacheverfahrens ausgesetzt sei.
14Der am 25. Oktober 2013 vom Kläger gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides anzuordnen, wurde mit Be schluss vom 7. Januar 2014 abgelehnt (13 L 2168/13.A) .
15Auf den weiteren , unter dem 18. März 2014 gestellten Antrag des Klägers gemäß § 80 Ab s atz . 7 VwGO hat das Gericht mit Beschluss vom 24. März 2014 unter Abänderung des Beschlusses vom 7. Januar 2014 die angestrebte aufschiebende Wirkung angeordnet. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen darauf gestützt, dass bereits mehr als sechs Mo nate vergangen seien, seit Spanien seine Bereitschaft z ur Übernahme des Klägers erklärt habe (13 L 644/14.A) .
16Die Beteiligten haben übereinstimmend am 18. Juni und 23. Juni 2014 auf mündliche Verhandlung verzichtet (Bl. 50 und Bl. 51 d. Gerichtsakte).
17Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19Die Kammer konnte gemäß § 101 Absatz 2 VwGO über die Klage ohne mündliche Ver handlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierauf verzichtet haben.
20Der Kläger konnte sein ursprüngliches Verpflichtungsbegehren zu einer Anfechtungsklage umstellen, ohne dass es auf die Voraussetzungen für eine Klageänderung nach § 91 VwGO ankommt. Es handelt sich um eine nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) zulässige Beschränkung des Klageantrags.
21Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 91, Rn. 9.
22Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig (vgl. unter I.), aber unbegründet (vgl. unter II.).
23I. Die Klage ist zulässig. Sie ist statthaft (vgl. unter 1.) und auch fristgerecht erhoben wor den (vgl. unter 2.).
241. Statthafte Klageart ist allein die Anfechtungsklage gemäß § 42 Absatz 1, 1. Variante VwGO. Der Erhebung einer vorrangigen Verpflichtungsklage – gerichtet auf das Rechts schutzziel, dass die Beklagte das Asylverfahren durchführt – bedarf es nicht.
25Der Kläger begehrt die Aufhebung des ihn belastenden Bescheides vom 4. Oktober 2013, in welchem die Beklagte seinen Asylantrag gemäß § 27a AsylVfG als unzulässig abge lehnt hat. Gegen eine solche Unzulässigkeitsentscheidung ist ein isoliertes Aufhebungs begehren statthaft. Die Entscheidungen nach § 27a und § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG stellen Verwaltungsakte im Sinne des § 35 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) dar, deren isolierte Aufhebung – anders als in sonstigen Fällen eines Verpflichtungsbegeh rens – ausnahmsweise zulässig ist, weil schon ihre Beseitigung grundsätzlich zur formel len und materiellen Prüfung des gestellten Asylantrages und damit zu dem erstrebten Rechtschutzziel führt. Denn das Bundesamt ist nach Aufhebung des Bescheides bereits gesetzlich verpflichtet, das Asylverfahren durchzuführen, §§ 31, 24 AsylVfG. Das Bundes amt hat sich in den Fällen des § 27a AsylVfG lediglich mit der – einer materiellen Prüfung des Asylbegehrens vorgelagerten – Frage befasst, welcher Staat nach den Rechtsvor schriften der Europäischen Union für die Prüfung des Asylbegehrens des Klägers zustän dig ist; eine Prüfung des Asylbegehrens ist in der Sache nicht erfolgt. Mit der Aufhebung des Bescheides wird ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung des Asylbegeh rens beseitigt, und das Asylverfahren ist in dem Stadium, in dem es zu Unrecht beendet worden ist, durch das Bundesamt weiterzuführen.
26Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, juris, Rn. 28 ff.; Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2.
Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris, Rn. 21 f.; VG Düsseldorf, Urteile
vom 27. Juni 2014 ‑
–
13
K
654/14.A –, juris, Rn. 22, Urteil vom 26. April 2013 – 17 K 1777/12.A –, juris, Rn. 14 und Urteil vom 15.
Januar 2010, – 11 K 8136/09.A –, S. 4; VG Köln, Urteil vom 27. Mai 2014 – 2 K 2273/13.A –, juris, Rn. 14; VG München, Gerichtsbescheid vom 21. Mai 2014 – M 21 K 14.30286 –, juris, Rn. 15 m.w.N.; VG Regensburg, Urteil vom 18. Juli 2013 – RN 5 K 13.30027 –, juris, Rn. 19; VG Hamburg, Urteil vom 15. März 2012, –10 A 227/11 –, juris, Rn. 16; VG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 2. Februar 2012 – A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 2; VG Weimar, Urteil vom 23. November 2011 – 5 K 20196/10 –, juris, S.
5; VG Trier, Urteil vom 18. Mai 2011, – 5 K 198/11.TR –, juris, Rn. 16; VG Karlsruhe, Urteil vom 3.
März 2010, – A 4 K 4052/08 –, S. 4; VG Ansbach, Urteil vom 16. September 2009 – AN 11 K 09.30200 –, juris, Rn. 22; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand: 101. Erg.lieferg. Juni 2014, § 27a Rn.
21, § 34a Rn. 64 f.
Diese Verfahrenssituation ist vergleichbar mit derjenigen, die im Falle der Einstellung des Asylverfahrens wegen Nichtbetreibens nach den §§ 33, 32 AsylVfG entsteht. In letzterer Konstellation ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Anfech tungsklage allein gegen den Einstellungsbescheid des Bundesamtes statthaft. Mit der Auf hebung des Einstellungsbescheids wird nämlich ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens beseitigt und das Asylverfahren ist in dem Stadium, in dem es zu Unrecht beendet worden ist, durch das Bundesamt weiterzuführen.
28Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rn. 15 ff.
29Eine Verpflichtungsklage, die unmittelbar auf die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG oder aber – hilfsweise – die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylVfG und die Feststellung von Abschie bungsverboten nach § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltgesetzes AufenthG)
gerichtet ist, scheidet ebenso aus. Denn eine Verpflichtung für das Gericht, die Sache selbst spruchreif zu machen, besteht nur dann, wenn ein „mit seinem Asylantrag beim Bundesamt erfolglos gebliebener Auslän der“ den Klageweg beschreitet.
BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 – BVerwGE 107, 128 ff. = juris, Rn. 10.
31Zwar ist bei fehlerhafter oder verweigerter sachlicher Entscheidung der Behörde im Falle eines gebundenen begünstigenden Verwaltungsakts regelmäßig die dem Rechtsschutz begehren des Klägers allein entsprechende Verpflichtungsklage die richtige Klageart mit der Konsequenz, dass das Gericht die Sache spruchreif zu machen hat und sich nicht auf eine Entscheidung über die Anfechtungsklage beschränken darf, die im Ergebnis einer Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde gleichkäme.
32Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rn. 15.
33Dieser auch im Asylverfahren geltende Grundsatz kann jedoch auf behördliche Entschei dungen, die – wie hier – auf der Grundlage von § 27a AsylVfG ergangen sind, keine Anwendung finden. Denn im Falle einer fehlerhaften Ablehnung des Asylantrags als un zulässig mangels Zuständigkeit ist der Antrag in der Sache von der zuständigen Behörde noch gar nicht geprüft worden. Wäre nunmehr das Gericht verpflichtet, die Sache spruch reif zu machen und durchzuentscheiden, ginge dem Kläger eine Tatsacheninstanz verlo ren, die mit umfassenderen Verfahrensgarantien ausgestattet ist. Das gilt sowohl für die Verpflichtung der Behörde zur persönlichen Anhörung (§ 24 Absatz 1 Satz 3 AsylVfG) als auch zur umfassenden Sachaufklärung sowie der Erhebung der erforderlichen Beweise von Amts wegen (§ 24 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG) ohne die einmonatige Präklusionsfrist, wie sie für das Gerichtsverfahren in § 74 Absatz 2 AsylVfG in Verbindung mit § 87b Ab satz 3 VwGO vorgesehen ist. Im Übrigen führte ein Durchentscheiden des Gerichts im Er gebnis dazu, dass das Gericht nicht eine Entscheidung der Behörde kontrollieren würde, sondern anstelle der Behörde selbst entschiede, was im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung aus Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz (GG) zumindest bedenklich wäre.
34VG Düsseldorf, Urteile
vom 27. Juni 2014 – 13 K 654/14.A –, juris, Rn. 30, vom
26. April 2013 ‑
–
17
K
1777/12.A –, juris, Rn. 18 und Urteil vom 19. März 2013 – 6 K 2643/12.A –, juris, Rn. 16; VG
München, Gerichtsbescheid vom 21. Mai 2014 – M 21 K 14.30286 –, juris, Rn. 17 f.; VG Hamburg, Urteil vom 23. April 2014 – 10 A 1242/12 –, juris, Rn. 19; VG Regensburg, Urteil vom 18. Juli 2013 ‑
–
RN 5 K 13.30027 –, juris, Rn. 20; VG Hannover, Urteil vom 7. November 2013 – 2 A 4696/12 –, juris, Rn. 20; VG Hamburg, Urteil vom 18. Juli 2013 – 10 A 581/13 –, juris, Rn. 18; VG Gießen, Urteil vom 24. Januar 2013 – 6 K 1329/12.GI.A –, juris, Rn. 16 f.; VG Stuttgart, Urteil vom 20. September 2012 ‑
–
A 11 K 2519/12 –, juris, Rn. 15; VG Hamburg, Urteil vom 15. März 2012, – 10 A 227/11 –, juris, Rn.
16; VG Karlsruhe, Urteil vom 3. März 2010, – A 4 K 4052/08 –, S. 5; vgl. zum vergleichbaren Fall der Verfahrenseinstellung nach § 33 AsylVfG: BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rn. 15 ff.
Überdies würden die vom Gesetzgeber im Bemühen um Verfahrensbeschleunigung dem Bundesamt zugewiesenen Gestaltungsmöglichkeiten unterlaufen, wenn eine Verpflichtung des Gerichts zur Spruchreifmachung und damit zum „Durchentscheiden“ bestünde. Ge langt das Bundesamt nämlich nach sachlicher Prüfung des Asylbegehrens zu dem Ergeb nis, das Begehren sei gemäß §§ 29a, 30 AsylVfG offensichtlich unbegründet, so bestimmt § 36 AsylVfG das weitere Verfahren und sieht eine starke Beschleunigung der gerichtli chen Kontrolle und ggf. eine kurzfristige Beendigung des Aufenthalts des Klägers vor. Eine vergleichbare Möglichkeit steht dem Gericht nicht zu. Stellt sich nämlich das Asylbegehren nach gerichtlicher Prüfung als schlicht unbegründet dar, bemisst § 38 Absatz 1 AsylVfG die Ausreisefrist auf 30 Tage. Allerdings müsste sie, da sie nicht vom Gericht ausgespro chen werden kann, nachträglich von der Behörde festgesetzt werden, was im Widerspruch zu dem Beschleunigungsgedanken des Asylverfahrensgesetzes stünde.
36VG Düsseldorf, Urteil vom 27. Juni 2014 – 13 K 654/14.A –, juris, Rn. 32; VG München, Gerichtsbe scheid vom 21. Mai 2014 – M 21 K 14.30286 –, juris, Rn. 16.
37Im Falle der Aufhebung eines auf der Grundlage von § 27a AsylVfG ergangenen Beschei des ist daher das Asylverfahren durch die Beklagte weiterzuführen und das Asylbegehren von ihr in der Sache zu prüfen.
382. Der Kläger hat die Klage auch innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des an gegriffenen Bescheides des Bundesamtes vom 4. Oktober 2013 und damit fristgerecht im Sinne von § 74 Absatz 1 AsylVfG erhoben.
39Dabei ist die Bekanntgabe vorliegend allerdings noch nicht durch die mit Schreiben vom 17. Oktober 2013 erfolgte Übersendung des Bescheides an den Prozess bevollmächtigten des Klägers bewirkt worden. Denn der Prozessbevollmächtigte war insoweit kein Empfangsberechtigter des Klägers im Sinne von § 7 Absatz 1 Satz 2 des Verwaltungszu stellungsgesetzes (VwZG). Wird ein Asylantrag – wie vorliegend – nur nach § 27a AsylVfG abgelehnt, ist nach § 31 Absatz 1 Satz 4 AsylVfG die Entschei dung zusammen mit der Abschiebungsandrohung nach § 34a AsylVfG dem Ausländer persönlich zuzustellen und kommt mithin eine Empfangsvertretung durch den Prozessbe vollmächtigten nicht in Be tracht. Dementsprechend soll, wenn der Ausländer durch einen Bevollmächtigten vertreten wird oder er einen Empfangsberechtigten benannt hat, diesem nach § 31 Absatz 1 Satz 6 AsylVfG auch lediglich ein Abdruck der Entscheidung zugeleitet werden. Dieser Mangel der förmlichen Zustellung wurde aber vorliegend gemäß § 8 VwZG geheilt. Nach dieser Vorschrift gilt ein Schriftstück, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt, oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Empfangsberechtigter ist dabei derjenige, an den die Zustel lung nach dem Gesetz zu richten war,
40vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 43.95 –, BVerwGE 104, 301 und = juris, Rn. 27; Bundesfinanzhof, Urteil vom 2. Oktober 1986 – VII R 58/83 –, juris, Rn. 24,
41vorliegend also nach § 31 Absatz 1 Satz 4 AsylVfG der Kläger selbst, der im Übri gen auch tatsächlich als Adressat in dem angegriffenen Bescheid des Bundesamtes vom 4. Oktober 2013 benannt ist.
42Der Empfangsberechtigte hat das Schriftstück im Sinne von § 8 VwZG erhalten, wenn es ihm vorgelegen hat und er die Möglichkeit hatte, von seinem Inhalt Kenntnis zu nehmen; dass er es auch in Besitz genommen hat, ist nicht erforderlich,
43vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997, a.a.O., m.w.N.
44Darüber hinaus setzt die Heilung von Zustellungsmängeln voraus, dass die Behörde den Willen hatte, den Bescheid bekannt zu geben,
45BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 43.95 –, a.a.O. und juris, Rn. 29 und Beschluss vom 31. Mai 2006 – 6 B 65.05 –, NVwZ 2006, 943 = juris, Rn. 7, m.w.N.
