Verwaltungsgericht Düsseldorf Urteil, 18. Juni 2015 - 24 K 6060/14
Gericht
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 28. August 2014 wird aufgehoben, soweit darin für den Zeitraum vom 1. August 2014 bis zum 31. Juli 2015 ein Elternbeitrag festgesetzt worden ist.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % der aufgrund des Urteils vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Berufung wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Kläger sind Eltern zweier Kinder, die im Kindergartenjahr 2014/2015 eine von der Beklagten geförderte Kindertageseinrichtung besuchen.
3Mit Bescheid vom 15. Juli 2014 wurden unter anderem sämtliche Kinder für das Kindergartenjahr 2014/2015 beitragsfrei gestellt. Im Falle des älteren Kindes beruhte die Beitragsfreiheit auf dem Umstand, dass das Kind zum Ende des Kindergartenjahres eingeschult werden sollte (Vorschulkind). Für das jüngere Kind wurde eine Beitragsfreiheit als Geschwisterkind angenommen.
4Mit weiterem Bescheid vom 28. August 2014 wurde der Elternbeitrag für das Kindergartenjahr 2014/2015 neu festgesetzt. Während es für das ältere Kind bei der Beitragsfreiheit verblieb, wurde für das jüngere Kind ein Elternbeitrag von monatlich 220 EUR festgesetzt. Dabei wurde eine Betreuungszeit bis 45 Buchungsstunden wöchentlich und ein Einkommen bis 90.000 EUR (Stufe 14) zu Grunde gelegt. Eine Beitragsfreiheit wurde für das jüngere Kind nach § 3 Abs. 4 S. 3 der Satzung der Beklagten über die Erhebung von Elternbeiträgen für die Inanspruchnahme der Tageseinrichtungen für Kinder, die Teilnahme an außerunterrichtlichen Angeboten der Offenen Ganztagsschulen, sowie für die Inanspruchnahme von Kindertagespflege vom 26. Februar 2008 in der Fassung der 3. Änderungssatzung vom 28. Mai 2013 (Elternbeitragssatzung) verneint.
5In Bezug auf die Beitragsfreiheit enthält die Elternbeitragssatzung in § 3 folgende Regelung:
6„…
7(3) Die Inanspruchnahme von Angeboten in Kindertageseinrichtungen oder Kindertagespflege durch Kinder, die am 01. August des Folgejahres schulpflichtig werden, ist in dem Kindergartenjahr, das der Einschulung vorausgeht, beitragsfrei.
8(4) Besuchen mehr als ein Kind einer Familie oder von Personen, die nach § 2 Abs. 1 an die Stelle der Eltern treten, gleichzeitig eine Kindertageseinrichtung für Kinder oder wird ein Geschwisterkind in Tagespflege gem. §§ 22 ff SGB VIII betreut, so wird der Elternbeitrag nur für ein Kind erhoben. Der Beitrag für ein Kind wird auch dann erhoben, falls für weitere Kinder eine Beitragsbefreiung nach Abs. 3 vorzunehmen ist.
9(5) Ergeben sich ohne die Beitragsbefreiung(en) nach Absatz 3 unterschiedlich hohe Beiträge, so gilt als Beitragskind das Kind, für das sich nach der Betreuungsart und dem Einkommen der niedrigste Beitrag ergibt.
10(6) Ergeben sich ohne die Beitragsbefreiung(en) nach Absatz 4 unterschiedlich hohe Beiträge, so gilt als Beitragskind das Kind, für das sich nach der Betreuungsart und dem Einkommen der höchste Beitrag ergibt.
