Verwaltungsgericht Köln Urteil, 25. Feb. 2014 - 14 K 2890/12.A
Gericht
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. April 2012 wird insoweit aufgehoben, als darin in Ziffer 3 festgestellt wird, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vorliegt und in Ziffer 4 die Abschiebung nach Afghanistan angedroht wird.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG zuzuerkennen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, haben der Kläger und die Beklagte jeweils die Hälfte zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
1
Tatbestand
2Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, tadschikischer Volkszugehörigkeit und schiitischen Glaubens. Er reiste am 6. Februar 2011 über Iran, Türkei, Griechenland und Italien - zuletzt mittels PKW - in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 10. Februar 2011 die Anerkennung als Asylberechtigter.
3In seiner Anhörung am 15. Februar 2011 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) gab der Kläger an, er stamme aus Kandahar. Er sei zusammen mit seiner Mutter, die Klägerin im Verfahren 14 K 2512/12.A, und deren Schwiegertochter, die Klägerin im Verfahren 14 K 3634/12.A, aus Afghanistan ausgereist. Erst in Athen hätten sich ihre Wege getrennt. Er habe Griechenland eine Woche nach den beiden Frauen verlassen. Er sei nicht verheiratet und habe keine Kinder; sein Vater sei bereits vor einem Jahr verstorben. Weiter habe er insgesamt vier Schwestern und zwei Brüder, von denen der älteste seit eineinhalb Jahren verschollen sei. Es habe Drohbriefe von den Taliban gegeben. Der andere Bruder sei ebenfalls aus Afghanistan mit ihnen geflohen; auf dem Weg nach Griechenland sei jedoch das Schiff havariert. Sein Verbleib sei unbekannt. Zwei seiner Schwestern hätten geheiratet und würden derzeit im Iran leben. Eine Schwester sei noch in Afghanistan, die andere Schwester lebe in Hannover. Er habe die Schule lediglich zwei Klassen lang besucht und später als Schneider gearbeitet. Wirtschaftlich sei es der Familie gut gegangen, da der Vater zwei Geschäfte im Baubereich betrieben habe. Nach dessen Tod habe die Familie beide Geschäfte vermietet. Für die Flucht habe die Familie 8.000 bis 9.000 US Dollar pro Person gezahlt. Um dieses Geld aufzubringen, habe seine Mutter Teile der Ländereien sowie die beiden Geschäfte verkauft. Zudem hätten sie noch Bargeld gehabt. Zu seinem Verfolgungsschicksal befragt erklärte der Kläger, am 4. Juni 2010 habe die Familie einen Drohbrief erhalten. Ein Nachbar habe diesen vorgelesen und erklärt, dass sein Leben in Gefahr sei. Deshalb sei die Familie ausgereist. Dort, wo die Familie gelebt habe, würden viele Selbstmordanschläge passieren und die Taliban würden minderjährige Jungen für sexuelle Angelegenheiten entführen. Deshalb habe auch er von der Taliban mitgenommen werden sollen. Ursprünglich hätten nur sein Bruder und seine Schwägerin ausreisen sollen, weil der Vater der Schwägerin die beiden bedroht habe, da er gegen deren Hochzeit gewesen sei. Als dann der Drohbriefe gekommen sei, habe seine Mutter beschlossen, dass nun alle ausreisen sollten. Bereits sein Bruder, der verschollen sei, habe vor seinem Verschwinden dreimal entsprechende Drohbriefe erhalten. Einzelheiten zu dem ihn betreffenden Drohbrief könne er nicht sagen, da er nicht lesen könne.
4Mit Bescheid vom 25. April 2012 lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter ab (Ziffer 1.) und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 2.) sowie Abschiebungsverbote (Ziffer 3.) nicht vorliegen. Der Kläger wurde zudem unter Androhung seiner Abschiebung nach Afghanistan aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen. Im Falle der Klageerhebung ende die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens (Ziffer 4.). Der Bescheid wurde dem damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers mittels Einschreibens am 27. April 2012 zugestellt. Zur Begründung führte das Bundesamt aus, eine Asylanerkennung scheide bereits aus, weil der Kläger über einen sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Die Flüchtlingseigenschaft könne nicht zuerkannt werden, weil die Angaben zum Vorfluchtgeschehen nicht glaubhaft seien. Der Vortrag des Klägers sei sehr allgemein, Einzelheiten würden wenig engagiert und nur sehr kurz geschildert. Anhaltspunkte für Abschiebungsverbote würden nicht bestehen. Insbesondere könne nicht von einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben aufgrund eines bewaffneten Konflikts ausgegangen werden. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor.
5Der Kläger hat am 29. April 2012 Klage erhoben.
6Zur Begründung verweist der Kläger auf seinen Vortrag gegenüber der Beklagten im Rahmen der Anhörung und führt weiter aus, entgegen der Darstellung der Beklagten im Ablehnungsbescheid stehe der Drohbrief in keinem Zusammenhang mit der Hochzeit seines Bruders und seiner Schwägerin und der damit verbundenen Probleme mit deren Vater. Dem Kläger habe vielmehr gedroht, von den Taliban zwangsrekrutiert zu werden. Zwischenzeitlich habe seine in Afghanistan zurückgebliebene älteste Schwester bestätigt, dass sein ältester Bruder von der Taliban entführt und getötet worden sei. Schließlich liege in Kandahar auch ein innerstaatlicher Konflikt vor, der den Kläger konkret individuell bedrohe, da er als wehrfähiger, junger Mann zu einer besonders gefährdeten Gruppe gehöre.
7Der Kläger beantragt,
8die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. April 2012 zu verpflichten,
9ihm den Flüchtlingsstatus nach § 3 AsylVfG zuzuerkennen,
10hilfsweise dem Kläger subsidiären Schutz nach § 4 AsylVfG zuzuerkennen,
11hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Sie nimmt zur Begründung im Wesentlichen Bezug auf den angefochtenen Bescheid.
15Das Gericht hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 2014 informatorisch zu seinen Fluchtgründen angehört. Wegen der Einzelheiten wird auf das Terminsprotokoll verwiesen.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
17Entscheidungsgründe
18Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 2014 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht zum Termin erschienen ist, denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Falle des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-). Die Beklagte ist form- und fristgerecht mit Empfangsbekenntnis geladen worden.
19Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
20Der Kläger hat nach der im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) keinen Anspruch auf die begehrte Zuerkennung des Flüchtlingsstatus gemäß § 3 Abs. 1 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG). Jedoch ist ihm subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG zuzuerkennen.
21Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 -Genfer Flüchtlingskonvention (GFK)-, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Demnach muss zunächst eine Verfolgungshandlung gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 AsylVfG durch einen Verfolgungsakteur (§ 3c AsylVfG) vorliegen, die eine Verfolgungsprognose zulässt. Gemäß 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG gelten als Verfolgung solche Handlungen, welche aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Insbesondere sind dabei Verletzungen der absoluten Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, zu berücksichtigen.
