Verwaltungsgericht Aachen Urteil, 30. Nov. 2018 - 6 K 1959/18
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
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T a t b e s t a n d
2Unter dem 25. September 2014 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von zwei Windenergieanlagen vom Typ ENERCON E-82 E2 mit einer Nabenhöhe von 108,38 m, einem Rotordurchmesser von 82 m und einer Nennleistung von 2,3 MW auf dem in der Windkraftkonzentrationszone Alsdorf gelegenen Grundstück Gemarkung B. , Flur , Flurstück .
3Mit Bescheid vom 28. April 2016, der Klägerin zugestellt am 4. Mai 2016, erteilte die Beklagte der Klägerin die beantragte Genehmigung unter Beifügung verschiedener Nebenbestimmungen. Unter Nr. 6.1.6 des Bescheides wurde der Klägerin Folgendes aufgegeben:
4" Der Unteren Umweltbehörde der T. B. ist der direkte Zugriff (Lesemöglichkeit) mittels Fernüberwachung und Modemverbindung auf folgende Parameter und Betriebsdaten zu gewähren:
5- Windgeschwindigkeit
6- Windrichtung
7- Anlage in Betrieb
8- Anlage startet
9- Anlage stoppt
10- Schattenabschaltung
11- Eisansatzerkennung
12- Wartung.
13Die hierfür erforderliche Hard- und Software (ENERCON Scada) ist vorhanden. Darüber hinaus nachweislich anfallende Kosten werden durch die Untere Umweltschutzbehörde der Städteregion Aachen übernommen."
14Im Rahmen der am 7. Juni 2017 in Anwesenheit des Geschäftsführers der persönlich haftenden Gesellschafterin der Klägerin durchgeführten Abnahmeprüfung wurde festgestellt, dass verschiedene Nachweise zur genehmigungskonformen Errichtung der Anlage nicht vollständig vorlagen bzw. verschiedene Nebenbestimmungen nicht vollständig umgesetzt waren, unter anderem die Nebenbestimmung Nr. 6.1.6. Insoweit wurde ausweislich des über die Abnahmeprüfung erstellten Protokolls festgehalten, dass der direkte Zugriff (Lesemöglichkeit) mittels Fernüberwachung nicht gewährt worden sei. Es wurde zugleich die "Forderung" aufgestellt, die Leserechte für den Dongle und den Benutzernamen zu gewähren. Mit Schreiben vom 11. Juli 2017 übersandte die Beklagte der Klägerin das Protokoll mit den festgestellten Mängeln und bat sie, bis zum 15. August 2017 die fehlenden Dokumente vorzulegen bzw. die Nebenbestimmungen zu erfüllen.
15Im nachfolgenden Schriftverkehr wies die Klägerin wiederholt darauf hin, dass die genannte Software ENERCON Scada nicht auf Leserechte beschränkt sei. Mit Hilfe dieser Software könnten sehr viel mehr Daten, insbesondere auch vertrauliche Daten, eingesehen werden. Derzeit könne nicht sichergestellt werden, dass mit Hilfe dieser Software nur die Daten, die entsprechend der Nebenbestimmung Nr. 6.1.6 gefordert würden, eingesehen werden könnten.
16Die Beklagte wies mit Schreiben vom 14. November 2017 darauf hin, dass alternativ zu dem geforderten direkten Zugriff ihrem Umweltamt wöchentlich auch ein Statusreport, ggf. automatisch generiert, entsprechend der Statusliste der in Rede stehenden Anlagen per E-Mail übermittelt werden könne. Gemäß der Nebenbestimmung Nr. 6.1.6 seien folgende Status-Codes anzugeben:
170 |
Status |
4 |
Schattenabschaltung |
8 |
Wartung |
14 |
Eisansatzerkennung |
Ein Angebot der Klägerin, die gewünschten Statusberichte nicht wöchentlich, sondern jährlich vorzulegen, wies die Beklagte mit Schreiben vom 27. November 2017 zurück. Hierzu führte sie aus, dass der Zweck der Nebenbestimmung insbesondere die zeitnahe Kontrolle der Einhaltung der einschlägigen Nebenbestimmungen sei, ohne hierfür einen zeitlichen Aufwand für die Behörde oder den Betreiber zu erzeugen. Das Auslesen der relevanten Anlagendaten erfolge hierbei mit der Software "ENERCON Remote 3". Mit Hilfe dieser Software sei lediglich ein Lesen der Anlagendaten möglich. Ein Steuern der Anlagen sei entsprechend eigener Erfahrung sowie nach Rücksprache mit anderen Anlagenbetreibern nicht möglich. Anlagenparameter, die mit Hilfe der Software gelesen werden könnten und ggf. Betriebsgeheimnisse beträfen, seien nicht ersichtlich. Die Klägerin werde daher aufgefordert, den Scada-Zugriff durch die Firma ENERCON freischalten zu lassen und der Beklagten die IP-Adresse der in Rede stehenden Anlagen in B. bis zum 15. Dezember 2017 mitzuteilen.