11(7) Liegen bei Beitragspflichtigen die Voraussetzungen für Beitragsbefreiungen sowohl nach Absatz 3 als auch nach Absatz 4 vor, gilt Absatz 5 entsprechend. …“
12Am 16. September 2014 haben die Kläger Klage erhoben. Sie tragen vor: Der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig, weil die Beklagte bei der Beitragsfestsetzung § 23 Abs. 5 S. 3 des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) nicht beachtet habe. Diese Regelung sei auch für die Beklagte verbindlich. Die Beklagte könne nach § 23 Abs. 5 S. 2 KiBiz zwar nach ihrem Ermessen entscheiden, ob sie eine Geschwisterregelung einführe. Wenn sie sich aber für eine Geschwisterregelung entschieden habe, sei sie an die Regelung des § 23 Abs. 5 S. 3 KiBiz zwingend gebunden. Soweit sich die Beklagte auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf und des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) berufe, verkenne sie, dass sich diese Entscheidungen nicht zu dem ab 1. August 2014 geänderten Recht verhielten. Die Beklagte könne die Gesetzesbegründung zur Neuregelung nicht für ihren Standpunkt heranziehen. Der Landesgesetzgeber habe die Klarstellung in § 23 Abs. 5 S. 3 KiBiz wegen der bisherigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung vorgenommen, die der Geschwisterregelung in § 3 der Elternbeitragssatzung der Beklagten zu Grunde liege. Eine gesetzgeberische Klarstellung sei begriffsnotwendig nur dort erforderlich, wo der bisherige Status quo geändert werden solle.
13Die Kläger beantragen,
14den Bescheid der Beklagten vom 28. August 2014 aufzuheben, soweit darin für den Zeitraum vom 1. August 2014 bis zum 31. Juli 2015 ein Elternbeitrag festgesetzt worden ist.
15Die Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Sie macht geltend: Die Kläger könnten sich nicht für beide Kinder auf eine Beitragsfreiheit berufen. Dem stehe § 3 Abs. 4 S. 2 der Elternbeitragssatzung entgegen. Diese Regelung sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Eine gesetzliche Vorgabe, auch Geschwisterkinder von der Beitragspflicht freizustellen, bestehe nicht. Nach § 23 Abs. 5 S. 2 KiBiz stehe es im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten, ob und in welchem Umfang eine Geschwisterregelung eingeführt werde. Mit Sinn und Zweck einer Geschwisterregelung sei nur die in der Satzung vorgenommene Ausgestaltung der Geschwisterregelung vereinbar. Eine solche diene unter dem Aspekt des Familienlastenausgleichs trotz einer gleichzeitigen und mehrfachen Inanspruchnahme von Betreuungsleistungen nicht der vollständigen Freistellung, sondern nur der Reduzierung der mit einer Mehrzahl von öffentlich-rechtlichen Kostenbeitragsverpflichtungen einhergehenden finanziellen Belastungen der Eltern. Eine vollständige Beitragsbefreiung für alle Kinder einer Familie würde im Verhältnis zu Eltern mit nur einem Kind zu einer nicht gerechtfertigten Bevorzugung führen. Die Grundkonzeption der Geschwisterregelungen habe sich weder durch die Einführung des Vorschulprivilegs noch durch die Änderungen des KiBiz zum 1. August 2014 verändert. Der Landesgesetzgeber habe es dabei belassen, diese Regelungen ins Ermessen des Jugendamtes zu stellen. In der Rechtsprechung sei geklärt, dass der Landesgesetzgeber über die Beitragsfreistellung von Vorschulkindern hinaus eine weitere Beitragsfreistellung der Geschwisterkinder nicht beabsichtigt habe. Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung und der Gesetzesbegründung zum neu eingefügten § 23 Abs. 5 S. 3 KiBiz habe sich die Rechtslage durch die Neuregelung nicht geändert. In der Gesetzesbegründung werde lediglich erwähnt, dass die Änderung eine gesetzliche Klarstellung sei und dem Willen des Gesetzgebers des Ersten KiBiz-Änderungsgesetzes entspreche. Angesichts dessen könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber zum 1. August 2014 eine weitere zwingende Geschwisterkindbefreiung habe regeln wollen. Eine andere Auslegung führe zum Widerspruch zwischen dem S. 2 und S. 3 des § 23 Abs. 5 KiBiz. Auf der einen Seite hätten die Jugendämter das Recht, nach ihrem Ermessen über die Einführung einer Geschwisterregelung zu entscheiden. Auf der anderen Seite wären aber alle Geschwisterkinder dann immer beitragsbefreit. Von der Argumentation der Kläger ausgehend, hätte der Landesgesetzgeber eine Beitragsbefreiung nur in denjenigen Gemeinden eingeführt, die sich für eine Geschwisterregelung entschieden hätten. Dies könne aber nicht der gesetzgeberische Wille gewesen sein. Einer zwingenden Beitragsbefreiung stehe auch der Umstand entgegen, dass im Landeshaushalt kein finanzieller Ausgleich für die durch eine solche Regelung betroffenen Gemeinden oder Gemeindeverbände geschaffen worden sei. Dies widerspräche dem verfassungsrechtlichen Konnexitätsprinzip. Schließlich werde die Auffassung der Beklagten durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen vom 14. April 2015 – 8 K 154/15 – bestätigt. Darin habe das Verwaltungsgericht auch unter Berücksichtigung der neuen Rechtslage zum Ausdruck gebracht, dass eine zwingende Doppelbefreiung von Vorschul- und Geschwisterkindern weder nach bundes- noch landesrechtlichen Vorgaben zwingend sei.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der dazu beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
19Entscheidungsgründe:
20Die Klage ist zulässig und begründet.
21Der Bescheid der Beklagten vom 28. August 2014 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in eigenen Rechten, soweit darin für den Zeitraum vom 1. August 2014 bis zum 31. Juli 2015 ein Elternbeitrag festgesetzt worden ist, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
22Entgegen der Annahme der Beklagten sind beide, eine Kindertageseinrichtung besuchende Kinder der Kläger von der Beitragspflicht befreit.
23Für das ältere Kind folgt die Beitragsbefreiung – dies wird von der Beklagten nicht in Abrede gestellt – aus § 3 Abs. 3 der Elternbeitragssatzung. Dieser bestimmt in Übereinstimmung mit § 23 Abs. 3 S. 1 KiBiz, dass die Inanspruchnahme von Angeboten in Kindertageseinrichtungen durch Kinder, die am 1. August des Folgejahres schulpflichtig werden, in dem Kindergartenjahr, das der Einschulung vorausgeht (Vorschulkinder), beitragsfrei ist. Diese Voraussetzungen liegen bei dem älteren Kind – unstreitig – vor.
24Das jüngere Kind ist nach § 3 Abs. 4 S. 1 der Elternbeitragssatzung beitragsbefreit. Danach wird der Elternbeitrag nur für ein Kind erhoben, wenn mehr als ein Kind einer Familie oder von Personen, die nach § 2 Abs. 1 an die Stelle der Eltern treten, gleichzeitig eine Tageseinrichtung für Kinder besuchen. So liegt es hier.
25Im Sinne der Geschwisterregelung in § 3 Abs. 4 S. 1 der Elternbeitragssatzung wird für ein Kind, nämlich das ältere Vorschulkind, bereits ein Elternbeitrag erhoben. Denn nach dem zum 1. August 2014 in § 23 Abs. 5 KiBiz eingefügten S. 3 sind bei Geschwisterregelungen Vorschulkinder, deren Tagesbetreuung – wie hier – nach Abs. 3 elternbeitragsfrei ist, so zu berücksichtigen, als ob für sie ein Elternbeitrag zu leisten wäre. Mit anderen Worten: Der Gesetzgeber fingiert im Falle einer Geschwisterregelung die Leistung eines Beitrages durch die Eltern eines Vorschulkindes. Wird aber für das Vorschulkind die Leistung eines Beitrages fingiert und stellt die Elternbeitragssatzung darauf ab, dass „nur“ für ein Kind ein Beitrag erhoben wird, dann ist dieser eine Beitrag bereits durch die fingierte Leistung für das Vorschulkind abgegolten.
