Verwaltungsgericht Koblenz Beschluss, 02. Aug. 2011 - 7 L 637/11.KO
Gericht
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Gegenstandswert wird auf 2.500,-- € festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, den Antragsteller vorläufig zum Besuch der 8. Klassenstufe der Realschule plus in D. zuzulassen, hat keinen Erfolg.
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In diesem Sinn war das Begehren gemäß § 88 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) mit Blick auf das augenscheinlich verfolgte Ziel auszulegen.
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Der so verstandene Antrag ist zwar statthaft und zulässig, aber unbegründet.
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Nach der einschlägigen Rechtsgrundlage des § 123 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis nur zulässig, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Gerechtfertigt ist die der Hauptsache vorgreifende Regelungsanordnung jedoch nur, wenn der geltend gemachte Anspruch bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichend wahrscheinlich ist (Anordnungsanspruch) und dem Betroffenen bis zum Ergehen einer Entscheidung in der Hauptsache schlechthin unzumutbare Nachteile drohen (Anordnungsgrund). Beide Aspekte sind glaubhaft zu machen (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
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Im Fall des Antragstellers liegt kein Anordnungsanspruch vor. Er kann nicht verlangen, im Schuljahr 2011/12 in der 8. Klassestufe der Realschule plus unterrichtet zu werden. Seine Versetzung wurde zu Recht abgelehnt.
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Nach § 65 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bzw. § 65 Abs. 4 der Übergreifenden Schulordnung (ÜSchulO) werden Schüler der Realschule plus nicht versetzt, wenn die Noten in mehr als drei Fächern unter „ausreichend“ liegen. Ein Ausgleich der mangelhaften Leistungen ist dann nicht möglich. So liegt es hier. Das Zeugnis des Antragstellers weist in vier Fächern - Deutsch, Englisch, Erdkunde und Bildende Kunst – die Note mangelhaft auf.
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Einen Anspruch auf eine Sonderfallversetzung nach § 71 Abs. 1 ÜSchulO hat der Antragsteller nicht. Nach dieser Norm kann ein Schüler abweichend von den Bestimmungen der §§ 65 bis 67 ÜSchulO in besonderen Fällen, wie längere Krankheit, Wechsel der Schule während des Schuljahres, außergewöhnlichen Entwicklungsstörungen, besonders ungünstigen häuslichen Verhältnissen oder einseitiger Begabung versetzt werden, wenn dies bei Würdigung seiner Gesamt-persönlichkeit, seiner besonderen Lage, seines Leistungsstandes, einschließlich des Leistungsstandes im wahlfreien Unterricht und seines Arbeitswillens gerechtfertigt und eine erfolgreiche Mitarbeit in der nächsthöheren Klassenstufe zu erwarten ist. Die Norm fordert somit auf der Tatbestandsseite neben dem Vorliegen besonderer Umstände eine Prognoseentscheidung im Hinblick auf den künftigen Lernerfolg. Zugleich räumt sie auf der Rechtsfolgenseite der zuständigen Versetzungskonferenz (s. § 64 Abs. 4 ÜSchulO) Ermessen ein. Aus dieser Normstruktur folgt, dass ein Anspruch eines Schülers auf Sonderfallversetzung nur dann besteht, wenn bei ihm besondere Umstände vorliegen, die Prognose für den Lernerfolg in der höheren Klassenstufe positiv ist und bei einer Gesamtbetrachtung das Ermessen der Klassenkonferenz in Richtung Versetzung reduziert ist (vgl. VG Koblenz, Beschluss vom 13. August 2001 – 7 L 1678/01 –).
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Vorliegend scheitert ein Anspruch des Antragstellers auf Sonderfallversetzung bereits auf der Tatbestandsseite. Dabei mag dahinstehen, ob im Fall des Antragstellers tatsächlich besondere Umstände vorliegen. Die nun vorgelegten medizinischen Bescheinigungen sind jedenfalls für sich allein genommen noch kein zwingender Beleg dafür. Die behaupteten Entwicklungsstörungen sind dort ebenso wenig attestiert wie eine zwölfwöchige Behinderung wegen beidarmiger Brüche. Bescheinigt hat die Dipl.-Pädagogin B. dem Antragsteller lediglich starken psychischen Druck sowie Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Die übrigen Atteste beziehen sich auf eine Schlüsselbeinfraktur links. Eine solche Verletzung behindert nur die Schreibtätigkeit, nicht aber die Teilnahme am Unterricht.
- 9
Auf diese Umstände kommt es jedoch nicht entscheidungserheblich an, da jedenfalls die Prognose, der Antragsteller werde im kommenden Schuljahr den Anforderungen der 8. Klassenstufe nicht gewachsen sein, nicht zu beanstanden ist. Diese fachliche Bewertung ist nur in eingeschränktem Umfang einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich. Die Kammer hat zu prüfen, ob insoweit Beurteilungsfehler vorliegen. Als solche kommen hier das Zugrundelegen einer unvollständigen Tatsachengrundlage und ein Verstoß gegen anerkannte Bewertungsgrundsätze in Betracht. Beide Fehler liegen indes nicht vor.
- 10
Die Prognose beruht auch in Anbetracht der Tatsache, dass die Eltern des Antragstellers nunmehr medizinische Bescheinigungen vorgelegt haben, was sie im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren versäumt hatten, nicht auf unvollständigen Tatsachen. Denn diese Bescheinigungen betreffen lediglich den ersten Tatbestandsteil der einschlägigen Vorschrift (besondere Umstände), nicht aber den zweiten Tatbestandsteil, die Leistungsprognose.