46Nach diesen Maßgaben gilt der Bescheid des Bundesamtes vom 4. Oktober 2013 als dem Kläger am 23. Oktober 2013 mit heilender Wirkung im Sinne von § 8 VwZG zuge stellt. Nach den Angaben des Prozessbevollmächtigten des Klägers fand an diesem Tag ein Be sprechungstermin wegen des mit Schreiben vom 17. Oktober 2013 an die Kanzlei über mittelten Bescheides statt, bei dem der Kläger vom Erlass des Bescheides Kenntnis er halten hat. Zwar reicht die bloße (mündliche) Übermittlung des In halts des Bescheides an den Empfangsberechtigten durch eine Ersatzperson nicht aus, um dem Empfangsberech tigten die nach § 8 VwZG erforderliche zuverlässige Kenntnis des zuzustellenden Schrift stücks zu verschaffen,
47vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 43.95 –, a.a.O. und juris, Rn. 27.
48Allerdings wurde dem Kläger nach Angaben seines Prozessbevollmächtigten am 23. Oktober 2013 anlässlich des Besprechungstermins zugleich auch eine Kopie des Bescheides ausgehändigt. Die Aushändigung der Bescheidkopie war zur Vermittlung der erforderlichen Kenntnis aber geeignet, da sie das Original nach Inhalt und Fassung wiedergibt.
49Die Beklagte hatte schließlich hinsichtlich des Bescheides auch den erforderlichen Bekanntgabewillen. Der Bescheid ist mit Wissen und Wollen der Beklagten und in der Ab sicht, Rechtsfolgen gegenüber dem Kläger auszulösen, aus dem internen behördlichen Bereich herausgegeben worden. Dass Anschreiben und Bescheid willentlich den internen Bereich des Bundesamtes verlassen haben, folgt unzweifelhaft aus der be wussten Wahl des Übermittlungswegs per Einschreiben und dem Vorliegen eines hierüber gesondert gefertigten Aktenvermerks nach § 4 Absatz 2 Satz 4 VwZG (Bl. 67 der Beiakte Heft 1) so wie der zeitgleichen gesonderten Übermittlung des Bescheides auch noch an die zustän dige Ausländerbehörde (Bl. 64 der Beiakte Heft 1). Der Wille, hinsichtlich des Klägers Rechtsfolgen herbeizuführen, ergibt sich ohne weiteres aus dem an den Prozessbevoll mächtigten gerichteten Begleitschreiben vom 17. Oktober 2013, das in der Betreffzeile ausdrücklich den Namen des Klägers und den Bezug zu seinem Asyl verfahren und zudem die Mitteilung enthält, dass dem Prozessbevollmächtigten – der aus der Sicht des Bun desamtes der Empfangsberechtigte des Klägers war – der Be scheid vom 4. Oktober 2013 „zugestellt“ werde. Zur Heilung nicht erforderlich ist, dass ge rade auch die nachträgliche Kenntniserlangung durch den Adressaten vom Willen der Be hörde umfasst ist,
50vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 43.95 –, a.a.O. und juris, Rn. 29.
51Die zweiwöchige Klagefrist begann mithin am Tag nach der Bekanntgabe, also am Donnerstag, den 24. Oktober 2013, § 57 Absatz 2 VwGO i.V.m. § 222 Absatz 1 ZPO, § 187 Absatz 1 BGB und endete gemäß § 57 Absatz 2 VwGO i.V.m. § 222 Absatz 1 ZPO, § 188 Absatz 2 BGB am Mittwoch, den 6. November 2013. Die Klage ist bereits am Freitag, den 25. Oktober 2013 und damit fristgerecht bei Gericht eingegangen.
52II. D Indes ist der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 4. Oktober 2013 ist zu dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. § 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Absatz 1 VwGO.
53Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Recht nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt und auf der Grundlage des § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG die Ab schiebung des Klägers nach Spanien angeordnet. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylan trag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäi schen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchfüh rung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Beklagte den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG).
54Maßgebliche Rechtsvor schrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verord nung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Dritt staatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-VO). Diese findet auf den Asylantrag des Klägers Anwendung, obwohl gemäß § 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Ver handlung bzw. bei Entscheidungen ohne mündliche Verhandlung – wie hier – auf den Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist. Zwar ist und die Nachfolgevorschrift der Dublin II-VO, die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitglied staats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist ( Dublin III-VO) , bereits am 19. Juli 2013 in Kraft getreten ist . Denn Gemäß Artikel 49 Unterabsatz 2 Satz 2 Dublin III-VO bleibt die Dublin II-VO aber für Asylanträge, die vor dem 1. Januar 2014 gestellt werden, anwendbar . Anderes gilt allen falls im Falle von Gesuchen um Aufnahme oder Wiederaufnahme, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden (Artikel 49 Absatz 2 Satz 1 Dublin III-VO), was hier jedoch nicht der Fall ist,
55vgl. bereits VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 12. Februar 2014 – 13 L 2428/13.A –, juris, Rn. 13 und vom 8. Mai 2014 – 13 L 126/14.A –, juris, Rn. 11.
561. Nach den Vorschriften der Dublin II-VO ist Spanien der zuständige Staat für die Prüfung des durch den Kläger gestellten Asylantrags. Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien aus der EURODAC-Datei festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschrit ten hat, so ist dieser Mitgliedstaat gemäß Artikel 10 Absatz 1 Satz 1 Dublin II-VO für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Der Kläger ist nach seinen eigenen Angaben in der Befragung durch das Bundesamt vom 23. August 2013 vor seiner Einreise in die Bundes republik in Spanien gewesen. Überdies folgt aus der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank vom 27. August 2013, dass er bereits am 25. Oktober 2012 im spani schen Melilla erkennungsdienstlich behandelt worden ist. Der Kläger hat die Grenze Spa niens auch illegal überschritten, da er nach seinen eigenen Angaben ohne Ausweispapiere und Aufenthaltsberechtigung eingereist ist und zudem die vom Bundesamt durchgeführte Visa-Abfrage für ihn keinen Treffer ergeben hat.
572. Die danach vorliegende Zuständigkeit Spaniens ist auch nicht nach Artikel 10 Absatz 1 Satz 2 Dublin II-VO erloschen. Danach endet die Zuständigkeit zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Offen bleiben kann insoweit, ob der Kläger erst am Tag der erkennungsdienstlichen Behandlung, also am 25. Oktober 2012 erstmals in das Gebiet der Mitgliedstaaten eingereist und von den Behörden aufgegriffen worden ist oder ob die Einreise – wie der Kläger erstmals im gerichtlichen Verfahren vorträgt – bereits Anfang Oktober 2012 erfolgt ist. Denn der illegale Grenzübertritt lag in jedem Fall zum Zeitpunkt der für die Anwendung der Kriterien des Kapitels III maßgeblichen Zuständigkeitsbestim mung, die spätestens mit der Entscheidung Spaniens über das Aufnahmegesuch mit Schreiben vom 17. September 2013 ihren Abschluss fand (Artikel 19 Absatz 1Dublin II-VO ), noch keine zwölf Monate zurück.
58Dass diese Frist – unterstellt der Kläger sei wie behauptet bereits Anfang Oktober 2012 nach Spanien eingereist – im Zeitpunkt der nach obigen Ausführungen erst am 23. Oktober 2013 erfolgten Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides des Bundesamtes abgelaufen war, würde ebenfalls nicht zur Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung führen.
59Nach Artikel 3 Absatz 1 Satz 2 Dublin II-VO finden die Regelungen des Kapitels III, zu de nen Artikel 10 gehört, ausschließlich im Rahmen des Verfahrens zur Bestimmung des zu ständigen Mitgliedstaates Anwendung. Daher berechtigt Artikel 10 Absatz 1 Satz 2 Dublin II-VO zwar einen Mitglied staat, ein an ihn gerichtetes Aufnahme- oder Wiederaufnahmeersuchen eines anderen Mitgliedstaates abzulehnen, sofern der illegale Grenzübertritt im Zeitpunkt des Ersuchens bereits mehr als zwölf Monate zurückliegt. Nach Abschluss des Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung ist der Anwendungsbe reich des Kapitels III dagegen nicht mehr eröffnet und führt Artikel 10 Absatz 1 Satz 2 Dublin II-VO daher nicht zu einem nachträglichen Wegfall der be reits nach der Dublin II-Verordnung bestimmten Zuständigkeit. Dementsprechend regelt Kapitel V, dass die nach den Kriterien des Kapitels III bestehende Zuständigkeit eines er suchten Mitgliedstaates nachträglich nur unter den Voraussetzungen von Artikel 16 Absatz 3 und 4 Dublin II-VO erlöschen oder wegen eines Fristversäumnisses des ersuchenden Mitgliedstaates nach Artikel 17 Absatz 1 Satz 2, Artikel 19 Absatz 4 oder Artikel 20 Absatz 2 Dublin II-VO auf den ersuchenden Mitgliedstaat selbst übergehen kann. Überdies sieht Artikel 5 Absatz 2 Dublin II-VO vor, dass bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mit gliedstaats von der Situation ausgegangen wird, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
603. Die Zuständigkeit Spaniens ist auch nicht nach Maßgabe der Artikel 16 ff. Dublin II-VO wieder erloschen oder auf Deutschland übergegangen. Die Pflicht Spaniens, den Kläger aufzunehmen, folgt aus Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe a) Dublin II-VO, wonach der nach der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrags zuständige Mitgliedsstaat gehalten ist, einen Asylbewerber, der einen Antrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat, nach Maß gabe der Artikel 17 bis 19 Dublin II-VO aufzunehmen.
61Nachdem die am 27. August 2013 erfolgte Recherche der Beklagten in der Eurodac-Da tenbank für den Kläger einen Treffer ergab und damit Anhaltspunkte für eine Zuständigkeit Spaniens für die Prüfung des Asylantrags des Klägers bestanden, hat die Beklagte bereits am 29. August 2013 via DubliNet rechtzeitig inner halb der Frist nach Artikel 17 Absatz 1 Unterabsatz 1 Dublin II-VO von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrags am 7. Juni 2013 das Aufnahmeersuchen an Spanien gerichtet. Spanien hat seinerseits am 17. September 2013 und mithin innerhalb von zwei Monaten nach seiner Befassung mit dem Gesuch im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Dublin II-VO entschieden.
62Der Kläger kann nicht geltend machen, dass die in Art . ikel 19 Abs atz . 3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO geregelte Sechs-Monatsfrist zu einem Übergang der Zuständigkeit von Spanien auf die Beklagte geführt hat.
63a) Diese Frist ist noch nicht abgelaufen. Sie beginnt im vorliegenden Fall erst zu laufen, nachdem das Gericht in der Hauptsache über die Klage entschieden hat. Dies folgt schon aus dem Wortlaut der Vorschrift des Artikel 19 Abs atz . 3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO. Da nach erfolgt die Überstellung , sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wideraufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Mit dem in der zweiten Alternative dieser Vorschrift in Bezug genommenen Rechtsbehelf ist das gegen die Abschiebung gerichtete Hauptsacheverfah ren gemeint, nicht schon das Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz, auch wenn bereits während dessen Anhängigkeit gemäß § 34a Abs atz . 2 Satz 2 AsylVfG eine Abschiebung zu unterbleiben hat.
64Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 53; Beschluss vom 8. September 2014 – 13 A 1347/14.A –, juris, Rn. 5 ff.; VG Düsseldorf, Beschluss im Verfahren gleichen Rubrums vom 24. März 2014 – 13 L 644/14.A –, juris, Rn. 12 ff.
65Dieser Rechtsbehelf hatte aufgrund der gerichtlichen Anordnung vom 24. März 2014 im Verfahren nach § 80 Absatz 7 VwGO (13 L 644/14.A) aufschiebende Wirkung. Deshalb kann die Frist zur Überstellung und damit auch eine mögliche Frist, deren Ablauf zu einer unzumutbar langen Verfahrensdauer führen kann, erst mit der Entscheidung über diesen Rechtsbehelf – mithin mit Rechtskraft dieses Urteils – zu laufen beginnen. Artikel 19 Ab s atz . 3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO benennt insoweit zwar nicht die Rechtskraft, sondern die „Entscheidung über den Rechtsbehelf“. Da diese Formulierung jedoch in unmittelbarem Zusammenhang zur der diesem Rechtsbehelf beizumessenden aufschiebenden Wirkung verwendet wird, kann dies nur im Sinne einer rechtskräftigen Entscheidung über den Rechtsbehelf verstanden werden.
66Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. Mai 2014 – 13 A 827/14.A –, juris, Rn. 5.
67Ohne Bedeutung ist insoweit, dass die Kammer im vorgenannten Beschluss vom 24. März 2014 – anders als hier – zu der Annahme gelangt ist, die maßgebliche Frist sei bereits ab gelaufen. Denn Artikel 19 Abs atz . 3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO ermöglicht jedenfalls auch eine Überstellung innerhalb der hier noch nicht laufenden Frist von sechs Monaten ab der Entscheidung über den Rechtsbehelf. Im Übrigen hält die Kammer an ihrer allein im sum marischen Verfahren nach § 80 Absatz 5 und 7 VwGO vertretenen Auffassung, wonach sich der Kläger auf den Ablauf dieser Frist beruf en kann, nicht länger fest (s. hierzu unten, b) ).
68Dasselbe Ergebnis ergibt sich auch aus dem Sinn und Zweck der Überstellungsfrist. Durch die in Artikel 19 Absatz 3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO geregelte Überstellungsfrist soll es den Mitgliedstaaten ermöglicht werden , die Überstellung mitsamt ihren technischen Prob leme n zu bewerkstelligen. Die Frist für die Durchführung der Überstellung kann daher erst zu laufen beginnen, wenn grundsätzlich vereinbart und sichergestellt ist, dass die Über stellung in Zukunft erfolgen wird, und wenn lediglich deren Modalitäten zu regeln bleiben. Dass diese Überstellung erfolgen wird, kann nicht als sichergestellt angesehen werden, wenn ein Gericht des ersuchenden Mitgliedstaats, bei dem ein Rechtsbehelf anhängig ist, über die Frage in der Sache nicht entschieden hat, sondern sich darauf beschränkt hat, zu einem Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung Stellung zu nehmen. Denn es ist davon auszugehen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber nicht die Absicht hatte, dem Erfordernis der zügigen Bearbeitung der Asylanträge den gerichtlichen Schutz zu opfern, den die Mitgliedstaaten gewährleisten, deren Gerichte die Durchführung einer Überstellungsentscheidung aussetzen können und es somit dem Asylbewerber er möglichen, die ihn betreffenden Entscheidungen wirksam anzugreifen. Andernfalls be fände sich der Mitgliedstaat, der im Rahmen des Überstellungsverfahrens beschlossen hat, gegebenenfalls mit aufschiebender Wirkung versehene Rechtsbehelfe zu schaffen, und der daher hinnehmen müsste, dass die Frist, über die er für die Ausweisung des Asyl bewerbers verfügt, um die Zeit verkürzt wird, die die innerstaatlichen Gerichte benötigen, um über den Rechtsstreit in der Sache zu entscheiden, in einer misslichen Lage, da er, wenn es ihm nicht gelänge, die Überstellung des Asylbewerbers innerhalb des sehr kurzen Zeitraums zu organisieren, der zwischen der Entscheidung des Tatrichters und dem Ablauf der Frist für die Durchführung der Überstellung liegt, Gefahr liefe, letztlich als für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig bestimmt zu werden.
