Verwaltungsgericht Köln Urteil, 03. Feb. 2015 - 14 K 5928/14.A
Gericht
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Oktober 2014 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Das Urteil hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand
2Der 1985 geborenen Kläger zu 1.) und die 1991 geborene Klägerin zu 2.) sind afgahnische Staatsangehörige schiitischen Glaubens. Sie gehören der Volksgruppe der Hazara an. Die Kläger zu 3.) und 4.) sind ihre Kinder. Sie wurden am 00.00.2010 und am 00.00.2013 in Teheran/Iran geboren. Die Kläger reisten nach eigenen Angaben am 13. Juni 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 23. Juni 2014 Asylanträge. In der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtline (hiernach: BAMF) gaben die Kläger an, vor 10 bzw. 15 Jahren Afghanistan verlassen zu haben und zunächst im Iran gelebt zu haben. Den Iran hätten sie vor ca. 2 Jahren verlassen und seien dann über die Türkei nach Bulgarien gereist, wo sie ca. vier Monate geblieben seien. Schließlich seien sie über Serbien und Ungarn nach Deutschland gekommen.
3Die Überprüfung der Fingerabdrücke der Kläger im EURODAC-System ergab, dass die Kläger zu 1.) und 2.) am 16. November 2011 in Bulgarien um Asyl nachgesucht hatten. Das Bundesamt richtete daher unter dem 15. August 2014 ein Übernahmeersuchen an Bulgarien. Die bulgarischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 2. September 2014 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge Gem. Art. 13 Abs. 1 Verordnung EU Nr. 604/2013.
4Mit Bescheid vom 16. Oktober 2014 lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Antragsteller als unzulässig ab und ordnete ihre Abschiebung nach Bulgarien an. Dieser Bescheid wurde den Antragstellern am 19. Oktober 2014 zugestellt.
5Am 28. Oktober 2014 haben die Kläger Klage erhoben und zugleich um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (14 L 2043/14.A) nachgesucht.
6Das Gericht hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit Beschluss vom (14 L 2043/14.A) als unzulässig abgelehnt.
7Zur Begründung ihrer Klage machen die Kläger geltend, es lägen systemische Mängel des Asylverfahrens in Bulgarien insbesondere für besonders schutzbedürftige Personen vor. Zudem sei die Klägerin zu 2.) auch erkrankt.
8Die Kläger beantragen,
9den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. Oktober 2014 aufzuheben.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie nimmt zur Begründung Bezug auf den angefochtenen Bescheid.
13Die Beteiligten haben den Verzicht auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung erklärt.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren und im Verfahren 14 L 2043/14.A und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
15Entscheidungsgründe
16Das Gericht konnte nach Einverständnis der Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichten (§ 101 Abs. 2 VwGO).
17Die Klage gegen den Bescheid vom 16. Oktober 2014 ist zulässig und begründet.
18Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft. Die Kläger begehren die Aufhebung des sie belastenden Bescheids vom 16. Oktober 2014 in welchem die Beklagte ihren Asylantrag gemäß § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt hat. Für die Erhebung einer vorrangigen Verpflichtungsklage - gerichtet auf das eigentliche Rechtsschutzziel des Klägers, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen - besteht kein Raum.
19Vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 16. April 2014 – A 11 K 1721/13 – juris; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A – juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 – juris.
20Im Falle der Aufhebung eines auf der Grundlage von § 27a AsylVfG ergangenen Bescheids ist daher das Asylverfahren durch die Beklagte weiterzuführen und das Asylbegehren der Kläger von ihr in der Sache zu prüfen.
21Die im Übrigen zulässige Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
22Die Beklagte hat die Asylanträge der Kläger in rechtswidriger Weise als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung angeordnet. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Beklagte den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Die dafür erforderlichen Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
23Zwar ist Bulgarien gemäß Art. 13 Abs. 1 Verordnung EU Nr. 604/2013 (hiernach: Dublin III-VO) für die Behandlung des Asylantrags zuständig. Für die Kläger als besonders schutzwürdige Personen muss aber im vorliegenden Einzelfall dennoch von einer Überstellung nach Bulgarien abgesehen werden.
24Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
25vgl. Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 –, juris „N. S." (Nrn. 86, 94 und 99 der Entscheidung),
26besteht die Verpflichtung der Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den „zuständigen Mitgliedstaat“ im Sinne der Dublin-VO zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden.
