Verwaltungsgericht Köln Urteil, 26. Feb. 2016 - 19 K 5324/14
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Mehraufwand für die Kinderbetreuung in Höhe von 2.348,50 Euro nebst Rechtshängigkeitszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu erstatten. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
1
Tatbestand
2Die am 00.00.0000 geborene Klägerin begehrt die Erstattung von Mehraufwand für die Kinderbetreuung in einer privatgewerblichen Einrichtung im Jahr 2013.
3Beginnend mit dem Kindergartenjahr 2011/2012 wurde die Klägerin in der „gemeinnützigen Kindertagesstätte N. -N1. “ im Umfang von 35 Stunden pro Woche betreut, wofür vertragsmäßig bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres ein monatlichen Betreuungsentgelt in Höhe von 800,00 Euro anfiel und danach in Höhe von 600,00 Euro. In dem Betreuungsentgelt sind Kosten für vegetarische Mahlzeiten und Getränke enthalten. Der Vertrag sieht die Möglichkeit einer proportionalen Preiserhöhung vor sowie eine Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende. Zum April 2013 wurde eine Gebührenanpassung in Höhe von 5 % vorgenommen.
4Mit Hilfe des sog. Kindergarteninformationssystems der Beklagten (KIGAN) haben sich die Eltern der Klägerin um einen Betreuungsplatz für die Klägerin in einer städtischen Kindertageseinrichtung für das Kindergartenjahr 2013/2014 bemüht und dort entsprechende Eintragungen vorgenommen. Nach dem Ausdruck (Stand 06.05.2013) war die Klägerin für das städtische Familienzentrum „B. T. “ als wartend seit dem 04.01.2013, für die städtische Kindertageseinrichtung „An der Umkehr“ als wartend seit dem 17.02.2012, für die städtische Kindertageseinrichtung „X.-----weg “ als wartend seit dem 14.01.2011 und für die städtische Kindertageseinrichtung „Windrad, Limpericher Straße“ als wartend seit dem 10.01.2011 geführt.
5Auf die Anmeldung in der Kindertageseinrichtung „T1. , B1. V. “ erhielt die Klägerin unter dem 06.03.2013 von der dortigen Leiterin die Mitteilung, dass zu dem gewünschten Aufnahmetermin dort kein entsprechender Platz frei sei, die Klägerin jedoch auf der Warteliste verbleibe. Unter der Überschrift „Was sie jetzt tun können“ wird den Eltern der Klägerin empfohlen, sich mit den Tageseinrichtungen in Verbindung zu setzten, in denen sie das Kind ebenfalls angemeldet haben, oder für die Betreuung unter dreijähriger Kinder das Netzwerk Kinderbetreuung in Familie zu kontaktieren. Abschließend heißt es dort: „Unter der Rufnummer 774070 erreichen Sie das ‚Familienbüro‘ der Stadt Bonn. Die Mitarbeiterinnen stehen Ihnen für weitere Fragen und Hilfen gerne zur Verfügung.“ Vergleichbare Schreiben erhielten die Eltern der Klägerin von dem Familienzentrum „B. T. “ unter dem 18.03.2013 und von der Städtischen Kindertageseinrichtung „X1. , M. Straße“ unter dem 26.02.2013.
6Mit Schreiben vom 30.04.2013 wandten sich die Eltern der Klägerin an das Amt für Kinder, Jugend und Familie der Beklagten. Sie machten geltend, seit November 2010 für die Klägerin einen Betreuungsplatz zu suchen und wegen der Berufstätigkeit dringend zwei KiTa-Plätze für die Klägerin und deren jüngeren Bruder zu benötigen. In ihrer Not hätten sie für beide Kinder einen privaten KiTa-Platz angenommen. Die Verträge sähen eine Kündigungsfrist von drei Monaten vor. Sie machten geltend, die Anträge für die KiTa-Plätze aufrecht zu erhalten, und verlangten entweder die kurzfristige Zuteilung eines KiTa-Platzes mit Betreuungsbeginn zum 01.08.2013 oder die Erstattung der zusätzlichen Kosten der Betreuung bei den „N. -N2. “.
7Mit Schreiben vom 25.06.2013 bestätigte das Jugendamt den Eingang des Schreibens der Eltern der Klägerin für den 06.05.2013 und führte unter anderem aus: „Da weiterhin einzelne Plätze wieder frei werden und auch noch weitere Plätze bis zum 01.08.2013 geschaffen werden, bin ich zuversichtlich, dass Sie noch einen Platz in einer öffentlich geförderten Kindertageseinrichtung oder einer Tagespflegestelle erhalten können. Das Familienbüro wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen, sobald in einer für Sie erreichbaren Einrichtung Plätze für Ihre Kinder N3. M1. und U. N4. zur Verfügung gestellt werden könnten.“
8Die Eltern der Klägerin wandten sich mit Schreiben vom 03.08.2013 erneut an die Beklagte und verwiesen auf ein Telefonat mit Frau M2. am 30.07.2013, in dem diese mitgeteilt habe, dass für das Kindergartenjahr 2013 Plätze bei den „T1. , B1. der V. “ angeboten würden und Näheres mit der Leiterin der KiTa nach deren Betriebsferien, die bis einschließlich 09.08.2013 andauerten, zu besprechen wäre. Mit dem Schreiben wiesen die Eltern darauf hin, dass sie die Plätze voraussichtlich annehmen würden, der private Betreuungsplatz aber aufgrund der unzureichend verlässlich geklärten Lage nicht habe gekündigt werden können. Sie baten um schriftliche Bestätigung, dass nach Ablauf der Kündigungsfrist Plätze angeboten würden und die bereits entstandenen Mehrkosten ersetzt würden.
9B. 27.08.2013 schlossen die Eltern der Klägerin mit der Beklagten einen Betreuungsvertrag für die Betreuung der Klägerin beginnend mit dem 01.09.2013 im Umfang von 45 Stunden pro Woche (Gruppenform 3c) in der städtischen Kindertageseinrichtung „T1. , B1. der V. “.
10Noch am selben Tag kündigten die Eltern der Klägerin den privaten Betreuungsvertrag mit der gemeinnützigen Kindertagesstätte N. -N1. GmbH zum 30.11.2013.
11Unter dem 27.09.2013 machten die Eltern der Klägerin erneut den Mehraufwand gegenüber der Beklagten geltend.
12Die Beklagte lehnte die Erstattung ab und führte zur Begründung mit Schreiben vom 17.10.2013 im Wesentlichen aus, dass die Eltern der Klägerin sich zum Zeitpunkt der Mitteilung vom 30.04.2013 bereits vertraglich bei der privaten Kindertageseinrichtung N. -N1. gebunden hätten, so dass für die Beklagte gar keine Möglichkeit mehr bestanden hätte, die Mehraufwendungen durch ein zeitnahes öffentlich-gefördertes Angebot abzuwenden. Nachdem der Betreuungsbedarf geltend gemacht worden sei, habe in einer angemessenen Frist von drei Monaten ein Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt werden können.
13Nach weiterem Schriftverkehr mit der Beklagten hat die Klägerin schließlich am 29.09.2014 Klage erhoben.
14Sie macht den Ersatz von Aufwendungen für die Betreuung bzw. aufgrund des Betreuungsvertrages geleisteten Zahlungen an die gemeinnützige Kindertagesstätte N. -N1. GmbH geltend für den Monat August 2013 in Höhe von 391,00 Euro (735,00 Euro abzüglich ersparter Elternbeiträge in Höhe von 344,00 Euro), für den Monat September 2013 in Höhe von 735,00 Euro und für die Monate Oktober und November 2013 jeweils in Höhe von 630,00 Euro, insgesamt 2.386,00 Euro nebst Zinsen.
15Sie trägt vor, dass sie die Beklagte über den Bedarf vor der Selbstbeschaffung rechtzeitig in Kenntnis gesetzt habe und zwar über das von der Beklagten eingerichtete KIGAN System sowie durch Anmeldung und Vorstellung in Tageseinrichtungen der Beklagten. Eine subsidiäre Bedarfsanmeldung bei dem Jugendamt sei bei dem bei der Beklagten insgesamt etablierten System nicht vorgesehen gewesen. Die Bereitstellung eines Betreuungsplatzes sei zunächst zu Unrecht abgelehnt und dann nicht rechtzeitig erbracht worden, so dass ein Systemversagen festzustellen wäre. Die Deckung des Bedarfs hätte auch keinen zeitlichen Aufschub geduldet. Eine Kündigung oder ein weiteres Zuwarten sei wegen der unsicheren Lage nicht geboten gewesen und für die Eltern der Klägerin mit einem zu hohen Risiko verbunden gewesen.
16Die Klägerin legt Bildaufnahmen vor, worauf ein Umschlag mit ihrer Absenderadresse zusammen mit dem Briefkasten des Jugendamtes abgebildet ist und in den darunter aufgeführten Metadaten u.a. steht „30.04.2013, 13:57“.
17Die Klägerin beantragt,
18die Beklagte zu verurteilen, an sie Mehraufwand für die Kinderbetreuung in Höhe von insgesamt 2.386,00 Euro nebst Rechtshängigkeitszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu erstatten.
19Die Beklagte beantragt,
20die Klage abzuweisen.
21Die Beklagte hält dem Anspruch im Wesentlichen entgegen, dass der Betreuungsanspruch der Klägerin zu Beginn des Monats August 2013 wunschgemäß erfüllt und der Klägerin ein Platz zur Verfügung gestellt worden sei. Ferner habe die Klägerin unter Außerachtlassung des Grundsatzes, dass Primäransprüche vor Sekundäransprüchen geltend gemachten werden müssten, gegenüber dem Jugendamt erstmals mit Schreiben vom 30.04.2013 ihren Bedarf angezeigt. Die Anmeldung des Bedarfs müsse schriftlich gegenüber dem Jugendamt erfolgen. Unabhängig davon hätten die Eltern die Möglichkeit, ihre Kinder direkt in den von ihnen ausgewählten Einrichtungen anzumelden. Im Februar/März erhielten die Eltern hierauf eine entsprechende Rückmeldung für das folgende Kindergartenjahr von den Einrichtungen. Als das Schreiben vom 30.04.2013 beim Jugendamt eingegangen sei, sei das Anmeldeverfahren für das Kindergartenjahr 2013/2014 bereits abgeschlossen gewesen. Dennoch habe mit Eintritt des Rechtsanspruches für die Klägerin ein Betreuungsplatz angeboten werden können. In der städtischen Einrichtung „B1. der V. “ habe ab dem 01.08.2013 ein Platz für sie zur Verfügung gestanden.
22Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten zu den Umständen des Platzangebotes und des Inhalts des Telefonats am 30.07.2013 wird ergänzend auf die Niederschrift der Sitzung vom 26.02.2016 Bezug genommen.
23Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
24Entscheidungsgründe
25Die zulässige Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
26Der geltend gemachte Aufwendungsersatzanspruch setzt entsprechend § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII voraus, dass (1.) der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, (2.) die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und (3.) die Deckung des Bedarfs (a) bis zu einer Entscheidung des Träger der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder (b) bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat.
27Vgl. BVerwG, Urteil vom 12.09.2013 – 5 C 35/12 –, juris, Rn. 26 ff., 39.
28Diese Voraussetzungen sind vorliegend dem Grunde nach erfüllt.
29Die Klägerin kann für sich in Anspruch nehmen, den Träger der öffentlichen Jugendhilfe über den Hilfebedarf rechtzeitig i.S.v. § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII in Kenntnis gesetzt zu haben.
30Das „Inkenntnissetzen“ umfasst grundsätzlich auch eine Beantragung der begehrten Jugendhilfeleistung bzw. in der hier vorzunehmenden entsprechenden Anwendung der Kinderförderungsleistung, wobei für einen solchen Antrag nach dem SGB VIII keine besondere Form vorgeschrieben ist und er auch in der Form schlüssigen Verhaltens gestellt werden kann.
31Vgl. für die Jugendhilfeleistung: BVerwG, Beschluss vom 17.02.2011 – 5 B 43/10 – juris, Rn. 6 (m.w.N.); OVG NRW, Urteil vom 22.08.2014 – 12 A 3019/11 –, juris, Rn. 38.
32Dabei muss der Antrag so rechtzeitig gestellt werden, dass der Jugendhilfeträger zur pflichtgemäßen Prüfung sowohl der Anspruchsvoraussetzungen als auch möglicher Hilfemaßnahmen in der Lage ist.
33Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22.08.2014 – 12 A 3019/11 –, juris, Rn. 40 (m.w.N.) [zur Beschulung an einer Privatschule].
34Die Eltern der Klägerin haben diese in dem bei der Beklagten vorgesehen Verfahren für die Zuteilung der Plätze in den Kindertageseinrichtungen der Beklagten für das hier streitige Kindergartenjahr 2013/2014 angemeldet. Dazu haben sie zunächst in dem internetbasierten Informationssystem KIGAN ihr Interesse bekundet und sind darüber schließlich mit mehreren Kindertageseinrichtungen in Kontakt getreten. Damit haben die Eltern der Klägerin alles Erforderliche getan, um den Jugendhilfeträger in die Lage zu versetzen, die Anspruchsvoraussetzungen sowie Hilfemaßnahmen zu prüfen und zu organisieren.
35Dem kann die Beklagte nicht entgegenhalten, dass der Bedarf nicht über das von ihr betriebene Informationssystem KIGAN oder die Anmeldung bei den Kindertageseinrichtungen angezeigt werden könne, sondern ausschließlich (schriftlich) unmittelbar an das Jugendamt zu erfolgen habe.
36Zwar sieht § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII vor, dass der Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis zu setzen ist, wobei örtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe gemäß §§ 1, 1a Abs. 1 AG-KJHG NRW die Beklagte als kreisfreie Stadt ist und die Aufgaben des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe durch das Jugendamt wahrgenommen werden, § 1 Abs. 2 AG-KJHG NRW.
37Der Regelung in § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII ist dabei jedoch vor ihrem Hintergrund zu betrachten. Das SGB VIII weist dem Jugendamt als Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Funktion eines Leistungsträgers zu, der die Kosten grundsätzlich nur dann trägt, wenn er selbst vorab auf der Grundlage des SGB VIII und dem dort vorgesehenen Verfahren über die Eignung und Notwendigkeit der Hilfe entschieden hat. Der Vorschrift des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII liegt der Gedanke zugrunde, dass es nicht dem gesetzlichen Auftrag des Jugendhilfeträgers entspricht, nur "Zahlstelle" zu sein. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist Leistungs- und nicht bloßer Kostenträger. Die Notwendigkeit, den Träger von Anfang an mit einzubeziehen, wird daraus hergeleitet, dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe nur in diesem Fall ihre aus § 79 Abs. 1 SGB VIII folgende Gesamtverantwortung für die Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben wie auch ihre Planungsverantwortung nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGB VIII nicht nur institutionell, sondern auch durch die Hilfegestaltung im individuellen Einzelfall wahrnehmen. Nur wenn die Eltern bzw. der Hilfeempfänger grundsätzlich den Träger der Jugendhilfe von Anfang an in den Entscheidungsprozess einbeziehen, kann dieser seine aus § 36a Abs. 1, § 79 Abs. 1 SGB VIII folgende Gesamtverantwortung für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben und die Planungsverantwortung nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGB VIII wahrnehmen.
38Vgl. BVerwG, Urteil vom 12.09.2013 – 5 C 35/12 –, juris, Rn. 39 (m.w.N.).
39Mit Blick auf die Besonderheiten bei der Zuteilung von Kinderbetreuungsplätzen hat der Landesgesetzgeber durch das Gesetz zur Änderung des Kinderbildungsgesetzes und weiterer Gesetze vom 17.06.2014 in § 3b Abs. 1 Satz 2 KiBiz NRW zwischenzeitlich normiert, dass die Anzeige des Betreuungsbedarfs auch über elektronische Systeme, über die Tageseinrichtungen oder über die örtlichen Fachvermittlungsstellen für Kindertagespflege erfolgen kann. Hierzu wird in der Begründung zum Gesetzesentwurf der Landesregierung ausgeführt: „Für die Bedarfsanzeige gegenüber dem Jugendamt können im Sinne hoher Nutzerfreundlichkeit alle zur Verfügung stehenden Wege und Möglichkeiten genutzt werden: Die Bedarfsanzeige muss nicht im Jugendamt selbst erfolgen, sie kann auch ortsnah über die Tageseinrichtungen, über die Kindertagespflegevermittlungsstellen oder über elektronische Vormerksysteme vermittelt werden. [...] Die Neuregelung erleichtert die Jugendhilfeplanung und schafft mehr Klarheit für Eltern, Träger und Tagespflegepersonen.“
40Vgl. Landtags-Drucksache 16/5293 vom 18.03.2014, S. 75.
41Diese zum 01.08.2014 in Kraft getreten Regelung ist zwar für den vorliegenden Fall nicht unmittelbar anwendbar, greift jedoch die Besonderheiten des Verfahrens bei der Vergabe von Betreuungsplätzen auf, welche auch hier zu berücksichtigen sind.
42Unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Steuerungsverantwortung des Jugendamtes für die Jugendhilfe sowie der Besonderheiten bei der Zuteilung von Kinderbetreuungsplätzen folgt für Konstellationen vor Inkrafttreten des § 3b Kibiz NRW in der Fassung vom 17.06.2014, dass es letztlich von der Gestaltung des Vergabesystems abhängt, ob die Eltern der Leistungsberechtigten ausschließlich das Jugendamt über den Hilfebedarf in Kenntnis setzen müssen oder sich die Eltern auch an andere Stellen – quasi stellvertretend für das Jugendamt – wenden können. Entscheidet das Jugendamt zentral über die Zuteilung der Plätze und hält dafür ein entsprechendes Verwaltungsverfahren vor – bescheidet das Begehren der Eltern sei es durch Zuweisungsbescheid oder Ablehnungsbescheid also selbst –, so ist das Begehren unmittelbar an das Jugendamt zu richten. Wählt die Gemeinde bzw. das Jugendamt für die Vergabe von Plätzen in Kindertageseinrichtung dagegen ein dezentrales System, in dem die Kindertageseinrichtungen in Trägerschaft der Gemeinde selbst die Auswahl der dort aufzunehmen Kinder durchführen und an die ausgewählten Kinder letztlich auch die Leistung bewilligen, gelten die dort gestellten Anträge als Anträge, mit denen der Träger der öffentlichen Jugendhilfe über den Bedarf in Kenntnis gesetzt wird. Von den Eltern der Anspruchsberechtigten kann letztlich nicht mehr verlangt werden, als sich an dem regulären Vergabeverfahren zu beteiligen, wie die Gemeinde es vorgesehen und eingerichtet hat. Dies haben die Eltern der Klägerin vorliegend gemacht. Sie haben sich über das Informationssystem KIGAN informiert, darüber die gewünschte Betreuung an ausgewählte Kindertageseinrichtungen übermitteln lassen und letztlich von dort auch Entscheidungen bekommen.
43Unabhängig davon, ob die Beklagte daneben überhaupt weitere Handlungsschritte der Eltern fordern könnte, war ein weiterer Handlungsbedarf hier jedenfalls nicht angezeigt. Insbesondere der Hinweis in dem Ablehnungsschreiben, die Mitarbeiterinnen des Familienbüros ständen für weitere Fragen und Hilfen zur Verfügung, lässt weder darauf schließen, dass das Jugendamt selbst für die abgelehnten Kinder Plätze organisiert oder vor der Selbstbeschaffung zwingend zu kontaktieren wäre. Die Eltern der Klägerin haben sich schließlich am 30.04.2013 noch schriftlich an das Jugendamt der Beklagten direkt gewandt. Auch damit war der Beklagten immer noch ein Zeitraum von drei Monaten eingeräumt, um einen Betreuungsplatz zu finden. Da der Anspruch gerichtet war auf die Betreuung in einer Ü3-Gruppe und für die Beklagte anders als die U3-Betreuung in der Planung absehbar war, nur durch die Betreuung in einer Kindertageseinrichtung erfüllt werden konnte und dem Anspruch nach insoweit wohl einhelliger Rechtsprechung auch keine Kapazitätserschöpfung entgegengehalten werden kann, dürfte selbst dieses Schreiben hier noch als zeitlich hinreichend angesehen werden, der Beklagten eine entsprechende Planung zu ermöglichen.
44Die Beklagte kann der Klägerin auch nicht entgegenhalten, dass die Selbstbeschaffung schon vor der Antragstellung erfolgt sei. Zwar bestand der Betreuungsvertrag mit der privatgewerblichen Einrichtung schon vor der Antragstellung für die Betreuung in einer städtischen Kindertageseinrichtung in dem hier maßgeblichen Kindergartenjahr 2013/2014. Das hindert die Beklagte aber nicht an der davon unabhängigen Erfüllung ihrer Leistungspflicht und steht demzufolge auch nicht dem Mehraufwandsanspruch entgegen, wenn sie einen bestehenden Förderanspruch nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt. Die Beklagte hat hieraus – anders als sie wohl geltend macht – auch keine Kosten zu befürchten. Sie ist insoweit ausreichend durch die weiteren Voraussetzungen des Bestehens des Primäranspruches und der Deckung der Kosten nach dem Gebot der Erforderlichkeit geschützt. Entscheidend ist daher, ob die Klägerin sozusagen in den Mehraufwandsanspruch hineinwächst, weil ihr Primäranspruch nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt wurde. Eventuelle – hier nicht ersichtliche – Kostenunterschiede zwischen dem Fortbestand eines Betreuungsvertrages gegenüber einem berechtigten Neuabschluss könnten zudem bei der Höhe der zu erstattenden Kosten berücksichtigt werden.
45Es lagen auch die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vor. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Betreuungsanspruch nach § 24 SGB VIII waren – was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist – erfüllt. Der Anspruch ist auch nicht durch Erfüllung untergegangen. Für die Klägerin stand zum beantragten Aufnahmetermin am 01.08.2013 kein Betreuungsplatz zur Verfügung, den sie tatsächlich hätte in Anspruch nehmen können. Zwar dürften die Betriebsferien der Kindertageseinrichtung insoweit außer Betracht bleiben, so dass es hier nicht schädlich wäre, dass die Einrichtung bis einschließlich 09.08.2013 geschlossen war. Denn Voraussetzung für die Erfüllung des Betreuungsanspruches ist jedenfalls, dass ein zumutbarer Platz zugewiesen wird, der jedenfalls unmittelbar nach Ende der Betriebsferien tatsächlich in Anspruch genommen werden kann. Das war hier nicht der Fall. Zwar ist dem Vorbringen der Beklagten zu entnehmen, dass der Platz ab dem 01.08.2013 für die Klägerin frei gehalten wurde und die Leiterin der Kindertageseinrichtung im Streitfall auch angewiesen worden wäre, die Klägerin in der Einrichtung aufzunehmen. Aus dem Vorbringen der Beteiligten insgesamt ergibt sich jedoch, dass die Entscheidung, die telefonisch am 30.07.2013 gegenüber der Mutter der Klägerin mitgeteilt wurde, nicht dahin ging, dass der freigehaltene Platz unmittelbar am 12.08.2013 zur Betreuung hätte in Anspruch genommen werden und der Vertrag ggf. am selben Tag hätte geschlossen werden können. Vielmehr wurde der Mutter der Klägerin mitgeteilt, dass sie nach dem Ende der Betriebsferien einen Termin mit der Leiterin der Kindertageseinrichtung machen und sodann Näheres mit ihr besprechen solle. Unter diesen Umständen des Einzelfalls ist nicht anzunehmen, dass der Anspruch zum 01.08.2013 erfüllt worden ist. Damit wurde der Anspruch nicht rechtzeitig erfüllt.
46Keiner Entscheidung bedarf es daher, ob die Erfüllung des Anspruches weiter voraussetzt, dass ein (schriftlicher) Betreuungsvertrag mit der Einrichtung geschlossen ist, was hier erst am 27.08.2013 der Fall gewesen wäre.
47Die Deckung des Bedarfs hat auch keinen zeitlichen Aufschub im Sinne von § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII geduldet.
48Der daraus folgende Vorrang des Primärrechtsschutzes steht hier nicht entgegen, weil es keine ablehnende Entscheidung des Jugendhilfeträgers über den auf die Zuteilung eines zumutbaren Betreuungsplates gerichteten Primäranspruch gab. Die Ablehnungen der einzelnen Einrichtungen betrafen diesen Anspruch nicht insgesamt, sondern waren jeweils nur auf die spezielle Einrichtungen bezogen und demnach nicht im Rechtsmittelwege anzugreifen. Das Verwaltungsverfahren betreffend den Primäranspruch lief mithin bis zur Erfüllung des Anspruches fort (siehe dazu oben).
49Die Selbstbeschaffung war auch dringlich. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der gesetzliche Betreuungsanspruch ansonsten durch Zeitablauf untergeht.
50Die geltend gemachten Kosten sind der Höhe nach größtenteils als im Sinne von § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII erforderlich und folglich als erstattungsfähig anzusehen. Als erforderlich sind in Anwendung des Rechtsgedankens des § 683 Satz 1 i.V.m. § 670 BGB diejenigen Aufwendungen anzusehen, welche die Eltern des Anspruchsberechtigten nach ihrem subjektiv vernünftigen Ermessen unter Berücksichtigung der Interessen des Jugendhilfeträgers für erforderlich halten durften.
51OVG NRW, Urteil vom 22.08.2014 – 12 A 3019/11 –, juris, Rn. 82 f. (m.w.N.) [Privatschule].
52Grundsätzlich ist der Mehraufwandsberechtigte so zu stellen, wie er stehen würde, wenn die (selbst beschaffte) Jugendhilfeleistung, auf die ein Anspruch bestand, rechtzeitig bewilligt worden wäre.
53BVerwG, Urteil vom 09.12.2014 – 5 C 32/13 –, juris, Rn. 36 (m.w.N.) [Vollzeitpflege eines Enkelkindes].
54Dies zugrunde gelegt sind der Klägerin insgesamt 2.348,50 Euro zu erstatten.
55Die Eltern der Klägerin durften es für erforderlich halten, sich vor der verspäteten Bereitstellung eines Betreuungsplatzes durch die Beklagte selbst einen Betreuungsplatz zu beschaffen. Die Beklagte hat jedenfalls vor dem 30.07.2013 keinerlei verbindliche Erklärung gegenüber den Eltern der Klägerin abgegeben, insbesondere keine Zuweisung vorgenommen oder eine Zusicherung abgeben. Insbesondere das Schreiben vom
5625.06.2013 stellt angesichts seines nur vagen Inhalts keine Zusicherung dar. Die Eltern der Klägerin wären daher berechtigt gewesen, sich einen Betreuungsplatz zu beschaffen. Gleichermaßen konnten sie hier den Betreuungsvertrag fortlaufen lassen. Der Vertrag war, nachdem die Vertreterin der Beklagte telefonisch geäußert hatte, dass alles Nähere im August mit der Leiterin der Kindertageseinrichtung zu klären sei, vorliegend auch nicht allein aufgrund des Telefonats noch im Juli 2013 zu kündigen. Durch das Fortlaufen des Vertrages entstanden auch keine Mehrkosten gegenüber einem berechtigten Neuabschluss. Das Fortlaufen des Vertrages im August 2013 bedeutete gleichermaßen wie ein neuer Vertragsabschluss mit der besuchten Einrichtung, dass im August 2013 die für den Betreuungsmonat August an die Einrichtung zu entrichtenden Kosten entstanden sind, gleichermaßen wie die Zahlungsverpflichtung für die folgenden drei Monate der Kündigungsfrist.
57Die Eltern der Klägerin durften auch die Kosten für die besuchte Einrichtung für erforderlich halten, die zwar hoch, aber nicht außergewöhnlich hoch waren. Da die im Kindergartenjahr als Ü3-Kind geltende Klägerin nicht auf die Betreuung in der Tagespflege hätte verwiesen werden können, ist auch keine günstigere Alternative ersichtlich. Auch sind entsprechende Kündigungsfristen üblich.
58Von den tatsächlichen Kosten abzuziehen sind die ersparten Aufwendungen. Als solche zählen insbesondere die Elternbeiträge, die bei einem Besuch einer städtischen Kindertageseinrichtung angefallen wären. Diesen Abzug hat die Klägerin bereits vorgenommen.
59Sind in den geleisteten Betreuungskosten – wie hier – Beträge für die Verpflegung in der privaten Einrichtung enthalten, die in der städtischen Kindertageseinrichtung gesondert zu entrichten wären, sind auch diese in Abzug zu bringen. Wäre der Anspruch der Klägerin im Umfang von 45 Wochenstunden bereits zum 01.08.2013 erfüllt worden, hätte die Klägerin für die Übermittagbetreuung im August an 15 Tagen (Betriebsferien ausgenommen) 2,50 Euro für das Mittagessen, insgesamt also 37,50 Euro entrichten müssen. Dies ist in der Klageforderung nicht berücksichtigt und entsprechend in Abzug zu bringen.
60Der Klägerin stehen auch die geltend gemachten Rechtshängigkeitszinsen analog § 291 BGB zu.
61Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 3, 188 Satz 2 VwGO. Trotz des teilweisen Unterliegens der Klägerin, waren der Beklagten die Kosten des Verfahrens insgesamt aufzuerlegen, weil die Klägerin nur zu einem ganz geringen Teil – bezogen auf den Wert des Streitgegenstandes nämlich zu weniger als 2 % – unterlegen war.
62Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.
Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Köln Urteil, 26. Feb. 2016 - 19 K 5324/14
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Verwaltungsgericht Köln Urteil, 26. Feb. 2016 - 19 K 5324/14 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).
(1) Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe trägt die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird; dies gilt auch in den Fällen, in denen Eltern durch das Familiengericht oder Jugendliche und junge Volljährige durch den Jugendrichter zur Inanspruchnahme von Hilfen verpflichtet werden. Die Vorschriften über die Heranziehung zu den Kosten der Hilfe bleiben unberührt.
(2) Abweichend von Absatz 1 soll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die niedrigschwellige unmittelbare Inanspruchnahme von ambulanten Hilfen, insbesondere der Erziehungsberatung nach § 28, zulassen. Dazu soll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit den Leistungserbringern Vereinbarungen schließen, in denen die Voraussetzungen und die Ausgestaltung der Leistungserbringung sowie die Übernahme der Kosten geregelt werden. Dabei finden der nach § 80 Absatz 1 Nummer 2 ermittelte Bedarf, die Planungen zur Sicherstellung des bedarfsgerechten Zusammenwirkens der Angebote von Jugendhilfeleistungen in den Lebens- und Wohnbereichen von jungen Menschen und Familien nach § 80 Absatz 2 Nummer 3 sowie die geplanten Maßnahmen zur Qualitätsgewährleistung der Leistungserbringung nach § 80 Absatz 3 Beachtung.
(3) Werden Hilfen abweichend von den Absätzen 1 und 2 vom Leistungsberechtigten selbst beschafft, so ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen nur verpflichtet, wenn
- 1.
der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, - 2.
die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und - 3.
die Deckung des Bedarfs - a)
bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder - b)
bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für die Unterbringung der Klägerin zu 2 in der Kinderkrippe einer privaten Elterninitiative in der Zeit vom 8. April bis zum 15. Oktober 2011.
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Die Klägerin zu 1 ist die Mutter der am 8. April 2009 geborenen Klägerin zu 2. Anfang Dezember 2009 beantragte die Klägerin zu 1 erstmals bei der beklagten Stadt als Trägerin der Jugendhilfe, ihrer Tochter einen Krippen- bzw. Kindergartenplatz zuzuteilen. Weil die Beklagte hierauf nicht reagierte, brachte die Klägerin zu 1 ihr Kind ab Juli 2010 in der genannten privaten Einrichtung unter. Ein im Oktober 2010 gestellter Antrag der Klägerin zu 1 auf Übernahme des Elternbeitrags für die Unterbringung in der privaten Krippe blieb ohne Erfolg. Mit Schreiben vom 26. Februar und 1. März 2011 machte die Klägerin zu 1 bei der Beklagten erneut den Anspruch geltend, ihrer Tochter einen Kindergartenplatz zur Verfügung zu stellen.
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Am 22. September 2011 hat die Klägerin zu 1 Klage auf Zuweisung eines Kindergartenplatzes sowie auf Kostenerstattung für die ab 8. April 2011 aufgewendeten Kosten für die Unterbringung in der privaten Elterninitiative erhoben. Die Beklagte stellte der Klägerin zu 2 ab dem 16. Oktober 2011 einen Kindergartenplatz zur Verfügung. Daraufhin hat die Klägerin zu 1 ihr Begehren auf die Kostenübernahme beschränkt. Mit Einverständnis der Beklagten ist die Klage ferner um die Klägerin zu 2 erweitert worden.
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Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerinnen einen Betrag in Höhe von 2 187,77 € zu zahlen.
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Die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Nach dem rheinland-pfälzischen Kindertagesstättengesetz habe das Jugendamt der Beklagten zu gewährleisten, dass für jedes Kind vom vollendeten zweiten Lebensjahr ein Platz in einer Kindertagesstätte beitragsfrei zur Verfügung stehe. Diesen Anspruch habe die Beklagte nicht erfüllen können. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Jugendhilferecht sei seit jeher anerkannt, dass die Kostenübernahme vom Jugendhilfeträger verlangt werden könne, wenn die Leistung zu Recht begehrt worden sei und ohne Vermittlung des Jugendhilfeträgers in Anspruch genommen werden musste. Nach dieser Rechtsprechung setze sich die "Primärverantwortung" des für die Gewährleistung verantwortlichen Jugendhilfeträgers sekundär in der Verantwortung für die Übernahme der Kosten fort, wenn die geschuldete Leistung anderweitig beschafft werden musste. Diese Rechtsgrundsätze seien auch durch die Schaffung des § 36a Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) im Jahre 2005 nicht in Zweifel gezogen oder ausgeschlossen worden. Die Voraussetzungen eines solchen Übernahmeanspruchs seien hier erfüllt. Neben der Klägerin zu 2 könne auch die sorgeberechtigte Klägerin zu 1 Kostenerstattung beanspruchen. Denn nach der gesetzlichen Konzeption stehe der Rechtsanspruch auf einen Kindertagesstättenplatz auch den Sorgeberechtigten zu. Maßgeblich dafür sei ihre gesetzlich bezweckte Begünstigung, eine durch öffentliche Mittel hoch subventionierte Einrichtung in Anspruch nehmen zu können.
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Mit ihrer Revision macht die Beklagte geltend, die Klägerin zu 1 sei bereits nicht aktivlegitimiert, weil der Primäranspruch auf Verschaffung eines Kindergartenplatzes nach den klaren gesetzlichen Regelungen nur dem Kind zustehe und nicht den sorgeberechtigten Personen. Für einen Anspruch der Klägerin zu 2 auf Erstattung der Kosten des selbstbeschafften Kindergartenplatzes gebe es keine Rechtsgrundlage. Eine Ausdehnung des richterrechtlichen Haftungsinstituts für selbstbeschaffte Leistungen bei Systemversagen auf die vorliegende Fallgruppe der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen sei nicht zulässig. Das Haftungsinstitut zum Kostenersatz für selbstbeschaffte Hilfen bei Systemversagen sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur im Rahmen der Hilfen zur Erziehung und der Eingliederungshilfe anwendbar. Mit § 90 Abs. 3 SGB VIII bestehe eine selbständige und abschließende Sonderregelung zur Kostentragung für das Kindergartenrecht. Zudem sei der Rückgriff auf das richterrechtliche Haftungsinstitut ausgeschlossen, weil § 36a Abs. 3 SGB VIII eine abschließende Spezialregelung über den Kostenersatz für selbstbeschaffte Hilfe bei Systemversagen für das SGB VIII darstelle. Insbesondere die systematische Ausgestaltung dieser Vorschrift sowie ihre Regelungshistorie belegten die Annahme des Gesetzgebers, dass sich die richterrechtlichen Grundsätze mit ihrer Einführung erledigt hätten und nicht mehr ergänzend herangezogen werden könnten. Das Berufungsgericht habe auch deshalb Bundesrecht verletzt, weil es zu Unrecht angenommen habe, dass die Voraussetzungen des richterrechtlichen Haftungsinstituts vorlägen. Dieser Anspruch sei schon wegen der fehlenden Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Primärrechtsschutzes ausgeschlossen. Es sei den Klägerinnen zuzumuten gewesen, ihren Verschaffungsanspruch auf einen Kindergartenplatz im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO durchzusetzen. Ein Anspruch der Klägerinnen auf Kostenerstattung scheitere weiter daran, dass Elterninitiativen nach den Vorgaben des rheinland-pfälzischen Kindertagesstättengesetzes nicht in rechtmäßiger Weise den Primäranspruch auf Verschaffung eines Kindergartenplatzes erfüllen könnten, weil sie nicht Träger einer Kindertagesstätte im Sinne des Gesetzes seien.
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Die Klägerinnen verteidigen das angegriffene Urteil.
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Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich an dem Verfahren und unterstützt die Rechtsauffassung der Beklagten.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht hat den Klägerinnen den im Streit stehenden Aufwendungsersatzanspruch zugesprochen, ohne dass dies im Sinne des § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO Bundesrecht verletzt.