69Vgl. Europäische r Gerichtshof ( EuGH ) , Urteil vom 29. Januar 2009, – C-19/08 –, juris, S . 11, Rn. 44 ff.; OVG NRW, Beschlüsse vom 8. September 2014 – 13 A 1347/14.A –, Rn. 12 ff., und Be schluss vom 8. Mai 2014 – 13 A 827/14.A –, juris, Rn. 3.
70Vor diesem Hintergrund geht auch die im klägerischen Schriftsatz vom 11. September 2014 geäußerte Ansicht fehl, es bedürfe zunächst einer aktuellen Bestätigung der Über nahmebereitschaft Spaniens. Denn bei der Fristberechnung ab der Rechtskraft dieser Ent scheidung handelt es sich um eine von zwei gleichwertig nebeneinander bestehenden Al ternativen innerhalb der Vorschrift des Artikel 19 Abs atz . 3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO. Da ein Fristablauf objektiv nicht gegeben ist, kann auch Spanien sich nicht hierauf berufen. Im Übrigen würde auch die Möglichkeit, dass sich der übernehmende Staat auf den Ablauf der Frist beruft, dem Kläger nicht den entsprechenden Einwand in Form eines subjektiven Rechts an die Hand geben. Sollte der an sich übernehmende Staat die Aufnahme verwei gern, deckt sich dies mit dem vom Kläger verfolgten Interesse, im Bundesgebiet zu ver bleiben und – sollte kein anderer, dritter Staat zuständig sein – eine Prüfung seines An trags durch die Beklagte zu erreichen. Wäre der übernehmende Staat hingegen noch im mer zur Aufnahme bereit, würden hierdurch – wie nachstehend ausgeführt – keine subjektiven Rechte des Klägers verletzt.
71Die Beklagte ist vorliegend bis zur Entscheidung über die Hauptsache auf Grund des stattgebenden Beschlusses vom 24. März 2014, worin die aufschiebende Wirkung der vor liegenden Klage angeordnet worden ist , an der Überstellung des Klägers nach Spanien rechtlich und daher nicht nur aufgrund der erforderlichen Modalitäten für eine Überstellung gehindert gewesen . Die Überstellungsfrist beginnt erst mit Rechtkraft dieses Urteils zu laufen.
72b) Selbst wenn es hier jedoch auf den Ablauf der Sechs-Monatsfrist in der ersten Altern
a
tive des Art
ikel
.
19 Abs
atz
.
3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO ankäme, also beginnend mit der Annahme des Antrags auf Aufnahme durch Spanien
,
am
17.
Septem
ber 2013, könnte sich der Kläger nicht auf den Ablauf dieser Frist berufen.
Zwar endete die Frist zur Überstellung des Klägers zunächst
,
mit Ablauf des 17. März 2014, da Spanien der Aufnahme bereits am 17. September 2013 zugestimmt hatte
.
Der Kläger kann sich auf einen möglichen Verstoß gegen die Überstellungsfristjedoch nicht berufen. Allein ein Verstoß gegen die Fristenre gelungen der Dublin II-VO verletzt für sich keine subjektiven Rechte der Asylbewerber, sofern damit keine Grundrechtsverletzung einhergeht. Insoweit gibt die Kammer auf der Grundlage der sog. Abdullahi-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs,
74Urteil vom 10. Dezember 2013, – C-394/12 –, juris; vgl.
,
nachfolgend
auch BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 7,
ihre bisherige Rechtsprechungim Beschluss vom 24. März 2014 – 13 L 644/14.A – auf und geht davon aus, dass sich der Kläger nicht auf die Versäumung der Überstellun g s f rist berufen kann. Ob eine Vorschrift dem Schutz subjektiver Interessen dient, folgt maßgeblich aus dem In halt und Regelungszweck der anzuwendenden Norm. Nach seinem Wortlaut regelt Artikel 19 Absatz 3 Unterabsatz 1 Dublin II-VO allein einen Verfahrensablauf zwischen zwei Ho heitssubjekten ohne Bezug zu nehmen auf den Asylbewerber selbst. Die dort konstituierte mitgliedstaatliche Obliegenheit steht im Einklang mit dem Sinn und Zweck der DublinII-VO, der letztlich in der Verwirklichung des in Artikel 78 Absatz 1 Vertrag über die Arbeits weise der Europäischen Union (AEUV) vorgesehenen gemeinsamen europäischen Asyl systems besteht, vgl. auch Artikel 78 Absatz 2 lit e) AEUV. Grundgedanke der DublinII-VO ist ausweislich den der Verordnung vorangestellten Erwägungen (3 und 16), eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats zu entwerfen. Eine solche Formel sollte nach den Erwägungen auf objekti ven und gerechten Kriterien basieren, die insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten.
76EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen vom 18. April 2013, – C-4/11 –, juris, Rn. 57 f.; VG Düsseldorf, Urteil vom 27. August 2013 – 17 K 4737/12.A –, juris, Rn. 37.
77Die Fristbestimmungen der Dublin II-VO dienen dementsprechend einer zeitnahen Fest stellung des zuständigen Mitgliedsstaats und einer zügigen Überstellung an diesen, ohne aber dem Kläger (mittelbar) einen Anspruch auf Prüfung des Asylantrags durch einen be stimmten Mitgliedsstaat zu gewähren. Der EuGH hat für den Fall, dass der zuständige Mitgliedsstaat der Aufnahme zustimmt, entschieden, dass der Asylbewerber einer Über stellung nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnah mebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann.
78EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013, – C-394/12 –, juris, Rn. 60 und 62; BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 – 10 B 16.
/
14 –, juris, Rn. 12; VG Würzburg, Beschluss vom 11. Juni 2014 ‑
–
W
6
S
14.50065 –, juris, Rn. 18 m.w.N.
Obschon der Abdullahi- Entscheidung keine generelle Aussage zur subjektiv-rechtlichen Dimension von (Überstellungs-)Fristen zu nehmen ist,
80vgl. hierzu auch schon VG Düsseldorf, Urteil vom 15. August 2014 – 13 K 1117/14.A – Seite 9 und 10 des Urteilsabdrucks m.w.N.,zur Veröffentlichung bei juris und www.nrwe.de vorgesehen,
81gelten die vorstehenden Erwägungen auch für die hier relevante Überstellungsfrist im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens. Die Überstellungsfrist dient nicht dem Schutz des Klägers, sondern wie die sonstigen Fristbestimmungen allein den objektiven Zwecken einer sachgerechten Verteilung der mit Durchführung der Asylverfahren verbundenen Lasten in Abstimmung mit dem um (Wieder-)Aufnahme ersuchten Mitglieds
staat. Die Dublin II-VO enthält auch insoweit vor allem Verpflichtungen der Mitglieds
staaten untereinander. Etwas anderes mag – anders als hier – gelten, wenn die Überstellungsfrist abgelaufen und der ersuchte Mitgliedsstaat nicht mehr zur Aufnahme bzw. Wiederaufnahme bereit wäre oder wenn es sonst zur unverhältnismäßigen weiteren Verzögerungen käme (s.u.). Denn die Rechtsstellung des Einzelnen wird durch das Zuständigkeitssystem der Dublin II-Ver ordnung lediglich insoweit geschützt, als jedenfalls ein zuständiger Vertragsstaat für die Prüfung des Asylbegehrens gewährleistet sein muss.
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 16. April 2014 – A 11 S 1721/13 –, juris; Rn.
25; Offen gelassen vom OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 ‑
–
14
A
1943/11.A
–, juris, Rn. 24; VG Trier, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 5 L 1271/14.TR –, juris, Rn.
6 f.; VG Würzburg, Beschluss vom 11. Juni 2014 – W 6 S 14.50065 –, juris, Rn. 19; VG Hamburg, Beschluss vom 8. April 2014 – 17 AE 1762/14 –, juris, Rn. 18; VG Berlin, Beschluss vom 19. März 2014 – 33 L 90.14 A –, juris; VG Regensburg, Gerichtsbescheid vom 26. Februar 2013 – RN 9 K 11.30445 –, juris, Rn. 18; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 98. Ergänzungslieferung, November 2013, § 27a, Rn. 234.
Dieses Ergebnis wird zudem durch folgende Überlegung bestätigt: Dem Asylbewerber bleibt es in jedem Fall unbenommen, sich freiwillig bei der ihm genannten Stelle des ande ren Mitgliedstaates zu melden und hierdurch selbst das Verfahren zu beschleunigen. In soweit regelt Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe 1) der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (DVO Dublin II-VO), dass die Überstel lung in den zuständigen Mitgliedstaat auch auf Initiative des Asylbewerbers erfolgen kann.
84Vgl. hierzu Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 98. Ergänzungslieferung, November 2013, § 27a, Rn. 231 m.w.N.
85Hat es der Asylbewerber aber selbst in der Hand, wann die Überstellung erfolgtund dass sie überhaupt erfolgt
,
kann er mithin
selbst zu einer von ihm gewünschten Beschleunigung beitragen, verbietet
schon der
allgemeine – aus dem Gebot von Treu und Glauben nach §
242 BGB abgeleiteten
– Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“) sich
auf eine verspätete Überstellung seitens der Bundesrepublik Deutschlandzu
berufen. Insoweit ist es ihm auch nicht unzumutbar, sich zunächst in den anderen Mitgliedstaat zu begeben und dort den Ausgang des Hauptsacheverfahrens ab zuwarten.
OVG NRW, Beschluss vom 11. Oktober 2011 – 14 B 1011/11.A –, juris, Rn. 16.
874. Es liegen auch keine Gründe vor, die trotz der genannten Zuständigkeit Spaniens eine Verpflichtung der Beklagten begründen könnten, vom Selbsteintrittsrecht nach Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 Dublin II-VO Gebrauch zu machen oder es ausschließen würden, den Kläger nach Spanien abzuschieben.
88a) Zwar besteht bei einer unangemessenen Verfahrensdauer ein aus den Grundrechten abzuleitendes subjektives Recht des Asylbewerbers auf Durchführung des Asylverfahrens in dem Mitgliedstaat, welcher die Verzögerung zu verantworten hat.
89EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –, juris, Rn. 35 und Urteil vom 21. Dezember 2011 ‑
–
C-411/10 et al. –, juris, Rn. 98 und 108; VG Düsseldorf, Urteil vom 15. August 2014 ‑
–
13
K
1117/14.A
– m.w.N.
Das kann aber ohnehin nur dann gelten, wenn der Antragsteller durch zu langes Zuwarten des Bundesamtes um den zeitnah en Fortgang des Verfahrens auf Feststellung seiner Asylberechtigung bzw. seiner internationalen Schutzberechtigung gebracht wird. Hat der Kläger es jedoch selbst in der Hand, die Prüfung seines Antrags dadurch voranzutreiben, dass er sich freiwillig in den hierfür zuständigen Mitgliedstaat begibt, ist eine Grundrechts verletzung wegen zu langer Verfahrensdauer ausgeschlossen (s.o. , 3. b) ) .
91Selbst
wenn der Grund für die verzögerte Einreise bzw. Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat allein in die Sphäre der Beklagten fiele, wofür vorliegend nichts spricht, fehlt
e
es i
ndes schon
an einer solch unangemessen langen Verfahrensdauer. Anhaltspunkte, ab wann von einer unangemessen langen Verfahrensdauer auszugehen ist, hat der Europäi schen
Gerichtshof nicht gegeben. Nach Auffassung des Gerichts ist insoweit aber zunächst zu berücksichtigen, dass schon die Regelung des Artikel 19 Absatz 3 Dublin II-VO vor sieht, dass die Überstellung spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Annahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, erfolgt. Deren Überschreiten kann dabei nicht gleich gesetzt werden mit der vom EuGH angesprochenen, die Grundrechte des Asylbewerbers beeinträchtigenden unangemessen langen Verfahrensdauer. Der gesetzlichen Wertung des § 24 Absatz 4 AsylVfG folgend geht das Gericht davon aus, dass frühestens nach dem Verstreichen eines Zeitraums, der der regelmäßigen Frist des Artikel 19 Absatz 3 Dublin II-VO von sechs Monaten zuzüglich der durch § 24 Absatz 4 AsylVfG für die inner staatlich für die Entscheidung über den Asylantrag im Regelfall vorgesehenen Frist von sechs Monaten, also insgesamt von zwölf Monaten, entspricht, von einer unangemessen langen Verfahrensdauer ausgegangen werden kann.
Vgl. zur Stellung eines Aufnahmeantrags VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. Februar 2014 ‑ 13 L 2685/13.A –, juris, Rn. 22.
93Damit einhergehend sieht auch Artikel 19 Absatz 4 Satz 2, 1. Alternative Dublin II-VO vor, dass die Frist zur Überstellung höchstens auf ein Jahr verlängert werden kann, wenn diese aufgrund der Inhaftierung des Asylbewerbers nicht erfolgen konnte.
94Diese Frist ist vorliegend noch nicht abgelaufen.
