Verwaltungsgericht Aachen Beschluss, 01. Apr. 2015 - 8 L 56/15.A
Gericht
Tenor
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtsgebührenfreien Verfahrens.
1
Gründe:
2Der Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der zum Aktenzeichen 8 K 157/15.A erhobenen Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Januar 2015 anzuordnen,
4hat keinen Erfolg.
5Er ist nicht begründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Durchführung seines Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland.
6Rechtliche Grundlagen für den im Hauptsacheverfahren angefochtenen Bescheid des Bundesamtes sind Art. 20 ff. der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO).
7Zuständig für das Asylbegehren, das von einem einzigen Mitgliedsstaat geprüft wird (Art. 3 Abs. 3 Dublin III-VO), ist grundsätzlich der Mitgliedsstaat, in dem nach Einreise in die Europäische Union erstmalig ein Antrag gestellt worden ist. Sucht ein Antragsteller von dort aus einen weiteren Mitgliedsstaat auf und stellt dort einen weiteren Antrag, so ist bzw. bleibt grundsätzlich der Mitgliedsstaat der ersten Antragstellung zuständig (Art. 13 Dublin III-VO).
8Nachdem Bulgarien einer Rücküberstellung des Antragstellers zugestimmt hatte, erließ demgemäß hier das Bundesamt Art. 26 Abs. 1 Dublin III-VO den angefochtenen Bescheid vom 15. Januar 2015 mit einer Abschiebungsanordnung nach § 34 a AsylVfG.
9Ein Mitgliedsstaat kann sich gegenüber dem Asylsuchenden nur dann nicht auf die dargelegten Zuständigkeitsregelungen berufen, wenn hinsichtlich des (erst‑)zuständigen Mitgliedstaats nicht unbekannt sein kann, dass er die Beachtung und Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge – GFK – vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 560) und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II S. 953) sowie der Richtlinien 2003/09, 2004/83 und 2005/85 nicht sicherstellt, wobei allerdings nicht der geringste Verstoß hiergegen zur Unvereinbarkeit mit den Regelungen der Verordnung Nr. 343/2003 führen kann, sondern es sich um einen systemischen Mangel handeln muss,
10vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10, C-411/10, C-493/10 –.
11Im Grundsatz besteht im europäischen Asylsystem die Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylantragstellern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet. Liegen allerdings systemische Mängel vor, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylantragsteller im Sinne von Art. 4 der Grundrechtecharta implizieren, hat die Überstellung zu unterbleiben. Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Art. 4 GrCH bzw. Art. 3 EMRK entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein, vgl. Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO, wonach die Überstellung an den an sich zuständigen Mitgliedstaat nicht möglich ist, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art.s 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen.
12Der Antragsteller kann nicht mit Erfolg geltend machen, eine Rücküberstellung nach Bulgarien könne wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Bulgarien nicht stattfinden. Denn sein derzeitiger Status ist seinem eigenen Vortrag nach der eines Asylantragstellers, dessen Antrag vom 16. Juli 2013 in Bulgarien abgelehnt worden ist. Er hat sich etwa ein Jahr in Bulgarien und danach jeweils zwei Wochen in Serbien und in Ungarn aufgehalten und rügt seine Lebensbedingungen in Bulgarien als abgelehnter Asylsuchender. Das Gericht hat diesen derzeitigen Status in den Blick zu nehmen und zu prüfen, ob nunmehr für den Fall einer Rücküberstellung systemische Mängel im oben dargestellten Sinn anzunehmen sind. Soweit der Antragsteller auch beklagt, dass seine Lebensbedingungen schon zuvor während des Asylverfahrens in Bulgarien schlecht gewesen seien, ist dies für die gerichtliche Entscheidung nicht (mehr) erheblich. Das Gericht ist nicht ermächtigt, die Rücküberstellung eines abgelehnten Asylsuchenden nach Art einer Kompensation für während des abgeschlossenen Asylverfahrens in Bulgarien erlittene Mängel und Schwierigkeiten zu stoppen.