26Entgegen der Annahme der Beklagten steht § 3 Abs. 4 S. 2 der Elternbeitragssatzung der Beitragsbefreiung nicht entgegen. Danach wird zwar der Beitrag für ein Kind auch dann erhoben, falls für weitere Kinder eine Beitragsbefreiung nach Abs. 3 vorzunehmen ist. Diese Regelung ist mit höherrangigem Recht aber nicht vereinbar und daher nichtig.
27Diese Satzungsbestimmung verstößt gegen § 23 Abs. 5 S. 3 KiBiz. Die vorgenannte Norm hat zwei Funktionen: Sie eröffnet zum einen den Anwendungsbereich der Geschwisterregelungen. Denn die Geschwisterregelungen setzen nach ihrer Zweckbestimmung voraus, dass die Beitragspflichtigen für mehrere Kinder Elternbeiträge zu leisten haben. Im Fall einer mehrfachen Leistungspflicht soll sich diese durch die Geschwisterregelung zu Gunsten der Eltern reduzieren. Wird für das Vorschulkind über die Regelung des § 23 Abs. 5 S. 3 KiBiz die Leistung eines Elternbeitrages fingiert, wird der Anwendungsbereich der Geschwisterregelung eröffnet. Denn nunmehr werden die Elternbeitragspflichtigen mit einem Vorschulkind und mindestens einem weiteren Kind so behandelt als ob eine Belastung mit zwei Elternbeiträgen besteht. Zum anderen steuert die Leistungsfiktion des § 23 Abs. 5 S. 3 KiBiz die Anwendung der konkreten satzungsrechtlichen Geschwisterregelung. Stellt die konkrete Geschwisterregelung – wie hier – auf die Leistung „nur“ eines Beitrages ab,
28wobei andere Ausgestaltungen wegen des dem Satzungsgeber zukommenden Ermessens nach § 23 Abs. 5 S. 2 KiBiz möglich sind und zu anderen Konsequenzen führen können,
29so hat die Fiktionswirkung die zwingende Konsequenz eines Ausschlusses weiterer Beitragsleistungen für andere Kinder der Beitragspflichtigen. Diese sich aus der Fiktion des § 23 Abs. 5 S. 3 KiBiz für Geschwisterregelungen der hier vorliegenden Art zwingend ergebende Konsequenz versucht der Satzungsgeber durch § 3 Abs. 4 S. 2 der Elternbeitragssatzung dadurch zu umgehen, dass der Beitrag für ein (anderes) Kind auch dann erhoben wird, falls eine Beitragsfreiheit
30– die aber wegen der Fiktion des § 23 Abs. 5 S. 3 KiBiz im Rahmen der Geschwisterkindregelung wieder als aufgehoben anzusehen ist –
31für das Vorschulkind besteht. Diese Vorgehensweise steht im Widerspruch zu der vorstehend dargelegten Funktion des § 23 Abs. 5 S. 3 KiBiz.