95b) Die Beklagte ist schließlich auch nicht gehindert, den Kläger nach Spanien zu überstel len, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwach stellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behand lung im Sinne des Artikels 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) mit sich bringen. Die Voraussetzungen, unter denen das nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs,
96EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, S. 413,
97der Fall wäre, liegen nicht vor. Systemische Mängel in diesem Sine können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können,
98EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
99Gemessen hieran ist nicht ersichtlich, dass der Kläger Gefahr liefe, nach der Rück über stellung nach Spanien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. im Sinne von Artikel 3 EMRK zu unterfallen. Es liegen dem erkennenden Gericht keinerlei Erkenntnismittel vor, die die Befürchtung recht fertigen könnten, dass in Spanien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im oben genannten Sinne bestehen,
100vgl. Verwaltungsgericht Aachen, Beschluss vom 30. Juni 2014 – 4 L 398/14.A –, juris, Rn. 23 f. m.w.N.; Verwaltungsgericht Potsdam, Beschluss vom 23. Juni 2014 – 6 L 551/14.A –, juris, Rn. 11; Verwaltungsgericht Augsburg, Beschluss vom 27. Mai 2014 – Au 7 S 14.50094 –, juris, Rn. 50.
101Es ergeben sich auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass Spanien das Asylgesuch des Klägers nicht in einem ordnungsgemäßen Asylverfahren prüfen wird. Denn Spanien hat unter Wahrung seiner aus der Dublin II-VO folgende Obliegenheiten bereits zweimal fristgerecht seine Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags des Klägers an erkannt. Soweit der Kläger demgegenüber im gerichtlichen Verfahren vorgebracht hat, ihm sei in Spanien sowohl bei seiner Ersteinreise im Oktober 2012 als auch nach der Über stellung aus Deutschland im April 2013 jeweils die Stellung eines Asylantrags tatsächlich verweigert worden, ist dieses unsubtsantiierte Vorbringen nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht glaubhaft. Der Kläger hat hierzu schon selbst keine widerspruchsfreien Angaben gemacht. Im Rahmen der Anhörung beim Bun desamt am 23. Januar 2013 hat er ausdrücklich angegeben, noch in keinem europäischen Land einen Asylantrag gestellt zu haben (Bl. 39 Beiakte Heft 2). Anlässlich seiner erneuten Asylantragstellung in Deutschland am 7. Juni 2013 hat er zwar in der Anhörung am 23. August 2013 angegeben, er habe in Spanien gefragt, ob er Asyl beantragen könne, was aber abgelehnt worden sei. Allerdings schilderte er diese angebliche Verweigerung der Asylantragstellung als eine solche im Zusammenhang mit der Ersteinreise und damit im Widerspruch zu seinem Vorbringen vom 23. Januar 2013. Zudem legte er nicht offen, dass er unter einem Aliasnamen bereits zuvor in Deutschland einen Asylantrag gestellt hatte und nach Spanien zurückgeführt worden war. Da gerade die Verweigerung eines Asylverfahrens nach der Rücküberstellung nach Spanien nach den Angaben des Klägers im gerichtlichen Verfahren aber der wesentliche Anlass der erneuten Einreise nach Deutschland im Juni 2013 gewesen sein soll, wäre zu erwarten gewesen, dass er diesen für ihn so ent scheidenden Umstand dann auch in der Anhörung am 23. August 2013 schildert. Dies umso mehr, als der Rücküberstellung vom 10. April 2013 eine ausdrückliche Aufnahmeer klärung Spaniens vom 7. März 2013 zugrunde lag. Die Einschätzung, dass dem diesbe züglichen Vorbringen des Klägers kein Glauben geschenkt werden kann, stützt das Ge richt ergänzend darauf, dass der Kläger auch zu seinem angeblichen Verfolgungsschicksal in beiden Anhö rungen vollkommen unterschiedliche und nicht miteinander in Einklang zu bringende An gaben gemacht hat und zudem seinen ersten Asylantrag unter einem falschen Namen gestellt hat, sich mithin insgesamt nicht als glaubwürdig erweist.
102Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach § 34a Absatz 1 AsylVfG bestehen keine Bedenken. Insbesondere besteht auch kein Abschiebungshin der nis. Gemäß § 34a Absatz 1 Satz 1 a. E. AsylVfG setzt die Anordnung der Abschiebung neben der Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 27a AsylVfG voraus, dass sie auch durch geführt werden kann. Es sind weder zielstaatsbezogene, noch in der Person des Klägers bestehende, also inlandsbezogene, Abschiebungshindernisse ersicht lich.
103Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Absatz 1 VwGO. Die Nichterhebung von Gerichts k osten ergibt sich aus § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert folgt aus § 30Ab satz 1 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
104Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom ... Januar 2014 wird aufgehoben. Im Übrigen wird das Verfahren eingestellt.
2. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Tatbestand
- 1
Die Kläger wenden sich nach Rücknahme ihrer Asylanträge gegen die Abschiebung nach Spanien.
- 2
Die Kläger sind irakische Staatsbürger syrisch-orthodoxen Glaubens mit arabischer Volkszugehörigkeit und stammen aus Mosul. Der Kläger zu 1) ist der Ehemann der Klägerin zu 2), die Klägerin zu 3) ist ihr gemeinsames minderjähriges Kind. Sie reisten nach eigenen Angaben am ... September 2013 ins Bundesgebiet ein und stellten hier am ... September 2013 einen Asylantrag. Eine Abfrage des Visa-Informationssystems (VIS) vom ... September 2013 ergab, dass der Kläger zu 1) über das Kurzaufenthalts-Schengen-Visum Nr. ESP... verfügt, das am ... September 2013 von der spanischen Botschaft in Jordanien ausgestellt wurde und vom ... bis ... September 2013 gültig ist.
- 3
Am ... September 2013 hörte die Beklagte die Kläger zu 1) und zu 2) zu ihren persönlichen Verhältnissen und dem Reiseweg an: […]
- 4
Am ... November 2013 richtete die Beklagte ein Übernahmeersuchen an Spanien gemäß Art. 9 Abs. 2 oder 3 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: Dublin II-VO oder Dublin II-Verordnung), weil die Kläger gemeinsam mit einem weiteren volljährigen Kind, für das ein separater Antrag gestellt worden sei (s. Verfahren ...), mit einem spanischen Visum in den Schengen-Raum eingereist seien. Mit zwei separaten Schreiben vom ... Januar 2014 nahmen die spanischen Behörden gemäß Art. 9 Abs. 2 Dublin II-VO das Übernahmegesuch an.
- 5
Mit Bescheid vom ... Januar 2014, den Klägern gemäß Postzustellungsurkunde am ... Januar 2014 zugestellt, stellte die Beklagte fest, dass die Asylanträge der Kläger unzulässig seien und ordnete die Abschiebung nach Spanien an. Wegen des von den spanischen Behörden erteilten Einreisevisums sei Spanien gemäß Art. 9 Abs. 4 Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht auszuüben, seien nicht ersichtlich. Es gebe auch keine systemischen Mängel im spanischen Asylverfahren.
- 6
Gegen diesen Bescheid haben die Kläger am ... Februar 2014 Klage erhoben. Spanien sei kein sicherer Drittstaat. Außerdem hätten die Kläger mit anwaltlichen Schreiben vom 10. Februar 2014 ihre Asylanträge auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG beschränkt. Sie begehrten weder die Feststellung von Abschiebehindernissen nach § 3 AsylVfG noch nach § 4 AsylVfG. Dadurch sei nach Inkrafttreten der Dublin III-Verordnung die Beklagte zuständig. Mit Schreiben vom 4. März 2014 nahmen die Kläger klarstellend die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte, bzw. als Flüchtlinge zurück.
- 7
Die Kläger beantragen nach Rücknahme der Klage im Übrigen,
- 8
den Bescheid der Beklagten vom ... Januar 2014 aufzuheben.
- 9
Die Beklagte beantragt,
- 10
die Klage abzuweisen.
- 11
Die Rücknahme des Asylantrages nach der Zustimmung zum Übernahmegesuch führe nicht zur Unanwendbarkeit der Dublin II-Verordnung. Die Kastrati-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sei auf diesen Fall nicht anwendbar. Außerdem sei die Rücknahme wegen Rechtsmissbräuchlichkeit unwirksam, weil sich die Kläger noch immer auf politische Verfolgungsgründe stützen. […]
Entscheidungsgründe
- 12
[…]
- 13
Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom ... Januar 2014 ist im Hinblick auf die Feststellung, dass die Asylanträge unzulässig seien (dazu 1.) und die Abschiebungsanordnung (dazu 2.) rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
- 14
1. Die Feststellung zu 1) im angefochtenen Bescheid, dass die Asylanträge unzulässig seien, ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. AsylVfG kann die Beklagte ihre Feststellung nicht auf § 27a AsylVfG stützten. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaften (jetzt: Europäische Union) oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Die Unzulässigkeitsentscheidung eines Asylantrags setzt einen (noch) wirksamen Asylantrag voraus. Dies ergibt sich aus § 32 AsylVfG, nach dem das Verfahren durch deklaratorischen Bescheid einzustellen ist, wenn der Antrag zurückgenommen worden ist. Die Kläger haben ihre Asylanträge vom ... September 2013 mit anwaltlichem Schreiben vom ... Februar 2014, das als Rücknahme zu verstehen ist (dazu 1.1), wirksam (dazu 1.2) zurückgenommen.
- 15
1.1 Die Auslegung des Schreibens vom ... Februar 2014, ergibt, dass damit der Asylantrag konkludent zurückgenommen wurde. Die Kläger haben ausdrücklich beantragt, nur noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Sie erklärten, nicht mehr die Anerkennung als Asylberechtigte oder Flüchtlinge anzustreben. Sie wünschten auch nicht mehr die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 3 AsylVfG oder 4 AsylVfG, sondern ausschließlich die Gewährung (mitgliedstaatlichen) subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Damit haben sie ihren Antrag so beschränkt, dass er nicht mehr unter § 13 Abs. 1 AsylVfG fällt. Danach sind nämlich nur die unionsrechtlich verbürgten Abschiebungsverbote erfasst, die sich aus der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 1 AsylVfG) oder der Feststellung von unionalem subsidiären Schutz (§ 4 Abs. 1 AsylVfG) ergeben. Ein auf die Gewährung von mitgliedstaatlichen Abschiebungsverboten gestützter Antrag ist kein Asylantrag mehr (vgl. BR-Drs. 218/13 vom 22.3.2013, S. 21). Ihr Vorliegen ist vielmehr bei Rücknahme des Asylantrags von Amts wegen zu prüfen.
- 16
Zwar haben die Kläger mit weiterem Schreiben vom ... März 2014 ausdrücklich nur die Rücknahme des Antrages auf Anerkennung als Asylberechtigte bzw. als Flüchtlinge
- 17
– nicht jedoch die Rücknahme des Antrags auf unionalen subsidiären Schutz – erklärt. Damit sollten jedoch keine Rechtswirkungen ausgelöst werden, die von denen abweichen, die von dem Schreiben vom ... Februar 2014 ausgingen, da das Schreiben vom ... März 2014 ausdrücklich nur der „Klarstellung“ diente.
- 18
1.2 Die Antragsrücknahme ist nicht wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam. Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn die Ausübung eines individuellen Rechts als treuwidrig beanstandet wird (Palandt/Grüneberg, 72. Auflage 2013, § 242 Rn. 40). Dieser Grundsatz gilt auch im öffentlichen Recht (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Auflage 2013, § 79 Rn. 33). Vorliegend kommt die Fallgruppe des widersprüchlichen Verhaltens in Betracht, weil sich die Kläger trotz Antragsrücknahme auf Verfolgungsgründe berufen könnten, wegen deren man Flüchtlingsschutz oder subsidiären unionalen Schutz erlangen könnte. Grundsätzlich lässt die Rechtsordnung widersprüchliches Verhalten zu. Erst wenn besondere Umstände hinzukommen, etwa wenn bei der anderen Seite ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, kann das widersprüchliche Verhalten unwirksam sein (Palandt/Grüneberg, a.a.O., Rn. 55). Solche besonderen Umstände sind nicht ersichtlich. Zunächst ist schon nicht klar, auf welche Verfolgungsgründe sich die Kläger konkret berufen, weil sie bisher zu ihrem Verfolgungsschicksal nicht angehört wurden. Es ist auch nicht so, dass die Kläger durch die Rücknahme des Asylantrags etwas erreichen würden, das ihnen die Rechtsordnung nicht zuerkennen will. Zwar würden sie durch die Zuerkennung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Deutschland ein Aufenthaltsrecht erlangen, obwohl nach der Dublin II-Verordnung ein anderer Mitgliedstaat der EU für die Prüfung des Asylantrags zuständig wäre. Die Rechtsposition, die sie in Deutschland erlangen können, ist jedoch eine andere als bei Durchführung eines Asylverfahrens in Spanien, da § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG rein mitgliedstaatliche Vorschriften sind. Auch auf Deutschland bezogen können sie nicht Dasselbe erlangen wie bei Durchführung eines Asylverfahrens. Die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG, die bei Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erteilt werden soll, gewährt den Inhabern nicht dieselben Rechte wie den Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 oder Abs. 2 AufenthG, die beispielsweise die Erwerbstätigkeit gestattet (§ 25 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Den Angehörigen von Schutzsuchenden, zu deren Gunsten ein mitgliedstaatliches Abschiebungsverbot festgestellt wurde, ist es verwehrt, sich auf den Familienflüchtlingsschutz bzw. subsidiären Familienschutz (§ 26 AsylVfG) zu berufen. Es lässt sich dem Gesetz auch nicht entnehmen, dass keine Situation eintreten soll, bei der nur über das Bestehen ausgewählter Schutzgründe entschieden wird. Im Gegenteil lässt § 13 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG die Beschränkung des Asylantrags auf die Zuerkennung internationalen Schutzes ausdrücklich zu. Wieso vor diesem Hintergrund die Beschränkung des Schutzbegehrens auf andere Abschiebungsverbote rechtsmissbräuchlich sein soll, ist nicht ersichtlich, zumal das Bestehen dieser Abschiebungsverbote nach Rücknahme des Asylantrages von Amts wegen zu prüfen ist (§ 32 Satz 1 AsylVfG). Ein Rechtsmissbrauch ist auch nicht darin zu sehen, dass durch die Rücknahme des Asylantrags die Dublin II-Verordnung unanwendbar wird. Die Herbeiführung einer von der Rechtsordnung gewollten Rechtsfolge (dazu sogleich) kann nämlich nicht rechtsmissbräuchlich sein.