13Hier stellt sich ausschließlich die Frage, ob es einen systemischen Mangel darstellt, wenn dem Antragsteller in seinem derzeitigen Status Leistungen des bulgarischen Staates zum Bestreiten des Lebensunterhalts vorenthalten würden. Dies ist nicht der Fall. Wenn der Antragsteller nunmehr in Bulgarien nicht staatlich versorgt wird, handelt es sich hierbei nicht um systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im oben geschilderten Sinne, weil ‑ wie ausgeführt ‑ das Asylverfahren bereits abgeschlossen ist. Zwar kennt auch das Recht der Europäischen Union in Art. 32 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (im Folgenden: Verfahrensrichtlinie) die Möglichkeit, Folgeanträge zu stellen, wenn der Asylsuchende in der Lage ist, weitere Angaben vorzubringen, die sein Verfolgungsschicksal betreffen. Darüber und ggf. über einen Versuch, gerichtlichen Rechtsschutz in Bulgarien zu suchen, hat der Antragsteller nichts mitgeteilt. Daher folgt für ihn aus der Antragsablehnung grundsätzlich auch die Ausreisepflicht nach Ghana.
14Dass der bulgarische Staat den Ausländer in einer solchen Situation nicht versorgt, stellt sich nicht als eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar,
15vgl. VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 23. Juli 2013 ‑ 25 L 1342/13.A ‑ und vom 24. Februar 2014, ‑ 13 L 2685/13.A ‑, VG Kassel, Beschluss vom 18. März 2014 ‑ 6 L 16/14.KS.A ‑.
16Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ausdrücklich festgehalten, dass Art. 3 EMRK die Vertragsparteien nicht verpflichtet, jede Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Obdach zu versorgen. Die Norm enthalte auch keine allgemeine Pflicht, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu bieten, um ihnen einen bestimmen Lebensstandard zu bieten. Ausländer, die von einer Ausweisung betroffen seien, gewähre die Konvention grundsätzlich keinen Anspruch mit dem Ziel, im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates zu verbleiben, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren, die vom ausweisenden Staat zur Verfügung gestellt werden. Wenn keine außergewöhnlichen zwingenden humanitären Gründe vorlägen, die gegen eine Ausweisung sprächen, sei allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse des Antragstellers bedeutend geschmälert würden, falls er oder sie ausgewiesen würde, nicht ausreichend, einen Verstoß gegen Art. 3 EMR zu begründen,
17EGMR, Beschluss vom 2. April 2013 ‑ 27725/10 ‑ Mohammed Hussein u. a. gegen Niederlande und Italien, ZAR 2013, 336-338, juris Rn. 70 f.
18Gegen systemische Mängel im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen der Niederlande aufgrund der Einstellung staatlicher Leistungen bei Ablehnung des Asylantrags spricht auch die Wertung, die in Art. 41 Abs. 1 b) der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes zum Ausdruck kommt. Danach können die Mitgliedstaaten Ausnahmen vom Recht auf Verbleib im Hoheitsgebiet machen, wenn eine Person nach einer bestandskräftigen Entscheidung, einen ersten Folgeantrag gemäß Art. 40 Abs. 5 als unzulässig zu betrachten oder als unbegründet abzulehnen, in demselben Mitgliedstaat einen weiteren Folgeantrag stellt. Ist es demnach möglich, einer beständigen Wiederholung von Folgeanträgen durch die Ausweisung des Asylbewerbers zu begegnen, so begegnet es keinen Bedenken, die "Versorgung einzustellen", wenn der Ausreisepflichtige dieser Verpflichtung nicht nachkommt,
19vgl. auch VG Augsburg, Beschluss vom 29. Oktober 2014 ‑ Au 7 S 14.50263 ‑, Rn. 31, juris.
20Ob dies in einem Fall, in dem nach der letzten Ablehnung eines Asylantrags asylerheblich neue Umstände eintreten oder der Asylantragsteller in der Lage ist ‑ erst jetzt ‑ weitere asylerhebliche Angaben vorzubringen, anders zu sehen ist, bedarf hier keiner Entscheidung, da solche Umstände vom Antragsteller nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich sind.
21Anders als der Antragsteller anzunehmen scheint, stellt es auch keinen systemischen Mangel dar, dass sein Asylantrag in Bulgarien abgelehnt worden ist. Es ist nachvollziehbar, dass er mit diesem Ergebnis nicht einverstanden ist. Allerdings gewährt das europäische Asylsystem nicht die Möglichkeit, nach der Ablehnung des Antrags im Land der (ersten) Antragstellung in den anderen Ländern eine weitere inhaltliche Bewertung des Asylantrags zu erreichen. Der Antragsteller wird nach dem Konzept der Zuständigkeitsregeln bei weiteren Anträgen stets auf die Zuständigkeit des Landes der ersten Antragstellung verwiesen werden (Art. 3 Abs. 3, Art. 13 Dublin III-VO).
22Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.
23Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.
Annotations
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.