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Die ohne Durchführung eines Vorverfahrens (vgl. § 11 LHGebG) zulässige Verpflichtungsklage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 28.03.2007, mit dem diese den Antrag des Klägers auf Befreiung von der Studiengebührenpflicht für das Sommersemester 2007 abgelehnt hat, ist rechtswidrig. Dem Kläger steht ein Anspruch auf die beantragte Befreiung zu (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).
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Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Landeshochschulgebührengesetzes - LHGebG - in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Landeshochschulgebührengesetzes und anderer Gesetze vom 19.12.2005 (GBl S. 794, ber. 2006, S. 15) „sollen“ Studierende von der Gebührenpflicht nach § 3 befreit werden, bei denen sich ihre Behinderung im Sinne von § 2 SGB IX „erheblich studienerschwerend auswirkt“. Allgemeinen Grundsätzen entsprechend (Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl., § 7 Rn. 11) folgt aus der Ausgestaltung der Regelung als „Soll-Vorschrift“, dass der Antragsteller bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen in der Regel von der Studiengebührenpflicht zu befreien ist; lediglich in atypischen Sonderfällen kann die Befreiung nach Ermessen abgelehnt werden (vgl. auch LTDrucks 13/4858, S. 22, 58).
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Im vorliegenden Fall sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt. Der Kläger leidet an einer Behinderung im Sinne des § 2 SGB IX, die sich erheblich studienerschwerend auswirkt (im Folgenden unter 1.). Da kein atypischer Ausnahmefall vorliegt, hat der Kläger einen Anspruch auf Erteilung der Befreiung (im Folgenden unter 2.).
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1. Dass der Kläger an einer Behinderung im Sinne des § 2 SBG IX leidet, ergibt sich aus dem Bescheid des Versorgungsamts des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis vom 28.02.2007. Dort wird unter Hinweis auf 1. eine „seelische Krankheit“ sowie 2. eine(n) „Bandscheibenschaden“/„Funktionsbehinderung der Wirbelsäule“ das Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft i.S. des § 2 Abs. 2 SGB IX mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 60 seit dem 27.12.2006 verbindlich festgestellt. Das Vorliegen einer Behinderung im Sinne des § 2 SGB IX wird von der Beklagten im Übrigen nicht in Frage gestellt.
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Streitig ist unter den Beteiligten allerdings, ob sich diese Behinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 LHGebG erheblich studienerschwerend auswirkt. Anders als andere Universitäten des Landes ist die Beklagte der Auffassung, dass für den Nachweis der „erheblichen Studienerschwernis“ die Vorlage eines Schwerbehindertenausweises mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 nicht ausreicht. Sie verlangt darüber hinaus die Vorlage eines fachärztliches Attests, das die konkreten Auswirkungen der Schwerbehinderung auf das Studium erläutert und insbesondere quantifiziert (vgl. auch den von der Beklagten herausgegebenen Formularantrag). Mit dieser Praxis überspannt die Beklagte die Anforderungen an den Nachweis des Befreiungstatbestandes.
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Der Gesetzeswortlaut selbst enthält keine näheren Angaben zur Art und Weise des Nachweises der „erheblichen Studienerschwernis“. Der im Gesetzgebungsverfahren erhobenen Forderung nach einem amtsärztlichen Attest wurde ausdrücklich eine Absage erteilt (vgl. LTDrucks 13/4858, S. 59 f.). Eine gesonderte gesetzliche Regelung zur Vorlage geeigneter Unterlagen wurde für entbehrlich gehalten mit dem Hinweis darauf, dass der Antragsteller “die Beweislast trägt“ (LTDrucks 13/4858, S. 60).
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Allerdings lassen sich den Gesetzesmaterialien deutliche Hinweise darauf entnehmen, dass mit der Regelung des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 LHGebG insbesondere das Ziel einer Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens verfolgt werden sollte. So heißt es in der Gesetzesbegründung (LTDrucks 13/4858, S. 22 f.):
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Der Verweis auf die Definition einer Behinderung in § 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) soll die Anwendung der Norm gegenüber der bisherigen Regelung bei den Langzeitstudiengebühren („Behinderung oder chronische Erkrankung“) erleichtern und eine einheitliche Auslegung des Befreiungstatbestandes sicherstellen. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Damit können auch chronische Erkrankungen zu einer Befreiung führen, wenn sie einer Behinderung gleichkommen. Eine weitere Verwaltungsvereinfachung wird sich dadurch ergeben, dass die nach dem SGB IX zuständigen Behörden eine Behinderung mit einem Grad von wenigstens 30 feststellen. Bei einem Gad der Behinderung von wenigstens 50, der durch einen Schwerbehindertenausweis nachgewiesen wird, kann in der Regel angenommen werden, dass sich die Behinderung erheblich studienerschwerend auswirkt.