- 19
Die Kläger erlangen durch die Rücknahme des Asylantrags auch keinen Vorteil, den sie ohne Stellung des Asylantrages nicht erhalten hätten. Hätten sie nämlich keinen Asylantrag gestellt und sogleich um die Feststellung der mitgliedstaatlichen Abschiebungsverbote ersucht, wären die Voraussetzungen von § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG ebenfalls zu prüfen gewesen. Der einzige Unterschied besteht darin, dass dies im zuerst genannten Fall durch die Ausländerbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg erfolgt wäre, während dies hier der Beklagten obliegt. Da die Ausländerbehörde gemäß § 72 Abs. 2 AufenthG die Beklagte an der Entscheidung beteiligten müsste, würde die unterschiedliche Zuständigkeit in der Sache keinen Unterschied machen.
- 20
2. Die Anordnung der Abschiebung nach Spanien ist rechtswidrig, weil Spanien kein für die Durchführung des Asylverfahrens zuständiger Staat im Sinne von § 27a AsylVfG ist. Zwar war Spanien nach der Dublin II-Verordnung, die hier zunächst anwendbar war (dazu 2.1), ursprünglich zuständig (dazu 2.2). Die Zuständigkeit ist jedoch mit Rücknahme des Asylbegehrens entfallen (dazu 2.3).
- 21
2.1 Die Dublin II-Verordnung findet auf den vorliegenden Fall noch Anwendung, obwohl sie inzwischen durch Art. 48 UAbs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: Dublin III-VO oder Dublin III-Verordnung) aufgehoben worden ist. Die Dublin III-Verordnung ist (nur) auf Anträge auf internationalen Schutz anwendbar, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden; sie gilt jedoch – ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung – ab diesem Zeitpunkt für alle Gesuche um Aufnahme und Wiederaufnahme von Antragstellern, Art. 49 UAbs. 2 Satz 1 Dublin III-VO. Art. 49 UAbs. 2 Satz 2 Dublin III-VO stellt klar, dass für einen Antrag auf internationalen Schutz, der vor diesem Datum eingereicht wurde, die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nach den Kriterien der Dublin II-VO erfolgt. Die Kläger haben ihre Asylanträge bei der Beklagten am ... September 2013 und damit vor dem 1. Januar 2014 gestellt. Das an Spanien gerichtete Übernahmeersuchen datiert vom ... November 2013 und ist mithin ebenfalls vor dem maßgeblichen Stichtag ergangen.
- 22
2.2 Bis zur Rücknahme des Asylantrags war Spanien im nach Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO maßgeblichen Zeitpunkt der erstmaligen Asylantragstellung in einem Mitgliedstaat gemäß Art. 9 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO zuständig. Danach ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, der das gültige Visum, das der Asylbewerber besitzt, ausgestellt hat, es sei denn, es wurde in Vertretung oder mit schriftlicher Zustimmung eines anderen Mitgliedstaats erteilt. Als die Kläger am ... September 2013 erstmals in der Europäischen Union einen Asylantrag stellten, war das Visum, mit dem sie eingereist sind und das bis zum ... September 2013 galt, noch nicht ungültig geworden. Dafür, dass das Visum in Vertretung oder mit Zustimmung der Beklagten ausgestellt worden sein könnte, ist nichts ersichtlich.
- 23
2.3 Durch die Rücknahme des Asylantrags vom ... Februar 2014 ist die Anwendbarkeit der Dublin II-Verordnung – und damit auch die Zuständigkeit Spaniens – rückwirkend entfallen. Die Rücknahme eines einzigen in der EU gestellten Asylantrags führt auch dann zur Unanwendbarkeit der Dublin II-Verordnung, wenn sie nach der Zustimmung des an sich zuständigen Mitgliedstaats zum Aufnahmeersuchen des Mitgliedstaats, in dem der Antrag gestellt wurde, erfolgt (im Ergebnis ebenso VG München, Urt. v. 9.9.2010 2 K 09.50582, juris, Rn. 14 ff.; VG Frankfurt, Beschl. v. 6.7.2011, 7 L 1757/11, juris, Rn. 5, 12 ff.; VG Ansbach, Beschl. v. 15.9.2011, 9 E 11.30233, juris, Rn. 23; VG Sigmaringen, Beschl. v. 16.3.2012, 1 K 459/12, juris Rn. 7 ff.; VG Regensburg, Urt. v. 2.8.2012, 7 K 12.30025, juris, Rn. 17 ff.; VG Frankfurt, Urt. v. 12.12.2012, 1 K 2973/12, juris, Rn. 21; a. A. die unten genannten Entscheidungen sowie wohl auch Marx, ZAR 2014, 5, 5). Dies ergibt die Auslegung des Urteils des EuGH vom 3. Mai 2012 in der Rs. C-620/10 (Kastrati). In jenem Verfahren ging es um einen Ausländer, der mit einem französischen Visum in die Union eingereist war und in Schweden seinen einzigen Asylantrag gestellt hatte. Noch bevor die französischen Behörden dem Übernahmeersuchen Schwedens zustimmten, nahm er diesen Asylantrag zurück. Der EuGH entschied, dass die Dublin II-Verordnung nicht mehr anzuwenden sei, wenn der Asylantrag zurückgenommen wurde, bevor der für die Prüfung des Antrags zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme des Antragstellers zugestimmt hat. Da der EuGH in der Regel die ihm vorgelegten Rechtsfragen nur insoweit beantwortet, wie es für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens erforderlich ist, kann man allein aus der Formulierung der Antwort auf die Vorlagefrage nicht den Umkehrschluss ziehen, dass im vorliegenden Fall, in dem die Rücknahme nach Zustimmung der Übernahme erfolgte, die Rücknahme unerheblich sei (so aber VG Minden, Beschl. v. 18.7.2012, 1 L 268/12, juris, Rn. 17; VG Augsburg, Urt. v. 11.1.2013, 6 K 12.30358, juris, Rn. 32). Dies gilt hier gerade auch deshalb, weil der EuGH die vom vorlegenden Gericht offen gestellte Frage, ob es für die Folgen der Rücknahme des Asylantrags von Bedeutung sei, in welchem Stadium der Bearbeitung des Asylantrags die Rücknahme erfolge (Rn. 35 des Urteils), nur in dem für das Ausgangsverfahren streitentscheidenden Umfang beantwortet hat.
- 24
Bei Anwendung der vom EuGH in der Kastrati-Entscheidung getroffenen Aussagen zur Anwendung der Dublin II-Verordnung kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass es für die Rechtsfolgen der Rücknahme eines einzigen in der EU gestellten Asylantrags keinen Unterschied macht, ob der aufnehmende Staat der Übernahme bereits zugestimmt hat oder nicht. Dies ergibt sich aus Folgendem: Der EuGH hält in der Kastrati-Entscheidung zunächst fest, dass in dem Fall, in dem ein Asylbewerber seinen einzigen Asylantrag zurücknimmt, bevor der ersuchte Mitgliedstaat der Aufnahme zugestimmt hat, der Hauptzweck der Dublin II-Verordnung nicht mehr erreicht werden könne. Der Hauptzweck läge in der Ermittlung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten (Rn. 42 des Urteils [Hervorhebung hinzugefügt]). Weiter hält der EuGH fest, dass die Situation, in der der Asylbewerber seinen Antrag zurückgenommen hat, ohne in zumindest einem anderen Mitgliedstaat einen solchen Antrag gestellt zu haben, nicht geregelt sei (Rn. 43 des Urteils). Zwar enthielten Art. 4 Abs. 5 UAbs. 2 und Art. 16 Abs. 3 UAbs. 4 Dublin II-VO grundsätzlich abschließende Regelungen für die Fälle, in denen die Verpflichtung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaates erlösche, einen Antragsteller, der in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat, aufzunehmen oder wiederaufzunehmen. Sie setzten aber das Vorliegen eines Asylantrags voraus, den der zuständige Mitgliedstaat prüfen müsse, zu prüfen im Begriff sei oder bereits beschieden habe (Rn. 45 des Urteils). Hieraus muss gefolgert werden, dass für die Fälle, in denen es nach der Rücknahme gerade keinen Asylantrag mehr gibt, den der an sich zuständige Mitgliedstaat „prüfen muss, zu prüfen im Begriff ist oder bereits beschieden hat“, die genannten Ausnahmevorschriften nicht abschließend sein können. Der EuGH teilt sodann mit, dass „das Gleiche“ für Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO gelte (Rn. 46 des Urteils). Dies ist so zu verstehen, dass die dort geregelte sog. „Versteinerungsklausel“ ebenfalls voraussetzt, dass es einen Asylantrag gibt, den der zuständige Mitgliedstaat „prüfen muss, zu prüfen im Begriff ist oder bereits beschieden hat“.
- 25
Hieraus folgt für das erkennende Gericht, dass auch im vorliegenden Fall der Rücknahme des Asylantrags nach Zustimmung zum Übernahmeersuchen die Anwendbarkeit der Dublin II-Verordnung nachträglich wegfällt, weil bei allen vom EuGH in der Kastrati-Entscheidung angeführten Gründen und Gesichtspunkten der Zeitpunkt der Rücknahme des Asylantrages keine Rolle spielt. Nimmt ein Asylbewerber – wie im vorliegenden Fall – seinen Asylantrag nach der Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaates zurück, kann der vom EuGH identifizierte Hauptzweck der Dublin II-Verordnung ebenfalls nicht mehr erfüllt werden. Zwar steht mit Zustimmung zum Übernahmegesuch der für die Prüfung des Asylantrags zuständige Mitgliedstaat fest (hierauf abstellend VG Hamburg, Beschl. v. 12.2.2014, 10 A 5062/13). Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates ist jedoch kein Selbstzweck. Sie erfolgt nämlich, „um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft des Antragstellers zu gewährleisten“. Wenn der Antragsteller durch Rücknahme des Asylantrages zum Ausdruck gebracht hat, dass er eine Prüfung des Vorliegens der Flüchtlingseigenschaften nicht mehr wünscht, bedarf es auch nicht mehr der Ermittlung des hierfür zuständigen Mitgliedstaats. Wenn dessen Ermittlung nur erfolgt, um dem Antragsteller effektiven Zugang zur materiellen Prüfung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten, kann der Hauptzweck der Verordnung auch dann nicht mehr erfüllt werden, wenn der (einzige) Asylantrag nach Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaates zurückgenommen wird.
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Dass die Anwendbarkeit der Dublin II-Verordnung im vorliegenden Fall durch die Rücknahme des Asylantrags nicht wegfällt, ergibt sich nicht aus der Versteinerungsklausel des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO (so VG Karlsruhe, Urt. v. 13.4.2011, 3 K 2110/10, juris, Rn. 29; VG Trier, Beschl. v. 20.12.2011, 5 L 1595/11, juris, Rn. 5). Diese Norm setzt nämlich – wie der EuGH ausgeführt hat – voraus, dass es überhaupt einen Asylantrag gibt, den der zuständige Mitgliedstaat prüfen muss, zu prüfen im Begriff ist oder bereits beschieden hat. Dies ist jedoch auch hier nach der Rücknahme nicht mehr der Fall.
- 27
Dass der Schutzsuchende es bei der hier vertretenen Ansicht noch im gerichtlichen Verfahren in der Hand hat, die Verteilungsregeln der Dublin II-Verordnung außer Kraft zu setzen, führt zu keiner anderen Auslegung. Die Generalanwältin T. hat in ihren Schlussanträgen vom 12. Januar 2012 zwar die Verhinderung des Missbrauchs durch Mehrfachanträge als ein wesentliches Ziel der Dublin II-Verordnung identifiziert und den Grundsatz betont, dass der Mitgliedstaat zuständig sein solle, der am stärksten an der Einreise des Ausländers beteiligt war (Rn. 24 der Schlussanträge). Diese Ziele und Grundsätze würden am besten gewahrt, wenn die Anwendbarkeit der Dublin II-Verordnung durch eine Antragsrücknahme nicht mehr ausgeschlossen werden könnte (wobei auch in diesem Fall der Zeitpunkt der Rücknahme unerheblich wäre, siehe den Vorschlag der Generalanwältin für die Antwort auf die zweite Vorlagefrage, Rn. 54 der Schlussanträge). Der EuGH hat sich bei seiner Entscheidung jedoch gerade nicht von den Überlegungen der Generalanwältin leiten lassen, sondern das Begehren des Schutzsuchenden als „den Hauptzweck“ der Dublin II-Verordnung ins Zentrum seiner Überlegungen gerückt (Rn. 42 des Urteils). Hiervon ausgehend ist es konsequent, die Anwendbarkeit der Verordnung bei Rücknahme eines einzigen in der Union gestellten Asylantrags unabhängig von dessen Zeitpunkt entfallen zu lassen.
IV.
- 28
Die Kostenentscheidung beruht auf § 83b AsylVfG, §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ist entbehrlich, weil aus dem Urteil nichts – auch nicht vorläufig – vollstreckt werden kann.
(1) Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.
(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsaktes. Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte.
(3) Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden.
(4) § 28 ist entsprechend anzuwenden.
(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn
- 1.
sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat; - 2.
neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden; - 3.
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.
(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.
(3) Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.
(4) Über den Antrag entscheidet die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist.
(5) Die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 und des § 49 Abs. 1 bleiben unberührt.
(1) Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.
(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsaktes. Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte.
(3) Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden.
(4) § 28 ist entsprechend anzuwenden.
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Tenor
1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Oktober 2014 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrages als unzulässig und die angeordnete Abschiebung nach Italien.
Der 1990 geborene Kläger, somalischer Staatsangehörigkeit, dem Volke der Tumal zugehörig und moslemischer Religionszugehörigkeit, reiste am ... 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 25. März 2014 Asylantrag.
Aufgrund eines EURODAC-Treffers für Italien der Kategorie 1 am 23. April 2014, wonach der Kläger bereits am 17. April 2013 in Italien/... Asyl beantragt hat, richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 28. Mai 2014 ein Übernahmeersuchen nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) an Italien, auf das innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Wochen nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO keine Antwort bei der Beklagten einging.
