Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Gerichtsbescheid, 01. Juni 2016 - 6 K 2421/15
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese Kosten selbst tragen.
Der Gerichtsbescheid ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
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Die Klage wird abgewiesen.
2Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese Kosten selbst tragen.
3Der Gerichtsbescheid ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4Tatbestand:
5Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks B. G. 85 a (Gemarkung O. , Flur 1, Flurstück 314) in M. . Die Beigeladenen sind Eigentümer des Grundstücks B. G. 85b (Gemarkung O. , Flur 1, Flurstück 315). Die Grundstücke sind mit einem gemeinsamen, rund 13,5 m tiefen Doppelhaus bebaut. Jede der Doppelhaushälften hat eine Breite von rund 5,70 m. Weitere Einzelheiten der Bebauung zeigt der nachfolgende Kartenausschnitt:
6 7Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr: 68 „NE-Stellen O. “ aus dem Jahre 1979 (2. Änderung 1984). Der Bebauungsplan setzt in dem betreffenden Bereich unter anderem ein Kleinsiedlungsgebiet und ein etwa 14 Meter tiefes Baufenster fest.
8B. 23. Februar 2015 beantragten die Beigeladenen die Erteilung einer Baugenehmigung für die „Errichtung einer offenen Terrassenüberdachung“ und die „Errichtung einer Gebäudeabschlusswand“ auf der Rückseite ihrer Doppelhaushälfte. Zugleich beantragten sie die Befreiung von der Festsetzung einer hinteren Baugrenze durch den Bebauungsplan. Die Bauvorlagen zeigen eine grenzständige Wand aus Betonstein oder Kalksandstein mit den Abmessungen 4,00 x 2,80 x 0,24 m sowie eine Holzkonstruktion mit Glaseindeckung in den Abmessungen 5,24 x 4,00 x 2,86 bis 2,54 m. Die eingereichte Grundrisszeichnung sowie die (vermaßten) Ansichtszeichnungen tragen jeweils den Zusatz:
9„Mit dem Bauvorhaben einverstanden:K. S. [= Unterschrift]B. G. 85a44532 M. “
10Mit Bescheid vom 13. März 2015 wurde die beantragte Befreiung von der nördlichen Baugrenze mit der Begründung erteilt, die Grundzüge der Planung seien nicht berührt und die betroffenen Anlieger hätten durch ihre Unterschrift auf den Bauzeichnungen ihr Einverständnis erteilt. Ebenfalls mit Datum vom 13. März 2015 wurde die beantragte Baugenehmigung (C. . . 00137-15-02) erteilt. Die Bescheide wurden der Klägerin nicht bekannt gegeben.
11B. 27. Mai 2015 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben, zu deren Begründung sie ausführt: Bereits die Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans verletzte ihre subjektiven Rechte. Das Vorhaben verstoße gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Die geplante Mauer bewirke eine Einkesselung ihres Grundstücks. Neben einer erheblichen Verschattung erzeuge der Bau eine erdrückende Wirkung. Wenn die Abstandflächen nicht eingehalten würden, seien die Voraussetzungen für die Annahme einer erdrückenden Wirkung deutlich niedriger. Ihre Unterschrift habe sie nur auf die Bauzeichnungen gesetzt, weil die Beigeladenen ihr zugesagt hätten, dass über die Höhe der Mauer bzw. Alternativen noch geredet werde und der Antrag dahingehend keine verbindlichen Aussagen enthalte. Den Bauvorlagen sei auch gar nicht zu entnehmen, wo und in welcher Höhe sich die beabsichtigte Gebäudeabschlusswand befinde.
12Die Klägerin beantragt (schriftsätzlich),
13die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Beklagten vom 13. März 2015 aufzuheben.
14Die Beklagte beantragt (schriftsätzlich),
15die Klage abzuweisen.
16Sie trägt vor, die Klage sei bereits unzulässig. Da die Klägerin durch ihre Unterschrift auf den Bauzeichnungen auf ihre Nachbarrechte verzichtet habe, fehle es ihr an der Klagebefugnis oder jedenfalls B. Rechtsschutzbedürfnis. Im Übrigen sei die erteilte Baugenehmigung nebst der Befreiung rechtmäßig. Eine ausreichende Belichtung der Terrasse sei gewährleistet und auch eine erdrückende Wirkung liege nicht vor.
17Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt bzw. angekündigt und sich im Klageverfahren auch nicht schriftsätzlich geäußert.
18Ein Antrag der Klägerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (6 L 1154/15) ist von den Beteiligten nach Durchführung eines Ortstermins B. 6. August 2015 übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt worden. Wegen der Einzelheiten wird auf das Terminsprotokoll verwiesen.
19Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
20Entscheidungsgründe:
21Die Kammer entscheidet über die Klage gemäß § 84 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, weil sie der Auffassung ist, dass die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind dazu gehört worden.
22Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
23Die Baugenehmigung vom 13. März 2015 ist hinsichtlich nachbarschützender Vorschriften rechtmäßig (dazu nachfolgend 1.). Im Übrigen könnte die Klägerin sich auf einen Verstoß auch nicht berufen, weil sie sich mit dem Vorhaben ausdrücklich einverstanden erklärt hat (dazu nachfolgend 2.).
241.
25Die angefochtene Baugenehmigung ist hinsichtlich nachbarschützender Vorschriften rechtmäßig.
26Ein Nachbar kann dann erfolgreich gegen die einem Dritten erteilte Baugenehmigung vorgehen, wenn sie gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Bauplanungs- oder Bauordnungsrechts verstößt und eine Befreiung oder Abweichung von diesen Vorschriften nicht vorliegt oder unter Berücksichtigung nachbarlicher Belange nicht hätte erteilt werden dürfen. Ob das Vorhaben objektiv, d. h. hinsichtlich derjenigen Vorschriften, die nicht nachbarschützend sind, rechtmäßig ist, ist dagegen im Nachbarverfahren unerheblich.
27Das genehmigte Vorhaben ist zwar mit der in dem Bebauungsplan Nr. 68 „NE-Stellen O. “ enthaltenen Festsetzung zur überbaubaren Grundstücksfläche nicht vereinbar, weil es weitgehend außerhalb des festgesetzten Baufensters ausgeführt wird. Insoweit hat die Beklagte den Beigeladenen jedoch auf der Grundlage von § 31 Abs. 2 Baugesetzbuch (BauGB) eine Befreiung erteilt. Diese Befreiung von einer (nicht nachbarschützenden) Festsetzung des Bebauungsplans kann von der Klägerin nur nach Maßgabe des Rücksichtnahmegebots angefochten werden.
28Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 25. November 2014 - 10 A 936/14 -, juris, mit weiteren Nachweisen.
29Das Rücksichtnahmegebot soll angesichts der gegenseitigen Verflechtungen der baulichen Situation benachbarter Grundstücke einen angemessenen planungsrechtlichen Ausgleich schaffen, der einerseits dem Bauherrn ermöglicht, was von seiner Interessenlage her verständlich und unabweisbar ist und andererseits dem Nachbarn erspart, was an Belästigungen und Nachteilen für ihn unzumutbar ist. Die Beachtung des Rücksichtnahmegebots soll gewährleisten, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Die sich daraus ergebenden Anforderungen sind im Einzelfall festzustellen, wobei die konkreten Umstände zu würdigen, insbesondere die gegenläufigen Interessen des Bauherrn und des Nachbarn in Anwendung des Maßstabes der planungsrechtlichen Zumutbarkeit gegeneinander abzuwägen sind. Dabei kann desto mehr an Rücksichtnahme verlangt werden, je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung dessen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt; umgekehrt braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, desto weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm mit dem Bauvorhaben verfolgten Interessen sind.
30Vgl. nur BVerwG, Urteile vom 25. Februar 1977 - 4 C 22.75 -, BVerwGE 52, 122 ff., vom 18. Mai 1995 - 4 C 20.94 -, BVerwGE 98, 235 ff., und vom 29. November 2012 - 4 C 8.11 -, BVerwGE 145, 145 ff.; Uechtritz, Das baurechtliche Rücksichtnahmegebot: Konkretisierung durch Fallgruppenbildung, DVBl. 2016, 90 ff., mit weiteren Nachweisen.
31Vorliegend lässt sich ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot nicht feststellen. Dabei ist zunächst zu bedenken, dass schon in der Vergangenheit eine massive, fast zwei Meter hohe Wand zwischen den Terrassen der beiden Doppelhaushälften vorhanden war. Die nunmehr genehmigte grenzständige Wand bringt also hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Belichtung, Belüftung und optische Weite keine völlig neue Beeinträchtigung mit sich, sondern verstärkt nur die bereits vorhandenen und offenbar von beiden Beteiligten akzeptierten Auswirkungen der bisherigen Trennwand. Diese Auswirkungen erreichen auch nicht ein aufgrund der Abmessungen der neuen Wand unzumutbares Ausmaß. Von einer erdrückenden Wirkung kann angesichts der Höhe und Länge der neuen Wand sowie der sonstigen Umstände – das Grundstück der Klägerin ist rund 9 m breit und rund 36 m lang – noch nicht gesprochen werden. Direkte Sonneneinstrahlung geht der Terrasse und dem Haus der Klägerin schon der Himmelsrichtung wegen nicht in nennenswertem Umfang verloren. Festzustellen ist schließlich, dass die massive Ausführung der Wand bis auf Höhe des Dachs der Terrassenüberdachung nicht grundlos gewählt worden ist; es handelt sich vielmehr um eine nach der Landesbauordnung zwingende Voraussetzung für die Errichtung der Terrassenüberdachung.
32Vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 5. November 2007 - 7 E 737/07 -, juris, für einen Wintergarten auch Beschluss vom 26. Februar 2015 - 10 A 1432/12 -, juris.
33Durch die einseitige Veränderung der Bebauung auf dem Grundstück der Beigeladenen geht auch nicht etwa der Charakter eines Doppelhauses verloren.
34Zu den damit zusammenhängenden Fragen zuletzt BVerwG, Urteil vom 19. März 2015 - 4 C 12.14 -, BauR 2015, 1309, und OVG NRW, Urteil vom 3. September 2015 - 7 A 1276/13 -, BauR 2016, 219.
35Schließlich liegt auch kein Verstoß gegen das Abstandflächenrecht vor. Denn die genehmigte Terrassenüberdachung nebst Gebäudeabschlusswand durfte gemäß § 6 Abs. 1 S. 2 lit. b) Bauordnung NRW ohne Grenzabstand errichtet werden. Insbesondere handelt es sich aufgrund der erteilten Befreiung um ein Bauvorhaben innerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche.
36Vgl. zu dieser Auswirkung der Befreiung OVG NRW, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 10 A 568/07 -, juris.
372.
38Selbst wenn ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Baurechts feststellbar wäre, könnte die Klägerin sich im Übrigen nicht auf diesen Verstoß berufen, weil sie dem Vorhaben zugestimmt hat.
39Die Zustimmung des Nachbarn zu einem Bauvorhaben ist als Verzicht auf eventuelle öffentlich-rechtliche Nachbarrechte zu werten, wenn sie sich auf ein konkretes Bauvorhaben bezieht und die Baugenehmigung für das Vorhaben erteilt worden ist, dem der Nachbar zugestimmt hat.
40Vgl. nur OVG NRW, Urteile vom 2. September 2010 - 10 A 2616/08 - und vom 20. November 2013 - 7 A 2341/11 -; Beschluss vom 20. Januar 2015 - 10 B 1388/14 -, alle juris.
41Wie weit sich ein Einverständnis des Nachbarn mit einem Vorhaben bzw. sein Verzicht auf ein etwa gegen dieses Vorhaben gerichtetes Abwehrrecht auf seine nachbarliche Abwehrposition auswirkt, beantwortet sich nach dem konkreten, gegebenenfalls durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt der von ihm zu dem Nachbarvorhaben abgegebenen Erklärung. Eine Unterschrift unter die das Vorhaben verdeutlichenden Baupläne stellt dabei regelmäßig die schlüssige Erklärung eines umfassenden Verzichts auf nachbarliche Einwendungen gegenüber dem in diesen Bauzeichnungen konkretisierten Vorhaben dar.
42Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. Juni 2014 - 2 A 2757/12 -, juris, mit weiteren Nachweisen.
43Vorliegend hat die Klägerin durch ihre Unterschrift unter den Worten „Mit dem Bauvorhaben einverstanden:“ auf dem Grundriss sowie auf den beiden Ansichtszeichnungen einen umfassenden Verzicht auf nachbarliche Abwehrrechte gegenüber dem Vorhaben der Beigeladenen ausgesprochen, auf dessen Grundlage die Baugenehmigung dann auch erteilt worden ist. Als empfangsbedürftige Willenserklärung ist die Zustimmung mit Erklärung gegenüber den Beigeladenen wirksam geworden (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB); ein Widerruf ist insoweit nicht mehr möglich.
44Vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 20. Januar 2015 - 10 B 1388/14 -, juris.
45Auch die Voraussetzungen einer Anfechtung nach §§ 119, 120 oder 123 BGB hat die Klägerin nicht dargetan. Ihre Behauptung im Ortstermin, sie habe gedacht, das Einverständnis beziehe sich nur auf die Terrassenüberdachung, nicht aber auf die Gebäudeabschlusswand, vermag angesichts der insoweit eindeutigen Gestaltung der Pläne nicht zu überzeugen. Dass die Beigeladenen der Klägerin zugesagt haben, über die konkrete Gestaltung der Mauer im Anschluss noch einmal reden und die Klägerin keinesfalls an ihrem Einverständnis festhalten zu wollen, hat die Klägerin dem Gericht ebenfalls nicht überzeugend vermittelt. Wer einen erkennbar der Beantragung einer Baugenehmigung dienenden Plan vorbehaltlos unterzeichnet, muss damit rechnen, dass eine entsprechende Baugenehmigung beantragt und erteilt wird.
46B e s c h l u s s :
47Der Streitwert wird auf 2.000,00 Euro festgesetzt.
48G r ü n d e:
49Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.
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(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die Vorschriften über Urteile gelten entsprechend.
(2) Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids,
- 1.
Berufung einlegen, wenn sie zugelassen worden ist (§ 124a), - 2.
Zulassung der Berufung oder mündliche Verhandlung beantragen; wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt, - 3.
Revision einlegen, wenn sie zugelassen worden ist, - 4.
Nichtzulassungsbeschwerde einlegen oder mündliche Verhandlung beantragen, wenn die Revision nicht zugelassen worden ist; wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt, - 5.
mündliche Verhandlung beantragen, wenn ein Rechtsmittel nicht gegeben ist.
(3) Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.
(4) Wird mündliche Verhandlung beantragt, kann das Gericht in dem Urteil von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Gerichtsbescheides folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.
(1) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans können solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind.
(2) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und
- 1.
Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, des Bedarfs an Anlagen für soziale Zwecke und des Bedarfs an einem zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien, die Befreiung erfordern oder - 2.
die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder - 3.
die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde
(3) In einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, das nach § 201a bestimmt ist, kann mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von Satz 1 kann nur bis zum Ende der Geltungsdauer der Rechtsverordnung nach § 201a Gebrauch gemacht werden. Die Befristung in Satz 2 bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Verfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 entsprechend.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Der Beschluss ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 von Hundert des auf Grund des Beschlusses vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 von Hundert des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 3.000,00 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2I.
3Wegen des Sach- und Streitstandes bis zum Erlass des angefochtenen Urteils wird entsprechend § 130b Satz 1 VwGO auf dessen Tatbestand Bezug genommen.
4Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. März 2012 abgewiesen. Die angefochtene Beseitigungsverfügung betreffend den Wintergarten auf dem Grundstück C.-Straße 7 in C1. sei rechtmäßig. Der Wintergarten sei weder genehmigt noch genehmigungsfähig. Er liege außerhalb der nach den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 10-4a der Beklagten überbaubaren Grundstücksflächen. Ein Anspruch auf Ausnahme oder Befreiung bestehe nicht. Zudem verstoße der Wintergarten gegen § 6 BauO NRW, da die dafür erforderlichen Abstandflächen nicht auf dem Grundstück selbst lägen. Schließlich werde § 31 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW verletzt, da der Wintergarten nicht die nötige Gebäudeabschlusswand habe und kein Anspruch auf Zulassung einer Abweichung von dieser Vorschrift bestehe. Die Beklagte habe ihre Befugnis zum Einschreiten gegen den Wintergarten nicht verwirkt und ermessensfehlerfrei ausgeübt. Die mit dem Beseitigungsgebot verbundene Zwangsgeldandrohung stehe mit dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz Nordrhein-Westfalen in Einklang.
5Zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend, er habe Anspruch auf eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans zu der überbaubaren Grundstücksfläche. Grundzüge der Planung würden dadurch nicht berührt. Der Plan sehe nicht nur Versprünge in der Bebauung vor, sondern auch einheitliche Bautiefen. Der Wintergarten reiche über die Bebauungstiefe der Gebäude der Nachbarn nicht hinaus und füge sich in die festgesetzte geschlossene Bauweise ein. Eine Befreiung sei städtebaulich vertretbar. Auch führe die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte. Der Wintergarten schütze den Keller vor einer Überflutung durch über die Kellertreppe eindringendes Niederschlagswasser. Die Befreiung sei auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Der Beigeladene habe auf seine nachbarlichen Abwehrrechte vertraglich verzichtet. Im Übrigen seien diese verwirkt. Hinsichtlich des erstinstanzlich festgestellten Verstoßes gegen § 6 BauO NRW könne eine Abweichung erteilt werden, insbesondere wegen der eingetretenen Verwirkung des nachbarlichen Abwehrrechts. Ein Verstoß gegen Vorschriften des Brandschutzes, insbesondere gegen § 31 Abs. 1 BauO NRW, liege ausweislich der Stellungnahme des staatlich anerkannten Sachverständigen für die Prüfung des Brandschutzes Dipl. Ing. I. aus D. vom 19. März 2012 nicht vor. Eine Brandgefahr bestehe nicht, denn die auf dem Grundstück des Beigeladenen befindliche Gebäudeabschlusswand sei ausreichend. Auf Wintergärten seien die Brandschutzvorschriften höchstens modifiziert anzuwenden. Schließlich sei die Beseitigungsverfügung auch unverhältnismäßig und ermessensfehlerhaft. Durchgreifende Gründe für ein behördliches Tätigwerden nach jahrzehntelanger Duldung lägen nicht vor. Die Duldung sei im Rahmen der Aufforderung, einen Bauantrag zu stellen, erfolgt und unterliege keinem Schriftformerfordernis. Durch die Beseitigungsverfügung drohe ein erheblicher Eingriff in das Eigentumsgrundrecht. Das Hauptgebäude sei bei einem Abbruch des Wintergartens dem Niederschlagswasser und windbedingten Geräuschen ausgesetzt. Die Beklagte habe ihr Ermessen „unsachgemäß gesetzesverhaftet“ ausgeübt.
6Der Kläger beantragt,
7das angefochtene Urteil zu ändern und die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 27. September 2010 aufzuheben.
8Die Beklagte beantragt,
9die Berufung zurückzuweisen.
10Sie bezieht sich auf ihr bisheriges Vorbringen. Die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB seien nicht gegeben. Der gezackte Zuschnitt der Baufenster, welche die Gebäude in Kettenbauweise beträfen, gehöre zu den Grundzügen der mit dem Bebauungsplan Nr. 10-4a realisierten Planung. Eine bodenrechtlich atypische Situation, die eine unzumutbare Härte begründen könnte, liege nicht vor. Unabhängig davon, ob die nachbarlichen Abwehrrechte des Beigeladenen verwirkt seien, werde aus Brandschutzgesichtspunkten von Amts wegen eingeschritten. Eine Duldung des baurechtswidrigen Zustandes sei nie erfolgt. Mildere Mittel zur Erreichung eines rechtmäßigen Zustandes gebe es nicht. Aus der Stellungnahme der Feuerwehr vom 19. Dezember 2014, die auf einer Ortsbesichtigung vom 24. Oktober 2014 beruhe und die Stellungnahme des Sachverständigen I. vom 19. März 2012 berücksichtige, ergebe sich, dass erhebliche Brandschutzmängel bestünden, die die Errichtung einer neuen, mit den Brandschutzvorschriften übereinstimmenden Gebäudeabschlusswand erforderten.
11Der Beigeladene stellt keinen Antrag und hat zur Sache nicht Stellung genommen.
12Wegen des Ergebnisses des Ortstermins vom 16. Juni 2014 wird auf das Terminsprotokoll verwiesen.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (Beiakten Hefte 1 bis 5) Bezug genommen.
14II.
15Der Senat entscheidet gemäß § 130a Satz 1 VwGO (in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 EMRK) durch Beschluss über die Berufung, da er diese einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind nach § 130a Satz 2 in Verbindung mit § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO gehört worden. Sie haben keine Einwände erhoben, die die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gebieten.
16Die Berufung ist wegen zu gewährender Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 Abs. 1 und 4 VwGO) hinsichtlich der unverschuldet versäumten Berufungsbegründungsfrist (§ 124a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) zwar zulässig, aber unbegründet.
17Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist bezüglich der in Ziff. 2 der Ordnungsverfügung der Beklagten vom 27. September 2010 enthaltenen Zwangsgeldandrohung unzulässig, im Übrigen, hinsichtlich der Beseitigungsverfügung (Ziff. 1) und der Verwaltungsgebühr (Ziff. 3), unbegründet.
18Die Unzulässigkeit der Klage bezüglich der Zwangsgeldandrohung beruht darauf, dass der Kläger insoweit weder über ein Rechtschutzbedürfnis noch über eine Klagebefugnis verfügt, da eine Aufhebung der Zwangsgeldandrohung nicht möglich beziehungsweise nicht erforderlich ist und diese den Kläger offensichtlich nicht in seinen Rechten verletzt.
19Als Mittel des Verwaltungszwangs (§§ 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 VwVG NRW) geht eine Zwangsgeldandrohung, anders als die Grundverfügung, regelmäßig nicht auf den (Gesamt-)Rechtsnachfolger des Adressaten einer Ordnungsverfügung über.
20Vgl. OVG NRW, Urteile vom 9. Mai 1979 – XI A 963/78 –, BRS 35 Nr. 217, und vom 15. Juli 2002 – 7 A 1717/01 –, juris, Rn. 78; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. Mai 2009 – VI-3 Kart 45/08 (V), 3 Kart3 Kart 45/08 (V), juris, Rn. 30; Sadler, VwVG, VwZG, 9. Aufl. 2014, § 13 VwVG Rn. 19.
21Dies entspricht der bundesgesetzlichen Regelung in § 45 Abs. 1 Satz 2 AO.
22Hier gilt nichts anderes. Durch den Tod der ursprünglichen Adressatin der Beseitigungsverfügung, der Rechtsvorgängerin des Klägers hinsichtlich des Grundstückseigentums, hat sich die Zwangsgeldandrohung auf andere Weise erledigt (§ 43 Abs. 2 VwVfG NRW), sodass von ihr keine Rechtswirkungen mehr ausgehen. Daher kann der Kläger auch offensichtlich nicht geltend machen, durch die Zwangsgeldandrohung im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO in seinen Rechten verletzt zu sein.
23Die Beseitigungsverfügung und die diesbezüglich festgesetzte Verwaltungsgebühr sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
24Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW für die Anordnung der Beseitigung des auf dem Grundstück des Klägers errichteten Wintergartens vorliegen und die Beklagte ihre Befugnis zum Einschreiten nicht verwirkt und ermessensfehlerfrei ausgeübt hat.
25Für die nach § 63 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW genehmigungsbedürftige Errichtung und Nutzung des Wintergartens ist keine Baugenehmigung erteilt worden. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf nachträgliche Erteilung einer Baugenehmigung, da einer solchen Legalisierung des Wintergartens mit § 30 Abs. 1 BauGB und § 6 Abs. 1 Satz 1 sowie § 31 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen (§ 75 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW).