19Nachdem die Klägerin erneut darauf hingewiesen hatte, dass mit der eingesetzten Software auch eine Steuerung der Anlagen möglich sei und überdies eine Urheberrechtsverletzung vorliege, weil die Software "ENERCON Remote 3" und der Dongle nicht offiziell von der Beklagten beim Hersteller ENERCON erworben worden seien und sie daher kein Recht zur Nutzung der Lizenz habe, teilte die ENERCON Service Deutschland GmbH mit Schreiben vom 10. Januar 2018 auf Anfrage der Beklagten mit, dass nach ihrer Auffassung die Benutzung der Software ENERCON Scada Remote Systems durch die Beklagte keine Urheberrechtsverletzung darstelle. Es sei insoweit vorausgesetzt, dass vorab die Freigabe zur Sichtung der Windenergieanlage durch den jeweiligen Betreiber erfolgt sei. Der Benutzer mit dem Benutzernamen habe die Berechtigungsstufe "Customer 3". Diese Berechtigung erlaube keine Steuerung der Anlage und sei die niedrigste einzurichtende Berechtigungsstufe.
20Auf die Anhörung der Beklagten, die Erfüllung der Auflage im Wege des Verwaltungsvollstreckungsverfahrens, also mittels Androhung und anschließender Festsetzung eines Zwangsgeldes, durchsetzen zu wollen, wies die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 6. April 2018 darauf hin, dass die beabsichtigte Verwaltungsvollstreckung offensichtlich rechtswidrig sei. Voraussetzung einer zulässigen Anwendung von Verwaltungszwang sei das Vorliegen eines wirksamen Verwaltungsaktes. Die zugrunde liegende Nebenbestimmung Nr. 6.1.6 sei aber nicht wirksam. Sie sei vielmehr nichtig. Sie leide an einem besonders schwerwiegenden Fehler, weil sie von der Klägerin insbesondere die Begehung einer rechtswidrigen Tat bei Vollzug der Nebenbestimmung und hierdurch zwangsläufig die Verwirklichung von Straf- oder Bußgeldtatbeständen verlange. Dies sei anzunehmen, weil ein Verstoß gegen den Urheberrechtsschutz des Computerprogramms vorliege. Durch die Nutzung des Computerprogramms komme es überdies zu einem rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin. Hierzu gehöre das Recht zur Geheimhaltung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Diese betrieblichen Interna, namentlich die Ertragswerte der Anlagen, könnten durch das Computerprogramm ausgelesen und verwertet werden. Dass eine ausschließliche Lesemöglichkeit durch das Programm bestehe, habe die Beklagte nicht nachgewiesen. Auch liege ein Datenschutzverstoß vor. Die in der Nebenbestimmung Nr. 6.1.6 genannten Daten könnten dem Geschäftsführer der Komplementär-GmbH sowie dem Kommanditgesellschafter der KG zugeordnet werden, da zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter eine enge finanzielle, personelle und wirtschaftliche Verflechtung bestehe. Weitere persönliche Daten des Geschäftsführers seien betroffen, unter anderem dessen Privatanschrift. Eine Einwilligung sei nicht erteilt, weshalb die Erhebung der Daten unzulässig sei. Schließlich sei die Nebenbestimmung auch unverhältnismäßig. Sie sei insbesondere nicht erforderlich. Die Fehlerhaftigkeit der Nebenbestimmung sei auch schwerwiegend und offensichtlich, weshalb diese Umstände zu ihrer Nichtigkeit führen müssten. Selbst bei einer Unterstellung der Wirksamkeit des Verwaltungsaktes diene die Androhung des Zwangsgeldes im Übrigen keinem gesetzeslegitimen Zweck und sei die Vollstreckung insgesamt als unverhältnismäßig anzusehen.