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Diese Ausführungen zeigen, dass der Gesetzgeber in der Bezugnahme auf die Vorschriften des SGB IX und auf die Feststellungen der danach zuständigen Behörden ein maßgebliches Mittel gesehen hat, um das von ihm verfolgte Ziel der Verwaltungsvereinfachung zu erreichen. Diesem Ziel kommt mit Blick darauf, dass es sich bei der Erhebung von Studiengebühren wie der Bearbeitung von Befreiungsanträgen um Massenverfahren handelt, besondere Bedeutung zu. Eine am Zweck der Verwaltungsvereinfachung orientierte Auslegung erscheint um so mehr gerechtfertigt, als die Schwelle der „Erheblichkeit“ der Studienerschwernis im Gesetz selbst nicht näher konkretisiert worden ist. Die Ausfüllung dieses offenen Begriffs soll nach dem Willen des Gesetzgebers unter Zuhilfenahme sozialrechtlicher Maßstäbe und Instrumente (Feststellung des Behinderungsgrades bzw. der Schwerbehinderteneigenschaft durch die Versorgungsämter, Schwerbehindertenausweis, vgl. §§ 69, 2 Abs. 2 SGB IX) erfolgen.
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Danach ist als Mindesterfordernis für eine „erhebliche“ Studienerschwernis jedenfalls ein Behinderungsgrad von 20 zu fordern. Denn damit wird das Minimum einer sozialrechtlich beachtlichen Behinderung beschrieben, erst ab diesem Behinderungsgrad muss die zuständige Sozialbehörde nach § 69 Abs. 1 S. 1 und S. 6 SGB IX eine Feststellung des Grades der Behinderung treffen (vgl. Dau, in: LPK-SGB IX, 2002, § 69 Rn. 11; VG Freiburg, Urt. v. 07.05.2008 - 1 K 1001/07 -, Juris). Aus der Feststellung dieses Behinderungsgrades folgt allerdings nicht ohne weiteres, dass es sich um eine Behinderung mit „erheblich studienerschwerender“ Auswirkung handelt. Diese muss sich vielmehr grundsätzlich aus der konkreten Behinderung und den damit verbundenen zeitlichen Nachteilen im Studium im Einzelfall ergeben (vgl. VG Freiburg, a.a.O.; dazu noch unten).
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Mit Blick auf den Gesetzeszweck der Verwaltungsvereinfachung kommt dem Antragsteller nach Auffassung der Kammer allerdings ab einem von der zuständigen Behörde festgestellten Behinderungsgrad von 50 oder mehr eine Nachweiserleichterung zugute. Dabei geht die Kammer in Anknüpfung an die diesbezügliche Formulierung in der Gesetzesbegründung (LTDrucks 13/4858, S. 22 f.) davon aus, dass die Vorlage eines Schwerbehindertenausweises, der einen Grad der Behinderung von wenigstens 50 nachweist (vgl. § 2 Abs. 2 SGB IX), die Regelvermutung begründet, dass sich die Behinderung erheblich studienerschwerend auswirkt. Nach den für gesetzliche Vermutungen geltenden Grundsätzen (vgl. Eyermann/Geiger, VwGO, 12. Aufl., § 86 Rn. 86; BVerwG, Urt. v. 20.10.1987 - 9 C 266/86 -, BVerwGE 78, 147), die die Kammer hier für anwendbar hält, muss das Gericht von der vermuteten Tatsache ausgehen, solange diese von der Hochschule nicht widerlegt wird (Umkehr der Beweislast). Hierzu muss diese darlegen und beweisen, dass ein atypischer Ausnahmefall vorliegt, in dem es entgegen der Regelvermutung an der „erheblichen Studienerschwernis“ fehlt.