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Soweit das Oberverwaltungsgericht die Existenz des aus dem Landesrecht folgenden Aufwendungsersatzanspruchs vom Verständnis bundesrechtlicher Grundsätze abhängig macht, ist dies einer revisionsgerichtlichen Überprüfung zugänglich (1.). Der vom Oberverwaltungsgericht angenommene Rechtssatz, dass nach Bundesrecht unter bestimmten Voraussetzungen ein Sekundäranspruch auf Ersatz von Aufwendungen besteht, wenn der Primäranspruch auf Verschaffung eines Kinderbetreuungsplatzes nicht erfüllt oder in rechtswidriger Weise verweigert wird, und das rheinland-pfälzische Landesrecht dem folgt, ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden (2.). Eine Verletzung von Bundesrecht liegt auch im Übrigen nicht vor (3.).
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1. Obgleich der von den Klägerinnen geltend gemachte und vom Oberverwaltungsgericht bejahte Sekundäranspruch auf Aufwendungsersatz seine Grundlage im irrevisiblen Landesrechts findet (a), sind die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zu der Frage, ob es im Bundesrecht einen entsprechenden Anspruch auf Aufwendungsersatz für selbstbeschaffte Kinderbetreuungsplätze gibt, im Revisionsverfahren zu überprüfen (b).
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a) Der Anspruch der Klägerinnen auf Aufwendungsersatz ist ein Sekundäranspruch, der seiner Rechtsnatur nach dem Landesrecht angehört. Dies beruht darauf, dass der diesem zugrunde liegende (primäre) Leistungsanspruch auf Verschaffung eines Kindergartenplatzes auf einen Gesetzesbefehl des Landesrechts zurückgeht. Nach § 5 Abs. 1 des Kindertagesstättengesetzes des Landes Rheinland-Pfalz - KitaG - vom 15. März 1991 (GVBl S. 79) in der Fassung der Änderung durch das Gesetz vom 16. Dezember 2005 (GVBl S. 502) haben Kinder vom vollendeten zweiten Lebensjahr bis zum Schuleintritt Anspruch auf Erziehung, Bildung und Betreuung im Kindergarten (Satz 1), wobei das Jugendamt zu gewährleisten hat, dass für jedes Kind rechtzeitig ein Kindergartenplatz in zumutbarer Entfernung zur Verfügung steht (Satz 2). Mit dem Wirksamwerden des Satzes 1 dieser Vorschrift ab dem 1. August 2010 ist in Rheinland-Pfalz ein Rechtsanspruch bereits für zweijährige Kinder eingeräumt worden, der nach der bundesrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegung des Oberverwaltungsgerichts nicht an weitere Voraussetzungen (wie etwa die Erwerbstätigkeit der Eltern) geknüpft ist.
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Dem Bundesrecht ließ sich im hier maßgeblichen Zeitraum von April bis Oktober 2011, für den die Klägerinnen Aufwendungsersatz begehren, kein entsprechender Betreuungsanspruch für zweijährige Kinder entnehmen. Das Sozialgesetzbuch Achtes Buch - SGB VIII - (Art. 1 des Gesetzes vom 26. Juni 1990
in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 2006 , zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. Dezember 2008 ) sah in § 24 Abs. 1 SGB VIII (a.F.) einen (unbedingten) Rechtsanspruch nur für Kinder ab dem vollendeten dritten Lebensjahr vor. Für Kinder unter drei Jahren enthielt das Bundesrecht lediglich eine Verpflichtung der Jugendhilfeträger, ein bedarfsgerechtes Angebot an Plätzen vorzuhalten (§ 24 Abs. 2 SGB VIII a.F.), und begründete eine Förderungsverpflichtung nur unter bestimmten Voraussetzungen, wie etwa der Erwerbstätigkeit der Erziehungsberechtigten (§ 24 Abs. 3, § 24a Abs. 3 und 4 SGB VIII). Die Neuregelung des § 24 Abs. 3 SGB VIII (in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. September 2012 ), die ab dem 1. August 2013 einen Rechtsanspruch für Kinder, die das erste Lebensjahr vollendet haben, gewährt, ist hier noch nicht anwendbar.
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Ist der maßgebliche Primäranspruch - hier auf Verschaffung eines Kindergartenplatzes - landesrechtlicher Natur, so folgt daraus, dass auch die an seine Verletzung oder Nichterfüllung geknüpften sekundärrechtlichen Folgen dem Landesrecht zuzuordnen sind. Der Sekundäranspruch - hier auf Aufwendungsersatz gerichtet - teilt in aller Regel und so auch hier die Rechtsnatur des ihm zugrunde liegenden Leistungsanspruchs (vgl. etwa zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch und zum Anspruch aus öffentlich-rechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag: Urteile vom 16. Mai 2000 - BVerwG 4 C 4.99 - BVerwGE 111, 162 <172> = Buchholz 316 § 56 VwVfG Nr. 13 S. 10 und vom 6. Oktober 1989 - BVerwG 8 C 52.87 - BVerwGE 82, 350 <351>; vgl. ferner Beschluss vom 3. Januar 1992 - BVerwG 6 B 20.91 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 240).
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b) Soweit das Berufungsgericht Landesrecht ausgelegt und angewendet hat, ist das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich daran gebunden (§ 137 Abs. 1 VwGO, § 173 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO). Es hat aber nachzuprüfen, ob die Vorinstanz eine irrevisible Norm des Landesrechts unter Verkennung von oder im Widerspruch zu Bundesrecht ausgelegt hat (vgl. Urteile vom 18. Dezember 1987 - BVerwG 4 C 9.86 - BVerwGE 78, 347 <351> = Buchholz 310 § 42 VwGO Nr. 151 S. 9, vom 23. August 1994 - BVerwG 1 C 18.91 - BVerwGE 96, 293 <294 f.> = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 230 S. 15 und vom 21. September 2005 - BVerwG 6 C 16.04 - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 40). Zudem ist eine revisionsgerichtliche Überprüfung auch dann eröffnet, wenn die Vorinstanz die Auslegung des irrevisiblen Rechts wesentlich vom Verständnis des Bundesrechts abhängig gemacht hat (vgl. Urteil vom 6. September 1984 - BVerwG 3 C 16.84 - BVerwGE 70, 64 <65> = Buchholz 415.16 § 28 BJagdG Nr. 1 S. 2 f.; Neumann, in: Sodan/Ziekow
, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 137 Rn. 106). So liegt es hier.
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Das Oberverwaltungsgericht hat sich bei seiner Prüfung des dem Landesrecht zuzuordnenden Sekundäranspruchs auf Aufwendungsersatz im Wesentlichen davon leiten lassen, wie dieser Anspruch im Bundesrecht entwickelt und konturiert wird. Daran anknüpfend ist es der Sache nach davon ausgegangen, dass das Landesrecht dem folge. Es hat sich mithin bei der Konkretisierung des landesrechtlichen Sekundäranspruchs wesentlich vom Verständnis des Bundesrechts abhängig gemacht. Dies erschließt sich insbesondere daraus, dass es im Hinblick auf den im Streit stehenden Sekundäranspruch auf Aufwendungsersatz keine spezifisch landesrechtlichen Erwägungen angestellt, sondern maßgeblich auf die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts herausgebildeten Grundsätze zum Jugendhilferecht des Bundes abgestellt und sich an diesen ausgerichtet hat. Soweit die Erwägungen des Berufungsgerichts Inhalt und Grenzen eines bundesrechtlichen Sekundäranspruchs betreffen, unterliegen sie der revisionsgerichtlichen Kontrolle.
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2. Der vom Oberverwaltungsgericht angenommene Rechtssatz, dass aus dem Bundesrecht ein Sekundäranspruch abzuleiten ist, wonach unter bestimmten Voraussetzungen Aufwendungsersatz für selbstbeschaffte Leistungen der Jugendhilfe verlangt werden kann, wenn der Primäranspruch - hier auf Verschaffung eines Kinderbetreuungsplatzes - nicht erfüllt oder in rechtswidriger Weise verweigert wird, ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Er beruht auf einer analogen Anwendung des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII.
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a) Dem Oberverwaltungsgericht ist darin zuzustimmen, dass ein solcher bundesrechtlicher Rechtssatz ursprünglich in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Wege richterlicher Rechtsfortbildung entwickelt worden ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Rechtsprechung sowohl zum Jugendwohlfahrts- und Jugendhilferecht als auch zum Sozialhilferecht stets angenommen, dass der Jugendhilfe- bzw. Sozialhilfeträger zur Übernahme der Kosten bereits durchgeführter selbstbeschaffter Hilfemaßnahmen verpflichtet sein kann (Beschluss vom 25. August 1987 - BVerwG 5 B 50.87 - Buchholz 436.51 § 5 JWG Nr. 2 = NVwZ-RR 1989, 252 m.w.N.). Besondere praktische Bedeutung erlangte dieser Anspruch auf Kostenübernahme für selbstbeschaffte Leistungen im Jugendhilferecht namentlich im Bereich der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Erziehung (vgl. Urteil vom 13. Juni 1991 - BVerwG 5 C 27.88 - Buchholz 436.51 § 6 JWG Nr. 13). Er war aber nicht darauf beschränkt, sondern erstreckte sich grundsätzlich auf alle Leistungen der Jugendhilfe.
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Dies und die Voraussetzungen eines entsprechenden Sekundäranspruchs hat das Bundesverwaltungsgericht mit den Worten zum Ausdruck gebracht, "dass dann, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Jugendhilfe vorlagen, erforderliche Maßnahmen aber nicht vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe, sondern von Dritten durchgeführt wurden, der Träger der öffentlichen Jugendhilfe Jugendhilfe noch nachträglich leisten könne und müsse, indem er die Kosten der bereits durchgeführten Maßnahme übernimmt" (Urteil vom 28. September 2000 - BVerwG 5 C 29.99 - BVerwGE 112, 98 <100> = Buchholz 436.511 § 35a KJHG/SGB VIII Nr. 3 S. 2). Der Jugendhilfeträger hat für diese Kosten aber nur dann aufkommen müssen, wenn der Hilfebedarf rechtzeitig an ihn herangetragen worden ist (Urteil vom 28. September 2000 a.a.O. <103> bzw. S. 5; bestätigt durch Urteil vom 11. August 2005 - BVerwG 5 C 18.04 - BVerwGE 124, 83 <86> = Buchholz 436.511 § 35a KJHG/SGB VIII Nr. 4 S. 10). Die Notwendigkeit, den Träger von Anfang an mit einzubeziehen, hat das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich daraus hergeleitet, dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe nur in diesem Fall ihre aus § 79 Abs. 1 SGB VIII folgende Gesamtverantwortung für die Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben wie auch ihre Planungsverantwortung nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGB VIII nicht nur institutionell, sondern auch durch die Hilfegestaltung im individuellen Einzelfall wahrnehmen (Urteil vom 28. September a.a.O. <103> bzw. S. 4 f. unter Hinweis auf das Urteil vom 27. Januar 2000 - BVerwG 5 C 19.99 - BVerwGE 110, 320 = Buchholz 436.511 § 90 KJHG/SGB VIII Nr. 7 - Selbstbeschaffung eines Kinderkrippenplatzes).
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Diese Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist im Fachschrifttum wie auch von Berufungsgerichten zu Recht dahin verstanden worden, dass damit ein richterrechtliches Haftungsinstitut für das Jugendhilferecht konkretisiert worden ist. Danach ist eine Selbstbeschaffung mit der Folge eines (Sekundär-)Anspruchs auf Ersatz von Aufwendungen gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe grundsätzlich nur zulässig, wenn ein (Primär-)Anspruch auf die beschaffte Leistung bestanden hat, diese Leistung nicht rechtzeitig erbracht oder zu Unrecht abgelehnt worden ist (mithin ein "Systemversagen" bei der Leistungsgewährung zu verzeichnen war) und es dem Leistungsberechtigten wegen der Dringlichkeit seines Bedarfs nicht zuzumuten war, die Bedarfsdeckung aufzuschieben (vgl. insbes. die Stellungnahme der Ständigen Fachkonferenz 1 "Grund- und Strukturfragen" des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e.V., ZfJ 2003, 61 ff.; OVG Münster, Urteil vom 14. März 2003 - 12 A 1193/01 - NVwZ-RR 2003, 864 m.w.N.). Der Anwendungsbereich dieser Grundsätze ist im Fachschrifttum teilweise auch ausdrücklich und zu Recht auf die Selbstbeschaffung von Leistungen der Kinderbetreuung nach § 24 SGB VIII erstreckt worden (Fischer, JAmt 2002, 492<493>).
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b) Dem Oberverwaltungsgericht ist nicht darin beizupflichten, dass der Anspruch der Klägerinnen seine Grundlage in dem dargestellten richterrechtlichen Haftungsinstitut bei zulässiger Selbstbeschaffung findet. Dies folgt daraus, dass der Anspruch auf Aufwendungsersatz für selbstbeschaffte Leistungen im Jugendhilferecht nunmehr durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe vom 8. September 2005 (BGBl I S. 2729) mit Wirkung zum 1. Oktober 2005 in § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII geregelt worden ist. Damit hat der Gesetzgeber der Sache nach im Wesentlichen den zuvor richterrechtlich begründeten Anspruch auf Aufwendungsersatz kodifiziert. In der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung wird ausdrücklich auf die zuvor genannte Rechtsprechung und Literatur Bezug genommen (nämlich auf das Urteil des Senats vom 28. September 2000 a.a.O., die Stellungnahme der Ständigen Fachkonferenz 1 a.a.O. und das Urteil des OVG Münster vom 14. März 2003 a.a.O.) und dazu ausgeführt, diese Rechtsprechung solle nunmehr im Interesse der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit eine positiv-rechtliche Grundlage erfahren (BRDrucks 586/04 S. 45 und BTDrucks 15/3676 S. 26).
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Die nunmehr geschaffene gesetzliche Grundlage geht dem richterrechtlichen Haftungsinstitut vor. Zwar ist § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII hier nicht unmittelbar anzuwenden (aa). Jedoch liegen die Voraussetzungen einer analogen Anwendung vor (bb). Da die gesetzesübersteigende richterliche Rechtsfortbildung nur dann als zulässig erachtet werden kann, wenn die Lösung nicht im Wege der Auslegung oder der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung (etwa der Analogie) gefunden werden kann (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 426), haben ihr gegenüber die Formen der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung Vorrang.
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aa) Eine unmittelbare Anwendung des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII auf die Fälle der Selbstbeschaffung von Kindergartenplätzen scheidet aus.
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Dies erschließt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII bezieht sich auf "Hilfen" und erfasst damit nicht alle der in § 2 Abs. 2 SGB VIII aufgelisteten Leistungen der Jugendhilfe, sondern nur solche, die sich als Hilfen im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 4 bis 6 SGB VIII darstellen, also nicht zu der Leistungsform der Angebote (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 SGB VIII) gehören. Bei den Regelungen über die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege (§ 22 ff. SGB VIII) handelt es sich um die zuletzt genannte Kategorie (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII).
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Auch die systematische Stellung des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII im Vierten Abschnitt des Gesetzes spricht in gewichtiger Weise dafür, dass diese Vorschrift unmittelbar nur die in diesem Abschnitt geregelten Hilfen, nicht aber die im Dritten Abschnitt normierten Angebote erfasst. Zudem lassen die Gesetzesmaterialien erkennen, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 36a SGB VIII die Hilfen im Auge hatte und insbesondere die Selbstbeschaffung von Leistungen der Eingliederungshilfe (§ 35a SGB VIII) begrenzen wollte (BTDrucks 15/3676 S. 36).
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bb) § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII ist jedoch auf jugendhilferechtliche Leistungen, welche die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege betreffen, entsprechend anzuwenden. Die Voraussetzungen eines Analogieschlusses sind erfüllt.
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Jede Art der gesetzesimmanenten richterlichen Rechtsfortbildung - hier die Analogie - setzt eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (vgl. Urteile vom 18. April 2013 - BVerwG 5 C 18.12 - NJW 2013, 2457 Rn. 22 und zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen, vom 15. November 2012 - BVerwG 3 C 12.12 - LKV 2013, 78 Rn. 19 und vom 20. Mai 1999 - BVerwG 3 C 3.98 - Buchholz 451.512 MGVO Nr. 134 S. 5). Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, dürfen die Gerichte diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern oder durch eine judikative Lösung ersetzen. Ob eine Gesetzeslücke vorliegt, ist danach zu beurteilen, ob die vom Regelungsprogramm des Gesetzgebers erfassten Fälle in den gesetzlichen Vorschriften tatsächlich Berücksichtigung gefunden haben. Sie ist zu bejahen, wenn festzustellen ist, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht alle Fälle erfasst, die nach dem Sinn und Zweck der Regelung erfasst sein sollten (vgl. Urteil vom 18. April 2013 a.a.O. Rn. 22 m.w.N.).
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(1) Das Sozialgesetzbuch Achtes Buch weist die danach vorausgesetzte Gesetzeslücke auf. Der in Rede stehende Sachverhalt, ob und welche Rechtsfolgen das Bundesrecht daran knüpft, wenn ein Rechtsanspruch auf Verschaffung eines Kinderbetreuungsplatzes nicht erfüllt und die Leistung selbst beschafft wird, wird weder unmittelbar von § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII noch von einer sonstigen gesetzlichen Bestimmung des Kinder- und Jugendhilferechts erfasst.
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(a) Der Einwand der Beklagten, dass mit § 90 Abs. 3 SGB VIII eine selbständige und abschließende Sonderregelung zur Kostentragung für das Kindergartenrecht bestehe, verfängt insoweit nicht. Nach dieser Vorschrift soll im Falle des Abs. 1 Nr. 3 (der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege nach den §§ 22 bis 24 SGB VIII) der Kostenbeitrag auf Antrag ganz oder teilweise erlassen oder ein Teilnahmebeitrag auf Antrag ganz oder teilweise vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden, wenn die Belastung den Eltern und dem Kind nicht zuzumuten ist. Für die Feststellung der zumutbaren Belastung kommt es auf das maßgebliche Einkommen an (§ 90 Abs. 4 SGB VIII).
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Diese Regelung ist nicht auf die Fälle der Selbstbeschaffung von Kinderbetreuungsplätzen wegen Systemversagens zugeschnitten. Vielmehr bezieht sich der Übernahmeanspruch nach § 90 Abs. 3 SGB VIII auf eine andere Sachlage. Er setzt im Wesentlichen die Unzumutbarkeit der Belastung voraus und ist neben der sozialen Staffelung (§ 90 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII) eine weitere soziale Komponente der Ausgestaltung der Kostenbeteiligung der Eltern (vgl. etwa Wiesner, in: ders.
, SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 90 Rn. 20).
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Soweit das Bundesverwaltungsgericht - worauf die Beklagte hinweist - im Urteil vom 25. April 2002 (- BVerwG 5 C 16.01 - Buchholz 436.511 § 90 KJHG/ SGB VIII Nr. 9) ausgeführt hat, dass nach der Systematik des Gesetzes die Kostenbeteiligung für die in § 90 SGB VIII bezeichnete Inanspruchnahme von Angeboten der Jugendhilfe abschließend in dieser Vorschrift geregelt sei, beziehen sich diese Ausführungen allein auf die Kostenbeteiligung der Eltern und damit auf die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Eltern einen Kostenbeitrag zu zahlen oder Anspruch auf Erlass dieses Beitrags haben bzw. seine Übernahme durch den Jugendhilfeträger beanspruchen können. Für die hier in Rede stehende Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Aufwendungsersatzanspruch daran geknüpft ist, wenn der Primäranspruch des Kindes auf Verschaffung eines Betreuungsplatzes von dem Träger der Jugendhilfe nicht erfüllt worden ist, ist damit keine Aussage getroffen worden.
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(b) Dies gilt auch für die gesetzlich normierten Erstattungsansprüche für selbstbeschaffte Leistungen bei Systemversagen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 13 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V -) und im Schwerbehindertenrecht (§ 15 Abs. 1 Satz 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX -). Diese betreffen andere Regelungsbereiche und bieten keine Anhaltspunkte dafür, dass ihnen für den Bereich des Jugendhilferechts Aussagekraft zukommen soll.
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(c) Eine gesetzliche Regelungslücke kann schließlich auch nicht deshalb abgelehnt werden, weil - wie die Beklagte meint - das Staatshaftungsrecht allgemeine Haftungsinstitute wie den Folgenbeseitigungsanspruch und die Amtshaftung vorsieht. Aus der Existenz des Amtshaftungsanspruchs (Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB), der ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten eines Amtswalters voraussetzt und nicht nur Aufwendungs-, sondern weiterreichenden Schadensersatz gewährt, ist wegen dieser Unterschiede für die Frage, ob eine gesetzliche Regelungslücke im Hinblick auf einen verschuldensunabhängigen, an ein Systemversagen bei der Erfüllung von Kinderbetreuungsplätzen anknüpfenden Sekundäranspruch besteht, nichts herzuleiten. Auch die Existenz von ungeschriebenen allgemeinen Haftungsinstituten wie des Folgenbeseitigungsanspruchs gibt keine Antwort auf die Frage, ob das Gesetz in einem bestimmten Bereich - wie hier im Bereich der Nichterfüllung von jugendhilferechtlichen Ansprüchen auf Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen - Unvollständigkeiten aufweist.
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(2) Die festgestellte Gesetzeslücke stellt sich auch als planwidrig dar. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist § 36a Abs. 3 SGB VIII nicht als abschließende Spezialregelung für das gesamte Jugendhilferecht zu begreifen, die eine Ausdehnung des Erstattungsanspruchs auf Leistungen des Kinder- und Jugendhilferechts, die nicht unmittelbar Gegenstand der Vorschrift sind, ausschließt. Vielmehr entspricht es dem Plan des Gesetzgebers, den Erstattungsanspruch auch auf die Fälle der Nichterfüllung eines Anspruchs auf Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege anzuwenden. Dies erschließt sich vor allem aus den in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Intentionen.
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Der Gesetzgeber verfolgte mit der Schaffung des § 36a Abs. 3 SGB VIII - wie oben aufgezeigt - das Ziel, die Rechtsprechung zum Anspruch auf Aufwendungsersatz im Fall der Selbstbeschaffung von Leistungen im Jugendhilferecht zu kodifizieren. Mit dem Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Aufwendungen hat der Gesetzgeber im Vergleich zur früheren Rechtslage keine Schlechterstellung der Berechtigten bezweckt (Urteil vom 1. März 2012 - BVerwG 5 C 12.11 - BVerwGE 142, 115 = Buchholz 436.511 § 33 SGB VIII Nr. 2 jeweils Rn. 23). Da das richterliche Haftungsinstitut - wie oben ebenfalls dargelegt - auch die sekundärrechtlichen Folgen eines enttäuschten (Primär-)Anspruchs auf Kinderbetreuung umfasste, bleibt § 36a Abs. 3 SGB VIII insoweit hinter dem Plan des Gesetzgebers zurück.
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(3) Die planwidrige Lücke ist durch analoge Anwendung des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zu schließen. Die Rechtsfolge des Aufwendungsersatzanspruchs ist auf den hier zur Beurteilung stehenden Sachverhalt übertragbar, weil eine vergleichbare Sach- und Interessenlage zu den geregelten Fällen besteht.
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Kennzeichnend für die in § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII normierten Fälle ist, dass ein gesetzlicher Primäranspruch, der keine bloße Geldleistung, sondern eine Sach- und Dienstleistung zum Gegenstand hat (nämlich insbesondere der Anspruch auf Eingliederungshilfe oder Hilfe zur Erziehung) nicht erfüllt wird und diejenigen, die sich die unaufschiebbar notwendige Leistung, deren Gewährung der Jugendhilfeträger zu Unrecht abgelehnt oder über die er nicht rechtzeitig entschieden hat, selbstbeschaffen, nicht schlechter stehen sollen als diejenigen, deren Leistungsbegehren rechtzeitig erfüllt worden ist (vgl. Urteil vom 1. März 2012 a.a.O. Rn. 23). Weil der Anspruch (etwa auf Eingliederungshilfe oder Hilfe zur Erziehung) mit Zeitablauf nicht mehr erfüllt werden kann, verhindert der Betroffene durch die Selbstbeschaffung den Verlust der Leistung. Es würde gegen die gesetzliche Gewährung des Rechtsanspruchs verstoßen, wenn der Hilfebedürftige seinen Anspruch allein deshalb verlieren würde, weil er die ihm zustehende Hilfe nicht rechtzeitig vom Leistungsträger erhalten hat (vgl. bereits die Rechtsprechung des Senats zum Sozialhilferecht: Urteil vom 23. Juni 1994 - BVerwG 5 C 26.92 - BVerwGE 96, 152 <155> = Buchholz 436.0 § 5 BSHG Nr. 12 S. 4).
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Die Sach- und Interessenlage, die besteht, wenn der Jugendhilfeträger einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz in einer Kindertagesstätte nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt, ist der zuvor beschriebenen ähnlich und mit ihr wertungsmäßig vergleichbar. Die Kinderbetreuung, die - trotz Rechtsanspruchs - nicht für den Zeitraum gewährt wird, für den sie begehrt wird, lässt sich nicht verschieben, sondern bleibt für diesen Zeitraum in irreversibler Weise unerfüllt; der Anspruch auf Zuweisung eines real verfügbaren Platzes erledigt sich durch Zeitablauf (vgl. Rixen, NJW 2012, 2839 <2841>; Schübel-Pfister, NVwZ 2013, 385 <390>). Soweit der Primäranspruch auf einen Betreuungsplatz nicht auf andere Weise rechtzeitig durchgesetzt werden kann, ist der Betroffene - wenn er den endgültigen Anspruchsverlust verhindern will - auf eine Selbstbeschaffung verwiesen, die es ihm dann noch ermöglicht, den Bedarf zu decken und zumindest die erforderlichen Aufwendungen hierfür erstattet zu bekommen.
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Wegen der ähnlichen Sach- und Interessenlage ist der Analogieschluss auch auf alle Tatbestandsmerkmale, die 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII an die Rechtsfolge des Aufwendungsersatzanspruchs knüpft, sinngemäß zu erstrecken. Das gilt insbesondere für das Merkmal, dass der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Bedarf in Kenntnis gesetzt haben muss (Nr. 1). Die Bedeutung dieses Merkmals und seine Notwendigkeit, es als Voraussetzung für einen entsprechend hergeleiteten Aufwendungsersatzanspruch anzusehen, erschließt sich aus dem systematischen Zusammenhang des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zu Absatz 1 dieser Vorschrift. Gesetzlicher Leitgedanke des § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist die Steuerungsverantwortung des Jugendhilfeträgers. Nach dieser Regelung hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann zu tragen, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird. Der Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass es nicht dem gesetzlichen Auftrag des Jugendhilfeträgers entspricht, nur "Zahlstelle" und nicht Leistungsträger zu sein. Das Jugendhilferecht zielt auf eine partnerschaftliche Hilfe unter Achtung familiärer Autonomie und auf kooperative pädagogische Entscheidungsprozesse. Nur wenn die Eltern bzw. der Hilfeempfänger grundsätzlich den Träger der Jugendhilfe von Anfang an in den Entscheidungsprozess einbeziehen, kann er seine aus § 36a Abs. 1, § 79 Abs. 1 SGB VIII folgende Gesamtverantwortung für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben und die Planungsverantwortung nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGB VIII wahrnehmen (Urteil vom 18. Oktober 2012 - BVerwG 5 C 21.11 - BVerwGE 145, 1 = Buchholz 436.511 § 36a SGB VIII Nr. 2 jeweils Rn. 31; Beschluss vom 22. Mai 2008 - BVerwG 5 B 130.07 - JAmt 2008, 600).
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Der genannte Gedanke, dass eine Vorbefassung des Trägers der Jugendhilfe erforderlich ist, bevor ein Bedarf im Wege der Selbstbeschaffung gedeckt wird, greift auch für die Ansprüche auf Kinderbetreuung. Auch im Hinblick auf die Verpflichtung zur Erfüllung dieser Rechtsansprüche hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe - unabhängig davon, ob der Anspruch im Bundesrecht oder wie hier im Landesrecht (§ 5 Abs. 1 KitaG) wurzelt - seine Gewährleistungspflicht zunächst durch eine bedarfsgerechte Planung entsprechend den objektivrechtlichen Vorgaben der §§ 79, 80 SGB VIII zu erfüllen und dabei bereits das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern zu berücksichtigen. Der Jugendhilfeträger trägt so für die Bereitstellung eines bedarfsgerechten Angebots die Gesamtverantwortung, der er etwa durch die Finanzierung von Betreuungsplätzen kommunaler Träger und durch finanzielle Förderung nichtstaatlicher (freier) Träger nachkommt.
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3. Das angefochtene Urteil ist auch im Übrigen revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
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a) Soweit das Oberverwaltungsgericht davon ausgeht, dass der an die Nichterfüllung des landesrechtlichen Verschaffungsanspruchs anknüpfende Sekundäranspruch auf Aufwendungsersatz dem bundesrechtlichen Maßstab folgt, unterliegt dies ebenso wenig der revisionsgerichtlichen Kontrolle wie seine Prüfung, ob im konkreten Fall die Voraussetzungen des landesrechtlichen Aufwendungsersatzanspruchs erfüllt sind. Dies entzieht sich grundsätzlich der revisionsgerichtlichen Überprüfung, weil es sich insoweit um die Anwendung von Landesrecht handelt.
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b) Der Einwand der Beklagten, das Oberverwaltungsgericht habe jedenfalls der Klägerin zu 1 zu Unrecht einen Aufwendungsersatzanspruch zugebilligt, weil der Primäranspruch auf Verschaffung eines Kindergartenplatzes nach den gesetzlichen Regelungen nur dem Kind und nicht den sorgeberechtigten Personen zustehe, begründet ebenfalls nicht die Annahme eines Bundesrechtsverstoßes.
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aa) Die auf der Auslegung und Anwendung des § 5 Abs. 1 KitaG beruhende Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, dass auch die Klägerin zu 1 als Sorgeberechtigte nach dieser Vorschrift anspruchsberechtigt sei, ist als Auslegung irrevisiblen Landesrechts für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend, § 137 Abs. 1 VwGO, § 173 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO (Urteil vom 21. September 2005 - BVerwG 6 C 16.04 - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 40).
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Das Oberverwaltungsgericht hat die Anspruchsberechtigung der Sorgeberechtigten vorrangig auf landesrechtliche Erwägungen gestützt. Es hat dazu in den Urteilsgründen ausgeführt, zwar ergebe sich aus dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 KitaG, dass der Rechtsanspruch auf einen Kindertagesstättenplatz zunächst dem Kind eingeräumt sei. Er stehe nach der gesetzlichen Konzeption aber ebenso den Sorgeberechtigten zu. Maßgeblich dafür sei nicht ihre Befreiung von dem verhältnismäßig geringen Anteil an den Personalkosten in der Form des Elternbeitrags (§ 13 Abs. 2 KitaG), sondern die Begünstigung durch die Inanspruchnahme einer durch öffentliche Mittel hoch subventionierten Einrichtung.
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bb) Eine revisionsgerichtliche Prüfung ist auch nicht deshalb eröffnet, weil sich das Oberverwaltungsgericht für seine Auslegung des Landesrechts im Wesentlichen vom Bundesrecht hätte leiten lassen (vgl. Urteil vom 6. September 1984 - BVerwG 3 C 16.84 - BVerwGE 70, 64 = Buchholz 415.16 § 28 BJagdG Nr. 1) oder weil es von der Annahme ausgegangen wäre, es sei an Bundesrecht gebunden und müsse aufgrund eines bundesrechtlichen Rechtsanwendungsbefehls § 5 Abs. 1 KitaG im Hinblick auf die Anspruchsberechtigung genauso auslegen wie eine bundesrechtliche Vorschrift (vgl. Urteile vom 18. Mai 1977 - BVerwG 8 C 44.76 - BVerwGE 54, 54 <56 f.> = Buchholz 454.51 MRVerbG Nr. 1 S. 2 f. und vom 16. Januar 2003 - BVerwG 4 CN 8.01 - BVerwGE 117, 313 <317> = Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 160 S. 96).
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Zwar hat das Oberverwaltungsgericht auch eine im entscheidungserheblichen Zeitraum geltende bundesrechtliche Regelung ausgelegt und dabei zu Unrecht angenommen, dass Anspruchsinhaber nach § 24 Abs. 1 SGB VIII a.F. nicht nur das Kind, sondern auch die sorgeberechtigte Person gewesen sei. Letzteres trifft nicht zu, weil nach dem unmissverständlichen Wortlaut dieser Vorschrift ausdrücklich und allein das Kind als Berechtigter genannt wird. Dies lässt sich auch im Hinblick auf die Systematik des SGB VIII, Rechtsansprüche entweder dem Kind bzw. Jugendlichen (wie etwa bei Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII) oder den personensorgeberechtigten Eltern (wie etwa bei der Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII) zuzuweisen, nur als bewusste Entscheidung des Gesetzgebers interpretieren, allein dem Kind den Anspruch nach § 24 Abs. 1 SGB VIII a.F. auf Verschaffung eines Betreuungsplatzes zu vermitteln. Soweit das Oberverwaltungsgericht diese bundesrechtliche Anspruchsberechtigung verkannt hat, wirkt sich dies hier jedoch nicht aus.
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Das Oberverwaltungsgericht gelangt zu der in Rede stehenden Anspruchsberechtigung eigenständig tragend auch durch rein landesrechtlich ausgerichtete Erwägungen. Maßgeblich sei die Begünstigung der Eltern durch die Inanspruchnahme einer durch öffentliche Mittel hoch subventionierten Einrichtung. Das Oberverwaltungsgericht legt insoweit sowohl die bundesrechtliche als auch die landesrechtliche Anspruchsgrundlage - mit gleichem Ergebnis - parallel aus.
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cc) Schließlich ist die Auslegung des § 5 Abs. 1 KitaG auch nicht deswegen revisionsgerichtlich zu beanstanden, weil das Bundesrecht ein anderes als das vom Oberverwaltungsgericht vertretene Ergebnis gebieten würde (vgl. Urteil vom 23. August 1994 - BVerwG 1 C 18.91 - BVerwGE 96, 293 <294 f.> = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 230 S. 15). Denn eine einschränkende bundesrechtskonforme Auslegung war weder im Hinblick auf einfaches noch auf Verfassungsrecht des Bundes erforderlich. Vielmehr ist der Landesgesetzgeber gemäß § 24 Abs. 6 SGB VIII frei darin, weitergehende Begünstigungen als der Bund zu gewähren. Denn nach dieser Vorschrift bleibt weitergehendes Landesrecht unberührt.
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c) Ein Bundesrechtsverstoß ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die Beklagte und der Vertreter des Bundesinteresses auf einen Grundsatz vom Vorrang des verwaltungsgerichtlichen Primärrechtsschutzes verweisen und dazu geltend machen, ein Aufwendungsersatzanspruch sei hier ausgeschlossen, weil es die Klägerinnen versäumt hätten, den Verschaffungsanspruch auf einen Kindergartenplatz im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO durchzusetzen.
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Ob die Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes eine Voraussetzung des landesrechtlichen Sekundäranspruchs auf Aufwendungsersatz darstellt und ob diese etwaige Voraussetzung im konkreten Fall erfüllt ist, ist als Auslegung und Anwendung von Landesrecht der revisionsgerichtlichen Überprüfung grundsätzlich nicht zugänglich. Darüber hinaus ist es zweifelhaft, ob im Rahmen des Anspruchs auf Aufwendungsersatz nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII die vorherige Inanspruchnahme von Eilrechtsschutz geboten ist. Im Wortlaut des § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII, der nur verlangt, dass die Deckung des Bedarfs durch die selbstbeschaffte Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet haben darf und der dabei zwischen dem Fall der Bedarfsdeckung bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung (Buchst. a) und dem Fall bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung (Buchst. b) unterscheidet, hat das Erfordernis des Eilrechtsschutzes keinen Ausdruck gefunden.
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Diese Frage bedarf jedoch keiner abschließenden Klärung, weil jedenfalls gegen die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass das Nachsuchen um vorläufigen Rechtsschutz nur dann verlangt werden kann, wenn es dem Betroffenen zumutbar ist, bundesrechtlich nichts zu erinnern ist. Selbst beim Amtshaftungsanspruch, bei dem der grundsätzliche Vorrang des primären gerichtlichen Rechtsschutzes in deutlicher Form in § 839 Abs. 3 BGB niedergelegt ist, wird die Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz nur verlangt, wenn durch diese eine rechtzeitige Abhilfe überhaupt erwartet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 1995 - III ZR 71/93 - BGHZ 128, 346 <358>; s. auch BVerwG, Urteil vom 28. Mai 1998 - BVerwG 2 C 29.97 - BVerwGE 107, 29 <32 f.> = Buchholz 232 § 23 BBG Nr. 40 S. 3). Dies war jedoch nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht der Fall. Es hat dazu ausgeführt, dass eine Abhilfe auch dann nicht zu erwarten gewesen wäre, wenn die Sorgeberechtigten von Anfang an versucht hätten, den Primäranspruch im Verwaltungsrechtsweg durchzusetzen.
(1) Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe trägt die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird; dies gilt auch in den Fällen, in denen Eltern durch das Familiengericht oder Jugendliche und junge Volljährige durch den Jugendrichter zur Inanspruchnahme von Hilfen verpflichtet werden. Die Vorschriften über die Heranziehung zu den Kosten der Hilfe bleiben unberührt.