21Mit dem vorliegend streitgegenständlichen Bescheid vom 24. April 2018 drohte die Beklagte der Klägerin für den Fall, dass sie der Auflage Nr. 6.1.6 im Genehmigungsbescheid vom 28. April 2016 nicht bis zum 31. Mai 2018 nachkomme, ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000 Euro an. Zur Begründung wies die Beklagte darauf hin, dass der Genehmigungsbescheid vom 28. April 2016 einschließlich der mit diesem Bescheid verbundenen Nebenbestimmung bestandskräftig geworden sei. Gründe, die zur Nichtigkeit der Nebenbestimmung führen könnten, seien nicht ersichtlich. Der geltend gemachte Verstoß gegen das Urheberrecht liege nicht vor. Dies habe die Firma ENERCON mit ihrem Schreiben vom 10. Januar 2018 ausdrücklich bestätigt. Der Vorwurf einer Straftatbegehung durch die zuständige Überwachungsbehörde mittels Einsichtnahme in die erforderlichen Daten über das Programm ENERCON Scada sei daher nicht zutreffend. Auch der Vorwurf, durch diese Nutzung würden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verletzt werden, sei unbegründet. Der Datenschutzbeauftragte der Beklagten sei zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei der Klägerin um eine juristische Person handele, an der als Kommanditisten K. und L. beteiligt seien. Es handele sich also nicht um eine Ein-Mann-GmbH & Co. KG. Mit der Software würden auch keine personenbezogenen Daten verarbeitet, sodass nach den datenschutzrechtlichen Regelungen weder ein Eintrag in das Verfahrensverzeichnis noch die Durchführung einer Vorabkontrolle erforderlich sei.
22Die Klägerin hat am 17. Mai 2018 Klage erhoben und am 25. Mai 2018 einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Zur Begründung von Klage und Eilantrag wiederholt die Klägerin im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Ergänzend weist sie darauf hin, dass die fragliche Nebenbestimmung Nr. 6.1.6 bereits nicht hinreichend bestimmt sei. Sie lasse weder erkennen, welche konkreten Schritte die Klägerin zur Erfüllung der Nebenbestimmung vorzunehmen habe, noch wie die Fernüberwachung konkret ablaufen werde. Sie verpflichte die Klägerin lediglich dazu, den "direkten Zugriff (Lesemöglichkeit mittels Fernüberwachung und Modemverbindung) […] zu gewähren". Wie dieser Zugriff zu "gewähren" sei, welche Schritte durch die Klägerin erforderlich seien, vor allem, ab wann ein solcher Zugriff gewährleistet werden müsse, ob und wenn ja, welche konkreten Nutzerdaten freigeschaltet werden müssten, ob es einer solchen Freischaltung überhaupt bedürfe oder die Klägerin nur ihre Freigabe bzw. Einwilligung zu erteilen habe, ergebe sich weder aus der Nebenbestimmung noch einer etwaigen Begründung des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheides. Dass im nachfolgenden Schriftverkehr erstmals der Dongle und der Benutzername mitgeteilt worden seien und der Klägerin, erstmals im November 2017, konkret mitgeteilt worden sei, dass der Zugang für den benannten Nutzer durch die Firma ENERCON freizuschalten und der Beklagten die IP-Adresse der Windenergieanlagen mitzuteilen sei, könne die fehlende Bestimmtheit nicht heilen. Hinsichtlich der hinreichenden Bestimmtheit einer Nebenbestimmung sei auf den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung, spätestens auf den Zeitpunkt der Bestandskraft der Nebenbestimmung abzustellen. Zum Zeitpunkt des Eintritts der Bestandskraft der Nebenbestimmung sei der Klägerin aber weder bekannt gewesen, wann sie den Zugriff zu gewähren habe, noch unter Vornahme welcher konkreten Schritte eine solche Gewährung zu erfolgen habe. Der angefochtenen Zwangsgeldandrohung fehle es im Übrigen auch an der Vollstreckungsvoraussetzung einer wirksamen Grundverfügung. Denn die ihr zu Grunde liegende Nebenbestimmung sei nichtig. Ihre Fehlerhaftigkeit sei schwerwiegend und offenkundig. Sie dränge sich einem objektiven Betrachter förmlich auf. Ein verständiger Beobachter könne zu keinem anderen Schluss kommen, als dass mit der vorliegenden Nebenbestimmung weit mehr als das gefordert werde, was datenschutz- und urheberschutzrechtlich zulässig und verwaltungsrechtlich überhaupt erforderlich sei. Der massive Eingriff, den eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung des Anlagenbetriebs darstelle, stelle nicht das mildeste Mittel zur Erreichung des gewünschten Zwecks dar und sei daher grob unverhältnismäßig.
