Verwaltungsgericht Minden Beschluss, 23. Sept. 2014 - 1 L 714/14.A
Gericht
Tenor
1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
1
Gründe:
2Der Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung aus dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 03.09.2014 anzuordnen,
4ist zulässig, aber unbegründet.
5Das Gericht folgt der bislang zu § 34a Abs. 2 AsylVfG n. F. ergangenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gem. § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO nicht erst bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes erfolgen darf, wie dies in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet gem. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG vom Gesetzgeber vorgegeben ist. Denn eine derartige Einschränkung der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis entspricht offenbar nicht dem Willen des Gesetzgebers. Daher müssen die für Verwaltungsakte, bei denen der Gesetzgeber eine Sofortvollzugsanordnung getroffen hat (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO), allgemein geltenden Grundsätze Anwendung finden.
6Vgl. dazu eingehend VG Trier, Beschluss vom 18.09.2013 – 5 L 1234/13.TR – nach Auswertung der Gesetzgebungsmaterialien zu § 34 a AsylVfG n. F.; nachfolgend VG Göttingen, Beschluss vom 11.10.2013 – 2 B 806/13 –, jeweils bei juris.
7In diesen Fällen hat der Gesetzgeber – in Abgrenzung zu denjenigen, in denen die Behörde gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts anordnet, einen grundsätzlichen Vorrang des öffentlichen Vollziehungsinteresses vor dem privaten Aussetzungsinteresse des jeweiligen Antragstellers angeordnet, so dass es besonderer Umstände bedarf, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen. Auf Grund dieser gesetzgeberischen Entscheidung sind die Gerichte in einem solchen Fall – neben der Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache – zu einer Einzelfallbetrachtung grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Umstände angehalten, die von den Beteiligten vorgetragen werden und die Annahme rechtfertigen können, dass im konkreten Fall von der gesetzgeberischen Grundentscheidung ausnahmsweise abzuweichen ist.
8Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 11.10.2003 – 1 BvR 2025/03 –, bei juris.
9Daran gemessen fällt die vorgenannte Interessenabwägung vorliegend zu Lasten des Antragstellers aus. Denn der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin vom 03.09.2014 begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
10Das Bundesamt hat gemäß § 31 Abs. 4 AsylVfG zu Recht festgestellt, dass der Kläger aus einem sicheren Drittstaat i.S.d. § 26a AsylVfG eingereist ist und ihm deshalb in der Bundesrepublik Deutschland kein Asylrecht zusteht.
11In diesem Falle ist gemäß § 34a AsylVfG eine Abschiebungsandrohung bezogen auf den sicheren Drittstaat, hier Bulgarien, anzuordnen.
12Allerdings hat die Bundesrepublik Deutschland dann Schutz zu gewähren, wenn die Notwendigkeit eines solchen durch Umstände begründet wird, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des „Konzepts normativer Vergewisserung“ durch Gesetz berücksichtigt werden konnten, oder aber sich die für die Qualifizierung als „sicher“ maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesrepublik hierauf noch aussteht. Die Annahme eines sicheren Drittstaates ist daher dann widerlegt, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zustän-digen Mitgliedstaat grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der in diesem Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber i.S.v. Art. 4 EuGrdRCh bzw. der inhaltlich identischen Vorschrift des Art. 3 EMRK implizieren.
13Vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 – 10 C 411/10 u. C 493/10 – und Urteil vom 14.11.2013 – C 4/11 – bei juris; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 19.03.2014 – 10 B 6/14 – bei juris.
14Derartige systemische Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Asylbewerber können in Bulgarien nicht (mehr) festgestellt werden.
15Zwar kam der UNHCR in einem Bericht vom 02.01.2014 zur Situation von Asylsuchenden und Flüchtlingen (Bulgaria as a country of asylum) noch zu dem Ergebnis, dass Asylsuchenden in Bulgarien die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung aufgrund von systemischen Mängeln bei den Aufnahmebedingungen und dem Asylverfahren drohe. Der UNHCR folgerte daraus, dass eine Überstellung nach Bulgarien ausgesetzt werden müsse.
16Vgl. UNHCR vom 02.01.2014 unter Bezugnahme auf eine Übersetzung und Zusammenfassung von Pro Asyl.
17In einem Update vom 20.01.2014 (Refugee situation Bulgaria external update) stellte der UNHCR fest, dass sich die Anzahl der neuen Asylsuchenden stark verringert habe, nachdem Bulgarien an der Grenze zur Türkei einen Grenzzaun errichtet und zusätzliche Polizeibeamte eingesetzt habe. Auch hätten sich wohl die Lebensbedingungen aufgrund der Unterstützung des UNHCR verbessert und es gäbe Fortschritte bei der Registrierung von Asylsuchenden. Der UNHCR bestätigte aber nach wie vor seine Einschätzung, dass systemische Mängel vorlägen und bekräftigte insbesondere wegen der Überfüllung und mangelhaften Bedingungen in den bulgarischen Haftlagern, die Forderung nach einem Überstellungsstopp von Asylsuchenden im Rahmen des Dublin-Verfahrens.
18In einer Neubewertung der Situation in Bulgarien vom April 2014 (Bulgaria as a country of asylum – UNHCR observations on the current situation of asylum in Bulgaria) stellte der UNHCR jedoch fest, dass zwar nach wie vor Unzulänglichkeiten im bulgarischen Asylverfahren bestünden, diese jedoch einen generellen Ausschluss von Dublin-Überstellungen nicht länger rechtfertigen würden. In Bezug auf die Registrierung, die Behandlung der Anträge auf internationalen Schutz und die Aufnahmebedingungen seien bedeutende Verbesserungen zu beobachten. Im Einzelfall könnten jedoch Gründe vorliegen, die der Rücküberstellung besonders schutzbedürftiger Personen entgegenstehen könnten.
19Vor diesem Hintergrund geht die Kammer, wie auch das VG Augsburg
20vgl. Beschluss vom 25.08.2014 – AU 7 S 14.50199 – und – AU 7 K 14.50198 –, bei juris,
21und das VG Bremen
22vgl. Urteil vom 16.07.2014 – 1 K 152/14 –, bei juris,
23davon aus, dass es keine wesentlichen Gründe mehr für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Bulgarien systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechte Charta mit sich bringen. Die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO, die die Antragsgegnerin zur Prüfung des Asylantrages verpflichten würden, liegen damit nicht vor.
24Eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zum Selbsteintritt ergibt sich auch nicht aus Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller zu einem besonders schutzbedürftigen Personenkreis zählt, bei dem unter Beachtung der Feststellungen des UNHCR im konkreten Einzelfall zu prüfen wäre, ob die Durchführung seines Asylverfahrens in Bulgarien mit erheblichen Gefahren für Leib und Leben, die einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK befürchten ließe, verbunden ist, sind nicht erkennbar. Auch sonstige, in der Person des Antragsstellers vorliegende besondere humanitäre Gründe, die einen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts begründen könnten, liegen nicht vor. Beim Antragsteller handelt es sich um einen volljährigen jungen Mann, dem der Gesetzgeber grundsätzlich zumutet, sich allein zu Recht zu finden und nicht auf die Hilfe von Verwandten angewiesen ist.
25Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.
26Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
27U.
Annotations
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.