(2) Abweichend von Absatz 1 soll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die niedrigschwellige unmittelbare Inanspruchnahme von ambulanten Hilfen, insbesondere der Erziehungsberatung nach § 28, zulassen. Dazu soll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit den Leistungserbringern Vereinbarungen schließen, in denen die Voraussetzungen und die Ausgestaltung der Leistungserbringung sowie die Übernahme der Kosten geregelt werden. Dabei finden der nach § 80 Absatz 1 Nummer 2 ermittelte Bedarf, die Planungen zur Sicherstellung des bedarfsgerechten Zusammenwirkens der Angebote von Jugendhilfeleistungen in den Lebens- und Wohnbereichen von jungen Menschen und Familien nach § 80 Absatz 2 Nummer 3 sowie die geplanten Maßnahmen zur Qualitätsgewährleistung der Leistungserbringung nach § 80 Absatz 3 Beachtung.
(3) Werden Hilfen abweichend von den Absätzen 1 und 2 vom Leistungsberechtigten selbst beschafft, so ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen nur verpflichtet, wenn
- 1.
der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, - 2.
die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und - 3.
die Deckung des Bedarfs - a)
bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder - b)
bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. Mai 2010 wird zurückgewiesen.
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Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
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Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Die zu ihrer Begründung angeführten Gesichtspunkte rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.
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1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dies wäre nur dann zu bejahen, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Revisionsverfahren erheblich wäre und deren höchstrichterliche Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 11. August 1999 - BVerwG 11 B 61.98 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19 und vom 22. Mai 2008 - BVerwG 5 B 130.07 - JAmt 2008, 600).
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a) Die vom Kläger für klärungsbedürftig gehaltene Frage
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"ob bei einer im Rahmen der Selbsthilfe verschafften Maßnahme im Sinne des § 35a Abs. 2 SGB VIII Kostenerstattungsansprüche gegen den Jugendhilfeträger nur dann bestehen können, wenn die fragliche Maßnahme alternativlos in Betracht kommt, jede andere Maßnahme also nicht geeignet wäre, der bestehenden Belastungssituation zu begegnen",
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rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Denn das Berufungsgericht hat die Zurückweisung der Klage nicht allein darauf gestützt, beim Kläger wären zur Behandlung seines Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms (im Folgenden: ADS) auch andere Maßnahmen als der Wechsel auf die Internationale Schule in Frage gekommen.
- 4
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Vielmehr hat es selbstständig tragend ausgeführt, für eine Kostenerstattung selbst beschaffter Maßnahmen fehle es im Schuljahr 2002/2003 auch an der schon vor Einführung des § 36a SGB VIII erforderlichen Dringlichkeit. Es sei nicht anzunehmen, dass der Schulwechsel nach dem bereits damals sinngemäß geltenden § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII keinen zeitlichen Aufschub geduldet habe. Zumindest ein vorübergehender Verbleib sei nicht unzumutbar gewesen, so dass der Kläger die abschließende Entscheidung des Jugendamts über die Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII für den Besuch der Privatschule hätte abwarten können und müssen. Für die Schuljahre 2003/2004 bis 2005/2006 wird selbstständig tragend darauf abgestellt, dass jedenfalls die nach § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII erforderliche Teilhabebeeinträchtigung nicht mehr bestanden habe und auch im Falle eines erneuten Schulwechsels auf eine öffentliche Schule keineswegs sicher gedroht habe (UA S. 31 f.). Insoweit sind auch keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben.
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Folglich ist die möglicherweise klärungsbedürftige Frage nicht entscheidungserheblich, ob eine selbst beschaffte Maßnahme im Falle der Unaufschiebbarkeit nicht nur geeignet (vgl. OVG Münster vom 30. Januar 2004 - 12 B 2392/03 - NVwZ-RR 2004, 503 <505>), sondern - wie der Hessische Verwaltungsgerichtshof im angegriffenen Berufungsurteil ausführt - auch alternativlos sein muss (differenzierend Kunkel in LPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 36a Rn. 8).
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b) Die vom Kläger des Weiteren für grundsätzlich klärungsbedürftig angesehene Frage,
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"ob das 'In-Kenntnis-Setzen' des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe vom Hilfebedarf im Sinne des § 36a Abs. 3 Ziff. 1 SGB VIII zwingend einen förmlichen Antrag auf Gewährung von Eingliederungshilfe voraussetzt oder ob es hierfür ausreichend ist, dass der Jugendhilfeträger in anderweitiger Form Kenntnis vom Hilfebedarf erlangt und auf dieser Grundlage über die Hilfegewährung entscheiden konnte",
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rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. Zum einen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinreichend geklärt, dass Leistungen der Jugendhilfe grundsätzlich eine vorherige Antragstellung gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe voraussetzen, dass für diesen Antrag keine besondere Form vorgeschrieben ist und dass er auch in der Form schlüssigen Verhaltens gestellt werden kann (Beschluss vom 22. Mai 2008 a.a.O. m.w.N.). Zum anderen hat der Verwaltungsgerichtshof gerade nicht tragend auf den Zeitpunkt des förmlichen Antrages abgestellt. Er ist vielmehr davon ausgegangen, das Jugendamt habe von einem möglichen Hilfebedarf bereits Ende Februar/Anfang März 2002 erfahren und habe darauf in ausreichendem Umfang reagiert (UA S. 26 bis 28).
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2. Die Revision ist auch nicht nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen.
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2.1 Die mit der Beschwerde erhobene Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur Erfolg haben, wenn die für aufklärungsbedürftig gehaltenen Tatsachen unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können (stRspr, vgl. Urteil vom 22. Januar 1969 - BVerwG 6 C 52.65 - BVerwGE 31, 212; Beschluss vom 22. Mai 2008 a.a.O.). Daran fehlt es.
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a) Der Kläger rügt zu Unrecht, das Berufungsgericht hätte entsprechend seinem in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsbeweisantrag die behandelnden Therapeuten zum Beweis für die Behauptung vernehmen müssen, dass dem Kläger seinerzeit eine seelische Behinderung gedroht habe. Es erscheint zwar zweifelhaft, ob dieser Hilfsbeweisantrag schon deswegen abgelehnt werden konnte, weil es sich bei dem angeführten Beweisthema der drohenden seelischen Behinderung streng genommen nicht um eine Tatsache, sondern um eine der Rechtsanwendung zuzuordnende Prognoseentscheidung handelt. Dies mag zwar die Vernehmung der behandelnden Therapeuten als sachverständige Zeugen ausschließen, hindert aber ihre Heranziehung als Sachverständige nicht (vgl. Urteil vom 6. Februar 1985 - BVerwG 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <42 f.>). Dass die Vernehmung von Sachverständigen die eigene Prognoseentscheidung des Tatrichters nicht ersetzen, sondern hierfür nur eine Hilfestellung bieten kann, ändert nichts daran, dass ein Sachverständigengutachten durchaus als geeignetes Beweismittel zur Unterstützung der letztlich maßgeblichen richterlichen Überzeugungsbildung in Bezug auf die Gefahr einer seelischen Behinderung in Betracht kommen kann (vgl. Beschluss vom 22. Oktober 2008 - BVerwG 1 B 5.08 - juris Rn. 5).
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Die Frage der seelischen Behinderung war jedoch nach der Rechtsauffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs letztlich nicht entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat zwar bezweifelt, dass dem Kläger im Frühjahr 2002, eine seelische Behinderung drohte. Es hat die Ablehnung des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs für das Schuljahr 2002/2003 aber letztlich nicht auf diese Zweifel gestützt. Es hat ergänzend ausgeführt, dass es auch an der erforderlichen Gefahr einer Teilhabebeeinträchtigung fehle, und es hat die Frage der drohenden seelischen Behinderung „letztlich dahinstehen“ lassen (UA S. 19), weil der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch für das Schuljahr 2002/2003 seines Erachtens an den sonstigen Voraussetzungen für die Erstattung selbst beschaffter Hilfen scheiterte. Auch für die folgenden Schuljahre hat der Verwaltungsgerichtshof lediglich darauf abgestellt, dass dem Kläger jedenfalls nach dem einjährigen Besuch der Internationalen Schule keine Teilhabebeeinträchtigung mehr drohte und auch im Falle eines erneuten Schulwechsels keineswegs sicher gedroht hätte. In der Aufklärungsrüge ist auch nicht aufgezeigt worden, dass sich in Bezug auf die Schuljahre 2003/2004 bis 2005/2006 hinsichtlich einer drohenden Teilhabebeeinträchtigung des Klägers weitere Ermittlungen aufgedrängt hätten und dass darauf bereits im Berufungsverfahren im ausreichenden Maße hingewirkt worden wäre. Der oben erwähnte Hilfsbeweisantrag konnte nur so verstanden werden, dass er sich auf die „seinerzeit“ im Jahre 2002 drohende seelische Behinderung bezog. Entgegen dem Beschwerdevorbringen musste der Antrag nicht dahingehend ausgelegt werden, dass er für den gesamten eingeklagten Erstattungszeitraum gelten sollte.
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b) Nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts war letztlich auch auf die im anderen Hilfsbeweisantrag unter Beweis gestellte Behauptung, dass die Internationale Schule für die ADS-Problematik des Klägers „die richtige Schule“ gewesen sei, nicht entscheidungserheblich. Abgesehen davon, dass dieser Beweisantrag eine dem Beweis nicht zugängliche Bewertung zum Gegenstand hat und vom Berufungsgericht verfahrensfehlerfrei schon mangels konkreter Tatsachenbehauptung abgewiesen worden ist, kam es auf die vom Verwaltungsgerichtshof geäußerten Zweifel an der Eignung dieser Schule als Therapieeinrichtung für Kinder mit ADS nicht an. Das Berufungsgericht hat - wie bereits ausgeführt - die Kostenerstattungspflicht des Beklagten auch aus anderen selbstständig tragenden Gründen abgelehnt, so dass die beantragte Vernehmung des Schulleiters der Internationalen Schule auch nicht aus Gründen der richterlichen Aufklärungspflicht erforderlich gewesen ist.
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2.2 Die angegriffene Entscheidung verletzt auch nicht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Der Anspruch auf rechtliches Gehör fordert, dass das erkennende Gericht die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht (stRspr, vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 30. Oktober 1990 - 2 BvR 562/88 - BVerfGE 83, 24 <35> und vom 30. April 2010 - 1 BvR 2797/09 - FamRZ 2010, 1145). Allerdings müssen die Gerichte nicht jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich bescheiden (stRspr, BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 1967 - 2 BvR 639/66 - BVerfGE 22, 267 <274>). Es müssen nur die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Februar 1978 - 1 BvR 426/77 - BVerfGE 47, 182 <187>). Ein Gehörsverstoß kommt deshalb nur in Betracht, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (stRspr, Beschluss vom 2. September 2010 - BVerwG 9 B 12.10 -). Auch in diesem Fall kommt es nur dann zur Aufhebung einer Gerichtsentscheidung, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Berücksichtigung des Vortrags zu einer für die Prozesspartei günstigeren Entscheidung hätte führen können (BVerfG, Urteil vom 14. Dezember 1982 - 2 BvR 434/82 - BVerfGE 62, 392 <396>; BVerwG, Beschluss vom 15. Juli 2008 - BVerwG 8 B 24.08 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 77).
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a) Soweit der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Fall auf zwei gutachtliche Stellungnahmen zur ADS-Problematik des Klägers aus dem Jahr 2007 nicht eingegangen ist, kann die angegriffene Entscheidung auf einer mangelnden Berücksichtigung dieses Vorbringens jedenfalls nicht beruhen. Denn das Berufungsgericht hat das Vorliegen einer seelischen Behinderung des Klägers - wie ausgeführt - letztlich dahinstehen lassen und den Kostenerstattungsanspruch aus anderen Gründen abgelehnt.
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b) Schließlich hat der Verwaltungsgerichtshof auch den Sachvortrag zur Dringlichkeit des Schulwechsels im klagebegründenden Schriftsatz vom 9. März 2007 nicht übergangen. Die darin angeführten Argumente für die Notwendigkeit des Schulwechsels (ADS, Absinken der Schulleistungen, Probleme mit Mitschülern, Mobbing, aggressives Verhalten des Klägers, Schulwechselempfehlung des Klassenlehrers und Schulleiters, unbefriedigender Verlauf der Gespräche bei der Schulaufsicht) werden im Tatbestand des Berufungsurteils wiedergegeben (UA S. 8). Damit hat das Berufungsgericht den diesbezüglichen Parteivortrag zur Kenntnis genommen. Dann aber bedarf es besonderer Umstände, die hier nicht ersichtlich sind, dass das Berufungsgericht das zur Kenntnis genommene Vorbringen bei der Entscheidungsfindung nicht erwogen habe.
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Soweit es bei der Erörterung der Rechtsfrage der Unaufschiebbarkeit des Schulwechsels nicht im Einzelnen auf diese Punkte eingegangen ist, lässt dies nicht den Schluss zu, es hätte diese Argumente nicht in Erwägung gezogen. Das Berufungsgericht hat erkennbar zwischen der Frage der Notwendigkeit eines Schulwechsels und der Frage der Unaufschiebbarkeit des Schulwechsels bis zu einer Entscheidung des Jugendamts differenziert und verlangt, dass für die Unaufschiebbarkeit eines Schulwechsels noch zusätzliche Argumente angeführt werden müssten, die auch einen vorübergehenden Verbleib unzumutbar erscheinen ließen. Es hat die im Tatbestand des Urteils durchaus referierten Probleme des Klägers im Ergebnis nicht als so schwerwiegend angesehen, dass auch ein einstweiliger Verbleib in der bisherigen Schule unzumutbar gewesen wäre.
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Bei dieser Bewertung der Tatsachen hat es sich maßgeblich auf die im Aktenvermerk vom 12. September 2002 festgehaltene Einschätzung der Mutter des Klägers gestützt, der Kläger habe die bisherige Schule nicht verlassen müssen. In diesem Zusammenhang ist auch die zum Beleg des Gehörverstoßes angeführte Passage des Urteils zu verstehen, es sei nicht über Auseinandersetzungen des Klägers mit seinen Mitschülern berichtet worden, die einen einstweiligen Verbleib auf der Schule unzumutbar erscheinen ließen. Ist aber das Vorbringen einer Partei zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen worden, dann hindert der Anspruch auf rechtliches Gehör das Gericht nicht, die zur Kenntnis genommenen Tatsachen anders zu bewerten als die Prozesspartei. Art. 103 Abs. 1 GG gewährt keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205 <216>).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 28. Juli 2010 dazu verpflichtet, die Kosten des Besuchs der Privatschule E. durch die Klägerin in den Schuljahren 2010/2011 und 2011/2012 zu übernehmen.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Instanzen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die am 1999 geborene Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten ihrer Beschulung auf der Privatschule E. in X. für die Schuljahre 2010/2011 und 2011/2012 durch die Beklagte.
3Die Klägerin besuchte ab dem Jahr 2002 eine Kindertagesstätte und erhielt bereits vorschulisch eine ergotherapeutische und logopädische Behandlung, nachdem ein Sprachentwicklungsrückstand und Wahrnehmungsstörungen diagnostiziert worden waren. Zum Schuljahr 2005/2006 wurde die Klägerin auf der T. schule X. , einer städtischen Gemeinschaftsgrundschule, eingeschult. Dort wiederholte sie die 1. Klasse. Einhergehend mit der Diagnose eines unterlagernden Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms wurde die Klägerin ab dem Jahr 2007 durch Frau Dr. C. E1. , Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin und Psychotherapeutin in X. , verhaltenstherapeutisch und medikamentös behandelt. Ebenfalls ab dem Jahr 2007 nahm die Klägerin eine lerntherapeutische Behandlung in der Praxis J. E. in X. wahr.
4Ausweislich eines Aktenvermerks der Beklagten vom 21. Dezember 2009 erkundigte sich die Mutter der Klägerin am 10. Dezember 2009 nach Fördermöglichkeiten für die Klägerin, da diese in der Schule Probleme wegen einer Dyskalkulie und eines ADS habe, woraufhin ein Hausbesuch am 17. Dezember 2009 vereinbart worden sei. Aus dem Vermerk geht weiter hervor, dass die Klägerin von ihren Eltern umfassend versorgt und intensiv gefördert werde. Sie zeige sich im Gespräch aufgeschlossen und freundlich und besuche derzeit die 4. Klasse der GGS T. schule. Die Klägerin berichte, sie gehe gerne zur Schule, habe dort aber keine Freunde und werde auch nicht zu Geburtstagen eingeladen. Sie spiele in der Pause Fangen mit anderen Kindern. Das Fach Sport möge sie besonders gerne, Mathematik dagegen nicht. Sie fahre alleine zur Schule mit einem Roller. Sie sei bereits einmal mit ihrer Klasse zu einer Klassenfahrt gefahren und freue sich auf die nächste. Nachmittags spiele sie mit ihrem Bruder oder nehme am Vereinstraining (Schwimmen und Leichtathletik) teil. Die Eltern hätten sich dahingehend geäußert, dass die Entwicklung der Klägerin bedingt durch eine Sprachentwicklungsverzögerung, eine Störung der Körperwahrnehmung und Entzündungen der Ohren, die zeitweise das Hörvermögen eingeschränkt hätten, problematisch verlaufen sei. Sie habe Ergo- und Sprachtherapie erhalten und werde lerntherapeutisch behandelt. Ihre guten Leistungen seien nur durch das Zusammenwirken von intensiver häuslicher, schulischer und lerntherapeutischer Unterstützung entstanden. Sie zeige sich sehr lernmotiviert und ehrgeizig und habe eine uneingeschränkte Empfehlung zum Besuch einer Real- oder Gesamtschule erhalten. Sorge bereite allerdings ihre Tendenz zum sozialen Rückzug. In der Kinderarztpraxis E1. seien Dyskalkulie und ADS diagnostiziert worden. Es sei zu befürchten, dass die Klägerin mit dem Besuch einer weiterführenden Regelschule wegen der großen Klassenverbände und mangelnder individueller Förderung überfordert sei und keinen angemessen Schulabschluss erreichen könne.
5Am 21. Dezember 2009 fand eine „Einzelberatung/weiterführende Schulen“ an der T. schule statt, bei der die Klassenlehrerin der Klägerin, Frau D. T. , mit deren Eltern das in der Grundschule gezeigte Arbeits- und Sozialverhalten sowie die erkennbare Leistungsfähigkeit und -bereitschaft besprach. Aus der zugehörigen Niederschrift geht hervor, dass die Klassenlehrerin „nach heutigem Stand der Erkenntnisse den Besuch einer Realschule oder einer Gesamtschule“ empfehle. Unter „besondere Bemerkungen“ ist weiter festgehalten: „M. sollte eine Realschule besuchen, die auf die besonderen Bedürfnisse von M. Rücksicht nimmt!“.
6Unter dem 1. Februar 2010 beantragten die Eltern der Klägerin die Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII. Die Klägerin solle ab der 5. Klasse die Privatschule E. besuchen, da sie dort optimale Bedingungen vorfände, um einen angemessenen Schulabschluss zu erreichen, ohne durch ihre Teilleistungsstörungen und die damit verbundenen seelischen Probleme benachteiligt zu sein. Schon seit früher Kindheit habe sie Probleme, dauerhafte Kontakte zu anderen Kindern zu knüpfen, weil sie auch durch eine Sprachentwicklungsverzögerung belastet sei. Daraus habe sich eine tiefe Verunsicherung entwickelt, die sich in der Schulzeit verstärkt habe, da sie in ihrem Lernverhalten durch eine Dyskal-kulie und ADHS beeinträchtigt sei. Auch wenn durch diverse Therapien eine gewisse Besserung eingetreten sei, neige sie dazu, sich bei Kritik abgelehnt zu fühlen, so dass sie sich in der Schule oft zurückziehe. Sie sei wenig selbstbewusst und befürchte immer, dass man über sie und ihre Probleme spreche und sie den Anforderungen nicht genügen könne. Jedoch sei sie sehr lernwillig und könne einige Defizite mit viel Fleiß ausgleichen. Es sei zu befürchten, dass sie in einer staatlichen Realschule mit großen Klassen und fehlender individueller Zugehens-weise der Lehrer nicht zu einem angemessenen Schulabschluss gelangen könne. Dem Antrag waren ein Zwischenbericht über die lerntherapeutische Behandlung und die Schulzeugnisse der Klägerin beigefügt.
7In ihrem auf den 29. Januar 2010 datierten schulischen Gutachten wies die damalige Klassenlehrerin der Klägerin, Frau D. T. , darauf hin, dass sich die Klägerin von Anfang an ihren Lehrerinnen gegenüber sehr aufgeschlossen gezeigt und sich gegenüber ihren Mitschülern freundlich verhalten habe. Sie habe allerdings bisher keinen altersangemessenen Kontakt zu ihren Mitschülern aufgebaut. Es sei ihr bei Gruppenarbeiten nur sehr bedingt gelungen, eigene Ideen einzubringen. Auf dem Schulhof habe sie sich entweder alleine beschäftigt oder mit sehr viel jüngeren Kindern gespielt. Um Konflikte zu lösen, habe sie stets die unterstützende Hilfe durch ihre Lehrerinnen benötigt. Sie sei in der Lage, Gelerntes sicher anzuwenden, und könne gut etwas auswendig lernen. Jedoch falle es ihr schwer, neues Wissen in vorhandene Strukturen einzubinden. Oft scheitere sie an der Art und Weise der Aufgabenstellung, die sie nicht verstehe. Wenn man mit ihr die eigentliche Aufgabe bespreche und mit ihr Beispiele durchgehe, so sei sie in der Lage, die Aufgaben sicher zu lösen. Allerdings gelinge ihr der Transfer auf ähnliche Aufgaben nur bedingt. Zum einen sei sie auf eine sehr intensive Zuwendung ihrer Lehrerinnen und zum anderen auf eine umfassende außerschulische Förderung ihrer Eltern und einer Therapeutin angewiesen. Sie benötige eine durchgängige individuelle Zuwendung und Hilfe, durch die sie ohne Zeitdruck an klar strukturierte, überschaubare und individuell differenzierte Aufgaben herangehen könne. Auch nach der Grundschule sei es wichtig, dass sie schulisch und außerschulisch weiterhin intensiv gefördert werde.
8In ihrem ärztlichen Attest vom 10. März 2010 führte die Kinder- und Jugendärztin und Kinder- und Jugendtherapeutin Dr. C. E1. u. a. aus, dass die Klägerin in allen schulischen und leistungsbezogenen Anforderungen auf Unterstützung durch Lehrer, Eltern oder Lerntherapeutin angewiesen sei. Die geringsten Herausforderungen oder Schwierigkeiten ließen sie ansonsten resignieren und sie sei dann nicht mehr in der Lage, sich konstruktiv mit dem Problem auseinander zu setzen. Sie habe trotz aller Unterstützung nur ein sehr geringes Selbstwertgefühl. Die Klägerin benötige auf der weiterführenden Schule eine kleine Gruppe, in der eine gezielte persönliche Ansprache und Unterstützung möglich sei. In einer Regelschulform würde sie „untergehen“. In diesem Sinne drohe eine seelische Behinderung im Sinne von § 35a SGB VIII.
9Das Schulamt für den S. -F. -Kreis nahm unter dem 5. Juli 2010 dahingehend Stellung, dass aus schulfachlicher Sicht keine Beschulung an einer Privatschule notwendig sei, da die Klägerin die Schulformempfehlung „Real-oder Gesamtschule“ erhalten habe. Falls es dennoch zu Problemen in der weiterführenden Schule komme, sei dort die Einleitung eines AO-SF-Verfahrens angezeigt.
10Nach Durchführung einer Hilfeplankonferenz lehnte die Beklagte den Antrag auf Übernahme der Kosten für den Besuch einer Privatschule mit Bescheid vom 28. Juli 2010 ab. Zur Begleitung und Unterstützung des Übergangs auf eine weiterführende Schule bewilligte sie im Umfang von 40 Fachleistungsstunden eine Dyskalkulietherapie. Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, dass die Übernahme der Kosten für den Besuch einer Privatschule nur im Ausnahmefall möglich sei, wenn alle staatlichen schulischen Fördermaßnahmen nicht ausreichten, um eine angemessene Schulbildung zu ermöglichen. Aus dem gewonnenen Gesamtbild gemäß den Berichten von Eltern und Schule sowie dem medizinischen Gutachten ergebe sich, dass die Klägerin in ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben infolge der Teilleistungs- und Aufmerksamkeitsstörung nicht so massiv beeinträchtigt sei, dass eine Beschulung im staatlichen Regelschulsystem nicht möglich sei, zumal sie in ihrer bisherigen Schullaufbahn auf einer Regelschule beständig befriedigende Leistungen auch im Fach Mathematik gezeigt habe. Durch intensive Unterstützung ihrer Eltern sei die Klägerin sozial eingebunden und werde medizinisch/verhaltenstherapeutisch begleitet. Nach Vorgabe der Schulaufsichtsbehörde erscheine es zur Abwendung der von Eltern und Gutachterin befürchteten Schulschwierigkeiten ausreichend, wenn die Klägerin mit ihrem Wechsel auf eine Real- oder Gesamtschule weiterhin konsequent häuslich begleitet werde und eine Dyskalkulietherapie stattfinde; bei dem Schulwechsel sei die Fachstelle für AD(H)S zu beteiligen mit der Option, bei auftretenden Lernproblemen den weiteren Förderbedarf abzuklären. Selbstwertproblematik und emotionale Instabilität erforderten eine individuelle Behandlung im Rahmen des Leistungskatalogs der Krankenversicherung. Ergänzend stehe die Schul- und Erziehungsberatung zur Verfügung.
11Die Klägerin, die seit dem Schuljahr 2010/2011 die Privatschule E. besucht, hat am 19. August 2010 Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Sie gehöre unstreitig zum Kreis der Eingliederungsberechtigten nach § 35a SGB VIII. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei auch der Besuch einer Privatschule zur Sicherstellung des Erwerbs einer angemessenen Schulbildung erforderlich. Dem ärztlichen Attest der Frau Dr. E1. vom 10. März 2010 sowie den Stellungnahmen der Klassenlehrerin und der Therapeutin J. E. könne entnommen werden, dass sie, die Klägerin, in allen schulischen und leistungsbezogenen Anforderungen immer auf Unterstützung durch Lehrer, Eltern oder Lerntherapeuten angewiesen sein werde. Die geringsten Herausforderungen oder Schwierigkeiten ließen sie ansonsten resignieren und sie sei dann nicht mehr in der Lage, sich mit den Problemen konstruktiv auseinander zu setzen. Ihr Selbstwertgefühl sei gering. Aufgrund der erwähnten Stellungnahmen sei auch der Besuch der Privatschule E. erforderlich, um ihrem Behinderungsbild gerecht zu werden und ihr eine angemessene Schulbildung zu ermöglichen. Der Verweis auf das staatliche Regelschulsystem führe hier nicht weiter, da nicht ersichtlich sei, dass sie an der Regelschule unter Berücksichtigung ihrer Beeinträchtigungen angemessen gefördert werden könne.
12Die Klägerin hat beantragt,
13die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 28. Juli 2010 zu verpflichten, die Kosten des Besuchs der Privatschule E. durch die Klägerin in den Schuljahren 2010/2011 und 2011/2012 zu übernehmen.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie hat vorgetragen: Entgegen der Auffassung der Klägerin sei im vorliegenden Fall eine Beschulung an einer Regelschule geeignet, um eine angemessene Schulausbildung zu gewährleisten. Die B. -F1. -Realschule in X. sei z. B. in der Lage, der Klägerin die nötigen Rahmenbedingungen zum Erreichen eines angemessenen Schulabschlusses zu verschaffen. Die Beschulung von Kindern mit ADHS sei im Alltag an Regelschulen nichts Außergewöhnliches und werde mit gutem Erfolg durchgeführt. Im Zusammenwirken der Eltern, der Lehrkräfte der Schule, des Jugendamtes, der Bezirksregierung und ggf. weiterer Fachkräfte sei die Ausarbeitung eines individuellen Förderkonzeptes für die Klägerin möglich. Nach den Angaben der Schulleiterin der B. -F1. -Real-schule verfüge die Schule über drei zertifizierte Beratungslehrer, die im Rahmen von umfangreichen Fortbildungsmaßnahmen in Bezug auf individuelle und nachhaltige Förderung von Schülerinnen und Schülern mit ADHS-Problematik geschult seien. Des Weiteren unterhalte die Schule ein enges und gut funktionierendes Netzwerk zu Sonderpädagogen und anderen externen Stellen wie Ge-sundheitsamt, Kompetenznetzwerken und Elterngruppen. Dies zeige, dass an dieser Schule mit der Problematik ernsthaft umgegangen werde. Ein individuelles Förderkonzept der Klägerin habe mangels Mitwirkung ihrer Eltern bislang nicht realisiert werden können. Eine Prognose dahingehend, dass die Klägerin an der Regelschule keinen adäquaten Abschluss erreichen könne, sei nicht tragfähig.
17Mit dem angefochtenen Urteil vom 10. November 2011 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
18Ob die Klägerin zum Personenkreis der nach § 35a SGB VIII Berechtigten zu zählen sei, könne dahingestellt bleiben. Denn die Beschulung auf einer Privatschule sei jedenfalls nicht zur Erlangung einer angemessenen Schulbildung erforderlich. Die Beklagte könne sich insoweit auf den Vorrang der Beschulung im öffentlichen Schulwesen berufen. Im Hinblick auf die schulischen Leistungen, welche die Klägerin auf der Grundschule gezeigt habe, und die hierauf basierende Empfehlung für den Besuch einer weiterführenden Schule könne auch unter Berücksichtigung der bei der Klägerin vorliegenden Teilleistungsstörungen nicht davon ausgegangen werden, dass es für sie unmöglich sei, eine weiterführende Regelschule zu besuchen, sofern sie - wie bisher - familiär und außerschulisch gefördert werde. Die Eignung der von der Beklagten vorgeschlagenen B. -F1. -Realschule sei von Klägerseite lediglich pauschal bestritten worden. Darüber hinaus habe es den Eltern der Klägerin frei gestanden, die Möglichkeiten der individuellen Förderung an anderen öffentlichen Schulen abzuklären, gegebenenfalls auch mit Hilfe des AD(H)S-Netzwerkes bei der Bezirksregierung L. . Die frühzeitige Festlegung auf den Besuch einer Privatschule könne nicht dazu führen, dass der gesetzliche Vorrang der Förderung im staatlichen Schulsystem auf Kosten der Eingliederungshilfe umgangen werde. Die im Verwaltungsverfahren eingeholten ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen der Klassenlehrerin und Therapeutin böten keine hinreichende Grundlage dafür, dass die Klägerin im öffentlichen Schulsystem nicht gefördert werden könne. Die Entscheidung der Beklagten, zunächst auf den Besuch einer öffentlichen Regelschule zu verweisen und insoweit zur Vermeidung oder Abmilderung von Umstellungsschwierigkeiten eine (Dyskalkulie-)Therapie zu bewilligen, die gegebenenfalls den Bedürfnissen der Klägerin entsprechend hätte umgestellt werden können, sei vor diesem Hintergrund nachvollziehbar und fachlich nicht zu beanstanden.
19Mit Beschluss vom 25. Oktober 2012 hat der Senat die Berufung der Klägerin wegen des Vorliegens des Zulassungsgrundes der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zugelassen.
20Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Klägerin unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen im Wesentlichen vor:
21Das angefochtene Urteil widerspreche den Bestimmungen des § 36 Abs. 2 SGB VIII über das Hilfeplanverfahren. Ob bei ihr, der Klägerin, die Voraussetzungen der Eingliederungshilfe vorlägen, könne nicht offen bleiben. Bereits bei der Antragstellung hätten ihre Eltern auf die bestehende Teilhabebeeinträchtigung hingewiesen. Aufgrund der Kontaktschwierigkeiten, der tiefen Verunsicherung, die sich entwickelt habe, und des mangelnden Selbstbewusstseins sei zu befürchten, dass sie in einer öffentlichen Realschule mit großen Klassen und fehlender individueller Zugangsweise der Lehrer nicht zu einem angemessenen Schulabschluss kommen könne. Die behandelnde Kinder- und Jugendpsychiaterin, Frau Dr. E1. , habe das Vorliegen einer seelischen Störung gegenüber dem Jugendamt der Beklagten bestätigt. Das Jugendamt habe indes, obwohl die Voraussetzungen der Eingliederungshilfe nach seiner Einschätzung vorgelegen hätten, keine Ermittlung der geeigneten Hilfeart vorgenommen. Anfragen der Beklagten an schulische Stellen seien nicht zielführend beantwortet worden. Soweit die Einleitung eines AO-SF-Verfahrens angesprochen worden sei, habe die Grundschule dazu keinen Anlass gesehen. Daran sei der Jugendhilfeträger gebunden. Die Bestimmung einer Schule für soziale und emotionale Entwicklung als Förderort wäre im vorliegenden Fall auch unzulässig, da dort nur nach den Lehrplänen der Hauptschule unterrichtet werde. Erst nach Klageerhebung habe die Beklagte auf die B. -F1. -Realschule verwiesen. Nachfragen bei der Beklagten, ob diese Schule die Rahmenbedingungen für eine Beschulung unter Berücksichtigung ihrer, der Klägerin, Beeinträchtigungen biete, hätten jedoch keinen Aufschluss gebracht. Das Verwaltungsgericht habe insoweit keine Sachaufklärung betrieben. Wenn keine geeignete Beschulung im öffentlichen Schulwesen zur Verfügung stehe, liege ein Fall des Systemversagens vor. In einem solchen Fall sei das Jugendamt verpflichtet, im Rahmen des § 35a SGB VIII auch Kosten für den Besuch einer Privatschule zu übernehmen. Auf den Vorrang des öffentlichen Schulsystems könne sich die Beklagte nur berufen, wenn die von ihr benannte Schule konkret eine Beschulungsmöglichkeit unter Berücksichtigung der Beeinträchtigungen der Klägerin darstellen würde. Das sei hinsichtlich der B. -F1. -Realschule in X. nicht aufgeklärt. Die Beklagte begnüge sich mit allgemeinen Ausführungen. Ihre, der Klägerin, Eltern hätten sich seinerzeit dazu entschlossen, sie die erste Klasse wiederholen zu lassen, weil sich herausgestellt habe, dass sie in der Schule vollständig isoliert gewesen sei. Sie sei dann in die Klasse von Frau T. gekommen, die für die Ausbildung der Referendare an der Schule zuständig gewesen sei. Frau T. sei im Unterricht über den kompletten Zeitraum ihres, der Klägerin, weiteren Besuchs der Grundschule jeweils durch einen (wechselnden) Referendar bzw. eine Referendarin unterstützt worden. In der Klasse seien maximal 23 Schüler gewesen. Auch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Erörterungstermin habe die Zeugin Dr. E1. eindrucksvoll die seit Jahren bestehende seelische Störung und die im schulischen Bereich bestehende Teilhabebeeinträchtigung bestätigt und dargelegt, dass sie, die Klägerin, einer intensiven Begleitung im Rahmen von kleinen Lerngruppen bedürfe. Bei Besuch einer Regelschule habe die Befürchtung im Raum gestanden, dass sie zum Mobbingopfer werden würde. Die Einschätzung der Zeugin, sie, die Klägerin, würde an einer Regelschule untergehen, beruhe darauf, dass dort die Rahmenbedingungen fehlten, welche sie aufgrund ihrer tief greifenden Entwicklungsstörungen für eine erfolgreiche Beschulung benötige. Nach der Aussage der Zeugin E. sei die Eignung der Beschulung auf der Privatschule E. als Maßnahme der Eingliederungshilfe in ihrem Fall bewiesen. Die Angaben der Zeugin C1. zu den Klassenstärken an der B. -F1. -Realschule seien falsch, was sich den Informationen der Stadtelternpflegschaft X. entnehmen lasse. Es seien auch Fälle bekannt, in denen Kindern mit entsprechender Beeinträchtigung ein Nachteilsausgleich seitens der Realschule verwehrt worden sei. Speziell ausgebildete Pädagogen mit lerntherapeutischer Fachausbildung habe die Realschule zu keiner Zeit beschäftigt. Soweit die Zeugin C1. angegeben habe, die Schüler an ihrer Schule seien nicht in herausgehobener Weise „schwierig“ und von einem „sozialen Brennpunkt“ könne keine Rede sein, treffe dies nicht zu. Mitarbeiter des Ordnungsamtes der Beklagten hätten mindestens bis 2012 einen Ordnungs-, Kontroll- und Sicherheitsdienst auf dem Gelände des Schulzentrums und damit auch der Realschule wahrgenommen. Die Zeugin C1. habe gerade nicht bestätigt, dass an ihrer Schule vergleichbare Möglichkeiten der individuellen Begleitung von Schülern bestünden, wie sie während des Grundschulbesuchs der Klägerin gegeben gewesen seien. Dort sei die damalige Klasse 4b mit 21 Schülern sehr klein gewesen; in der Klasse hätten jeweils die Klassenlehrerin oder ein Fachlehrer sowie zusätzlich zwei Integrationshelferinnen und eine Lehramtsanwärterin gearbeitet, so dass ein Großteil der Unterrichtsstunden doppelt bzw. teilweise sogar dreifach besetzt gewesen sei. Nach alldem stelle die B. -F1. -Realschule keine geeignete Beschulungsmöglichkeit für sie, die Klägerin, dar. Soweit sich die Beklagte auf Entscheidungen des Bundessozialgerichts berufen habe, wonach der „Kernbereich der pädagogischen Aufgabe der Schule“ nicht Gegenstand einer Leistung der Eingliederungshilfe sein könne, sei diese Rechtsprechung hier nicht einschlägig und widerspreche auch der ständigen verwaltungsgerichtlichen Judikatur. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei das Hilfeplanverfahren nicht fachlich fehlerfrei abgeschlossen worden. Die bewilligte Dyskalkulietherapie betreffe nur einen kleinen Ausschnitt aus dem komplexen Hilfebedarf, der sich bereits aus der ärztlichen Stellungnahme der Frau Dr. E1. vom 10. März 2010 ergeben habe. Eine inhaltliche Aussage der Schulverwaltung zu der Frage, ob unter diesen Voraussetzungen einer Beschulung der Klägerin auf einer öffentlichen Schule möglich sei, sei nicht herbeigeführt worden.