22Vgl. Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteile vom 7. November 2013 - Rs. C - 199/12 bis 201/12 -X, Y und Z-, Rn. 51, und vom 5. September 2012 - Rs. C - 71/11 und C - 99/11 -Y und Z-, Rn. 53, zitiert jeweils nach juris.
23Nach Ziffer 2 kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Ziffer 1. Die nach Ziffer 2 zu berücksichtigende Maßnahmen können Menschenrechtsverletzungen sein, aber auch sonstige Diskriminierungen, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen. Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen dabei für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzungen aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen nach Ziffer 1 entspricht.
24Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, Rn. 36, zitiert nach juris.
25Die Verfolgungshandlung muss weiter mit einem der Verfolgungsgründe des § 3b AsylVfG verknüpft sein, § 3a Abs. 3 AsylVfG, und es muss an einem effektiven Schutz im Herkunftsland fehlen (§§ 3d, e AsylVfG). Bzgl. der Verfolgungsgründe ist zu beachten, dass gemäß § 28 Abs. 1a AsylVfG auch Nachfluchtgründe insoweit zu berücksichtigen sind. Abschließend dürfen keine Ausschlussgründe nach § 3 Abs. 2 bis 4 AsylVfG vorliegen.
26Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 3a AsylVfG vorliegt, ist Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifizierungsrichtlinie in der Neufassung vom 13. Dezember 2011 Richtlinie 2011/95/EU -QRL-) ergänzend anzuwenden. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Die Vorschrift privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Das ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 4 QRL, der sich mit der Voraussetzung, dass der Antragsteller „tatsächlich Gefahr läuft“, an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zur tatsächlichen Gefahr („real risk“) orientiert,
27vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 Nr. 37201/06 - Saadi - NVwZ 2008, 1330,
28und somit der Sache nach den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit übernimmt.
29Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, Rn. 19, 32, zitiert nach juris.
30Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann.
31Vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 32 m.w.N., zitiert nach juris.
32Zur Privilegierung des Vorverfolgten bzw. in anderer Weise Geschädigten normiert Art. 4 Abs. 4 QRL eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftendenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen.
33Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 -, Rn. 20 ff. m.w.N., zitiert nach juris.
34Die bereits erlittener Verfolgung gleichzustellende unmittelbar drohende Verfolgung setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen muss.
35Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2009 - 10 C 24.08 -, Rn. 14, m.w.N., zitiert nach juris.
36Aus den in Art. 4 QRL geregelten Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Antragstellers folgt, dass es auch unter Berücksichtigung der Vorgaben dieser Richtlinie Sache des Ausländers ist, die Gründe für seine Flucht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Er ist daran festzuhalten, dass er dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern hat, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung politische Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigt werden,
37Vgl. zu Art. 16a GG: BVerwG, Beschlüsse vom 21. Juli 1989 -9 B 239.89 -, InfAuslR 1989, 349, vom 26. Oktober 1989 - 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, 38 (39), und vom 3. August 1990 - 9 B 45.90 -, InfAuslR 1990, 344.
38Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
39Zwar hält es die Kammer unter Bezugnahme auf die vorliegenden Erkenntnismittel nicht für ausgeschlossen, dass - zumal in der Provinz Kandahar - seitens der Taliban versucht wird, vereinzelt junge Männer für den bewaffneten Kampf gegen die afghanische Regierung und die ISAF-Truppen mitunter auch zwangsweise gegen ihren Willen und ihre politische Überzeugung anzuwerben. Nach dem aktuellen Lagebericht sind Zwangsrekrutierungen durch Milizen, Warlords oder kriminelle Banden nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kämen aber aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihre Familien kaum an die Öffentlichkeit.
40Vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes (AA) vom 4. Juni 2013 (S. 11).
41Auch Amnesty International (AI),
42vgl. Mitteilung von AI vom 15. Juli 2013 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) - 8 A 119/12.A -.
43schließt nicht aus, dass es zu Zwangsrekrutierungen komme. So gebe es aus verschiedenen Provinzen immer wieder Berichte, nach denen Männer zwangsrekrutiert würden. Alternativ werde den Familien teilweise angeboten, jeden Monat das Gehalt eines Taliban-Kämpfers zur Verfügung zu stellen. Im AI-Report 2013 zu Afghanistan heißt es ohne nähere Erläuterung, dass bewaffnete Gruppen weiterhin Jungen und Mädchen rekrutierten.
44Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR),
45vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht (VG) Schwerin vom 26. Juli 2013 - 5 A 1261/10 -,
46empfiehlt eine besonders sorgfältige Prüfung der Asylanträge von Angehörigen bestimmter Risikogruppen. Als eine Risikogruppe sieht er Männer und Jungen im wehrfähigen Alter an, weil diese sowohl in von regierungsfeindlichen Gruppen kontrollierten Gebieten als auch in Gebieten, in denen regierungsfreundliche und regierungsfeindliche Gruppen um die Macht kämpften, häufig als Kämpfer rekrutiert würden. In von regierungsfeindlichen Gruppen kontrollierten Gebieten werde mit verschiedenen Strategien um Kämpfer geworben; dabei werde auch auf Zwangsrekrutierungen zurückgegriffen. In Übereinstimmung damit führt der UNHCR an anderer Stelle weiter aus,
47vgl. UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender (deutsche Fassung der UNHCR Guidelines 2013), S. 45 ff.,
48dass es in von Aufständischen dominierten Gegenden auch Zwangsrekrutierung gebe. Dort würden Bedrohungen und Einschüchterungen eingesetzt. Menschen, die Widerstand leisteten, gingen das Risiko ein, als Spione der Regierung angesehen zu werden und getötet oder bestraft zu werden. Ausgehend davon ist der UNHCR der Auffassung, dass abhängig von den spezifischen Umständen des Falles Männer im kampffähigen Alter in Regionen unter aufständischer Kontrolle oder in Gegenden, wo aufständische und regierungsfreundliche Kräfte um die Vorherrschaft kämpfen, möglicherweise internationalen Schutz benötigten, auf der Grundlage der Zugehörigkeit zu einer besonderen sozialen Gruppe. Gleiches gelte für solche, die Zwangsrekrutierungen Widerstand geleistet hätten wegen der ihnen unterstellten politischen Meinung.
49Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) berichtet beschränkt auf den Gesichtspunkt der Rekrutierung Minderjähriger, die überwiegend in den südlichen und südöstlichen Regionen vorkomme.
50Vgl. UNAMA Mid-year report 2013 vom Juli 2013.
51In seiner Untersuchung führt Dr. Antonio Giustozzi aus,
52vgl. Giustozzi: „Afghanistan: Human Rights and Security Situation“ vom 9. September 2011,
53dass Zwangsrekrutierung eine Ausnahmeerscheinung sei und hauptsächlich in von Taliban kontrollierten Gebieten in Gestalt der Verpflichtung als Träger vorkomme.