27Das ist der Fall, wenn der Mitgliedstaat die allgemein europaweit vereinbarten Mindeststandards aufgrund von innerstaatlichen systemischen Mängeln des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen nicht (mehr) gewährleistet bzw. gewährleisten kann. Solches kann namentlich dadurch zum Ausdruck kommen, dass der betreffende Mitgliedsstaat dem betroffenen Ausländer keine ausreichende Chance einräumt, dass sein Schutzgesuch überhaupt ernsthaft geprüft wird, und/oder dass die humanitäre, vor allem wirtschaftliche, gesundheitliche und Wohnungssituation nicht dem Art. 4 der Grundrechte-Charta oder den in einschlägigen Richtlinien des Gemeinschaftsrechts vereinbarten Standards entspricht, so dass letztlich die Gefahr besteht, dass die Betroffenen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden.
28Vgl. insoweit OVG NRW, Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A –, juris.
29In diesem Fall ist die Überstellung auch nach nationalem Verfassungsrecht unzulässig, wenn - bezogen auf den Drittstaat bzw. auf den zuständigen Staat - Abschiebungshindernisse durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind.
30Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 –, juris.
31Vorliegend muss nicht entschieden werden, ob von einer Überstellung der Kläger nach Bulgarien im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO abzusehen ist, weil das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber generell systemische Mängel aufweisen. Die Klägerin zu 4. gehört jedenfalls zu einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe, für die nicht sichergestellt ist, dass eine rechtsverletzungsfreie Rücküberstellung erfolgen kann.
32Vgl. wie hier Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11 –, juris; VG Magdeburg, Beschluss vom 4. Dezember 2014 – 9 B 438/14 –, juris.
33Die Frage, ob in Bulgarien „systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber“ im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bzw. des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO vorliegen und ob eine Überstellung nach Bulgarien einen Verstoß gegen Art. 4 der EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK darstellt, wird in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte unterschiedlich beantwortet,
34systemische Mängel annehmend: VG Köln, Beschlüsse vom 12. Dezember 2014 – 16 L 2408/14.A – und 10. Oktober 2014 – 20 L 1831/14.A. –; VG München, Beschlüsse vom 4. November 2014 – M 16 S 14.50544 – (Familie mit Kleinkindern), und vom 9. Juli 2014 – M 24 S 14.50336 – Rn. 29 ff.; VG Hannover, Beschluss vom 26. September 2014 – 10 B 10989/14 – (Familie mit Kleinstkindern);
35systemische Mängel verneinend: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. November 2014 – A 11 S 1778/14 – bei nicht ernsthaft erkrankten Alleinstehenden oder Ehepaaren oder Partnern ohne kleine Kinder, bzgl. dieser Gruppe aber ausdrücklich offen gelassen; VG Köln, Beschluss vom 24. Oktober 2014 – 19 L 1801/14.A –; VG Minden, Beschluss vom 23. September 2014 – 1 L 714/14.A. – ; VG Düsseldorf, Beschluss vom 12. September 2014 – 13 L 1690/14.A – ; VG München, Beschluss vom 10. September 2014 – M 6b S 14.50484 – ; VG Bremen, Beschluss vom 1. September 2014 – 3V 644/14; zitiert jeweils nach juris.
36Ausgangspunkt der zu berücksichtigenden Erkenntnislage ist zunächst der einschlägige Bericht des UNHCR vom 2. Januar 2014. Darin wurde damals die Einschätzung geäußert, dass Asylbewerber in Bulgarien aufgrund systematischer Defizite der Aufnahmebedingungen und des Asylverfahrens dem tatsächlichen Risiko einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung ausgesetzt seien, und es wurde empfohlen, Überstellungen nach Bulgarien einzustellen. Die Lebensbedingungen in sieben Aufnahmeeinrichtungen seien erbärmlich. Diese seien überfüllt, es werde staatlicherseits keine Nahrung bereitgestellt, es gebe keine Kochgelegenheiten, keine Heizung, kein fließend warmes Wasser und keinen geregelten Zugang zu medizinischer Versorgung. Die sanitären Anlagen seien in einem inakzeptablen Zustand und es gebe keine ausreichende Möglichkeit, Wäsche zu waschen. Es seien keine kindgerechten Einrichtungen und keine Möglichkeiten für (Freizeit-)Aktivitäten vorhanden. Das System zur Betreuung unbegleiteter Kinder funktioniere ebenso wenig wie die Versorgung von Personen mit besonderen Bedürfnissen. Es bestünden keine ausreichenden Verständigungsmöglichkeiten zwischen dem Personal und den Flüchtlingen. In den wenigen Fällen, in denen Sozialarbeiter oder Psychologen zur Verfügung stünden, fehle es an Dolmetschern. Am Schlimmsten seien die Zustände in der Aufnahmeeinrichtung in Harmanli, die als geschlossene Einrichtung geführt werde. Die wenigen Hilfsangebote kämen von privaten Spendern oder Organisationen und würden vom Roten Kreuz verteilt, sie seien insgesamt gesehen ineffektiv.