Mit Bescheid vom 10. Oktober 2014, zugestellt am 14. Oktober 2014, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig, da Italien aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrages gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Die geltend gemachten Einwände, in Italien Obdachlosigkeit sowie mangelnde Verpflegung und medizinische Versorgung erfahren zu haben, rechtfertigten keine abweichende Beurteilung. Italien als Mitgliedstaat der Europäischen Union erfülle gegenüber Drittstaatsangehörigen, die dort einen Asylantrag stellen, die Mindeststandards. Die Anordnung der Abschiebung nach Italien beruhe auf § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
Mit dem beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2014 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wird ausgeführt, wegen des Ablaufs der Überstellungsfrist müsse der Bescheid nicht aufgehoben werden. Vielmehr stelle sich der Asylantrag in Deutschland als Zweitantrag nach § 71 a AsylVfG dar, der mangels geltend gemachter Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1-3 VwVfG ebenfalls als unzulässig abzulehnen sei. Im Wege der Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG sei die mit Ziff. 1 des Bescheides ausgesprochene Ablehnung des Asylantrages als unzulässig daher aufrecht zu erhalten. Für die klageweise verfolgte Aufhebung von Ziff. 1 des Bescheides vom 10. Oktober 2014 fehle insoweit das Rechtsschutzbedürfnis, jedenfalls sei der Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt. Im Hinblick auf die Abschiebungsanordnung seien nach Ablauf der Überstellungsfrist Modifizierungen als Abschiebungsandrohung in ein Drittland zu prüfen. Die in der Abschiebungsanordnung enthaltene Ausreiseaufforderung bleibe aufrecht erhalten.
Mit Beschluss vom 13. November 2014 wurde die Entscheidung über den Rechtsstreit auf die Einzelrichterin übertragen (§ 76 Abs. 1 AsylVfG). Mit Schriftsatz vom 12. Januar 2015 hat der Kläger sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 14. Januar 2015 auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Akte des Bundesamtes Bezug genommen.
Gründe
Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten kann die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, insbesondere innerhalb der Frist nach § 74 Abs. 1 AsylVfG fristgemäß erhoben und als isolierte Anfechtungsklage statthaft (vgl. OVG NRW, U. v. 7.3.2014 - 1 A 21/12. A; VG München, Gerichtsbescheid
Der Kläger, gegenüber dem weiterhin wirksam die Anordnung der Abschiebung nach Italien und die Ablehnung seines Asylantrages als unzulässig ausgesprochen ist, hat auch ein fortbestehendes, rechtlich schutzwürdiges Interesse an dem erstrebten Rechtsschutzziel. Das Rechtsschutzbedürfnis wäre nur dann abzusprechen, wenn die Rechtsverfolgung dem Kläger unter keinem denkbaren Gesichtspunkt einen rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil verschaffen könnte. Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich. Die von der Beklagten angeführte Möglichkeit einer verwaltungsrechtlichen Umdeutung nach § 47 VwVfG lässt indes nicht das Rechtsschutzinteresse des Klägers an der Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides entfallen.
Die Klage ist auch begründet.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 10. Oktober 2014 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 AsylVfG) mit Ablauf der in Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin III-VO geregelten Überstellungsfrist rechtswidrig geworden und verletzt den Kläger in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Die Ablehnung des Asylantrages als unzulässig in Ziff. 1 des angefochtenen Bescheides ist mit Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO wegen des damit verbundenen Übergangs der Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat rechtswidrig geworden.
Mangels eines eingelegten Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz bestimmt sich die Überstellungsfrist im vorliegenden Fall gemäß Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO nach dem Zeitpunkt der Annahme des Wiederaufnahmeersuchens vom 28. Mai 2014, mithin nach der Zustimmungsfiktion nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III VO beginnend am 12. Juni 2014. Das Gericht folgt hinsichtlich der Fristberechnung nicht der in der Literatur vertretenen Auffassung, nach der wegen der nationalen Bestimmung des § 34 a Abs. 2 S. 2 AsylVfG, wonach eine Abschiebung innerhalb der Antragsfrist von einer Woche eine Abschiebung nicht zulässig sei, davon ausgegangen wird, dass für den Fall eines unterlassenen Antrags auf Eilrechtsschutz die Überstellungsfrist wegen dieses nationalen Mechanismus erst ab Ablauf der Wochenfrist zu beginnen laufe, da während dieser Zeit die Abschiebung kraft Verfassungsrecht (Art. 19 Abs. 4 GG) ausgesetzt sei (vgl. Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand 11/2013, § 27 a Rn. 227). Diese Auffassung findet im Wortlaut des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO keine Stütze, der hinsichtlich des Fristbeginns an die Annahme des Aufnahmegesuchs oder die Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung anknüpft. Die in § 34 a Abs. 2 S. 2 AsylVfG gesetzlich vorgesehene Aussetzung der Abschiebung während der Rechtsbehelfsfrist für den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellt sich ohne entsprechenden Antrag auf Eilrechtsschutz jedoch gerade nicht als ein Rechtsbehelf oder eine Überprüfung dar, die den Lauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO erneut in Gang setzt. Nach dieser Auffassung könnte die Überstellungsfrist in keinem denkbaren Fall mit der Annahme des Aufnahmeersuchens beginnen, und die nationalen Behörden könnten durch den Zeitpunkt des Bescheiderlasses den Fristbeginn einseitig bestimmen. Dies stünde jedoch erkennbar im Widerspruch zu der Zielsetzung des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO, der durch die getroffene Fristenregelung im Interesse einer Verfahrensbeschleunigung sowohl den Interessen des aufnehmenden als auch des überstellenden Mitgliedstaates Rechnung tragen will.
Die Überstellungsfrist begann vorliegend somit mit der Annahmefiktion nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO am 12. Juni 2014 war daher am 12. Dezember 2014 abgelaufen. Anhaltspunkte für eine Verlängerung der Frist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO oder eine fortbestehende Aufnahmebereitschaft des Mitgliedstaats Italien trotz Ablaufs der Überstellungsfrist sind nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als vorliegend der Mitgliedstaat Italien weder auf das Aufnahmeersuchen noch auf eine Erinnerung des Bundesamts reagiert hat, mithin die Übernahmebereitschaft nicht positiv bekundet wurde. Mit Ablauf der Überstellungsfrist endet die durch die Zustimmungsfiktion auf das Aufnahmeersuchen begründete Zuständigkeit des Mitgliedstaats Italien, und die Beklagte ist für den bei ihr gestellten Asylantrag nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO zuständig geworden.
Den Übergang der Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz auf die Beklagte kann der Kläger auch geltend machen. Dem steht nicht die Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes entgegen, wonach der Asylbewerber dem erfolgreichen Aufnahmeersuchen nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen treten kann (vergleiche EuGH, U. v. 10.12.2013 - C -394/12 - juris). Daraus wird in der Rechtsprechung die Folgerung gezogen, ein Asylbewerber habe kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin-Verordnungen auch zuständige Mitgliedstaat sei oder ob nicht zwischenzeitlich ein anderer Mitgliedstaat bzw. - durch Zeitablauf oder durch konkludenten Selbsteintritt - die Bundesrepublik Deutschland zuständig geworden sei (so NdsOVG, B. v. 6.11.2014 - 13 LA 66/14; HessVGH, B. v. 25.8.2014 - 2 A 975/14. A - OVG RhPf., U. v. 21.2.2014 - 10 A 10656/13; VGH BW, U. v. 27.8.2014 - A 11 S 1285/14 - und
Zwar kann grundsätzlich eine Berufung auf eine Verletzung von Verfahrens- und Fristenregelungen der Dublin-Verordnungen der Klage eines Asylbewerbers mangels einklagbarer subjektiver Rechte nicht zum Erfolg verhelfen. Denn der Unionsgesetzgeber hat die Bestimmungen der Dublin-Verordnungen erlassen, um im Interesse der Verfahrensbeschleunigung die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und dadurch einem „forum shopping“ zuvorzukommen (vgl. EuGH, a.a.O, Nr. 53). Einer der Hauptzwecke der Verordnung besteht in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden (vgl. EuGH, a. a. O., Nr. 59). Wegen des vorrangigen Ziels einer eindeutigen und zeitnahen Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates wollte der Unionsgesetzgeber einem Asylbewerber mit der Dublin II-Verordnung und gleichermaßen mit der Dublin III-Verordnung keine weitergehende Rechtsposition vermitteln, seinen Asylantrag in einem ganz bestimmten Mitgliedstaat, in dem er einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat, prüfen zu lassen.
Etwas anderes hat jedoch dann zu gelten, wenn durch den Übergang der Zuständigkeit auf den prüfenden bzw. ersuchenden Mitgliedstaat infolge Ablaufs der Überstellungsfrist und nunmehr fehlender Aufnahmebereitschaft des ersuchten Mitgliedstaates die Gefahr besteht, dass der Antrag des Asylbewerbers in keinem Mitgliedstaat geprüft wird. Denn auch wenn die Dublin III-Verordnung kein subjektives Recht auf Durchführung eines Asylverfahrens im zuständigen Mitgliedstaat begründet, so ist die Rechtsstellung des Einzelnen zumindest insoweit als geschützt anzusehen, als jedenfalls ein zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens gewährleistet sein muss. Das mit dem Dublin III-VO verfolgte Interesse einer Verfahrensbeschleunigung und die Überstellungsfrist von sechs Monaten schützen auch das Interesse des Einzelnen an einer Durchführung des Asylverfahrens binnen angemessener Frist (vgl. VG Münster, U. v. 19.11.2014 - 1 K 1136/14.A -; VG Karlsruhe, B. v. 30.11.2014 - A 5 K 2026/14 - juris). Zumindest dann, wenn zur Fristüberschreitung als solche eine fehlende Übernahmebereitschaft des zunächst zuständigen Mitgliedstaates hinzukommt und damit die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens insgesamt versagt bleiben könnte, ist eine geltend zu machende subjektive Rechtsposition zu bejahen (vgl. „Umschlagen in eine Grundrechtsverletzung“, VG Hannover, B. v. 10.11.2014 - 1 B 12764/14 - juris). Durch den Übergang der Zuständigkeit infolge Ablaufs der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO ohne fortbestehende Übernahmebereitschaft des zunächst zuständigen Mitgliedstaat ist somit die Rechtsstellung des Klägers insoweit betroffen, als mit dem Zuständigkeitsübergang das Rechtsregime der Dublin III-Verordnung endet und ihm mit dem Übergang ins nationale Verfahren eine Behandlung seines Asylantrages nach dem Asylverfahrensgesetz zusteht (ebenso VG Ansbach, U. v. 8.10.2014 - AN 10 K 14.30043 -; VG Aachen, U. v. 18.11.2014 - 9 K 161/14. A -; VG Würzburg, B. v. 30.10.2014 - W 3 E 14.50144; a.A. VG Würzburg, B. v. 11.6.2014 - W 6 S 14.50065 - jeweils juris).
Eine Umdeutung des Bescheides vom 10. Oktober 2014 in eine ablehnende Entscheidung nach § 71a AsylVfG ist nicht möglich, da die Voraussetzungen des § 47 VwVfG für eine Umdeutung nicht vorliegen.
Nach § 47 Abs. 1 VwVfG kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und -form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.
Der einer Umdeutung zugrunde liegende Rechtsgedanke ist, dass eine einmal getroffene rechtliche Regelung soweit wie möglich aufrecht zu erhalten ist, wenn der Fehler des ursprünglichen Verwaltungsaktes durch die Erkenntnis einer neuen Rechtsfolge, das Ersetzen der Regelung beseitigt werden kann (vgl. Schemmer in Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 47 Rn. 1, 6). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dürfen zwischen der umzudeutenden und der durch die Umdeutung erzeugten Regelung keine wesentlichen rechtlichen Unterschiede bestehen, d. h. der neue Verwaltungsakt muss die gleiche materiell-rechtliche Tragweite besitzen (BVerwG, U.v. 28.2.1975 - IV C 30.73
Hinsichtlich der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig in Ziffer 1 des Bescheides vom 10. Oktober 2014 sind diese Voraussetzungen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht erfüllt, weil zum einen für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates im Rahmen des Dublin-Verfahrens andere Verfahrensbestimmungen gelten als für die Prüfung eines Zweitantrages nach § 71 a AsylVfG, und zum anderen die Ablehnung der Prüfung eines Zweitantrages eine weitergehende rechtliche Tragweite aufweist als die ursprünglich im Dublin-Verfahren ergangene Entscheidung. Denn die Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-) Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren (vgl. OVG NRW, U. v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - juris, Rn. 36). Die Zuständigkeitsprüfung nach den Dublin-Verordnungen ist ein eigenes, der Prüfung des Asylantrages vorgelagertes Verfahren und von dem Verfahren zur inhaltlichen Prüfung des Asylantrages zu unterscheiden (vgl. NdsOVG, B. v. 6.11.2014 - 13 LA 66/14 - juris, Rn. 7). Die Entscheidung im Dublin-Verfahren erschöpft sich in der Beantwortung der Zuständigkeitsfrage. Für § 27a AsylVfG kommt es nur darauf an, ob die Beklagte nach den Vorschriften der Dublin-Verordnungen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Demgegenüber hat die Ablehnung eines Zweitantrages nach § 71 a AsylVfG eine entscheidend andere Rechtswirkung, dessen Konsequenz insoweit gänzlich unterschiedlich ist, als keine Abschiebungsanordnung in den zuständigen EU-Mitgliedstaat sondern regelmäßig eine Abschiebungsandrohung in den jeweiligen Herkunftsstaat gem. § 36 AsylVfG ergeht. Die Beklagte müsste somit im Rahmen des Zweitantrages, für den sie im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylVfG zuständig ist, nicht nur die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG, sondern gemäß § 71a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG i. V. m. § 24 Abs. 2 AsylVfG auch die zielstaatbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG prüfen.
Die Entscheidung nach § 71 a Abs. 1 AsylVfG weist damit eine weitergehende rechtliche Tragweite auf als die Entscheidung nach § 27 a AsylVfG, auch wenn beide Entscheidungen in ihrem Tenor die Ablehnung des Asylantrages als unzulässig beinhalten können. Deshalb scheitert die von der Beklagten vorgenommene Umdeutung der Ziffer 1 des Bescheides bereits an der Zielgleichheit des Umdeutungsergebnisses.