32Das Ergebnis wird gestützt durch eine Kontrollüberlegung anhand des Art. 3 Abs. 1 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz verbietet wesentlich Gleiches willkürlich ungleich und wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln. Eine Differenzierung ist willkürlich, wenn kein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung/Gleichbehandlung besteht. So würde es hier liegen, wenn die Ausnahmeregelung des § 3 Abs. 4 S. 2 der Elternbeitragssatzung greifen würde. Aufgrund der gesetzlichen Fiktion in § 23 Abs. 5 S. 3 KiBiz sind die Elternbeitragspflichtigen in Bezug auf Geschwisterregelungen so zu stellen, als ob für das beitragsbefreite Vorschulkind nach § 23 Abs. 3 S. 1 KiBiz (entspricht § 3 Abs. 3 der Elternbeitragssatzung) tatsächlich ein Elternbeitrag geleistet wird. Nach § 3 Abs. 4 S. 2 der Elternbeitragssatzung ist bei dieser Fallgestaltung zusätzlich für ein weiteres Kind ein weiterer Elternbeitrag zu leisten. Damit werden die Eltern in dieser Fallkonstellation (Vorschulkind/weiteres Kind) nach der Elternbeitragssatzung mit zwei zu leistenden Elternbeiträgen belastet. In allen anderen Fallkonstellationen, in denen mindestens zwei Kinder, von denen keines ein Vorschulkind ist, gleichzeitig eine Kindertageseinrichtung besuchen, werden die Elternbeitragspflichtigen aufgrund der Geschwisterregelung in § 3 Abs. 4 S. 1 der Elternbeitragssatzung, für die § 3 Abs. 4 S. 2 der Elternbeitragssatzung nicht gilt, hingegen nur mit der Leistung eines Elternbeitrages für ein Kind belastet. Für diese unterschiedliche Behandlung in der Beitragsbelastung ist ein sachlicher Grund nicht ersichtlich. Wegen der gesetzlichen Fiktion der Leistung eines Beitrages für das Vorschulkind in § 23 Abs. 5 S. 3 KiBiz kann nämlich nicht darauf abgestellt werden, dass die Elternbeitragspflichtigen in der Konstellation Vorschulkinder/mindestens ein weiteres Kind in öffentlich geförderter Tagesbetreuung im Ergebnis tatsächlich keine Zahlung an die Beklagte erbringen. Denn dies ist gerade die Folge der vom Landesgesetzgeber angeordneten Leistungsfiktion für das Vorschulkind und ist von diesem so gewollt.
33Die von der Beklagten gegen dieses Auslegungsergebnis vorgebrachten Argumente verfangen nicht:
34Es trifft zwar zu, dass das KiBiz keine gesetzliche Vorgabe enthält, Geschwisterkinder von der Beitragspflicht freizustellen. Denn nach § 23 Abs. 5 S. 2 KiBiz steht es im Ermessen, ob das Jugendamt ermäßigte Beiträge oder eine Beitragsbefreiung für Geschwisterkinder vorsieht. Wenn sich das Jugendamt indes entschließt, eine Geschwisterregelung einzuführen, dann ist es bei deren inhaltlicher Ausgestaltung aber an höherrangiges Recht und damit an § 23 Abs. 5 S. 3 KiBiz mit der darin angeordneten Leistungsfiktion für das nach § 23 Abs. 3 KiBiz beitragsbefreite Vorschulkind und Art. 3 Abs. 1 GG gebunden. Innerhalb dieser Grenzen ist das Jugendamt bei der Ausgestaltung der Geschwisterregelung frei. Dies kann zu unterschiedlichen Ausgestaltungen von Geschwisterregelungen in den kommunalen Satzungen führen. So sieht beispielsweise § 3 S. 2 der Satzung der Stadt E. über die Erhebung von Elternbeiträgen in Kindertageseinrichtungen und Horten in Übereinstimmung mit § 23 Abs. 5 S. 3 KiBiz vor, dass für das zweite und jedes weitere Kind ein Beitrag i.H.v. 25 % des einkommensabhängigen Elternbeitrages zu entrichten ist. Bei einer solchen Ausgestaltung der Geschwisterregelung sind nicht – wie hier – beide Kinder der Elternbeitragspflichtigen von der tatsächlichen Zahlung des Elternbeitrages befreit. Vielmehr ist für mindestens ein Kind ein Elternbeitrag von 25 % tatsächlich zu zahlen.