26Der Wintergarten liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 10-4a der Beklagten, dessen Unwirksamkeit weder gerügt noch ersichtlich ist. Dies gilt insbesondere für die Festsetzung über die überbaubaren Grundstücksflächen auf dem Grundstück des Klägers. Diese Festsetzung ist auch nicht funktionslos geworden.
27Der Wintergarten befindet sich außerhalb der mittels Baugrenzen festgesetzten überbaubaren Grundstücksflächen.
28Eine Ausnahme von den Festsetzungen über die überbaubare Grundstücksfläche gemäß § 31 Abs. 1 BauGB sieht der Bebauungsplan nicht vor.
29Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung (§ 31 Abs. 2 BauGB). Durch die Befreiung von der Festsetzung der überbaubaren Grundstücksflächen würden die Grundzüge der Planung berührt. Denn der Plangeber hat im südlichen und im östlichen Bereich der C.-Straße gemäß § 22 Abs. 4 BauNVO gerade Wohnbebauung in Kettenbauweise dergestalt festgesetzt, dass jeweils an den zweigeschossigen Gebäudeteil ein schmalerer eingeschossiger Teil angebaut wird, der wegen seines baulichen Versatzes nach Norden eine geringere Bautiefe als der zweigeschossige Teil aufweist.
30Diesem städtebaulichen Konzept des Plangebers hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksflächen liefe die begehrte Befreiung zuwider. Sie würde die Überbauung einer Fläche zulassen, die der Plangeber bewusst von Bebauung freihalten wollte. Würde die Befreiung erteilt, wäre sie ein Vorbild für weitere entsprechende Befreiungsanträge aus der Nachbarschaft, welche die planerische Konzeption hinsichtlich der in Kettenbauweise überbaubaren Grundstücksflächen grundlegend in Frage stellen würden.
31Im Übrigen hat der Kläger auch deshalb keinen Anspruch auf Erteilung einer entsprechenden Befreiung, weil selbst bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB die dann der Beklagten eröffnete Entscheidung nach Ermessen nicht wegen einer Ermessensreduzierung auf null nur zu Gunsten des Klägers ausfallen könnte.
32Der Wintergarten verstößt zudem gegen § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BauO NRW. Danach sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Diese Abstandflächen müssen auf dem Grundstück selbst liegen.
33Dies ist hier nicht der Fall, weil der Wintergarten ohne Grenzabstand und daher ohne die erforderliche Abstandfläche errichtet worden ist. Die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 6 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW liegen nicht vor, da der Wintergarten außerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche steht und ein Anspruch auf eine diesbezügliche Befreiung, wie gezeigt, nicht gegeben ist.
34Ein Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Abweichung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW von dem Erfordernis der Freihaltung einer Abstandfläche ist nicht ersichtlich.
35Der Wintergarten verstößt zudem gegen die Regelungen des § 31 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1 BauO NRW. Danach sind Gebäudeabschlusswände herzustellen bei Gebäuden, die weniger als 2,50 m von der Nachbargrenze entfernt errichtet werden, es sei denn, dass ein Abstand von mindestens 5 m zu bestehenden oder nach den baurechtlichen Vorschriften zulässigen Gebäuden öffentlich-rechtlich gesichert ist. Bei ‑ wie hier ‑ aneinandergereihten Gebäuden müssen die Gebäudeabschlusswände von innen nach außen der Feuerwiderstandsklasse F 30 und von außen nach innen der Feuerwiderstandsklasse F 90 entsprechen.
36Dies ist hinsichtlich der westlichen Außenwand des Wintergartens gemäß den von dem Kläger insoweit nicht in Frage gestellten Feststellungen der Feuerwehr der Beklagten vom 19. Dezember 2014 offensichtlich nicht der Fall. Danach besteht die Außenwand in einem erheblichen Bereich nur aus Holzbrettern. Dies ergibt sich auch aus den in dem Ortstermin des Senats gefertigten Lichtbildern. Damit ist weder die von innen nach außen nötige Feuerwiderstandsklasse F 30 noch die von außen nach innen gebotene Feuerwiderstandsklasse F 90 gegeben. Die Feuerwehr der Beklagten hat zutreffend dargelegt, dass die von dem Kläger vorgelegte Stellungnahme des Sachverständigen Dipl. Ing. I. vom 19. März 2012 insoweit von falschen Voraussetzungen ausgeht und daher unverwertbar ist.
37Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers reicht es auch nicht aus, dass auf dem Grundstück des Beigeladenen eine grenzständige Wand vorhanden ist. Unabhängig von der Frage, ob diese die nach § 31 Abs. 5 Satz 2, § 29 Abs. 1 Zeile 5 Spalte 2 BauO NRW für eine gemeinsame Gebäudeabschlusswand erforderliche Feuerwiderstandsklasse F 90-AB aufweist und ob eine nur auf einem Grundstück befindliche Gebäudeabschlusswand überhaupt eine gemeinsame Gebäudeabschlusswand sein kann, handelt es sich bei dieser Wand jedenfalls mangels einer darauf bezogenen öffentlich-rechtlichen Sicherung im Sinne des § 15 Abs. 2 BauO NRW nicht um eine gemeinsame Gebäudeabschlusswand.
38Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Abweichung hinsichtlich des Brandschutzerfordernisses einer Gebäudeabschlusswand.
39Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW kann die Baugenehmigungsbehörde Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen der Bauordnung und der aufgrund der Bauordnung erlassenen Vorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind. Soll von einer technischen Anforderung abgewichen werden, ist nach § 73 Abs. 1 Satz 4 BauO NRW der Baugenehmigungsbehörde nachzuweisen, dass dem Zweck dieser Anforderung auf andere Weise entsprochen wird.
40Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 BauO NRW sind restriktiv zu handhaben. Dies gebietet schon der Umstand, dass durch die baurechtlichen Vorschriften die schutzwürdigen und schutzbedürftigen Belange und Interessen regelmäßig schon in einen gerechten Ausgleich gebracht worden sind und die Gleichmäßigkeit des Gesetzesvollzuges ein mehr oder minder beliebiges Abweichen von den Vorschriften der Bauordnung nicht gestattet.
41Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1991 – 4 C 17.90 –, BRS 52 Nr. 157; OVG NRW, Urteil vom 28. Januar 2009 – 10 A 1075/08 –, BRS 74 Nr. 156, Beschlüsse vom 5. März 2007 – 10 B 274/07 –, BRS 71 Nr. 124, vom 5. November 2007 – 7 E 737/07 –, juris, Rn. 9, und vom 25. November 2009 – 10 A 2849/08 –, juris, Rn. 9.
42Abweichungen können grundsätzlich von zwingenden wie von dispositiven Vorschriften zugelassen werden. Die Voraussetzungen für eine Abweichung sind jedoch wegen der Gesetzesbindung der Verwaltung strenger, wenn von zwingendem Recht abgewichen werden soll. Soweit die Abweichung mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein muss, handelt es sich um einen gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff. Die Auslegung der Norm, von der abgewichen werden soll, ergibt, welche öffentlichen Belange mit ihr verfolgt werden. Außerdem sind gegebenenfalls übergreifend die mit dem einschlägigen Recht verfolgten Belange von Bedeutung, die sich nicht nur aus dem Bauordnungsrecht ergeben können.
43Die Vorschriften über Gebäudeabschlusswände dienen dem vorbeugenden baulichen Brandschutz und damit dem Schutz von Leben und Gesundheit der Bewohner und Besucher eines Gebäudes. Sie enthalten ein System von allgemeinverbindlich festgelegten Mindestanforderungen, die aufeinander abgestimmt sind.
44Der Kläger hat nicht dargelegt, dass beziehungsweise wie dem Zweck des § 31 Abs. 1 Nr. 1, 5 Satz 1 BauO NRW, wonach auch bei aneinandergereihten Gebäuden Gebäudeabschlusswände erforderlich sind, die von innen nach außen der Feuerwiderstandsklasse F 30 und von außen nach innen der Feuerwiderstandsklasse F 90 entsprechen, gemäß § 73 Abs. 1 Satz 4 BauO NRW auf andere Weise entsprochen wird.
45Wie bereits ausgeführt, ersetzt die auf dem Grundstück des Beigeladenen vorhandene Wand die für den Wintergarten gesetzlich geforderte Gebäudeabschlusswand nicht, da sie für dieses Grundstück nicht im gleichen Maße Schutz vermittelt wie eine zusätzliche Gebäudeabschlusswand des Wintergartens. Die Feuerwehr der Beklagten hat nachvollziehbar dargelegt, weshalb aus ihrer Sicht zwar hinsichtlich des Daches und der tragenden Bauteile des Wintergartens eine Abweichung in Betracht kommen könnte, nicht aber bezüglich der Gebäudeabschlusswand. Diese Erwägungen hat sich die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 19. Dezember 2014 zu eigen gemacht.
46Der Kläger setzt dem nichts Durchgreifendes entgegen. Sein Vortrag, dass die Gefahr eine Brandübertragung von seinem zu dem angrenzenden Grundstück nicht bestehe, überzeugt schon wegen der überwiegend aus Holz gefertigten westlichen Außenwand des Wintergartens nicht. Seine Rechtsauffassung, auf Wintergärten seien die Brandschutzvorschriften höchstens modifiziert anzuwenden, geht fehl. Sie entspricht weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck des § 31 Abs. 1 Nr. 1, 5 Satz 1 BauO NRW.
47Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. November 2007 ‑ 7 E 737/07 ‑, juris, Rn. 3 bis 5.
48Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Beklagte ihre Befugnis zum ordnungsrechtlichen Einschreiten gegen den Wintergarten unabhängig von der Beantwortung der Frage nach einem Fortbestehen nachbarlicher Abwehrrechte des Beigeladenen nicht verwirkt hat. Eine Verwirkung behördlicher Eingriffsbefugnisse kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Selbst Fehlverhalten von Amtsträgern, die ein illegales und materiell-rechtswidriges Verhalten zumindest sehenden Auges in Kauf genommen, wenn nicht gar unterstützt haben, hindert die Bauaufsichtsbehörde nicht, darunter einen Schlussstrich zu ziehen und wieder baurechtmäßige Zustände zu bewirken.
49Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. November 2008 ‑ 7 A 103/08 ‑, juris, Rn. 66.
50Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Beklagte vor Erlass der Ordnungsverfügung bereits seit Jahren Kenntnis von dem Wintergarten gehabt habe. Die schlichte Hinnahme eines baurechtlich formell illegalen Geschehens für eine längere Zeit hindert die Bauaufsichtsbehörde nicht, ihre bisherige Praxis zu beenden und auf die Herstellung baurechtmäßiger Zustände hinzuwirken. Für eine von der bloßen Hinnahme zu unterscheidenden Duldung des Wintergartens durch die Beklagte ist nichts ersichtlich. Von der Duldung einer formell illegalen Nutzung ist im Regelfall erst dann auszugehen, wenn die Bauaufsichtsbehörde in Kenntnis der Umstände zu erkennen gibt, dass sie sich auf Dauer oder für einen zum Zeitpunkt des Einschreitens noch nicht abgelaufenen Zeitraum mit der Existenz dieser Nutzung abzufinden gedenkt.
51Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 6. Juli 2009 – 10 B 617/09 –, juris, und vom 14. Januar 2015 – 10 B 1441/14 und 10 B 1470/14 –.
52Angesichts des Ausnahmecharakters und der weitreichenden Folgen einer solchen Duldung spricht vieles dafür, dass jedenfalls eine länger andauernde Duldung, soll sie Vertrauensschutz vermitteln, schriftlich erfolgen muss.
53Vgl. OVG NRW, Urteile vom 22. August 2005 – 10 A 4694/03 –, BRS 69 Nr. 189, und vom 23. Oktober 2006 – 7 A 4947/05 –, BRS 70 Nr. 187, Beschluss vom 5. August 2011 – 2 A 2137/10 –, juris, Rn. 30.
54Für einen entsprechenden Willen der Beklagten bestehen hier keine Anhaltspunkte. Weder liegt eine schriftlich gegenüber dem Kläger beziehungsweise seiner Rechtsvorgängerin erteilte Duldung vor noch ein entsprechender Aktenvermerk der Beklagten. Soweit der Kläger auf mündliche Äußerungen eines Sachbearbeiters des Bauamtes aus dem April 1987 im Rahmen der Aufforderung, einen Bauantrag zu stellen, verweist, spricht bereits der Zusammenhang mit dieser behördlichen Aufforderung dagegen, dass eine dauerhafte oder langfristige Duldung erfolgt sein könnte.
55Die diesbezüglich mit Schriftsatz vom 24. Februar 2015 übersandte Kopie eines Laufzettels der Beklagten aus dem Jahr 1987, deren Original sich in der Beiakte Heft 1 befindet, führt zu keinem anderen Ergebnis. Sie spricht vielmehr gegen die Annahme, die Beklagte könnte in Kenntnis der Umstände zu erkennen gegeben haben, dass sie sich auf Dauer oder für einen zum Zeitpunkt des Einschreitens noch nicht abgelaufenen Zeitraum mit der Existenz des Wintergartens abgefunden hat. Der Laufzettel betraf den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Baugenehmigung vom 9. Februar 1987. Nicht nur war danach die vorgesehene Stellungnahme der Ämter IV und 63 noch nicht erfolgt, vielmehr hat das Amt 06 offensichtlich das Vorliegen der Zustimmung der Nachbarn, also des Beigeladenen, sowie die Erteilung eines Dispenses als erforderlich angesehen. Nach dem Vortrag des Klägers lag jedenfalls damals eine Zustimmung des Beigeladenen gerade nicht vor. Ein Dispens, also eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB, wurde nicht erteilt.
56Im Übrigen hatte der Kläger insoweit nicht die Nutzung eines Wintergartens, sondern nur einer Terrassenüberdachung nebst Außenkamin zur Genehmigung gestellt. Eine solche stellt aber angesichts des Fehlens von Seitenwänden ein sogenanntes aliud gegenüber dem Wintergarten dar. Schon aus diesem Grund kann eine damalige Duldung des Wintergartens nicht angenommen werden.
57Nach alledem hat der Senat keine Veranlassung, den vagen und inhaltlich nicht substantiierten Angaben des materiell beweisbelasteten Klägers zu einer mündlich erfolgten Duldung im Wege der Amtsermittlung weiter nachzugehen. Dafür fehlt es an belastbaren Anhaltspunkten.
58Schließlich hat die Beklagte das ihr durch § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW eingeräumte Ermessen auch fehlerfrei ausgeübt.
59Wegen der aufgezeigten Verstöße gegen das Bauplanungsrecht und eine Grundnorm des vorbeugenden Brandschutzes ist das Gebot der Beseitigung des formell und materiell illegal errichteten Wintergartens auch in Ansehung der dafür aufgewendeten finanziellen Mittel, der durch die Beseitigung entstehenden Kosten sowie der befürchteten mittelbaren negativen Folgen für das Wohngebäude des Klägers ein gerechtfertigter, insbesondere verhältnismäßiger Eingriff in dessen Eigentumsrecht (Art. 14 Abs. 1 GG). Dass der Kläger bei Beseitigung des Wintergartens ein Eindringen von Niederschlagswasser in den Keller des Wohngebäudes befürchtet, rechtfertigt nicht die weitere Hinnahme des baurechtswidrigen Zustandes, sondern erfordert gegebenenfalls auf die Kellertreppe und den Kellereingang bezogene Schutzmaßnahmen. Dass die Fassade und andere Bauteile eines Hauses der Witterung ausgesetzt sind, ist der Normalfall und stellt keinen Umstand dar, der im Rahmen der Verhältnismäßigkeit von ausschlaggebender Bedeutung sein kann.
60Das Recht auf Eigentum berechtigt nicht dazu, im Widerspruch zu den Vorschriften des Bauplanungsrechts und des Bauordnungsrechts bauliche Anlagen zu errichten und zu nutzen. Dem Kläger und seiner verstorbenen Ehefrau war bei Errichtung des Wintergartens der Verstoß gegen den Bebauungsplan Nr. 10-4a bekannt. Jedenfalls hätte ihnen der Verstoß bekannt sein müssen, denn sie waren wie jeder Bauherr, der ein Bauvorhaben plant, verpflichtet, sich zuvor Kenntnis von den dafür maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Umständen zu verschaffen.
61Die erheblichen Risiken für Leib oder Leben Dritter im Falle eines Brandes rechtfertigen es sogar gegenüber rechtmäßig bestehenden baulichen Anlagen nachträglich Schutzmaßnahmen nach § 87 BauO NRW zu fordern, die in jeder Hinsicht „auf der sicheren Seite“ liegen. Die zuständige Baugenehmigungsbehörde ist nicht gehalten, allein im finanziellen Interesse des Ordnungspflichtigen wesentliche Abstriche an den zum Schutz dieser Rechtsgüter sachgerechten Sicherheitserfordernissen hinzunehmen.
62Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. August 2010 – 7 A 749/09 –, NVwZ-RR 2011, 47.
63Der weitere Vortrag des Klägers, die Beklagte habe ihr Ermessen „unsachgemäß gesetzesverhaftet“ ausgeübt, zeigt einen Ermessensfehler nicht auf. Er verkehrt damit die Realität ins Gegenteil, denn er selbst und/oder seine Rechtsvorgängerin haben sich mit der Errichtung des Wintergartens als Schwarzbau über jegliches Recht hinweggesetzt. Die auf Seite 3 des Schriftsatzes des Klägers vom 24. Februar 2015 wiedergegebenen etwaigen mündlichen Äußerungen von Mitarbeitern der Beklagten sind schon deshalb irrelevant, weil sie keinen Eingang in die angefochtene Beseitigungsverfügung gefunden haben, deren schriftliche Gründe sich aus den vorstehenden Ausführungen als ermessensfehlerfrei erweisen.
64Die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsgebühr ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1 und 2, § 3 Abs. 1, § 9 Abs. 1, § 11 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Nr. 1 GebG NRW, § 1 Abs. 1 AVerwGebO NRW, Ziff. 2.8.2.1 des Allgemeinen Gebührentarifs zur AVerwGebO NRW in der bei Erlass der Beseitigungsverfügung geltenden Fassung. Die Beklagte hat innerhalb des dortigen Gebührenrahmens die geringstmögliche Gebühr festgesetzt.
65Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.
66Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 ff. ZPO.
67Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
68Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 40, 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 GKG. Da die unselbständige Zwangsgeldandrohung den Streitwert nicht erhöht, hat der Senat auf einen rechtlichen Hinweis verzichtet, dass die Klage insoweit schon unzulässig ist. Eine diesbezügliche teilweise Klagerücknahme hätte zu keiner Verringerung der Verfahrenskosten geführt.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
T a t b e s t a n d:
2Der Kläger wendet sich gegen die Genehmigung der Erweiterung des Hauses des Beigeladenen.
3Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Gemarkung C. , Flur 2, Flurstück 875 (G.------weg 61 b in E. ). Der Beigeladene ist Eigentümer des östlich angrenzenden Grundstücks Gemarkung C. , Flur 2, Flurstück 569 (G.------weg 61 a in E. ). Beide Grundstücke liegen im ehemaligen Geltungsbereich der Polizeiverordnung über die Abstufung und Regelung der Bebauung für die Stadt E. (Baustufenordnung) vom 24. Juli 1951. Das Grundstück des Beigeladenen wurde aufgrund der Baugenehmigung der Beklagten vom 14. August 1967 grenzständig mit einem Wohnhaus und einer zum nordöstlich liegenden Grundstück (G.------weg 61) grenzständig errichteten Garage bebaut. Die Bebauung des klägerischen Grundstücks mit einem zweigeschossigen Wohnhaus mit Garage erfolgte auf der Grundlage der Baugenehmigung vom 13. April 1983. Das am Giebel des ursprünglichen Hauses des Beigeladenen auf voller Länge angebaute Wohnhaus des Klägers stand straßen- und gartenseitig jeweils 1 m über. Das Wohnhaus des Klägers verfügt zur Garten- und Straßenseite über Dachgauben. Der First des Satteldachs hat eine Höhe von 140,74 m über NN.
4Die Beklagte erteilte den Beigeladenen unter dem 1. März 2012 in Gestalt der Nachtragsgenehmigung vom 12. Dezember 2012 die Baugenehmigung zum Umbau und zur Erweiterung ihres Hauses. Die Genehmigung erfasst die straßenseitige Erweiterung des Bestandsgebäudes um einen grenzständigen zweigeschossigen 5 m tiefen Anbau mit Satteldach und einer Dachneigung von 30°. Der Giebel des Anbaus ist zur Straße ausgerichtet. Die Firsthöhe des Haupthauses beträgt nach dem Umbau 139,12 m über NN und des Anbaus 138,28 m über NN. Am Standort des früheren Wintergartens ist ein an die Garage angebauter Abstellraum mit gemeinsamem Satteldach und einer Firsthöhe von 134,98 m über NN vorgesehen.
5Am 6. Juni 2012 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen: Die angegriffene Baugenehmigung sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten. Das geplante Vorhaben verstoße gegen die Baustufenordnung. Bereits das ursprüngliche Gebäude auf dem Grundstück des Beigeladenen sei weder als Doppelhaus geplant, noch als solches genehmigt worden. Auch das geplante Vorhaben stelle kein Doppelhaus dar. Das Vorhaben füge sich auch nicht im Sinne von § 34 BauGB in die Umgebung ein. Sämtliche Gebäude der direkten Umgebung seien dadurch geprägt, dass der First parallel zur Straße verlaufe und die Giebelwände dem Nachbargebäude zugewandt seien. Eine grenzständige Traufe gebe es nirgendwo. Es handele sich nicht mehr um die Erweiterung des alten Gebäudes, sondern um ein insgesamt neu zu beurteilendes Bauvorhaben. Der Baukörper sei daher insgesamt baurechtswidrig, da es an einer entsprechenden Baugenehmigung fehle. Die Frontseite seines Hauses werde durch das Vorhaben der Beigeladenen völlig verschattet. Auch trete durch die grenzständige Ausrichtung der Traufe des Anbaus bei starkem Regen massiv Wasser auf sein Grundstück über. Bei starkem Schneefall fielen große Schneebretter auf sein Grundstück.
6Der Kläger hat beantragt,
7die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Beklagten vom 1. März 2012 sowie die unter dem 12. Dezember 2012 erteilte Nachtragsgenehmigung aufzuheben.
8Die Beklagte hat beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Die Beigeladenen haben ebenfalls beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Das Verwaltungsgericht hat die Klage - nach Durchführung eines Ortstermins ‑ mit Urteil vom 27. März 2013 abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Urteilsgründe verwiesen.
13Der Kläger hat zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung vorgetragen: Das Urteil des Verwaltungsgerichts sei fehlerhaft. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts wende der angegriffene Bescheid den rechtskräftigen Baustufenplan zu Unrecht nicht an. Es liege kein Doppelhaus vor. Ausweislich der Bauakte sei das Bestandsgebäude auf dem Grundstück der Beigeladenen als Einfamilienhaus genehmigt worden. Selbst wenn das Altgebäude ein Doppelhaus gewesen wäre, füge sich jedenfalls das neue Vorhaben nicht ein. Das Verwaltungsgericht nehme zur Begründung des Doppelhauscharakters fehlerhafterweise eine identische Dachform und -ausrichtung zwischen den Gebäuden an. Sein Argument des Wegfalls der Gesamtbaugenehmigung habe das Verwaltungsgericht übergangen. Es sei völlig außer Acht gelassen worden, dass das Haus der Beigeladenen und sein Haus erheblich hinter der Baulinie der direkt anliegenden Häuser zurückblieben. Die beiden Häuser hätten ursprünglich eine eigene Bauflucht begründet. Dieses wesentliche Merkmal der Gemeinsamkeit werde durch den Anbau auf der Straßenseite zerstört. Das Haus der Beigeladenen schließe an die Bauflucht der direkten Nachbarn an. Zur Frage der Verschattung bejahe das Urteil das Bestehen der Beeinträchtigung, ohne dass diese näher quantifiziert oder qualifiziert werde, wobei hierzu das Gericht auch nicht die notwendige Fachkunde besitze.