Darüber hinaus scheitert eine Umdeutung des Bescheides auch an den verfahrensrechtlichen Voraussetzungen. Für den durch die Umdeutung gewonnenen Verwaltungsakt dürfen nämlich keine Verfahrensvorschriften gelten, die bei dem ursprünglichen Verwaltungsakt nicht eingehalten worden sind (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 47 Rn. 17). Die Verfahrensbestimmungen für die Ablehnung eines Zweitantrags nach § 71 a AsylVfG sind indes nicht erfüllt. Der Kläger wurde zu den maßgeblichen Tatsachen des Zweitantrages (materielle Fluchtgründe und Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG) nicht angehört, wie dies nach § 71a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG i. V. m. § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG vorgeschrieben ist. Zwar kann nach § 71 a Abs. 2 S. 2 AsylVfG von der Anhörung abgesehen werden, soweit sie für die Feststellung, dass kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, nicht erforderlich ist. Ausweislich der vorgelegten Behördenakten fanden am 25. März 2014 lediglich eine Befragung zur Vorbereitung der Anhörung und das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens statt. Außerdem wurde der Kläger am 17. März 2014 bei der Regierung von Mittelfranken - Zentrale Rückführungsstelle Nordbayern - zu seiner Identität angehört. Eine Gelegenheit zum Vortrag materieller Fluchtgründe oder zur Klärung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bestand im Verwaltungsverfahren jedoch nie. Die Anhörung ist auch notwendig, weil die Beklagte mangels weiterer Angaben noch nicht einmal entscheiden kann, ob Wiederaufnahmegründe vorliegen, wenn nicht bekannt ist, welche Gründe der Kläger in seinem Erstverfahren in Italien vorgebracht hat. Der Kläger wurde somit bislang weder nach § 25 AsylVfG angehört, noch wurden konkrete Feststellungen zum Vorbringen und dem Abschluss des Asylverfahrens in Italien getroffen. Mangels bislang nicht stattgefundener Anhörung im Bundesgebiet, ist ein ermessensfehlerfreies Absehen von einer Anhörung nach § 71 a Abs. 2 S. 2 AsylVfG praktisch kaum denkbar. Darüber hinaus erscheint eine Beurteilung möglicher Wiederaufnahmegründe nach § 51Abs. 1 bis 3 VwVfG ohne Kenntnis über den Verfahrensabschluss in Italien nicht möglich (vgl. BayVGH, U. v. 9.10.2014 - 20 B 13.30332 - juris).
Wegen fehlender Zielgleichheit des Umdeutungsergebnisses und unterschiedlicher Verfahrensbestimmungen muss eine Umdeutung der Ablehnung des Asylantrages als unzulässig nach § 27 a AsylVfG in die Ablehnung eines Zweitantrages nach § 71 a AsylVfG daher ausscheiden (vgl. ebenso: VG Ansbach, U. v. 8.10.2014 - An 10 K 14.30043 -; VG Würzburg, U. v. 27.11.2014 - W 3 K 13.30553 -; VG Aachen, U. v. 18.11.2014 - 9 K 161/14.A -; VG Regensburg, U. v. 14.11.2014 - RN 5 K 14.30304 - und Gerichtsbesch.
Das Gericht kann die Voraussetzungen für eine Umdeutung des Verwaltungsaktes im gerichtlichen Verfahren auch nicht herbeiführen. Zwar hat das Gericht grundsätzlich die Sache spruchreif zu machen. Dieser auch im Asylverfahren geltende Grundsatz findet allerdings auf behördliche Entscheidungen, die auf der Grundlage von § 27a AsylVfG ergangen sind, keine Anwendung (vgl. auch BayVGH, U. v. 28.2.2014 - 13a B 13.30295 -; VGH BW, U. v. 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 - beide: juris). Denn wenn das Asylbegehren in der Sache noch gar nicht geprüft worden ist und das Gericht verpflichtet wäre, die Sache spruchreif zu machen, ginge der Klagepartei eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien ausgestattet ist. Außerdem würde ein Durchentscheiden des Gerichts dazu führen, dass es nicht eine Entscheidung der Behörde kontrollieren würde, sondern sich anstelle der Exekutive erstmalig selbst mit dem Antrag sachlich auseinandersetzen und entscheiden würde. Dies wäre im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 GG zumindest bedenklich (vgl. VG Würzburg, U. v. 27.11.2014 - W 3 K 13.30553 -; VG Augsburg, Gerichtsbesch.
Ein Aufrechterhalten eines Bescheides unter einer anderen Rechtsgrundlage kommt im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) ebenfalls nicht in Betracht, wenn dies - wie vorliegend - ohne weitere und umfangreiche Ermittlungen bei italienischen Behörden, die nicht der Amtshilfeverpflichtung nach § 14 VwGO unterliegen, nicht möglich ist (vgl. BayVGH, U. v. 9.10.2014 - 20 B 13.30332 - juris).
Die Abschiebungsanordnung nach Italien gem. § 34 a AsylVfG in Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheides ist nach Ablauf der Überstellungsfrist ebenfalls rechtswidrig geworden und kann nicht in eine Abschiebungsandrohung in das Herkunftsland des Klägers umgedeutet werden. Auch hier fehlt es offensichtlich an der Zielgleichheit des Umdeutungsergebnisses. Zudem wäre die Androhung der Abschiebung in den Herkunftsstaat gegenüber der Abschiebung in den EU-Mitgliedsstaat als sicheren Drittstaat eine vergleichsweise ungünstigere Rechtsfolge. Eine Umdeutung der Abschiebungsanordnung nach Italien in eine Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat gemäß § 47 Abs. 1 VwVfG scheitert daran, dass es sich beim Austausch des Zielstaats um eine weitgehende inhaltliche Änderung der Abschiebungsandrohung handelt (vgl. BVerwG, U. v. 17.6.2014 - 10 C 7/13 - NVwZ 2014, 1460 ff.). Somit steht auch hinsichtlich Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheides § 47 Abs. 2 Satz 1 VwVfG der Umdeutung entgegen.
Nachdem die Umdeutung des streitgegenständlichen Bescheides ausscheidet, kann der Kläger durch die Aufhebung des Bescheides auch einen rechtlichen Vorteil erlangen. Denn nach Aufhebung des Bescheides ist die Beklagte verpflichtet, über den gestellten Asylantrag zu entscheiden.
Der Bescheid vom 10. Oktober 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Wie ausgeführt kann auch in Ansehung des Grundsatzes, wonach die Bestimmungen der Dublin II-VO - wie die der Dublin III-VO - grundsätzlich keine subjektiven Rechte des Schutzsuchenden begründen, der Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens als notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs gegenüber dem nunmehr zuständigen Staat geltend gemacht werden, wenn - wie vorliegend - die Überstellungsfrist abgelaufen und wegen nicht fortbestehender Übernahmebereitschaft des ursprünglich zuständigen Mitgliedstaats eine Prüfung des Asylantrages ansonsten gänzlich versagt bliebe.
Somit war der streitgegenständliche Bescheid mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG aufzuheben.
Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Tenor
I.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen.
III.
Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Gründe
(1) Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.
(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsaktes. Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte.
(3) Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden.
(4) § 28 ist entsprechend anzuwenden.
(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn
- 1.
sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat; - 2.
neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden; - 3.
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.
(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.
(3) Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.
(4) Über den Antrag entscheidet die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist.
(5) Die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 und des § 49 Abs. 1 bleiben unberührt.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
Tenor
1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Oktober 2014 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrages als unzulässig und die angeordnete Abschiebung nach Italien.
Der 1990 geborene Kläger, somalischer Staatsangehörigkeit, dem Volke der Tumal zugehörig und moslemischer Religionszugehörigkeit, reiste am ... 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 25. März 2014 Asylantrag.
Aufgrund eines EURODAC-Treffers für Italien der Kategorie 1 am 23. April 2014, wonach der Kläger bereits am 17. April 2013 in Italien/... Asyl beantragt hat, richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 28. Mai 2014 ein Übernahmeersuchen nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) an Italien, auf das innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Wochen nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO keine Antwort bei der Beklagten einging.
Mit Bescheid vom 10. Oktober 2014, zugestellt am 14. Oktober 2014, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig, da Italien aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrages gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Die geltend gemachten Einwände, in Italien Obdachlosigkeit sowie mangelnde Verpflegung und medizinische Versorgung erfahren zu haben, rechtfertigten keine abweichende Beurteilung. Italien als Mitgliedstaat der Europäischen Union erfülle gegenüber Drittstaatsangehörigen, die dort einen Asylantrag stellen, die Mindeststandards. Die Anordnung der Abschiebung nach Italien beruhe auf § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
Mit dem beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2014 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wird ausgeführt, wegen des Ablaufs der Überstellungsfrist müsse der Bescheid nicht aufgehoben werden. Vielmehr stelle sich der Asylantrag in Deutschland als Zweitantrag nach § 71 a AsylVfG dar, der mangels geltend gemachter Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1-3 VwVfG ebenfalls als unzulässig abzulehnen sei. Im Wege der Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG sei die mit Ziff. 1 des Bescheides ausgesprochene Ablehnung des Asylantrages als unzulässig daher aufrecht zu erhalten. Für die klageweise verfolgte Aufhebung von Ziff. 1 des Bescheides vom 10. Oktober 2014 fehle insoweit das Rechtsschutzbedürfnis, jedenfalls sei der Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt. Im Hinblick auf die Abschiebungsanordnung seien nach Ablauf der Überstellungsfrist Modifizierungen als Abschiebungsandrohung in ein Drittland zu prüfen. Die in der Abschiebungsanordnung enthaltene Ausreiseaufforderung bleibe aufrecht erhalten.
Mit Beschluss vom 13. November 2014 wurde die Entscheidung über den Rechtsstreit auf die Einzelrichterin übertragen (§ 76 Abs. 1 AsylVfG). Mit Schriftsatz vom 12. Januar 2015 hat der Kläger sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 14. Januar 2015 auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Akte des Bundesamtes Bezug genommen.
Gründe
Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten kann die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, insbesondere innerhalb der Frist nach § 74 Abs. 1 AsylVfG fristgemäß erhoben und als isolierte Anfechtungsklage statthaft (vgl. OVG NRW, U. v. 7.3.2014 - 1 A 21/12. A; VG München, Gerichtsbescheid
Der Kläger, gegenüber dem weiterhin wirksam die Anordnung der Abschiebung nach Italien und die Ablehnung seines Asylantrages als unzulässig ausgesprochen ist, hat auch ein fortbestehendes, rechtlich schutzwürdiges Interesse an dem erstrebten Rechtsschutzziel. Das Rechtsschutzbedürfnis wäre nur dann abzusprechen, wenn die Rechtsverfolgung dem Kläger unter keinem denkbaren Gesichtspunkt einen rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil verschaffen könnte. Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich. Die von der Beklagten angeführte Möglichkeit einer verwaltungsrechtlichen Umdeutung nach § 47 VwVfG lässt indes nicht das Rechtsschutzinteresse des Klägers an der Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides entfallen.
Die Klage ist auch begründet.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 10. Oktober 2014 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 AsylVfG) mit Ablauf der in Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin III-VO geregelten Überstellungsfrist rechtswidrig geworden und verletzt den Kläger in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Die Ablehnung des Asylantrages als unzulässig in Ziff. 1 des angefochtenen Bescheides ist mit Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO wegen des damit verbundenen Übergangs der Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat rechtswidrig geworden.
Mangels eines eingelegten Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz bestimmt sich die Überstellungsfrist im vorliegenden Fall gemäß Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO nach dem Zeitpunkt der Annahme des Wiederaufnahmeersuchens vom 28. Mai 2014, mithin nach der Zustimmungsfiktion nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III VO beginnend am 12. Juni 2014. Das Gericht folgt hinsichtlich der Fristberechnung nicht der in der Literatur vertretenen Auffassung, nach der wegen der nationalen Bestimmung des § 34 a Abs. 2 S. 2 AsylVfG, wonach eine Abschiebung innerhalb der Antragsfrist von einer Woche eine Abschiebung nicht zulässig sei, davon ausgegangen wird, dass für den Fall eines unterlassenen Antrags auf Eilrechtsschutz die Überstellungsfrist wegen dieses nationalen Mechanismus erst ab Ablauf der Wochenfrist zu beginnen laufe, da während dieser Zeit die Abschiebung kraft Verfassungsrecht (Art. 19 Abs. 4 GG) ausgesetzt sei (vgl. Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand 11/2013, § 27 a Rn. 227). Diese Auffassung findet im Wortlaut des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO keine Stütze, der hinsichtlich des Fristbeginns an die Annahme des Aufnahmegesuchs oder die Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung anknüpft. Die in § 34 a Abs. 2 S. 2 AsylVfG gesetzlich vorgesehene Aussetzung der Abschiebung während der Rechtsbehelfsfrist für den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellt sich ohne entsprechenden Antrag auf Eilrechtsschutz jedoch gerade nicht als ein Rechtsbehelf oder eine Überprüfung dar, die den Lauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO erneut in Gang setzt. Nach dieser Auffassung könnte die Überstellungsfrist in keinem denkbaren Fall mit der Annahme des Aufnahmeersuchens beginnen, und die nationalen Behörden könnten durch den Zeitpunkt des Bescheiderlasses den Fristbeginn einseitig bestimmen. Dies stünde jedoch erkennbar im Widerspruch zu der Zielsetzung des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO, der durch die getroffene Fristenregelung im Interesse einer Verfahrensbeschleunigung sowohl den Interessen des aufnehmenden als auch des überstellenden Mitgliedstaates Rechnung tragen will.
Die Überstellungsfrist begann vorliegend somit mit der Annahmefiktion nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO am 12. Juni 2014 war daher am 12. Dezember 2014 abgelaufen. Anhaltspunkte für eine Verlängerung der Frist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO oder eine fortbestehende Aufnahmebereitschaft des Mitgliedstaats Italien trotz Ablaufs der Überstellungsfrist sind nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als vorliegend der Mitgliedstaat Italien weder auf das Aufnahmeersuchen noch auf eine Erinnerung des Bundesamts reagiert hat, mithin die Übernahmebereitschaft nicht positiv bekundet wurde. Mit Ablauf der Überstellungsfrist endet die durch die Zustimmungsfiktion auf das Aufnahmeersuchen begründete Zuständigkeit des Mitgliedstaats Italien, und die Beklagte ist für den bei ihr gestellten Asylantrag nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO zuständig geworden.