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Es ist zudem nicht ersichtlich, dass bei der Leistungsprognose der Rahmen anerkannter Bewertungsgrundsätze verlassen wurde. Die Schlussfolgerung, der Antragsteller werde seine Defizite nicht ausgleichen und dem Unterricht in der 8. Klassenstufe nicht folgen können, erscheint im Gegenteil bei objektiver Betrachtung nachvollziehbar und zwingend. Die Konferenz hat ihre Prognose vornehmlich mit der Anhäufung der schulischen Defizite des Antragstellers im abgelaufenen Schuljahr begründet, in dem der Antragsteller zudem eine unzureichende Arbeitshaltung offenbarte. Die Leistungs- und Einstellungsdefizite sind umfassend beschrieben worden. Sie rechtfertigen die negative Leistungsprognose für das kommende Schuljahr. Überzeugend ist vor allem, dass der Antragsteller bereits im vergangenen Schuljahr nur auf Grund einer Sonderfallversetzung den Unterricht der 7. Klassenstufe besuchen durfte. Schon die damalige Versetzung erfolgte somit in der Erwartung, der Antragsteller werde die zuvor festgestellten Defizite aufarbeiten. Dies ist der Antragstellerseite nicht gelungen. Der Leistungsabstand des Antragstellers zu den übrigen Schülern hat sich vielmehr vergrößert. Folglich bedürfte es noch größerer Anstrengungen der Antragstellerseite, die schulischen Defizite aus nunmehr zwei Schuljahren aufzuarbeiten. Angesichts der Arbeitshaltung des Antragstellers im vorigen Schuljahr durfte die Konferenz dies zu Recht als aussichtsloses Unterfangen ansehen. Es bleibt den Eltern des Antragstellers unbenommen, Leistungswillen und -stärke ihres Sohnes anders einzuschätzen. Objektive Belege dafür haben sie allerdings nicht vorgelegt. Der pauschale Hinweis, der Arbeitswille sei vorhanden, genügt dazu nicht. Überdies hat die Konferenz das Wohl der Schüler in den Blick zu nehmen. Dazu gehört der Schutz eines offenbar überforderten Schülers vor weiterer Überforderung ebenso wie die gleichmäßige Förderung aller Schüler. Vor dem Hintergrund der Gleichbehandlungsmaxime bedarf es einer besonders sorgfältigen Prüfung, ob ein Schüler zum wiederholten Male von einer Sonderfallversetzung profitiert, während die übrigen Schüler allein auf Grund ihrer Leistungen versetzt werden. Im Übrigen wird in diesem Zusammenhang auf den Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2011 verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
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Ergänzend ist anzumerken, dass im Fall des Antragstellers eine Nachprüfung zu Recht nicht erfolgt ist. Nach § 68 Abs. 1 Satz 1 ÜSchulO kann eine solche Nachprüfung in einem unter „ausreichend“ liegenden Fach durchgeführt werden, wenn die Verbesserung bereits um eine Notenstufe in diesem Fach zur Versetzung führen würde. Die Versetzungskonferenz lässt den jeweiligen Schüler zur Nachprüfung zu, wenn er in der nächsten Klassenstufe voraussichtlich erfolgreich mitarbeiten kann (§ 69 Abs. 1 Satz 1 ÜSchulO). Hier ist also ebenso wie bei der Sonderfallversetzung eine Prognose erforderlich, ob die künftigen Leistungen des Schülers den Anforderungen der nächsten Klassenstufe entsprechen. Diese Prognose war – wie dargelegt – im Fall des Antragstellers negativ, ohne dass dies zu beanstanden war.
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Die Pflicht des Antragstellers, die Kosten des Verfahrens zu tragen, ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Festsetzung des Gegenstandswertes orientiert sich an den Ziffern 1.1.3, 1.5 und 38.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327). Der danach anzusetzende Regelstreitwert (5.000,-- €) war entsprechend dem vorläufigen Charakter des Eilverfahrens um die Hälfte zu reduzieren.
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Annotations
Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.
(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
(1) Das Urteil ergeht "Im Namen des Volkes". Es ist schriftlich abzufassen und von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterzeichnen. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies mit dem Hinderungsgrund vom Vorsitzenden oder, wenn er verhindert ist, vom dienstältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt. Der Unterschrift der ehrenamtlichen Richter bedarf es nicht.
(2) Das Urteil enthält
- 1.
die Bezeichnung der Beteiligten, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Bevollmächtigten nach Namen, Beruf, Wohnort und ihrer Stellung im Verfahren, - 2.
die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Mitglieder, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, - 3.
die Urteilsformel, - 4.
den Tatbestand, - 5.
die Entscheidungsgründe, - 6.
die Rechtsmittelbelehrung.
(3) Im Tatbestand ist der Sach- und Streitstand unter Hervorhebung der gestellten Anträge seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt darzustellen. Wegen der Einzelheiten soll auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt.
(4) Ein Urteil, das bei der Verkündung noch nicht vollständig abgefaßt war, ist vor Ablauf von zwei Wochen, vom Tag der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefaßt der Geschäftsstelle zu übermitteln. Kann dies ausnahmsweise nicht geschehen, so ist innerhalb dieser zwei Wochen das von den Richtern unterschriebene Urteil ohne Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung der Geschäftsstelle zu übermitteln; Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung sind alsbald nachträglich niederzulegen, von den Richtern besonders zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übermitteln.
(5) Das Gericht kann von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsakts oder des Widerspruchsbescheids folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.
(6) Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat auf dem Urteil den Tag der Zustellung und im Falle des § 116 Abs. 1 Satz 1 den Tag der Verkündung zu vermerken und diesen Vermerk zu unterschreiben. Werden die Akten elektronisch geführt, hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle den Vermerk in einem gesonderten Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.