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Die Kammer verkennt nicht, dass der Grad der Behinderung die Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben zum Inhalt hat (vgl. § 69 Abs. 1 S. 3 SGB IX: „Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt.“; vgl. auch Dau, a.a.O., Rn. 12). Mit der Angabe eines bestimmten Grades der Behinderung ist somit nicht zwangsläufig eine Aussage zum Vorliegen einer kausalen Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit in einem bestimmten Beruf verbunden (vgl. die in diesem Zusammenhang maßgeblichen „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ - AHP - Nr. 18 Abs. 1: „GdB und MdE sind grundsätzlich unabhängig vom ausgeübten oder angestrebten Beruf zu beurteilen“; vgl. Dau, a.a.O., § 69 Rn. 12 ff.). Bezugspunkt der Erschwernis in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 LHGebG ist indes das Studium, das nach Ansicht der Kammer nicht mit einer bestimmten beruflichen Tätigkeit gleichgesetzt werden kann. Eine Studienerschwernis ist deshalb nicht nur anzunehmen, wenn der Behinderte Grundanforderungen eines jeden Studiums, wie das Aufsuchen der Lehrveranstaltungen, die Aufnahme des vermittelten Wissens, die Wiedergabe und Darstellung des Wissens oder die Erbringung praktischer Studienleistungen, nicht so gerecht werden kann wie der Gesunde. Da das Studium über die genannten Anforderungen hinausgehend vom Studierenden typischerweise ein erhebliches Maß an Selbständigkeit, Initiative und Organisationsfähigkeit verlangt, müssen auch behinderungsbedingte Auswirkungen auf diese Eigenschaften bzw. Fähigkeiten als Studienerschwernis im Sinne der Befreiungsregelung gelten. Mit Blick auf dieses umfassende Verständnis der Studienerschwernis verliert der Einwand der Beklagten, der festgestellte Grad der Behinderung habe nicht zwangsläufig Aussagekraft für die Leistungsfähigkeit in einem bestimmten Beruf bzw. im Studium, entscheidend an Gewicht.
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Für die von der Kammer befürwortete Interpretation spricht ein weiterer Gesichtspunkt. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll mit der Gebührenbefreiung in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 LHGebG Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG Rechnung getragen werden (LTDrucks 13/4858, S. 22). Hiernach darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Der baden-württembergische Gesetzgeber hat mit der Befreiungsregelung des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 LHGebG das spezielle verfassungsrechtliche Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung einfachrechtlich näher ausgestaltet. Bei der Anwendung und Auslegung dieser Bestimmung ist deshalb auch der Ausstrahlungswirkung von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG <1. Kammer des Ersten Senats>, Beschl. v. 30.07.1996 - 1 BvR 1308/96 -, NJW 1997, 1062; BVerfG , Beschl. v. 08.10.1997 - 1 BvR 9/97 -, BVerfGE 96, 288, 306 ff.). Dies gilt auch im Hinblick auf verfahrensrechtliche Erfordernisse (BVerfGE 96, 288, 309).
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Ausgehend hiervon verbietet es sich in verfahrensrechtlicher Hinsicht, die Anforderungen an den Nachweis der Befreiungsvoraussetzungen zu hoch zu schrauben. Insoweit wirft die von der Beklagten ungeachtet des Vorliegens eines Schwerbehindertenausweises erhobene Forderung nach der Vorlage eines über die Beschreibung des Krankheitsbildes hinausgehenden, die Auswirkungen auf das Studium erläuternden fachärztlichen Attestes regelmäßig die Frage auf, ob damit nicht unangemessene Anforderungen gestellt werden. Abgesehen davon, dass dem Facharzt - wie die bisherige Praxis in zahlreichen Befreiungsfällen zeigt - eine hinreichend plausible zeitliche Quantifizierung der behinderungsbedingten Beeinträchtigungen des Studiums regelmäßig nur schwer bzw. nur mit hohem Aufwand möglich sein dürfte, sind die für die Erstellung des Attests anfallenden Kosten vom Studierenden (bzw. seinen Eltern) zu tragen. Dabei dürfte der vom Antragsteller zu tragende finanzielle Aufwand im Verhältnis zur Studiengebührenlast von 500,-- EURO, von der er befreit werden möchte, vielfach eine Größenordnung erreichen, die geeignet sein kann, behinderte Studierende faktisch von der Beantragung der Befreiung abzuhalten. Ein derartiges Ergebnis stünde im Widerspruch zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, deren Umsetzung der Gesetzgeber mit der Befreiungsregelung anstrebt.