14Der Kläger hat beantragt,
15das angefochtene Urteil zu ändern und die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Beklagten vom 1. März 2012 sowie die unter dem 12. Dezember 2012 erteilte Nachtragsgenehmigung aufzuheben.
16Die Beklagte hat beantragt,
17die Berufung zurückzuweisen.
18Zur Begründung hat sie Bezug auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils genommen und ergänzend im Wesentlichen ausgeführt, die Baustufenordnung habe ihre Gültigkeit verloren. Ab 1968 seien für Bauanträge in dem fraglichen Gebiet die Regelungen des § 34 BBauG bzw. BauGB angewandt worden.
19Die Beigeladenen haben beantragt,
20die Berufung zurückzuweisen.
21Der Berichterstatter des Senats hat die Örtlichkeit besichtigt. Wegen der dabei getroffenen Feststellungen wird auf das Protokoll zum Ortstermin und die dort gefertigten Lichtbilder verwiesen.
22Mit Urteil vom 26. Juni 2014, auf dessen Gründe Bezug genommen wird, hat der Senat die Berufung zurückgewiesen.
23Das Bundesverwaltungsgericht hat auf die vom Senat zugelassene Revision des Klägers mit Urteil vom 19. März 2015 - 4 C 12.14 - das Senatsurteil aufgehoben, zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Annahmen des Oberverwaltungsgerichts zum Außerkrafttreten der Baustufenordnung und zum Prüfungsumfang eines vereinfachten Genehmigungsverfahrens unterlägen als irrevisibles Landesrecht keiner revisionsgerichtlichen Prüfung. Weiterhin habe das Oberverwaltungsgericht ohne Verstoß gegen Bundesrecht angenommen, das genehmigte Vorhaben sei weder wegen seines Schattenwurfs noch wegen einer erdrückenden Wirkung rücksichtslos. Jedoch verletze das Berufungsurteil Bundesrecht, soweit es einen Verstoß gegen das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verneint habe. Zwar habe das Oberverwaltungsgericht ohne Verstoß gegen Bundesrecht bei der Auslegung des § 34 Abs. 1 BauGB die Vorschriften der Baunutzungsverordnung als Auslegungshilfe heranziehen dürfen. Auch habe es offen lassen können, ob es sich bei der hier maßgeblichen näheren Umgebung um eine offene oder geschlossene Bauweise handele. Das Oberverwaltungsgericht habe seiner tatrichterlichen Würdigung aber einen rechtswidrigen Begriff des Doppelhauses zugrundegelegt. Der Bundesrechtsverstoß zwinge zur Zurückverweisung zur Klärung der Fragen, ob das Gesamtgebäude nach dem Umbau weiterhin ein Doppelhaus bilde und ‑ verneinendenfalls - ob die maßstabsetzende Bebauung nach der Bauweise eine einseitige grenzständige Bebauung nur in Form eines Doppelhauses zulasse. Entgegen der Revision sei die Notwendigkeit einer Ortsbesichtigung durch den Senat des Oberverwaltungsgerichts in voller Besetzung nicht ersichtlich.
24Nach Ablehnung seines Antrags,
25dass der Senat einen erneuten Ortstermin im Beisein auch der ehrenamtlichen Richter durchführt, da aufgrund des Zeitablaufs eine Beurteilung des Sachverhaltes anhand der Kriterien des Bundesverwaltungsgerichts nicht mehr möglich ist und im weiteren auch aufgrund des Austausches der ehrenamtlichen Richter diese nicht mehr Bezug nehmen können auf die ursprünglichen Schilderungen des Berichterstatters im Rahmen des ersten Ortstermins. Insoweit rügen wir ausdrücklich die Verletzung des rechtlichen Gehörs,
26beantragt er,
27das angefochtene Urteil zu ändern und die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Beklagten vom 1. März 2012 sowie die unter dem 12. Dezember 2012 erteilte Nachtragsgenehmigung aufzuheben.
28Die Beklagte beantragt,
29die Berufung zurückzuweisen.
30Die Beigeladenen beantragen,
31die Berufung zurückzuweisen.
32Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach‑ und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
33Entscheidungsgründe:
34Die Berufung ist aus den Gründen des Senatsurteils vom 26. Juni 2014 zulässig.
35Die Berufung hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die zulässige Klage ist unbegründet.
36Die angefochtene Baugenehmigung verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
37Der Kläger kann sich - wie der Senat mit Urteil vom 26. Juni 2014 ausgeführt hat ‑ nicht auf die Verletzung eines durch die Baustufenordnung vom 24. Juli 1951 vermittelten nachbarlichen Drittschutzes berufen, da die Baustufenordnung gemäß § 53 Abs. 2 OBG NRW in der Fassung vom 16. Oktober 1956 (GV NRW 1956, 289) bereits am 31. Dezember 1964 außer Kraft getreten ist.
38Die angefochtene Baugenehmigung verstößt auch nicht gegen das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme.
39Dies gilt zunächst im Hinblick auf die mit dem Revisionsurteil vom 19. März 2015 nochmals aufgezeigten Grundsätze, wobei der Senat weiterhin offen lässt, ob der hier maßgebliche Rahmen der näheren Umgebung durch Einzelhäuser, Doppelhäuser oder Hausgruppen i.S.v. § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO gebildet wird. Denn das Haus des Beigeladenen in der durch die Genehmigung zugelassenen Bauweise und das Haus des Klägers bilden - unter Anwendung der im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. März 2015 - 4 C 12.14 - vorgegebenen Maßstäbe - einen Gesamtbaukörper, der ein Doppelhaus im Sinne des Bauplanungsrechts darstellt, so dass unter diesem Gesichtspunkt ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot ausscheidet.
40Ein Doppelhaus im Sinne des Bauplanungsrechts ist eine bauliche Anlage, die dadurch entsteht, dass zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden. Kein Doppelhaus bilden dagegen zwei Gebäude, die sich zwar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze noch berühren, aber als zwei selbständige Baukörper erscheinen. Ein Doppelhaus verlangt ferner, dass die beiden Haushälften in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinander gebaut werden.
41Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 2013 - 4 C 5.12 -, BauR 2014, 658.
42Es lässt sich weder abstrakt-generell noch mathematisch-prozentual festlegen, in welchem Umfange die beiden Haushälften an der Grenze zusammengebaut sein müssen. Der Wortlaut des § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO verlangt, dass das Doppelhaus ein Gebäude mit seitlichem Grenzabstand ist. Zwei selbstständige Baukörper, die sich an der Grenze berühren, aber praktisch allseitig freistehend sind, bilden kein Doppelhaus. Der Begriff des Doppelhauses hat dabei vom Ziel der offenen Bauweise auszugehen. Leitbild ist ein Haus, das nach beiden Seiten mit Grenzabstand errichtet wird und so einen Vorgarten mit einem Hausgarten verbindet. Die grundsätzlich nach beiden Seiten geforderten Grenzabstände sollen dabei als die Bebauung gliedernde und auflockernde Elemente wahrgenommen werden. Ein einseitig grenzständiger Bau fügt sich in dieses System nur ein, wenn das gegenseitige Abstandsgebot an der Grundstücksgrenze auf der Grundlage der Gegenseitigkeit überwunden wird. Die Qualifizierung zweier Gebäude als Doppelhaus hängt dabei nicht allein davon ab, in welchem Umfang die beiden Gebäude an der gemeinsamen Grundstücksgrenze aneinander gebaut sind. Es kann daher das Vorliegen eines Doppelhauses mit dem Blick auf die bauplanungsrechtlichen Ziele der Steuerung der Bebauungsdichte sowie der Gestaltung des Orts- und Stadtbildes geprüft und ein Mindestmaß an Übereinstimmung verlangt werden. Es geht um eine spezifische Gestaltung des Orts- und Straßenbildes, die darin liegt, dass das Doppelhaus den Gesamteindruck einer offenen, aufgelockerten Bebauung nicht stört, eben weil es als ein Gebäude erscheint. Für die Frage, ob grenzständige Gebäude ein Doppelhaus bilden, kommt es deshalb auf die wechselseitige Verträglichkeit dieser Gebäude an. Dabei ist eine Gesamtwürdigung des Einzelfalles vorzunehmen. Qualitative und quantitative Kriterien dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Denn es ist ebenso denkbar, dass größere quantitative Abweichungen bei deutlich einheitlicher Gestaltung hingenommen werden können, wie es vorstellbar ist, dass eine deutlich abweichende Gestaltung in ihrer Wirkung gemildert wird, weil die Gebäudeteile in quantitativer Hinsicht stark übereinstimmen. Eine isolierte Betrachtung vernachlässigt auch, dass Fälle denkbar sind, in denen das Zusammenwirken quantitativer und qualitativer Kriterien den Charakter eines Doppelhauses entfallen lässt.
43Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2015 - 4 C 12.14 -, BauR 2015, 1309.
44Nach diesen Grundsätzen handelt es sich hier um ein Doppelhaus. Nach dem durch den Berichterstatter im Ortstermin gewonnenen, immer noch präsenten und dem Senat in der Beratung am 3. September 2015 vermittelten Gesamteindruck erscheint es weiterhin als „ein Gebäude“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
45Insbesondere stört das Doppelhaus auch nach dem Umbau und der Erweiterung durch die Beigeladenen nicht den offenen, aufgelockerten Bebauungszusammenhang der näheren Umgebung. Vielmehr wird es weiterhin als ein wechselseitig verträgliches Gebäude wahrgenommen. Das Haupthaus des Beigeladenen und das Haus des Klägers weisen nahezu identische Dachformen und –neigun-gen auf. Beide Gebäude sind ebenso wie der straßenseitige Anbau auf dem Grundstück des Beigeladenen zweigeschossig. Die Firste der beiden Hauptgebäude sind parallel zur Straße ausgerichtet und wegen des deutlich niedrigeren Anbaus auch von der Straße noch wahrnehmbar. Auch die unterschiedliche Dachausrichtung des Anbaus als qualitatives Kriterium rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Im Rahmen der Gesamtwürdigung hebt auch die abweichende Gestaltung des Anbaus in Kombination mit den unterschiedlichen Bautiefen der jeweiligen Doppelhaushälften den Doppelhauscharakter nicht auf. Es wird trotz des insoweit gegebenen Unterschieds weiterhin als ein Gebäude wahrgenommen. So ist beispielsweise auch bei freistehenden Einfamilienhäusern ein L-förmiger Grundriss, welcher zugleich mit einem Versprung der Bautiefe verbunden ist, nicht ungewöhnlich.
46Entgegen der klägerischen Auffassung ist auch nicht isoliert das Haus des Beigeladenen mit seinem über die gesamte Breite erfolgten Anbau in den Blick zu nehmen, sondern es muss auf die Wechselwirkung zwischen dem Haus des Klägers und dem des Beigeladenen abgestellt werden. Auch nach der Erweiterung halten beide Gebäude einen gehörigen Abstand zu der Straße. Das gartenseitig von dem klägerischen Grundstück ca. 6 m entfernt errichtete Nebengebäude ändert nichts an der Einstufung der Gebäude als Doppelhaus. Bei dem Nebengebäude handelt es sich um einen Abstellraum und eine Garage. Dieses Nebengebäude entfaltet keine sich auf das Wohngebäude erstreckende prägende Wirkung und vermag den Doppelhauscharakter nicht in Frage zu stellen. Insgesamt werden die beiden Haushälften deshalb als ein nach beiden Seiten mit Grenzabstand errichtetes, den Vorgartenbereich mit einem Hausgarten verbindendes Gebäude wahrgenommen.
47Dem Antrag des Klägers auf Durchführung eines weiteren Ortstermins war nicht nachzukommen. Der Kläger hat mit seinem Antrag keine konkreten Tatsachenbehauptungen aufgestellt, die er bewiesen haben will. Das Anbieten des Beweismittels selbst stellt keinen Beweisantrag dar.
48Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 1963 - VIII C 248.63 -, DVBl. 1964, 193; Rixen in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage, § 86 Rn. 86.
49Es bedurfte auch keiner (weiteren) Ortsbesichtigung durch den Senat in voller Besetzung. Der Senat konnte sich auf Grundlage des nach wie vor präsenten Eindrucks des Berichterstatters aus dem bereits durchgeführten Ortstermin ein hinreichend genaues und umfassendes Bild von den maßgeblichen Umständen verschaffen.
50Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme liegt aus den Gründen des Senatsurteils vom 26. Juni 2014 auch nicht im Hinblick auf die vom Kläger geltend gemachte Verschattung insbesondere seines Wohnzimmerfensters durch den Anbau bzw. die geltend gemachte erdrückende Wirkung vor.
51Soweit der Kläger Beeinträchtigungen durch vom Dach des Anbaus überlaufendes Regenwasser und abgehende Schneebretter geltend macht, sind diese Aspekte nicht Prüfungsgegenstand des hier durchgeführten vereinfachten Genehmigungsverfahrens i. S. d. § 68 BauO NRW.
52Die Genehmigung verletzt auch keine bauordnungsrechtlichen Vorschriften, die Nachbarrechte des Klägers schützen. Auch insoweit nimmt der Senat Bezug auf sein Urteil vom 26. Juni 2014.
53Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Der Kläger hat als im Berufungsverfahren unterliegender Revisionskläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
54Vgl. Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage, § 144 Rn. 48.
55Es entspricht der Billigkeit, dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, denn diese haben im Berufungs- und im Revisionsverfahren jeweils einen Sachantrag gestellt und sich mithin selbst einem Kostenrisiko ausgesetzt (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
56Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Die zulässigen Beschwerden sind begründet.
3Die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem privaten Interesse des Antragstellers, von der sofortigen Vollziehung der Baugenehmigung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens verschont zu bleiben, und dem öffentlichen sowie dem privaten Interesse der Beigeladenen an einer sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung fällt zu Lasten des Antragstellers aus.
4Bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes regelmäßig gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist nicht erkennbar, dass die den Beigeladenen unter dem 15. Mai 2014 von der Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Wohngebäudes mit drei Wohnungen auf dem Grundstück F.‑Straße 28 in N. den Antragsteller in subjektiven öffentlichen Rechten verletzt, auf die er sich berufen kann, sodass entgegen der gesetzlichen Wertung des § 212a BauGB die aufschiebende Wirkung der gegen die Baugenehmigung gerichteten Klage anzuordnen wäre.
5Insbesondere kann der Antragsteller im Hinblick auf die genehmigte Absenkung des Geländes auf dem Vorhabengrundstück einen Verstoß gegen § 9 Abs. 3 BauO NRW nicht mit Erfolg geltend machen.
6Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Vereinbarkeit der im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilten Baugenehmigung mit § 9 Abs. 3 BauO NRW geprüft. Da das Vorhaben materiell-rechtlich mit § 9 Abs. 3 BauO NRW übereinstimmen muss und die genehmigte Veränderung der Geländeoberfläche als grundlegende Voraussetzung des Vorhabens von diesem nicht zu trennen ist, entspricht es dem Gebot effektiven Rechtsschutzes, die Zulässigkeit der Geländeveränderung im Rahmen des Antrags nach den §§ 80a, 80 Abs. 5 VwGO zu behandeln und den Rechtsschutz suchenden Nachbarn nicht auf einen zusätzlichen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Geländeveränderung und einen entsprechenden Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO zu verweisen.
7Anders kann es sein, wenn eine genehmigte Veränderung der Geländeoberfläche eine mit dem genehmigten Baukörper nicht unmittelbar zusammenhängende Grundstücksfläche betrifft.
8Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. Mai 2012 – 10 B 364/12 –; siehe auch Beschluss vom 1. August 2006 ‑ 10 B 170/06 ‑.
9Letztlich kann hier offenbleiben, ob die Baugenehmigung mit § 9 Abs. 3 BauO NRW vereinbar ist. Nach dieser Vorschrift kann bei der Errichtung baulicher Anlagen verlangt werden, dass die Geländeoberfläche aus den in der Vorschrift genannten Gründen erhalten oder verändert wird. Zugleich bietet sie auch den Maßstab für die Zulässigkeit einer vom Bauherrn gewünschten Veränderung der Geländeoberfläche, die der Rechtfertigung bedarf. Es muss einer der in der Vorschrift genannten Gründe für die Geländeveränderung vorliegen.
10Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 29. September 1995 – 11 B 1258/95 –, BRS 57 Nr. 162, und vom 3. August 2006 – 10 B 1169/04 –, juris, Rn. 7 f., sowie Urteil vom 26. April 2010 – 7 A 2162/09 –, juris, Rn. 40 ff.
11Für die Vereinbarkeit der hier genehmigten Abgrabung mit § 9 Abs. 3 BauO NRW spricht, dass sie auf der straßenzugewandten Seite des Vorhabens der Angleichung an die Verkehrsfläche und damit zugleich seiner Vereinbarkeit mit § 49 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 55 Abs. 4 Satz 4 BauO NRW dient. Angesichts des Wortlautes des § 9 Abs. 3 BauO NRW, der die Geländeoberfläche insgesamt anspricht, ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass diese Erwägungen – etwa unter dem Gesichtspunkt der Barrierefreiheit – im Einzelfall auch eine entsprechende Nivellierung der Grundstückshöhe im rückwärtigen Bereich des Grundstücks erlauben.
12Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 1. August 2006 ‑ 10 B 170/06 ‑, und Urteil vom 26. April 2010 – 7 A 2162/09 –, juris, Rn. 46.
13Der Antragsteller wird durch die genehmigte Veränderung der Geländeoberfläche jedenfalls nicht in subjektiven Rechten verletzt.
14§ 9 Abs. 3 BauO NRW kommt nicht hinsichtlich jeder Veränderung der Geländeober-fläche nachbarschützende Wirkung zu. Sie ergibt sich vielmehr insbesondere im Zusammenhang mit den Regelungen über die Abstandflächen in § 6 BauO NRW. Veränderungen der Geländeoberfläche dürfen nicht dazu führen, dass der durch § 6 BauO NRW bezweckte Nachbarschutz beeinträchtigt wird. Ein Verstoß des Vorhabens gegen die Regelungen des § 6 BauO NRW, auf den sich der Antragsteller trotz seiner Zustimmung vom 26. Juni 2013 zu dem grenzständig geplanten Vorhaben berufen könnte, ist nicht ersichtlich.
15Über den Nachbarschutz in Verbindung mit den Abstandflächenvorschriften hinaus vermittelt § 9 Abs. 3 BauO NRW Nachbarschutz nur insoweit, als bei der Genehmigung von Veränderungen der Geländeoberfläche an der Nachbargrenze Belange des Angrenzers zu berücksichtigen sind.
16Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. September 1995 ‑ 11 B 1258/95 ‑, a.a.O., und Urteil vom 26. April 2010 – 7 A 2162/09 –, a.a.O.
17Dass die hier genehmigte Absenkung der Geländeoberfläche im rückwärtigen Bereich des Vorhabengrundstücks an der Grenze zu dem Grundstück des Antragstellers, die teilweise fast zwei Meter beträgt, Belange des Antragstellers unverhältnismäßig oder rücksichtslos beeinträchtigt, ist nicht erkennbar.
18Insbesondere sind Probleme der Statik (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW), die auch im vereinfachten Genehmigungsverfahren (§ 68 Abs. 1 Satz 4 BauO NRW) bei der Legalisierung einer Abgrabung erheblichen Umfangs angesichts der damit etwaig verbundenen Gefahren im Einzelfall zu beachten sein können,
19vgl. zum Brandschutz OVG NRW, Beschlüsse vom 28. Januar 2009 – 10 B 1075/08 –, juris, und vom 12. Januar 2015 – 2 B 1386/14 –,
20weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Baugenehmigung verpflichtet die Beigeladenen auch dazu, an der Grundstücksgrenze für eine Absturzsicherung zu sorgen.
21Wenn, wie hier, keine Erhöhung, sondern eine Absenkung der Geländeoberfläche eines Grundstücks vorgenommen wird, kann sich dadurch eine Rechtsverletzung des Angrenzers regelmäßig nur bei besonderen Umständen ergeben, da, anders als bei einer Geländeerhöhung, Beeinträchtigungen der Belichtung und Besonnung seines Grundstücks ausscheiden und es auch nicht einer verstärkten Einsichtnahme ausgesetzt sein kann.
22Vgl. OVG NRW, Urteil vom 26. April 2010 – 7 A 2162/09 –, a.a.O., Rn. 49.
23Das Verwaltungsgericht hat eine Rechtsverletzung des Antragstellers durch die genehmigte Abgrabung darin gesehen, dass dadurch ein Vorhaben mit einem weiteren Geschoss ermöglicht werde. Dieser Aspekt gibt hier aber keinen Grund zur Aufhebung der Baugenehmigung, denn der Antragsteller hat sich seiner nachbarlichen Abwehrrechte hinsichtlich der Errichtung eines zweieinhalbgeschossigen Gebäudes an seiner Grundstücksgrenze begeben, indem er einem solchen Vorhaben am 26. Juni 2013 wirksam zugestimmt hat.
24Dieses vorbehaltlose Einverständnis enthält einen Verzicht auf bestehende oder erst entstehende Abwehrrechte aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Denn es unterliegt der Dispositionsbefugnis des Grundstückseigentümers, die Geltendmachung materieller Abwehrpositionen auszuschließen. Eine solche Vereinbarung führt dazu, dass die Geltendmachung nachbarlicher Abwehrrechte, die auf die von ihr erfassten Abwehrpositionen gestützt wird, gegen Treu und Glauben verstößt.
25Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. September 2010 – 10 A 2616/08 –, juris, Rn. 47.
26Der Senat teilt die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass bei der gebotenen Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB aus der auf der Kopie eines Kartenauszugs verfassten Erklärung und der dortigen Skizzierung des geplanten Baukörpers eindeutig hervorgeht, dass der Antragsteller der Errichtung eines zweieinhalbgeschossigen, grenzständigen Gebäudes auf dem Vorhabengrundstück zugestimmt hat, das sein eigenes Wohnhaus deutlich überragt. Dass ihm bei der Abgabe seiner Zustimmungserklärung keine Bauzeichnungen mit konkreten Maßangaben vorlagen, führt nicht zur Unbestimmtheit oder Unwirksamkeit der Zustimmungserklärung. Sie bezieht sich eben nicht auf ein in allen baulichen und gestalterischen Einzelheiten bereits feststehendes Vorhaben, sondern bestimmt nur den groben Rahmen, innerhalb dessen sich das Vorhaben halten muss, um von der Zustimmung gedeckt zu sein.
27Die angesprochene Skizze des Vorhabens ist zwar nicht maßstabsgetreu, doch überragt danach der skizzierte Baukörper das Wohnhaus des Antragstellers um mindestens ein Drittel. Demgegenüber erlaubt die Baugenehmigung nur eine Überschreitung der Höhe des Wohnhauses des Antragstellers um weniger als ein Fünftel und geht mithin hinsichtlich der Zahl der Vollgeschosse und der Höhe, Breite und Tiefe des Baukörpers nicht über die Zustimmungserklärung des Antragstellers hinaus.
28Der Schriftsatz des Antragstellers vom 14. Januar 2015 führt zu keinem anderen Ergebnis. Soweit er damit vorträgt, die Beigeladenen hätten, bevor er die Zustimmungserklärung unterzeichnet habe, wiederholt erklärt, der in der Skizze grün gekennzeichnete Baukörper werde nur etwa 1 m höher sein als der vorhandene eingeschossige Anbau, folgt daraus nicht, dass das Vorhaben von der Zustimmungserklärung nicht gedeckt wäre. Er hat mit seiner Unterschrift einem „zweigeschossigen Anbau + Dach an unserer Grundstücksgrenze … für den grün gekennzeichneten Bereich“ zugestimmt. Schon wegen der damit akzeptierten Zweigeschossigkeit des Neubaus musste ihm klar sein, dass das Vorhaben auch in dem rückwärtigen Bereich erheblich höher sein wird als der dort bisher vorhandene Anbau und auch seinen eigenen eingeschossigen Anbau deutlich überragt. Darüber hinaus geht aus der Skizze hinreichend deutlich hervor, dass die Höhen der Außenwände des Vorhabens über die gesamte Bautiefe die Firsthöhe des Wohngebäudes des Antragstellers erreichen dürfen. Hinter dieser maximal zulässigen Ausnutzung der Zustimmung bleibt das Vorhaben sogar zurück, denn auch die oberen Abschlüsse der Außenwände des genehmigten Zwerchhauses liegen 0,36 m niedriger.