Den Übergang der Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz auf die Beklagte kann der Kläger auch geltend machen. Dem steht nicht die Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes entgegen, wonach der Asylbewerber dem erfolgreichen Aufnahmeersuchen nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen treten kann (vergleiche EuGH, U. v. 10.12.2013 - C -394/12 - juris). Daraus wird in der Rechtsprechung die Folgerung gezogen, ein Asylbewerber habe kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin-Verordnungen auch zuständige Mitgliedstaat sei oder ob nicht zwischenzeitlich ein anderer Mitgliedstaat bzw. - durch Zeitablauf oder durch konkludenten Selbsteintritt - die Bundesrepublik Deutschland zuständig geworden sei (so NdsOVG, B. v. 6.11.2014 - 13 LA 66/14; HessVGH, B. v. 25.8.2014 - 2 A 975/14. A - OVG RhPf., U. v. 21.2.2014 - 10 A 10656/13; VGH BW, U. v. 27.8.2014 - A 11 S 1285/14 - und
Zwar kann grundsätzlich eine Berufung auf eine Verletzung von Verfahrens- und Fristenregelungen der Dublin-Verordnungen der Klage eines Asylbewerbers mangels einklagbarer subjektiver Rechte nicht zum Erfolg verhelfen. Denn der Unionsgesetzgeber hat die Bestimmungen der Dublin-Verordnungen erlassen, um im Interesse der Verfahrensbeschleunigung die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und dadurch einem „forum shopping“ zuvorzukommen (vgl. EuGH, a.a.O, Nr. 53). Einer der Hauptzwecke der Verordnung besteht in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden (vgl. EuGH, a. a. O., Nr. 59). Wegen des vorrangigen Ziels einer eindeutigen und zeitnahen Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates wollte der Unionsgesetzgeber einem Asylbewerber mit der Dublin II-Verordnung und gleichermaßen mit der Dublin III-Verordnung keine weitergehende Rechtsposition vermitteln, seinen Asylantrag in einem ganz bestimmten Mitgliedstaat, in dem er einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat, prüfen zu lassen.
Etwas anderes hat jedoch dann zu gelten, wenn durch den Übergang der Zuständigkeit auf den prüfenden bzw. ersuchenden Mitgliedstaat infolge Ablaufs der Überstellungsfrist und nunmehr fehlender Aufnahmebereitschaft des ersuchten Mitgliedstaates die Gefahr besteht, dass der Antrag des Asylbewerbers in keinem Mitgliedstaat geprüft wird. Denn auch wenn die Dublin III-Verordnung kein subjektives Recht auf Durchführung eines Asylverfahrens im zuständigen Mitgliedstaat begründet, so ist die Rechtsstellung des Einzelnen zumindest insoweit als geschützt anzusehen, als jedenfalls ein zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens gewährleistet sein muss. Das mit dem Dublin III-VO verfolgte Interesse einer Verfahrensbeschleunigung und die Überstellungsfrist von sechs Monaten schützen auch das Interesse des Einzelnen an einer Durchführung des Asylverfahrens binnen angemessener Frist (vgl. VG Münster, U. v. 19.11.2014 - 1 K 1136/14.A -; VG Karlsruhe, B. v. 30.11.2014 - A 5 K 2026/14 - juris). Zumindest dann, wenn zur Fristüberschreitung als solche eine fehlende Übernahmebereitschaft des zunächst zuständigen Mitgliedstaates hinzukommt und damit die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens insgesamt versagt bleiben könnte, ist eine geltend zu machende subjektive Rechtsposition zu bejahen (vgl. „Umschlagen in eine Grundrechtsverletzung“, VG Hannover, B. v. 10.11.2014 - 1 B 12764/14 - juris). Durch den Übergang der Zuständigkeit infolge Ablaufs der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO ohne fortbestehende Übernahmebereitschaft des zunächst zuständigen Mitgliedstaat ist somit die Rechtsstellung des Klägers insoweit betroffen, als mit dem Zuständigkeitsübergang das Rechtsregime der Dublin III-Verordnung endet und ihm mit dem Übergang ins nationale Verfahren eine Behandlung seines Asylantrages nach dem Asylverfahrensgesetz zusteht (ebenso VG Ansbach, U. v. 8.10.2014 - AN 10 K 14.30043 -; VG Aachen, U. v. 18.11.2014 - 9 K 161/14. A -; VG Würzburg, B. v. 30.10.2014 - W 3 E 14.50144; a.A. VG Würzburg, B. v. 11.6.2014 - W 6 S 14.50065 - jeweils juris).
Eine Umdeutung des Bescheides vom 10. Oktober 2014 in eine ablehnende Entscheidung nach § 71a AsylVfG ist nicht möglich, da die Voraussetzungen des § 47 VwVfG für eine Umdeutung nicht vorliegen.
Nach § 47 Abs. 1 VwVfG kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und -form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.
Der einer Umdeutung zugrunde liegende Rechtsgedanke ist, dass eine einmal getroffene rechtliche Regelung soweit wie möglich aufrecht zu erhalten ist, wenn der Fehler des ursprünglichen Verwaltungsaktes durch die Erkenntnis einer neuen Rechtsfolge, das Ersetzen der Regelung beseitigt werden kann (vgl. Schemmer in Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 47 Rn. 1, 6). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dürfen zwischen der umzudeutenden und der durch die Umdeutung erzeugten Regelung keine wesentlichen rechtlichen Unterschiede bestehen, d. h. der neue Verwaltungsakt muss die gleiche materiell-rechtliche Tragweite besitzen (BVerwG, U.v. 28.2.1975 - IV C 30.73
Hinsichtlich der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig in Ziffer 1 des Bescheides vom 10. Oktober 2014 sind diese Voraussetzungen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht erfüllt, weil zum einen für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates im Rahmen des Dublin-Verfahrens andere Verfahrensbestimmungen gelten als für die Prüfung eines Zweitantrages nach § 71 a AsylVfG, und zum anderen die Ablehnung der Prüfung eines Zweitantrages eine weitergehende rechtliche Tragweite aufweist als die ursprünglich im Dublin-Verfahren ergangene Entscheidung. Denn die Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-) Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren (vgl. OVG NRW, U. v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - juris, Rn. 36). Die Zuständigkeitsprüfung nach den Dublin-Verordnungen ist ein eigenes, der Prüfung des Asylantrages vorgelagertes Verfahren und von dem Verfahren zur inhaltlichen Prüfung des Asylantrages zu unterscheiden (vgl. NdsOVG, B. v. 6.11.2014 - 13 LA 66/14 - juris, Rn. 7). Die Entscheidung im Dublin-Verfahren erschöpft sich in der Beantwortung der Zuständigkeitsfrage. Für § 27a AsylVfG kommt es nur darauf an, ob die Beklagte nach den Vorschriften der Dublin-Verordnungen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Demgegenüber hat die Ablehnung eines Zweitantrages nach § 71 a AsylVfG eine entscheidend andere Rechtswirkung, dessen Konsequenz insoweit gänzlich unterschiedlich ist, als keine Abschiebungsanordnung in den zuständigen EU-Mitgliedstaat sondern regelmäßig eine Abschiebungsandrohung in den jeweiligen Herkunftsstaat gem. § 36 AsylVfG ergeht. Die Beklagte müsste somit im Rahmen des Zweitantrages, für den sie im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylVfG zuständig ist, nicht nur die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG, sondern gemäß § 71a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG i. V. m. § 24 Abs. 2 AsylVfG auch die zielstaatbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG prüfen.
Die Entscheidung nach § 71 a Abs. 1 AsylVfG weist damit eine weitergehende rechtliche Tragweite auf als die Entscheidung nach § 27 a AsylVfG, auch wenn beide Entscheidungen in ihrem Tenor die Ablehnung des Asylantrages als unzulässig beinhalten können. Deshalb scheitert die von der Beklagten vorgenommene Umdeutung der Ziffer 1 des Bescheides bereits an der Zielgleichheit des Umdeutungsergebnisses.
Darüber hinaus scheitert eine Umdeutung des Bescheides auch an den verfahrensrechtlichen Voraussetzungen. Für den durch die Umdeutung gewonnenen Verwaltungsakt dürfen nämlich keine Verfahrensvorschriften gelten, die bei dem ursprünglichen Verwaltungsakt nicht eingehalten worden sind (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 47 Rn. 17). Die Verfahrensbestimmungen für die Ablehnung eines Zweitantrags nach § 71 a AsylVfG sind indes nicht erfüllt. Der Kläger wurde zu den maßgeblichen Tatsachen des Zweitantrages (materielle Fluchtgründe und Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG) nicht angehört, wie dies nach § 71a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG i. V. m. § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG vorgeschrieben ist. Zwar kann nach § 71 a Abs. 2 S. 2 AsylVfG von der Anhörung abgesehen werden, soweit sie für die Feststellung, dass kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, nicht erforderlich ist. Ausweislich der vorgelegten Behördenakten fanden am 25. März 2014 lediglich eine Befragung zur Vorbereitung der Anhörung und das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens statt. Außerdem wurde der Kläger am 17. März 2014 bei der Regierung von Mittelfranken - Zentrale Rückführungsstelle Nordbayern - zu seiner Identität angehört. Eine Gelegenheit zum Vortrag materieller Fluchtgründe oder zur Klärung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bestand im Verwaltungsverfahren jedoch nie. Die Anhörung ist auch notwendig, weil die Beklagte mangels weiterer Angaben noch nicht einmal entscheiden kann, ob Wiederaufnahmegründe vorliegen, wenn nicht bekannt ist, welche Gründe der Kläger in seinem Erstverfahren in Italien vorgebracht hat. Der Kläger wurde somit bislang weder nach § 25 AsylVfG angehört, noch wurden konkrete Feststellungen zum Vorbringen und dem Abschluss des Asylverfahrens in Italien getroffen. Mangels bislang nicht stattgefundener Anhörung im Bundesgebiet, ist ein ermessensfehlerfreies Absehen von einer Anhörung nach § 71 a Abs. 2 S. 2 AsylVfG praktisch kaum denkbar. Darüber hinaus erscheint eine Beurteilung möglicher Wiederaufnahmegründe nach § 51Abs. 1 bis 3 VwVfG ohne Kenntnis über den Verfahrensabschluss in Italien nicht möglich (vgl. BayVGH, U. v. 9.10.2014 - 20 B 13.30332 - juris).
Wegen fehlender Zielgleichheit des Umdeutungsergebnisses und unterschiedlicher Verfahrensbestimmungen muss eine Umdeutung der Ablehnung des Asylantrages als unzulässig nach § 27 a AsylVfG in die Ablehnung eines Zweitantrages nach § 71 a AsylVfG daher ausscheiden (vgl. ebenso: VG Ansbach, U. v. 8.10.2014 - An 10 K 14.30043 -; VG Würzburg, U. v. 27.11.2014 - W 3 K 13.30553 -; VG Aachen, U. v. 18.11.2014 - 9 K 161/14.A -; VG Regensburg, U. v. 14.11.2014 - RN 5 K 14.30304 - und Gerichtsbesch.
Das Gericht kann die Voraussetzungen für eine Umdeutung des Verwaltungsaktes im gerichtlichen Verfahren auch nicht herbeiführen. Zwar hat das Gericht grundsätzlich die Sache spruchreif zu machen. Dieser auch im Asylverfahren geltende Grundsatz findet allerdings auf behördliche Entscheidungen, die auf der Grundlage von § 27a AsylVfG ergangen sind, keine Anwendung (vgl. auch BayVGH, U. v. 28.2.2014 - 13a B 13.30295 -; VGH BW, U. v. 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 - beide: juris). Denn wenn das Asylbegehren in der Sache noch gar nicht geprüft worden ist und das Gericht verpflichtet wäre, die Sache spruchreif zu machen, ginge der Klagepartei eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien ausgestattet ist. Außerdem würde ein Durchentscheiden des Gerichts dazu führen, dass es nicht eine Entscheidung der Behörde kontrollieren würde, sondern sich anstelle der Exekutive erstmalig selbst mit dem Antrag sachlich auseinandersetzen und entscheiden würde. Dies wäre im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 GG zumindest bedenklich (vgl. VG Würzburg, U. v. 27.11.2014 - W 3 K 13.30553 -; VG Augsburg, Gerichtsbesch.
Ein Aufrechterhalten eines Bescheides unter einer anderen Rechtsgrundlage kommt im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) ebenfalls nicht in Betracht, wenn dies - wie vorliegend - ohne weitere und umfangreiche Ermittlungen bei italienischen Behörden, die nicht der Amtshilfeverpflichtung nach § 14 VwGO unterliegen, nicht möglich ist (vgl. BayVGH, U. v. 9.10.2014 - 20 B 13.30332 - juris).
Die Abschiebungsanordnung nach Italien gem. § 34 a AsylVfG in Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheides ist nach Ablauf der Überstellungsfrist ebenfalls rechtswidrig geworden und kann nicht in eine Abschiebungsandrohung in das Herkunftsland des Klägers umgedeutet werden. Auch hier fehlt es offensichtlich an der Zielgleichheit des Umdeutungsergebnisses. Zudem wäre die Androhung der Abschiebung in den Herkunftsstaat gegenüber der Abschiebung in den EU-Mitgliedsstaat als sicheren Drittstaat eine vergleichsweise ungünstigere Rechtsfolge. Eine Umdeutung der Abschiebungsanordnung nach Italien in eine Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat gemäß § 47 Abs. 1 VwVfG scheitert daran, dass es sich beim Austausch des Zielstaats um eine weitgehende inhaltliche Änderung der Abschiebungsandrohung handelt (vgl. BVerwG, U. v. 17.6.2014 - 10 C 7/13 - NVwZ 2014, 1460 ff.). Somit steht auch hinsichtlich Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheides § 47 Abs. 2 Satz 1 VwVfG der Umdeutung entgegen.
Nachdem die Umdeutung des streitgegenständlichen Bescheides ausscheidet, kann der Kläger durch die Aufhebung des Bescheides auch einen rechtlichen Vorteil erlangen. Denn nach Aufhebung des Bescheides ist die Beklagte verpflichtet, über den gestellten Asylantrag zu entscheiden.
Der Bescheid vom 10. Oktober 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Wie ausgeführt kann auch in Ansehung des Grundsatzes, wonach die Bestimmungen der Dublin II-VO - wie die der Dublin III-VO - grundsätzlich keine subjektiven Rechte des Schutzsuchenden begründen, der Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens als notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs gegenüber dem nunmehr zuständigen Staat geltend gemacht werden, wenn - wie vorliegend - die Überstellungsfrist abgelaufen und wegen nicht fortbestehender Übernahmebereitschaft des ursprünglich zuständigen Mitgliedstaats eine Prüfung des Asylantrages ansonsten gänzlich versagt bliebe.
Somit war der streitgegenständliche Bescheid mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG aufzuheben.
Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.