54Die Staatendokumentation des Bundesasylamtes der Republik Österreich,
55vgl. Bericht vom 2. April 2012 „Afghanistan – Rekrutierung durch die Taliban“,
56legt dar: Weil die Taliban auf einen hinreichend großen Pool an Freiwilligen zurückgreifen könnten, weil sie ein Interesse daran hätten, die Konflikte mit der lokalen Bevölkerung zu minimieren, sowie aufgrund der mangelnden Zuverlässigkeit von zwangsrekrutierten Kämpfern, stellten Zwangsrekrutierungen nur ein Randphänomen dar. Allerdings sei die allgemeine Quellenlage rar. Es gebe keine Berichte über konkrete Fälle aus jüngerer Zeit, in denen in Afghanistan Zwangsrekrutierungen mit Waffengewalt stattgefunden hätten. Armut und Arbeitslosigkeit sowie die Verbesserung des sozialen Prestiges und die Enttäuschung über die afghanische Regierung schienen wesentliche Faktoren für die Hinwendung zu den Taliban zu sein. Nur ca. ein Zehntel der Taliban könne als „Vollzeitkämpfer“ angesehen werden; die übrigen lebten in ihren Dörfern und würden bei Bedarf von den lokalen Kommandanten mobilisiert. Bei ihnen spiele die persönliche Loyalität zum Kommandanten eine große Rolle, weil eine Indoktrinierung meist nicht geleistet werden könne.
57Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) beschreibt ausführlich die vorliegenden Erkenntnisse.
58Vgl. EASO „Afghanistan – Taliban Strategies – Recruitment“ vom Juli 2012.
59Danach versuchten die Taliban zunehmend besser gebildete Personen zu rekrutieren, insbesondere auch im Umfeld der Universität von Kabul. 2010 bis 2012 seien Zwangsrekrutierungen die Ausnahme gewesen. Generell hätten die Taliban keine Probleme, Kämpfer mit ökonomischen und prestigemäßigen Argumenten für sich zu gewinnen. Zwangsrekrutierungen kämen nach den wenig belastbaren Erkenntnissen in Afghanistan vor, insbesondere in der Provinz Helmand und anderen fest in den Händen der Taliban befindlichen Regionen sowie Flüchtlingscamps. Insgesamt stellten Zwangsrekrutierungen indes eine deutliche Ausnahme dar. Rekrutierungen von Minderjährigen kämen vor, auch für Selbstmordanschläge. Überwiegend werde jedoch angenommen, dass wegen der erforderlichen inneren Überzeugung für Selbstmordattentate Zwangsrekrutierungen ausgeschlossen seien.
60Maßgeblich auf die EASO-Studie abstellend vgl. VG Ansbach, Urteil vom 17. Juni 2013 - 11 K 12.30357 -, Rn. 24 f., zitiert nach juris.
61Nach den Erkenntnissen von Dr. Mostafa Danesch,
62vgl. Danesch: Stellungnahme an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) vom 30. April 2013 - 9 LB 2/13 -,
63setzen die Taliban überall, wo sie über Einfluss verfügen, die Praxis der Zwangsrekrutierung fort; wer sich verweigere, werde verfolgt und umgebracht. Insbesondere in Basen in Wardak und Logar gebe es Rekrutierungsnetzwerke für Kabul. Es seien auch Fälle von Rückkehrern bekannt, die in Kabul erneut behelligt worden seien. Racheaktionen der Taliban gegenüber Verweigerern seien nicht zu quantifizieren aber wohl nicht selten. Sie fänden auch in Kabul statt, zumal die Taliban Möglichkeiten hätten, gezielt Leute aufzuspüren. In einer anderen Stellungnahme,
64vgl. Danesch: Stellungnahme an den Hessischen VGH vom 3. September 2013 - 8 A 119/12.A-,
65führt er weiter aus, dass auch heute im Raum Kabul Zwangsrekrutierungen durch Taliban und andere paramilitärische Organisationen vorkämen; seit 2010 habe es viele derartige Fälle gegeben. Viele Bedrängte flöhen aus Kabul in den Iran oder nach Pakistan. Es gebe keine Statistiken aber Berichte, dass es häufig zu Fällen komme, in denen junge Männer getötet werden und Gerüchte wissen wollen, dass es sich um Racheakte der Taliban handele. Nach Angaben der Kabuler Polizei seien Zwangsrekrutierungen und Racheaktionen der Taliban gegen junge Leute nicht selten. In der Umgebung von Kabul würden auch Leichen von Verschwundenen gefunden. Eine Person, die die Zusammenarbeit mit den Taliban ablehne, werde in der Regel von diesen liquidiert.
66Vgl. Danesch: Auskunft an das VG Schwerin vom 29. Dezember 2012 - 5 A 1261/10-.
67Das Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD) berichtet unter dem 8. Februar 2012 aus unterschiedlichen Quellen, dass es Zwangsrekrutierungen gebe, aber nicht als flächendeckendes Phänomen, zumindest nicht außerhalb der Flüchtlingslager. Unter dem 13. August 2012 wird von einer Umfrage unter 400 afghanischen Männern berichtet. Eine Frage lautete: „Was glauben Sie, ist der Grund, warum sich andere afghanische Männer den Taliban anschließen?“ Die Antwort „Zwang“ habe an vierter Stelle rangiert und sei von 34% der Befragten (Mehrfachantworten seien möglich gewesen) genannt worden.
68Das OVG NRW schließt die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Gefahr der Zwangsrekrutierung junger Erwachsener durch die Taliban jedenfalls für Kabul aus; für andere Gegenden gebe es Hinweise auf Zwangsrekrutierungen. Im Übrigen könne Zwangsrekrutierung zwar im Rahmen von § 60 Abs. 2 oder 5 AufenthG a.F. relevant sein; nur ganz ausnahmsweise aber auch im Bereich des § 60 Abs. 1 AufenthG a.F.
69Vgl. OVG NRW , Beschlüsse vom 23. Mai 2013 - 13 A 1220/13.A - und vom 26. März 2013 - 13 A 332/13.A -.
70Der Bayerische VGH entnimmt den aktuellen Erkenntnismitteln keine Anhaltspunkte, dass unbedeutende Menschen, die sich der Zwangsrekrutierung entziehen, zu dem Kreis derjenigen gehören, die von Nachstellungen der Aufständischen im besonderen Maße betroffen sind.
71Vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 3. Juni 2013 - 13a ZB 12.30351 -, Rn. 6, zitiert nach juris.
72Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass bei Klägern, die ein Alter erreicht hätten, in dem eine ideologische Beeinflussung nicht mehr in einem Maße wie bei Kindern und Jugendlichen möglich sei, eine Zwangsrekrutierung ebenso unwahrscheinlich sei wie bei Angehörigen dortiger ethnischer Minderheiten.
73Vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 29. Januar 2013 - 13a B 11.30510 -, Rn. 25; VG Augsburg, Urteil vom 1. März 2013 - 6 K 12.30372 -, Rn. 26 (für einen 22-jährigen); VG München, Urteil vom 24. April 2013 - 23 K 11.30148 -, Rn. 24 (zu § 60 Abs. 2 AufenthG): 14 bis 15jähriger Paschtune als von den Taliban bevorzugte Personengruppe, zitiert jeweils nach juris.
74Jedoch reicht dabei die allgemeine Angst vor einer potentiellen Zwangsrekrutierung für die Annahme einer flüchtlingsrelevanten Bedrohung nicht aus, da selbst in den durch die regierungsfeindlichen Truppen beherrschten Regionen nicht davon ausgegangen werden kann, dass es sich bei den Zwangsrekrutierungen um ein „Massenphänomen“ handelt. Soweit in den Erkenntnisquellen auf den Umstand hingewiesen wird, dass über Zwangsrekrutierungen von Betroffenen aus nachvollziehbaren Gründen keine Berichte zu erhalten seien, mag das im Ausgangspunkt zutreffen. Wäre allerdings tatsächlich in Bezug auf jeden Afghanen im wehrfähigen Alter mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von der Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban auszugehen, würde es sich um ein „Massenphänomen“ handeln, über das trotz allem mit mehr Informationen zu rechnen wäre.
75Vgl. VG Köln, Urteil vom 12. November 2013 - 14 K 3401/11.A -, Rn. 52 ff., zitiert nach juris.
76Vielmehr kann nur eine konkrete, individuell drohende Gefahr einer Zwangsrekrutierung als politische Verfolgung angesehen und auch dem afghanischen Staat zugerechnet werden, soweit dieser in der betroffenen Region nicht in der Lage ist, den Betroffenen gegen solche Übergriffe zu schützen.
77Vgl. OVG NRW , Beschlüsse vom 23. Mai 2013 - 13 A 1220/13.A - und vom 26. März 2013 - 13 A 332/13.A -; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 21. Februar 2013 - 5a K 3753/11.A -, Rn. 45 ff. m.w.N., zitiert nach juris.
78Daher ist dem Kläger, unabhängig von der Frage, inwieweit die Verweigerung einer Rekrutierung durch die Taliban als politische Überzeugung nach §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylVfG angesehen werden kann, der Flüchtlingsstatus nicht zuzuerkennen, da keine hinreichende, individuell drohende Gefahr einer Zwangsrekrutierung besteht. Denn dem Kläger kann der diesbezügliche Vortag nicht abgenommen werden. So konnte schon das Gericht nicht die erforderliche Überzeugung gewinnen, dass für den Kläger vor der Ausreise die Gefahr einer Zwangsrekrutierung bestand. Sowohl der Vortrag im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt als auch die Aussagen im Rahmen der informatorischen Befragung in der mündlichen Verhandlung blieben äußerst vage und oberflächlich. Sie wiesen keinen Detailreichtum auf, den man auch unter Berücksichtigung des Bildungsstandes des Klägers erwarten kann, wenn man berücksichtigt, dass gerade das behauptete Verfolgungsschicksal ein einschneidendes und prägendes Erlebnis im Leben des Klägers sein muss. Der Vortrag des Klägers begnügt sich mit der Darstellung einer Rahmengeschichte, ohne dass Einzelheiten oder vermeintlich unwichtige Nebenaspekte - trotz intensiver Nachfragen durch das Gericht und der eigenen Prozessbevollmächtigten - erwähnt werden. Er habe fliehen müssen, da die Familie einen Drohbrief von den Taliban erhalten habe. Diese hätten ihn zwangsrekrutieren wollen. Er sollte sich für Selbstmordanschläge oder sexuelle Handlungen zwischen Männern bereit erklären. Da sein älterer Bruder vor über einem Jahr ebenfalls derartige Briefe erhalten habe und in der Folge verschwunden war, habe seine Mutter beschlossen, dass er fliehen müsse, damit ihm das gleiche Schicksal erspart bleibe. In dieser Darstellung reduzieren sich bereits die Ausführungen des Klägers. Nahezu allen Nachfragen des Gerichts konnte er nur ausweichend oder gar nicht antworten. Insbesondere konnte er keine - zumindest grobe - zeitliche Einordnung der Ereignisse geben. Vom Kläger als gläubigen Schiiten kann in diesem Zusammenhang erwartet werden, dass er angeben kann, ob die Flucht (und damit das Auffinden des Briefes) vor oder nach dem Zuckerfest 2010 stattgefunden hat. Ihm muss vor Augen gestanden haben, ob er dieses Hochfest noch in seiner gewohnten Umgebung in Kandahar oder bereits auf der Flucht begangen hat. Selbst innerhalb dieser äußerst ungenauen Darstellung finden sich zudem zahlreiche Widersprüche und Unklarheiten, die nicht entkräftet werden konnten. Gerade im direkten Abgleich mit den Aussagen seiner Mutter fallen erhebliche Widersprüche auf. So will die Mutter des Klägers den Brief alleine gefunden haben und bewusst diesen ihren Kindern nicht gezeigt haben, damit diese sich keine Sorgen machen müssen. Nach dem Gespräch mit dem Nachbarn will sie den Brief unmittelbar vernichtet haben, so dass für Dritte keine Gelegenheit mehr bestanden haben soll, den Brief zu sehen. Der Kläger gab hingegen zunächst an, seine Mutter habe ihm den Brief gezeigt, als sie von dem Nachbarn zurückgekehrt sei. Hierauf angesprochen blieb die Mutter bei ihrer Version, dass der Kläger den Brief nicht gesehen habe; allenfalls habe dieser den Brief gefaltet gesehen. Der Kläger will - mit dieser Aussage konfrontiert - den Brief heimlich gesehen haben, ohne dass seine Mutter dies mitbekommen haben soll. Insoweit passt dann jedoch nicht der übereinstimmende Vortrag der zeitnahen Vernichtung des Briefes. Unklar bleibt auch der Ablauf der Fluchtplanung. Zwar soll die Flucht seines Bruders und seiner Schwägerin bereits festgestanden haben, als der Brief eingetroffen sein soll. Nicht nachvollziehbar ist dann, dass innerhalb von wenigen Tagen ein Geschäft und ein Grundstück verkauft worden sein sollen, um den Schleuser zu bezahlen. Auch in Afghanistan ist davon auszugehen, dass nicht binnen Tages- oder Wochenfrist Immobilien oder sonstige Wertgegenstände zu Geld gemacht werden können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass insgesamt die Flucht von vier Personen zu finanzieren gewesen war. Immerhin soll die Flucht insgesamt zwischen 30.000 und 40.000 US-Dollar gekostet haben. Dies führt zu der Überzeugung, dass der Kläger die geschilderten Ereignisse selbst nicht erlebt hat.