29Der mit Schriftsatz vom 25. November 2014 erklärte Widerruf der Zustimmungserklä-rung ist unbeachtlich. Als empfangsbedürftige Willenserklärung ist die Zustimmung mit ihrem Erklärungsgehalt gegenüber den anwesenden Beigeladenen wirksam geworden (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB), sodass ein Widerruf danach nicht mehr möglich ist (§ 130 Abs. 1 Satz 2, § 145 BGB).
30Vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2012 – V ZR 254/11 –, juris, Rn. 8, und Beschluss vom 14. März 1985 – X ZB 13/83 –, juris, Rn. 14 f.
31Einen Anfechtungsgrund (§§ 119, 120, 123 BGB) hat der Antragsteller nicht benannt; ein solcher ist auch nicht erkennbar.
32Dass der Antragsteller der genehmigten Veränderung der Geländeoberfläche, die in seiner Erklärung vom 26. Juni 2013 weder erwähnt noch zeichnerisch dargestellt ist, nicht zugestimmt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Durch diese Abgrabung wird kein von der Zustimmungserklärung abweichendes weiteres Geschoss des Vorhabens ermöglicht. Das Vorhaben entspricht vielmehr hinsichtlich der Zahl seiner Vollgeschosse der Zustimmungserklärung des Antragstellers. Die Absenkung der Geländeoberfläche bewirkt vielmehr, dass das entsprechend tiefer gegründete Vorhaben das Wohnhaus des Antragstellers nur um 1,29 m überragt. Somit stellt sich das Vorhaben unter Beachtung der aufgezeigten Schutzzwecke des § 9 Abs. 3 BauO NRW aus seiner nachbarlichen Sicht im Vergleich zu dem von der Zustimmungserklärung umfassten Baukörper nicht als eine zu seinen Lasten gehende wesentliche Abweichung dar.
33Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig. Der Antragsteller kann eine Verletzung anderer subjektiver öffentlicher Rechte durch die Genehmigung vom 15. Mai 2014 nicht mit Erfolg geltend machen.
34Dabei braucht hier nicht entschieden zu werden, ob das Vorhaben angesichts seiner gegenüber dem Wohnhaus des Antragstellers höheren Geschosszahl, der deutlich größeren Bebauungsbreite und des circa doppelt so großen Brutto-Raumvolumens zusammen mit diesem noch als Doppelhaus angesehen werden kann. Denn der Antragsteller hat am 26. Juni 2013 einem Vorhaben zugestimmt, das nach der Zahl der Vollgeschosse, der Höhe, Tiefe und Breite sowie dem daraus folgenden Brutto-Raumvolumen das genehmigte Vorhaben deckt.
35Schließlich ist die aufschiebende Wirkung der Klage auch nicht mit Blick auf den als Balkone genehmigten Altan oder das Zwerchhaus anzuordnen.
36Der Altan soll zwar außerhalb der Bebauungstiefe liegen, welcher der Antragsteller zugestimmt hat, verstößt aber weder gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts noch des Bauordnungsrechts. Insbesondere ist er gegenüber dem Grundstück des Antragstellers auch bezogen auf die Bautiefe nicht rücksichtslos. Auf die Belichtung und Besonnung seines Grundstücks wirkt er sich nicht wesentlich aus und eröffnet auch keine unzumutbaren Einblicke auf sein Grundstück, wobei als Maßstab das in überwiegend bebauten Bereichen Übliche zu gelten hat. Der Altan wahrt zudem den nach den Abstandflächenvorschriften erforderlichen Grenzabstand. Die 6,70 m über der abgegrabenen Geländeoberfläche befindliche Oberkante des Geländers an der Ostseite des Altans erfordert die Freihaltung einer Abstandfläche von 5,36 m (6,70 m x 0,8). Von dem Grundstück des Antragstellers ist sie 5,45 m entfernt.
37Auch das 3,49 m von der gemeinsamen Grundstücksgrenze entfernte Zwerchhaus verstößt weder gegen das Gebot der Rücksichtnahme noch gegen die Abstandflächenvorschriften. Der danach erforderliche Grenzabstand beträgt 3,46 m (8,64 m x 0,4), da von der maximalen Höhe des östlichen Giebels des Zwerchhauses von 0,16 m nur ein Drittel zu der 8,59 m hohen östlichen Außenwand des Zwerchhauses hinzugerechnet wird (§ 6 Abs. 4 Satz 6 Nr. 2 BauO NRW) und als Tiefe der Abstandfläche 0,4 H genügen (§ 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW).
38Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im erstinstanzlichen Verfahren sind dem Antragsteller mangels Billigkeit nicht aufzuerlegen, weil die Beigeladenen keinen Sachantrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben (§ 154 Abs. 3 VwGO).
39Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
40Der Beschluss ist unanfechtbar.
Tenor
Die Berufungen werden zurückgewiesen.
Die Beklagte und die Beigeladene, diese als Gesamtschuldner, tragen die Kosten des Berufungsverfahrens jeweils zur Hälfte. Eine Kostenerstattung zwischen der Beklagten und den Beigeladenen findet nicht statt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin wendet sich gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur „Sanierung einer Winkelstützmauer“.
3Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Gemarkung E. , Flur 11, Flurstück 846. Auf diesem betreibt sie einen seit Jahrzehnten bestehenden Metallverwertungsbetrieb. Das Flurstück 846 liegt südöstlich der Bahnstrecke I. -M. , unmittelbar am Bahnhof I. -S. , hat einen Gleisanschluss und stand bis zu Eintragung der Klägerin als Eigentümerin ins Grundbuch am 3. November 2004 im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland - Eisenbahnvermögen. Zuvor war es an die Klägerin (bzw. deren Rechtsvorgänger) vermietet.
4Südöstlich an das Grundstück der Klägerin grenzen - von Südwesten nach Nordosten - die Flurstücke 847 bis 850 (T.------straße Nr. 11, 11 a, 11 b, 11 c), die im Eigentum der Beigeladenen stehen. Die Grundstücke weisen ein erhebliches Gefälle von der T.------straße in Richtung auf das Grundstück der Klägerin auf. Die Straße hat an den Grundstücken der Beigeladenen im Nordosten eine Höhe von 196,67 m über NN und im Südwesten von 194,50 m über NN.
5Die Q. Q1. & C. GmbH stellte im August 1999 vier Bauanträge zur Errichtung von zwei Doppelhäusern auf dem Flurstück 278, den jetzigen Flurstücken 847 bis 850. Die Doppelhäuser sollten in einem Abstand von ca. 3,80 m bis 4,30 m von der T.------straße errichtet werden und eine Gebäudelänge von 11 m haben. Die Nordwestwände der beiden Doppelhäuser sollten in einem Abstand von ca. 7,50 m zur Grenze des Flurstücks 846 errichtet werden. Nach den Ansichtszeichnungen und den Schnitten sollte das vorhandene Gelände in den südöstlichen Grundstücksbereichen zur Straße angeschüttet werden und in den nordwestlichen Bereichen unverändert bleiben. Das vorhandene Gelände sollte an den Eckpunkten der Nordwestwände Höhen von 188,25 m und 188,06 m (Nr. 11 c), 188,06 m bzw. 187,98 m (Nr. 11 b), 187,74 m und 187,73 m (Nr. 11 a) und 187,73 m bzw. 188,99 m (Nr. 11) haben. Hinter den Nordwestwänden sollte das natürliche, zum Flurstück 846 abfallende Gelände erhalten bleiben. In einem Schreiben des Architekturbüros T1. an die Stadt I. vom 2. Februar 2000 heißt es: „Im Böschungsbereich zur Bahn hin wird eine Aufforstung mit ortsüblichem Gehölz […] empfohlen (begrünter, natürlicher Sichtschutz zum Bahngewerbegelände).“
6Ebenfalls mit Schreiben vom 2. Februar 2000 wies die Beklagte die Q. Q1. & C. GmbH darauf hin, dass die Abstandflächen der geplanten Doppelhaushälften nicht vollständig auf dem Baugrundstück lägen.
7Mit Schreiben vom 29. März 2000 bzw. 9. Mai 2000 wurden neue Lagepläne mit neuen Abstandflächenberechnungen und Abstandflächen-Zeichnungen eingereicht. In diesen sind die geplanten Wohnhäuser in südöstlicher Richtung zur T.------straße hin verschoben, so dass die Nordwestwände einen Abstand von ca. 9 m zum Grundstück der Klägerin einhalten. Das Gelände an den Nordwestwänden soll Höhen von 189,88 m bzw. 189,02 m (Nr. 11 c und 11 b) und 188,43 m bzw. 188,57 m (Nr. 11 a und 11) haben. Die Grundstückshöhen an der nordwestlichen Grenze sind in den Lageplänen am Flurstück 850 mit 181,37 m bzw. 181,92 m, am Flurstück 849 mit 181,92 m und 182,37 m, am Flurstück 848 mit 182,37 m und 182,56 m sowie am Flurstück 847 mit 182,56 m und 183,29 m angegeben. Die mit den früheren Bauanträgen eingereichten Geländeschnitte und Ansichtszeichnungen wurden nicht ausgetauscht.
8Die Beklagte erteilte der Q. Q1. & C. GmbH bzw. den Beigeladenen (bzw. deren Rechtsvorgängern) mit Bauscheinen vom 14. Juni 2000 und 11. Juli 2000 vier Baugenehmigungen zur Errichtung von jeweils zwei Doppelhäusern.
9Unter dem Datum vom 21. Dezember 2000 fertigte der Dipl.-Ing. I1. für die Eigentümergemeinschaft T.------straße eine „Statische Berechnung“ für die „Errichtung einer Stützwand“ an der Grenze zum klägerischen Grundstück an.
10Im Zuge der Errichtung der Wohnhäuser wurde auf den Grundstücken der Beigeladenen eine 51,56 m lange Mauer aus 3 m hohen Winkelstützelementen im Bereich der nordwestlichen Grenzen errichtet. Die Beklagte wies die Q. Q1. & C. GmbH nach Fertigstellung des Rohbaus der Häuser T.------straße Nr. 11 b und 11 c in Bescheinigungen vom 5. November 2001 darauf hin, dass die Stützmauer an der nordwestlichen Grundstücksgrenze in einem gesonderten Verfahren behandelt werde.
11Jeweils mit Schreiben vom 25. Oktober 2001 gerichtet an die Beigeladenen zu 4. und 5. sowie an die BP Q1. & C. GmbH als Eigentümerin des Grundstücks T.------straße Nr. 11 c (jetzt das Grundstück der Beigeladenen zu 6. und 7.) teilte die Beklagte mit, dass bei einer am 22. Oktober 2001 durchgeführten Ortsbesichtigung festgestellt worden sei, dass an der westlichen Grundstücksgrenze zum benachbarten Bahngelände eine Mauer errichtet worden sei. Diese weise von der Seite des Nachbargrundstücks aus gemessen eine Höhe von rund 3 m auf. Für diese gebe es keine Baugenehmigung. Es sei beabsichtigt, durch den Erlass einer Ordnungsverfügung den Rückbau der Mauer aufzugeben. Mit Schreiben des Architekturbüros T1. vom 1. März 2002 wurde der Beklagten mitgeteilt, dass die Stützwand zum Bahngelände hin bei Beendigung der Arbeiten - wieder angeböscht - eine Höhe von nur 2 m haben werde.
12In den Bescheinigungen zur Fertigstellung der Bauvorhaben gemäß § 82 BauO NRW vom 3. Dezember 2002, gerichtet an die Eigentümer der Häuser T.------straße Nr. 11, 11 a und 11 c wies die Beklagte darauf hin, dass „das Gelände zur nördlichen und nordwestlichen Grundstücksgrenze im 3 m Grenzbereich entsprechend dem natürlichen Verlauf wiederherzustellen“ sei. Dieser Hinweis unterblieb in der Bescheinigung betreffend die Haushälfte T.------straße Nr. 11 b.
13Die Klägerin (bzw. deren Rechtsvorgänger) legte mit Schreiben vom 20. Juli 2001 Widerspruch gegen die Baugenehmigungen ein. Diesen wies die Bezirksregierung Arnsberg im Januar 2002 als unbegründet zurück.
14Mit an die Deutsche Bahn AG/Deutsche Bahn Immobilien GmbH gerichtetem Schreiben vom 31. Oktober 2002 baten die früheren Eigentümer des Grundstücks T.------straße Nr. 11 und die Beigeladenen zu 2. bis 7. die Aufschüttung auf den benachbarten Grundstücken der T.------straße Nr. 11 bis 11 c zu genehmigen. Mit Schreiben des Bundeseisenbahnvermögens an die Beigeladene zu 2. vom 1. August 2003 wurde dieser unter Bezugnahme auf „Ihre Nachricht vom 16.06.2003“ „an die Deutsche Bahn AG (DB Imm) und unserer Telefonate“ mitgeteilt: „Gegen eine Anschüttung Ihres Grundstücks bestehen von hier keine Bedenken. Wir bitten Sie jedoch, dafür Sorge zu tragen, dass durch die Aufschüttung eine Gefährdung unseres Grundstücks ausgeschlossen ist. Alle entstehenden Kosten und mögliche Folgekosten gehen zu Ihren Lasten.“ Mit Schreiben des Bundeseisenbahnvermögens an den Beigeladenen zu 5., zu 7. und den Rechtsvorgänger des Beigeladenen zu 1. vom 22. August 2003 wurde diesen unter Bezugnahme auf „Ihre Nachricht vom 20. August 2003“ und Telefonate mit der Beigeladenen zu 2. ebenfalls mitgeteilt, dass gegen eine Anschüttung ihrer Grundstücke keine Bedenken bestünden.
15Am 9. November 2004 stellten die Beigeladenen zu 2. bis 7. und der Rechtsvorgänger des Beigeladenen zu 1. einen Bauantrag auf nachträgliche Genehmigung der errichteten Stützmauer. Dem Antrag war ein Auszug aus dem Liegenschaftskataster beigefügt, auf dem die Stützmauer in einem Abstand von 0,50 m zur Grenze auf ihren Grundstücken eingezeichnet ist. Gleichfalls beigefügt war das Schreiben des Bundeseisenbahnvermögens an den Beigeladenen zu 7. vom 22. August 2003. Der Bauantrag wurde mit Bescheid vom 8. Februar 2005 wegen fehlender Unterlagen und erheblicher Mängel nach § 72 Abs. 1 BauO NRW zurückgewiesen.
16Die Beigeladenen zu 2. bis 7. und der Rechtsvorgänger des Beigeladenen zu 1. stellten am 11. Mai 2005 einen neuen Antrag auf Erteilung einer Genehmigung für die Errichtung einer Stützwand. Aus dem Antragsschreiben des Architekten T1. geht hervor, es solle an der gemeinsamen Grenze zur Bundesbahn eine Betonstützwand von ca. 2 m Höhe erstellt werden. Eine entsprechende Genehmigung der Bundesbahn liege vor. Dem Antrag beigefügt waren die oben genannten Schreiben des Bundeseisenbahnvermögens an die Beigeladenen zu 2., 5. und 7. vom 1. bzw. 22. August 2003. Mit Bauschein vom 13. Oktober 2005 erteilte die Beklagte die „Genehmigung für die Errichtung einer Nebenanlage Stützwand (L = 51,56 m) mit Anschüttung“. In der Baubeschreibung, die Bestandteil der Baugenehmigung geworden ist, wird auf die beigefügte oben genannte Statik vom Dipl.-Ing. Olaf I1. vom 21. Dezember 2000 verwiesen. Die Stützwand sollte nach den genehmigten Bauvorlagen unmittelbar an der Grundstücksgrenze errichtet werden und aus 3 m hohen Stahlbetonwinkelstützenelementen bestehen. Die Oberkante-Fußplatte der Winkelstützwand sollte auf Höhe des Geländes des Flurstücks 846 liegen und so in den tragfähigen Grund eingebaut werden, dass sie etwa 1,90 m aus dem vorhandenen Gelände herausragt. Die Böschung zu den Rückwänden der Doppelhaushälften sollte einen Neigungswinkel von 30 Grad haben. Zu den genehmigten Bauvorlagen gehörte auch eine Ansichtszeichnung, nach der das Gelände an den Nordwestwänden in Höhe der Fundamente liegen und Höhen von 188,25 m bzw. 187,98 m (Nr. 11 c und 11 b) und 188,43 m bzw. 186,99 m (Nr. 11 a und 11) haben sollte. Die Böschungsneigung war in der statischen Berechnung zur Baugenehmigung mit 10 Grad angesetzt.
17Mit Schreiben vom 5. August 2010 wies die Klägerin die Beklagte darauf hin, dass nach der von ihr eingeholten gutachterlichen Stellungnahme des Dipl.-Ing. B. vom 26. Juli 2010 die Standsicherheit der Stützwand nicht mehr gegeben sei. Mit weiteren Schreiben vom 5. August 2010 bat die Klägerin die Beigeladenen um Stellungnahme. Die Beigeladenen antworteten darauf mit Schreiben vom 9. August 2010 unter anderem, dass es für die Stützwand eine Baugenehmigung gebe.
18Die Beklagte stellte im Rahmen von mehreren Ortsbesichtigungen in der zweiten Augusthälfte 2010 unter anderem fest, dass zwischen den Doppelhäusern mittels Pflanzsteinen und Geländeanschüttungen eine nicht genehmigte Stellplatzanlage angelegt worden war. Im rückwärtigen Bereich der Grundstücke der Beigeladenen zu 2. bis 5. waren mit Pflanzsteinen abgestützte Anschüttungen und Terrassierungen vorgenommen und ebene Aufenthaltsflächen etwa in Höhe des Fußbodens des Kellergeschosses angelegt worden. Die Beklagte stellte ferner fest, dass es zu Rissbildungen am Fuß der Mauer gekommen war und ein Abschnitt der Mauer sich zum Grundstück der Klägerin geneigt hatte.
19Die Beklagte forderte den Beigeladenen zu 1. mit Ordnungsverfügung vom 18. August 2010 auf, das Streifenfundament der nordwestlichen Gebäudewand des Gebäudes T.------straße Nr. 11 auf einer Breite von ca. 0,50 m bis zur Unterkante Fundament frei zu legen und durch einen Bodengutachter nachzuweisen, dass das Gebäude auf gewachsenen Baugrund geführt ist. Es sei festgestellt worden, dass die Stützmauer nicht mehr standsicher sei. Aufgrund von unterschiedlichen Darstellungen in der statischen Berechnung und den der Baugenehmigung zugrunde liegenden Architektenplänen sei es nicht ersichtlich, ob das Gebäude auf gewachsenen Boden gegründet worden sei.
20Die Beigeladenen zu 3. und 5. wurden mit Ordnungsverfügungen vom 24./25. August 2010 aufgefordert, bis zum 30. September 2010 die aus Pflanzsteinen bestehende Stützmauer sowie die dahinter liegende Anschüttung im Bereich des Stellplatzes zu entfernen. Entsprechende Duldungsverfügungen gingen an die Beigeladenen zu 2. und 4.
21Mit Ordnungsverfügung vom 30. August 2010 wurde den Beigeladenen zu 1., 3., 5. und 7. aufgegeben, bis zum 30. Oktober 2010 das Gelände auf ihren Grundstücken oberhalb der an der Grenze zum Flurstück 846 befindlichen Stützmauer so herzustellen, dass von der Oberkante der Stützmauer bis zur nordwestlichen Außenwand des Wohngebäudes ein Böschungswinkel von maximal 10 Grad entsteht, und das Gelände unterhalb der nordwestlichen Außenwand des Wohngebäudes im derzeitigen Zustand nicht zu Aufenthaltszwecken zu nutzen bzw. durch Besucher nicht nutzen zu lassen. Zur Begründung wurde ausgeführt: Bei einer am 16. August 2010 durchgeführten Ortsbesichtigung sei festgestellt worden, dass das Gelände oberhalb der Stützmauer bis etwa zur Höhe des Erdgeschossfußbodens angeschüttet und mit Pflanzsteinen abgefangen worden sei. Die derzeit vorhandene Neigung betrage mehr als 45 Grad. Die Stützmauer weise bereits Risse und Verformungen auf und sei nicht mehr standsicher. Entsprechende Duldungsverfügungen gingen an die Beigeladenen zu 2., 4. und 6.
22Mit anwaltlichem Schreiben vom 5. Oktober 2010 teilten die Beigeladenen zu 2. bis 5. mit, sie würden keine Rechtmittel gegen die Ordnungsverfügung wegen der Standsicherheit der Mauer einlegen. Es würden Maßnahmen ergriffen, um die Auflast der unteren, gegossenen Stützwand zum Flurstück 846 zu verringern.
23Mit Ordnungsverfügung vom 17. November 2010 forderte die Beklagte die Klägerin unter Androhung der Ersatzvornahme und Anordnung der sofortigen Vollziehung auf, eine 10 m breite Fläche entlang der Stützwand auf ihrem Betriebsgelände nicht mehr zu nutzen und zu betreten, diese sei abzusperren. Die Klägerin erhob hiergegen Klage vor dem Verwaltungsgericht (4 K 3668/10) und stellte zugleich einen Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage (4 L 959/10). Beide Verfahren wurden am 2. Februar 2011 durch Vergleich erledigt.
24Die Beigeladenen zu 2. bis 5. entfernten im April 2011 das hinterfüllte Erdreich an der Stützwand auf ihren Grundstücken T.------straße Nr. 11 a und 11 b und bauten die Geländeböschung zurück. Sie beseitigten weitgehend die Pflanzsteinmauer und die Stellplatzanlage zwischen den Doppelhäusern.
25Mit Schreiben vom 5. April 2011 teilte die Beklagte den Beigeladenen mit, es gebe für die Stützmauer im derzeitigen Zustand keine Baugenehmigung. Sollte bis zum 26. April 2011 kein Lösungsvorschlag vorgelegt werden, müsse der Abriss verfügt werden.
26Mit Schreiben vom 25. Mai 2011 forderte die Klägerin die Beklagte auf, eine Ordnungsverfügung zur Beseitigung der auf dem Nachbargrundstück illegal errichteten Stützmauer zu erlassen.