37vgl. UNHCR, „Bulgaria As a Country of Asylum – UNHCR Observations on the Current Situation of Asylum in Bulgaria“, 2. Januar 2014, S. 10 ff., 16, abrufbar unter http://www.refworld.org/pdfid/52c598354.pdf.
38Aufgrund dieser Einschätzung des UNHCR lehnte die insbesondere im ersten Quartal 2014 ergangene erstinstanzliche Rechtsprechung überwiegend eine Rücküberstellung nach Bulgarien ab. In seinem zwischenzeitlich aktualisierten Berichts vom 1. April 2014 stellt der UNHCR jedoch zahlreiche Verbesserungen fest, die bei den Aufnahmebedingungen und den Asylverfahren in Bulgarien seit Anfang des Jahres erzielt wurden, und kommt auf dieser Grundlage nunmehr zu dem Schluss, dass eine generelle Aussetzung aller Dublin-Überstellungen nach Bulgarien nicht mehr gerechtfertigt sei.
39vgl. UNHCR, „Bulgaria As a Country of Asylum – UNHCR Observations on the Current Situation of Asylum in Bulgaria“, April 2014; S. 7, 17, abrufbar unter: http://www.refworld.org/docid/534cd85b4.pdf, hiernach: UNHCR II.
40Aufgrund der Auswertung der diesbezüglichen Erkenntnisse werden daher nunmehr systemische Mängel des Asylverfahrens in Bulgarien wieder verneint.
41Vgl. etwa: VG Düsseldorf, Beschluss vom 12. September 2014 – 13 L 1690/14.A – n.V.; VG Ansbach, Urteil vom 10. Juli 2014 – AN 11 K 14.30366 –, juris; VG Potsdam, Beschluss vom 14. November 2013 – 6 L 787/13.A –, juris; VG Regensburg, Beschluss vom 20. August 2012 – RN 9 S 12.30284 –, juris, alle m.w.N.; a.A. VG Oldenburg, Beschluss vom 27. Januar 2015 – 12 B 245/15 –, juris.
42Die Kläger haben selbst nichts dazu vorgetragen, was eine andere Bewertung rechtfertigen und auf generelle systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Bulgarien schließen lassen würde.
43Der Bescheid, mit dem die Asylanträge für unzulässig erklärt und die Abschiebung nach Bulgarien angeordnet worden ist, ist aber im hier vorliegenden Fall jedenfalls deshalb rechtswidrig, weil bei einer Rückführung nach Bulgarien eine angemessene Unterbringung und Gesundheitsversorgung der besonders schutzbedürftigen Klägerin zu 4. seitens der bugarischen Behörden derzeit nicht garantiert ist.
44Ungeachtet der Frage, ob in dem betreffenden Mitgliedsstaat generell systemische (im Sinne eines kompletten Versagens des Asylsystems) Mängel vorliegen, kann es im Einzelfall aus individuellen, in der Person der jeweiligen Kläger liegenden Gründen (jedenfalls) geboten sein, von Überstellungen in den anderen Mitgliedstaat – wenn auch nur vorübergehend – abzusehen. Einen Anhaltspunkt für das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls kann geben, ob einer der Kläger eine Personen mit besonderen Bedürfnissen gemäß Art. 20 Abs. 3 Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) ist und er nach einer Einzelfallprüfung entsprechend eingestuft wurde,
45vgl. Düsseldorf, Beschluss vom 17. Juli 2014 – 17 L 1018/14.A –, juris (i. Erg. abgelehnt) und VG Magdeburg, Beschluss vom 04. Dezember 2014 – 9 B 438/14 –, juris,
46bzw. ob es sich um eine sog. „besonders schutzbedürftige Person“ handelt.
47Vgl. zu einer Rückführung nach Italien Tarakhel ./. Switzerland, Application No. 29217/12, juris; siehe auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. November 2014 – A 11 S 1778/14 –; juris.
48Ein Anhaltspunkt ist jedenfalls dann geben, wenn es sich bei den Klägern um Familien mit Neugeborenen (vgl. Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO) und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren handelt.
49Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11 –, juris.
50In diesem Fall muss nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts auf Grund der Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie und der Gewährleistung des Kindeswohls (vgl. nunmehr Erwägungsgrund 16 Dublin III-VO) in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sichergestellt sein, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält, um erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren für diese in besonderem Maße auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen.
51Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11 –, juris.
52Fehlt eine derartige Garantie ist von einer Überstellung abzusehen.