79Auch wegen seiner Zugehörigkeit zur religiösen Minderheit der Schiiten hat der Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung zu befürchten. Zwar war die schiitische Minderheit traditionell Diskriminierungen ausgesetzt, die auch heute teilweise noch anhalten. Inzwischen sind jedoch Vertreter der Schiiten an namhafter Stelle der Regierung repräsentiert. In Teilbereichen erlaubt die Verfassung die Anwendung schiitischen Rechts. Auch können Schiiten grundsätzlich ohne Einschränkungen am öffentlichen Leben teilnehmen.
80Vgl. VG Köln, Urteil vom 12. November 2013 - 14 K 3401/11.A -, Rn. 73 m.w.N., zitiert nach juris.
81Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in Anknüpfung an seine schiitische Religionszugehörigkeit gezielte Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure wie die Taliban drohen würde. Ebenso wenig bestehen Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm gegen Schiiten tadschikischer Volkszugehörigkeit. Auch gibt es keine Anzeichen für eine Verfolgungsdichte von gruppengerichteten Verfolgungshandlungen gegen Schiiten tadschikischer Volkszugehörigkeit, die den Schluss erlauben würden, dass für alle Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht.
82Vgl. VG Köln, Urteile vom 12. November 2013 - 14 K 3401/11.A -, Rn. 75 ff. m.w.N., und vom 6. Dezember 2011 - 14 K 6478/09.A -, Rn. 39 ff., zitiert jeweils nach juris.
83Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG. Bei dem unionsrechtlichen Abschiebungsverbot nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 AsylVfG handelt es sich um einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand, der vorrangig vor den nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung zu prüfen ist.
84Vgl. ausführlich BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 - 10 C 43/07 - noch zu § 60 Abs. 2, 3, 7 Satz 2 AufenthG a.F.
85Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG ist ein Ausländer ein subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens muss von einem Verfolgungsakteur i.S.d. §§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3c AsylVfG ausgehen. Weiter muss es an einem effektiven Schutz im Herkunftsstaat fehlen, §§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3d, 3e AsylVfG und es dürfen keine Ausschlussgründe (§ 4 Abs. 2 AsylVfG) vorliegen.
86Die Schutzgewährung greift auch dann ein, wenn sich der innerstaatliche bewaffnete Konflikt nur auf ein Teil des Staatsgebietes erstreckt.
87Vgl. BVerwG, Urteile vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, Rn. 12, zitiert nach juris; vom 24. Juni 2008 - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 198.
88Besteht ein bewaffneter Konflikt mit einem solchen Gefahrengrad nicht landesweit, ist bzgl. der anzustellenden Gefahrenprognose auf den Zielort der Abschiebung abzustellen. Dabei kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer seinem subjektiven Blickwinkel nach strebt. Vielmehr ist in der Regel auf die Herkunftsregion des Klägers abzustellen, in die er typischerweise zurückkehren wird. Ein Abweichen von dieser Regel kann jedenfalls nicht damit begründet werden, dass dem Ausländer in der Herkunftsregion die Gefahren drohen, vor denen § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG ihm Schutz gewähren soll.
89Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, Rn. 13, zitiert nach juris; Beschuss vom 14. November 2012 - 10 B 22.12 -; zur Frage der „tatsächlichen Zielregion“ OVG NRW, Beschluss vom 15. Oktober 2012 - 13 A 2010/12.A -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6. März 2012 - A 11 S 3177/11 -.
90Allerdings ist dann nicht auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit der Absicht niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben.
91Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, Rn. 14, zitiert nach juris.
92Der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist unter Berücksichtigung der Bedeutung dieses Begriffs im humanitären Völkerrecht auszulegen. Dabei sind insbesondere die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht vom 12. August 1949 und das Zusatzprotokoll II vom 08. Juni 1977 (ZP II) heranzuziehen. Danach liegt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt hingegen nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Für zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegende Konflikte ist die Annahme eines bewaffneten Konflikts nicht von vornherein ausgeschlossen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen und eine bestimmte Größenordnung erreichen.
93So zum Ganzen BVerwG, Urteile vom 24. Juni 2008 - 10 C 43.07 -, a.a.O. und vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360.
94Nach der vorzitierten Entscheidung des BVerwG vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 - findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts jedenfalls dort ihre Grenze, wo ihr Zweck der Schutzgewährung von Zivilpersonen, die in ihrem Herkunftsstaat von willkürlicher Gewalt in bewaffneten Konflikten bedroht sind, entgegensteht. Mit Blick auf diesen Zweck setzt nach Auffassung des BVerwG das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts nicht zwingend voraus, dass die Konfliktparteien einen so hohen Organisationsgrad erreicht haben müssen, wie er für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 und für den Einsatz des Internationalen Roten Kreuzes erforderlich ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 ZP II). Vielmehr kann es bei einer Gesamtwürdigung der Umstände auch genügen, dass die Konfliktparteien in der Lage sind, anhaltende und koordinierte Kampfhandlungen von solcher Intensität und Dauerhaftigkeit durchzuführen, dass die Zivilbevölkerung davon typischerweise erheblich in Mitleidenschaft gezogen wird. Entsprechendes dürfte auch für das Erfordernis gelten, dass die den staatlichen Streitkräften gegenüberstehende Konfliktpartei eine effektive Kontrolle über einen Teil des Staatsgebietes ausüben muss.
95Vgl. auch EuGH, Urteil vom 30. Januar 2014 - Rs. C - 285/12 -Diakite-, wonach der Begriff „innerstaatlicher bewaffneter Konflikt“ gegenüber der Definition im humanitären Völkerrecht autonom zu verstehen ist.
96Danach bezieht sich der Ausdruck „innerstaatlicher bewaffneter Konflikt“ auf eine Situation, in der die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder in der zwei oder mehr bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen.
97Bei der Ermittlung des erforderlichen Niveaus willkürlicher Gewalt in einem bestimmten Gebiet sind nicht nur solche Gewaltakte der Konfliktparteien zu berücksichtigen, die gegen die Regeln des humanitären Völkerrechts verstoßen, sondern auch andere Gewaltakte der Konfliktparteien, durch die Leib oder Leben von Zivilpersonen wahllos und unbeachtet ihrer persönlichen Situation verletzt werden.
98Vgl. EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C - 465/07 -Elgafaji-, Rn. 43, zitiert nach juris; BVerwG, Urteil vom 14. Juli 2009 - 10 C 9.08 -, BVerwGE 134, 188; Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O.
99Weiter ist zu berücksichtigen, dass sich auch eine allgemeine Gefahr, die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Personen ausgeht, individuell so verdichten kann, dass sie die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG erfüllt.
100Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 - 10 C 43.07 -.