27Am 18. Juli 2011 stellten die Beigeladenen einen Bauantrag zur „Sanierung der bestehenden Winkelstützmauer gemäß Baugenehmigung aus 2005“. Dem Bauantrag war ein Auszug aus dem Liegenschaftskataster beigefügt. Aus diesem geht hervor, dass die Stützwand an den nordwestlichen Grenzen der Grundstücke der Beigeladenen errichtet ist. Zum Bauantrag gehörte zudem eine statische Berechnung zur „Sanierung der bestehenden Winkelstützwand (L = 51,56)“ der Firma I-L. vom 11. Juli 2011, in der ebenfalls von einem Standort der Mauer an den Grenzen ausgegangen wird. In dem I-L. Gutachten heißt es unter anderem: Die vorhandene Stahlbeton-Winkelstützmauer sei in Teilbereichen nicht mehr standsicher gewesen, da sie zum Teil nicht ordnungsgemäß geplant und ausgeführt worden sei. Es sei festgestellt worden, dass die statische Berechnung aus dem Jahre 2000, die der Baugenehmigung aus dem Jahr 2005 zugrunde liege, nicht mit der damals genehmigten Stützwandplanung des Architekten übereinstimme, da die angesetzte Böschungsneigung am Stützwandkopf mit 10 Grad wesentlich zu gering angesetzt worden sei. Die Winkelstützwand sei nicht mit Oberkante-Fußplatte auf Höhe des horizontalen Bahngeländes angeordnet, sondern ca. 0,90 bis 2 m höher. Die Sohle der Winkelstützwand befinde sich gemäß Ortsbegehung vom 19. Mai 2011 etwa im Schnittpunkt der ursprünglichen Geländeoberkante im Hangbereich und der Grundstücksgrenze. Die Oberkante der Stützwand liege demnach etwa 3 m über dem ursprünglichen Gelände. Zur Wiederherstellung der Standsicherheit der Stützmauer seien folgende Sanierungsmaßnahmen vorgesehen: „A) Obere und untere Rückverankerung des vertikalen Schenkels der vorhandenen WST durch dauerhafte, gebohrte und verpresste Ankerpfähle nach DIN EN 14199, B) Horizontale Ortbetongurtung für die obere und untere Ankerlage als Stützung des vertikalen Schenkels der WST, der nun als Verzugselement der rückverankerten Wand wirkt, C) Überprüfung ‚Betongründung‘ zur Aufnahme der Vertikalkräfte, D) kleinerer Böschungswinkel zur Verringerung der Hinterfüllungswirkung.“ Zur nachhaltigen Standsicherheit der Hangstützung werde nicht mehr von der als Schwergewichtswand wirkenden Winkelstützwand ausgegangen, da diese von vornherein zu gering bemessen gewesen und durch die hohen Einwirkungen der unplanmäßigen Ausführung überbeansprucht und geschädigt worden sei. Als Sanierungssystem werde von einer im Baugrund dauerhaft rückverankerten, ebenen Stützwand ausgegangen. Das zu stützende Gelände werde mit einer aufsteigenden Schräglage von ca. 30 Grad angesetzt und verlaufe dann, bis zur Bebauung, etwas 5 m horizontal. Die durchgeführte Bemessung der Sanierungskonstruktion zeige, dass die Standsicherheit der vorhandenen Stützwand in der zuvor beschriebenen Form dauerhaft wiederhergestellt werden könne.
28Die Klägerin wurde im Baugenehmigungsverfahren beteiligt und nahm mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 8. September 2011 Stellung.
29Die Beklagten erteilte den Beigeladenen am 5. Oktober 2011 die Baugenehmigung 1/63/BG0319/11 zur „Änderung einer Nebenanlage Sanierung einer Winkelstützmauer“. Hierin wurde einer Abweichung gemäß § 73 BauO NRW zugestimmt von den Vorschriften „§ 6 Abs. 1 i. V. m. Abs. 10 Nr. 2 BauO NW hinsichtlich der Einhaltung der Abstandflächen von baulichen Anlagen, die nicht Gebäude sind, soweit sie höher als 1 m über der Geländeoberfläche sind und dazu geeignet sind, von Menschen betreten zu werden“. Bestandteil der Baugenehmigung ist unter anderem das I-L. Gutachten vom 11. Juli 2011.
30In einem Vermerk zur Begründung der Abweichung von den Vorschriften „§ 6 Abs. 1 i. V. m. Abs. 10 Nr. 2 BauO NRW“ wird ausgeführt: Die Mauer selbst sei zeitgleich mit den Gebäuden T.------straße Nr. 11 bis 11 c im Jahr 2002 errichtet worden. Die Baugenehmigung für die Stützmauer sei am 13. Mai 2005 nachträglich erteilt worden. Auf Grund der Gefährdung der Standsicherheit der Mauer sei die dahinter befindliche Anschüttung in den letzten Monaten beseitigt worden. Zur Sanierung und Wiederherstellung der Standsicherheit der Mauer bei Erddruck würden zweireihige Erdanker gesetzt und das Geländer hinter der Stützwand wieder aufgeschüttet. Obwohl es sich dabei um eine abstandflächenauslösende bauliche Anlage nach § 6 Abs. 10 Nr. 2 BauO NRW handele, werde der Nachbar dadurch nicht mehr als bisher in seinen nachbarlichen Belangen beeinträchtigt. Die Höhe der Mauerkrone ändere sich nicht. Der Böschungswinkel werde zudem nicht steiler ausgeführt als der vormals vorhandene. Eine Beeinträchtigung hinsichtlich Besonnung, Belüftung und Belichtung sei nicht zu befürchten, da auf dem Grundstück ein Schrotthandel betrieben werde. Mit der Sanierung und Erhaltung der vorhandenen Stützmauer sei zudem die öffentliche Sicherheit und Ordnung wieder hergestellt.
31Die Klägerin hat am 27. Oktober 2011 Klage erhoben und einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt. Das Verwaltungsgericht hat dem Eilantrag mit Beschluss vom 18. Januar 2012 stattgegeben (4 L 651/11). Der erkennende Senat hat auf die Beschwerde der Beklagten am 16. März 2012 den Beschluss abgeändert und den Eilantrag abgelehnt (2 B 197/12).
32Die Beigeladenen übermittelten am 29. November 2011 eine Standsicherheitsprüfung des Dipl.-Ing. M1. zur - in Details ergänzten - Ausführungsplanung zur Stützwandsanierung der Firma I-L. vom 8. November 2011.
33Mit an die Beklagte gerichtetem Schreiben vom 24. April 2012 erklärte das Eisenbahn-Bundesamt, dass nach den dort vorliegenden Unterlagen das Grundstück der Klägerin bislang nicht von Bahnbetriebszwecken freigestellt sei.
34Der Dipl.-Ing. L1. erstellte unter dem Datum vom 22. Mai 2012 einen Aufmessungsriss, nach dem der Abstand der Mauer zur Grenze zum klägerischen Grundstück von Nordost nach Südwest zwischen 0,17, 0,56 und 0,16 m schwankt.
35Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin im Wesentlichen vorgetragen:
36Das genehmigte Vorhaben halte die erforderlichen Abstandflächen nicht ein. Das Verkehrsflächenprivileg komme nicht zum Tragen, weil ihr Grundstück seit 1960 ein Gewerbegrundstück und keine Bahnfläche sei. Der Verstoß beeinträchtige sie in der Nutzung ihres Gewerbegrundstücks.
37Die Klägerin hat beantragt,
38die den Beigeladenen vom Oberbürgermeister der Beklagten erteilte Baugenehmigung vom 5. Oktober 2011 zur „Änderung einer Nebenanlage - Sanierung einer Winkelstützmauer“ auf den Grundstücken Gemarkung E. , Flur 11, Flurstücke 847, 848, 849, 850 (postalische Anschrift T.------straße 11 - 11c, 58091 I. ) aufzuheben.
39Die Beklagte hat beantragt,
40die Klage abzuweisen.
41Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen:
42Die Baugenehmigung verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Es sei zu Recht eine Abweichung von der Einhaltung der abstandflächenrechtlichen Vorschriften erteilt worden.
43Die Beigeladenen haben beantragt,
44die Klage abzuweisen.
45Sie haben im Wesentlichen vorgetragen:
46Die Klägerin habe Abwehrrechte gegen das Vorhaben verwirkt. Die Stützmauer sei seit dem Jahr 2001 errichtet und das Bundeseisenbahnvermögen habe sich im Jahr 2003 mit den Aufschüttungen einverstanden erklärt. Dies binde auch die Klägerin. Die Stützwand verstoße nicht gegen § 6 BauO NRW. Es sei zu Recht eine Abweichung zugelassen worden. Wegen der Hanglage liege eine atypische Grundstückssituation vor. Die Klägerin nutze ihr Grundstück als Schrottplatz, so dass ihr Grundstück im Hinblick auf die durch § 6 BauO NRW geschützten Belange nicht beeinträchtigt sei. Es handele sich um eine Verkehrsfläche, der eine Schutzwirkung nicht zukomme.
47Mit Urteil vom 25. Juni 2012 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben.
48Mit Beschluss vom 26. August 2013 hat der Senat die Berufung der Beklagten und der Beigeladenen zugelassen.
49Die Beklagte trägt - ihr erstinstanzliches Vorbringen ergänzend und vertiefend - im Wesentlichen vor:
50Die Voraussetzungen einer Abweichung nach § 73 BauO NRW seien als erfüllt anzusehen. Eine Grundstücksatypik sei in der Gesamtschau der gegebenen nachbarrechtlichen Situation, welche sich aus den besonderen topographischen Verhältnissen der Grundstücke der Beigeladenen und der Klägerin ergebe, zu bejahen. Zwischen den Grundstücken habe bereits ursprünglich, also vor Errichtung der Doppelhaushälften der Beigeladenen und der fraglichen Winkelstützmauer, ein erhebliches, das Verhältnis der Grundstücke untereinander prägendes Gefälle bestanden. Die Atypik könne nicht ausschließlich und überwiegend auf die Baumaßnahmen der Beigeladenen zurückgeführt werden. Eine Einschränkung der Nutzbarkeit des Grundstücks der Klägerin infolge der Abweichungsentscheidung sei auch nicht ersichtlich. Zudem sei der Klägerin ein eigenes faktisches Interesse daran zu unterstellen, eine standsichere Winkelstützmauer an der Grundstücksgrenze zu haben, damit ihre Betriebsabläufe nicht durch herabrutschendes Erdreich gefährdet würden. Eine solche Gefährdung sei auch dann nicht auszuschließen, wenn die Winkelstützmauer komplett abgetragen würde, da das Ausgangsgefälle gleichwohl bestehen bleibe. Die Schreiben der Verwaltung des Bundeseisenbahnvermögens aus August 2003 seien bei objektiver Betrachtung dahingehend auszulegen, dass hiermit auch die streitgegenständliche Winkelstützmauer genehmigt worden sei. Ein Verzicht habe auch mündlich durch den Bahnmitarbeiter, der seinerzeit vor Ort gewesen sei, erklärt werden können. An diesem Verzicht müsse sich die Klägerin auch in Anbetracht der Aufschüttungen im Jahr 2010, die wieder beseitigt worden seien, festhalten lassen. Auf Grund des Umstands, dass die von der Klägerin genutzte Fläche bis heute nicht entwidmet sei und bis heute als Nebenanlage der Bahn genutzt werde und sie sich in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs I. -S. befinde, spreche nach wie vor auch sehr viel dafür, dass die Vorschrift des § 6 Abs. 2 Satz 2 BauO NRW im vorliegenden Fall anzuwenden sei.
51Die Beklagte beantragt,
52das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen,
53hilfsweise,
54Beweis zu der Frage zu erheben, welche Erklärungen von der Seite der Bahn im April/Mai 2003 zu der hier in Rede stehenden Stützmauer sowie zu der Anschüttung auf dem Gelände der Beigeladenen abgegeben worden sind.
55Die Beigeladenen tragen - ihr erstinstanzliches Vorbringen ebenfalls ergänzend und vertiefend - im Wesentlichen vor:
56Die Abweichungsentscheidung sei nicht materiell nachbarrechtswidrig. Die Stützmauer und die Böschung seien nicht einheitlich zu betrachten, denn es liege eine vorhandene, weitgehend natürliche Böschung vor, bestehend aus dem Felshang mit aufliegendem gewachsenem Erdreich sowie einer nur ergänzenden Anschüttung. Die Baugenehmigung und die Abweichungsentscheidung seien jedenfalls nicht zu unbestimmt. Da die Stützwand sowohl jetzt als auch im sanierten Zustand erst bei der ursprünglichen Geländeoberfläche beginne, stehe die Tiefe der Abstandfläche fest, von der die Abweichung erteilt worden sei. Ein grundstücksbezogener atypischer Sonderfall liege vor. Es treffe nicht zu, dass erst die Bebauung durch die Beigeladenen Anlass für die Stützmauer und die Dimensionierung und Ausdehnung der Anschüttungen gewesen sei. Auch die Nachbarhäuser T.------straße Nr. 7 und 9 hätten auf voller Grundstückslänge eine Stützmauer zur Sicherung ihrer Böschung errichtet. Die durch die Abstandflächenvorschriften geschützten Belange der Klägerin würden nicht durch die zu sanierende Stützmauer tangiert. Zudem seien die Schreiben des Bundeseisenbahnvermögens von August 2003 dahingehend auszulegen, dass die Zustimmung zur Aufschüttung unter den gegebenen Umständen als wirksamer Verzicht auf die Geltendmachung des nachbarlichen Abwehrrechts auch die bestehende Stützmauer umfassen sollte. Seinerzeit sei ein Mitarbeiter der Bahn vor Ort gewesen. Diesem sei von der Beigeladenen zu 2. zur Erläuterung der geplanten Anschüttung tatsächlich eine Bauzeichnung von den ihr damals vorliegenden Plänen des Architekturbüros T1. vorgelegt worden. Der Mitarbeiter der Bahn habe seinerzeit oben zwischen den Doppelhäusern gestanden und auf den Hang herabgeschaut. Er habe erklärt, gegen eine weitere Anschüttung bis zur Mauerkrone keine Bedenken zu haben. Die Klägerin habe die Grundstückssituation einschließlich Mauer und Anschüttung zudem über Jahre akzeptiert.
57Die Beigeladenen beantragten,
58das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen,
59hilfsweise,
60den Bediensteten der Bahn als Zeugen zu hören.
61Die Klägerin beantragt,
62die Berufungen zurückzuweisen.
63Sie trägt im Wesentlichen vor:
64Das streitgegenständliche Vorhaben, die Stützmauer und die daran anschließende Aufschüttung, die als Einheit zu betrachten seien, halte die erforderlichen Abstandflächen nicht ein. Für eine Abweichung nach § 73 BauO NRW fehle es an der erforderlichen Atypik. Weder die ursprüngliche Topographie noch die ursprüngliche Lage der Grundstücke zueinander hätten zwangsläufig einen Verstoß der Beigeladenen gegen § 6 BauO NRW zur Folge gehabt. Der Hang in seiner ursprünglichen Gestalt, d. h. vor der erstmaligen Bebauung der Grundstücke der Beigeladenen, habe keine Errichtung einer Stützmauer und/oder Anschüttung erfordert. Ein Abrutschen des Hangs in seiner damaligen Gestalt auf ihr Nachbargrundstück habe nicht gedroht. Es sei nichts dafür dargetan, dass die Beigeladenen ihre Grundstücke ohne den Abstandflächenverstoß nicht entsprechend den einschlägigen baurechtlichen Vorgaben angemessen baulich nutzen könnten. Die Beigeladenen wollten mit dem in Rede stehenden Bauvorhaben allein ihre besonderen Nutzungswünsche hinsichtlich ihrer Grundstücke durchsetzen bzw. wollten bauliche Maßnahmen, die sie zu diesem Zweck bereits realisiert hätten, nachträglich legalisieren, was den Anwendungsbereich des § 73 BauO NRW gerade nicht eröffne. Selbst wenn eine rechtserhebliche Atypik vorläge, wäre die in Rede stehende Abweichung mit öffentlichen Belangen nicht vereinbar. Dies folge bereits aus der Unschärfe dahingehend, in welchem Umfang den Beigeladenen eine Abweichung von der Einhaltung der Abstandflächenvorschriften erteilt worden sei. Das Vorhaben der Beigeladenen erweise sich auch im Übrigen nicht mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Der erforderliche Sozialabstand zwischen ihr, der Klägerin, einschließlich ihrer Mitarbeiter und den Beigeladenen werde durch das streitbefangene Vorhaben der Beigeladenen nicht gewahrt. Sie werde auch in der Ausnutzbarkeit ihres Grundstücks eingeschränkt. Bei den betroffenen Flächen ihres Betriebsgeländes handele es sich nicht um eine öffentliche Verkehrsfläche. Es liege auch kein wirksamer Verzicht auf Nachbarrechte vor. Die Erklärungen des Bundeseisenbahnvermögens aus 2003 könnten sich allenfalls auf die Aufschüttung in der Gestalt beziehen, die diese jeweils im damaligen Zeitpunkt der Erklärungen des Bundeseisenbahnvermögens aufwies. Dies entspreche nicht der einheitlichen baulichen Anlage bestehend aus Stützmauer und Aufschüttung in der Gestalt, die diese im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung über die Baugenehmigung 2011 hatte, und erst recht nicht der baulichen Anlage aus Stützmauer und Aufschüttung in der Gestalt, die sie durch die Baugenehmigung 2011 noch erlangen solle.
65Im Rahmen eines Ortstermins am 20. Mai 2014 hat die Berichterstatterin des Senats die Örtlichkeit in Augenschein genommen. Wegen der Einzelheiten des Ortstermins wird auf das Terminsprotokoll verwiesen.
66In der mündlichen Verhandlung am 6. Juni 2014 haben die Vertreter der Beklagten den Geländeverlauf und den Genehmigungsinhalt anhand einer von einem ihrer Statiker angefertigten Skizze erläutert. Danach soll die angefochtene Baugenehmigung einerseits den bestehenden Zustand absichern, andererseits den Beigeladenen gegebenenfalls die Möglichkeit eröffnen, in gewissem Umfang Abgrabungen vorzunehmen und Terrassen anzulegen.
67Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
68E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
69Die zulässigen, namentlich innerhalb der Frist des § 124 a Abs. 6 Satz 3, Abs. 3 Satz 3 VwGO begründeten Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen haben keinen Erfolg.
70Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Klage ist zulässig und begründet.
71I. Die Klage ist zulässig.
721. Die Klägerin ist nach § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Sie kann geltend machen, durch die streitgegenständliche Baugenehmigung möglicherweise in eigenen Rechten - hier in den ihr mit den drittschützenden abstandflächenrechtlichen Vorschriften des Bauordnungsrechts eingeräumten nachbarlichen Abwehrrechten - möglicherweise verletzt zu sein. Es ist nicht von vornherein auszuschließen, dass die bauliche Anlage, die Gegenstand der angefochtenen Genehmigung ist, die nach § 6 BauO NRW erforderlichen Abstandflächen nicht einhält und die von der Beklagten erteilte Abweichung von der Einhaltung der erforderlichen Abstandflächen nicht den gesetzlichen Anforderungen nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 BauO NRW entspricht.
732. An dem erforderlichen allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis für die Klage gegen die streitgegenständliche Baugenehmigung fehlt es offensichtlich auch nicht deswegen, weil die hiermit (unter anderem) ermöglichte Sanierung der Stützmauer insoweit im Interesse der Klägerin ist, als damit die aus einer einsturzgefährdeten Stützmauer an der Grundstücksgrenze gerade für ihr eigenes Grundstück ausgehenden Gefahren beseitigt würden. Denn die Sanierung der - was inzwischen zwischen den Beteiligten unstreitig ist - bisher formell illegalen Stützmauer entsprechend der streitgegenständlichen Baugenehmigung stellt keinesfalls die einzige und aus Sicht der Klägerin offenkundig auch nicht die eingriffsschwächste Möglichkeit der Herstellung eines Zustands dar, in dem von den Grundstücken der Beigeladenen keine Gefährdung durch herabstürzende Bauteile und herabrutschendes Erdreich mehr für das Grundstück der Klägerin ausgeht.
74II. Die Klage ist begründet.
75Die den Beigeladenen von der Beklagten erteilte Baugenehmigung vom 5. Oktober 2011 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
76Die Baugenehmigung ist in nachbarrechtswidriger Weise unbestimmt (dazu 1.). Darüber hinaus verstößt sie gegen die die Klägerin schützende Vorschrift des § 6 BauO NRW (dazu 2.). Die von der Beklagten nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 BauO NRW erteilte Abweichung ist nachbarrechtswidrig (dazu 3.). Ein Verzicht auf die Geltendmachung von Abwehrrechten gegen das genehmigte Vorhaben und den hiermit verbundenen Abstandflächenverstoß liegt nicht vor (dazu 4.). Die Klägerin hat ihren Abwehranspruch auch nicht verwirkt (dazu 5.).
771. Die Baugenehmigung ist in nachbarrechtswidriger Weise unbestimmt.
78Gegenstand der streitgegenständlichen Genehmigung und damit das zu betrachtende Vorhaben ist im Ansatz eine erstmalige Legalisierung einer baulichen Anlage bestehend aus der - schon vorhandenen, zu sanierenden - Stützmauer mit einer dahinterliegenden Anschüttung als Gesamtanlage. Auf der Grundlage und nach den Vorgaben der Genehmigung soll die bestehende Stützmauer unter Verwendung der vorhandenen Bausubstanz saniert und die dahinter liegende Anschüttung (jedenfalls in einem ersten Abschnitt hinter der Mauer) auf einen Böschungswinkel von 30 Grad gebracht werden. Damit ermöglicht die Baugenehmigung auch eine Vervollständigung der Anschüttung, da derzeit das Erdreich direkt hinter der Stützmauer im Bereich der Grundstücke T.------straße Nr. 11 a und 11 b zur Entlastung der Stützmauer entfernt ist. Zur Sanierung der Stützmauer gehört und gerade deren Sinn und Zweck ist es vorliegend - wovon auch alle Beteiligten im Ausgangspunkt übereinstimmend ausgehen -, die (vollständige) Anschüttung des Geländes wieder in bestimmtem Umfang zu legalisieren. Diese Anschüttung soll die Stützmauer abfangen. Die Stützmauer und die Anschüttungen bilden deswegen offenkundig funktional eine Einheit; sie sind ‑ gerade deswegen - auch baulich-konstruktiv miteinander verbunden.
79Allerdings bleibt - wie die mündliche Verhandlung ergeben hat - unklar, welcher bauliche Endzustand konkret von der Baugenehmigung legalisiert werden soll. Diese Unklarheit wirkt sich mit Blick auf §§ 6 Abs. 2 Satz 1, 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 BauO NRW auch nachbarrechtsrelevant aus.
80Das Bestimmtheitsgebot verlangt in seiner nachbarrechtlichen Ausprägung , dass sich der Baugenehmigung und den genehmigten Bauvorlagen mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen lassen muss, dass nur solche Baumaßnahmen und Nutzungen erlaubt sind, die Nachbarrechte nicht beeinträchtigen können. Ist eine Baugenehmigung in dieser Hinsicht inhaltlich nicht hinreichend bestimmt, führt dies zu einem Abwehrrecht des Nachbarn, wenn sich die Unbestimmtheit gerade auf solche Merkmale des Vorhabens bezieht, deren genaue Festlegung erforderlich ist, um eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften auszuschließen und - zusätzlich - wenn die insoweit mangelhafte Baugenehmigung aufgrund dessen ein Vorhaben zulässt, von dem der Nachbar konkret unzumutbare Auswirkungen zu befürchten hat. Wie weit das nachbarrechtliche Bestimmtheitserfordernis im Einzelnen reicht, beurteilt sich nach dem jeweils anzuwendenden materiellen Recht.
81Vgl. zuletzt etwa OVG NRW, Urteile vom 15. Juli 2013 - 2 A 969/12 -, BauR 2014, 667 = juris Rn. 58, vom 15. Mai 2013 - 2 A 3009/11 -, juris Rn. 41, und vom 29. Oktober 2012 - 2 A 723/11 -, juris Rn. 35, jeweils m. w. N.