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Nach alledem kann der Kläger hier die aufgezeigte Nachweiserleichterung in Anspruch nehmen. Der von ihm vorgelegte Schwerbehindertenausweis, der den Grad seiner Behinderung nicht nur mit 50, sondern sogar mit 60 angibt, begründet die Regelvermutung, dass sich die bei ihm vorliegende Behinderung „erheblich studienerschwerend“ auswirkt. Den mithin erforderlichen Nachweis, dass ausnahmsweise ein atypischer Fall vorliegt, in dem sich die Behinderung nicht erheblich studienerschwerend auswirkt, hat die beweisbelastete Beklagte nicht geführt.
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Unabhängig davon lassen sich den vom Kläger vorgelegten ärztlichen Unterlagen aber auch ausreichende Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass er an gesundheitlichen Beeinträchtigungen leidet, die ihm sein Studium erheblich erschweren.
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Dabei geht die Kammer in Anknüpfung an die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Freiburg (Urt. v. 07.05.2008, a.a.O.) grundsätzlich davon aus, dass die studienerschwerende Auswirkung im Sinne des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 LHGebG einen zeitlichen Nachteil voraussetzt. Dieser kann darin bestehen, dass den behinderten Studierenden das Aufsuchen der Orte der Lehrveranstaltungen, das Aufnehmen des vermittelten Wissens sowie das Wiedergeben und Darstellen von Kenntnissen (u.a. in Lehrveranstaltungen und Prüfungen) sowie die Aneignung und der Nachweis praktischer Fertigkeiten infolge seiner Behinderung mehr Zeit kostet als den durchschnittlich Gesunden. Eine Studienerschwernis liegt aber auch vor, wenn dem behinderten Studierenden insgesamt weniger Zeit zur Verfügung steht als einem gesunden Studierenden, weil er einen Teil des Zeitbudgets, das durchschnittlich gesunden Studierenden dafür normalerweise zur Verfügung steht, für die Kompensation seiner behinderungsbedingten körperlichen, geistigen oder seelischen Mängel oder auch für deren Behandlung und Milderung aufwenden muss (VG Freiburg, a.a.O.). Dabei muss die Behinderung tatsächlich nicht zu einer Verlängerung der Studiendauer führen. Vielmehr ist eine Befreiung im Grundsatz auch dann möglich, wenn der Studierende es trotz seiner Behinderung und der damit verbundenen Studienerschwernisse doch noch schafft, sein Studium studienplangemäß durchzuführen, weil er diese Nachteile durch einen weit übermäßigen Arbeitseinsatz und unter Anspannung aller seiner Kräfte gerade noch kompensieren kann (VG Freiburg, a.a.O., mit dem überzeugenden Hinweis darauf, dass § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 LHGebG im Unterschied zur Vorgängerregelung des § 7 Abs. 2 S. 2 LHGebG a.F. nicht an das Tatbestandsmerkmal der „Studienzeitverlängerung“ anknüpft). Ob die zeitliche Mehrbelastung das Maß der Erheblichkeit überschreitet, ist nach Auffassung der Kammer aufgrund einer wertenden Betrachtung unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Ob und inwieweit hierbei das Gewicht des Befreiungstatbestandes des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 LHGebG zu berücksichtigen ist (vgl. VG Freiburg, a.a.O.), kann im vorliegenden Fall offen bleiben.