101Nach der Rechtsprechung des EuGH und des BVerwG kann eine solche individuelle Verdichtung ausnahmsweise dann angenommen werde, wenn der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr allein durch ihre Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein. Dies ist der Fall, wenn praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann.
102Vgl. EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C - 465/07 - Elgafaji -, Rn. 35, zitiert nach juris; BVerwG, vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6. März 2012 - A 11 S 3177/11 -.
103Eine weitere Verdichtung bzw. Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann sich aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Ausländers ergeben. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören solche persönliche Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen sei, sich nahe an der Gefahrenquelle aufzuhalten. Es können aber auch persönliche Umstände sein, aufgrund derer der Antragsteller als Zielperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt.
104Vgl. EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C - 465/07 -Elgafaji-, Rn. 39, zitiert nach juris.
105Ob die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllt sind, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinn der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden.
106Vgl. zu diesen Kriterien auch Bayerischer VGH, Urteil vom 3. Februar 2011 -13a B 10.30394 -, juris Rn. 20 ff.
107Gemessen an diesen Kriterien besteht für den Kläger bezogen auf seine Herkunftsregion in Afghanistan eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG.
108Die ausgewerteten Quellen berichten übereinstimmend, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan nach dem Sturz des Taliban‐Regimes 2001 und einer anfänglichen Stabilisierung in den Jahren 2001‐2005 seit 2006 stetig verschlechtert hat. Sie ist jedoch durch große regionale wie saisonale Unterschiede geprägt. Seit 2006 ist unter anderem aufgrund verstärkter militärischer Aktionen der afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte eine stete Zunahme sicherheitsrelevanter Vorfälle zu beobachten, die ihren vorläufigen Höhepunkt im Jahr 2011 erreichte.
109Vgl. Berichte des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Lagebericht) vom 09. Februar 2011, 10. Januar 2012 und 4. Juni 2013.
110Nach dem Jahr 2012, welches gemessen an den reinen Zahlen einen Rückgang von Anschlägen, Todesopfern und Verletzten aufwies, ist für 2013 festzustellen, dass sich die Gefährdungslage eher wieder derjenigen des Jahres 2011 annähert.
111Vgl. Fortschrittsbericht Afghanistan der Bundesregierung zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages von Januar 2014 (Fortschrittsbericht 2014); UN Security Council: Report of the Secretary-General of the protection of civilian in armed conflict - S 2013/689 - vom 22. November 2013; UNHCR: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender (deutsche Fassung der UNHCR Guidelines 2013), S. 14 ff.
112Laut United Nations Mission in Afghanistan (UNAMA) ist die Anzahl der zivilen Opfer und Verwundeten im ersten Halbjahr 2013 um 14 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum angestiegen. Die Anzahl der Toten überstieg die Werte der ersten sechs Monate der Jahre 2010 und 2012; die Anzahl der Verletzten lag gar über denjenigen des Jahres 2011. Dieser Anstieg gehe vor allem auf die Aktivitäten regierungsfeindlicher Gruppen zurück. Für 74 Prozent der zivilen Opfer waren laut UNAMA regierungsfeindliche Elemente, für 9 Prozent regierungstreue Kräfte und für 12 Prozent Bodenkämpfe zwischen beiden Seiten verantwortlich. Die restlichen 4 Prozent konnten keiner Konfliktpartei zugeordnet werden. Die Hauptursachen für den Anstieg der zivilen Opfer in der ersten Jahreshälfte 2013 waren die vermehrte willkürliche Verwendung von Spreng- und Brandvorrichtungen durch regierungsfeindliche Elemente sowie Selbstmordanschläge und komplexe Angriffe an Orten, an denen sich Zivilisten aufhalten, darunter auch zivile Regierungsgebäude
113Vgl. UNAMA, Mid-Year Report 2013 protection of civilians in armed conflicts, von Juli 2013, S. 3.
114Die Anzahl der durch die ausländischen Truppen oder durch die afghanischen Sicherheitskräfte getöteten Personen habe gleichzeitig den niedrigsten Wert seit Beginn des ISAF-Einsatzes erreicht.
115Vgl. Fortschrittsbericht 2014, Seite 10.
116In den Bevölkerungszentren und entlang der bedeutsamen Verkehrsinfrastruktur bestehe eine „ausreichend kontrollierbare Sicherheitslage“; in den südlichen und östlichen, ländlich geprägten Gebieten und Distrikten herrsche hingegen eine „überwiegend nicht“ oder sogar eine „nicht kontrollierbare Sicherheitslage“.
117Vgl. Fortschrittsbericht 2014, Seite 10.
118Für das gesamte Jahr 2013 dokumentierte UNAMA 2.959 Tote und 5.656 Verwundete. Die Zahlen der Todesopfer entsprechen in etwa den bisher höchsten Werten aus dem Jahr 2011; die Zahl der Verletzten stellen gar den bisherigen Höchstwert dar. Im Vergleich zu 2012 stieg die Anzahl der Toten um 7 % und die der Verletzten um 17 %.
119Vgl. UNAMA: Annual Report 2013 protection of civilians in armed conflicts, von Februar 2014, S. 9.
120Weiter berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH)
121vgl. SFH, Afghanistan: Update „Die aktuelle Sicherheitslage“ vom 30. September 2013, S. 4 ff., 10,
122dass die Anschläge regierungsfeindlicher Gruppierungen 2012 bei sehr hoch bleibendem Gewaltlevel um 25 % zurückgegangen seien. Dies resultiere jedoch aus einem Strategiewechsel der regierungsfeindlichen Gruppen, die das Niveau ihrer Anschläge den verbleibenden internationalen Sicherheitskräften angepasst hätten und ihre Anstrengungen dafür in andere Bereiche (Schaffung parallelstaatlicher Einrichtungen) intensiviert hätten. 2013 habe es dann eine erneute Trendwende gegeben, wonach die Anzahl der Anschläge um 47 % angestiegen sei und leicht die Werte aus 2011 und 2009 erreichen könnte. Diese Gewaltakte würden weiterhin von vier Quellen ausgehen: von den regierungsfeindlich eingestellten, bewaffneten Gruppierungen wie Taliban, Hezb-e-Islami von Gulbuddin Hekamatyar, Haqqani-Netzwerk und anderen, von regionalen Kriegsherren und Kommandierenden der Milizen, von kriminellen Gruppierungen und von Reaktionen der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte im Kampf gegen regierungsfeindliche Gruppierungen (insbesondere Bombardierungen).