22Die Klägerin beantragt,
23das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 28. Juli 2010 zu verpflichten, die Kosten des Besuchs der Privatschule E. durch die Klägerin in den Schuljahren 2010/2011 und 2011/2012 zu übernehmen.
24Die Beklagte beantragt,
25die Berufung zurückzuweisen.
26Sie trägt im Wesentlichen vor:
27Die Unterstellung, es gebe keine individuelle Zugehensweise von Lehrern an öffentlichen Schulen, sei haltlos. Jeder Lehrer sei verpflichtet, seinen Schülern eine den Fähigkeiten entsprechende Förderung anzubieten. Das Jugendamt entscheide in eigener Verantwortung über die Eignung einer Hilfe und deren Notwendigkeit. Wenn es vorrangig verpflichtete Leistungserbringer gebe, sei das Jugendamt nicht zuständig. Auch im Falle der Durchführung eines AO-SF-Verfahrens verbleibe die Entscheidung über den Förderort bei den Eltern. Der Besuch einer Schule mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung sei für die Klägerin weder indiziert noch jemals vorgeschlagen worden. Der Vorwurf über die verspätete Mitteilung eines Platzes an der Realschule sei unbegründet. Der Antrag auf Eingliederungshilfe entbinde die Eltern nicht von ihrer allgemeinen Verpflichtung, Informationsveranstaltungen weiterführender Schulen und sonstige Informationsquellen zu nutzen, um eine geeignete Schule für ihr Kind zu finden. Schüler mit Teilleistungsstörungen und ADHS würden seit jeher an Regelschulen beschult, so dass insoweit umfangreiche Erfahrungen bestünden. Nachdem die Klägerin über einen Zeitraum von fünf Jahren erfolgreich eine Regelschule besucht habe, lägen keine Hinweise auf ein zwangsläufiges Scheitern an einer weiterführenden Regelschule vor. Mit einer pauschalen Ablehnung der örtlichen Realschule sei ein Systemversagen nicht zu begründen. Die Beweisaufnahme im gerichtlichen Erörterungstermin habe die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils bestätigt. Die Vernehmung der Ärztin Dr. E1. habe keine neuen Erkenntnisse gebracht. Ihre Aussagen zu Teilhabebeeinträchtigungen seien wenig professionell und von Vorurteilen geprägt. Ohne belegbare Anhaltspunkte sei sie davon ausgegangen, dass die Klägerin an einer Regelschule zum Mobbingopfer würde. Unergiebig sei auch die Vernehmung der Zeugin E. verlaufen. Die Eignung ihrer Privatschule als Teilhabeleistung stehe nicht im Streit; hier gehe es vielmehr darum, ob diese Leistung auch erforderlich sei. Zur Frage einer Teilhabebeeinträchtigung der Klägerin an einer öffentlichen Schule habe die Zeugin allein angegeben, dass die Klägerin eine Regelschule allein aufgrund der Größe als erschreckend wahrnehme. Die von der Zeugin benannten Vorteile der Privatschule gehörten zu dem, was in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als „Kernbereich der pädagogischen Aufgabe der Schule“ bezeichnet werden müsse. Daher sei schon fragwürdig, ob es sich bei dem Angebot der Privatschule überhaupt um Teilhabeleistungen im Sinne von § 35a SGB VIII handele. Soweit die Zeugin die relative Überschaubarkeit der Privatschule als entscheidenden Vorteil benannt habe, sei dies lediglich eine Rahmenbedingung. Die Zeugin C1. habe belegt, dass die B. -F1. -Realschule mit der Beschulung von Kindern mit Teilleistungsschwächen vertraut und geübt sei. Der Sorge des Mobbings werde kompetent begegnet. Zu keiner Zeit hätten sich die Eltern der Klägerin nach konkreten bedarfsgerechten Möglichkeiten der Beschulung ihrer Tochter an dieser Regelschule erkundigt. Sie hätten vielmehr schon lange vor dem anstehenden Wechsel auf eine weiterführende Schule beschlossen, dass der Besuch einer Privatschule alternativlos sei. Selbstverständlich könne eine geeignete Förderung von Kindern mit Beeinträchtigungen im schulischen Bereich von einer Regelschule geleistet werden, so auch von der B. -F1. -Realschule. Soweit der Zeugin C1. von Klägerseite eine Falschaussage unterstellt worden sei, solle dies aus Gründen der Sachlichkeit nicht weiter kommentiert werden, zumal der Vorwurf ohnehin belanglos sei. Bei der Entscheidung über die Notwendigkeit und Geeignetheit einer Maßnahme der Eingliederungshilfe stehe dem Jugendhilfeträger ein Beurteilungsspielraum zu, der nur einer eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliege. Nach den hierbei zugrunde zu legenden Maßstäben habe die Beklagte auf den Antrag der Klägerin hin die erforderlichen und gesetzlich gebotenen Schritte in angemessener Weise umgesetzt. Sie habe Stellungnahmen der Grundschule, der behandelnden Ärztin und des Schulamtes eingeholt. Auf der Grundlage der vorliegenden Informationen sei dann der Antrag im Rahmen einer Hilfeplankonferenz abgelehnt worden, da nicht erkennbar gewesen sei, dass die Klägerin an einer Regelschule nicht weiterhin erfolgreich beschult werden könne. Wären weitere Hilfen erforderlich geworden, damit die Klägerin eine Regelschule mit Erfolg besuchen könne, so wären diese zur Verfügung gestellt worden. Dies sei zum Zeitpunkt vor der Schulaufnahme jedoch nicht absehbar gewesen.
28Der Berichterstatter des Senats hat Frau Dr. C. E1. als sachverständige Zeugin sowie Frau J. E. , die Leiterin der Privatschule E. , und Frau L1. C1. , die Leiterin der B. -F1. -Realschule in X. , als Zeuginnen vernommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Vernehmungen wird auf das Protokoll des Erörterungstermins vom 27. März 2014 verwiesen. Ferner ist eine - unter dem 26. Mai 2014 abgegebene - dienstliche Stellungnahme der Leiterin der T. -schule und früheren Klassenlehrerin der Klägerin, Frau D. T. , eingeholt worden.
29Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
30E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
31Das Gericht kann nach §§ 101 Abs. 2, 125 Abs. 1 VwGO im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
32Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Die Verpflichtungsklage der Klägerin ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 2010 ist, soweit mit ihm die Übernahme der Kosten für den Privatschulbesuch abgelehnt wurde, rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte die Kosten des Besuchs der Privatschule E. in den Schuljahren 2010/2011 und 2011/2012 nach § 36a Abs. 3 SGB VIII übernimmt.
33Haben Leistungsberechtigte sich - wie hier - eine Leistung, die grundsätzlich im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe gewährt werden kann, ohne Mitwirkung und Zustimmung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe bereits von Dritten selbst beschafft, so führt eine solche Selbstbeschaffung schon nach der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des erkennenden Senats nicht zum ersatzlosen Wegfall des Primäranspruchs auf Hilfe durch das Jugendamt. Vielmehr ist anerkannt, dass der Träger der Jugendhilfe (sekundär) zur Erstattung von Kosten bzw. Aufwendungen für bereits anderweitig durchgeführte Maßnahmen verpflichtet sein kann.
34Vgl. auch zu Folgendem: OVG NRW, Urteile vom 25. April 2012 - 12 A 659/11 -, JAmt 2012, 548, juris, und vom 20. Juni 2008 - 12 A 739/06 -, jeweils m. w. N.
35Der (sekundäre) Anspruch auf Erstattung der Kosten bzw. Aufwendungen ist in derselben Weise vom Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen des Hilfetatbestands abhängig wie die primäre Verpflichtung des Jugendhilfeträgers zur Hilfegewährung.
36Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. März 2003 - 12 A 1193/01 -, FEVS 55, 86, juris, m. w. N. insbesondere zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, und Beschluss vom 18. August 2004 - 12 A 1174/01 -, juris; vgl. ferner BVerwG, Urteil vom 11. August 2005 - 5 C 18/04 -, BVerwGE 124, 83, juris.
37Allerdings ist der Hilfesuchende nur dann zur Selbstbeschaffung einer Jugendhilfeleistung berechtigt, wenn er hierauf zur effektiven Durchsetzung eines bestehenden Jugendhilfeanspruchs angewiesen ist, weil der öffentliche Jugendhilfeträger sie nicht rechtzeitig erbracht oder zu Unrecht abgelehnt hat, das für die Leistungsgewährung vorgesehene System also versagt hat. Ein solches „Systemversagen“ liegt vor, wenn die Leistung vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe nicht erbracht wird, obwohl der Hilfesuchende die Leistungserbringung durch eine rechtzeitige Antragstellung und seine hinreichende Mitwirkung ermöglicht hat und auch die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen für die Leistungsgewährung vorliegen. In einer solchen Situation darf sich der Leistungsberechtigte die Leistung selbst beschaffen, wenn es ihm wegen der Dringlichkeit seines Bedarfs nicht zuzumuten ist, die Bedarfsdeckung aufzuschieben.
38Vgl. den Senatsbeschluss vom 18. August 2004 - 12 A 1174/01 -, a. a. O., m. w. N.
39Diese Grundsätze sind als § 36a Abs. 3 SGB VIII durch das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz - KICK - vom 8. September 2005 (BGBl. I S. 2729) zum 1. Oktober 2005 ausdrücklich normiert worden,
40so schon OVG NRW, Urteil vom 4. Februar 2009 - 12 A 255/08 -, m. w. N.
41Nach § 36a Abs. 3 SGB VIII ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen für Hilfen, die abweichend von den Absätzen 1 und 2 vom Leistungsberechtigten selbst beschafft wurden, nur verpflichtet,
421. wenn der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat (Nr. 1),
432. die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen (Nr. 2) und
443. die Deckung des Bedarfs bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat (Nr. 3).
45Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
46Die Klägerin kann für sich in Anspruch nehmen, die Beklagte über den Hilfebedarf rechtzeitig i. S. v. § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII in Kenntnis gesetzt zu haben. Das „Inkenntnissetzen“ umfasst grundsätzlich auch eine Beantragung der begehrten Jugendhilfeleistungen, wobei für einen solchen Antrag keine besondere Form vorgeschrieben ist und er auch in der Form schlüssigen Verhaltens gestellt werden kann.
47Vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 2011 - 5 B 43.10 -, JAmt 2011, 274, juris, mit Hinweis auf Beschluss vom 22. Mai 2008 - 5 B 130.07 -, JAmt 2008, 600, juris.
48Der Antrag muss dabei so rechtzeitig gestellt werden, dass der Jugendhilfeträger zur pflichtgemäßen Prüfung sowohl der Anspruchsvoraussetzungen als auch möglicher Hilfemaßnahmen in der Lage ist.
49Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. August 2005 - 5 C 18.04 -, BVerwGE 124, 83, juris.
50Das Jugendhilferecht ist nämlich kein Recht der reinen Kostenerstattung für selbst beschaffte Leistungen, sondern verpflichtet den Träger der Jugendhilfe zur partnerschaftlichen Hilfe. Nur so kann der Jugendhilfeträger seiner Gesamtverantwortung i. S. d. § 97 Abs. 1 SGB VIII und seiner Planungsverantwortung nach § 80 Abs. 1 Nr. 2, 3 SGB VIII gerecht werden.
51In diesem Sinne ist der auf den 1. Februar 2010 datierte Antrag, dem alle wesentlichen schulischen, medizinischen und therapeutischen Unterlagen beigefügt waren, offenkundig rechtzeitig angebracht worden. Wie aus der Eingangsbestätigung hervorgeht, lag der Antrag der Beklagten am 4. Februar 2010 vor. Der mehr als fünf Monate umfassende Zeitraum bis zum Beginn der Sommerferien am 15. Juli 2010 war ausreichend bemessen, um bei straffer Verfahrensführung noch vor Anfang des Schuljahres 2010/2011 eine Entscheidung über den Antrag zu treffen.
52In dem hier maßgeblichen Zeitraum haben auch i. S. d. § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe nach § 35a SGB VIII vorgelegen. Der Senat sieht es mit der im Nachhinein noch erreichbaren Sicherheit für die hier streitgegenständlichen Schuljahre 2010/2011 und 2011/2012 als gegeben an, dass die Klägerin gegen die Beklagte gemäß § 35a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 SGB VIII i. V. m. §§ 53, 54 SGB XII, § 12 Nr. 2 EinglVO einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Beschulung an der Privatschule E. zur Erreichung einer angemessenen Bildung besessen hat.
53Insoweit setzt § 35a Abs. 1 SGB VIII voraus, dass
541. die seelische Gesundheit des Betroffenen mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für seinen Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
552. daher seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
56Bei kumulativen Vorliegen beider Voraussetzungen geht das Gesetz von einer „seelischen Behinderung“ aus (vgl. § 35a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII), wobei es ausreicht, wenn der Betreffende von einer solchen Behinderung bedroht ist.
57Eine seelische Störung i. S. v. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII ist der Klägerin schon mit der fachärztlichen Stellungnahme der Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. E1. vom 10. März 2010 bescheinigt worden. Darin wurde der Klägerin eine tief greifende Entwicklungsstörung attestiert, darüber hinaus eine komplexe Wahrnehmungsstörung sowie eine Dyskalkulie als Teilleistungsstörung und schließlich eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung. Gegen die - von der Beklagten auch nicht in Frage gestellte - Richtigkeit dieser Diagnosen, derer Herleitung und Auswirkungen in einem Begleitschreiben näher beschrieben wurden, und die die Ärztin bei ihrer Vernehmung als sachverständige Zeugin im Wesentlichen deckungsgleich bestätigt hat, bestehen keine Bedenken.
58Unter Berücksichtigung aller vorliegenden schulischen und medizinischen bzw. therapeutischen Erkenntnisse und der plausiblen Angaben der Eltern ist gleichfalls von einer - durch die seelische Erkrankung hervorgerufenen - Teilhabebeeinträchtigung der Klägerin auszugehen.
59Die Teilhabe des Betroffenen am Leben in der Gesellschaft ist im Sinne des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 SGB VIII beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung ist zu erwarten, wenn die seelische Störung nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv ist, dass sie die Fähigkeit des Betroffenen zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung erwarten lässt.
60Vgl. BVerwG, Urteile vom 11. August 2005 - 5 C 18.04 -, BVerwGE 124, 83, juris; vom 28. September 2000 - 5 C 29.99 -, BVerwGE 112, 98, juris; vom 26. November 1998 - 5 C 38.97 -, FEVS 49, 487, juris; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26. März 2007 - 7 E 10212/07 -, FEVS 58, 477, juris; HessVGH, Urteil vom 20. August 2009 - 10 A 1799/08 -, NVwZ-RR 2010, 59, juris; OVG NRW, Beschluss vom 15. Juli 2011 - 12 A 1168/11 -, juris, m. w. N.
61Erforderlich ist daher, dass eine nachhaltige Einschränkung der sozialen Funktionstüchtigkeit des Betreffenden vorliegt oder eine solche droht. Dies ist beispielsweise bei einer auf Versagensängsten beruhenden Schulphobie, bei einer totalen Schul- und Lernverweigerung, bei einem Rückzug aus jedem sozialen Kontakt oder bei einer Vereinzelung in der Schule anzunehmen, nicht aber bereits bei bloßen Schulproblemen und Schulängsten, wie sie auch andere Kinder teilen.
62Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November 1998 - 5 C 38.97 -, FEVS 49, 487, juris; OVG NRW, Beschlüsse vom 14. November 2007 - 12 A 457/06 -, vom 12. November 2008 - 12 A 2551/08 -, vom 29. Mai 2008 - 12 A 3841/06 -, juris, vom 19. Februar 2010 - 12 A 2745/09 - und vom 13. August 2010 - 12 A 1237/09 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26. März 2007 - 7 E 10212/07 -, FEVS 58, 477, juris.
63Während die Beurteilung, ob die seelische Gesundheit im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, regelmäßig Aufgabe von Ärzten oder Psychotherapeuten ist, fällt die Einschätzung, ob die Teilhabe des jungen Menschen am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist bzw. eine solche Beeinträchtigung droht, in die Kompetenz sozialpädagogischer Fachlichkeit und somit zunächst in den Aufgabenbereich des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe.
64Vgl. etwa Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, FK-SGB VIII, 7. Auflage 2013, § 35a Rn. 33, m. w. N.
65Die Feststellung der Beeinträchtigung nach § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII ist deshalb auch nicht Ziel der Stellungnahme nach § 35a Abs. 1a SGB VIII. Dem insoweit vielmehr allein entscheidungsbefugten zuständigen Jugendamt - und damit auch dem Gericht im Überprüfungsfall - ist es allerdings unbenommen, vor der abschließenden Beurteilung des Vorliegens der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen und der Entscheidung über die Rechtsfolge ärztliche/psychotherapeutische oder andere fachliche Stellungnahmen einzuholen und auf diese Weise zu einer Entscheidung in fachlichem Zusammenwirken von ärztlichen/psychotherapeutischen und sozialpädagogischen Fachkräften unter der Federführung des Jugendamtes zu kommen.
66Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. Februar 2010 - 12 A 2745/09 -, m. w. N.
67Dessen eingedenk hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass bei der Klägerin eine - von der Beklagten mit ihrem Bescheid vom 28. Juli 2010 auch dem Grunde nach anerkannte - Teilhabebeeinträchtigung vorgelegen hat, weil ihre soziale Funktionstüchtigkeit vor allem infolge eines Entwicklungsrückstandes nachhaltig eingeschränkt war. Aus der fachärztlichen Stellungnahme vom 10. März 2010 geht hervor, dass die Klägerin bereits im Kindergarten Schwierigkeiten hatte, sich in die Gruppe zu integrieren, sie mit zunehmendem Alter ihre eigenen Schwächen umso deutlicher wahrnahm und ihr Selbstwertgefühl trotz aller Unterstützung nur sehr gering ist. Zu den festgestellten Entwicklungsverzögerungen hat Frau Dr. E1. bei ihrer Vernehmung als sachverständige Zeugin ergänzend ausgeführt, dass die Klägerin, wenn auch körperlich altersgemäß entwickelt, im emotionalen Bereich „noch viel kindlicher“ wirke. Dieser Befund wird auch durch das schulische Gutachten vom 29. Januar 2010 bestätigt. Darin führte die Klassenlehrerin aus, die Klägerin habe „bislang keinen altersangemessenen Kontakt“ zu ihren Mitschülern aufgebaut; auf dem Schulhof beschäftige sie sich „entweder alleine oder … mit sehr viel jüngeren Kindern“. Die Problematik der „Selbstentwertung“ hat die Zeugin E. bei ihrer Vernehmung ebenfalls bestätigt. Dass sich bei der Klägerin aufgrund ihrer Entwicklungsverzögerung eine „tiefe Verunsicherung“ entwickelt hat, sie dazu neigt, sich „abgelehnt zu fühlen“ und sich „in der Schule oft zurückzieht“, hatten die Eltern schon in ihrem Antrag vom 1. Februar 2010 ausgeführt; diese Beschreibung der Beeinträchtigungen der Klägerin deckt sich mit den ärztlichen und schulischen Erkenntnissen.
68Der Besuch der Privatschule E. stellt sich auch als erforderliche und geeignete Maßnahme der Jugendhilfe dar. Dabei folgt aus den Grundsätzen zum Systemversagen, dass die Erforderlichkeit und Eignung der selbstbeschafften Maßnahme hier aus der damaligen Perspektive der leistungsberechtigten Klägerin zu beurteilen ist.
69Denn auch bei der Selbstbeschaffung einer aus fachlichen Gründen abgelehnten bzw. vom Hilfeplan ausgeschlossenen Leistung ist im Hinblick auf § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zunächst zu prüfen, ob der vom Jugendamt aufgestellte Hilfeplan (bzw. das Hilfekonzept) verfahrensfehlerfrei zustande gekommen, nicht von sachfremden Erwägungen beeinflusst und fachlich vertretbar ist. Diese Prüfung erstreckt sich dabei nicht auf eine reine Ergebniskontrolle, sondern erfasst auch die von der Behörde - maßgeblich ist die letzte Behördenentscheidung - gegebene Begründung. Denn diese muss für den Betroffenen nachvollziehbar sein, um ihn in die Lage zu versetzen, mittels einer Prognose selbst darüber zu entscheiden, ob eine Selbstbeschaffung (dennoch) gerechtfertigt ist. Hat das Jugendamt die begehrte Hilfe aus im vorgenannten Sinne vertretbaren Erwägungen abgelehnt, besteht weder ein Anspruch des Betroffenen auf die begehrte Eingliederungshilfeleistung noch auf den Ersatz von Aufwendungen für eine selbst beschaffte Hilfe. Der Regelung des § 36a Abs. 3 SGB VIII liegt in dem Sinne der Gedanke des Systemversagens zugrunde, dass die selbst beschaffte Leistung nicht rechtzeitig erbracht oder zu Unrecht abgelehnt worden sein muss. Hat demgegenüber das Jugendamt nicht rechtzeitig oder nicht in einer den vorgenannten Anforderungen entsprechenden Weise über die begehrte Hilfeleistung entschieden, können an dessen Stelle die Betroffenen den sonst der Behörde zustehenden nur begrenzt gerichtlich überprüfbaren Einschätzungsspielraum für sich beanspruchen. Denn in dieser Situation sind sie - obgleich ihnen der Sachverstand des Jugendamtes fehlt - dazu gezwungen, im Rahmen der Selbstbeschaffung des § 36a Abs. 3 SGB VIII eine eigene Entscheidung über die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme zu treffen. Weil nun ihnen die Entscheidung aufgebürdet ist, eine angemessene Lösung für eine Belastungssituation zu treffen, hat dies zur Folge, dass die Verwaltungsgerichte nur das Vorhandensein des jugendhilferechtlichen Bedarfs uneingeschränkt zu prüfen, sich hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit der selbst beschafften Hilfe aber auf eine fachliche Vertretbarkeitskontrolle aus der ex-ante-Betrachtung der Leistungsberechtigten zu beschränken haben. Ist die Entscheidung der Berechtigten in diesem Sinne fachlich vertretbar, kann ihr etwa im Nachhinein nicht mit Erfolg entgegnet werden, das Jugendamt hätte eine andere Hilfe für geeignet gehalten.
70Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 2012 - 5 C 21.11 -, BVerwGE 145, 1, juris; zum Systemversagen vgl. auch BVerwG, Urteil vom 12. September 2013 - 5 C 35.12 -, JAmt 2014, 41, juris.
71Ausgehend von diesen Maßstäben ist zunächst festzustellen, dass die Beklagte die Grenzen fachlicher Vertretbarkeit bei ihrer Hilfeplanung überschritten hat, weil ihr Hilfekonzept, das dem Bescheid vom 28. Juli 2010 zugrunde lag, keine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthielt. Denn es drängte sich auf, dass die jugendhilferechtliche Bedarfslage der Klägerin, wie sie insbesondere bereits aus dem schulischen Gutachten vom 29. Januar 2010 und der fachärztlichen Stellungnahme vom 10. März 2010 ersichtlich war, hiermit nur unzureichend erfasst und abgearbeitet wurde.
72Die frühere Klassenlehrerin der Klägerin, Frau T. , hatte in ihrem Gutachten u. a. ausgeführt, dass die Klägerin „auf eine sehr intensive Zuwendung ihrer Lehrerinnen … angewiesen“ sei; sie brauche „eine durchgängige individuelle Zuwendung und Hilfe, durch die sie ohne Zeitdruck an klar strukturierte, überschaubare und individuell differenzierte Aufgaben herangehen kann“; auch nach der Grundschule sei es „wichtig, dass M. schulisch und außerschulisch weiterhin intensiv gefördert wird“.
73Die behandelnde Kinderärztin und -therapeutin, Frau Dr. E1. , hatte in ihrer Stellungnahme u. a. darauf hingewiesen, dass die Klägerin „in allen schulischen und leistungsbezogenen Anforderungen … immer auf Unterstützung durch Lehrer, Eltern oder Lerntherapeuten angewiesen“ sei; auf einer weiterführenden Schule werde sie „eine kleine Gruppe brauchen, in der eine gezielte persönliche Ansprache und Unterstützung möglich sind“; „in einer Regelschulform würde das Mädchen 'untergehen'“.
74Ungeachtet der Frage, ob eine hinreichende Grundlage für die letztgenannte Prognose der Fachärztin bestand, musste die Beklagte nach den ansonsten im Wesentlichen übereinstimmenden, vorstehend zitierten Aussagen von Frau T. und Frau Dr. E1. , die jeweils auf mehrjährigen Erfahrungen im Umgang mit der Klägerin beruhten und gegen deren Richtigkeit die Beklagte im Rahmen ihrer Hilfeplanung auch nichts Substantielles eingewandt hatte, davon ausgehen, dass die Klägerin im schulischen Anforderungsbereich einer ausgesprochen intensiven Unterstützung und Begleitung durch das Lehrpersonal bedarf, um ihrem Potential entsprechend mit Erfolg beschult werden zu können. Vor diesem Hintergrund konnte sich die Beklagte in der Begründung ihres Bescheides vom 28. Juli 2010 nicht darauf zurückziehen, dass die Klägerin „in ihrer bisherigen Schullaufbahn auf einer Regelschule beständig befriedigende Leistungen auch im Fach Mathematik gezeigt hat“. Denn die Beklagte hätte als naheliegend in ihre Erwägungen einbeziehen müssen, dass dieser schulische Erfolg maßgeblich auf Rahmenbedingungen beruhte (wie hier: geringe Klassenstärke, mehrere Lehr- und Betreuungskräfte im Unterricht), deren Fortbestand an einer weiterführenden staatlichen Regelschule nicht als gesichert angesehen werden konnte. Das in der fachärztlichen Stellungnahme angesprochene Erfordernis einer „kleinen Gruppe“ findet sich in der Bescheidbegründung lediglich im Sachverhalt wieder; eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem Aspekt blieb die Beklagte schuldig. Die gebotene Befassung mit der Frage, ob die üblichen Klassenstärken an den staatlichen Real- oder Gesamtschulen einer erfolgreichen Beschulung der Klägerin entgegenstehen, wurde auch nicht durch den Verweis auf die Stellungnahme des Schulamtes des S. -F. -Kreises vom 5. Juli 2010 ersetzt, das „nach eingehender Prüfung keine Notwendigkeit für eine Beschulung auf einer Privatschule“ sehe. Denn auch diese - ohnehin nur kurz gehaltene - Stellungnahme geht nicht auf die in Rede stehende Frage ein. Allein der Hinweis des Schulamtes darauf, dass die „Einleitung eines AO-SF-Verfahrens angezeigt“ sei, „falls es dennoch zu Problemen in der weiterführenden Schule kommen sollte“, greift im gegebenen Zusammenhang zu kurz. Abgesehen davon, dass auf die Inanspruchnahme sonderpädagogischer Förderung nur verwiesen werden kann, wenn eine diesbezügliche wirksame schulrechtliche Entscheidung über einen sonderpädagogischen Förderbedarf vorliegt,
75vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 18. Dezember 2013 - 12 B 1190/13 -, juris, m. w. N.,
76hat die Beklagte auch nicht ansatzweise dargelegt, dass die Klägerin aus den in § 19 Abs. 1 SchulG NRW, § 3 Abs. 1 AO-SF (jeweils in der im Zeitpunkt der Bescheidung maßgeblichen Fassung) genannten Gründen nicht am Unterricht einer allgemeinen Schule teilnehmen könne. Die Beklagte trägt vielmehr selbst vor, dass der Besuch einer Schule mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung für die Klägerin „weder indiziert noch jemals vorgeschlagen“ worden sei, ohne allerdings im Hilfeplanverfahren dargelegt zu haben, dass die alternativ dann nur in Betracht kommende sonderpädagogische Förderung in der allgemeinen Schule in den hier streitgegenständlichen Schuljahren bereits an den in Betracht kommenden weiterführenden Regelschulen installiert war; so hat die Zeugin C1. etwa bei ihrer Vernehmung am 27. März 2014 angegeben, dass Gemeinsamer Unterricht an der B. -F1. -Realschule erst seit dem laufenden Schuljahr stattfinde. Ebenso wenig hat die Beklagte bei ihrer Hilfeplanung aufgezeigt, dass eine sonderpädagogische Förderung an einer weiterführenden Regelschule - unterstellt, es läge ein entsprechender Förderbedarf vor und eine solche Förderung würde auch angeboten - dem spezifischen Beeinträchtigungsprofil der Klägerin auch im Rahmen einer „normalen“ Klassenstärke gerecht werden würde.
77Kommt es für die Frage der Geeignetheit und Erforderlichkeit der selbst beschafften Hilfe mithin auf die ex-ante-Betrachtung der leistungsberechtigten Klägerin an, erschien es aus deren Perspektive - bzw. letztlich aus dem Blickwinkel der sie gesetzlich vertretenden Eltern - ohne Weiteres fachlich vertretbar, sich für eine weitere Beschulung auf der Privatschule E. zu entscheiden. Dass diese Bildungseinrichtung geeignet ist, der Klägerin auch in Ansehung ihres spezifischen Beeinträchtigungsprofils eine adäquate Schulbildung zu vermitteln, stand und steht außer Frage und wird im Nachhinein durch die vorliegenden Zeugnisse aus der 5. bis 8. Klasse bestätigt. Die seinerzeit getroffene Entscheidung erwies sich auch nicht unter dem Erforderlichkeitsaspekt als unvertretbar. Nach den vorliegenden Erfahrungen und fachlichen Erkenntnissen, die sich vor allem in dem schulischen Gutachten vom 29. Januar 2010 und der ärztlichen Stellungnahme vom 10. März 2010 widerspiegelten, mussten die Eltern der Klägerin mit der konkreten Gefahr rechnen, dass ihre Tochter auf einer weiterführenden staatlichen Schule nicht angemessen beschult werden könne und die ohnehin bestehende Teilhabebeeinträchtigung sich erheblich verschlimmern werde. In dieser Situation war ihnen nicht zuzumuten, die Klägerin - gleichsam zu „Versuchszwecken“ - dennoch auf einer Regelschule anzumelden, zumal es der Beklagten, wie dargelegt, im Hilfeplanverfahren nicht gelungen war, eine dem Beeinträchtigungsbild der Klägerin angemessen Rechnung tragende Perspektive für eine erfolgreiche Beschulung im öffentlichen Schulwesen aufzuzeigen.
78Die von der Beklagten herangezogene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach die Übernahme von Schulgeld für eine private Ersatzschule als eine vom Kernbereich der pädagogischen Arbeit umfasste Leistung keine im Rahmen der Eingliederungshilfe vom Sozialhilfeträger zu erbringende Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII ist,
79vgl. BSG, Urteil vom 15. November 2012 - B 8 SO 10/11 R -, BSGE 112, 196, juris,
80steht dem Kostenübernahmeanspruch der Klägerin nicht entgegen, auch wenn § 35a Abs. 3 SGB VIII u. a. auf § 54 SGB XII verweist. Eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf den Bereich der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe, die zu dem - nach Auffassung des Senats unhaltbaren - Ergebnis führen würde, dass Privatschulkosten durch den Träger der Jugendhilfe in keinem Fall zu übernehmen sind, also auch dann nicht, wenn im Einzelfall davon auszugehen ist, dass eine bedarfsdeckende Hilfe im öffentlichen Schulwesen nicht zu erhalten ist, kommt aufgrund der folgenden Erwägungen nicht in Betracht:
81Zunächst ist aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII, § 12 EinglVO nicht abzuleiten, dass „Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung“ nur die Schulbildung begleitende bzw. unterstützende Leistungen sind, wie vom Bundessozialgericht angenommen.
82Vgl. hierzu neben der vorstehend zitierten Entscheidung auch BSG, Urteil vom 22. März 2012 -B 8 SO 30/10 R -, BSGE 110, 301, juris.
83Der Begriff der „Hilfen“ ist zielorientiert und daher umfassend zu verstehen. Er ist nicht auf Maßnahmen limitiert, die an eine anderweitig gewährleistete Schulbildung angelehnt sind. Dabei ergibt sich aus § 12 EinglVO nichts anderes. Dementsprechend hatte das Bundesverwaltungsgericht schon zum seinerzeit noch geltenden § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSHG festgestellt, dass die hiernach möglichen Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung „nicht auf solche untergeordneter oder flankierender Art beschränkt“ sind und auch solche Hilfen umfassen, die dem behinderten Menschen „Zugang zu einer angemessenen Schulbildung“ ermöglichen.
84Vgl. Urteil vom 28. April 2005 - 5 C 20.04 -,BVerwGE 123, 316, juris.
85Die auf der Annahme eines Verhältnisses der Spezialität beruhende Argumentation des Bundessozialgerichts lässt sich aber vor allem deshalb nicht fruchtbar machen, weil bei der hier in Rede stehenden jugendhilferechtlichen Fallgestaltung das Verständnis des § 10 Abs. 1 SGB VIII im Vordergrund steht, wonach die „Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen und der Schulen, … durch dieses Buch nicht berührt“ werden. Diese Regelung beschreibt aber nach allgemeiner Auffassung ein Vorrang-Nachrang-Verhältnis.
86Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2010 - 5 C 7.09 -, BVerwGE 137, 85, juris; OVG NRW, Beschluss vom 18. Oktober 2012 - 12 B 1018/12 -, juris; HessVGH, Urteil vom 20. August 2009 - 10 A 1874/08 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 23. April 2009 - 12 CE 09.686 -, juris; NdsOVG, Urteil vom 27. April 2005 - 4 LC 343/04 -, JAmt 2005, 360, juris; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 4. Auflage 2011, § 10 Rn. 20 ff.; Schellhorn, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 4. Auflage 2012, § 10 Rn. 6 ff., Meysen, in: FK-SGB VIII, 7. Auflage 2013, § 10 Rn. 2 ff.
87Von diesem Verständnis geht auch die Begründung zum Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz vom 8. September 2005 (BGBl. I S. 2729) aus, mit dem die „Schulen“ erstmals ausdrückliche Erwähnung in § 10 Abs. 1 SGB VIII gefunden haben, indem sie darauf abstellt, dass die „Leistungen der Schulträger vorrangig gegenüber Leistungen der Sozialhilfe zu erbringen sind“.
88Vgl. BT-Drs. 15/5616, S. 25.
89In seiner jüngeren Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht,
90vgl. Urteil vom 18. Oktober 2012 - 5 C 21.11 -, BVerwGE 145, 1, juris,
91unter Bezugnahme auf den in § 10 Abs. 1 SGB VIII verankerten Grundsatz des Nachrangs bzw. der Subsidiarität der Jugendhilfe erneut betont, dass dieses Prinzip nur greift, wenn nach den Umständen des Einzelfalles im öffentlichen Schulwesen eine bedarfsdeckende Hilfe zu erhalten ist. Auf den Ansatz des Bundessozialgerichts, schulische Förderleistungen könnten einen Anspruch auf jugendhilferechtliche Eingliederungshilfe im Wege der Spezialität ausschließen, wenn der Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Lehrer in der Schule betroffen wäre, hat sich das Bundesverwaltungsgericht nur insofern gestützt, als es geprüft hat, ob die in jenem Verfahren streitgegenständliche Schulbegleitung mit der pädagogischen Arbeit der Lehrer konfligiert. Ein solcher Konflikt setzt aber ein Nebeneinander von Beschulung (im öffentlichen Schulwesen) und Eingliederungshilfemaßnahme voraus; daran fehlt es indes, wenn die Eingliederungshilfe allein auf die Ermöglichung der Beschulung an einer Privatschule zielt.
92Schließlich ist auch davon auszugehen, dass die Deckung des Bedarfs i. S. v. § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII keinen zeitlichen Aufschub mehr geduldet hat. Mit Blick auf den absehbar anstehenden Wechsel auf eine weiterführende Schule war es der Klägerin angesichts ihrer festgestellten Beeinträchtigungslage und der drohenden Gefahr einer Verfestigung und Verschlimmerung nicht zuzumuten, sich zunächst auf eine weitere Beschulung an einer Regelschule einzulassen, nachdem die Beklagte im Rahmen ihrer Hilfeplanung nicht aufzuzeigen vermochte hatte, dass dieser Weg zu einer adäquaten Bedarfsdeckung führt.
93Als „erforderliche Aufwendungen“, welche die Beklagte nach alldem gemäß § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII für die selbst beschaffte Hilfe in den streitgegenständlichen Schuljahren 2010/2011 und 2011/2012 zu übernehmen verpflichtet ist, sind in Anwendung des Rechtsgedankens des § 683 Satz 1 i. V. m. § 670 BGB diejenigen Aufwendungen anzusehen, welche die Eltern der Klägerin nach ihrem subjektiv vernünftigen Ermessen unter Berücksichtigung der Interessen des Jugendhilfeträgers für erforderlich halten durften.
94Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. April 2012 - 12 A 659/11 -, JAmt 2012, 548, juris, und Beschluss vom 28. Juni 2012 - 12 A 2374/11 -, juris.
95Darunter fallen namentlich das monatlich an die Privatschule zu zahlende Schulgeld sowie eine etwaig geleistete Aufnahmegebühr; steuerliche Vorteile sind in Abzug zu bringen.
96Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
97Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 67 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
98Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen. Namentlich fehlt es an einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die sich auch nicht aus der vorstehend thematisierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Ausschluss von Privatschulkosten aus dem Leistungskatalog der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe ergibt. Dass diese Rechtsprechung auf den Bereich des Jugendhilferechts nicht übertragbar ist, folgt - wie dargelegt - insbesondere aus dem Verständnis des § 10 Abs. 1 SGB VIII als Vorrang-Nachrang-Regelung, das in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung bereits hinreichend geklärt ist.
(1) Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe trägt die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird; dies gilt auch in den Fällen, in denen Eltern durch das Familiengericht oder Jugendliche und junge Volljährige durch den Jugendrichter zur Inanspruchnahme von Hilfen verpflichtet werden. Die Vorschriften über die Heranziehung zu den Kosten der Hilfe bleiben unberührt.
(2) Abweichend von Absatz 1 soll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die niedrigschwellige unmittelbare Inanspruchnahme von ambulanten Hilfen, insbesondere der Erziehungsberatung nach § 28, zulassen. Dazu soll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit den Leistungserbringern Vereinbarungen schließen, in denen die Voraussetzungen und die Ausgestaltung der Leistungserbringung sowie die Übernahme der Kosten geregelt werden. Dabei finden der nach § 80 Absatz 1 Nummer 2 ermittelte Bedarf, die Planungen zur Sicherstellung des bedarfsgerechten Zusammenwirkens der Angebote von Jugendhilfeleistungen in den Lebens- und Wohnbereichen von jungen Menschen und Familien nach § 80 Absatz 2 Nummer 3 sowie die geplanten Maßnahmen zur Qualitätsgewährleistung der Leistungserbringung nach § 80 Absatz 3 Beachtung.
(3) Werden Hilfen abweichend von den Absätzen 1 und 2 vom Leistungsberechtigten selbst beschafft, so ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen nur verpflichtet, wenn
- 1.
der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, - 2.
die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und - 3.
die Deckung des Bedarfs - a)
bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder - b)
bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung
(1) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben für die Erfüllung der Aufgaben nach diesem Buch die Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung.
(2) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen gewährleisten, dass zur Erfüllung der Aufgaben nach diesem Buch
- 1.
die erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen den verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechend rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen; hierzu zählen insbesondere auch Pfleger, Vormünder und Pflegepersonen; - 2.
die nach Nummer 1 vorgehaltenen Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen dem nach § 80 Absatz 1 Nummer 2 ermittelten Bedarf entsprechend zusammenwirken und hierfür verbindliche Strukturen der Zusammenarbeit aufgebaut und weiterentwickelt werden; - 3.
eine kontinuierliche Qualitätsentwicklung nach Maßgabe von § 79a erfolgt.
(3) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben für eine ausreichende Ausstattung der Jugendämter und der Landesjugendämter einschließlich der Möglichkeit der Nutzung digitaler Geräte zu sorgen; hierzu gehört auch eine dem Bedarf entsprechende Zahl von Fachkräften. Zur Planung und Bereitstellung einer bedarfsgerechten Personalausstattung ist ein Verfahren zur Personalbemessung zu nutzen.
(1) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben im Rahmen ihrer Planungsverantwortung
- 1.
den Bestand an Einrichtungen und Diensten festzustellen, - 2.
den Bedarf unter Berücksichtigung der Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen und der Erziehungsberechtigten für einen mittelfristigen Zeitraum zu ermitteln und - 3.
die zur Befriedigung des Bedarfs notwendigen Vorhaben rechtzeitig und ausreichend zu planen; dabei ist Vorsorge zu treffen, dass auch ein unvorhergesehener Bedarf befriedigt werden kann.
(2) Einrichtungen und Dienste sollen so geplant werden, dass insbesondere
- 1.
Kontakte in der Familie und im sozialen Umfeld erhalten und gepflegt werden können, - 2.
ein möglichst wirksames, vielfältiges, inklusives und aufeinander abgestimmtes Angebot von Jugendhilfeleistungen gewährleistet ist, - 3.
ein dem nach Absatz 1 Nummer 2 ermittelten Bedarf entsprechendes Zusammenwirken der Angebote von Jugendhilfeleistungen in den Lebens- und Wohnbereichen von jungen Menschen und Familien sichergestellt ist, - 4.
junge Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte junge Menschen mit jungen Menschen ohne Behinderung gemeinsam unter Berücksichtigung spezifischer Bedarfslagen gefördert werden können, - 5.
junge Menschen und Familien in gefährdeten Lebens- und Wohnbereichen besonders gefördert werden, - 6.
Mütter und Väter Aufgaben in der Familie und Erwerbstätigkeit besser miteinander vereinbaren können.
(3) Die Planung insbesondere von Diensten zur Gewährung niedrigschwelliger ambulanter Hilfen nach Maßgabe von § 36a Absatz 2 umfasst auch Maßnahmen zur Qualitätsgewährleistung der Leistungserbringung.
(4) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe in allen Phasen ihrer Planung frühzeitig zu beteiligen. Zu diesem Zwecke sind sie vom Jugendhilfeausschuss, soweit sie überörtlich tätig sind, im Rahmen der Jugendhilfeplanung des überörtlichen Trägers vom Landesjugendhilfeausschuss zu hören. Das Nähere regelt das Landesrecht.
(5) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen darauf hinwirken, dass die Jugendhilfeplanung und andere örtliche und überörtliche Planungen aufeinander abgestimmt werden und die Planungen insgesamt den Bedürfnissen und Interessen der jungen Menschen und ihrer Familien Rechnung tragen.
(1) Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe trägt die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird; dies gilt auch in den Fällen, in denen Eltern durch das Familiengericht oder Jugendliche und junge Volljährige durch den Jugendrichter zur Inanspruchnahme von Hilfen verpflichtet werden. Die Vorschriften über die Heranziehung zu den Kosten der Hilfe bleiben unberührt.
(2) Abweichend von Absatz 1 soll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die niedrigschwellige unmittelbare Inanspruchnahme von ambulanten Hilfen, insbesondere der Erziehungsberatung nach § 28, zulassen. Dazu soll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit den Leistungserbringern Vereinbarungen schließen, in denen die Voraussetzungen und die Ausgestaltung der Leistungserbringung sowie die Übernahme der Kosten geregelt werden. Dabei finden der nach § 80 Absatz 1 Nummer 2 ermittelte Bedarf, die Planungen zur Sicherstellung des bedarfsgerechten Zusammenwirkens der Angebote von Jugendhilfeleistungen in den Lebens- und Wohnbereichen von jungen Menschen und Familien nach § 80 Absatz 2 Nummer 3 sowie die geplanten Maßnahmen zur Qualitätsgewährleistung der Leistungserbringung nach § 80 Absatz 3 Beachtung.
(3) Werden Hilfen abweichend von den Absätzen 1 und 2 vom Leistungsberechtigten selbst beschafft, so ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen nur verpflichtet, wenn
- 1.
der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, - 2.
die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und - 3.
die Deckung des Bedarfs - a)
bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder - b)
bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung
(1) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben für die Erfüllung der Aufgaben nach diesem Buch die Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung.
(2) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen gewährleisten, dass zur Erfüllung der Aufgaben nach diesem Buch
- 1.
die erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen den verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechend rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen; hierzu zählen insbesondere auch Pfleger, Vormünder und Pflegepersonen; - 2.
die nach Nummer 1 vorgehaltenen Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen dem nach § 80 Absatz 1 Nummer 2 ermittelten Bedarf entsprechend zusammenwirken und hierfür verbindliche Strukturen der Zusammenarbeit aufgebaut und weiterentwickelt werden; - 3.
eine kontinuierliche Qualitätsentwicklung nach Maßgabe von § 79a erfolgt.
(3) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben für eine ausreichende Ausstattung der Jugendämter und der Landesjugendämter einschließlich der Möglichkeit der Nutzung digitaler Geräte zu sorgen; hierzu gehört auch eine dem Bedarf entsprechende Zahl von Fachkräften. Zur Planung und Bereitstellung einer bedarfsgerechten Personalausstattung ist ein Verfahren zur Personalbemessung zu nutzen.
(1) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben im Rahmen ihrer Planungsverantwortung
- 1.
den Bestand an Einrichtungen und Diensten festzustellen, - 2.
den Bedarf unter Berücksichtigung der Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen und der Erziehungsberechtigten für einen mittelfristigen Zeitraum zu ermitteln und - 3.
die zur Befriedigung des Bedarfs notwendigen Vorhaben rechtzeitig und ausreichend zu planen; dabei ist Vorsorge zu treffen, dass auch ein unvorhergesehener Bedarf befriedigt werden kann.
(2) Einrichtungen und Dienste sollen so geplant werden, dass insbesondere
- 1.
Kontakte in der Familie und im sozialen Umfeld erhalten und gepflegt werden können, - 2.
ein möglichst wirksames, vielfältiges, inklusives und aufeinander abgestimmtes Angebot von Jugendhilfeleistungen gewährleistet ist, - 3.
ein dem nach Absatz 1 Nummer 2 ermittelten Bedarf entsprechendes Zusammenwirken der Angebote von Jugendhilfeleistungen in den Lebens- und Wohnbereichen von jungen Menschen und Familien sichergestellt ist, - 4.
junge Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte junge Menschen mit jungen Menschen ohne Behinderung gemeinsam unter Berücksichtigung spezifischer Bedarfslagen gefördert werden können, - 5.
junge Menschen und Familien in gefährdeten Lebens- und Wohnbereichen besonders gefördert werden, - 6.
Mütter und Väter Aufgaben in der Familie und Erwerbstätigkeit besser miteinander vereinbaren können.
(3) Die Planung insbesondere von Diensten zur Gewährung niedrigschwelliger ambulanter Hilfen nach Maßgabe von § 36a Absatz 2 umfasst auch Maßnahmen zur Qualitätsgewährleistung der Leistungserbringung.
(4) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe in allen Phasen ihrer Planung frühzeitig zu beteiligen. Zu diesem Zwecke sind sie vom Jugendhilfeausschuss, soweit sie überörtlich tätig sind, im Rahmen der Jugendhilfeplanung des überörtlichen Trägers vom Landesjugendhilfeausschuss zu hören. Das Nähere regelt das Landesrecht.
(5) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen darauf hinwirken, dass die Jugendhilfeplanung und andere örtliche und überörtliche Planungen aufeinander abgestimmt werden und die Planungen insgesamt den Bedürfnissen und Interessen der jungen Menschen und ihrer Familien Rechnung tragen.
Tatbestand
- 1
-
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für die Unterbringung der Klägerin zu 2 in der Kinderkrippe einer privaten Elterninitiative in der Zeit vom 8. April bis zum 15. Oktober 2011.
- 2
-
Die Klägerin zu 1 ist die Mutter der am 8. April 2009 geborenen Klägerin zu 2. Anfang Dezember 2009 beantragte die Klägerin zu 1 erstmals bei der beklagten Stadt als Trägerin der Jugendhilfe, ihrer Tochter einen Krippen- bzw. Kindergartenplatz zuzuteilen. Weil die Beklagte hierauf nicht reagierte, brachte die Klägerin zu 1 ihr Kind ab Juli 2010 in der genannten privaten Einrichtung unter. Ein im Oktober 2010 gestellter Antrag der Klägerin zu 1 auf Übernahme des Elternbeitrags für die Unterbringung in der privaten Krippe blieb ohne Erfolg. Mit Schreiben vom 26. Februar und 1. März 2011 machte die Klägerin zu 1 bei der Beklagten erneut den Anspruch geltend, ihrer Tochter einen Kindergartenplatz zur Verfügung zu stellen.
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Am 22. September 2011 hat die Klägerin zu 1 Klage auf Zuweisung eines Kindergartenplatzes sowie auf Kostenerstattung für die ab 8. April 2011 aufgewendeten Kosten für die Unterbringung in der privaten Elterninitiative erhoben. Die Beklagte stellte der Klägerin zu 2 ab dem 16. Oktober 2011 einen Kindergartenplatz zur Verfügung. Daraufhin hat die Klägerin zu 1 ihr Begehren auf die Kostenübernahme beschränkt. Mit Einverständnis der Beklagten ist die Klage ferner um die Klägerin zu 2 erweitert worden.
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Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerinnen einen Betrag in Höhe von 2 187,77 € zu zahlen.
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Die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Nach dem rheinland-pfälzischen Kindertagesstättengesetz habe das Jugendamt der Beklagten zu gewährleisten, dass für jedes Kind vom vollendeten zweiten Lebensjahr ein Platz in einer Kindertagesstätte beitragsfrei zur Verfügung stehe. Diesen Anspruch habe die Beklagte nicht erfüllen können. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Jugendhilferecht sei seit jeher anerkannt, dass die Kostenübernahme vom Jugendhilfeträger verlangt werden könne, wenn die Leistung zu Recht begehrt worden sei und ohne Vermittlung des Jugendhilfeträgers in Anspruch genommen werden musste. Nach dieser Rechtsprechung setze sich die "Primärverantwortung" des für die Gewährleistung verantwortlichen Jugendhilfeträgers sekundär in der Verantwortung für die Übernahme der Kosten fort, wenn die geschuldete Leistung anderweitig beschafft werden musste. Diese Rechtsgrundsätze seien auch durch die Schaffung des § 36a Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) im Jahre 2005 nicht in Zweifel gezogen oder ausgeschlossen worden. Die Voraussetzungen eines solchen Übernahmeanspruchs seien hier erfüllt. Neben der Klägerin zu 2 könne auch die sorgeberechtigte Klägerin zu 1 Kostenerstattung beanspruchen. Denn nach der gesetzlichen Konzeption stehe der Rechtsanspruch auf einen Kindertagesstättenplatz auch den Sorgeberechtigten zu. Maßgeblich dafür sei ihre gesetzlich bezweckte Begünstigung, eine durch öffentliche Mittel hoch subventionierte Einrichtung in Anspruch nehmen zu können.
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Mit ihrer Revision macht die Beklagte geltend, die Klägerin zu 1 sei bereits nicht aktivlegitimiert, weil der Primäranspruch auf Verschaffung eines Kindergartenplatzes nach den klaren gesetzlichen Regelungen nur dem Kind zustehe und nicht den sorgeberechtigten Personen. Für einen Anspruch der Klägerin zu 2 auf Erstattung der Kosten des selbstbeschafften Kindergartenplatzes gebe es keine Rechtsgrundlage. Eine Ausdehnung des richterrechtlichen Haftungsinstituts für selbstbeschaffte Leistungen bei Systemversagen auf die vorliegende Fallgruppe der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen sei nicht zulässig. Das Haftungsinstitut zum Kostenersatz für selbstbeschaffte Hilfen bei Systemversagen sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur im Rahmen der Hilfen zur Erziehung und der Eingliederungshilfe anwendbar. Mit § 90 Abs. 3 SGB VIII bestehe eine selbständige und abschließende Sonderregelung zur Kostentragung für das Kindergartenrecht. Zudem sei der Rückgriff auf das richterrechtliche Haftungsinstitut ausgeschlossen, weil § 36a Abs. 3 SGB VIII eine abschließende Spezialregelung über den Kostenersatz für selbstbeschaffte Hilfe bei Systemversagen für das SGB VIII darstelle. Insbesondere die systematische Ausgestaltung dieser Vorschrift sowie ihre Regelungshistorie belegten die Annahme des Gesetzgebers, dass sich die richterrechtlichen Grundsätze mit ihrer Einführung erledigt hätten und nicht mehr ergänzend herangezogen werden könnten. Das Berufungsgericht habe auch deshalb Bundesrecht verletzt, weil es zu Unrecht angenommen habe, dass die Voraussetzungen des richterrechtlichen Haftungsinstituts vorlägen. Dieser Anspruch sei schon wegen der fehlenden Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Primärrechtsschutzes ausgeschlossen. Es sei den Klägerinnen zuzumuten gewesen, ihren Verschaffungsanspruch auf einen Kindergartenplatz im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO durchzusetzen. Ein Anspruch der Klägerinnen auf Kostenerstattung scheitere weiter daran, dass Elterninitiativen nach den Vorgaben des rheinland-pfälzischen Kindertagesstättengesetzes nicht in rechtmäßiger Weise den Primäranspruch auf Verschaffung eines Kindergartenplatzes erfüllen könnten, weil sie nicht Träger einer Kindertagesstätte im Sinne des Gesetzes seien.
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Die Klägerinnen verteidigen das angegriffene Urteil.
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Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich an dem Verfahren und unterstützt die Rechtsauffassung der Beklagten.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht hat den Klägerinnen den im Streit stehenden Aufwendungsersatzanspruch zugesprochen, ohne dass dies im Sinne des § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO Bundesrecht verletzt.
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Soweit das Oberverwaltungsgericht die Existenz des aus dem Landesrecht folgenden Aufwendungsersatzanspruchs vom Verständnis bundesrechtlicher Grundsätze abhängig macht, ist dies einer revisionsgerichtlichen Überprüfung zugänglich (1.). Der vom Oberverwaltungsgericht angenommene Rechtssatz, dass nach Bundesrecht unter bestimmten Voraussetzungen ein Sekundäranspruch auf Ersatz von Aufwendungen besteht, wenn der Primäranspruch auf Verschaffung eines Kinderbetreuungsplatzes nicht erfüllt oder in rechtswidriger Weise verweigert wird, und das rheinland-pfälzische Landesrecht dem folgt, ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden (2.). Eine Verletzung von Bundesrecht liegt auch im Übrigen nicht vor (3.).
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1. Obgleich der von den Klägerinnen geltend gemachte und vom Oberverwaltungsgericht bejahte Sekundäranspruch auf Aufwendungsersatz seine Grundlage im irrevisiblen Landesrechts findet (a), sind die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zu der Frage, ob es im Bundesrecht einen entsprechenden Anspruch auf Aufwendungsersatz für selbstbeschaffte Kinderbetreuungsplätze gibt, im Revisionsverfahren zu überprüfen (b).
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a) Der Anspruch der Klägerinnen auf Aufwendungsersatz ist ein Sekundäranspruch, der seiner Rechtsnatur nach dem Landesrecht angehört. Dies beruht darauf, dass der diesem zugrunde liegende (primäre) Leistungsanspruch auf Verschaffung eines Kindergartenplatzes auf einen Gesetzesbefehl des Landesrechts zurückgeht. Nach § 5 Abs. 1 des Kindertagesstättengesetzes des Landes Rheinland-Pfalz - KitaG - vom 15. März 1991 (GVBl S. 79) in der Fassung der Änderung durch das Gesetz vom 16. Dezember 2005 (GVBl S. 502) haben Kinder vom vollendeten zweiten Lebensjahr bis zum Schuleintritt Anspruch auf Erziehung, Bildung und Betreuung im Kindergarten (Satz 1), wobei das Jugendamt zu gewährleisten hat, dass für jedes Kind rechtzeitig ein Kindergartenplatz in zumutbarer Entfernung zur Verfügung steht (Satz 2). Mit dem Wirksamwerden des Satzes 1 dieser Vorschrift ab dem 1. August 2010 ist in Rheinland-Pfalz ein Rechtsanspruch bereits für zweijährige Kinder eingeräumt worden, der nach der bundesrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegung des Oberverwaltungsgerichts nicht an weitere Voraussetzungen (wie etwa die Erwerbstätigkeit der Eltern) geknüpft ist.
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Dem Bundesrecht ließ sich im hier maßgeblichen Zeitraum von April bis Oktober 2011, für den die Klägerinnen Aufwendungsersatz begehren, kein entsprechender Betreuungsanspruch für zweijährige Kinder entnehmen. Das Sozialgesetzbuch Achtes Buch - SGB VIII - (Art. 1 des Gesetzes vom 26. Juni 1990
in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 2006 , zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. Dezember 2008 ) sah in § 24 Abs. 1 SGB VIII (a.F.) einen (unbedingten) Rechtsanspruch nur für Kinder ab dem vollendeten dritten Lebensjahr vor. Für Kinder unter drei Jahren enthielt das Bundesrecht lediglich eine Verpflichtung der Jugendhilfeträger, ein bedarfsgerechtes Angebot an Plätzen vorzuhalten (§ 24 Abs. 2 SGB VIII a.F.), und begründete eine Förderungsverpflichtung nur unter bestimmten Voraussetzungen, wie etwa der Erwerbstätigkeit der Erziehungsberechtigten (§ 24 Abs. 3, § 24a Abs. 3 und 4 SGB VIII). Die Neuregelung des § 24 Abs. 3 SGB VIII (in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. September 2012 ), die ab dem 1. August 2013 einen Rechtsanspruch für Kinder, die das erste Lebensjahr vollendet haben, gewährt, ist hier noch nicht anwendbar.
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Ist der maßgebliche Primäranspruch - hier auf Verschaffung eines Kindergartenplatzes - landesrechtlicher Natur, so folgt daraus, dass auch die an seine Verletzung oder Nichterfüllung geknüpften sekundärrechtlichen Folgen dem Landesrecht zuzuordnen sind. Der Sekundäranspruch - hier auf Aufwendungsersatz gerichtet - teilt in aller Regel und so auch hier die Rechtsnatur des ihm zugrunde liegenden Leistungsanspruchs (vgl. etwa zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch und zum Anspruch aus öffentlich-rechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag: Urteile vom 16. Mai 2000 - BVerwG 4 C 4.99 - BVerwGE 111, 162 <172> = Buchholz 316 § 56 VwVfG Nr. 13 S. 10 und vom 6. Oktober 1989 - BVerwG 8 C 52.87 - BVerwGE 82, 350 <351>; vgl. ferner Beschluss vom 3. Januar 1992 - BVerwG 6 B 20.91 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 240).
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b) Soweit das Berufungsgericht Landesrecht ausgelegt und angewendet hat, ist das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich daran gebunden (§ 137 Abs. 1 VwGO, § 173 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO). Es hat aber nachzuprüfen, ob die Vorinstanz eine irrevisible Norm des Landesrechts unter Verkennung von oder im Widerspruch zu Bundesrecht ausgelegt hat (vgl. Urteile vom 18. Dezember 1987 - BVerwG 4 C 9.86 - BVerwGE 78, 347 <351> = Buchholz 310 § 42 VwGO Nr. 151 S. 9, vom 23. August 1994 - BVerwG 1 C 18.91 - BVerwGE 96, 293 <294 f.> = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 230 S. 15 und vom 21. September 2005 - BVerwG 6 C 16.04 - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 40). Zudem ist eine revisionsgerichtliche Überprüfung auch dann eröffnet, wenn die Vorinstanz die Auslegung des irrevisiblen Rechts wesentlich vom Verständnis des Bundesrechts abhängig gemacht hat (vgl. Urteil vom 6. September 1984 - BVerwG 3 C 16.84 - BVerwGE 70, 64 <65> = Buchholz 415.16 § 28 BJagdG Nr. 1 S. 2 f.; Neumann, in: Sodan/Ziekow
, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 137 Rn. 106). So liegt es hier.
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Das Oberverwaltungsgericht hat sich bei seiner Prüfung des dem Landesrecht zuzuordnenden Sekundäranspruchs auf Aufwendungsersatz im Wesentlichen davon leiten lassen, wie dieser Anspruch im Bundesrecht entwickelt und konturiert wird. Daran anknüpfend ist es der Sache nach davon ausgegangen, dass das Landesrecht dem folge. Es hat sich mithin bei der Konkretisierung des landesrechtlichen Sekundäranspruchs wesentlich vom Verständnis des Bundesrechts abhängig gemacht. Dies erschließt sich insbesondere daraus, dass es im Hinblick auf den im Streit stehenden Sekundäranspruch auf Aufwendungsersatz keine spezifisch landesrechtlichen Erwägungen angestellt, sondern maßgeblich auf die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts herausgebildeten Grundsätze zum Jugendhilferecht des Bundes abgestellt und sich an diesen ausgerichtet hat. Soweit die Erwägungen des Berufungsgerichts Inhalt und Grenzen eines bundesrechtlichen Sekundäranspruchs betreffen, unterliegen sie der revisionsgerichtlichen Kontrolle.
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2. Der vom Oberverwaltungsgericht angenommene Rechtssatz, dass aus dem Bundesrecht ein Sekundäranspruch abzuleiten ist, wonach unter bestimmten Voraussetzungen Aufwendungsersatz für selbstbeschaffte Leistungen der Jugendhilfe verlangt werden kann, wenn der Primäranspruch - hier auf Verschaffung eines Kinderbetreuungsplatzes - nicht erfüllt oder in rechtswidriger Weise verweigert wird, ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Er beruht auf einer analogen Anwendung des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII.
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a) Dem Oberverwaltungsgericht ist darin zuzustimmen, dass ein solcher bundesrechtlicher Rechtssatz ursprünglich in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Wege richterlicher Rechtsfortbildung entwickelt worden ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Rechtsprechung sowohl zum Jugendwohlfahrts- und Jugendhilferecht als auch zum Sozialhilferecht stets angenommen, dass der Jugendhilfe- bzw. Sozialhilfeträger zur Übernahme der Kosten bereits durchgeführter selbstbeschaffter Hilfemaßnahmen verpflichtet sein kann (Beschluss vom 25. August 1987 - BVerwG 5 B 50.87 - Buchholz 436.51 § 5 JWG Nr. 2 = NVwZ-RR 1989, 252 m.w.N.). Besondere praktische Bedeutung erlangte dieser Anspruch auf Kostenübernahme für selbstbeschaffte Leistungen im Jugendhilferecht namentlich im Bereich der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Erziehung (vgl. Urteil vom 13. Juni 1991 - BVerwG 5 C 27.88 - Buchholz 436.51 § 6 JWG Nr. 13). Er war aber nicht darauf beschränkt, sondern erstreckte sich grundsätzlich auf alle Leistungen der Jugendhilfe.
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Dies und die Voraussetzungen eines entsprechenden Sekundäranspruchs hat das Bundesverwaltungsgericht mit den Worten zum Ausdruck gebracht, "dass dann, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Jugendhilfe vorlagen, erforderliche Maßnahmen aber nicht vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe, sondern von Dritten durchgeführt wurden, der Träger der öffentlichen Jugendhilfe Jugendhilfe noch nachträglich leisten könne und müsse, indem er die Kosten der bereits durchgeführten Maßnahme übernimmt" (Urteil vom 28. September 2000 - BVerwG 5 C 29.99 - BVerwGE 112, 98 <100> = Buchholz 436.511 § 35a KJHG/SGB VIII Nr. 3 S. 2). Der Jugendhilfeträger hat für diese Kosten aber nur dann aufkommen müssen, wenn der Hilfebedarf rechtzeitig an ihn herangetragen worden ist (Urteil vom 28. September 2000 a.a.O. <103> bzw. S. 5; bestätigt durch Urteil vom 11. August 2005 - BVerwG 5 C 18.04 - BVerwGE 124, 83 <86> = Buchholz 436.511 § 35a KJHG/SGB VIII Nr. 4 S. 10). Die Notwendigkeit, den Träger von Anfang an mit einzubeziehen, hat das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich daraus hergeleitet, dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe nur in diesem Fall ihre aus § 79 Abs. 1 SGB VIII folgende Gesamtverantwortung für die Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben wie auch ihre Planungsverantwortung nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGB VIII nicht nur institutionell, sondern auch durch die Hilfegestaltung im individuellen Einzelfall wahrnehmen (Urteil vom 28. September a.a.O. <103> bzw. S. 4 f. unter Hinweis auf das Urteil vom 27. Januar 2000 - BVerwG 5 C 19.99 - BVerwGE 110, 320 = Buchholz 436.511 § 90 KJHG/SGB VIII Nr. 7 - Selbstbeschaffung eines Kinderkrippenplatzes).
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Diese Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist im Fachschrifttum wie auch von Berufungsgerichten zu Recht dahin verstanden worden, dass damit ein richterrechtliches Haftungsinstitut für das Jugendhilferecht konkretisiert worden ist. Danach ist eine Selbstbeschaffung mit der Folge eines (Sekundär-)Anspruchs auf Ersatz von Aufwendungen gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe grundsätzlich nur zulässig, wenn ein (Primär-)Anspruch auf die beschaffte Leistung bestanden hat, diese Leistung nicht rechtzeitig erbracht oder zu Unrecht abgelehnt worden ist (mithin ein "Systemversagen" bei der Leistungsgewährung zu verzeichnen war) und es dem Leistungsberechtigten wegen der Dringlichkeit seines Bedarfs nicht zuzumuten war, die Bedarfsdeckung aufzuschieben (vgl. insbes. die Stellungnahme der Ständigen Fachkonferenz 1 "Grund- und Strukturfragen" des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e.V., ZfJ 2003, 61 ff.; OVG Münster, Urteil vom 14. März 2003 - 12 A 1193/01 - NVwZ-RR 2003, 864 m.w.N.). Der Anwendungsbereich dieser Grundsätze ist im Fachschrifttum teilweise auch ausdrücklich und zu Recht auf die Selbstbeschaffung von Leistungen der Kinderbetreuung nach § 24 SGB VIII erstreckt worden (Fischer, JAmt 2002, 492<493>).
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b) Dem Oberverwaltungsgericht ist nicht darin beizupflichten, dass der Anspruch der Klägerinnen seine Grundlage in dem dargestellten richterrechtlichen Haftungsinstitut bei zulässiger Selbstbeschaffung findet. Dies folgt daraus, dass der Anspruch auf Aufwendungsersatz für selbstbeschaffte Leistungen im Jugendhilferecht nunmehr durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe vom 8. September 2005 (BGBl I S. 2729) mit Wirkung zum 1. Oktober 2005 in § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII geregelt worden ist. Damit hat der Gesetzgeber der Sache nach im Wesentlichen den zuvor richterrechtlich begründeten Anspruch auf Aufwendungsersatz kodifiziert. In der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung wird ausdrücklich auf die zuvor genannte Rechtsprechung und Literatur Bezug genommen (nämlich auf das Urteil des Senats vom 28. September 2000 a.a.O., die Stellungnahme der Ständigen Fachkonferenz 1 a.a.O. und das Urteil des OVG Münster vom 14. März 2003 a.a.O.) und dazu ausgeführt, diese Rechtsprechung solle nunmehr im Interesse der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit eine positiv-rechtliche Grundlage erfahren (BRDrucks 586/04 S. 45 und BTDrucks 15/3676 S. 26).
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Die nunmehr geschaffene gesetzliche Grundlage geht dem richterrechtlichen Haftungsinstitut vor. Zwar ist § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII hier nicht unmittelbar anzuwenden (aa). Jedoch liegen die Voraussetzungen einer analogen Anwendung vor (bb). Da die gesetzesübersteigende richterliche Rechtsfortbildung nur dann als zulässig erachtet werden kann, wenn die Lösung nicht im Wege der Auslegung oder der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung (etwa der Analogie) gefunden werden kann (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 426), haben ihr gegenüber die Formen der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung Vorrang.
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aa) Eine unmittelbare Anwendung des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII auf die Fälle der Selbstbeschaffung von Kindergartenplätzen scheidet aus.
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Dies erschließt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII bezieht sich auf "Hilfen" und erfasst damit nicht alle der in § 2 Abs. 2 SGB VIII aufgelisteten Leistungen der Jugendhilfe, sondern nur solche, die sich als Hilfen im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 4 bis 6 SGB VIII darstellen, also nicht zu der Leistungsform der Angebote (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 SGB VIII) gehören. Bei den Regelungen über die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege (§ 22 ff. SGB VIII) handelt es sich um die zuletzt genannte Kategorie (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII).
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Auch die systematische Stellung des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII im Vierten Abschnitt des Gesetzes spricht in gewichtiger Weise dafür, dass diese Vorschrift unmittelbar nur die in diesem Abschnitt geregelten Hilfen, nicht aber die im Dritten Abschnitt normierten Angebote erfasst. Zudem lassen die Gesetzesmaterialien erkennen, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 36a SGB VIII die Hilfen im Auge hatte und insbesondere die Selbstbeschaffung von Leistungen der Eingliederungshilfe (§ 35a SGB VIII) begrenzen wollte (BTDrucks 15/3676 S. 36).
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bb) § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII ist jedoch auf jugendhilferechtliche Leistungen, welche die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege betreffen, entsprechend anzuwenden. Die Voraussetzungen eines Analogieschlusses sind erfüllt.
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Jede Art der gesetzesimmanenten richterlichen Rechtsfortbildung - hier die Analogie - setzt eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (vgl. Urteile vom 18. April 2013 - BVerwG 5 C 18.12 - NJW 2013, 2457 Rn. 22 und zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen, vom 15. November 2012 - BVerwG 3 C 12.12 - LKV 2013, 78 Rn. 19 und vom 20. Mai 1999 - BVerwG 3 C 3.98 - Buchholz 451.512 MGVO Nr. 134 S. 5). Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, dürfen die Gerichte diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern oder durch eine judikative Lösung ersetzen. Ob eine Gesetzeslücke vorliegt, ist danach zu beurteilen, ob die vom Regelungsprogramm des Gesetzgebers erfassten Fälle in den gesetzlichen Vorschriften tatsächlich Berücksichtigung gefunden haben. Sie ist zu bejahen, wenn festzustellen ist, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht alle Fälle erfasst, die nach dem Sinn und Zweck der Regelung erfasst sein sollten (vgl. Urteil vom 18. April 2013 a.a.O. Rn. 22 m.w.N.).
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(1) Das Sozialgesetzbuch Achtes Buch weist die danach vorausgesetzte Gesetzeslücke auf. Der in Rede stehende Sachverhalt, ob und welche Rechtsfolgen das Bundesrecht daran knüpft, wenn ein Rechtsanspruch auf Verschaffung eines Kinderbetreuungsplatzes nicht erfüllt und die Leistung selbst beschafft wird, wird weder unmittelbar von § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII noch von einer sonstigen gesetzlichen Bestimmung des Kinder- und Jugendhilferechts erfasst.
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(a) Der Einwand der Beklagten, dass mit § 90 Abs. 3 SGB VIII eine selbständige und abschließende Sonderregelung zur Kostentragung für das Kindergartenrecht bestehe, verfängt insoweit nicht. Nach dieser Vorschrift soll im Falle des Abs. 1 Nr. 3 (der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege nach den §§ 22 bis 24 SGB VIII) der Kostenbeitrag auf Antrag ganz oder teilweise erlassen oder ein Teilnahmebeitrag auf Antrag ganz oder teilweise vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden, wenn die Belastung den Eltern und dem Kind nicht zuzumuten ist. Für die Feststellung der zumutbaren Belastung kommt es auf das maßgebliche Einkommen an (§ 90 Abs. 4 SGB VIII).
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Diese Regelung ist nicht auf die Fälle der Selbstbeschaffung von Kinderbetreuungsplätzen wegen Systemversagens zugeschnitten. Vielmehr bezieht sich der Übernahmeanspruch nach § 90 Abs. 3 SGB VIII auf eine andere Sachlage. Er setzt im Wesentlichen die Unzumutbarkeit der Belastung voraus und ist neben der sozialen Staffelung (§ 90 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII) eine weitere soziale Komponente der Ausgestaltung der Kostenbeteiligung der Eltern (vgl. etwa Wiesner, in: ders.
, SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 90 Rn. 20).
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Soweit das Bundesverwaltungsgericht - worauf die Beklagte hinweist - im Urteil vom 25. April 2002 (- BVerwG 5 C 16.01 - Buchholz 436.511 § 90 KJHG/ SGB VIII Nr. 9) ausgeführt hat, dass nach der Systematik des Gesetzes die Kostenbeteiligung für die in § 90 SGB VIII bezeichnete Inanspruchnahme von Angeboten der Jugendhilfe abschließend in dieser Vorschrift geregelt sei, beziehen sich diese Ausführungen allein auf die Kostenbeteiligung der Eltern und damit auf die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Eltern einen Kostenbeitrag zu zahlen oder Anspruch auf Erlass dieses Beitrags haben bzw. seine Übernahme durch den Jugendhilfeträger beanspruchen können. Für die hier in Rede stehende Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Aufwendungsersatzanspruch daran geknüpft ist, wenn der Primäranspruch des Kindes auf Verschaffung eines Betreuungsplatzes von dem Träger der Jugendhilfe nicht erfüllt worden ist, ist damit keine Aussage getroffen worden.
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(b) Dies gilt auch für die gesetzlich normierten Erstattungsansprüche für selbstbeschaffte Leistungen bei Systemversagen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 13 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V -) und im Schwerbehindertenrecht (§ 15 Abs. 1 Satz 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX -). Diese betreffen andere Regelungsbereiche und bieten keine Anhaltspunkte dafür, dass ihnen für den Bereich des Jugendhilferechts Aussagekraft zukommen soll.