82Die streitgegenständliche Baugenehmigung ist insoweit unbestimmt, als ihr nicht eindeutig zu entnehmen ist, wie die Anschüttungen im Nahbereich zu den Nordwestwänden der Wohnhäuser der Beigeladenen ausgestaltet werden soll. Die Baugenehmigung selbst bezeichnet das Bauvorhaben nur mit „Sanierung der bestehenden Winkelstützmauer (L = 51,56 m gemäß Baugenehmigung aus 2005“. Im I-L. Gutachten vom 11. Juli 2011, das Gegenstand der Baugenehmigung ist, ist unter dem Punkt 2.3 „Geplante Sanierung der Stützwandkonstruktion“ als eine zur Wiederherstellung der Standsicherheit vorgesehene Maßnahme ein „kleinerer Böschungswinkel zur Verringerung der Hinterfüllungseinwirkung“ genannt. Der Böschungswinkel ist mit 30 Grad klar - weil auch für die statischen Berechnungen maßgeblich - festgelegt. Im Nahbereich der Mauer ist die Anschüttung dementsprechend auszugestalten. Wie aber das Gelände im Hausbereich im Endzustand aussehen soll, regelt die Baugenehmigung nicht eindeutig. Die unter dem Punkt 2.3 des I-L. Gutachtens eingefügte als Bild 6 bezeichnete Skizze zeigt zwar auf einer Höhe von ca. 188,00 m über NN eine (mindestens) 5 m tiefe ebene Fläche. Die Darstellung ist allerdings nicht maßstabgerecht. Unter Punkt 3.1 „oberes und unteres Berechnungssystem“ wird - allerdings nur zum „Statischen System zur Sanierung“ - überdies ausgeführt, das zu stützende Gelände werde in einer aufsteigenden Schräglage von 30 Grad angesetzt und verlaufe dann, bis zur Bebauung, etwa 5 m horizontal. Inwieweit eine solche Ausgestaltung im weiteren Verlauf der Anschüttung im Hausbereich und wie konkret mit der Baugenehmigung zwingend vorgegeben ist, geht aus dieser jedoch letztlich nicht eindeutig hervor. Die sich aus dem Bild 6 ergebende und unter dem Punkt 3.1 angesprochene Ausgestaltung mit einem ca. 5 m tiefen Plateau auf einer Höhe deutlich unter Kellerniveau erscheint schon deswegen, weil sie weder zeichnerisch noch textlich genauer - auch nicht im Einzelnen für die vier Wohnhäuser der Beigeladenen jeweils - beschrieben wird, lediglich als eine Option. Nur dahingehend lassen sich auch die Äußerungen der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung verstehen. Ob bzw. welche Vorgaben die Baugenehmigung hinsichtlich der Gestaltung der Anschüttung im Hausbereich mache, konnten diese nicht klar erläutern. Ungeklärt blieb danach auch, ob die Baugenehmigung Abgrabungen, die für die Anlegung eines Plateaus auf einer Höhe deutlich unter Kellerniveau erforderlich wären, tatsächlich legalisiert. In der von Herrn H. angefertigten Skizze ist eine Ausführung mit einer ca. 4,50 m tiefen ebenerdigen Fläche auf einer Höhe von 188,43 m über NN für das Haus T.------straße Nr. 11a ebenfalls nur als „möglich“ bezeichnet. Wie den Erklärungen des Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung zu entnehmen war, gehen diese offenbar davon aus, dass sie auf der Grundlage der Baugenehmigung in der Gestaltung des Hausbereichs, solange nur ein Steigungswinkel von 30 Grad eingehalten wird, (relativ) frei sind.
83Diese demnach gegebene Unbestimmtheit der Baugenehmigung hinsichtlich der Vorgaben, die sie für die Gestaltung der Anschüttung im Hausbereich macht, ist in den hier gegebenen Grundstücksverhältnissen auch nachbarrechtsrelevant. Der bauliche Endzustand der Gesamtanlage Stützmauer mit Anschüttung ist hier nicht nur maßgeblich für die - hier überhaupt nicht vorgenommene - Ermittlung der Tiefe der Abstandflächen und damit die Frage, in welchem Umfang diese auf das Grundstück der Klägerin fallen. Vielmehr ist gerade unter dem Aspekt der Einhaltung eines angemessenen Sozialabstands, der hier nicht zuletzt im Rahmen der vorliegend erforderlichen Abweichungsentscheidung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 BauO NRW besondere Bedeutung erlangt (vgl. dazu im Einzelnen unter 2.), für die Klägerin unter Abwehrrechtsgesichtspunkten relevant, ob die Wohnnutzung auf den Grundstücken der Beigeladenen durch Schaffung einer noch unter Kellerniveau liegenden Terrassenfläche nicht unerheblicher Ausdehnung näher an ihr gewerblich genutztes Grundstück heranrückt - oder nicht.
842. Stützmauer und Anschüttung halten im Anschluss daran die erforderlichen Abstandflächen nicht ein.
85a) Die als Einheit zu betrachtende baulichen Anlage bestehend aus der zu sanierenden Stützmauer und der dahinter herzustellenden Anschüttung unterfällt dem Abstandflächenerfordernis nach § 6 Abs. 10 Satz 1 Nr. 2 BauO NRW. Sie ist - wie bereits ausgeführt - mehr als 1 m (ausgehend von den vorliegenden Unterlagen 3 m plus x) über der Geländeoberfläche und überdies in seiner Gesamtheit geeignet, von Menschen betreten zu werden. Dass die Stützmauer selbst nicht direkt betreten werden kann, ist insoweit unschädlich. Die nach § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 BauO NRW erforderlichen Abstandflächen hält die bauliche Anlage nicht ein. Die Mauer selbst als Teil der Gesamtanlage müsste jenseits des erforderlichen Grenzabstands beginnen.
86Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 17. Februar 2011 - 7 B 1803/10 -, BRS 78 Nr. 188 = juris Rn. 33, und vom 10. Februar 2010 - 7 B 1368/09 -, juris Rn. 22.
87Die Stützmauer befindet sich jedoch - was auf der Grundlage des vom Dipl.-Ing. L1. erstellten Aufmessungsrisses vom 22. Mai 2012 zwischen den Beteiligten inzwischen ebenfalls unstreitig ist - in einem Abstand von nur 0,16 bis 0,56 m von der Grundstücksgrenze entfernt. Die erforderlichen Abstandflächen - ungeachtet der Frage nach ihrer genauen Tiefe - liegen demnach entgegen § 6 Abs. 2 Satz 1 BauO NRW nicht auf den Grundstücken der Beigeladenen.
88b) Dies ist vorliegend auch nicht etwa deswegen unschädlich, weil die Abstandflächen gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 BauO NRW auf eine öffentliche Verkehrsfläche fallen.
89Nach dieser Vorschrift dürfen Abstandflächen abweichend von § 6 Abs. 2 Satz 1 BauO NRW, wonach diese auf dem Grundstück selbst liegen müssen, auch auf öffentlichen Verkehrsflächen, öffentlichen Grünflächen und öffentlichen Wasserflächen liegen, jedoch nur bis zu deren Mitte.
90Öffentliche Verkehrsflächen sind nach Systematik und Sinn und Zweck der Vorschrift Flächen, die ihrer Zweckbestimmung entsprechend für den öffentlichen Verkehr dauerhaft in der für sie vorgesehenen Form gesichert, daher einer Bebauung entzogen und somit zur Aufnahme der Abstandflächen angrenzender Gebäude geeignet sind. Im Verhältnis zwischen diesen Flächen und einem Baugrundstück kann es nicht zu den durch die Abstandflächenvorschriften geregelten Nutzungskonflikten kommen.
91Vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2003- 7 A 4101/01 -, juris Rn. 39 ff., Beschlüsse vom 3. April 1992 - 7 B 3794/91 -, S. 5 f. des amtlichen Umdrucks, und vom 8. Juli 1987 - 7 B 1192/87 -, EStT NRW 1988, 100; siehe auch die amtliche Begründung zu § 6 Abs. 2 Satz 2 BauO NRW 1984 LT-Drs. 9/2721, S. 76.
92Öffentliche Verkehrsflächen sind zunächst die zur Erschließung angrenzender Grundstücke bestimmten Straßen, Wege und Plätze. Zu den öffentlichen Verkehrsflächen zählen z. B. auch öffentliche Eisenbahnen, öffentliche Wasserstraßen und öffentliche Flugplätze. Diese öffentlichen Verkehrsflächen unterfallen § 6 Abs. 2 Satz 2 BauO NRW nach Systematik und Sinn und Zweck jedoch nur, soweit sie - wie eine dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straße - zur Aufnahme von Abstandflächen geeignet sind, weil sie einer Bebauung dauerhaft sicher entzogen sind. Dies trifft auf einen dem (öffentlichen) Eisenbahnverkehr dienenden Schienenweg regelmäßig zu.
93Vgl. zum Merkmal der Öffentlichkeit der Eisenbahnen nach Eisenbahnrecht z. B. OVG NRW, Beschluss vom 4. Januar 2012 - 8 A 281/10 -, juris Rn. 27 ff.
94Anders ist dies für Flächen auf einem Bahngelände zu beurteilen, auf denen bauliche Anlagen errichtet werden können - sei es auf der Grundlage eisenbahnrechtlicher Planfeststellung bzw. Plangenehmigung, sei es auf der Grundlage einer Baugenehmigung, wenn der zu errichtenden Anlage die Eisenbahnbetriebsbezogenheit fehlt. Solche Flächen unterfallen § 6 Abs. 2 Satz 2 BauO NRW nicht, weil nicht sichergestellt ist, dass sie dauerhaft einer Bebauung entzogen sind.
95Vgl. Johlen, in: Gädtke/Czepuck/u.a., BauO NRW, 12. Aufl., 2011, § 6 Rn. 173; siehe auch Kamp/Schmickler, in: Schönenbroicher/Kamp, BauO NRW, 2012, § 6 Rn. 142.
96So liegt es hier. Die Fläche unterhalb der Stützmauer, auf die die Abstandflächen fallen, liegt nicht im unmittelbaren Nahbereich der Bahngleise, die allein die Klägerin zu betrieblichen Zwecken auf der Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung mit der Bahn nutzt, sondern von diesen Bahngleisen abgesetzt, und dient der Klägerin im Wesentlichen als Lagerfläche. Dafür, dass eine Bebauung dieser Fläche - z. B. mit einer von der Klägerin in der Vergangenheit angedachten Halle für den Gewerbetrieb, aber auch mit kleineren, den betrieblichen Zwecken der Klägerin dienenden baulichen Anlagen - im Hinblick auf die vorhandenen Bahngleise und dessen Nutzung dauerhaft in keiner Weise in Betracht kommt, ist - auch unter Berücksichtigung der im Ortstermin von der Berichterstatterin gewonnen, den übrigen Mitgliedern des Senats vermittelten Eindrücke von den örtlichen Verhältnissen - nichts ersichtlich. Hiervon geht offenbar, worauf dahingehende Äußerungen ihrer Vertreter in der mündlichen Verhandlung hindeuteten, auch die Beklagte nicht aus. Auf die von ihr unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OVG NRW vom 15. März 1974 - X B 32/74 -, OVGE MüLü 29, 245 ff., aufgeworfene Frage, nach welchem Rechtsregime eine solche bauliche Anlage errichtet werden könnte,
97vgl. zur Abgrenzung der Zuständigkeit von Eisenbahnbundesamt und Baugenehmigungsbehörde z. B. OVG NRW, Urteil vom 15. März 2011 - 20 A 2148/09 -, DVBl. 2011, 767 = juris Rn. 145 ff., Beschluss vom 8. Februar 2010 - 8 B 1652/09.AK -, NVwZ-RR 2010, 475 = juris Rn. 33 ff., Urteil vom 27. April 1998 - 7 A 3818/96 -, BRS 60 Nr. 165 = juris Rn. 3 ff.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10. Dezember 2001 - 5 S 2274/01 -, BRS 64 Nr. 176 = juris Rn. 22 f.,
98kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht an.
993. Die von der Beklagten nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 BauO NRW erteilte Abweichung von der Einhaltung der Abstandflächenvorschriften ist nachbarrechtswidrig. Dies ergibt sich bereits daraus, dass es am Vorliegen einer hierfür zu verlangenden atypischen Grundstückssituation fehlt.
100Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW kann, soweit in diesem Gesetz oder in aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften nichts anderes geregelt ist, die Genehmigungsbehörde Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen dieses Gesetzes und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind. Abweichungen von § 6 sind nach § 73 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW insbesondere zulässig, wenn durch das Vorhaben nachbarliche Interessen nicht stärker oder nur unwesentlich stärker beeinträchtigt werden als bei einer Bebauung des Grundstücks, die nach § 6 BauO NRW zulässig wäre.
101Die Regelungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 BauO NRW setzt - wie der Senat bereits in seinem im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Beschluss vom 16. März 2012 - 2 B 187/12 - ausgeführt hat - einen Sachverhalt voraus, der von dem der gesetzlichen Regelung der Abstandflächen zugrunde liegenden Normalfall in so deutlichem Maße abweicht, dass die strikte Anwendung des Gesetzes zu Ergebnissen führt, die der Zielrichtung der Norm nicht entsprechen. Nur eine grundstücksbezogene Atypik - insbesondere Besonderheiten der Lage und des Zuschnitts der benachbarten Grundstücke zueinander oder im topografischen Geländeverlauf - kann eine Abweichung rechtfertigen, nicht aber außergewöhnliche Nutzungswünsche eines Eigentümers, die eine noch stärkere Ausnutzung seines Grundstücks erfordern als nach § 6 BauO NRW ohnehin schon zulässig. § 73 BauO NRW ist kein Instrument zur Legalisierung gewöhnlicher Rechtsverletzungen. Im Übrigen muss § 73 BauO NRW so ausgelegt werden, dass er dem verfassungsrechtlichen Gebot der Bestimmtheit von Normen genügt und dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht widerspricht. Auch eine Auslegung der Vorschrift, die es der Behörde ermöglichen würde, über die Normanwendung im Bereich des Abstandflächenrechts mehr oder minder nach Belieben zu verfügen, würde diesen Anforderungen nicht genügen. Die Anwendung des § 6 BauO NRW wäre jedoch ins Belieben der Bauaufsichtsbehörden gestellt, wenn es für die Zulässigkeit einer Abweichung - unter Verzicht auf das Erfordernis einer besonderen Situation im Einzelfall - allein darauf ankäme, ob denkbare alternative Bebauungsmöglichkeiten, die nach § 6 BauO NRW zulässig wären, zu allenfalls unwesentlich stärkeren Beeinträchtigungen nachbarlicher Interessen führen würden. Die Regelungen des § 6 BauO NRW sollen dem Nachbarn ein angemessenes Maß an Schutz garantieren, aber zugleich auch den Standard dessen festlegen, was ein Nachbar an Bebauung in welchem Abstand hinzunehmen hat. Die Gewährleistung dieser Schutzziele erfordert eine strikte Beachtung der vorgeschriebenen Abstandflächen. Könnten die festgelegten normativen Standards allein mit Blick auf die Möglichkeit einer alternativen, nach § 6 BauO NRW zulässigen Bebauung außer Acht gelassen werden, wäre eine gleichmäßige Anwendung des Gesetzesvollzugs nicht gewährleistet.
102Vgl. zum Ganzen auch OVG NRW, Beschluss vom 19. Juli 2013 - 2 A 2056/12 -, juris Rn. 22, Urteil vom 29. Oktober 2012 - 2 A 723/11 -, juris Rn. 82, Beschluss vom 25. September 2012 - 2 B 1048/12 -, S. 9 des amtlichen Umdrucks, jeweils m.w.N.
103Eine Hanglage - wie die vorliegend vorhandene - führt ausgehend von dem Vorstehenden nicht automatisch auf eine atypische Grundstückssituation. Die Abstandflächenvorschriften bieten im Grundsatz auch eine adäquate Konfliktlösung im hängigen Gelände, auch im hier in Rede stehenden Verhältnis zwischen einem Hanggrundstück und einem angrenzenden ebenerdigen Grundstück. Insoweit kommt es ebenfalls auf eine wertende Vergleichsbetrachtung der Auswirkungen des streitgegenständlichen (Anschüttungs-)Vorhabens mit denen eines Alternativvorhabens schon im Grundsatz nicht an.
104Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10. Februar 2010 - 7 B 1368/09 -, juris Rn. 25.
105Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind die Voraussetzungen für eine Abweichung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 BauO NRW vorliegend nicht gegeben. Nach den im Hauptsacheverfahren gewonnenen Erkenntnissen über die Örtlichkeit und die Genese der Bebauung der Grundstücke der Beigeladenen einschließlich der in der Vergangenheit erfolgten Errichtung einer quasi-grenzständigen Stützmauer und Veränderungen des Geländes liegt eine vom Senat auf der Grundlage der summarischen Betrachtung des Eilverfahrens noch ernsthaft in Betracht gezogene atypische Grundstückssituation nicht vor. Die mit dem streitgegenständlichen Bauvorhaben verbundene Unterschreitung der Abstandflächen resultiert hier nicht aus einer besonderen (atypischen) Grundstückssituation, sondern ist allein auf eine stärkere als nach § 6 BauO NRW zulässige Ausnutzung der Grundstücke der Beigeladenen zurückzuführen. Dies ergibt sich aus folgender Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls:
106Für den Zeitpunkt der Errichtung der Stützmauer und der darauffolgenden erstmaligen Vornahme von Anschüttungen des Geländes, auf den sich die streitgegenständliche Baugenehmigung nach dem Vorstehenden als Legalisierungsbaugenehmigung rückbezieht und der insoweit Ausgangspunkt der - wertende Elemente einbeziehenden - Betrachtung ist, ob Raum für eine Abweichungsentscheidung besteht, lässt sich das Vorliegen einer atypischen Grundstückssituation nach den oben genannten Maßstäben nicht feststellen. Nach den im Hauptsacheverfahren gewonnenen zusätzlichen Erkenntnissen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass vorliegend zunächst allein die Bebauung der Grundstücke der Beigeladenen mit Wohnhäusern eine Veränderung der Hanglage - Errichtung einer Stützmauer mit Anschüttung - im Bereich zwischen den Nordwestwänden der Wohnhäuser und dem Grundstück der Klägerin im Ausgangszustand nicht erforderlich machte. Die Bauantragsunterlagen (Ansichtszeichnungen und Schnitte), die Bestandteil der Baugenehmigungen aus 2000 geworden sind, sahen vor, dass das vorhandene Gelände in den südöstlichen Grundstücksbereichen zur Straße angeschüttet werden, in den nordwestlichen Bereichen jedoch unverändert bleiben sollte. In Richtung des Bahngeländes waren nur Balkone, aber keine ebenerdigen Nutz- bzw. Aufenthaltsflächen in Richtung des Bahngeländes vorgesehen. In dem oben genannten Schreiben des Architekturbüros T1. an die Beklagte vom 2. Februar 2000 wird ausdrücklich darauf Bezug genommen, dass im Böschungsbereich zur Bahn hin eine Aufforstung mit ortsüblichem Gehölz als begrünter, natürlicher Sichtschutz zum Bahngewerbegelände empfohlen werde. Das natürliche Gelände zwischen den Nordwestwänden der Wohnhäuser und dem Grundstück der Klägerin hätte nach Errichtung der Wohnhäuser demnach ohne Veränderung erhalten bleiben können. Zum damaligen und auch zum jetzigen Zeitpunkt war und ist die Standsicherheit der Wohnhäuser unabhängig von der Anschüttung und der diese abstützenden Mauer gewährleistet. Die Beklagte hat diesen Sachverhalt, nachdem die Gefährdung der Standsicherheit der Stützmauer offenkundig geworden war, geprüft. Dies mündete konkret für das Wohnhaus des Beigeladenen zu 1. in der Ordnungsverfügung vom 18. August 2010, mit der aufgegeben wurde, durch einen Bodengutachter nachzuweisen, dass das Gebäude auf gewachsenen Grund geführt sei. Standsicherheitsbedenken in Bezug auf die Wohnhäuser der übrigen Beigeladenen wurden zu keinem Zeitpunkt erhoben. Die topografischen Verhältnisse erforderten und erfordern demnach eine Anschüttung mit einer diese sichernden Stützmauer schon grundsätzlich nicht. Die Wohnhäuser der Beigeladenen, mit denen die jeweiligen Grundstücke ohnehin schon vergleichsweise stark baulich ausgenutzt wurden, waren - unter Zugrundelegung der Baugenehmigungsunterlagen - ohne ebenerdige Nutz- bzw. Aufenthaltsflächen in Richtung des Bahngeländes konzipiert. Stattdessen wurden - gerade der erheblichen Hanglage entsprechend - Balkone auf zwei Ebenen geplant. Dies ermöglichte eine den topografischen Verhältnissen angepasste, aber zugleich angemessene bauliche Ausnutzung der Grundstücke. Die Anschüttung mit Stützmauer lässt sich demgegenüber allein auf den Wunsch der Beigeladenen zurückführen, den zum Bahngelände hin gelegenen Bereich ihrer Grundstücke - entgegen der Ursprungskonzeption der Bebauung, die an die vorgefundene, die Grundstücke prägende Hanglage angepasst war - ebenfalls bzw. optimaler ausnutzen zu können.
107Es lässt sich überdies auf der Grundlage der Feststellungen im Hauptsacheverfahren auch nicht sagen, dass eine Anschüttung mit Stützmauer im rückwärtigen Bereich der Grundstücke der Beigeladenen, wenn eine solche - entgegen dem Vorstehenden - für eine angemessene bauliche Nutzung der Grundstücke als erforderlich angesehen werden müsste, aufgrund der topografischen Gegebenheiten zwangsläufig nur unter Inkaufnahme eines Abstandflächenverstoßes zu Lasten des klägerischen Grundstücks erfolgen konnte bzw. könnte. Es ist weder seitens der Beigeladenen substantiiert dargelegt noch sonst etwas dafür ersichtlich, dass eine Anschüttung mit Stützmauer, die außerhalb einer einzuhaltenden Abstandfläche beginnen würde, nicht auf eine Gestaltung der Hanglage im rückwärtigen Nahbereich der Wohnhäuser führen könnte, die die Schaffung ebenerdiger Nutz- bzw. Aufenthaltsflächen in Richtung des Bahngeländes in gewissem Umfang ermöglichen würde. Soweit die Beigeladenen andeuten, hierfür erforderliche bauliche Maßnahmen - Errichtung einer Stützmauer höher am Hang - würden zu einer Destabilisierung des Hangs mit negativen Auswirkungen auf die Standsicherheit der Wohnhäuser führen, bleibt dies reine Spekulation. Auch die Dimensionierung der Anschüttung, die auf den in Rede stehenden Abstandflächenverstoß führt, erweist sich demnach allein als durch den Wunsch der Beigeladenen nach möglichst weitgehender baulicher Ausnutzung ihrer Grundstücke bestimmt. Durch die vorgefundenen topografischen Gegebenheiten an sich ist der Abstandflächenverstoß auch insoweit nicht veranlasst.
108Eine atypische Grundstückssituation lässt sich vorliegend auch nicht unter Bezugnahme auf die vom Ausgangszustand vor der Bebauung der Grundstücke der Beigeladenen mit Wohnhäusern inzwischen abweichende aktuelle (faktische) Situation begründen. Denn diese Grundstückssituation - sanierungsbedürftige, quasi-grenzständig errichtete Stützmauer mit (inhomogener, teilweise beseitigter) Anschüttung, die den natürlichen Hangverlauf deutlich verändert hat - haben die Beigeladenen - die im Hauptsacheverfahren zur Genese der baulichen Veränderungen im Hangbereich ihrer Grundstücke gewonnenen Erkenntnisse zugrundegelegt - selbst durch (formell und materiell) illegale Baumaßnahmen herbeigeführt. Dies schließt es nach den bereits im Eilbeschluss vom 16. März 2012 - 2 B 197/12 - und vorstehend erneut dargestellten Maßstäben aus, in der gegebenen konkreten Grundstückssituation von einer Atypik als Voraussetzung für eine Abweichung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 BauO NRW auszugehen. Von Bauherrn in rechtswidriger Weise selbst geschaffene Grundstückssituationen können nach Systematik und Sinn und Zweck der Vorschrift eine Abweichung von den grundsätzlich streng einzuhaltenden Abstandflächenvorschriften grundsätzlich – wie auch hier ‑ nicht rechtfertigen.
109Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. Juli 1988- 7 A 2897/88 -, BRS 48 Nr. 139 = juris Rn 30; Bay. VGH, Urteil vom 22. Dezember 2011- 2 B 11.2231 -, juris Rn. 18.