123Wie den genannten Auskünfte weiter zu entnehmen ist, halten sich die Konfliktparteien mit Ausnahme der internationalen Truppen nicht an die Regeln des humanitären Völkerrechts. Sie unterscheiden nicht zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten. Die unterschiedlichen Milizen sowie die Taliban suchen gerade nicht den Kampf mit den regulären Truppen. Vielmehr agieren sie z.B. mit Sprengstoffanschlägen gerade gegen die Zivilbevölkerung, um hier ihre Opfer zu finden. Zudem tarnen sie sich als Zivilisten und provozieren hierdurch Angriffe der Gegenseite, die als Folge auch Unschuldige treffen. Damit liegen unterschiedslose Angriffe vor. Die fehlende Zielgerichtetheit der Angriffe ergibt sich daraus, dass gerade Angriffe auf Zivilpersonen und humanitäre Organisationen ein allgemeines Klima der Angst hervorrufen sollen. Hierzu werden Attentate eingesetzt, die möglichst viele Opfer zur Folge haben sollen.
124Vgl. VG Magdeburg, Urteil vom 1. Oktober 2013 - 5 A 95/13-, Rn. 37, zitiert nach juris.
125Dabei ist weiter zu berücksichtigen, dass die Gefährdungslage regional deutlich differenziert zu bewerten ist. So berichtet ACCORD,
126vgl. ACCORD, Themendossier zu Afghanistan: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan & Chronologie für Kabul vom 12. Dezember 2013,
127unter Berufung auf Berichte der UNO und ANSO, dass sich die meisten Vorfälle (70 % aller landesweit dokumentierten Vorfälle) in den Provinzen im Süden, Südosten und Osten des Landes ereigneten. Die größte Zahl sei in der Provinz Nangarhar verzeichnet worden.
128Der Kläger stammt nach seinen Angaben aus der Stadt Kandahar; sie ist die Provinzhauptstadt der im südlichen Teil von Afghanistan gelegenen Provinz Kandahar. Dort hat er mit seiner Mutter und seinen Geschwistern gelebt und bis zu seiner Ausreise seinen wesentlichen Lebensmittelpunkt innegehabt. Die Provinz Kandahar hat eine Fläche von rund 54.022 qm2 und eine Einwohnerzahl von rund 1.175.800.
129Vgl. Daten vom Central Statistics Office Afghanistan, abrufbar unter: http://www.geohive.com/cntry/afghanistan.aspx?.
130Die Provinzhauptstadt hat nach Berechnung aus 2012 ca. 368.100 Bewohner und ist nach Kabul die zweitgrößte Stadt Afghanistans. Die Provinz Kandahar ist seit jeher eine Hochburg der radikal-islamischen Taliban. Seit ihrem Sturz im Jahr 2001 führen sie insbesondere dort einen blutigen Aufstand gegen die internationalen Truppen und die afghanischen Sicherheitskräfte.
131Das Gros der dokumentierten Vorfälle konzentrierte sich auch 2013 in den südlichen und südöstlichen Provinzen. Gerade in den Südprovinzen (Kandahar, Helmand, Nimroz, Zabul und Uruzgan) fanden fast 40% aller Vorfälle statt, dort waren mit Abstand die meisten Todesopfer und Verwundeten zu beklagen. Gerade die Provinzen Helmand und Kandahar standen landesweit an der Spitze.
132Vgl. UNAMA: Annual Report 2013, von Februar 2014, S. 17.
133Nach Nangarhar fanden 2013 in Kandahar mit 77 Vorfällen die zweitmeisten gezielten Tötungsaktionen der regierungsfeindlichen Truppen statt.
134Vgl. UNAMA: Annual Report 2013, von Februar 2014, S. 24.
135Im Süden seien 2012 die meisten zivilen Opfer zu beklagen (46 %). Zu den meist umkämpften Provinzen hätten 2012/2013 Kandahar, Nangarhar, Helmand, Khost, Kunar und Ghazni gezählt.
136Vgl. SFH, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage“ vom 30. September 2013, S. 10.
137Dies deckt sich auch mit den vorliegenden Zahlen aus den Quartalsberichten des Afghanistan NGO Safety Office (ANSO).
138Vgl. ANSO, Quartalsberichte 4/2012 (Januar 2013) und 1/2013 (April 2013).
139Danach fanden allein 2.065 registrierte Vorfälle im Jahr 2012 in Kandahar statt - mithin fast 6 Vorfälle pro Tag. Damit steht Kandahar an der Spitze aller Provinzen, gefolgt von Nangarhar, Helmand und Khost. Nach Kunar fanden auch die meisten Vorfälle, die auf das Konto der regierungsfeindlichen Gruppierungen gingen, in Kandahar (1.097) statt, auch wenn diese Zahl im Vergleich zu 2011 um 15% rückläufig war. Im Jahr 2013 ist jedoch auch nach den Zahlen von ANSO festzustellen, dass eher wieder eine Gefährdungslage wie 2011 anzunehmen ist. Die Anzahl der Anschläge im ersten Quartal 2013 erhöhte sich um 17 %. Weiter steht Kandahar an der Spitze der Provinzen bzgl. der registrierten Selbstmordanschläge. Wegen der Häufigkeit der täglichen Angriffe von regierungsfeindlichen Gruppen stuft ANSO die Provinz Kandahar als „extremely insecure“ ein.
140Es liegt schließlich auch ein derart hoher Gefährdungsgrad vor, dass praktisch jede Zivilperson bei Rückkehr allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Region Kandahar einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist.
141Für die Provinz Kandahar selbst sind konkrete Opferzahlen den Erkenntnisquellen zwar nicht zu entnehmen. Anhand der wenig belastbaren Datenlage kann die Kammer sich nur annäherungsweise der verlangten quantitativen Ermittlung der Gesamtzahl der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, nähern. Anhand der jüngsten vorliegenden Auskünfte der sachverständigen Quellen geht die Kammer auch davon ab, dass konkrete Opferzahlen für die Provinz oder deren Hauptstadt Kandahar nicht zu ermitteln sind, da ein solches Unterfangen bereits für zugänglichere Regionen keinen Erfolg hatte.
142Vgl. Dr. Danesch: Stellungnahme an VGH Kassel (8 A 119/12.A) vom 3. September 2013 zu Kabul.
143UNAMA hat für das Jahr 2013 festgestellt, dass fast 40% aller Opfer infolge von unkonventionellen Sprengkörpern aus den Südregion, zu der neben Kandahar auch die Provinzen Helmand, Nimroz, Uruzgan und Zabul gerechnet werden, stammen.
144Vgl. UNAMA: Annual Report 2013, von Februar 2014, S. 17.