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(c) Eine gesetzliche Regelungslücke kann schließlich auch nicht deshalb abgelehnt werden, weil - wie die Beklagte meint - das Staatshaftungsrecht allgemeine Haftungsinstitute wie den Folgenbeseitigungsanspruch und die Amtshaftung vorsieht. Aus der Existenz des Amtshaftungsanspruchs (Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB), der ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten eines Amtswalters voraussetzt und nicht nur Aufwendungs-, sondern weiterreichenden Schadensersatz gewährt, ist wegen dieser Unterschiede für die Frage, ob eine gesetzliche Regelungslücke im Hinblick auf einen verschuldensunabhängigen, an ein Systemversagen bei der Erfüllung von Kinderbetreuungsplätzen anknüpfenden Sekundäranspruch besteht, nichts herzuleiten. Auch die Existenz von ungeschriebenen allgemeinen Haftungsinstituten wie des Folgenbeseitigungsanspruchs gibt keine Antwort auf die Frage, ob das Gesetz in einem bestimmten Bereich - wie hier im Bereich der Nichterfüllung von jugendhilferechtlichen Ansprüchen auf Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen - Unvollständigkeiten aufweist.
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(2) Die festgestellte Gesetzeslücke stellt sich auch als planwidrig dar. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist § 36a Abs. 3 SGB VIII nicht als abschließende Spezialregelung für das gesamte Jugendhilferecht zu begreifen, die eine Ausdehnung des Erstattungsanspruchs auf Leistungen des Kinder- und Jugendhilferechts, die nicht unmittelbar Gegenstand der Vorschrift sind, ausschließt. Vielmehr entspricht es dem Plan des Gesetzgebers, den Erstattungsanspruch auch auf die Fälle der Nichterfüllung eines Anspruchs auf Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege anzuwenden. Dies erschließt sich vor allem aus den in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Intentionen.
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Der Gesetzgeber verfolgte mit der Schaffung des § 36a Abs. 3 SGB VIII - wie oben aufgezeigt - das Ziel, die Rechtsprechung zum Anspruch auf Aufwendungsersatz im Fall der Selbstbeschaffung von Leistungen im Jugendhilferecht zu kodifizieren. Mit dem Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Aufwendungen hat der Gesetzgeber im Vergleich zur früheren Rechtslage keine Schlechterstellung der Berechtigten bezweckt (Urteil vom 1. März 2012 - BVerwG 5 C 12.11 - BVerwGE 142, 115 = Buchholz 436.511 § 33 SGB VIII Nr. 2 jeweils Rn. 23). Da das richterliche Haftungsinstitut - wie oben ebenfalls dargelegt - auch die sekundärrechtlichen Folgen eines enttäuschten (Primär-)Anspruchs auf Kinderbetreuung umfasste, bleibt § 36a Abs. 3 SGB VIII insoweit hinter dem Plan des Gesetzgebers zurück.
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(3) Die planwidrige Lücke ist durch analoge Anwendung des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zu schließen. Die Rechtsfolge des Aufwendungsersatzanspruchs ist auf den hier zur Beurteilung stehenden Sachverhalt übertragbar, weil eine vergleichbare Sach- und Interessenlage zu den geregelten Fällen besteht.
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Kennzeichnend für die in § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII normierten Fälle ist, dass ein gesetzlicher Primäranspruch, der keine bloße Geldleistung, sondern eine Sach- und Dienstleistung zum Gegenstand hat (nämlich insbesondere der Anspruch auf Eingliederungshilfe oder Hilfe zur Erziehung) nicht erfüllt wird und diejenigen, die sich die unaufschiebbar notwendige Leistung, deren Gewährung der Jugendhilfeträger zu Unrecht abgelehnt oder über die er nicht rechtzeitig entschieden hat, selbstbeschaffen, nicht schlechter stehen sollen als diejenigen, deren Leistungsbegehren rechtzeitig erfüllt worden ist (vgl. Urteil vom 1. März 2012 a.a.O. Rn. 23). Weil der Anspruch (etwa auf Eingliederungshilfe oder Hilfe zur Erziehung) mit Zeitablauf nicht mehr erfüllt werden kann, verhindert der Betroffene durch die Selbstbeschaffung den Verlust der Leistung. Es würde gegen die gesetzliche Gewährung des Rechtsanspruchs verstoßen, wenn der Hilfebedürftige seinen Anspruch allein deshalb verlieren würde, weil er die ihm zustehende Hilfe nicht rechtzeitig vom Leistungsträger erhalten hat (vgl. bereits die Rechtsprechung des Senats zum Sozialhilferecht: Urteil vom 23. Juni 1994 - BVerwG 5 C 26.92 - BVerwGE 96, 152 <155> = Buchholz 436.0 § 5 BSHG Nr. 12 S. 4).
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Die Sach- und Interessenlage, die besteht, wenn der Jugendhilfeträger einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz in einer Kindertagesstätte nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt, ist der zuvor beschriebenen ähnlich und mit ihr wertungsmäßig vergleichbar. Die Kinderbetreuung, die - trotz Rechtsanspruchs - nicht für den Zeitraum gewährt wird, für den sie begehrt wird, lässt sich nicht verschieben, sondern bleibt für diesen Zeitraum in irreversibler Weise unerfüllt; der Anspruch auf Zuweisung eines real verfügbaren Platzes erledigt sich durch Zeitablauf (vgl. Rixen, NJW 2012, 2839 <2841>; Schübel-Pfister, NVwZ 2013, 385 <390>). Soweit der Primäranspruch auf einen Betreuungsplatz nicht auf andere Weise rechtzeitig durchgesetzt werden kann, ist der Betroffene - wenn er den endgültigen Anspruchsverlust verhindern will - auf eine Selbstbeschaffung verwiesen, die es ihm dann noch ermöglicht, den Bedarf zu decken und zumindest die erforderlichen Aufwendungen hierfür erstattet zu bekommen.
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Wegen der ähnlichen Sach- und Interessenlage ist der Analogieschluss auch auf alle Tatbestandsmerkmale, die 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII an die Rechtsfolge des Aufwendungsersatzanspruchs knüpft, sinngemäß zu erstrecken. Das gilt insbesondere für das Merkmal, dass der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Bedarf in Kenntnis gesetzt haben muss (Nr. 1). Die Bedeutung dieses Merkmals und seine Notwendigkeit, es als Voraussetzung für einen entsprechend hergeleiteten Aufwendungsersatzanspruch anzusehen, erschließt sich aus dem systematischen Zusammenhang des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zu Absatz 1 dieser Vorschrift. Gesetzlicher Leitgedanke des § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist die Steuerungsverantwortung des Jugendhilfeträgers. Nach dieser Regelung hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann zu tragen, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird. Der Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass es nicht dem gesetzlichen Auftrag des Jugendhilfeträgers entspricht, nur "Zahlstelle" und nicht Leistungsträger zu sein. Das Jugendhilferecht zielt auf eine partnerschaftliche Hilfe unter Achtung familiärer Autonomie und auf kooperative pädagogische Entscheidungsprozesse. Nur wenn die Eltern bzw. der Hilfeempfänger grundsätzlich den Träger der Jugendhilfe von Anfang an in den Entscheidungsprozess einbeziehen, kann er seine aus § 36a Abs. 1, § 79 Abs. 1 SGB VIII folgende Gesamtverantwortung für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben und die Planungsverantwortung nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGB VIII wahrnehmen (Urteil vom 18. Oktober 2012 - BVerwG 5 C 21.11 - BVerwGE 145, 1 = Buchholz 436.511 § 36a SGB VIII Nr. 2 jeweils Rn. 31; Beschluss vom 22. Mai 2008 - BVerwG 5 B 130.07 - JAmt 2008, 600).
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Der genannte Gedanke, dass eine Vorbefassung des Trägers der Jugendhilfe erforderlich ist, bevor ein Bedarf im Wege der Selbstbeschaffung gedeckt wird, greift auch für die Ansprüche auf Kinderbetreuung. Auch im Hinblick auf die Verpflichtung zur Erfüllung dieser Rechtsansprüche hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe - unabhängig davon, ob der Anspruch im Bundesrecht oder wie hier im Landesrecht (§ 5 Abs. 1 KitaG) wurzelt - seine Gewährleistungspflicht zunächst durch eine bedarfsgerechte Planung entsprechend den objektivrechtlichen Vorgaben der §§ 79, 80 SGB VIII zu erfüllen und dabei bereits das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern zu berücksichtigen. Der Jugendhilfeträger trägt so für die Bereitstellung eines bedarfsgerechten Angebots die Gesamtverantwortung, der er etwa durch die Finanzierung von Betreuungsplätzen kommunaler Träger und durch finanzielle Förderung nichtstaatlicher (freier) Träger nachkommt.
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3. Das angefochtene Urteil ist auch im Übrigen revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
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a) Soweit das Oberverwaltungsgericht davon ausgeht, dass der an die Nichterfüllung des landesrechtlichen Verschaffungsanspruchs anknüpfende Sekundäranspruch auf Aufwendungsersatz dem bundesrechtlichen Maßstab folgt, unterliegt dies ebenso wenig der revisionsgerichtlichen Kontrolle wie seine Prüfung, ob im konkreten Fall die Voraussetzungen des landesrechtlichen Aufwendungsersatzanspruchs erfüllt sind. Dies entzieht sich grundsätzlich der revisionsgerichtlichen Überprüfung, weil es sich insoweit um die Anwendung von Landesrecht handelt.
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b) Der Einwand der Beklagten, das Oberverwaltungsgericht habe jedenfalls der Klägerin zu 1 zu Unrecht einen Aufwendungsersatzanspruch zugebilligt, weil der Primäranspruch auf Verschaffung eines Kindergartenplatzes nach den gesetzlichen Regelungen nur dem Kind und nicht den sorgeberechtigten Personen zustehe, begründet ebenfalls nicht die Annahme eines Bundesrechtsverstoßes.
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aa) Die auf der Auslegung und Anwendung des § 5 Abs. 1 KitaG beruhende Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, dass auch die Klägerin zu 1 als Sorgeberechtigte nach dieser Vorschrift anspruchsberechtigt sei, ist als Auslegung irrevisiblen Landesrechts für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend, § 137 Abs. 1 VwGO, § 173 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO (Urteil vom 21. September 2005 - BVerwG 6 C 16.04 - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 40).
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Das Oberverwaltungsgericht hat die Anspruchsberechtigung der Sorgeberechtigten vorrangig auf landesrechtliche Erwägungen gestützt. Es hat dazu in den Urteilsgründen ausgeführt, zwar ergebe sich aus dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 KitaG, dass der Rechtsanspruch auf einen Kindertagesstättenplatz zunächst dem Kind eingeräumt sei. Er stehe nach der gesetzlichen Konzeption aber ebenso den Sorgeberechtigten zu. Maßgeblich dafür sei nicht ihre Befreiung von dem verhältnismäßig geringen Anteil an den Personalkosten in der Form des Elternbeitrags (§ 13 Abs. 2 KitaG), sondern die Begünstigung durch die Inanspruchnahme einer durch öffentliche Mittel hoch subventionierten Einrichtung.
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bb) Eine revisionsgerichtliche Prüfung ist auch nicht deshalb eröffnet, weil sich das Oberverwaltungsgericht für seine Auslegung des Landesrechts im Wesentlichen vom Bundesrecht hätte leiten lassen (vgl. Urteil vom 6. September 1984 - BVerwG 3 C 16.84 - BVerwGE 70, 64 = Buchholz 415.16 § 28 BJagdG Nr. 1) oder weil es von der Annahme ausgegangen wäre, es sei an Bundesrecht gebunden und müsse aufgrund eines bundesrechtlichen Rechtsanwendungsbefehls § 5 Abs. 1 KitaG im Hinblick auf die Anspruchsberechtigung genauso auslegen wie eine bundesrechtliche Vorschrift (vgl. Urteile vom 18. Mai 1977 - BVerwG 8 C 44.76 - BVerwGE 54, 54 <56 f.> = Buchholz 454.51 MRVerbG Nr. 1 S. 2 f. und vom 16. Januar 2003 - BVerwG 4 CN 8.01 - BVerwGE 117, 313 <317> = Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 160 S. 96).
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Zwar hat das Oberverwaltungsgericht auch eine im entscheidungserheblichen Zeitraum geltende bundesrechtliche Regelung ausgelegt und dabei zu Unrecht angenommen, dass Anspruchsinhaber nach § 24 Abs. 1 SGB VIII a.F. nicht nur das Kind, sondern auch die sorgeberechtigte Person gewesen sei. Letzteres trifft nicht zu, weil nach dem unmissverständlichen Wortlaut dieser Vorschrift ausdrücklich und allein das Kind als Berechtigter genannt wird. Dies lässt sich auch im Hinblick auf die Systematik des SGB VIII, Rechtsansprüche entweder dem Kind bzw. Jugendlichen (wie etwa bei Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII) oder den personensorgeberechtigten Eltern (wie etwa bei der Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII) zuzuweisen, nur als bewusste Entscheidung des Gesetzgebers interpretieren, allein dem Kind den Anspruch nach § 24 Abs. 1 SGB VIII a.F. auf Verschaffung eines Betreuungsplatzes zu vermitteln. Soweit das Oberverwaltungsgericht diese bundesrechtliche Anspruchsberechtigung verkannt hat, wirkt sich dies hier jedoch nicht aus.
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Das Oberverwaltungsgericht gelangt zu der in Rede stehenden Anspruchsberechtigung eigenständig tragend auch durch rein landesrechtlich ausgerichtete Erwägungen. Maßgeblich sei die Begünstigung der Eltern durch die Inanspruchnahme einer durch öffentliche Mittel hoch subventionierten Einrichtung. Das Oberverwaltungsgericht legt insoweit sowohl die bundesrechtliche als auch die landesrechtliche Anspruchsgrundlage - mit gleichem Ergebnis - parallel aus.
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cc) Schließlich ist die Auslegung des § 5 Abs. 1 KitaG auch nicht deswegen revisionsgerichtlich zu beanstanden, weil das Bundesrecht ein anderes als das vom Oberverwaltungsgericht vertretene Ergebnis gebieten würde (vgl. Urteil vom 23. August 1994 - BVerwG 1 C 18.91 - BVerwGE 96, 293 <294 f.> = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 230 S. 15). Denn eine einschränkende bundesrechtskonforme Auslegung war weder im Hinblick auf einfaches noch auf Verfassungsrecht des Bundes erforderlich. Vielmehr ist der Landesgesetzgeber gemäß § 24 Abs. 6 SGB VIII frei darin, weitergehende Begünstigungen als der Bund zu gewähren. Denn nach dieser Vorschrift bleibt weitergehendes Landesrecht unberührt.
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c) Ein Bundesrechtsverstoß ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die Beklagte und der Vertreter des Bundesinteresses auf einen Grundsatz vom Vorrang des verwaltungsgerichtlichen Primärrechtsschutzes verweisen und dazu geltend machen, ein Aufwendungsersatzanspruch sei hier ausgeschlossen, weil es die Klägerinnen versäumt hätten, den Verschaffungsanspruch auf einen Kindergartenplatz im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO durchzusetzen.
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Ob die Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes eine Voraussetzung des landesrechtlichen Sekundäranspruchs auf Aufwendungsersatz darstellt und ob diese etwaige Voraussetzung im konkreten Fall erfüllt ist, ist als Auslegung und Anwendung von Landesrecht der revisionsgerichtlichen Überprüfung grundsätzlich nicht zugänglich. Darüber hinaus ist es zweifelhaft, ob im Rahmen des Anspruchs auf Aufwendungsersatz nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII die vorherige Inanspruchnahme von Eilrechtsschutz geboten ist. Im Wortlaut des § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII, der nur verlangt, dass die Deckung des Bedarfs durch die selbstbeschaffte Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet haben darf und der dabei zwischen dem Fall der Bedarfsdeckung bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung (Buchst. a) und dem Fall bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung (Buchst. b) unterscheidet, hat das Erfordernis des Eilrechtsschutzes keinen Ausdruck gefunden.
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Diese Frage bedarf jedoch keiner abschließenden Klärung, weil jedenfalls gegen die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass das Nachsuchen um vorläufigen Rechtsschutz nur dann verlangt werden kann, wenn es dem Betroffenen zumutbar ist, bundesrechtlich nichts zu erinnern ist. Selbst beim Amtshaftungsanspruch, bei dem der grundsätzliche Vorrang des primären gerichtlichen Rechtsschutzes in deutlicher Form in § 839 Abs. 3 BGB niedergelegt ist, wird die Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz nur verlangt, wenn durch diese eine rechtzeitige Abhilfe überhaupt erwartet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 1995 - III ZR 71/93 - BGHZ 128, 346 <358>; s. auch BVerwG, Urteil vom 28. Mai 1998 - BVerwG 2 C 29.97 - BVerwGE 107, 29 <32 f.> = Buchholz 232 § 23 BBG Nr. 40 S. 3). Dies war jedoch nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht der Fall. Es hat dazu ausgeführt, dass eine Abhilfe auch dann nicht zu erwarten gewesen wäre, wenn die Sorgeberechtigten von Anfang an versucht hätten, den Primäranspruch im Verwaltungsrechtsweg durchzusetzen.
(1) Ein Kind, das das erste Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist in einer Einrichtung oder in Kindertagespflege zu fördern, wenn
- 1.
diese Leistung für seine Entwicklung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit geboten ist oder - 2.
die Erziehungsberechtigten - a)
einer Erwerbstätigkeit nachgehen, eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder Arbeit suchend sind, - b)
sich in einer beruflichen Bildungsmaßnahme, in der Schulausbildung oder Hochschulausbildung befinden oder - c)
Leistungen zur Eingliederung in Arbeit im Sinne des Zweiten Buches erhalten.
(2) Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend.
(3) Ein Kind, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, hat bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben darauf hinzuwirken, dass für diese Altersgruppe ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen zur Verfügung steht. Das Kind kann bei besonderem Bedarf oder ergänzend auch in Kindertagespflege gefördert werden.
(4) Für Kinder im schulpflichtigen Alter ist ein bedarfsgerechtes Angebot in Tageseinrichtungen vorzuhalten. Absatz 1 Satz 3 und Absatz 3 Satz 3 gelten entsprechend.
(5) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder die von ihnen beauftragten Stellen sind verpflichtet, Eltern oder Elternteile, die Leistungen nach den Absätzen 1 bis 4 in Anspruch nehmen wollen, über das Platzangebot im örtlichen Einzugsbereich und die pädagogische Konzeption der Einrichtungen zu informieren und sie bei der Auswahl zu beraten. Landesrecht kann bestimmen, dass die erziehungsberechtigten Personen den zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder die beauftragte Stelle innerhalb einer bestimmten Frist vor der beabsichtigten Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis setzen.
(6) Weitergehendes Landesrecht bleibt unberührt.
(1) Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe trägt die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird; dies gilt auch in den Fällen, in denen Eltern durch das Familiengericht oder Jugendliche und junge Volljährige durch den Jugendrichter zur Inanspruchnahme von Hilfen verpflichtet werden. Die Vorschriften über die Heranziehung zu den Kosten der Hilfe bleiben unberührt.
(2) Abweichend von Absatz 1 soll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die niedrigschwellige unmittelbare Inanspruchnahme von ambulanten Hilfen, insbesondere der Erziehungsberatung nach § 28, zulassen. Dazu soll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit den Leistungserbringern Vereinbarungen schließen, in denen die Voraussetzungen und die Ausgestaltung der Leistungserbringung sowie die Übernahme der Kosten geregelt werden. Dabei finden der nach § 80 Absatz 1 Nummer 2 ermittelte Bedarf, die Planungen zur Sicherstellung des bedarfsgerechten Zusammenwirkens der Angebote von Jugendhilfeleistungen in den Lebens- und Wohnbereichen von jungen Menschen und Familien nach § 80 Absatz 2 Nummer 3 sowie die geplanten Maßnahmen zur Qualitätsgewährleistung der Leistungserbringung nach § 80 Absatz 3 Beachtung.
(3) Werden Hilfen abweichend von den Absätzen 1 und 2 vom Leistungsberechtigten selbst beschafft, so ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen nur verpflichtet, wenn
- 1.
der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, - 2.
die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und - 3.
die Deckung des Bedarfs - a)
bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder - b)
bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung
Macht der Beauftragte zum Zwecke der Ausführung des Auftrags Aufwendungen, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf, so ist der Auftraggeber zum Ersatz verpflichtet.
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 28. Juli 2010 dazu verpflichtet, die Kosten des Besuchs der Privatschule E. durch die Klägerin in den Schuljahren 2010/2011 und 2011/2012 zu übernehmen.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Instanzen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die am 1999 geborene Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten ihrer Beschulung auf der Privatschule E. in X. für die Schuljahre 2010/2011 und 2011/2012 durch die Beklagte.
3Die Klägerin besuchte ab dem Jahr 2002 eine Kindertagesstätte und erhielt bereits vorschulisch eine ergotherapeutische und logopädische Behandlung, nachdem ein Sprachentwicklungsrückstand und Wahrnehmungsstörungen diagnostiziert worden waren. Zum Schuljahr 2005/2006 wurde die Klägerin auf der T. schule X. , einer städtischen Gemeinschaftsgrundschule, eingeschult. Dort wiederholte sie die 1. Klasse. Einhergehend mit der Diagnose eines unterlagernden Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms wurde die Klägerin ab dem Jahr 2007 durch Frau Dr. C. E1. , Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin und Psychotherapeutin in X. , verhaltenstherapeutisch und medikamentös behandelt. Ebenfalls ab dem Jahr 2007 nahm die Klägerin eine lerntherapeutische Behandlung in der Praxis J. E. in X. wahr.
4Ausweislich eines Aktenvermerks der Beklagten vom 21. Dezember 2009 erkundigte sich die Mutter der Klägerin am 10. Dezember 2009 nach Fördermöglichkeiten für die Klägerin, da diese in der Schule Probleme wegen einer Dyskalkulie und eines ADS habe, woraufhin ein Hausbesuch am 17. Dezember 2009 vereinbart worden sei. Aus dem Vermerk geht weiter hervor, dass die Klägerin von ihren Eltern umfassend versorgt und intensiv gefördert werde. Sie zeige sich im Gespräch aufgeschlossen und freundlich und besuche derzeit die 4. Klasse der GGS T. schule. Die Klägerin berichte, sie gehe gerne zur Schule, habe dort aber keine Freunde und werde auch nicht zu Geburtstagen eingeladen. Sie spiele in der Pause Fangen mit anderen Kindern. Das Fach Sport möge sie besonders gerne, Mathematik dagegen nicht. Sie fahre alleine zur Schule mit einem Roller. Sie sei bereits einmal mit ihrer Klasse zu einer Klassenfahrt gefahren und freue sich auf die nächste. Nachmittags spiele sie mit ihrem Bruder oder nehme am Vereinstraining (Schwimmen und Leichtathletik) teil. Die Eltern hätten sich dahingehend geäußert, dass die Entwicklung der Klägerin bedingt durch eine Sprachentwicklungsverzögerung, eine Störung der Körperwahrnehmung und Entzündungen der Ohren, die zeitweise das Hörvermögen eingeschränkt hätten, problematisch verlaufen sei. Sie habe Ergo- und Sprachtherapie erhalten und werde lerntherapeutisch behandelt. Ihre guten Leistungen seien nur durch das Zusammenwirken von intensiver häuslicher, schulischer und lerntherapeutischer Unterstützung entstanden. Sie zeige sich sehr lernmotiviert und ehrgeizig und habe eine uneingeschränkte Empfehlung zum Besuch einer Real- oder Gesamtschule erhalten. Sorge bereite allerdings ihre Tendenz zum sozialen Rückzug. In der Kinderarztpraxis E1. seien Dyskalkulie und ADS diagnostiziert worden. Es sei zu befürchten, dass die Klägerin mit dem Besuch einer weiterführenden Regelschule wegen der großen Klassenverbände und mangelnder individueller Förderung überfordert sei und keinen angemessen Schulabschluss erreichen könne.
5Am 21. Dezember 2009 fand eine „Einzelberatung/weiterführende Schulen“ an der T. schule statt, bei der die Klassenlehrerin der Klägerin, Frau D. T. , mit deren Eltern das in der Grundschule gezeigte Arbeits- und Sozialverhalten sowie die erkennbare Leistungsfähigkeit und -bereitschaft besprach. Aus der zugehörigen Niederschrift geht hervor, dass die Klassenlehrerin „nach heutigem Stand der Erkenntnisse den Besuch einer Realschule oder einer Gesamtschule“ empfehle. Unter „besondere Bemerkungen“ ist weiter festgehalten: „M. sollte eine Realschule besuchen, die auf die besonderen Bedürfnisse von M. Rücksicht nimmt!“.
6Unter dem 1. Februar 2010 beantragten die Eltern der Klägerin die Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII. Die Klägerin solle ab der 5. Klasse die Privatschule E. besuchen, da sie dort optimale Bedingungen vorfände, um einen angemessenen Schulabschluss zu erreichen, ohne durch ihre Teilleistungsstörungen und die damit verbundenen seelischen Probleme benachteiligt zu sein. Schon seit früher Kindheit habe sie Probleme, dauerhafte Kontakte zu anderen Kindern zu knüpfen, weil sie auch durch eine Sprachentwicklungsverzögerung belastet sei. Daraus habe sich eine tiefe Verunsicherung entwickelt, die sich in der Schulzeit verstärkt habe, da sie in ihrem Lernverhalten durch eine Dyskal-kulie und ADHS beeinträchtigt sei. Auch wenn durch diverse Therapien eine gewisse Besserung eingetreten sei, neige sie dazu, sich bei Kritik abgelehnt zu fühlen, so dass sie sich in der Schule oft zurückziehe. Sie sei wenig selbstbewusst und befürchte immer, dass man über sie und ihre Probleme spreche und sie den Anforderungen nicht genügen könne. Jedoch sei sie sehr lernwillig und könne einige Defizite mit viel Fleiß ausgleichen. Es sei zu befürchten, dass sie in einer staatlichen Realschule mit großen Klassen und fehlender individueller Zugehens-weise der Lehrer nicht zu einem angemessenen Schulabschluss gelangen könne. Dem Antrag waren ein Zwischenbericht über die lerntherapeutische Behandlung und die Schulzeugnisse der Klägerin beigefügt.
7In ihrem auf den 29. Januar 2010 datierten schulischen Gutachten wies die damalige Klassenlehrerin der Klägerin, Frau D. T. , darauf hin, dass sich die Klägerin von Anfang an ihren Lehrerinnen gegenüber sehr aufgeschlossen gezeigt und sich gegenüber ihren Mitschülern freundlich verhalten habe. Sie habe allerdings bisher keinen altersangemessenen Kontakt zu ihren Mitschülern aufgebaut. Es sei ihr bei Gruppenarbeiten nur sehr bedingt gelungen, eigene Ideen einzubringen. Auf dem Schulhof habe sie sich entweder alleine beschäftigt oder mit sehr viel jüngeren Kindern gespielt. Um Konflikte zu lösen, habe sie stets die unterstützende Hilfe durch ihre Lehrerinnen benötigt. Sie sei in der Lage, Gelerntes sicher anzuwenden, und könne gut etwas auswendig lernen. Jedoch falle es ihr schwer, neues Wissen in vorhandene Strukturen einzubinden. Oft scheitere sie an der Art und Weise der Aufgabenstellung, die sie nicht verstehe. Wenn man mit ihr die eigentliche Aufgabe bespreche und mit ihr Beispiele durchgehe, so sei sie in der Lage, die Aufgaben sicher zu lösen. Allerdings gelinge ihr der Transfer auf ähnliche Aufgaben nur bedingt. Zum einen sei sie auf eine sehr intensive Zuwendung ihrer Lehrerinnen und zum anderen auf eine umfassende außerschulische Förderung ihrer Eltern und einer Therapeutin angewiesen. Sie benötige eine durchgängige individuelle Zuwendung und Hilfe, durch die sie ohne Zeitdruck an klar strukturierte, überschaubare und individuell differenzierte Aufgaben herangehen könne. Auch nach der Grundschule sei es wichtig, dass sie schulisch und außerschulisch weiterhin intensiv gefördert werde.
8In ihrem ärztlichen Attest vom 10. März 2010 führte die Kinder- und Jugendärztin und Kinder- und Jugendtherapeutin Dr. C. E1. u. a. aus, dass die Klägerin in allen schulischen und leistungsbezogenen Anforderungen auf Unterstützung durch Lehrer, Eltern oder Lerntherapeutin angewiesen sei. Die geringsten Herausforderungen oder Schwierigkeiten ließen sie ansonsten resignieren und sie sei dann nicht mehr in der Lage, sich konstruktiv mit dem Problem auseinander zu setzen. Sie habe trotz aller Unterstützung nur ein sehr geringes Selbstwertgefühl. Die Klägerin benötige auf der weiterführenden Schule eine kleine Gruppe, in der eine gezielte persönliche Ansprache und Unterstützung möglich sei. In einer Regelschulform würde sie „untergehen“. In diesem Sinne drohe eine seelische Behinderung im Sinne von § 35a SGB VIII.
9Das Schulamt für den S. -F. -Kreis nahm unter dem 5. Juli 2010 dahingehend Stellung, dass aus schulfachlicher Sicht keine Beschulung an einer Privatschule notwendig sei, da die Klägerin die Schulformempfehlung „Real-oder Gesamtschule“ erhalten habe. Falls es dennoch zu Problemen in der weiterführenden Schule komme, sei dort die Einleitung eines AO-SF-Verfahrens angezeigt.
10Nach Durchführung einer Hilfeplankonferenz lehnte die Beklagte den Antrag auf Übernahme der Kosten für den Besuch einer Privatschule mit Bescheid vom 28. Juli 2010 ab. Zur Begleitung und Unterstützung des Übergangs auf eine weiterführende Schule bewilligte sie im Umfang von 40 Fachleistungsstunden eine Dyskalkulietherapie. Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, dass die Übernahme der Kosten für den Besuch einer Privatschule nur im Ausnahmefall möglich sei, wenn alle staatlichen schulischen Fördermaßnahmen nicht ausreichten, um eine angemessene Schulbildung zu ermöglichen. Aus dem gewonnenen Gesamtbild gemäß den Berichten von Eltern und Schule sowie dem medizinischen Gutachten ergebe sich, dass die Klägerin in ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben infolge der Teilleistungs- und Aufmerksamkeitsstörung nicht so massiv beeinträchtigt sei, dass eine Beschulung im staatlichen Regelschulsystem nicht möglich sei, zumal sie in ihrer bisherigen Schullaufbahn auf einer Regelschule beständig befriedigende Leistungen auch im Fach Mathematik gezeigt habe. Durch intensive Unterstützung ihrer Eltern sei die Klägerin sozial eingebunden und werde medizinisch/verhaltenstherapeutisch begleitet. Nach Vorgabe der Schulaufsichtsbehörde erscheine es zur Abwendung der von Eltern und Gutachterin befürchteten Schulschwierigkeiten ausreichend, wenn die Klägerin mit ihrem Wechsel auf eine Real- oder Gesamtschule weiterhin konsequent häuslich begleitet werde und eine Dyskalkulietherapie stattfinde; bei dem Schulwechsel sei die Fachstelle für AD(H)S zu beteiligen mit der Option, bei auftretenden Lernproblemen den weiteren Förderbedarf abzuklären. Selbstwertproblematik und emotionale Instabilität erforderten eine individuelle Behandlung im Rahmen des Leistungskatalogs der Krankenversicherung. Ergänzend stehe die Schul- und Erziehungsberatung zur Verfügung.
11Die Klägerin, die seit dem Schuljahr 2010/2011 die Privatschule E. besucht, hat am 19. August 2010 Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Sie gehöre unstreitig zum Kreis der Eingliederungsberechtigten nach § 35a SGB VIII. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei auch der Besuch einer Privatschule zur Sicherstellung des Erwerbs einer angemessenen Schulbildung erforderlich. Dem ärztlichen Attest der Frau Dr. E1. vom 10. März 2010 sowie den Stellungnahmen der Klassenlehrerin und der Therapeutin J. E. könne entnommen werden, dass sie, die Klägerin, in allen schulischen und leistungsbezogenen Anforderungen immer auf Unterstützung durch Lehrer, Eltern oder Lerntherapeuten angewiesen sein werde. Die geringsten Herausforderungen oder Schwierigkeiten ließen sie ansonsten resignieren und sie sei dann nicht mehr in der Lage, sich mit den Problemen konstruktiv auseinander zu setzen. Ihr Selbstwertgefühl sei gering. Aufgrund der erwähnten Stellungnahmen sei auch der Besuch der Privatschule E. erforderlich, um ihrem Behinderungsbild gerecht zu werden und ihr eine angemessene Schulbildung zu ermöglichen. Der Verweis auf das staatliche Regelschulsystem führe hier nicht weiter, da nicht ersichtlich sei, dass sie an der Regelschule unter Berücksichtigung ihrer Beeinträchtigungen angemessen gefördert werden könne.
12Die Klägerin hat beantragt,
13die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 28. Juli 2010 zu verpflichten, die Kosten des Besuchs der Privatschule E. durch die Klägerin in den Schuljahren 2010/2011 und 2011/2012 zu übernehmen.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie hat vorgetragen: Entgegen der Auffassung der Klägerin sei im vorliegenden Fall eine Beschulung an einer Regelschule geeignet, um eine angemessene Schulausbildung zu gewährleisten. Die B. -F1. -Realschule in X. sei z. B. in der Lage, der Klägerin die nötigen Rahmenbedingungen zum Erreichen eines angemessenen Schulabschlusses zu verschaffen. Die Beschulung von Kindern mit ADHS sei im Alltag an Regelschulen nichts Außergewöhnliches und werde mit gutem Erfolg durchgeführt. Im Zusammenwirken der Eltern, der Lehrkräfte der Schule, des Jugendamtes, der Bezirksregierung und ggf. weiterer Fachkräfte sei die Ausarbeitung eines individuellen Förderkonzeptes für die Klägerin möglich. Nach den Angaben der Schulleiterin der B. -F1. -Real-schule verfüge die Schule über drei zertifizierte Beratungslehrer, die im Rahmen von umfangreichen Fortbildungsmaßnahmen in Bezug auf individuelle und nachhaltige Förderung von Schülerinnen und Schülern mit ADHS-Problematik geschult seien. Des Weiteren unterhalte die Schule ein enges und gut funktionierendes Netzwerk zu Sonderpädagogen und anderen externen Stellen wie Ge-sundheitsamt, Kompetenznetzwerken und Elterngruppen. Dies zeige, dass an dieser Schule mit der Problematik ernsthaft umgegangen werde. Ein individuelles Förderkonzept der Klägerin habe mangels Mitwirkung ihrer Eltern bislang nicht realisiert werden können. Eine Prognose dahingehend, dass die Klägerin an der Regelschule keinen adäquaten Abschluss erreichen könne, sei nicht tragfähig.
17Mit dem angefochtenen Urteil vom 10. November 2011 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
18Ob die Klägerin zum Personenkreis der nach § 35a SGB VIII Berechtigten zu zählen sei, könne dahingestellt bleiben. Denn die Beschulung auf einer Privatschule sei jedenfalls nicht zur Erlangung einer angemessenen Schulbildung erforderlich. Die Beklagte könne sich insoweit auf den Vorrang der Beschulung im öffentlichen Schulwesen berufen. Im Hinblick auf die schulischen Leistungen, welche die Klägerin auf der Grundschule gezeigt habe, und die hierauf basierende Empfehlung für den Besuch einer weiterführenden Schule könne auch unter Berücksichtigung der bei der Klägerin vorliegenden Teilleistungsstörungen nicht davon ausgegangen werden, dass es für sie unmöglich sei, eine weiterführende Regelschule zu besuchen, sofern sie - wie bisher - familiär und außerschulisch gefördert werde. Die Eignung der von der Beklagten vorgeschlagenen B. -F1. -Realschule sei von Klägerseite lediglich pauschal bestritten worden. Darüber hinaus habe es den Eltern der Klägerin frei gestanden, die Möglichkeiten der individuellen Förderung an anderen öffentlichen Schulen abzuklären, gegebenenfalls auch mit Hilfe des AD(H)S-Netzwerkes bei der Bezirksregierung L. . Die frühzeitige Festlegung auf den Besuch einer Privatschule könne nicht dazu führen, dass der gesetzliche Vorrang der Förderung im staatlichen Schulsystem auf Kosten der Eingliederungshilfe umgangen werde. Die im Verwaltungsverfahren eingeholten ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen der Klassenlehrerin und Therapeutin böten keine hinreichende Grundlage dafür, dass die Klägerin im öffentlichen Schulsystem nicht gefördert werden könne. Die Entscheidung der Beklagten, zunächst auf den Besuch einer öffentlichen Regelschule zu verweisen und insoweit zur Vermeidung oder Abmilderung von Umstellungsschwierigkeiten eine (Dyskalkulie-)Therapie zu bewilligen, die gegebenenfalls den Bedürfnissen der Klägerin entsprechend hätte umgestellt werden können, sei vor diesem Hintergrund nachvollziehbar und fachlich nicht zu beanstanden.
19Mit Beschluss vom 25. Oktober 2012 hat der Senat die Berufung der Klägerin wegen des Vorliegens des Zulassungsgrundes der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zugelassen.
20Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Klägerin unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen im Wesentlichen vor:
21Das angefochtene Urteil widerspreche den Bestimmungen des § 36 Abs. 2 SGB VIII über das Hilfeplanverfahren. Ob bei ihr, der Klägerin, die Voraussetzungen der Eingliederungshilfe vorlägen, könne nicht offen bleiben. Bereits bei der Antragstellung hätten ihre Eltern auf die bestehende Teilhabebeeinträchtigung hingewiesen. Aufgrund der Kontaktschwierigkeiten, der tiefen Verunsicherung, die sich entwickelt habe, und des mangelnden Selbstbewusstseins sei zu befürchten, dass sie in einer öffentlichen Realschule mit großen Klassen und fehlender individueller Zugangsweise der Lehrer nicht zu einem angemessenen Schulabschluss kommen könne. Die behandelnde Kinder- und Jugendpsychiaterin, Frau Dr. E1. , habe das Vorliegen einer seelischen Störung gegenüber dem Jugendamt der Beklagten bestätigt. Das Jugendamt habe indes, obwohl die Voraussetzungen der Eingliederungshilfe nach seiner Einschätzung vorgelegen hätten, keine Ermittlung der geeigneten Hilfeart vorgenommen. Anfragen der Beklagten an schulische Stellen seien nicht zielführend beantwortet worden. Soweit die Einleitung eines AO-SF-Verfahrens angesprochen worden sei, habe die Grundschule dazu keinen Anlass gesehen. Daran sei der Jugendhilfeträger gebunden. Die Bestimmung einer Schule für soziale und emotionale Entwicklung als Förderort wäre im vorliegenden Fall auch unzulässig, da dort nur nach den Lehrplänen der Hauptschule unterrichtet werde. Erst nach Klageerhebung habe die Beklagte auf die B. -F1. -Realschule verwiesen. Nachfragen bei der Beklagten, ob diese Schule die Rahmenbedingungen für eine Beschulung unter Berücksichtigung ihrer, der Klägerin, Beeinträchtigungen biete, hätten jedoch keinen Aufschluss gebracht. Das Verwaltungsgericht habe insoweit keine Sachaufklärung betrieben. Wenn keine geeignete Beschulung im öffentlichen Schulwesen zur Verfügung stehe, liege ein Fall des Systemversagens vor. In einem solchen Fall sei das Jugendamt verpflichtet, im Rahmen des § 35a SGB VIII auch Kosten für den Besuch einer Privatschule zu übernehmen. Auf den Vorrang des öffentlichen Schulsystems könne sich die Beklagte nur berufen, wenn die von ihr benannte Schule konkret eine Beschulungsmöglichkeit unter Berücksichtigung der Beeinträchtigungen der Klägerin darstellen würde. Das sei hinsichtlich der B. -F1. -Realschule in X. nicht aufgeklärt. Die Beklagte begnüge sich mit allgemeinen Ausführungen. Ihre, der Klägerin, Eltern hätten sich seinerzeit dazu entschlossen, sie die erste Klasse wiederholen zu lassen, weil sich herausgestellt habe, dass sie in der Schule vollständig isoliert gewesen sei. Sie sei dann in die Klasse von Frau T. gekommen, die für die Ausbildung der Referendare an der Schule zuständig gewesen sei. Frau T. sei im Unterricht über den kompletten Zeitraum ihres, der Klägerin, weiteren Besuchs der Grundschule jeweils durch einen (wechselnden) Referendar bzw. eine Referendarin unterstützt worden. In der Klasse seien maximal 23 Schüler gewesen. Auch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Erörterungstermin habe die Zeugin Dr. E1. eindrucksvoll die seit Jahren bestehende seelische Störung und die im schulischen Bereich bestehende Teilhabebeeinträchtigung bestätigt und dargelegt, dass sie, die Klägerin, einer intensiven Begleitung im Rahmen von kleinen Lerngruppen bedürfe. Bei Besuch einer Regelschule habe die Befürchtung im Raum gestanden, dass sie zum Mobbingopfer werden würde. Die Einschätzung der Zeugin, sie, die Klägerin, würde an einer Regelschule untergehen, beruhe darauf, dass dort die Rahmenbedingungen fehlten, welche sie aufgrund ihrer tief greifenden Entwicklungsstörungen für eine erfolgreiche Beschulung benötige. Nach der Aussage der Zeugin E. sei die Eignung der Beschulung auf der Privatschule E. als Maßnahme der Eingliederungshilfe in ihrem Fall bewiesen. Die Angaben der Zeugin C1. zu den Klassenstärken an der B. -F1. -Realschule seien falsch, was sich den Informationen der Stadtelternpflegschaft X. entnehmen lasse. Es seien auch Fälle bekannt, in denen Kindern mit entsprechender Beeinträchtigung ein Nachteilsausgleich seitens der Realschule verwehrt worden sei. Speziell ausgebildete Pädagogen mit lerntherapeutischer Fachausbildung habe die Realschule zu keiner Zeit beschäftigt. Soweit die Zeugin C1. angegeben habe, die Schüler an ihrer Schule seien nicht in herausgehobener Weise „schwierig“ und von einem „sozialen Brennpunkt“ könne keine Rede sein, treffe dies nicht zu. Mitarbeiter des Ordnungsamtes der Beklagten hätten mindestens bis 2012 einen Ordnungs-, Kontroll- und Sicherheitsdienst auf dem Gelände des Schulzentrums und damit auch der Realschule wahrgenommen. Die Zeugin C1. habe gerade nicht bestätigt, dass an ihrer Schule vergleichbare Möglichkeiten der individuellen Begleitung von Schülern bestünden, wie sie während des Grundschulbesuchs der Klägerin gegeben gewesen seien. Dort sei die damalige Klasse 4b mit 21 Schülern sehr klein gewesen; in der Klasse hätten jeweils die Klassenlehrerin oder ein Fachlehrer sowie zusätzlich zwei Integrationshelferinnen und eine Lehramtsanwärterin gearbeitet, so dass ein Großteil der Unterrichtsstunden doppelt bzw. teilweise sogar dreifach besetzt gewesen sei. Nach alldem stelle die B. -F1. -Realschule keine geeignete Beschulungsmöglichkeit für sie, die Klägerin, dar. Soweit sich die Beklagte auf Entscheidungen des Bundessozialgerichts berufen habe, wonach der „Kernbereich der pädagogischen Aufgabe der Schule“ nicht Gegenstand einer Leistung der Eingliederungshilfe sein könne, sei diese Rechtsprechung hier nicht einschlägig und widerspreche auch der ständigen verwaltungsgerichtlichen Judikatur. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei das Hilfeplanverfahren nicht fachlich fehlerfrei abgeschlossen worden. Die bewilligte Dyskalkulietherapie betreffe nur einen kleinen Ausschnitt aus dem komplexen Hilfebedarf, der sich bereits aus der ärztlichen Stellungnahme der Frau Dr. E1. vom 10. März 2010 ergeben habe. Eine inhaltliche Aussage der Schulverwaltung zu der Frage, ob unter diesen Voraussetzungen einer Beschulung der Klägerin auf einer öffentlichen Schule möglich sei, sei nicht herbeigeführt worden.
22Die Klägerin beantragt,
23das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 28. Juli 2010 zu verpflichten, die Kosten des Besuchs der Privatschule E. durch die Klägerin in den Schuljahren 2010/2011 und 2011/2012 zu übernehmen.
24Die Beklagte beantragt,
25die Berufung zurückzuweisen.
26Sie trägt im Wesentlichen vor:
27Die Unterstellung, es gebe keine individuelle Zugehensweise von Lehrern an öffentlichen Schulen, sei haltlos. Jeder Lehrer sei verpflichtet, seinen Schülern eine den Fähigkeiten entsprechende Förderung anzubieten. Das Jugendamt entscheide in eigener Verantwortung über die Eignung einer Hilfe und deren Notwendigkeit. Wenn es vorrangig verpflichtete Leistungserbringer gebe, sei das Jugendamt nicht zuständig. Auch im Falle der Durchführung eines AO-SF-Verfahrens verbleibe die Entscheidung über den Förderort bei den Eltern. Der Besuch einer Schule mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung sei für die Klägerin weder indiziert noch jemals vorgeschlagen worden. Der Vorwurf über die verspätete Mitteilung eines Platzes an der Realschule sei unbegründet. Der Antrag auf Eingliederungshilfe entbinde die Eltern nicht von ihrer allgemeinen Verpflichtung, Informationsveranstaltungen weiterführender Schulen und sonstige Informationsquellen zu nutzen, um eine geeignete Schule für ihr Kind zu finden. Schüler mit Teilleistungsstörungen und ADHS würden seit jeher an Regelschulen beschult, so dass insoweit umfangreiche Erfahrungen bestünden. Nachdem die Klägerin über einen Zeitraum von fünf Jahren erfolgreich eine Regelschule besucht habe, lägen keine Hinweise auf ein zwangsläufiges Scheitern an einer weiterführenden Regelschule vor. Mit einer pauschalen Ablehnung der örtlichen Realschule sei ein Systemversagen nicht zu begründen. Die Beweisaufnahme im gerichtlichen Erörterungstermin habe die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils bestätigt. Die Vernehmung der Ärztin Dr. E1. habe keine neuen Erkenntnisse gebracht. Ihre Aussagen zu Teilhabebeeinträchtigungen seien wenig professionell und von Vorurteilen geprägt. Ohne belegbare Anhaltspunkte sei sie davon ausgegangen, dass die Klägerin an einer Regelschule zum Mobbingopfer würde. Unergiebig sei auch die Vernehmung der Zeugin E. verlaufen. Die Eignung ihrer Privatschule als Teilhabeleistung stehe nicht im Streit; hier gehe es vielmehr darum, ob diese Leistung auch erforderlich sei. Zur Frage einer Teilhabebeeinträchtigung der Klägerin an einer öffentlichen Schule habe die Zeugin allein angegeben, dass die Klägerin eine Regelschule allein aufgrund der Größe als erschreckend wahrnehme. Die von der Zeugin benannten Vorteile der Privatschule gehörten zu dem, was in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als „Kernbereich der pädagogischen Aufgabe der Schule“ bezeichnet werden müsse. Daher sei schon fragwürdig, ob es sich bei dem Angebot der Privatschule überhaupt um Teilhabeleistungen im Sinne von § 35a SGB VIII handele. Soweit die Zeugin die relative Überschaubarkeit der Privatschule als entscheidenden Vorteil benannt habe, sei dies lediglich eine Rahmenbedingung. Die Zeugin C1. habe belegt, dass die B. -F1. -Realschule mit der Beschulung von Kindern mit Teilleistungsschwächen vertraut und geübt sei. Der Sorge des Mobbings werde kompetent begegnet. Zu keiner Zeit hätten sich die Eltern der Klägerin nach konkreten bedarfsgerechten Möglichkeiten der Beschulung ihrer Tochter an dieser Regelschule erkundigt. Sie hätten vielmehr schon lange vor dem anstehenden Wechsel auf eine weiterführende Schule beschlossen, dass der Besuch einer Privatschule alternativlos sei. Selbstverständlich könne eine geeignete Förderung von Kindern mit Beeinträchtigungen im schulischen Bereich von einer Regelschule geleistet werden, so auch von der B. -F1. -Realschule. Soweit der Zeugin C1. von Klägerseite eine Falschaussage unterstellt worden sei, solle dies aus Gründen der Sachlichkeit nicht weiter kommentiert werden, zumal der Vorwurf ohnehin belanglos sei. Bei der Entscheidung über die Notwendigkeit und Geeignetheit einer Maßnahme der Eingliederungshilfe stehe dem Jugendhilfeträger ein Beurteilungsspielraum zu, der nur einer eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliege. Nach den hierbei zugrunde zu legenden Maßstäben habe die Beklagte auf den Antrag der Klägerin hin die erforderlichen und gesetzlich gebotenen Schritte in angemessener Weise umgesetzt. Sie habe Stellungnahmen der Grundschule, der behandelnden Ärztin und des Schulamtes eingeholt. Auf der Grundlage der vorliegenden Informationen sei dann der Antrag im Rahmen einer Hilfeplankonferenz abgelehnt worden, da nicht erkennbar gewesen sei, dass die Klägerin an einer Regelschule nicht weiterhin erfolgreich beschult werden könne. Wären weitere Hilfen erforderlich geworden, damit die Klägerin eine Regelschule mit Erfolg besuchen könne, so wären diese zur Verfügung gestellt worden. Dies sei zum Zeitpunkt vor der Schulaufnahme jedoch nicht absehbar gewesen.
28Der Berichterstatter des Senats hat Frau Dr. C. E1. als sachverständige Zeugin sowie Frau J. E. , die Leiterin der Privatschule E. , und Frau L1. C1. , die Leiterin der B. -F1. -Realschule in X. , als Zeuginnen vernommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Vernehmungen wird auf das Protokoll des Erörterungstermins vom 27. März 2014 verwiesen. Ferner ist eine - unter dem 26. Mai 2014 abgegebene - dienstliche Stellungnahme der Leiterin der T. -schule und früheren Klassenlehrerin der Klägerin, Frau D. T. , eingeholt worden.
29Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
30E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
31Das Gericht kann nach §§ 101 Abs. 2, 125 Abs. 1 VwGO im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
32Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Die Verpflichtungsklage der Klägerin ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 2010 ist, soweit mit ihm die Übernahme der Kosten für den Privatschulbesuch abgelehnt wurde, rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte die Kosten des Besuchs der Privatschule E. in den Schuljahren 2010/2011 und 2011/2012 nach § 36a Abs. 3 SGB VIII übernimmt.
33Haben Leistungsberechtigte sich - wie hier - eine Leistung, die grundsätzlich im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe gewährt werden kann, ohne Mitwirkung und Zustimmung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe bereits von Dritten selbst beschafft, so führt eine solche Selbstbeschaffung schon nach der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des erkennenden Senats nicht zum ersatzlosen Wegfall des Primäranspruchs auf Hilfe durch das Jugendamt. Vielmehr ist anerkannt, dass der Träger der Jugendhilfe (sekundär) zur Erstattung von Kosten bzw. Aufwendungen für bereits anderweitig durchgeführte Maßnahmen verpflichtet sein kann.
34Vgl. auch zu Folgendem: OVG NRW, Urteile vom 25. April 2012 - 12 A 659/11 -, JAmt 2012, 548, juris, und vom 20. Juni 2008 - 12 A 739/06 -, jeweils m. w. N.
35Der (sekundäre) Anspruch auf Erstattung der Kosten bzw. Aufwendungen ist in derselben Weise vom Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen des Hilfetatbestands abhängig wie die primäre Verpflichtung des Jugendhilfeträgers zur Hilfegewährung.
36Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. März 2003 - 12 A 1193/01 -, FEVS 55, 86, juris, m. w. N. insbesondere zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, und Beschluss vom 18. August 2004 - 12 A 1174/01 -, juris; vgl. ferner BVerwG, Urteil vom 11. August 2005 - 5 C 18/04 -, BVerwGE 124, 83, juris.
37Allerdings ist der Hilfesuchende nur dann zur Selbstbeschaffung einer Jugendhilfeleistung berechtigt, wenn er hierauf zur effektiven Durchsetzung eines bestehenden Jugendhilfeanspruchs angewiesen ist, weil der öffentliche Jugendhilfeträger sie nicht rechtzeitig erbracht oder zu Unrecht abgelehnt hat, das für die Leistungsgewährung vorgesehene System also versagt hat. Ein solches „Systemversagen“ liegt vor, wenn die Leistung vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe nicht erbracht wird, obwohl der Hilfesuchende die Leistungserbringung durch eine rechtzeitige Antragstellung und seine hinreichende Mitwirkung ermöglicht hat und auch die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen für die Leistungsgewährung vorliegen. In einer solchen Situation darf sich der Leistungsberechtigte die Leistung selbst beschaffen, wenn es ihm wegen der Dringlichkeit seines Bedarfs nicht zuzumuten ist, die Bedarfsdeckung aufzuschieben.
38Vgl. den Senatsbeschluss vom 18. August 2004 - 12 A 1174/01 -, a. a. O., m. w. N.
39Diese Grundsätze sind als § 36a Abs. 3 SGB VIII durch das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz - KICK - vom 8. September 2005 (BGBl. I S. 2729) zum 1. Oktober 2005 ausdrücklich normiert worden,
40so schon OVG NRW, Urteil vom 4. Februar 2009 - 12 A 255/08 -, m. w. N.
41Nach § 36a Abs. 3 SGB VIII ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen für Hilfen, die abweichend von den Absätzen 1 und 2 vom Leistungsberechtigten selbst beschafft wurden, nur verpflichtet,
421. wenn der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat (Nr. 1),
432. die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen (Nr. 2) und
443. die Deckung des Bedarfs bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat (Nr. 3).
45Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
46Die Klägerin kann für sich in Anspruch nehmen, die Beklagte über den Hilfebedarf rechtzeitig i. S. v. § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII in Kenntnis gesetzt zu haben. Das „Inkenntnissetzen“ umfasst grundsätzlich auch eine Beantragung der begehrten Jugendhilfeleistungen, wobei für einen solchen Antrag keine besondere Form vorgeschrieben ist und er auch in der Form schlüssigen Verhaltens gestellt werden kann.
47Vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 2011 - 5 B 43.10 -, JAmt 2011, 274, juris, mit Hinweis auf Beschluss vom 22. Mai 2008 - 5 B 130.07 -, JAmt 2008, 600, juris.
48Der Antrag muss dabei so rechtzeitig gestellt werden, dass der Jugendhilfeträger zur pflichtgemäßen Prüfung sowohl der Anspruchsvoraussetzungen als auch möglicher Hilfemaßnahmen in der Lage ist.
49Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. August 2005 - 5 C 18.04 -, BVerwGE 124, 83, juris.
50Das Jugendhilferecht ist nämlich kein Recht der reinen Kostenerstattung für selbst beschaffte Leistungen, sondern verpflichtet den Träger der Jugendhilfe zur partnerschaftlichen Hilfe. Nur so kann der Jugendhilfeträger seiner Gesamtverantwortung i. S. d. § 97 Abs. 1 SGB VIII und seiner Planungsverantwortung nach § 80 Abs. 1 Nr. 2, 3 SGB VIII gerecht werden.
51In diesem Sinne ist der auf den 1. Februar 2010 datierte Antrag, dem alle wesentlichen schulischen, medizinischen und therapeutischen Unterlagen beigefügt waren, offenkundig rechtzeitig angebracht worden. Wie aus der Eingangsbestätigung hervorgeht, lag der Antrag der Beklagten am 4. Februar 2010 vor. Der mehr als fünf Monate umfassende Zeitraum bis zum Beginn der Sommerferien am 15. Juli 2010 war ausreichend bemessen, um bei straffer Verfahrensführung noch vor Anfang des Schuljahres 2010/2011 eine Entscheidung über den Antrag zu treffen.
52In dem hier maßgeblichen Zeitraum haben auch i. S. d. § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe nach § 35a SGB VIII vorgelegen. Der Senat sieht es mit der im Nachhinein noch erreichbaren Sicherheit für die hier streitgegenständlichen Schuljahre 2010/2011 und 2011/2012 als gegeben an, dass die Klägerin gegen die Beklagte gemäß § 35a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 SGB VIII i. V. m. §§ 53, 54 SGB XII, § 12 Nr. 2 EinglVO einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Beschulung an der Privatschule E. zur Erreichung einer angemessenen Bildung besessen hat.
53Insoweit setzt § 35a Abs. 1 SGB VIII voraus, dass
541. die seelische Gesundheit des Betroffenen mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für seinen Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
552. daher seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
56Bei kumulativen Vorliegen beider Voraussetzungen geht das Gesetz von einer „seelischen Behinderung“ aus (vgl. § 35a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII), wobei es ausreicht, wenn der Betreffende von einer solchen Behinderung bedroht ist.
57Eine seelische Störung i. S. v. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII ist der Klägerin schon mit der fachärztlichen Stellungnahme der Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. E1. vom 10. März 2010 bescheinigt worden. Darin wurde der Klägerin eine tief greifende Entwicklungsstörung attestiert, darüber hinaus eine komplexe Wahrnehmungsstörung sowie eine Dyskalkulie als Teilleistungsstörung und schließlich eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung. Gegen die - von der Beklagten auch nicht in Frage gestellte - Richtigkeit dieser Diagnosen, derer Herleitung und Auswirkungen in einem Begleitschreiben näher beschrieben wurden, und die die Ärztin bei ihrer Vernehmung als sachverständige Zeugin im Wesentlichen deckungsgleich bestätigt hat, bestehen keine Bedenken.
58Unter Berücksichtigung aller vorliegenden schulischen und medizinischen bzw. therapeutischen Erkenntnisse und der plausiblen Angaben der Eltern ist gleichfalls von einer - durch die seelische Erkrankung hervorgerufenen - Teilhabebeeinträchtigung der Klägerin auszugehen.
59Die Teilhabe des Betroffenen am Leben in der Gesellschaft ist im Sinne des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 SGB VIII beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung ist zu erwarten, wenn die seelische Störung nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv ist, dass sie die Fähigkeit des Betroffenen zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung erwarten lässt.
60Vgl. BVerwG, Urteile vom 11. August 2005 - 5 C 18.04 -, BVerwGE 124, 83, juris; vom 28. September 2000 - 5 C 29.99 -, BVerwGE 112, 98, juris; vom 26. November 1998 - 5 C 38.97 -, FEVS 49, 487, juris; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26. März 2007 - 7 E 10212/07 -, FEVS 58, 477, juris; HessVGH, Urteil vom 20. August 2009 - 10 A 1799/08 -, NVwZ-RR 2010, 59, juris; OVG NRW, Beschluss vom 15. Juli 2011 - 12 A 1168/11 -, juris, m. w. N.
61Erforderlich ist daher, dass eine nachhaltige Einschränkung der sozialen Funktionstüchtigkeit des Betreffenden vorliegt oder eine solche droht. Dies ist beispielsweise bei einer auf Versagensängsten beruhenden Schulphobie, bei einer totalen Schul- und Lernverweigerung, bei einem Rückzug aus jedem sozialen Kontakt oder bei einer Vereinzelung in der Schule anzunehmen, nicht aber bereits bei bloßen Schulproblemen und Schulängsten, wie sie auch andere Kinder teilen.
62Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November 1998 - 5 C 38.97 -, FEVS 49, 487, juris; OVG NRW, Beschlüsse vom 14. November 2007 - 12 A 457/06 -, vom 12. November 2008 - 12 A 2551/08 -, vom 29. Mai 2008 - 12 A 3841/06 -, juris, vom 19. Februar 2010 - 12 A 2745/09 - und vom 13. August 2010 - 12 A 1237/09 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26. März 2007 - 7 E 10212/07 -, FEVS 58, 477, juris.
63Während die Beurteilung, ob die seelische Gesundheit im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, regelmäßig Aufgabe von Ärzten oder Psychotherapeuten ist, fällt die Einschätzung, ob die Teilhabe des jungen Menschen am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist bzw. eine solche Beeinträchtigung droht, in die Kompetenz sozialpädagogischer Fachlichkeit und somit zunächst in den Aufgabenbereich des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe.
64Vgl. etwa Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, FK-SGB VIII, 7. Auflage 2013, § 35a Rn. 33, m. w. N.
65Die Feststellung der Beeinträchtigung nach § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII ist deshalb auch nicht Ziel der Stellungnahme nach § 35a Abs. 1a SGB VIII. Dem insoweit vielmehr allein entscheidungsbefugten zuständigen Jugendamt - und damit auch dem Gericht im Überprüfungsfall - ist es allerdings unbenommen, vor der abschließenden Beurteilung des Vorliegens der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen und der Entscheidung über die Rechtsfolge ärztliche/psychotherapeutische oder andere fachliche Stellungnahmen einzuholen und auf diese Weise zu einer Entscheidung in fachlichem Zusammenwirken von ärztlichen/psychotherapeutischen und sozialpädagogischen Fachkräften unter der Federführung des Jugendamtes zu kommen.
66Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. Februar 2010 - 12 A 2745/09 -, m. w. N.
67Dessen eingedenk hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass bei der Klägerin eine - von der Beklagten mit ihrem Bescheid vom 28. Juli 2010 auch dem Grunde nach anerkannte - Teilhabebeeinträchtigung vorgelegen hat, weil ihre soziale Funktionstüchtigkeit vor allem infolge eines Entwicklungsrückstandes nachhaltig eingeschränkt war. Aus der fachärztlichen Stellungnahme vom 10. März 2010 geht hervor, dass die Klägerin bereits im Kindergarten Schwierigkeiten hatte, sich in die Gruppe zu integrieren, sie mit zunehmendem Alter ihre eigenen Schwächen umso deutlicher wahrnahm und ihr Selbstwertgefühl trotz aller Unterstützung nur sehr gering ist. Zu den festgestellten Entwicklungsverzögerungen hat Frau Dr. E1. bei ihrer Vernehmung als sachverständige Zeugin ergänzend ausgeführt, dass die Klägerin, wenn auch körperlich altersgemäß entwickelt, im emotionalen Bereich „noch viel kindlicher“ wirke. Dieser Befund wird auch durch das schulische Gutachten vom 29. Januar 2010 bestätigt. Darin führte die Klassenlehrerin aus, die Klägerin habe „bislang keinen altersangemessenen Kontakt“ zu ihren Mitschülern aufgebaut; auf dem Schulhof beschäftige sie sich „entweder alleine oder … mit sehr viel jüngeren Kindern“. Die Problematik der „Selbstentwertung“ hat die Zeugin E. bei ihrer Vernehmung ebenfalls bestätigt. Dass sich bei der Klägerin aufgrund ihrer Entwicklungsverzögerung eine „tiefe Verunsicherung“ entwickelt hat, sie dazu neigt, sich „abgelehnt zu fühlen“ und sich „in der Schule oft zurückzieht“, hatten die Eltern schon in ihrem Antrag vom 1. Februar 2010 ausgeführt; diese Beschreibung der Beeinträchtigungen der Klägerin deckt sich mit den ärztlichen und schulischen Erkenntnissen.
68Der Besuch der Privatschule E. stellt sich auch als erforderliche und geeignete Maßnahme der Jugendhilfe dar. Dabei folgt aus den Grundsätzen zum Systemversagen, dass die Erforderlichkeit und Eignung der selbstbeschafften Maßnahme hier aus der damaligen Perspektive der leistungsberechtigten Klägerin zu beurteilen ist.
69Denn auch bei der Selbstbeschaffung einer aus fachlichen Gründen abgelehnten bzw. vom Hilfeplan ausgeschlossenen Leistung ist im Hinblick auf § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zunächst zu prüfen, ob der vom Jugendamt aufgestellte Hilfeplan (bzw. das Hilfekonzept) verfahrensfehlerfrei zustande gekommen, nicht von sachfremden Erwägungen beeinflusst und fachlich vertretbar ist. Diese Prüfung erstreckt sich dabei nicht auf eine reine Ergebniskontrolle, sondern erfasst auch die von der Behörde - maßgeblich ist die letzte Behördenentscheidung - gegebene Begründung. Denn diese muss für den Betroffenen nachvollziehbar sein, um ihn in die Lage zu versetzen, mittels einer Prognose selbst darüber zu entscheiden, ob eine Selbstbeschaffung (dennoch) gerechtfertigt ist. Hat das Jugendamt die begehrte Hilfe aus im vorgenannten Sinne vertretbaren Erwägungen abgelehnt, besteht weder ein Anspruch des Betroffenen auf die begehrte Eingliederungshilfeleistung noch auf den Ersatz von Aufwendungen für eine selbst beschaffte Hilfe. Der Regelung des § 36a Abs. 3 SGB VIII liegt in dem Sinne der Gedanke des Systemversagens zugrunde, dass die selbst beschaffte Leistung nicht rechtzeitig erbracht oder zu Unrecht abgelehnt worden sein muss. Hat demgegenüber das Jugendamt nicht rechtzeitig oder nicht in einer den vorgenannten Anforderungen entsprechenden Weise über die begehrte Hilfeleistung entschieden, können an dessen Stelle die Betroffenen den sonst der Behörde zustehenden nur begrenzt gerichtlich überprüfbaren Einschätzungsspielraum für sich beanspruchen. Denn in dieser Situation sind sie - obgleich ihnen der Sachverstand des Jugendamtes fehlt - dazu gezwungen, im Rahmen der Selbstbeschaffung des § 36a Abs. 3 SGB VIII eine eigene Entscheidung über die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme zu treffen. Weil nun ihnen die Entscheidung aufgebürdet ist, eine angemessene Lösung für eine Belastungssituation zu treffen, hat dies zur Folge, dass die Verwaltungsgerichte nur das Vorhandensein des jugendhilferechtlichen Bedarfs uneingeschränkt zu prüfen, sich hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit der selbst beschafften Hilfe aber auf eine fachliche Vertretbarkeitskontrolle aus der ex-ante-Betrachtung der Leistungsberechtigten zu beschränken haben. Ist die Entscheidung der Berechtigten in diesem Sinne fachlich vertretbar, kann ihr etwa im Nachhinein nicht mit Erfolg entgegnet werden, das Jugendamt hätte eine andere Hilfe für geeignet gehalten.
70Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 2012 - 5 C 21.11 -, BVerwGE 145, 1, juris; zum Systemversagen vgl. auch BVerwG, Urteil vom 12. September 2013 - 5 C 35.12 -, JAmt 2014, 41, juris.
71Ausgehend von diesen Maßstäben ist zunächst festzustellen, dass die Beklagte die Grenzen fachlicher Vertretbarkeit bei ihrer Hilfeplanung überschritten hat, weil ihr Hilfekonzept, das dem Bescheid vom 28. Juli 2010 zugrunde lag, keine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthielt. Denn es drängte sich auf, dass die jugendhilferechtliche Bedarfslage der Klägerin, wie sie insbesondere bereits aus dem schulischen Gutachten vom 29. Januar 2010 und der fachärztlichen Stellungnahme vom 10. März 2010 ersichtlich war, hiermit nur unzureichend erfasst und abgearbeitet wurde.
72Die frühere Klassenlehrerin der Klägerin, Frau T. , hatte in ihrem Gutachten u. a. ausgeführt, dass die Klägerin „auf eine sehr intensive Zuwendung ihrer Lehrerinnen … angewiesen“ sei; sie brauche „eine durchgängige individuelle Zuwendung und Hilfe, durch die sie ohne Zeitdruck an klar strukturierte, überschaubare und individuell differenzierte Aufgaben herangehen kann“; auch nach der Grundschule sei es „wichtig, dass M. schulisch und außerschulisch weiterhin intensiv gefördert wird“.
73Die behandelnde Kinderärztin und -therapeutin, Frau Dr. E1. , hatte in ihrer Stellungnahme u. a. darauf hingewiesen, dass die Klägerin „in allen schulischen und leistungsbezogenen Anforderungen … immer auf Unterstützung durch Lehrer, Eltern oder Lerntherapeuten angewiesen“ sei; auf einer weiterführenden Schule werde sie „eine kleine Gruppe brauchen, in der eine gezielte persönliche Ansprache und Unterstützung möglich sind“; „in einer Regelschulform würde das Mädchen 'untergehen'“.
74Ungeachtet der Frage, ob eine hinreichende Grundlage für die letztgenannte Prognose der Fachärztin bestand, musste die Beklagte nach den ansonsten im Wesentlichen übereinstimmenden, vorstehend zitierten Aussagen von Frau T. und Frau Dr. E1. , die jeweils auf mehrjährigen Erfahrungen im Umgang mit der Klägerin beruhten und gegen deren Richtigkeit die Beklagte im Rahmen ihrer Hilfeplanung auch nichts Substantielles eingewandt hatte, davon ausgehen, dass die Klägerin im schulischen Anforderungsbereich einer ausgesprochen intensiven Unterstützung und Begleitung durch das Lehrpersonal bedarf, um ihrem Potential entsprechend mit Erfolg beschult werden zu können. Vor diesem Hintergrund konnte sich die Beklagte in der Begründung ihres Bescheides vom 28. Juli 2010 nicht darauf zurückziehen, dass die Klägerin „in ihrer bisherigen Schullaufbahn auf einer Regelschule beständig befriedigende Leistungen auch im Fach Mathematik gezeigt hat“. Denn die Beklagte hätte als naheliegend in ihre Erwägungen einbeziehen müssen, dass dieser schulische Erfolg maßgeblich auf Rahmenbedingungen beruhte (wie hier: geringe Klassenstärke, mehrere Lehr- und Betreuungskräfte im Unterricht), deren Fortbestand an einer weiterführenden staatlichen Regelschule nicht als gesichert angesehen werden konnte. Das in der fachärztlichen Stellungnahme angesprochene Erfordernis einer „kleinen Gruppe“ findet sich in der Bescheidbegründung lediglich im Sachverhalt wieder; eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem Aspekt blieb die Beklagte schuldig. Die gebotene Befassung mit der Frage, ob die üblichen Klassenstärken an den staatlichen Real- oder Gesamtschulen einer erfolgreichen Beschulung der Klägerin entgegenstehen, wurde auch nicht durch den Verweis auf die Stellungnahme des Schulamtes des S. -F. -Kreises vom 5. Juli 2010 ersetzt, das „nach eingehender Prüfung keine Notwendigkeit für eine Beschulung auf einer Privatschule“ sehe. Denn auch diese - ohnehin nur kurz gehaltene - Stellungnahme geht nicht auf die in Rede stehende Frage ein. Allein der Hinweis des Schulamtes darauf, dass die „Einleitung eines AO-SF-Verfahrens angezeigt“ sei, „falls es dennoch zu Problemen in der weiterführenden Schule kommen sollte“, greift im gegebenen Zusammenhang zu kurz. Abgesehen davon, dass auf die Inanspruchnahme sonderpädagogischer Förderung nur verwiesen werden kann, wenn eine diesbezügliche wirksame schulrechtliche Entscheidung über einen sonderpädagogischen Förderbedarf vorliegt,
75vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 18. Dezember 2013 - 12 B 1190/13 -, juris, m. w. N.,
76hat die Beklagte auch nicht ansatzweise dargelegt, dass die Klägerin aus den in § 19 Abs. 1 SchulG NRW, § 3 Abs. 1 AO-SF (jeweils in der im Zeitpunkt der Bescheidung maßgeblichen Fassung) genannten Gründen nicht am Unterricht einer allgemeinen Schule teilnehmen könne. Die Beklagte trägt vielmehr selbst vor, dass der Besuch einer Schule mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung für die Klägerin „weder indiziert noch jemals vorgeschlagen“ worden sei, ohne allerdings im Hilfeplanverfahren dargelegt zu haben, dass die alternativ dann nur in Betracht kommende sonderpädagogische Förderung in der allgemeinen Schule in den hier streitgegenständlichen Schuljahren bereits an den in Betracht kommenden weiterführenden Regelschulen installiert war; so hat die Zeugin C1. etwa bei ihrer Vernehmung am 27. März 2014 angegeben, dass Gemeinsamer Unterricht an der B. -F1. -Realschule erst seit dem laufenden Schuljahr stattfinde. Ebenso wenig hat die Beklagte bei ihrer Hilfeplanung aufgezeigt, dass eine sonderpädagogische Förderung an einer weiterführenden Regelschule - unterstellt, es läge ein entsprechender Förderbedarf vor und eine solche Förderung würde auch angeboten - dem spezifischen Beeinträchtigungsprofil der Klägerin auch im Rahmen einer „normalen“ Klassenstärke gerecht werden würde.
77Kommt es für die Frage der Geeignetheit und Erforderlichkeit der selbst beschafften Hilfe mithin auf die ex-ante-Betrachtung der leistungsberechtigten Klägerin an, erschien es aus deren Perspektive - bzw. letztlich aus dem Blickwinkel der sie gesetzlich vertretenden Eltern - ohne Weiteres fachlich vertretbar, sich für eine weitere Beschulung auf der Privatschule E. zu entscheiden. Dass diese Bildungseinrichtung geeignet ist, der Klägerin auch in Ansehung ihres spezifischen Beeinträchtigungsprofils eine adäquate Schulbildung zu vermitteln, stand und steht außer Frage und wird im Nachhinein durch die vorliegenden Zeugnisse aus der 5. bis 8. Klasse bestätigt. Die seinerzeit getroffene Entscheidung erwies sich auch nicht unter dem Erforderlichkeitsaspekt als unvertretbar. Nach den vorliegenden Erfahrungen und fachlichen Erkenntnissen, die sich vor allem in dem schulischen Gutachten vom 29. Januar 2010 und der ärztlichen Stellungnahme vom 10. März 2010 widerspiegelten, mussten die Eltern der Klägerin mit der konkreten Gefahr rechnen, dass ihre Tochter auf einer weiterführenden staatlichen Schule nicht angemessen beschult werden könne und die ohnehin bestehende Teilhabebeeinträchtigung sich erheblich verschlimmern werde. In dieser Situation war ihnen nicht zuzumuten, die Klägerin - gleichsam zu „Versuchszwecken“ - dennoch auf einer Regelschule anzumelden, zumal es der Beklagten, wie dargelegt, im Hilfeplanverfahren nicht gelungen war, eine dem Beeinträchtigungsbild der Klägerin angemessen Rechnung tragende Perspektive für eine erfolgreiche Beschulung im öffentlichen Schulwesen aufzuzeigen.