110Vorliegend beruht die aktuelle Grundstückssituation allein auf illegalen Baumaßnahmen der Beigeladenen. Dies ergibt sich aus der Entwicklung des Baugeschehens, die das Verwaltungsgericht bereits im Einzelnen zutreffend dargestellt hat: Nach den Bauanträgen aus 1999/2000 sollte der Hangverlauf zwischen den Nordwestwänden der zu errichtenden Wohngebäude und dem klägerischen Grundstück unverändert bleiben. Dennoch wurde parallel zur Errichtung der Wohnhäuser die streitgegenständliche Stützmauer errichtet. Bereits im Dezember 2000 fertigte der Dipl.-Ing. I1. für die Eigentümergemeinschaft T.------straße eine statische Berechnung für die Errichtung einer Stützwand mit Anschüttung an der Grenze zum Grundstück der Klägerin an. Auf die Schreiben der Beklagten vom 25. Oktober 2011 gerichtet an die Beigeladenen zu 4. und 5. und die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 6. und 7., in denen darauf hingewiesen wurde, dass es für die 3 m hohe Stützmauer zum benachbarten Bahngelände keine Baugenehmigung gebe, antwortete der zuständige Architekt T1. mit Schreiben vom 1. März 2002 offenkundig wahrheitswidrig, die Stützwand werde bei Beendigung der Arbeiten „wieder angeböscht“ eine Höhe von nur 2 m haben. Auf den in den Bescheinigungen zur Fertigstellung der Bauvorhaben gemäß § 82 BauO NRW vom 3. Dezember 2002 enthaltenen Hinweis der Beklagten, das Gelände zur nördlichen und nordwestlichen Grundstücksgrenze im 3 m Grenzbereich sei entsprechend dem natürlichen Verlauf wiederherzustellen, reagierten die Beigeladenen zu 2., 3., 6. und 7. bzw. der Rechtsvorgänger des Beigeladenen zu 1. nicht. Sie bemühten sich zwar ab Ende 2002 um eine Zustimmung des Bundeseisenbahnvermögens zu einer Anschüttung auf ihren Grundstücken. Weder auf diese noch die im Jahr 2005 erteilte Baugenehmigung können sich die Beigeladenenn im vorliegenden Zusammenhang jedoch berufen. Die Zustimmungserklärungen des Bundeseisenbahnvermögens aus August 2003 deckten - wie unten stehend im Einzelnen ausgeführt wird - jedenfalls keine die Standsicherheit der Stützmauer und damit die Sicherheit des Bahngrundstücks gefährdenden Anschüttungen. Solche nahmen die Beigeladenen in der Folgezeit jedoch, insbesondere die Beigeladenen zu 2. bis 5. in großem Umfang, vor. Dass mit der Baugenehmigung 2005 weder die vorhandene Stützmauer noch die/eine dahinterliegende Anschüttung legalisiert wurde, war bei objektivierter Betrachtung überdies offenkundig. Es war auch für die Beigeladenen, ungeachtet dessen, dass sie sich falsche Angaben des von ihnen bevollmächtigten Architekten ohnehin zurechnen lassen müssen, nicht zu übersehen, dass es sich bei der vorhandenen Stützmauer nicht um eine solche handelte, die lediglich 1,90 m - sondern 3 m und damit 1,10 m höher - aus dem Gelände herausragte. Dass die insbesondere von den Beigeladenen zu 2. bis 5. nach Erteilung der Baugenehmigung vorgenommenen Anschüttungen einen von der Baugenehmigung 2005 allenfalls legalisierten Böschungswinkel von 30 Grad nicht einhielten, war ebenfalls ohne Weiteres erkennbar. Gerade die Beigeladenen zu 2. bis 5. haben durch - eigenen Angaben im Ortstermin zufolge seit Erteilung der Baugenehmigung im Jahr 2005 stetig - fortgesetzte Anschüttungen und Abstützung derselben durch in einem Winkel von deutlich mehr als 45 Grad aufgebaute Pflanzsteine den Druck auf die - illegal errichtete - Stützmauer stetig erhöht, bis diese schließlich dem Druck sichtbar nicht mehr standhielt und vorläufige Sicherungsmaßnahmen durch teilweise Abtragung von Erdreich erforderlich wurden. Die Beigeladenen zu 1., 6. und 7. haben, obwohl auch für diese erkennbar gewesen sein muss, dass die Anschüttungen und Abstützungen durch Pflanzsteine mit dem in der Baugenehmigung 2005 vorgeschriebenen Böschungswinkel von allenfalls 30 Grad nicht in Einklang standen, die Baumaßnahmen der Beigeladenen zu 2. bis 5. nicht unterbunden. Dieses Unterlassen ist den Beigeladenen zu 1., 6. und 7. - ungeachtet der von ihnen im Einzelnen konkret selbst vorgenommenen Anschüttungen und sonstigen baulichen Veränderungen des Hangs - im Rahmen der hier gebotenen wertenden Betrachtung zuzurechnen, da alle Beigeladenen bzw. deren Rechtsvorgänger stets als Gesamtverantwortliche für die Stützmauer mit Anschüttungen in Erscheinung getreten sind.
111Haben die Beigeladenen die jetzige Situation demnach durch wiederholte, jeweils offenkundig illegale bauliche Maßnahmen bzw. deren Hinnahme verursacht, scheidet die Annahme einer atypischen Grundstückssituation bezogen auf den aktuellen Zustand schon grundsätzlich aus.
112Fehlt es demnach an einer atypischen Grundstückssituation, kommt es auf die Frage, ob die Abweichungsentscheidung der Beklagten im Übrigen nachbarrechtskonform getroffen worden ist, nicht an.
1134. Der Geltendmachung des Abwehrrechts gegen die nachbarrechtswidrige Abstandflächenunterschreitung steht ein Verzicht der Klägerin nicht entgegen. Eine Zustimmung der früheren Eigentümerin des klägerischen Grundstücks, des Bundeseisenbahnvermögens, die einem Abwehrrecht der Klägerin gegen das streitgegenständliche Vorhaben entgegen gehalten werden könnte, liegt nicht vor. Dem von der Beklagten und den Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsbeweisantrag war insoweit auch nicht nachzugehen.
114Den vorliegenden Schreiben des Bundeseisenbahnvermögens an die Beigeladenen zu 2., 5. und 7. und den Rechtsvorgänger des Beigeladenen zu 1. aus August 2003 lässt sich, auch unter Berücksichtigung der mündlichen Äußerungen, die ein Bediensteter der Bahn nach den Angaben der Beigeladenen zu 2. im April/Mai 2003 vor Ort getätigt haben soll, eine Zustimmung zu dem konkreten Vorhaben, das Gegenstand der streitgegenständlichen Baugenehmigung ist, schon nicht entnehmen.
115Die - gegebenenfalls auch mündliche - Zustimmung eines Nachbarn zu einem Bauvorhaben ist als Verzicht auf eventuelle öffentlich-rechtliche Nachbarrechte zu werten, wenn sie sich eindeutig auf ein konkretes Bauvorhaben bezieht und die Baugenehmigung für dasselbe Vorhaben erteilt worden ist, dem der Nachbar zugestimmt hat.
116Vgl. OVG NRW, Urteile vom 20. November 2013 - 7 A 2341/11 -, BauR 2014, 252 = juris Rn. 54, vom 2. September 2010 - 10 A 2616/08 -, juris Rn. 32, 47, und vom 20. Februar 2006 - 7 A 1358/04 -, juris Rn. 39, Beschlüsse vom 16. April 2012 - 7 A 1984/10 -, juris Rn. 38, 40, vom 30. März 2004 - 7 B 2430/03 -, juris Rn. 4, vom 28. Juni 2002 - 7 B 1061/02 -, juris Rn. 5, vom 30. August 2000 - 10 B 1145/00 -, BRS 63 Nr. 204 = juris Rn. 3 ff., und vom 20. Januar 2000 - 7 B 2103/99 -, BRS 63 Nr. 186 = juris Rn. 5 f.
117Ein Nachbar ist grundsätzlich frei in seiner Entscheidung, ob er einem Vorhaben zustimmt oder nicht. Dementsprechend kann er einerseits sein Einverständnis frei begrenzen, einschränken oder von Bedingungen abhängig machen, andererseits aber auch relativ pauschal sein Einverständnis mit einer Nachbarbebauung erklären. Die Frage, wie weit sich ein Einverständnis des Nachbarn mit einem Vorhaben bzw. sein Verzicht auf ein etwa gegen dieses Vorhaben gerichtetes Abwehrrecht auf seine nachbarliche Abwehrposition auswirkt, beantwortet sich daher allein nach dem konkreten, gegebenenfalls durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt der von ihm zu dem Nachbarvorhaben abgegebenen Erklärung. Eine Unterschrift unter die das Vorhaben verdeutlichenden Baupläne stellt dabei regelmäßig die schlüssige Erklärung eines umfassenden Verzichts auf nachbarliche Einwendungen gegenüber dem in diesen Bauzeichnungen konkretisierten Vorhaben dar. § 74 Abs. 3 BauO NRW, wonach bei einer Unterzeichnung der Baupläne die Beteiligung der Angrenzer auch im Zusammenhang mit einer Entscheidung über die Zulassung von Abweichungen zu den bauordnungsrechtlichen Anforderungen unterbleibt, legt diesen regelmäßigen Erklärungsgehalt von Unterschriften auf Bauplänen seiner gesetzlichen Regelung zugrunde.
118Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30. März 2004 - 7 B 2430/03 -, juris Rn. 8, Beschluss vom 28. Juni 2002 - 7 B 1061/02 -, juris Rn. 7, und vom 30. August 2000 - 10 B 1145/00 -, BRS 63 Nr. 204 = juris Rn. 3 ff., Urteil vom 23. Januar 1995 - 7 A 3705/92 -, S. 12 des amtlichen Umdrucks.
119Gleiches gilt für einen nach Erteilung der Baugenehmigung erklärten Verzicht auf Abwehrrechte gegen ein konkretes Vorhaben. In einen solchen Verzicht kann nicht ohne weiteres hinein gelesen werden, die Erklärung erstrecke sich auch auf (spätere) Nachbarrechtsverletzungen durch ein abweichendes Vorhaben oder durch abweichend genehmigte Teile des ursprünglichen Vorhabens. Dies gilt grundsätzlich selbst dann, wenn sich das spätere Vorhaben oder dessen teilweise geänderte Bauausführung objektiv als weniger beeinträchtigend herausstellen sollte als dasjenige, mit dem sich der Nachbar einverstanden erklärt hatte. Der Nachbar ist rechtlich grundsätzlich nicht gehindert, eine bestimmte Beeinträchtigung hinzunehmen, ohne auf Abwehrrechte gegen eine objektiv geringere Beeinträchtigung zu verzichten. Es gibt keinen rechtlichen Grundsatz, dass ein Verzicht auf ein Abwehrrecht gegen ein konkretes Bauvorhaben generell auch für alle (nach Ansicht des Bauherrn und der Genehmigungsbehörde) objektiv weniger belastendes Vorhaben gilt.
120Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. März 2004- 7 B 2430/03 -, juris Rn. 11.
121Unter welchen Voraussetzungen die Änderung eines Vorhabens zum Erlöschen einer zuvor für eine bestimmte Bauausführung erklärte nachbarliche Zustimmung führt bzw. hierdurch die Bindungswirkung einer nachbarlichen Zustimmungserklärung entfällt, ist nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Abweichungen in der tatsächlichen Bauausführung, die sich auf nachbarrechtsrelevante Bereiche beziehen, sind, soweit nichts anderes vereinbart, von vornherein von der vorausgehenden Zustimmung des Nachbarn nicht mit abgedeckt; einem insoweit geänderten Vorhaben kommt die Zustimmungserklärung damit insgesamt nicht mehr zugute. Aber auch Änderungen, die sich nicht auf potentiell nachbarrechtsrelevante Bereiche beziehen, können dazu führen, dass eine vorher erklärte Zustimmung das geänderte Vorhaben insgesamt nicht mehr abdeckt, wenn sich nämlich die Änderungen auf Elemente des Bauvorhabens beziehen, die, was ggf. durch Auslegung zu ermitteln ist, in ihrer bei Abgabe der Zustimmungserklärung den Beteiligten bewussten Gestaltungsform mit Grundlage für diese Zustimmung waren. Ist bei der Zustimmung auf Zeichnungen Bezug genommen worden, so bestimmt sich die Beurteilung im Grundsatz nach den Darstellungen dieser Zeichnungen.
122Vgl. OVG NRW, Urteile vom 30. August 2000- 10 B 1145/00 -, BRS 63 Nr. 204 = juris Rn. 9 und vom 23. Januar 1995 - 7 A 3705/92 -, S. 12 f. des amtlichen Umdrucks.
123Der in einer Zustimmung zu einem benachbarten Bauvorhaben liegende Verzicht auf öffentlich-rechtliche Abwehransprüche bindet auch den nachfolgenden Eigentümer, wenn das Abwehrrecht - wie hier - aus Normen des öffentlichen Baurechts abgeleitet ist, deren nachbarschützende Wirkung sich auf das Grundstück bezieht.
124Vgl. OVG NRW, Urteile vom 20. November 2013 - 7 A 2341/11 -, BauR 2014, 252 = juris Rn. 57 f., und vom 2. September 2010 - 10 A 2616/08 -, juris Rn 47 ff.
125Ausgehend von diesen Grundsätzen deckt die mit Schreiben vom 1. August 2003 an die Beigeladene zu 2. und die mit Schreiben vom 22. August 2003 an die Beigeladenen zu 5., 7. und den Rechtsvorgänger des Beigeladenen zu 1. erklärte Zustimmung des Bundeseisenbahnvermögens als damalige Eigentümerin des klägerischen Grundstücks zu „einer Aufschüttung“ auf den Grundstücken der Beigeladenen das Vorhaben, das Gegenstand der streitigen Baugenehmigung ist - die nämlich erstmalige Legalisierung der zu sanierenden Stützmauer mit Anschüttung in der jetzt in Rede stehenden Gestalt – nicht ab. Selbst unter Einbeziehung des Vorbringens der Beigeladenen zu den von einem Bediensteten der Bahn vor Ort getätigten Äußerungen lässt sich die Zustimmungserklärung nicht entsprechend auslegen.
126Die Erklärungen der Rechtsvorgängerin der Klägerin können bei objektivierter Auslegung schon nicht dahingehend verstanden werden, dass mit ihnen eine Zustimmung zu dem seinerzeit in Rede stehenden Vorhaben - eine Gesamtanlage bestehend aus einer bereits illegal errichteten Stützmauer mit nunmehr beabsichtigter Vervollständigung der Auffüllung (bis zur Mauerkrone) - erklärt werden sollte.
127In dem „Leitschreiben“ an die Beigeladene zu 2. vom 1. August 2003 - die Schreiben vom 22. August 2003 beziehen sich auf dieses und sind im Übrigen inhaltsgleich - wird unter Bezugnahme auf ein Schreiben der Beigeladenen zu 2. vom 16. Juni 2003 und auf mit der Beigeladenen zu 2. geführte Telefonate formuliert: „Gegen eine Anschüttung Ihres Grundstücks bestehen von hier keine Bedenken.“ Diese Erklärung bezieht sich, wie das Verwaltungsgericht bereits zutreffend zugrunde gelegt hat, zunächst lediglich auf „eine Anschüttung“. Die Stützmauer wird in der Erklärung nicht erwähnt. Dass auf diese in dem Schreiben der Beigeladenen zu 2. vom 16. Juni 2003 - das nicht vorliegt - Bezug genommen wird, haben die Beigeladenen nicht vorgetragen. In dem stattdessen zu den Akten gereichten Schreiben der Beigeladenen an die Deutsche Bahn AG/Deutsche Bahn Immobilien AG vom 31. Oktober 2002, in dem sie darum bitten, „die Aufschüttung“ auf ihren Grundstücken zu genehmigen, fehlt es ebenfalls an einer Bezugnahme auf die Stützmauer - geschweige denn eine beabsichtigte Legalisierung der ohne Baugenehmigung errichteten Stützmauer. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Beigeladene zu 3. erklärt, dass, als das Bundeseisenbahnvermögen im August 2003 sein Einverständnis mit einer Aufschüttung des Geländes gegeben habe, die streitige Mauer noch nicht vollständig hinterfüllt gewesen sei. Seine Frau, die Beigeladene zu 2., habe deshalb bei der zuständigen Behörde nachgefragt, ob mit Blick auf die Hinterfüllung Bedenken bestünden. Seinerzeit sei auch jemand von der Bundesbahn herausgekommen und habe sich die Situation vor Ort angeschaut. Dass in diesem Zusammenhang ausdrücklich auch über die - bereits illegal errichtete - Stützmauer gesprochen worden wäre, ist damit gleichfalls nicht dargetan. Im Berufungsverfahren haben die Beigeladenen schriftsätzlich ergänzend ausgeführt, die Beigeladene zu 2. habe damals dem Mitarbeiter der Bahn im Ortstermin zur Erläuterung der geplanten Anschüttung tatsächlich eine Bauzeichnung von den ihr damals vorliegenden Plänen des Architekturbüros T1. vorgelegt. Diese Schnittzeichnung, die als Anlage zur Gerichtsakte gereicht wurde, zeigt das Wohnhaus der Beigeladenen zu 2. und 3. (unter anderem) mit einem von den Baugenehmigungsunterlagen abweichenden Anschüttungszustand. Danach sind nicht nur Anschüttungen im straßenseitigen südöstlichen Bereich vorgesehen, sondern weitergehende Anschüttungen im nordwestlichen Bereich, die die Herrichtung einer Terrasse auf der Höhe des Kellergeschosses im rückwärtigen Bereich ermöglichen. Hinter dem Terrassenbereich fällt das Gelände nach dieser Schnittzeichnung in einem Winkel von vielleicht 45 Grad ab. Die Schnittzeichnung stellt den weiteren Verlauf der Anschüttung in Richtung des klägerischen Grundstücks, insbesondere die Stützmauer und eine Anschüttung in diesem Bereich, aber ebenfalls nicht weiter dar. Dass die - illegale - Stützmauer in die Zustimmungserklärung der Bahn einbezogen wurde, ergibt sich auch nicht aus den Äußerungen, die der Bedienstete der Bahn, der nach den Angaben der Beigeladenen zu 2., so wie sie der Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung wiedergegeben hat, im April/Mai 2003 vor Ort getätigt haben soll. Die Erklärung, „gegen eine weitere Anschüttung bis zur Mauerkrone habe er keine Bedenken“, bezieht sich wiederum nur auf die Anschüttung, auch wenn die Mauerkrone der Stützmauer als Bezugspunkt hierfür genannt wird.
128Dies zugrundegelegt, ist nicht feststellbar, dass die Verantwortlichen für das Bundeseisenbahnvermögen bei objektivierter Betrachtung der von ihnen getätigten schriftlichen und mündlichen Äußerungen den Willen hatten, eine Zustimmung nicht nur zu einer Anschüttung, sondern auch zu der bereits illegal ohne Rücksicht auf einschlägige Abstandflächenvorgaben errichteten Stützmauer zu erteilen, sie also eine Zustimmung zu der tatsächlich in Rede stehenden Legalisierung einer Gesamtanlage bestehend aus Stützmauer und Anschüttung geben wollten. Die Beigeladenen haben auch ihren eigenen Angaben zufolge zu keinem Zeitpunkt vom Bundeseisenbahnvermögen die Zustimmung auch zu der illegal errichteten Stützmauer erbeten. Andernfalls wäre eine ausdrückliche Einbeziehung der Stützmauer in die Zustimmungserklärung auch mehr als naheliegend gewesen. Dies ist aber gerade nicht erfolgt.
129Unbeschadet des Vorstehenden wäre aber auch dann, wenn die Zustimmungserklärung des Bundeseisenbahnvermögens so auszulegen wäre, dass sie sich auf eine Gesamtanlage bestehend aus - bereits vorhandener, illegal errichteter - Stützmauer mit einer Anschüttung (bis zur Mauerkrone) bezog, weder die bei Abgabe der Zustimmungserklärung geplante Gesamtanlage von dieser abgedeckt, noch umfasste die Zustimmungserklärung das Vorhaben, das jetzt Gegenstand der streitgegenständlichen Baugenehmigung ist.
130Die Zustimmungserklärung aus August 2003 kann sich allenfalls auf die vorhandene Stützmauer mit einer dahinterliegenden Anschüttung beziehen. Die Stützmauer war jedoch, so wie sie dort stand - und allein in dieser Form konnte sie Gegenstand der Zustimmung des Bundeseisenbahnvermögens werden - von Anfang an nicht geeignet, eine Anschüttung von 30 Grad, die bei Abgabe der Zustimmungserklärung mindestens im Raum stand, abzustützen. Dass die Zustimmung des Bundeseisenbahnvermögens eine nicht standsichere Stützwand-/Anschüttungskonstruktion bei objektiver Auslegung nicht umfassen sollte, ist offensichtlich und wird mit dem Hinweis in den Schreiben von August 2003 darauf, dass dafür Sorge getragen werden möge, dass durch die Aufschüttung eine Gefährdung des Grundstücks ausgeschlossen sei, deutlich. Schon im Ansatz war damit die bei Abgabe der Zustimmungserklärung in Rede stehende Gesamtanlage bestehend aus der damals vorhandenen Stützwand mit Anschüttung von der Zustimmung des Bundeseisenbahnvermögens nicht gedeckt.
131Das Vorhaben, das jetzt Gegenstand der streitgegenständlichen Baugenehmigung ist, ist von der Zustimmungserklärung gleichfalls unter keinem Blickwinkel umfasst. Zwar ist Gegenstand der streitgegenständlichen Baugenehmigung eine - erstmals standsichere - Gesamtkonstruktion aus Stützmauer und Anschüttung. Um diese Standsicherheit zu gewährleisten, muss jedoch die Stützmauer in einer Art und Weise baulich verändert werden, die sie gegenüber der bestehenden Stützmauer, auf die sich die damalige Zustimmung allein erstrecken konnte, als abweichendes Vorhaben erscheinen lässt. Die bestehende Stützmauer stellt sich - wie im I-L. Gutachten vom 11. Juli 2011 ausgeführt - als „Schwergewichtswand wirkende Winkelstützwand“ dar. Die sanierte Mauer wird eine im Baugrund dauerhaft rückverankerte Stützwand und damit ihrer Konstruktion nach etwas anderes sein. Die hierfür erforderlichen - umfangreichen - baulichen Maßnahmen einschließlich der erforderlichen Eingriffe in den Baugrund im Nahbereich zur Grundstücksgrenze werden in der statischen Berechnung vom 11. Juli 2011 und der Ausführungsplanung vom 8. November 2011 im Einzelnen dargestellt. Die Standsicherheitsfrage stellt sich für die zu sanierende Stützmauer ausgehend von der (ein)geplanten Wiedervervollständigung und Anpassung der Anschüttung neu. Zu einem solchermaßen neukonzipierten Vorhaben aus zu sanierender, auch in ihrer Konstruktion veränderter Stützmauer mit angepasster Anschüttung hat die Rechtsvorgängerin der Klägerin mit ihren Erklärungen im Jahr 2003 bei objektivierter Auslegung keine Zustimmung erteilt.
132Dem hilfsweise gestellten Beweisantrag der Beklagten,
133Beweis zu erheben „zu der Frage, welche Erklärungen von der Seite der Bahn im April/Mai 2003 zu der hier in Rede stehenden Stützmauer sowie zu der Anschüttung auf dem Gelände der Beigeladenen abgegeben worden sind“,
134und dem hieran anknüpfenden Hilfsbeweisantrag der Beigeladenen,
135„den Bediensteten der Bahn als Zeugen zu hören“,
136war nicht nachzukommen. Es handelt sich um einen Beweisermittlungs- bzw. Beweisausforschungsantrag, der eine Pflicht des Gerichts zur Beweiserhebung nicht auslöst.
137Vgl. hierzu nur BVerwG, Beschlüsse vom 31. Januar 2002 - 7 B 92.01 -, juris Rn. 3, und vom 29. März 1995 - 11 B 21.95 -, juris Rn. 4.