145Anhaltspunkte dafür, dass dieser Wert nicht auch auf die Gesamtzahl der gestorbenen oder verwundeten Personen in Afghanistan im Groben übertragbar ist, sind nicht ersichtlich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Anschläge mit Sprengkörpern die häufigste Ursache aller Vorfälle waren (34 %). Von daher ist davon auszugehen, dass von den 2.959 Toten und 5.656 Verletzten ca. 40 % der Opfer aus den Südregionen stammten (1.183 Tote und 2.262 Verletzte). Aus den ANSO Berichten,
146vgl. ANSO, Quartalsberichte 4/2012 (Januar 2013) und 1/2013 (April 2013),
147kann geschlossen werden, dass im Jahr 2012 ca. 40 % aller Vorfälle in den Südregionen tatsächlich in Kandahar stattfanden; im ersten Quartal 2013 waren dies 32 % aller Vorfälle. Daher dürfte näherungsweise von ca. 425 Toten und 815 Verletzten in Kandahar im Jahr 2013 auszugehen sein. Bezogen auf die Zahl der Gesamtbevölkerung von Kandahar (1.175.800) liegt die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines willkürlichen Anschlags zu werden, bei einem Verhältnis von 1:950. Ein derartiges Verhältnis reicht nach der Rechtsprechung des BVerwG,
148vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011
149- 10 C 13/10 -,
150zwar allein nicht aus, um eine ausreichend hohe Gefahrendichte willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung zu dokumentieren. Bei der über die reine Berechnung hinaus anzustellenden wertenden Gesamtbetrachtung aller Gesichtspunkte der dortigen Sicherheitslage kommt die Kammer dennoch zu dem Ergebnis, dass der Konflikt in der Provinz Kandahar eine so hohe Gefahrendichte willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung erreicht, dass jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region jederzeit mit einer nicht mehr zu vernachlässigenden Wahrscheinlichkeit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist.
151Vgl. ebenso für die Provinz Kandahar: Urteile der Kammer vom 20. März 2012 - 14 K 1083/11.A - (bestätigt durch OVG, Beschluss 28. März 2013 - 13 A 1117/12.A, wonach die Beklagte jedenfalls keine anderen belastbaren Zahlenwerte vorgelegt habe), und 13. Dezember 2011 - 14 K 4389/10.A -; VG Magdeburg, Urteil vom 1. Oktober 2013 - 5 A 95/13- jedoch unter Berücksichtigung eines besonderen persönlichen Merkmals des dortigen Kläger (Schiit; wehrfähiges Alter); VG Frankfurt, Urteil vom 16. April 2013 - 7 K 4308/12.F.A. unter Hinweis auf die UNHCR guidelines 2011; eine hinreichende Gefahrendichte ablehnend: Sächsisches OVG, Beschluss vom 26. November 2013 - A 1 A 535/12 -, Bayerischer VGH, Urteil vom 15. März 2012 - 13a B 11.30438 -,VG München, Urteil vom 4. April 2013 - M 12 K 12.30449 -.
152Ausgangspunkt bleibt die quantitativ hohe Anschlagsdichte (2.065 Vorfälle) und die hohe Anzahl der getöteten und verletzten Zivilisten (1.240 Personen). Im Rahmen einer qualitativen, wertenden Gesamtbetrachtung sind jedoch die Schwierigkeiten zu beachten, vorhandene Zahlen für Gesamtafghanistan (UNAMA) auf Provinzen - oder gar Distrikte innerhalb von Provinzen - allein anhand von mathematischen Rechenoperationen zu übertragen. Weiter ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer ein nicht zu vernachlässigender Punkt ist. Dabei dürfte durchaus ein Faktor von 1:3 nicht unrealistisch sein.
153Vgl. Dr. Danesch: Stellungnahme an VGH Kassel (8 A 119/12.A) vom 3. September 2013 unter Hinweis auf den Sprecher des „Bundesausschusses Friedensforschung“ in Berlin, Herr Lühr Henken, S. 11.
154Berücksichtigt man diese Dunkelziffer jedenfalls ihrem groben Ansatz nach, so kann eine Gefahrendichte von 1:330 angenommen werden. Auch die zeitliche Komponente wird durch die Kammer in ihrer Gesamtwürdigung insoweit beachtet, als dass gerade in Kandahar - jedenfalls seit 2006 - nunmehr im neunten Jahr in Folge erhebliche Anschlagszahlen mit entsprechenden Opfern festzustellen sind. Allein nach den Zahlen von ANSO,
155vgl. ANSO, Quartalsberichte 4/2011 (Januar 2012) und 4/2012 (Januar 2013),
156fanden seit 2010 insgesamt 3.549 Vorfälle statt (2010: 1.167; 2011: 1.285; 2012: 1.097), die auf regierungsfeindliche Truppen zurückgehen. Hinzuzurechnen sind die Vorfälle der sonstigen Akteure, die ebenfalls eine Gefährdung für die Zivilbevölkerung darstellen. Diese Werte bestätigen zum einen, dass der Konflikt in Kandahar kontinuierlich auf einem sehr hohen Niveau ausgetragen wird und enorme Auswirkungen auf die dort lebende Zivilbevölkerung hat. Rein rechnerisch besteht schon allein für diese drei Jahre, eine Gefahrendichte von nahezu 1%. Zuletzt wird in die Gefahrenprognose die in Kandahar bestehende, schwierige medizinische Versorgung für schwerstverletzte Opfer eingestellt. Erkenntnisse, dass diese in der Provinz Kandahar eine Qualität und Erreichbarkeit aufweist, die die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen reduzieren oder adäquat behandeln kann, liegen nicht vor. Vielmehr ist von der allgemein schwierigen (notfall-) medizinischen Versorgung in Afghanistan auszugehen.
157Der Kläger kann auch nicht auf eine innerstaatliche Fluchtalternative verwiesen werden. Der Verweis auf einen effektiven Schutz in einem anderen Teil des Herkunftslandes (§ 3e AsylVfG) setzt jedenfalls voraus, dass von dem Ausländer vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil niederlässt. Zur Frage, wann von ihm „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil niederlässt, wird vorausgesetzt, dass der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfindet, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet ist. Dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus.
158vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, Rn. 19 f.; Beschluss vom 14. November 2012 - 10 B 22.12 -, Rn. 9, zitiert jeweils nach juris; Urteil vom 29. Mai 2008 - 10 C 11.07 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6. März 2012 - A 11 S 3177/11 -.
159Diese Voraussetzungen sind für den Kläger in anderen Landesteilen Afghanistans, insbesondere in dem wohl allein für einen internen Schutz in Frage kommenden Bereich der Hauptstadt Kabul nicht gegeben. Dabei sind die dortige katastrophale Versorgungslage, die angespannte Arbeitssituation, die Tatsache, dass der aus der Provinz Kandahar stammende Kläger keine Kenntnisse der örtlichen Gegebenheiten in Kabul hat und er dort nach seinen Angaben auf keine familiäre- oder stammesbezogene Verbindungen zugrückgreifen kann, zu berücksichtigen. Es mag sein, dass eine Person wie der Kläger in Kabul in der Lage ist, durch Gelegenheitsjob ein Überleben zu bewerkstelligen. Von der Schaffung eines Existenzminimums kann hingegen nicht ausgegangen werden, weil dieses wesentlich mehr voraussetzt als das blanke Überleben.
160Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.
161Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 11 und 711 der Zivilprozessordnung.
162Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben.
moreResultsText
moreResultsText
Annotations
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.
(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.
(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.
(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.
(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.
(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.