35Auch Sinn und Zweck der Geschwisterregelung stehen dem Auslegungsergebnis nicht entgegen. Die Beklagte weist zutreffend unter Bezugnahme auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) vom 17. Mai 2011 – 12 A 642/11 – darauf hin, dass eine Geschwisterregelung unter dem Aspekt des Familienlastenausgleichs trotz einer gleichzeitigen und mehrfachen Inanspruchnahme von Betreuungsleistungen nicht der vollständigen Freistellung, sondern nur der Reduzierung der mit einer Mehrzahl von öffentlich-rechtlichen Kostenverpflichtungen einhergehenden finanziellen Belastung der Eltern dient. Nach diesem Sinn und Zweck ist eine Beitragsbefreiung für alle Kinder einer Familie nicht vorgesehen. Eine solche generelle Beitragsbefreiung für alle Kinder einer Familie, von denen eines ein Vorschulkind ist, ordnet aber entgegen der Auffassung der Beklagten § 23 Abs. 5 S. 3 KiBiz auch nicht an. Die Beklagte verkennt, dass durch § 23 Abs. 5 S. 3 KiBiz nicht alle Kinder einer Familie, die gleichzeitig eine Tagesbetreuung in Anspruch nehmen, beitragsbefreit werden. Durch die vorgenannte Regelung wird lediglich in Anknüpfung an Sinn und Zweck einer Geschwisterregelung die Leistung eines Beitrages durch das nach § 23 Abs. 3 KiBiz beitragsbefreite Vorschulkind gesetzlich fingiert, was im Rahmen der konkreten Geschwisterregelung zu berücksichtigen ist. Durch diese gesetzliche Fiktion sind die Eltern dieser Kinder rechtlich so gestellt, als ob von ihnen ein Elternbeitrag für dieses Kind geleistet wird. Damit ist aber die Konstellation gegeben, dass jedenfalls für ein Kind ein Elternbeitrag geleistet wird und das Konzept der Geschwisterregelung folgerichtig fortgeführt worden.
36Der Ausgangspunkt der Beklagten, wonach durch die Einfügung eines Satzes 3 in § 23 Abs. 5 KiBiz vom Landesgesetzgeber keine generelle Kostenbefreiung von Geschwisterkindern gewollt war, ist zutreffend. Diese Annahme rechtfertigt aber nicht den weitergehenden Schluss der Beklagten, durch die Gesetzesänderung habe sich an der bisherigen Rechtslage nichts geändert. Eine solche Annahme lässt sich insbesondere nicht auf die Begründung der Gesetzesänderung stützen, wonach es sich bei der Änderung nur um eine gesetzliche Klarstellung handele und diese dem Willen des Gesetzgebers des Ersten KiBiz-Änderungsgesetzes entsprochen habe.
37Mit der Einfügung des Satzes 3 in § 23 Abs. 5 KiBiz hat der Landesgesetzgeber eine Änderung der bisherigen Rechtslage in Bezug auf Geschwisterregelungen herbeigeführt.
38Vgl. Janssen, Dreier, Selle, Kindertagesbetreuung in Nordrhein-Westfalen, Stand: 69. Ergänzungslieferung, KiBiz-Kommentar zu § 23 S. 42 f.; so wohl auch OVG NRW, Urteil vom 15. Dezember 2014 – 12 A 815/14 –, juris, Rn. 72 und 73.
39Wie die Beklagte zutreffend dargestellt hat, war in der obergerichtlichen Rechtsprechung des OVG NRW geklärt, dass im Falle einer Beitragsbefreiung nach § 23 Abs. 3 KiBiz bei einer Geschwisterregelung der in § 3 Abs. 4 S. 1 der Elternbeitragssatzung normierten Art gleichwohl ein Elternbeitrag zu erheben war, da eine solche Geschwisterregelung lediglich eine Reduzierung der Beitragsleistung auf jedenfalls einen öffentlich-rechtlichen Beitrag für nur noch ein Kind vorsah.
40Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Januar 2013 - 12 A 2492/12 -, juris, und Urteil vom 15. Dezember 2014 - 12 A 815/14 -, juris, insbesondere Rn. 72 und 73 zur neuen Rechtslage.
41Wenn der Landesgesetzgeber es bei dieser gefestigten und eindeutigen Rechtslage hätte belassen wollen, wäre die Einfügung des Satzes 3 in § 23 Abs. 5 KiBiz nicht erforderlich gewesen. Einer Klarstellung hätte es insoweit angesichts der eindeutigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte auch nicht bedurft. Die Gesetzesänderung durch den Landesgesetzgeber stellt vielmehr eine Reaktion auf die gefestigte Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte in Bezug auf die Auslegung derartiger Geschwisterregelungen dar. Entgegen der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte wurde von Anfang an verschiedentlich die Auffassung vertreten, dass bei derartigen Geschwisterregelungen im Falle der gesetzlich vorgesehenen Beitragsbefreiung nach § 23 Abs. 3 KiBiz für das Vorschulkind auch kein Elternbeitrag für das andere, ebenfalls in Tagesbetreuung befindliche Kind erhoben werden konnte. In diesem Sinne wurden Geschwisterregelungen der in § 3 Abs. 4 S. 1 der Elternbeitragssatzung normierten Art von anderen Jugendämtern im Zuständigkeitsbereich des erkennenden Gerichtes auch ohne die Neuregelung angewandt. Denn nur im Falle einer solchen Interpretation der Geschwisterregelung war das bereits mit dem Ersten KiBiz-Änderungsgesetz verfolgte Ziel, die Eltern von Elternbeiträgen zu entlasten und einen Einstieg in die Elternbeitragsfreiheit für die Inanspruchnahme einer Tagesbetreuung zu schaffen, auch für diejenigen Eltern erreichbar, bei denen sich neben dem Vorschulkind mindestens ein weiteres Kind gleichzeitig in Tagesbetreuung befand, das ohne die gesetzliche Beitragsbefreiung aufgrund einer bestehenden Geschwisterregelung der hier in Rede stehenden Art ohnehin beitragsfrei gewesen wäre. Mit anderen Worten: Vorgenannte Eltern hatten bei einer bestehenden Geschwisterregelung der hier in Rede stehenden Art durch die in § 23 Abs. 3 KiBiz neu eingeführte gesetzliche Beitragsbefreiung keinen Vorteil, weil aufgrund der Geschwisterregelung in der ständigen Auslegung der Verwaltungsgerichte ohnehin nur ein Beitrag erhoben wurde und sich durch die eingeführte gesetzliche Beitragsbefreiung hieran nichts änderte. Dieses infolge der Geschwisterregelung in der Interpretation der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte herbeigeführte Ergebnis wurde vom Landesgesetzgeber mit der Einfügung des Satzes 3 in § 23 Abs. 5 KiBiz korrigiert.
42Im Übrigen kommt es auf die subjektiven Vorstellungen von am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten für die Auslegung einer Norm nicht an. Entscheidend ist vielmehr der objektive Gesetzesinhalt, wie er sich aus seinem Wortlaut und im Sinnzusammenhang ergibt.
43OVG NRW, Urteil vom 22. Mai 2015 – 12 A 1075/14 –, juris Rdn. 35 – 37 unter Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 16. Februar 1983 – 2 BvE 1/83, 2. BvE 2/83, 2 BvE 3/83, 2 BvE 4/83 –, BVerfGE 62, 1 (45).
44Weder dem Wortlaut noch dem Sinnzusammenhang des § 23 Abs. 5 S. 3 KiBiz lässt sich entnehmen, dass keine Änderung der bisherigen Rechtslage bewirkt werden sollte.