138Weder die Beklagte noch die Beigeladenen haben die - weitergehenden - Aussagen, die ein Mitarbeiter der Bahn im April/Mai 2003 vor Ort zu der Stützmauer und der Anschüttung auf dem Gelände der Beigeladenen getätigt haben und die also unter Beweis gestellt werden sollen, benannt. Soweit den Hilfsbeweisanträgen die unausgesprochene Behauptung zugrundeliegt, ein Mitarbeiter der Bahn habe noch weitergehende Erklärungen zu der Stützmauer und der Anschüttung - welchen konkreten Inhalts auch immer - abgegeben als die, die die Beigeladenen selbst bisher benannt haben, erfolgt diese Behauptung erkennbar „ins Blaue hinein“. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch nach den Angaben der Beigeladenen zu 2., die selbst mit dem Bahnmitarbeiter, der vor Ort gewesen sein soll, gesprochen haben will und die auch im Übrigen mit der Bahn im Zusammenhang mit deren Zustimmungserklärung kommuniziert hat, irgendwelche weitergehenden Erklärungen von der Seite der Bahn nicht - auch mündlich nicht - abgegeben wurden.
1395. Der Abwehranspruch der Klägerin gegen den mit dem streitgegenständlichen Vorhaben verbundenen Abstandflächenverstoß ist schließlich auch nicht verwirkt.
140Im Hinblick auf die formelle Illegalität der baulichen Anlage, die Gegenstand der Genehmigung ist, kommt lediglich die Verwirkung des materiell-rechtlichen Abwehrrechts in Betracht. Für die Verwirkung des materiellen Rechts kommt es darauf an, ob der Berechtigte während eines längeren Zeitraums ein ihm zustehendes Recht nicht geltend macht, obwohl er hierfür Anlass hat, und ob ein solches Verhalten geeignet ist, bei dem Verpflichteten den Eindruck zu erwecken, der Berechtigte werde sein Recht nicht (mehr) ausüben. Die Verwirkung eines Rechtes setzt außer der Untätigkeit des Berechtigten während eines längeren Zeitraums (sog. Zeitmoment) ferner voraus, dass besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (sog. Umstandsmoment). Was die längere Zeit anbetrifft, während der ein Recht nicht ausgeübt worden ist, obwohl dies dem Berechtigten möglich gewesen wäre, lassen sich grundsätzlich keine allgemeingültigen Bemessungskriterien nennen. Die Dauer des Zeitraums der Untätigkeit des Berechtigten, von der an im Hinblick auf die Gebote von Treu und Glauben von einer Verwirkung die Rede sein kann, hängt entscheidend von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Die Untätigkeit des Berechtigten während eines längeren Zeitraums verstößt insbesondere dann gegen Treu und Glauben, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Der Rechtsgedanke der Verwirkung schützt das in das Verhalten des anderen gesetzte Vertrauen. Wo die letztlich schadensverursachende Maßnahme - die Bauarbeiten - nicht auf einem solchen Vertrauen beruht, sondern unabhängig von einem eventuellen Vertrauen vorgenommen ist, kann insoweit keine Verwirkung eintreten.
141Vgl. zum Ganzen BVerwG, Beschluss vom 16. April 2002 - 4 B 8.02 -, BRS 65 Nr. 195 = juris Rn. 11, Urteil vom 16. Mai 1991 - 4 C 4.89 -, BRS 52 Nr 218 = juris Rn. 22 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - 2 B 1090/12 -, BauR 2013, 507 = juris Rn. 8 ff., Urteile vom 4. September 2008 - 7 A 2358/07 -, juris Rn. 58 ff., und vom 24. April 2001 - 10 A 1402/98 -, BRS 64 Nr. 188 = juris Rn. 6 ff.
142Wann eine Verwirkung in diesem Sinne anzunehmen ist, hängt maßgeblich von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab; die Verwirkung als Grundlage für einen Rechtsverlust des Nachbarn trotz fortdauernder Rechtswirkung und ggf. beeinträchtigender Wirkung einer baulichen Anlage kann allerdings nur in Ausnahmefällen angenommen werden.
143Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10. Juni 2005- 10 A 3664/03 -, BRS 69 Nr. 178 = juris Rn. 9.
144Grundsätzlich können materielle Abwehrrechte des Nachbarn auch gegenüber ungenehmigten Bauvorhaben verwirkt werden.
145Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. März 1988- 4 B 50.88 - BauR 1988, 332 = juris Rn. 2.
146Ein Eigentümerwechsel ist im vorliegenden Zusammenhang nicht relevant. Die jeweiligen Abwehrrechte sind dingliche, d. h. auf die beteiligten Grundstücke bezogen. Ein neuer Eigentümer rückt in die Rechtsstellung des früheren ein. Vertrauenschaffende Handlungen bzw. vertrauenschaffendes Nichtstun des Rechtsvorgängers muss sich der neue Eigentümer entgegen halten lassen.
147Vgl. nur OVG NRW, Urteil vom 29. März 2012- 2 A 2558/10 -, S. 28 des amtlichen Umdrucks; OVG S.-A., Beschluss vom 4. Juni 2012 - 2 L 56/11 -, NVwZ-RR 2012, 752 = juris Rn. 7, m. w. N.
148Nach Maßgabe dieser Grundsätze lässt sich nicht feststellen, dass die Klägerin ihr Abwehrrecht gegen die mit der Baugenehmigung legalisierte bauliche Maßnahme und den hiermit verbundenen Abstandflächenverstoß verwirkt hätte.
149Eine Verwirkung kommt hier schon grundsätzlich nicht in Betracht, weil für den Beginn des Zeitraums, der für eine Verwirkung des materiellen Abwehrrechts der Klägerin gegen den Abstandflächenverstoß in Betracht zu ziehen ist, auf die Erteilung der streitgegenständlichen Baugenehmigung abzustellen ist.
150Die streitgegenständliche Baugenehmigung bedeutet für die Geltendmachung nachbarlicher Abwehrrechte der Klägerin eine Zäsur. Für die Klägerin stellt sich die Frage des Vorgehens neu, da mit der Baugenehmigung erstmals eine Legalisierung einer bisher ungenehmigten abstandflächenwidrigen baulichen Anlage in neu konzeptionierter Gesamtgestaltung erfolgt.
151Vgl. in diesem Zusammenhang für den Fall der erstmaligen Legalisierung eines ungenehmigten Zimmereibetriebs BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1991 - 4 C 4.89 -, BRS 52 Nr. 218 = juris Rn. 23; im Anschluss daran für die Legalisierung eines Baustofflagers OVG NRW, Urteil vom 21. März 1995 - 11 A 1089/91 -, BRS 57 Nr. 68 = juris Rn. 39 ff.
152Wie vorstehend bereits ausgeführt weicht die bauliche Anlage, die Gegenstand der Baugenehmigung ist, von vorherigen illegalen Zuständen und überdies vom aktuellen Zustand entscheidend ab. Die Stützmauer wird im Zuge der Sanierung ihrer Grundkonstruktion nach umgestaltet. Hierfür sind bauliche Maßnahmen erforderlich, die unter anderem mit Eingriffen in den Baugrund im Nahbereich zum klägerischen Grundstück erforderlich sind. Grundlage der Sanierung und Bestandteil der streitgegenständlichen Baugenehmigung ist erstmalig eine von einem Böschungswinkel von 30 Grad ausgehende statische Berechnung. Die Baugenehmigung ermöglicht auch nicht lediglich die Beibehaltung einer bereits bestehenden Anschüttung, sondern - ausgehend vom Genehmigungszeitpunkt und Jetzt-Zustand - eine Vervollständigung und Anpassung der Anschüttung, von der sich nicht feststellen lässt, dass sie im jetzt genehmigten Zustand - und sei es dem Rahmen nach - überhaupt über einen längeren Zeitraum bestanden hat.
153Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.
154Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.
155Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
(1) Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht.
(2) Auf die Wirksamkeit der Willenserklärung ist es ohne Einfluss, wenn der Erklärende nach der Abgabe stirbt oder geschäftsunfähig wird.
(3) Diese Vorschriften finden auch dann Anwendung, wenn die Willenserklärung einer Behörde gegenüber abzugeben ist.
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Die zulässigen Beschwerden sind begründet.
3Die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem privaten Interesse des Antragstellers, von der sofortigen Vollziehung der Baugenehmigung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens verschont zu bleiben, und dem öffentlichen sowie dem privaten Interesse der Beigeladenen an einer sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung fällt zu Lasten des Antragstellers aus.
4Bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes regelmäßig gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist nicht erkennbar, dass die den Beigeladenen unter dem 15. Mai 2014 von der Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Wohngebäudes mit drei Wohnungen auf dem Grundstück F.‑Straße 28 in N. den Antragsteller in subjektiven öffentlichen Rechten verletzt, auf die er sich berufen kann, sodass entgegen der gesetzlichen Wertung des § 212a BauGB die aufschiebende Wirkung der gegen die Baugenehmigung gerichteten Klage anzuordnen wäre.
5Insbesondere kann der Antragsteller im Hinblick auf die genehmigte Absenkung des Geländes auf dem Vorhabengrundstück einen Verstoß gegen § 9 Abs. 3 BauO NRW nicht mit Erfolg geltend machen.
6Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Vereinbarkeit der im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilten Baugenehmigung mit § 9 Abs. 3 BauO NRW geprüft. Da das Vorhaben materiell-rechtlich mit § 9 Abs. 3 BauO NRW übereinstimmen muss und die genehmigte Veränderung der Geländeoberfläche als grundlegende Voraussetzung des Vorhabens von diesem nicht zu trennen ist, entspricht es dem Gebot effektiven Rechtsschutzes, die Zulässigkeit der Geländeveränderung im Rahmen des Antrags nach den §§ 80a, 80 Abs. 5 VwGO zu behandeln und den Rechtsschutz suchenden Nachbarn nicht auf einen zusätzlichen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Geländeveränderung und einen entsprechenden Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO zu verweisen.
7Anders kann es sein, wenn eine genehmigte Veränderung der Geländeoberfläche eine mit dem genehmigten Baukörper nicht unmittelbar zusammenhängende Grundstücksfläche betrifft.
8Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. Mai 2012 – 10 B 364/12 –; siehe auch Beschluss vom 1. August 2006 ‑ 10 B 170/06 ‑.
9Letztlich kann hier offenbleiben, ob die Baugenehmigung mit § 9 Abs. 3 BauO NRW vereinbar ist. Nach dieser Vorschrift kann bei der Errichtung baulicher Anlagen verlangt werden, dass die Geländeoberfläche aus den in der Vorschrift genannten Gründen erhalten oder verändert wird. Zugleich bietet sie auch den Maßstab für die Zulässigkeit einer vom Bauherrn gewünschten Veränderung der Geländeoberfläche, die der Rechtfertigung bedarf. Es muss einer der in der Vorschrift genannten Gründe für die Geländeveränderung vorliegen.
10Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 29. September 1995 – 11 B 1258/95 –, BRS 57 Nr. 162, und vom 3. August 2006 – 10 B 1169/04 –, juris, Rn. 7 f., sowie Urteil vom 26. April 2010 – 7 A 2162/09 –, juris, Rn. 40 ff.
11Für die Vereinbarkeit der hier genehmigten Abgrabung mit § 9 Abs. 3 BauO NRW spricht, dass sie auf der straßenzugewandten Seite des Vorhabens der Angleichung an die Verkehrsfläche und damit zugleich seiner Vereinbarkeit mit § 49 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 55 Abs. 4 Satz 4 BauO NRW dient. Angesichts des Wortlautes des § 9 Abs. 3 BauO NRW, der die Geländeoberfläche insgesamt anspricht, ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass diese Erwägungen – etwa unter dem Gesichtspunkt der Barrierefreiheit – im Einzelfall auch eine entsprechende Nivellierung der Grundstückshöhe im rückwärtigen Bereich des Grundstücks erlauben.
12Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 1. August 2006 ‑ 10 B 170/06 ‑, und Urteil vom 26. April 2010 – 7 A 2162/09 –, juris, Rn. 46.
13Der Antragsteller wird durch die genehmigte Veränderung der Geländeoberfläche jedenfalls nicht in subjektiven Rechten verletzt.
14§ 9 Abs. 3 BauO NRW kommt nicht hinsichtlich jeder Veränderung der Geländeober-fläche nachbarschützende Wirkung zu. Sie ergibt sich vielmehr insbesondere im Zusammenhang mit den Regelungen über die Abstandflächen in § 6 BauO NRW. Veränderungen der Geländeoberfläche dürfen nicht dazu führen, dass der durch § 6 BauO NRW bezweckte Nachbarschutz beeinträchtigt wird. Ein Verstoß des Vorhabens gegen die Regelungen des § 6 BauO NRW, auf den sich der Antragsteller trotz seiner Zustimmung vom 26. Juni 2013 zu dem grenzständig geplanten Vorhaben berufen könnte, ist nicht ersichtlich.
15Über den Nachbarschutz in Verbindung mit den Abstandflächenvorschriften hinaus vermittelt § 9 Abs. 3 BauO NRW Nachbarschutz nur insoweit, als bei der Genehmigung von Veränderungen der Geländeoberfläche an der Nachbargrenze Belange des Angrenzers zu berücksichtigen sind.
16Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. September 1995 ‑ 11 B 1258/95 ‑, a.a.O., und Urteil vom 26. April 2010 – 7 A 2162/09 –, a.a.O.
17Dass die hier genehmigte Absenkung der Geländeoberfläche im rückwärtigen Bereich des Vorhabengrundstücks an der Grenze zu dem Grundstück des Antragstellers, die teilweise fast zwei Meter beträgt, Belange des Antragstellers unverhältnismäßig oder rücksichtslos beeinträchtigt, ist nicht erkennbar.
18Insbesondere sind Probleme der Statik (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW), die auch im vereinfachten Genehmigungsverfahren (§ 68 Abs. 1 Satz 4 BauO NRW) bei der Legalisierung einer Abgrabung erheblichen Umfangs angesichts der damit etwaig verbundenen Gefahren im Einzelfall zu beachten sein können,
19vgl. zum Brandschutz OVG NRW, Beschlüsse vom 28. Januar 2009 – 10 B 1075/08 –, juris, und vom 12. Januar 2015 – 2 B 1386/14 –,
20weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Baugenehmigung verpflichtet die Beigeladenen auch dazu, an der Grundstücksgrenze für eine Absturzsicherung zu sorgen.
21Wenn, wie hier, keine Erhöhung, sondern eine Absenkung der Geländeoberfläche eines Grundstücks vorgenommen wird, kann sich dadurch eine Rechtsverletzung des Angrenzers regelmäßig nur bei besonderen Umständen ergeben, da, anders als bei einer Geländeerhöhung, Beeinträchtigungen der Belichtung und Besonnung seines Grundstücks ausscheiden und es auch nicht einer verstärkten Einsichtnahme ausgesetzt sein kann.
22Vgl. OVG NRW, Urteil vom 26. April 2010 – 7 A 2162/09 –, a.a.O., Rn. 49.
23Das Verwaltungsgericht hat eine Rechtsverletzung des Antragstellers durch die genehmigte Abgrabung darin gesehen, dass dadurch ein Vorhaben mit einem weiteren Geschoss ermöglicht werde. Dieser Aspekt gibt hier aber keinen Grund zur Aufhebung der Baugenehmigung, denn der Antragsteller hat sich seiner nachbarlichen Abwehrrechte hinsichtlich der Errichtung eines zweieinhalbgeschossigen Gebäudes an seiner Grundstücksgrenze begeben, indem er einem solchen Vorhaben am 26. Juni 2013 wirksam zugestimmt hat.
24Dieses vorbehaltlose Einverständnis enthält einen Verzicht auf bestehende oder erst entstehende Abwehrrechte aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Denn es unterliegt der Dispositionsbefugnis des Grundstückseigentümers, die Geltendmachung materieller Abwehrpositionen auszuschließen. Eine solche Vereinbarung führt dazu, dass die Geltendmachung nachbarlicher Abwehrrechte, die auf die von ihr erfassten Abwehrpositionen gestützt wird, gegen Treu und Glauben verstößt.
25Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. September 2010 – 10 A 2616/08 –, juris, Rn. 47.
26Der Senat teilt die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass bei der gebotenen Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB aus der auf der Kopie eines Kartenauszugs verfassten Erklärung und der dortigen Skizzierung des geplanten Baukörpers eindeutig hervorgeht, dass der Antragsteller der Errichtung eines zweieinhalbgeschossigen, grenzständigen Gebäudes auf dem Vorhabengrundstück zugestimmt hat, das sein eigenes Wohnhaus deutlich überragt. Dass ihm bei der Abgabe seiner Zustimmungserklärung keine Bauzeichnungen mit konkreten Maßangaben vorlagen, führt nicht zur Unbestimmtheit oder Unwirksamkeit der Zustimmungserklärung. Sie bezieht sich eben nicht auf ein in allen baulichen und gestalterischen Einzelheiten bereits feststehendes Vorhaben, sondern bestimmt nur den groben Rahmen, innerhalb dessen sich das Vorhaben halten muss, um von der Zustimmung gedeckt zu sein.
27Die angesprochene Skizze des Vorhabens ist zwar nicht maßstabsgetreu, doch überragt danach der skizzierte Baukörper das Wohnhaus des Antragstellers um mindestens ein Drittel. Demgegenüber erlaubt die Baugenehmigung nur eine Überschreitung der Höhe des Wohnhauses des Antragstellers um weniger als ein Fünftel und geht mithin hinsichtlich der Zahl der Vollgeschosse und der Höhe, Breite und Tiefe des Baukörpers nicht über die Zustimmungserklärung des Antragstellers hinaus.
28Der Schriftsatz des Antragstellers vom 14. Januar 2015 führt zu keinem anderen Ergebnis. Soweit er damit vorträgt, die Beigeladenen hätten, bevor er die Zustimmungserklärung unterzeichnet habe, wiederholt erklärt, der in der Skizze grün gekennzeichnete Baukörper werde nur etwa 1 m höher sein als der vorhandene eingeschossige Anbau, folgt daraus nicht, dass das Vorhaben von der Zustimmungserklärung nicht gedeckt wäre. Er hat mit seiner Unterschrift einem „zweigeschossigen Anbau + Dach an unserer Grundstücksgrenze … für den grün gekennzeichneten Bereich“ zugestimmt. Schon wegen der damit akzeptierten Zweigeschossigkeit des Neubaus musste ihm klar sein, dass das Vorhaben auch in dem rückwärtigen Bereich erheblich höher sein wird als der dort bisher vorhandene Anbau und auch seinen eigenen eingeschossigen Anbau deutlich überragt. Darüber hinaus geht aus der Skizze hinreichend deutlich hervor, dass die Höhen der Außenwände des Vorhabens über die gesamte Bautiefe die Firsthöhe des Wohngebäudes des Antragstellers erreichen dürfen. Hinter dieser maximal zulässigen Ausnutzung der Zustimmung bleibt das Vorhaben sogar zurück, denn auch die oberen Abschlüsse der Außenwände des genehmigten Zwerchhauses liegen 0,36 m niedriger.
29Der mit Schriftsatz vom 25. November 2014 erklärte Widerruf der Zustimmungserklä-rung ist unbeachtlich. Als empfangsbedürftige Willenserklärung ist die Zustimmung mit ihrem Erklärungsgehalt gegenüber den anwesenden Beigeladenen wirksam geworden (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB), sodass ein Widerruf danach nicht mehr möglich ist (§ 130 Abs. 1 Satz 2, § 145 BGB).
30Vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2012 – V ZR 254/11 –, juris, Rn. 8, und Beschluss vom 14. März 1985 – X ZB 13/83 –, juris, Rn. 14 f.
31Einen Anfechtungsgrund (§§ 119, 120, 123 BGB) hat der Antragsteller nicht benannt; ein solcher ist auch nicht erkennbar.
32Dass der Antragsteller der genehmigten Veränderung der Geländeoberfläche, die in seiner Erklärung vom 26. Juni 2013 weder erwähnt noch zeichnerisch dargestellt ist, nicht zugestimmt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Durch diese Abgrabung wird kein von der Zustimmungserklärung abweichendes weiteres Geschoss des Vorhabens ermöglicht. Das Vorhaben entspricht vielmehr hinsichtlich der Zahl seiner Vollgeschosse der Zustimmungserklärung des Antragstellers. Die Absenkung der Geländeoberfläche bewirkt vielmehr, dass das entsprechend tiefer gegründete Vorhaben das Wohnhaus des Antragstellers nur um 1,29 m überragt. Somit stellt sich das Vorhaben unter Beachtung der aufgezeigten Schutzzwecke des § 9 Abs. 3 BauO NRW aus seiner nachbarlichen Sicht im Vergleich zu dem von der Zustimmungserklärung umfassten Baukörper nicht als eine zu seinen Lasten gehende wesentliche Abweichung dar.
33Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig. Der Antragsteller kann eine Verletzung anderer subjektiver öffentlicher Rechte durch die Genehmigung vom 15. Mai 2014 nicht mit Erfolg geltend machen.
34Dabei braucht hier nicht entschieden zu werden, ob das Vorhaben angesichts seiner gegenüber dem Wohnhaus des Antragstellers höheren Geschosszahl, der deutlich größeren Bebauungsbreite und des circa doppelt so großen Brutto-Raumvolumens zusammen mit diesem noch als Doppelhaus angesehen werden kann. Denn der Antragsteller hat am 26. Juni 2013 einem Vorhaben zugestimmt, das nach der Zahl der Vollgeschosse, der Höhe, Tiefe und Breite sowie dem daraus folgenden Brutto-Raumvolumen das genehmigte Vorhaben deckt.
35Schließlich ist die aufschiebende Wirkung der Klage auch nicht mit Blick auf den als Balkone genehmigten Altan oder das Zwerchhaus anzuordnen.
36Der Altan soll zwar außerhalb der Bebauungstiefe liegen, welcher der Antragsteller zugestimmt hat, verstößt aber weder gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts noch des Bauordnungsrechts. Insbesondere ist er gegenüber dem Grundstück des Antragstellers auch bezogen auf die Bautiefe nicht rücksichtslos. Auf die Belichtung und Besonnung seines Grundstücks wirkt er sich nicht wesentlich aus und eröffnet auch keine unzumutbaren Einblicke auf sein Grundstück, wobei als Maßstab das in überwiegend bebauten Bereichen Übliche zu gelten hat. Der Altan wahrt zudem den nach den Abstandflächenvorschriften erforderlichen Grenzabstand. Die 6,70 m über der abgegrabenen Geländeoberfläche befindliche Oberkante des Geländers an der Ostseite des Altans erfordert die Freihaltung einer Abstandfläche von 5,36 m (6,70 m x 0,8). Von dem Grundstück des Antragstellers ist sie 5,45 m entfernt.
37Auch das 3,49 m von der gemeinsamen Grundstücksgrenze entfernte Zwerchhaus verstößt weder gegen das Gebot der Rücksichtnahme noch gegen die Abstandflächenvorschriften. Der danach erforderliche Grenzabstand beträgt 3,46 m (8,64 m x 0,4), da von der maximalen Höhe des östlichen Giebels des Zwerchhauses von 0,16 m nur ein Drittel zu der 8,59 m hohen östlichen Außenwand des Zwerchhauses hinzugerechnet wird (§ 6 Abs. 4 Satz 6 Nr. 2 BauO NRW) und als Tiefe der Abstandfläche 0,4 H genügen (§ 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW).
38Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im erstinstanzlichen Verfahren sind dem Antragsteller mangels Billigkeit nicht aufzuerlegen, weil die Beigeladenen keinen Sachantrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben (§ 154 Abs. 3 VwGO).
39Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
40Der Beschluss ist unanfechtbar.
(1) Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde.
(2) Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden.
Eine Willenserklärung, welche durch die zur Übermittlung verwendete Person oder Einrichtung unrichtig übermittelt worden ist, kann unter der gleichen Voraussetzung angefochten werden wie nach § 119 eine irrtümlich abgegebene Willenserklärung.
(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.
(2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Soweit ein anderer als derjenige, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben war, aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat, ist die Erklärung ihm gegenüber anfechtbar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen musste.
(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.
(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.
(4) In Verfahren
- 1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro, - 2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro, - 3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und - 4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.
(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert
- 1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist, - 2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.
(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.