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Danach ist mit Blick auf die vom Kläger vorgelegten ärztlichen Unterlagen ohne weiteres davon auszugehen, dass er infolge seiner Behinderung/Erkrankung mehr Zeit für sein Studium bzw. zur Kompensation seiner behinderungsbedingten Defizite aufwenden muss als ein durchschnittlich gesunder Studierender. Die Kammer hat auch keine Zweifel, dass dieser zeitliche Nachteil die Schwelle der Erheblichkeit überschreitet. In Konkretisierung der Feststellungen des Versorgungsamtes im Bescheid vom 28.02.2007 wird in dem vom Kläger vorgelegten Ärztlichen Bericht zum Rehabilitationsantrag vom 28.09.2008, dem die Kammer auch Aussagekraft für den hier maßgeblichen Zeitraum beimisst, als Hauptdiagnose eine depressive schizoaffektive Störung (ICD-10: F 25.1) genannt. Dabei handelt es sich um eine psychische Störung, bei der sowohl schizophrene als auch depressive Symptome vorliegen und deshalb weder die Diagnose einer Schizophrenie noch einer depressiven Episode gerechtfertigt ist (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information, Internationale Statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision - ICD-10 -, Version 2008, German Modification, unter F. 25.1). Die Schwere der Erkrankung, die ohnehin bereits in dem vom Versorgungsamt festgestellten GdB von 60 Ausdruck findet, wird durch den Hinweis auf den langsam progredienten/chronifizierenden Krankheitsverlauf sowie auf die eingeschränkte Belastbarkeit des Klägers mit schwergradiger Ausprägung (unter G. 1 „Gesundheitliche Einschränkungen im Alltag und Beruf“) weiter verdeutlicht. Dem entspricht es, wenn unter „H. Untersuchungsbefund 2. pathologische Befunde/Funktionsstörungen“ „fehlende körperliche Belastbarkeit, Antriebs- und Schlafstörungen, WS-Schmerzen“ angegeben werden. Bereits in dem Attest des Facharztes ... vom 20.06.2006 war bescheinigt worden, dass der Kläger dort seit 1996 in Behandlung ist und aufgrund der Schwere der Erkrankung seine Leistungsfähigkeit im Studium „deutlich reduziert“ ist.
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Vor diesem Hintergrund steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger an einer chronischen psychischen Erkrankung leidet, die bereits die Fähigkeit zu rationalem, konzentriertem und effektivem Lernen und Arbeiten und damit eine Grundbedingung des Studierens beeinträchtigt. Da mit Blick auf die fachärztlich diagnostizierte Schwere des Leidens nichts dafür spricht, dass sich diese Beeinträchtigung auf kürzere Phasen beschränkt, geht die Kammer davon aus, dass sich bereits hieraus im Studienalltag signifikante zeitliche Mehrbelastungen ergeben. Wird berücksichtigt, dass das dem Kläger für das Studium zustehende Zeitbudget auch durch den erforderlichen Therapieaufwand (Psychotherapie) gekürzt wird und wegen der zusätzlichen Erkrankungen (..., ...) weitere zeitliche Nachteile hinzukommen, hat die Kammer keinerlei Zweifel, dass die krankheitsbedingte zeitliche Mehrbelastung den für die Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle erforderlichen Umfang erreicht.
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2. Dass ein atypischer Sonderfall gegeben ist, in dem trotz Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen der Soll-Vorschrift des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 LHGebG ausnahmsweise von einer Befreiung abgesehen werden kann, lässt sich nicht feststellen.
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Die Beklagte meint, mit Blick auf die mit der Einführung der Studiengebühr verfolgten Ziele (vgl. hierzu LTDrucks 13/4858, S. 1) sei jedenfalls einem Studierenden, der - wie der Kläger - bereits einen berufsqualifizierenden Abschluss an einer anderen Hochschule bzw. Berufsakademie erworben hat, die Zahlung der Studiengebühr zuzumuten. Mit diesem Vorbringen ist indes das Vorliegen eines atypischen Sonderfalls nicht dargetan.
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Die Beklagte zeigt nicht besondere, maßgeblich den Einzelfall des Klägers betreffende Umstände auf, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, abweichend vom gesetzlichen Regelfall (vgl. LTDrucks 13/4858, S. 22, 58) über die Befreiung nach Ermessen zu entscheiden. Der Sache nach will sie vielmehr - unabhängig vom Einzelfall - bezogen auf die gesamte, auch zahlenmäßig nicht unbedeutende Gruppe der Zweitstudierenden die Möglichkeit eröffnen, die Befreiung von der Studiengebühr zu versagen. Eine gebührenrechtliche Schlechterstellung der Gruppe der Zweitstudierenden bedarf nach Ansicht der Kammer jedoch einer abstrakt-generellen Regelung, mithin einer ausdrücklichen Entscheidung des Gesetzgebers. Sie kann von den Hochschulen nicht dadurch erreicht werden, dass sie im Rahmen der Anwendung der Befreiungsregelung des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 LHGebG die Tatsache des Zweitstudiums als „atypischen Fall“ betrachten, der dazu berechtigt, von einer Befreiung nach Ermessen abzusehen.