45Vor diesem Hintergrund ist durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen vom 10. April 2015 – 8 K 154/15 – keine andere Beurteilung veranlasst. Es ist zwar richtig, dass die Neuregelung des § 23 Abs. 5 KiBiz nicht zwingend zu einer Doppelbefreiung von Vorschul- und Geschwisterkindern führt. Ob dieser Zustand eintritt, ist allein abhängig von der Ausgestaltung der jeweiligen Geschwisterregelung durch den Satzungsgeber. Das belegt bereits die oben angeführte Geschwisterregelung der Stadt E. . Wählt der Satzungsgeber hingegen eine Geschwisterregelung der hier in Rede stehenden Art, wonach bei Inanspruchnahme einer öffentlich geförderten Tagesbetreuung durch mehrere Kinder von Elternbeitragspflichtigen nur ein Beitrag zu leisten ist, dann kann er eine Doppelbefreiung aus Gründen der Gleichbehandlung nicht vermeiden.
46Entgegen der Auffassung der Beklagten wird durch die Einfügung des Satzes 3 in § 23 Abs. 5 KiBiz das verfassungsrechtlich verankerte Konnexitätsprinzip in § 78 Abs. 3 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen nicht berührt. Denn mit der Neuregelung hat das Land keine neuen Aufgaben übertragen oder bestehende und übertragene Aufgaben verändert, die notwendigerweise zu einer wesentlichen Belastung der davon betroffenen Gemeinden oder Gemeindeverbände geführt hat. Denn der Landesgesetzgeber hat mit der Einfügung des Satzes 3 in § 23 Abs. 5 KiBiz keine zwingende Beitragsbefreiung angeordnet. Er hat lediglich für eine Geschwisterregelung die Leistung eines Beitrags für nach § 23 Abs. 3 KiBiz gesetzlich beitragsbefreite Vorschulkinder fingiert, für die im Übrigen das Land nach § 21 Abs. 10 KiBiz den örtlichen Trägern der Jugendhilfe einen pauschalen Ausgleich gewährt. Diese Neuregelung führt nicht gegen den Willen der Gemeinden und Gemeindeverbände zwingend zu Mehrkosten. Die Beklagte hat zutreffend erkannt, dass es nach § 23 Abs. 5 S. 2 KiBiz in ihrem Ermessen steht, ob sie eine Geschwisterregelung einführt. Wie zuvor ausgeführt, steht es ihr unter Beachtung von § 23 Abs. 5 S. 3 KiBiz und dem Gleichheitssatz auch frei, wie sie eine Geschwisterregelung näher ausgestaltet, wenn sie sich nach ihrem freien Willen zur Schaffung einer Geschwisterregelung entscheidet. Durch die Art der Ausgestaltung der Geschwisterregelung kann sie zudem auf die Höhe des Beitragsausfalls nach eigenem Ermessen Einfluss nehmen. So hat beispielsweise die Stadt E. in § 3 S. 2 ihrer Elternbeitragssatzung geregelt, dass für das zweite und jedes weitere Kind ein Beitrag i.H.v. 25 % des einkommensabhängigen Elternbeitrages zu entrichten ist, wenn das ältere Vorschulkind nach § 23 Abs. 3 KiBiz kraft Gesetzes beitragsbefreit ist. Andere gesetzeskonforme Ausgestaltungen sind denkbar, die zu weitaus höheren tatsächlichen Zahlungen der Elternbeitragspflichtigen für weitere neben dem Vorschulkind gleichzeitig eine öffentliche Tagesbetreuung in Anspruch nehmende Kinder führen können. Hat es die Beklagte mithin selbst in der Hand, durch die Ausgestaltung ihres Satzungsrechtes die Höhe der Beitragseinnahmen festzulegen, hat sie den durch die Einfügung des Satzes 3 in § 23 Abs. 5 KiBiz entstehenden Einnahmeausfall bei einer nach ihrem Willen ausgestalteten Geschwisterregelung selbst zu verantworten.
47Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
48Die Berufung wird nach §§ 124 a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
moreResultsText
Annotations
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.