53Im Rahmen des Verfahrens auf Erlass einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG hat das BAMF nämlich auch zu prüfen, ob im Sinne der genannten Vorschrift „feststeht“, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat damit sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen. Es kann daher geboten sein, dass die deutschen Behörden vor einer solchen mit den im Zielstaat zuständigen Behörden Kontakt aufnehmen, den Sachverhalt klären und gegebenenfalls zum Schutz des Ausländers Vorkehrungen treffen. Bestehen aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen oder des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer im sicheren Drittstaat, hat die auf deutscher Seite für die Abschiebung zuständige Behörde dem jedenfalls angemessen Rechnung zu tragen. Insbesondere besteht eine Verpflichtung der mit dem Vollzug einer Abschiebung betrauten Stelle, von Amts wegen tatsächliche Abschiebungshindernisse in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung zu beachten; diese Stelle hat gegebenenfalls durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung (Duldung) oder durch entsprechende tatsächliche Gestaltung derselben die notwendigen Vorkehrungen zu treffen.
54Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11 –, juris.
55Dies zu Grunde gelegt steht hier nicht fest, dass die Rückführung der Kläger nach Bulgarien im Rahmen des Dublin-Systems rechtmäßig erfolgen kann, so dass von einer Überstellung vorliegend abgesehen werden muss. Zumindest bei der Klägerin zu 4. handelt es sich um ein Kleinstkind, für das gemäß den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts eine besondere Überwachungspflicht der deutschen Behörden gilt. Aufgrund von Auskünften des UNHCR und anderer Flüchtlingsorganisationen bestehen Anhaltspunkte für fortbestehende Missstände in Bulgarien für Kleinstkinder. Berichten zufolge ist gerade die systematische und flächendeckende Versorgung von Babys und Kleinstkindern mit ihnen adäquater Nahrung defizitär und teilweise nur durch den Einsatz von Nichtregierungsorganisationen gewährleistet.
56Vgl. Amnesty International, Rücküberstellungen von Asylsuchenden nach Bulgarien sind weiterhin auszusetzen, S. 6 f.; abrufbar unter http://www.amnesty.de/files/Bulgarien-Bericht_0.pdf; UNHCR II, S. 8.
57Auch die medizinische Behandlung von Kindern, insbesondere unbegleiteten Minderjährigen und generell von sog. „vulnerablen Personen“ soll völlig unzureichend sein.
58Vgl. UNHCR II, S. 8 f., vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. November 2014 – A 11 S 1778/14 –, juris.
59Bei den Unterbringungsbedingungen für Familien mit kleineren Kindern, alleinstehende Frauen mit Kindern und unbegleitete Minderjährige seien zwar Verbesserungen eingetreten, ohne allerdings das erforderliche Minimum an Privatheit zuzulassen und auch immer ausreichenden Schutz vor Übergriffen zu bieten. Nach wie vor seien daher erhebliche Defizite auszumachen.
60Vgl. UNHCR II, S. 7; vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. November 2014 – A 11 S 1778/14 –, juris.
61Der UNCHR empfiehlt daher angesichts immer noch bestehender Missstände eine individuelle Prüfung insbesondere im Hinblick auf Asylsuchende mit besonderen Bedürfnissen oder Vulnerabilitäten dahingehend, ob eine Überstellung mit der Verpflichtung der Staaten zum Schutz der Grundrechte der Asylbewerber vereinbar wäre.
62vgl. UNHCR II, S. 7, 17; vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. November 2014 – A 11 S 1778/14 –, juris.
63Die danach erforderlichen Maßnahmen hat das BAMF nicht ergriffen. Es hat sich in der angefochtenen Entscheidung bereits nicht mit der persönlichen Situation der Kläger auseinandergesetzt. Es ist auch nicht erkennbar, dass man sich darüber bewusst war, dass es sich bei der 2-Jahre alten Klägerin um ein Kleinstkind und damit um eine Person besonderer Schutzbedürftigkeit handelt. Es wurden daher weder geeigneten Maßnahmen in Zusammenarbeit mit den bulgarischen Behörden eingeleitet noch Garantien dafür eingeholt, dass eine angemessene Unterbringung und Gesundheitsversorgung der besonders schutzbedürftigen Klägerin zu 4. sichergestellt ist. Kann daher eine Überstellung der Klägerin zu 4. Nicht vorgenommen werden, ist wegen des Grundsatzes der Einheit der Familie und der Gewährleistung des Kindeswohls auch von der Überstellung der Kläger zu 1. bis 3. – zumindest derzeit – abzusehen.
64Weil die danach erforderlichen Garantien nicht vorliegen, sind die Abschiebungsanordnung und die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig schließlich als rechtswidrig anzusehen und aufzuheben.
65Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylVfG.
66Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Annotations
(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.
(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.