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Hierfür sprechen auch verfassungsrechtliche Erwägungen. Denn das gemäß Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip gewährleistete Recht auf Teilhabe an staatlichen Ausbildungsressourcen (vgl. BVerfGE 33, 303, 330 ff.) wird durch den Abschluss eines Erststudiums nicht verbraucht. Das Grundrecht der Berufsfreiheit ermöglicht auch die Ausbildung zu einem weiteren Beruf und somit auch die Aufnahme eines Zweitstudiums (vgl. BVerfGE 43, 291, 363; 62, 117, 146). Zwar ist es grundsätzlich gerechtfertigt, Zweitstudienbewerbern weitergehende Beschränkungen und Belastungen aufzuerlegen, als sie für Erststudienbewerber gelten; denn sie hatten durch ihr Erststudium bereits Anteil an den nur begrenzt vorhandenen Ausbildungsressourcen und an der Verteilung der Berufschancen (vgl. BVerfGE 43, 291, 364 f; 62, 117, 147). Dem entsprechend kann diese Wertung auch als Rechtfertigung für eine (Zweitstudierende belastende) Gebührenregelung herangezogen werden, die unter anderem den Zweck verfolgt, die Nutzung von Hochschulressourcen zu effektivieren (vgl. BVerfG <2. Kammer des Ersten Senats>, Beschl. v. 31.03.2006 - 1 BvR 1771/01 -, Juris). Wegen der grundrechtseinschränkenden Wirkung setzt dies nach Ansicht der Kammer indes eine ausdrückliche gesetzliche Regelung voraus, an der es hier fehlt. § 6 LHGebG differenziert bei der Befreiung von der Studiengebühr gerade nicht zwischen Erst- und Zweitstudierenden.
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Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die gesetzliche Systematik. Der Landesgesetzgeber hat bei der Regelung der Voraussetzungen des zur Finanzierung der Studiengebühr eingeräumten Darlehensanspruchs nach § 7 Abs. 1 LHGebG im Ergebnis Zweitstudierende - soweit es nicht um ein Zweitstudium nach § 7 Abs. 5 S. 2 LHGebG geht - stärker belastet als Erststudierende: Nach § 7 Abs. 4 S. 1 LHGebG besteht der Darlehensanspruch für die Dauer des Studiums in Baden-Württemberg, längstens jedoch für die Dauer der Regelstudienzeit eines grundständigen Studiums zuzüglich vier weiterer Hochschulsemester. Die Dauer nach Satz 1 ist dabei um die Anzahl an Hochschulsemestern von Studienzeiten an u.a. einer Hochschule im Geltungsbereich des Hochschulrahmengesetzes gekürzt (Abs. 4 S. 2 Nr. 1). Diese Regelung zeigt zum einen, dass der Landesgesetzgeber die Gruppe der Zweitstudierenden durchaus in den Blick genommen hat. Zum anderen belegt sie, dass er diese Gruppe lediglich in einem speziellen Sachbereich, nämlich im Zusammenhang mit dem Darlehensanspruch nach § 7 LHGebG gegenüber den Erststudierenden stärker belastet. Vor diesem Hintergrund geht die Kammer davon aus, dass vom Landesgesetzgeber weder eine grundsätzliche gebührenrechtliche Schlechterstellung des Zweitstudiums noch eine Schlechterstellung im Zusammenhang mit der Frage der Befreiung von der Studiengebühr nach § 6 LHGebG beabsichtigt war. Dies gilt um so mehr, als § 7 Abs. 4 Satz 3 LHGebG im Regelungsbereich des Darlehensanspruchs sogar eine Privilegierung von Studienzeiten enthält, in denen der Studierende „nach den Voraussetzungen“ des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LHGebG von der Gebührenpflicht befreit „ist oder war“. Auch mit dieser gesetzgeberischen Wertung wäre die Annahme der Schädlichkeit eines Zweitstudium bei der Inanspruchnahme einer gebührenrechtlichen Befreiung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 LHGebG schwerlich vereinbar.
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