78Die von der Beklagten herangezogene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach die Übernahme von Schulgeld für eine private Ersatzschule als eine vom Kernbereich der pädagogischen Arbeit umfasste Leistung keine im Rahmen der Eingliederungshilfe vom Sozialhilfeträger zu erbringende Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII ist,
79vgl. BSG, Urteil vom 15. November 2012 - B 8 SO 10/11 R -, BSGE 112, 196, juris,
80steht dem Kostenübernahmeanspruch der Klägerin nicht entgegen, auch wenn § 35a Abs. 3 SGB VIII u. a. auf § 54 SGB XII verweist. Eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf den Bereich der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe, die zu dem - nach Auffassung des Senats unhaltbaren - Ergebnis führen würde, dass Privatschulkosten durch den Träger der Jugendhilfe in keinem Fall zu übernehmen sind, also auch dann nicht, wenn im Einzelfall davon auszugehen ist, dass eine bedarfsdeckende Hilfe im öffentlichen Schulwesen nicht zu erhalten ist, kommt aufgrund der folgenden Erwägungen nicht in Betracht:
81Zunächst ist aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII, § 12 EinglVO nicht abzuleiten, dass „Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung“ nur die Schulbildung begleitende bzw. unterstützende Leistungen sind, wie vom Bundessozialgericht angenommen.
82Vgl. hierzu neben der vorstehend zitierten Entscheidung auch BSG, Urteil vom 22. März 2012 -B 8 SO 30/10 R -, BSGE 110, 301, juris.
83Der Begriff der „Hilfen“ ist zielorientiert und daher umfassend zu verstehen. Er ist nicht auf Maßnahmen limitiert, die an eine anderweitig gewährleistete Schulbildung angelehnt sind. Dabei ergibt sich aus § 12 EinglVO nichts anderes. Dementsprechend hatte das Bundesverwaltungsgericht schon zum seinerzeit noch geltenden § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSHG festgestellt, dass die hiernach möglichen Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung „nicht auf solche untergeordneter oder flankierender Art beschränkt“ sind und auch solche Hilfen umfassen, die dem behinderten Menschen „Zugang zu einer angemessenen Schulbildung“ ermöglichen.
84Vgl. Urteil vom 28. April 2005 - 5 C 20.04 -,BVerwGE 123, 316, juris.
85Die auf der Annahme eines Verhältnisses der Spezialität beruhende Argumentation des Bundessozialgerichts lässt sich aber vor allem deshalb nicht fruchtbar machen, weil bei der hier in Rede stehenden jugendhilferechtlichen Fallgestaltung das Verständnis des § 10 Abs. 1 SGB VIII im Vordergrund steht, wonach die „Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen und der Schulen, … durch dieses Buch nicht berührt“ werden. Diese Regelung beschreibt aber nach allgemeiner Auffassung ein Vorrang-Nachrang-Verhältnis.
86Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2010 - 5 C 7.09 -, BVerwGE 137, 85, juris; OVG NRW, Beschluss vom 18. Oktober 2012 - 12 B 1018/12 -, juris; HessVGH, Urteil vom 20. August 2009 - 10 A 1874/08 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 23. April 2009 - 12 CE 09.686 -, juris; NdsOVG, Urteil vom 27. April 2005 - 4 LC 343/04 -, JAmt 2005, 360, juris; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 4. Auflage 2011, § 10 Rn. 20 ff.; Schellhorn, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 4. Auflage 2012, § 10 Rn. 6 ff., Meysen, in: FK-SGB VIII, 7. Auflage 2013, § 10 Rn. 2 ff.
87Von diesem Verständnis geht auch die Begründung zum Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz vom 8. September 2005 (BGBl. I S. 2729) aus, mit dem die „Schulen“ erstmals ausdrückliche Erwähnung in § 10 Abs. 1 SGB VIII gefunden haben, indem sie darauf abstellt, dass die „Leistungen der Schulträger vorrangig gegenüber Leistungen der Sozialhilfe zu erbringen sind“.
88Vgl. BT-Drs. 15/5616, S. 25.
89In seiner jüngeren Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht,
90vgl. Urteil vom 18. Oktober 2012 - 5 C 21.11 -, BVerwGE 145, 1, juris,
91unter Bezugnahme auf den in § 10 Abs. 1 SGB VIII verankerten Grundsatz des Nachrangs bzw. der Subsidiarität der Jugendhilfe erneut betont, dass dieses Prinzip nur greift, wenn nach den Umständen des Einzelfalles im öffentlichen Schulwesen eine bedarfsdeckende Hilfe zu erhalten ist. Auf den Ansatz des Bundessozialgerichts, schulische Förderleistungen könnten einen Anspruch auf jugendhilferechtliche Eingliederungshilfe im Wege der Spezialität ausschließen, wenn der Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Lehrer in der Schule betroffen wäre, hat sich das Bundesverwaltungsgericht nur insofern gestützt, als es geprüft hat, ob die in jenem Verfahren streitgegenständliche Schulbegleitung mit der pädagogischen Arbeit der Lehrer konfligiert. Ein solcher Konflikt setzt aber ein Nebeneinander von Beschulung (im öffentlichen Schulwesen) und Eingliederungshilfemaßnahme voraus; daran fehlt es indes, wenn die Eingliederungshilfe allein auf die Ermöglichung der Beschulung an einer Privatschule zielt.
92Schließlich ist auch davon auszugehen, dass die Deckung des Bedarfs i. S. v. § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII keinen zeitlichen Aufschub mehr geduldet hat. Mit Blick auf den absehbar anstehenden Wechsel auf eine weiterführende Schule war es der Klägerin angesichts ihrer festgestellten Beeinträchtigungslage und der drohenden Gefahr einer Verfestigung und Verschlimmerung nicht zuzumuten, sich zunächst auf eine weitere Beschulung an einer Regelschule einzulassen, nachdem die Beklagte im Rahmen ihrer Hilfeplanung nicht aufzuzeigen vermochte hatte, dass dieser Weg zu einer adäquaten Bedarfsdeckung führt.
93Als „erforderliche Aufwendungen“, welche die Beklagte nach alldem gemäß § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII für die selbst beschaffte Hilfe in den streitgegenständlichen Schuljahren 2010/2011 und 2011/2012 zu übernehmen verpflichtet ist, sind in Anwendung des Rechtsgedankens des § 683 Satz 1 i. V. m. § 670 BGB diejenigen Aufwendungen anzusehen, welche die Eltern der Klägerin nach ihrem subjektiv vernünftigen Ermessen unter Berücksichtigung der Interessen des Jugendhilfeträgers für erforderlich halten durften.
94Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. April 2012 - 12 A 659/11 -, JAmt 2012, 548, juris, und Beschluss vom 28. Juni 2012 - 12 A 2374/11 -, juris.
95Darunter fallen namentlich das monatlich an die Privatschule zu zahlende Schulgeld sowie eine etwaig geleistete Aufnahmegebühr; steuerliche Vorteile sind in Abzug zu bringen.
96Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
97Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 67 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
98Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen. Namentlich fehlt es an einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die sich auch nicht aus der vorstehend thematisierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Ausschluss von Privatschulkosten aus dem Leistungskatalog der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe ergibt. Dass diese Rechtsprechung auf den Bereich des Jugendhilferechts nicht übertragbar ist, folgt - wie dargelegt - insbesondere aus dem Verständnis des § 10 Abs. 1 SGB VIII als Vorrang-Nachrang-Regelung, das in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung bereits hinreichend geklärt ist.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt jugendhilferechtlichen Aufwendungsersatz für die Vollzeitpflege ihrer beiden Enkel im Zeitraum vom 12. Mai 2011 bis zum 21. März 2012.
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Für die im Januar 2008 bzw. Oktober 2009 geborenen Kinder stand zunächst ihrer leiblichen Mutter, der Tochter der Klägerin, das alleinige Sorgerecht zu. Nach Angaben der Klägerin lebten die Kinder aber bereits seit Ende Februar 2008 bzw. Mai 2010 durchgehend bei ihr, da ihre Tochter nicht in der Lage gewesen sei, genügend für sie zu sorgen. Die Klägerin erhielt für sich und die Kinder Grundsicherungsleistungen. Mit Beschluss vom 20. Januar 2011 übertrug ihr das Amtsgericht die elterliche Sorge für beide Kinder. Am 12. Mai 2011 beantragte die Klägerin bei dem Jugendamt der Beklagten die Bewilligung von Vollzeitpflege für beide Kinder bei ihr als Pflegeperson. Anfang Januar 2012 teilte sie dem Jugendamt auf Nachfrage schriftlich mit, dass sie nicht gewillt sei, die Kinder kostenlos zu betreuen.
- 3
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Mit Bescheid vom 19. Januar 2012 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der dagegen erhobene Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 9. März 2012 zurückgewiesen. Es bestehe kein Hilfebedarf, weil die Kinder schon vor Antragstellung beim Jugendamt von der Klägerin gut betreut worden seien. Eine Herausgabe der Kinder habe die Klägerin durchgängig abgelehnt.
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Das Verwaltungsgericht hat der von der Klägerin erhobenen Klage stattgegeben und die Beklagte antragsgemäß verpflichtet, der Klägerin wirtschaftliche Jugendhilfe für beide Kinder für den streitigen Zeitraum zu gewähren.
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Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Entscheidung der Vorinstanz geändert und die Klage abgewiesen. Auf der Grundlage der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung - auch wenn diese im Ergebnis unbefriedigend sei - stehe der Klägerin kein Anspruch auf Gewährung wirtschaftlicher Jugendhilfe in Form von Unterhaltsleistungen für ihre Enkel zu. Danach habe, weil sie diese zunächst unentgeltlich betreut habe, ein erzieherischer Bedarf nur entstehen können, wenn die Klägerin ihre Bereitschaft zur unentgeltlichen Pflege zurückgezogen und das Jugendamt der Beklagten ernsthaft vor die Alternative gestellt hätte, für ihre Entlohnung zu sorgen oder auf ihre Betreuungsdienste verzichten zu müssen. Das habe sie jedoch nicht getan.
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Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie rügt eine Verletzung der §§ 27, 33 und 39 SGB VIII.
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Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.
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Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich an dem Verfahren und unterstützt die Rechtsauffassung der Klägerin.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die entscheidungstragende Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass ein personensorgeberechtigter Großelternteil, der den erzieherischen Bedarf eines Enkels zunächst unentgeltlich deckt, nur dann einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung haben kann, wenn er seine Bereitschaft zu unentgeltlicher Pflege zurückzieht und das Jugendamt ernsthaft vor die Alternative stellt, für seine Entlohnung zu sorgen oder aber auf seine Betreuungsdienste verzichten zu müssen, steht mit § 27 Abs. 1 und 2a des Achten Buches Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe - (Art. 1 des Gesetzes vom 26. Juni 1990, BGBl. I S. 1163) - SGB VIII - i.d.F. der Bekanntmachung vom 11. September 2012 (BGBl. I S. 2022) nicht in Einklang. Das angegriffene Urteil beruht auf dieser Verletzung von Bundesrecht und stellt sich auch nicht im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Da der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).
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Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte aus § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII auf Übernahme ihrer erforderlichen Aufwendungen für die von ihr in der Zeit vom 12. Mai 2011 bis zum 21. März 2012 erbrachte Vollzeitpflege ihrer Enkel.
- 11
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Diese Bestimmung verleiht einen Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Aufwendungen für selbst beschaffte Hilfen. Das sind Hilfen, die - wie hier - vom Leistungsberechtigten selbst abweichend von § 36a Abs. 1 und 2 SGB VIII erbracht werden, ohne dass eine Entscheidung des Trägers der Jugendhilfe oder eine Zulassung durch diesen vorangegangen ist. Der Übernahmeanspruch setzt nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII voraus, dass der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat (Nr. 1), die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen (Nr. 2) und die Deckung des Bedarfs keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
- 12
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1. Die Klägerin, die als Personensorgeberechtigte anspruchsberechtigt im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII und mithin Leistungsberechtigte ist, hat die Beklagte zu Beginn des Zeitraums, für den die Übernahme der Aufwendungen beansprucht wird, von dem Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt (§ 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII). Dies geschah spätestens mit dem Antrag der Klägerin vom 12. Mai 2011, mit dem diese die Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege bei der Beklagten beantragt hat.
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2. Die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe lagen im streitgegenständlichen Zeitraum vor. Der Klägerin stand ein Anspruch auf Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Gestalt der Vollzeitpflege (§§ 27, 33, 39 SGB VIII) zu.
- 14
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§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII gewährt dem Personensorgeberechtigten bei der Erziehung eines Kindes oder Jugendlichen einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung, wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet (a) und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet (b) und notwendig (c) ist. Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 SGB VIII gewährt (§ 27 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Nach § 33 Satz 1 SGB VIII soll Hilfe zur Erziehung in Gestalt der Vollzeitpflege Kindern oder Jugendlichen unter anderem entsprechend den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie in einer anderen Familie eine zeitlich befristete Erziehungshilfe oder eine auf Dauer angelegte Lebensform bieten. Ist eine Erziehung des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses erforderlich, so entfällt der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nicht dadurch, dass eine andere unterhaltspflichtige Person bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen (§ 27 Abs. 2a Halbs. 1 SGB VIII). Wird Hilfe zur Erziehung unter anderem in Form der Vollzeitpflege gewährt, so ist auch der notwendige Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses sicherzustellen (§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII). Danach konnte die Klägerin die Gewährung von Vollzeitpflege einschließlich des Unterhalts für ihre Enkel beanspruchen.
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a) Ein erzieherischer Bedarf im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII war gegeben. Die Vorschrift setzt voraus, dass eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist. Sie verlangt damit, dass infolge einer erzieherischen Defizit- bzw. Mangelsituation ein entsprechender erzieherischer Bedarf begründet worden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Juli 2005 - 5 B 56.05 - JAmt 2005, 524 f.; OVG Münster, Beschluss vom 22. September 2011 - 12 A 1596/10 - juris Rn. 18). Dabei ist danach zu fragen, ob diese Mangelsituation infolge des erzieherischen Handelns bzw. Nichthandelns der leiblichen Eltern des Minderjährigen eingetreten ist, diese also nicht in der Lage sind, den Bedarf zu decken (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. März 2012 - 5 C 12.11 - BVerwGE 142, 115 Rn. 19).
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Nicht maßgeblich für die Feststellung des erzieherischen Bedarfs im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts, ob ein Verwandter - wie hier die Klägerin als Großmutter - den Bedarf des Kindes (im Einvernehmen mit den Eltern) freiwillig deckt. Dadurch kann nicht der aus der Mangelsituation in der Herkunftsfamilie herrührende Bedarf als solcher, sondern nur die Notwendigkeit seiner Deckung durch den Träger der Jugendhilfe entfallen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. September 1996 - 5 C 31.95 - FEVS 47, 433 <437> = Buchholz 436.511 § 27 SGB VIII Kinder- und Jugendhilfegesetz Nr. 3 S. 10 f.). Soweit der Senat in dem vorgenannten Urteil vom 12. September 1996 (a.a.O.) für die soeben bezeichnete Konstellation der freiwilligen Verwandtenpflege auch schon ein Entfallen des erzieherischen Bedarfs erwogen bzw. angenommen hat, wird daran nicht mehr festgehalten. Die Frage, ob eine erzieherische Mangelsituation besteht, ist nicht mit Blick auf denjenigen zu beantworten, der sich als Verwandter um das Kind kümmert und der deshalb ggf. die elterliche Sorge vom Familiengericht übertragen bekommen und ein Kind in Pflege genommen hat. Es kommt vielmehr darauf an, ob die vor dem In-Pflege-Nehmen oder einer sorgerechtlichen Entscheidung des Familiengerichts verantwortlichen Eltern oder anderen Sorgeberechtigten eine dem Wohl des Kindes förderliche Erziehung gewährleistet haben (vgl. etwa Schmid-Obkirchner, in: Wiesner
, SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 27 Rn. 16 m.w.N.).
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Gemessen daran lag hier ein erzieherischer Bedarf im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vor. Die Beteiligten gehen - wie in der mündlichen Verhandlung erörtert - auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zu Recht übereinstimmend davon aus, dass sich weder die Väter noch die alleinstehende und zunächst sorgeberechtigte Mutter der Kinder tatsächlich in dem erforderlichen Maße um die Pflege und Erziehung der Kinder gekümmert haben, so dass eine erzieherische Mangelsituation in der Herkunftsfamilie bestand.
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b) Die Hilfe durch die Klägerin war auch geeignet im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, den bestehenden erzieherischen Bedarf im Hinblick auf die Entwicklung der Kinder zu decken.
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Die Geeignetheit ist dabei nicht nur allgemein, sondern auch im Hinblick auf die konkrete Form der Hilfe zur Erziehung - hier der in Rede stehenden Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) - zu überprüfen. Dabei kann die Vollzeitpflege durch Großeltern nur dann ein geeignetes Mittel zum Ausgleich eines Erziehungsdefizits sein, wenn die Großeltern ihrerseits als Pflegepersonen geeignet sind. Zur Geeignetheit im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII gehört also auch, dass die Pflegepersonen zum einen eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung gewährleisten können und sich zum anderen auf die Kooperation mit dem Jugendamt einlassen und gegebenenfalls zur Annahme unterstützender Leistungen bereit sind (DIJUF-Rechtsgutachten vom 1. März 2006, JAmt 2006, 129; Kunkel, in: ders.
, LPK-SGB VIII, 5. Aufl. 2014, § 27 Rn. 36 jeweils m.w.N.). Dies folgt auch ausdrücklich aus § 27 Abs. 2a Halbs. 2 SGB VIII, wonach die Person geeignet und bereit sein muss, den Hilfebedarf in Zusammenarbeit mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu decken. Großeltern - wie die Klägerin - bedürfen zwar keiner Pflegeerlaubnis (§ 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB VIII), ihre persönliche Eignung ist jedoch anhand der Vorgaben des § 44 Abs. 2 SGB VIII und damit insbesondere daran zu messen, ob das Kindeswohl in der Pflegestelle gewährleistet ist.
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Hieran gemessen bestehen auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts keine durchgreifenden Zweifel daran, dass die in Rede stehende, von der Klägerin selbst geleistete Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) geeignet war, den erzieherischen Bedarf ihrer beiden Enkelkinder zu decken. Die Geeignetheit dieser Hilfeform lässt sich insbesondere aus den vom Oberverwaltungsgericht in Bezug genommenen Umständen schließen, die im Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 19. Januar 2012 und im Widerspruchsbescheid vom 9. März 2012 festgestellt worden sind. Danach waren die Kinder bei der Klägerin gut untergebracht und betreut und ihre Erziehung sichergestellt. An der persönlichen Eignung der Klägerin, für die Pflege und Erziehung der Kinder zu sorgen, hat auch die Beklagte weder im Verwaltungs- noch im gerichtlichen Verfahren Zweifel aufkommen lassen. Ebenso wenig ist die Bereitschaft der Klägerin, die Vollzeitpflege ihrer Enkelkinder nach § 27 Abs. 2a SGB VIII in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt der Beklagten entsprechend einem Hilfeplan zu leisten, ernsthaft in Frage gestellt worden.
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c) Die Hilfe durch die Klägerin in Form der Vollzeitpflege war auch zur Deckung des erzieherischen Bedarfs ihrer Enkelkinder notwendig im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII.
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Notwendig ist die Hilfe zur Erziehung, wenn sie zur Bedarfsdeckung erforderlich ist, weil andere Leistungen oder Maßnahmen des SGB VIII, die Hilfe Dritter oder die Eigenhilfe der Eltern nicht ausreichen, um den festgestellten erzieherischen Bedarf zu decken (vgl. Nellissen, in: jurisPK-SGB VIII, 1. Aufl. 2014, § 27 Rn. 46; Tammen/Trenczek, in: Münder/Meysen/Trenczek
, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 27 Rn. 12; Kunkel, in: ders. , LPK-SGB VIII, 5. Aufl. 2014, § 27 Rn. 11). An die Notwendigkeit sind im Fall der Verwandtenpflege - hier der Pflege durch die Großmutter - keine erhöhten Anforderungen zu stellen. Die gegenteilige entscheidungstragende Annahme des Oberverwaltungsgerichts steht mit Bundesrecht nicht in Einklang (aa). Die Notwendigkeit der von der Klägerin geleisteten Vollzeitpflege lässt sich auch nicht aus anderen Gründen verneinen (bb).
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aa) Großeltern können gegenüber dem Träger der Jugendhilfe einen Anspruch auf Übernahme der Aufwendungen für die Vollzeitpflege von Enkelkindern (§ 27 Abs. 1, § 33 Abs. 1 SGB VIII) auch dann haben, wenn sie das Jugendamt nicht ernsthaft vor die Alternative stellen, für ihre Entlohnung zu sorgen oder auf ihre Betreuungsdienste zu verzichten. Soweit - woran das Berufungsgericht anknüpft - in der früheren Rechtsprechung des Senats die Notwendigkeit der Hilfe zur Erziehung im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII von dieser Anforderung abhängig gemacht worden ist (BVerwG, Urteil vom 12. September 1996 - 5 C 31.95 - FEVS 47, 433 <437> = Buchholz 436.511 § 27 SGB VIII Kinder- und Jugendhilfegesetz Nr. 3 S. 10 f.; ebenso Urteil vom 4. September 1997 - 5 C 11.96 - Buchholz 436.511 § 27 SGB VIII Kinder- und Jugendhilfegesetz Nr. 4), hält der Senat daran nicht mehr fest. Die vorgenannte Rechtsprechung verhielt sich zur früheren Gesetzeslage und ist jedenfalls aufgrund nachfolgender Änderungen, namentlich der Einfügung des § 27 Abs. 2a SGB VIII und des § 39 Abs. 4 Satz 4 SGB VIII durch das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (KICK) vom 8. September 2005 (BGBl. I S. 2729), überholt. Dies erschließt sich im Wege der Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen.
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Zwar ergeben sich aus dem Wortlaut des § 27 Abs. 1 SGB VIII, der durch das vorgenannte Änderungsgesetz nicht modifiziert worden ist, keine näheren Hinweise und Grenzen dafür, wie das Merkmal der Notwendigkeit im vorliegenden Zusammenhang zu verstehen ist. Dass an den erhöhten Anforderungen, welche der Senat in seiner früheren Rechtsprechung aufgestellt hat, nicht mehr festzuhalten ist, folgt jedoch aus systematischen (1) und teleologischen Erwägungen (2) sowie insbesondere aus den Gesetzesmaterialien (3).
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(1) Entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts lassen sich die in der früheren Rechtsprechung des Senats aufgestellten erhöhten Anforderungen für die Notwendigkeit von Hilfe zur Erziehung nicht damit rechtfertigen, dass die Bereitschaft zur unentgeltlichen Pflege der Enkelkinder „aufgrund der engen familiären Verbundenheit zwischen Großeltern und ihren Enkeln regelmäßig erwartet werden“ könne (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. September 1996 - 5 C 31.95 - FEVS 47, 433 <439 f.> = Buchholz 436.511 § 27 SGB VIII Kinder- und Jugendhilfegesetz Nr. 3 S. 11). Dieser Erwägung liegt mehr eine ethische als eine rechtliche Bewertung zugrunde. Sie hat auch als solche im Gesetz keinen Niederschlag gefunden und vermag daher für sich genommen den rechtlichen Schluss nicht zu tragen. Rechtliche Wertungen, die sich unter anderem aus der Gesetzessystematik erschließen, legen vielmehr einen Verzicht auf die genannten Anforderungen nahe. Aussagekräftig ist dabei sowohl der Zusammenhang zwischen Absatz 1 und Absatz 2a des § 27 SGB VIII als auch der systematische Rückschluss aus § 39 Abs. 4 Satz 4 SGB VIII.
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Ist eine Erziehung des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses erforderlich - so stellt § 27 Abs. 2a Halbs. 1 SGB VIII klar -, entfällt der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nicht dadurch, dass eine andere unterhaltspflichtige Person bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen. Erhöhte Anforderungen dahingehend, die Notwendigkeit der Gewährung von Hilfe zur Erziehung im Falle der Vollzeitpflege durch unterhaltspflichtige Großeltern von deren ernsthafter Bereitschaft, ohne wirtschaftliche Jugendhilfe die Betreuung der Enkel ganz zu beenden, abhängig zu machen, lassen sich weder dieser Regelung noch sonstigen Vorschriften des Achten Buches des Sozialgesetzbuches entnehmen. Derartige Anforderungen stünden vielmehr mit der Wertung des § 27 Abs. 2a Halbs. 1 SGB VIII in Widerspruch. Denn die Vorschrift erfasst mit dem Begriff der anderen unterhaltspflichtigen Personen gerade auch Großeltern und will mit der Festlegung, dass deren Unterhaltspflicht einem Anspruch auf Gewährung von Hilfe zur Erziehung nicht entgegenstehen soll, die Gewährung an die Großeltern erleichtern, nicht aber durch erhöhte Voraussetzungen erschweren. Gleiches gilt für die ebenfalls mit § 27 Abs. 1 SGB VIII im Zusammenhang stehende Regelung des § 39 Abs. 4 Satz 4 SGB VIII. Danach ist, sofern die Pflegeperson in gerader Linie mit dem Kind verwandt ist und diesem Unterhalt gewähren kann, die Höhe des zu gewährenden Pflegegeldes von einer Prüfung der Einkommensverhältnisse und gegebenenfalls von einer Ermessensentscheidung des Jugendhilfeträgers abhängig. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass die Unterhaltspflicht (und Fähigkeit zur Unterhaltsleistung) der Großeltern den Anspruch auf Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege (§§ 27, 33 SGB VIII) grundsätzlich nicht ausschließen, sondern nur dazu führen soll, dass eine Kürzung des Pflegegeldes vorgenommen werden kann.
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(2) Zudem sprechen der Sinn und Zweck des § 27 Abs. 1 SGB VIII gegen die erhöhten Anforderungen an die Notwendigkeit im Rahmen der Verwandtenpflege. Zweck der Gewährung von Hilfe zur Erziehung nach § 27 Abs. 1 SGB VIII ist die Gewährleistung einer dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen entsprechenden Erziehung. Sofern die Großeltern aus ideellen Motiven und persönlicher Verbundenheit die Pflege der Enkelkinder übernehmen, ist die Gewähr für die Orientierung am Kindeswohl grundsätzlich höher als in Fällen, in denen es ihnen vornehmlich um materielle bzw. finanzielle Aspekte geht. Mit der genannten Anforderung, dass ein ernsthafter Wille des Großelternteiles bestehen müsse, ohne Gewährung wirtschaftlicher Jugendhilfe die weitere Pflege seines Enkels tatsächlich einzustellen, wird dieser finanzielle Aspekt jedoch gerade in den Vordergrund gerückt. Handeln Großeltern allein aus diesem Gesichtspunkt heraus, kann dies eher ihre Eignung für die Vollzeitpflege der Enkelkinder in Frage stellen. Mithin sprechen der Sinn und Zweck der Vorschrift in gewichtiger Weise gegen die Statuierung der genannten Anforderungen. Hierauf weist auch das Oberverwaltungsgericht (UA S. 11) zu Recht hin, soweit es ausführt, dass danach Großeltern nur dann in den Genuss wirtschaftlicher Jugendhilfe gelangten, wenn sie unter allen Umständen allein gegen Entgelt bereit seien, ihre Enkel zu betreuen (oder wahrheitswidrig diesen Eindruck erweckten), obwohl wegen dieser Einstellung Zweifel an ihrer Geeignetheit als Pflegeperson bestünden, während Großeltern, die aus persönlichem Verantwortungsgefühl für ihre Enkelkinder notfalls auch bereit seien, diese unentgeltlich zu betreuen, und die sich deshalb als geeigneter erwiesen als erstere, keinen Anspruch auf wirtschaftliche Jugendhilfe hätten.
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(3) Dieses Gesetzesverständnis, d.h. das Absehen von den genannten erhöhten Anforderungen bei der Verwandtenpflege, wird durch die Ziele bestätigt, die der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 27 Abs. 2a SGB VIII durch das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (KICK) vom 8. September 2005 (BGBl. I S. 2729) verfolgt hat. Er wollte damit nämlich gerade die Verwandtenpflege unter erleichterten Bedingungen zulassen. In der Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drs. 15/3676 S. 35) wird dazu ausgeführt, es entspreche einer jahrzehntelangen Praxis, Vollzeitpflege als Leistung der Kinder- und Jugendhilfe nicht nur in Haushalten von Personen zu gewähren, die mit dem Kind oder Jugendlichen nicht (näher) verwandt seien, sondern auch in Haushalten von nahen Verwandten wie insbesondere Großeltern. Überdies hat der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck gebracht, von den erhöhten Anforderungen, welche die frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an die Großelternpflege geknüpft hat (nämlich den im Urteil vom 12. September 1996 - 5 C 31.95 - FEVS 47, 433 = Buchholz 436.511 § 27 SGB VIII Kinder- und Jugendhilfegesetz Nr. 3 statuierten Erfordernissen, dass Großeltern die Betreuung ihres Enkelkindes nicht in Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht leisten dürfen und zur unentgeltlichen Pflege nicht bereit sein müssen), Abstand nehmen zu wollen. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Urteil vom 12. September 1996 (a.a.O.) heißt es dazu in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/3676 S. 35), dass gegen diese Rechtsprechung „unter fachlichen und rechtlichen Aspekten Kritik erhoben worden (dazu Happ, NJW 1998, 2409 = NDV 1998, 340)“ sei. Darüber hinaus führe der Ansatz dieser Rechtsprechung „zu kaum aufzulösenden Abgrenzungsproblemen mit der Sozialhilfe (vgl. DIJuF-Rechtsgutachten, JAmt 2003, 473)“. Daraus wird die Folgerung gezogen: „Der Entwurf will - anknüpfend an die Diskussion im Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge - die Vollzeitpflege im Interesse der betroffenen Kinder und Jugendlichen unter den Voraussetzungen des § 27 auch für Großeltern offenhalten. Durch eine klarstellende Regelung soll künftig erreicht werden, dass allein die Bereitschaft von Großeltern und anderen unterhaltspflichtigen Personen den Anspruch auf Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege bei diesen Personen nicht ausschließt.“ In dieselbe Richtung deuten die Ausführungen des Gesetzgebers zur Einfügung des § 39 Abs. 4 Satz 4 SGB VIII durch dasselbe Änderungsgesetz im Jahre 2005 (BT-Drs. 15/3676 S. 36). Dort wird ausgeführt, es solle sichergestellt werden, „dass auch künftig Großeltern die Aufgabe von Pflegeeltern im Rahmen von Hilfe zur Erziehung nach den §§ 27, 33 übernehmen können, wenn die Leistungsvoraussetzungen nach § 27 vorliegen und der Hilfebedarf auf diese Weise gedeckt werden kann.“
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bb) Das angegriffene Urteil des Oberverwaltungsgerichts, das einen Anspruch der Klägerin auf Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege, zu Unrecht aufgrund der genannten überhöhten Anforderungen an die Verwandtenpflege abgelehnt hat, stellt sich auch nicht im Ergebnis als richtig dar. Zwar ist dem Träger der Jugendhilfe bei der Auswahl der notwendigen Hilfeleistung ein gerichtlich nur begrenzt überprüfbarer Einschätzungsspielraum zuzuerkennen. Die Beklagte hat die Grenzen dieses Spielraums jedoch überschritten (1). Bei der Selbstbeschaffung der Jugendhilfeleistung durfte die Klägerin von der Notwendigkeit ihrer Hilfeleistung ausgehen (2).
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(1) Die Beklagte hat die Notwendigkeit der von der Klägerin geleisteten Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege (§ 27 Abs. 1, § 33 Satz 1 SGB VIII) nicht mit Erwägungen abgelehnt, die einer gerichtlichen Überprüfung standhalten. Zwar ist die gerichtliche Kontrolldichte aufgrund der Steuerungsverantwortung des Jugendhilfeträgers (§ 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) beschränkt. Weil danach der Hilfeplan eine unverzichtbare Voraussetzung der Gewährung von Jugendhilfe bildet, ist es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit entscheidend, ob die Notwendigkeit und Geeignetheit der Hilfe auch ohne eine schriftliche Fixierung in einem Hilfeplan festgestellt werden kann. Dabei ist zu beachten, dass es sich bei der Entscheidung über die Notwendigkeit und Geeignetheit der Hilfe um das Ergebnis eines kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses unter Mitwirkung des Kindes bzw. des Jugendlichen und mehrerer Fachkräfte handelt, welches nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, jedoch eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten soll, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss. Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung hat sich dabei darauf zu beschränken, ob allgemeingültige fachliche und rechtliche Maßstäbe beachtet worden sind, ob keine sachfremden Erwägungen eingeflossen sind und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind (BVerwG, Urteile vom 24. Juni 1999 - 5 C 24.98 - BVerwGE 109, 155 <167> und vom 18. Oktober 2012 - 5 C 21.11 - BVerwGE 145, 1 Rn. 32).
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Auch bei Zugrundelegung dieses Einschätzungsspielraums erweist sich die Ablehnungsentscheidung der Beklagten jedoch als rechtswidrig. Diese ist nicht durchweg von fachlichen Gründen getragen, welche die Geeignetheit oder die Notwendigkeit der von der Klägerin geleisteten Hilfe nachvollziehbar verneinen. Vielmehr hat sich das Jugendamt der Beklagten an unzutreffenden rechtlichen Maßstäben ausgerichtet, indem es die Gewährung von Hilfe zur Erziehung maßgeblich mit der Erwägung abgelehnt hat, dass kein Hilfebedarf bestehe, weil die Kinder schon vor Antragstellung von der Klägerin gut betreut worden seien. Damit hat das Jugendamt der Beklagten verkannt, dass es - wie oben dargelegt - bei der Frage, ob eine erzieherische Mangelsituation vorliegt und damit ein erzieherischer Bedarf besteht, nicht auf die Situation in der Pflegefamilie, sondern auf diejenige in der Herkunftsfamilie (der Eltern) ankommt. Weil auch sonst fachlich durchgreifende Gründe für die Verweigerung der Leistung fehlten, war die Hilfeplanung der Beklagten insoweit als defizitär anzusehen, so dass die Steuerungsverantwortung des Jugendamts der Aufwendungserstattung für die selbst beschaffte Hilfe hier nicht entgegensteht.
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(2) Bei der Selbstbeschaffung durfte die Klägerin von der Notwendigkeit der geleisteten Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege ausgehen.
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Hat das Jugendamt nicht rechtzeitig oder - wie hier - nicht in einer den Anforderungen entsprechenden Weise über eine begehrte Hilfeleistung entschieden und beschafft sich ein Leistungsberechtigter daraufhin die begehrte Leistung im Sinne von § 36a Abs. 3 SGB VIII selbst, so kann er an Stelle des Jugendamtes den sonst diesem zustehenden und nur begrenzt gerichtlich überprüfbaren Einschätzungsspielraum für sich beanspruchen. Denn in dieser Situation ist er - obgleich ihm der Sachverstand des Jugendamtes fehlt - dazu gezwungen, im Rahmen der Selbstbeschaffung eine eigene Entscheidung über die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme zu treffen mit der Folge, dass sich die Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit der selbst beschafften Hilfe auf eine fachliche Vertretbarkeitskontrolle aus der ex-ante-Betrachtung des Leistungsberechtigten zu beschränken haben. Ist die Entscheidung des Leistungsberechtigten in diesem Sinne fachlich vertretbar, kann ihr im Nachhinein nicht etwa mit Erfolg entgegnet werden, das Jugendamt hätte eine andere Hilfe für geeignet oder notwendig gehalten (BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 2012 - 5 C 21.11 - BVerwGE 145, 1 Rn. 34 m.w.N.).
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Daran gemessen bestehen keine Bedenken dagegen, dass die Klägerin von der Notwendigkeit der Hilfe zur Erziehung ausgegangen ist. Sie durfte die Aufnahme der Kinder in ihren Haushalt und die Gewährung von Vollzeitpflege als erforderlich ansehen, um das bestehende erzieherische Defizit in der Herkunftsfamilie (ihrer Tochter) zu decken.
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3. Die von der Klägerin erbrachte Vollzeitpflege duldete auch keinen zeitlichen Aufschub im Sinne von § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII. Der erkennende Senat ist im Zusammenhang mit der sozialhilferechtlichen Hilfe zum Lebensunterhalt stets davon ausgegangen, dass schon während des Verwaltungsverfahrens ein unaufschiebbarer Bedarf vorliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Juni 1994 - 5 C 26.92 - BVerwGE 96, 152 <158>). Nichts anderes gilt, wenn es - wie hier - um die Deckung des erzieherischen Bedarfs von Kleinkindern durch jugendhilferechtliche Maßnahmen und die Sicherstellung des Unterhalts geht (BVerwG, Urteil vom 1. März 2012 - 5 C 12.11 - BVerwGE 142, 115 Rn. 21).
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4. Was die Rechtsfolge des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII betrifft, so ist die Klägerin danach so zu stellen, wie sie stehen würde, wenn die (selbst beschaffte) Jugendhilfeleistung, auf die ein Anspruch bestand, rechtzeitig bewilligt worden wäre. Denn in Fällen der vorliegenden Art entspricht der Umfang der nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII von der Beklagten zu übernehmenden erforderlichen Aufwendungen dem Betrag, der bei rechtzeitiger Gewährung der Leistung vom Jugendhilfeträger nach den zugrunde liegenden öffentlich-rechtlichen Bestimmungen zu tragen gewesen wäre (BVerwG, Urteil vom 1. März 2012 - 5 C 12.11 - BVerwGE 142, 115 Rn. 22 f.).
Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 und des § 289 Satz 1 finden entsprechende Anwendung.
(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.
(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.
(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.