23Die Klägerin beantragt,
24die mit Bescheid der Beklagten vom 24. April 2018 erfolgte Zwangsgeldandrohung aufzuheben.
25Die Beklagte beantragt,
26die Klage abzuweisen.
27Zur Begründung ihres Klageabweisungsantrages wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Ergänzend weist sie darauf hin, dass die Klägerin aufgrund der Bestandskraft des Genehmigungsbescheides nicht mehr mit Erfolg geltend machen könne, dieser sei rechtswidrig gewesen. Anhaltspunkte für seine Nichtigkeit ergäben sich nicht. Insbesondere leide der Genehmigungsbescheid hinsichtlich der fraglichen Nebenbestimmung nicht an einem besonders schwerwiegenden Fehler. Es müsse ein Verstoß gegen tragende Verfassungsprinzipien oder aber der Rechtsordnung immanente, sie tragende Zweck- und Wertevorstellungen vorliegen. Unabhängig vom Rang der Rechtsvorschrift müsse der Verstoß nach Art und Ausmaß überdies ein Gewicht haben, dass eine Einschränkung des Gebots der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zugunsten der Stabilität des Verwaltungsaktes und damit der Rechtssicherheit nicht mehr gerechtfertigt erscheine. Die von der Klägerin behaupteten Verstöße gegen das Urheberrecht, das Datenschutzrecht und die Verletzung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen erreichten nicht diese Tragweite, sodass die Klägerin letztlich Rechtmäßigkeitserwägungen im Rahmen der Nichtigkeitsprüfung anstelle. Hinsichtlich des behaupteten Verstoßes gegen das Urheberrecht werde schon bezweifelt, ob die Klägerin diesbezüglich Trägerin eigener subjektiver Rechte sei, schließlich gehe es um Urheberrechte der ENERCON GmbH als Herstellerin der Windenergieanlagen. Diese habe mit Schreiben vom 10. Januar 2018 ausdrücklich mitgeteilt, dass die Benutzung der Software durch die Beklagte aus ihrer Sicht keine Urheberrechtsverletzung darstelle. Die Software sei von der Beklagten nicht erworben worden, sondern von dem Betreiber einer Anlage des gleichen Herstellers in Erfüllung einer Nebenbestimmung zur Verfügung gestellt worden. Durch das Einpflegen der Benutzerkennung für den Lesezugriff erhalte die ENERCON GmbH Kenntnis von dem Zugriff des Nutzers auf die Daten der entsprechenden Anlage, sodass sie eine Nutzung unterbinden könne, wenn sie mit ihr nicht einverstanden sei. Von dieser Möglichkeit habe die ENERCON GmbH bisher aber in keinem Fall Gebrauch gemacht. Im Gegenteil habe sie bisher in allen vergleichbaren Fällen die Einhaltung der identischen Nebenbestimmung zur Fernüberwachung ermöglicht. Letztlich würden die von der Nebenbestimmung erfassten Daten auch nicht als Selbstzweck gesammelt, sondern zu Zwecken der Aufgabenerfüllung der Umweltbehörde benötigt.
28Die Kammer hat den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Verfahren 6 L 859/18 mit Beschluss vom 13. Juli 2018 als unbegründet abgelehnt. Die hiergegen eingelegte Beschwerde ist beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen unter dem Aktenzeichen 8 B 1146/18 anhängig.
29Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses Verfahrens und des Verfahrens 6 L 859/18 sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (2 Aktenordner) Bezug genommen.
30E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
31Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber nicht begründet.
32Der angefochtene Bescheid vom 24. April 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
33Rechtsgrundlage für die Androhung des Zwangsgeldes in dem Bescheid der Beklagte vom 24. April 2018 sind die §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 Abs. 1 und 5 VwVG NRW.
34Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Zwangsgeldandrohung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz maßgeblich. Denn das Zwangsgeld hat regelmäßig eine ausschließlich präventive Funktion als Beugemittel, das darauf abzielt, künftige objektive Rechtsverletzungen zu vermeiden. Entfaltet das Zwangsmittel aber in die Zukunft gerichtete Rechtswirkungen, sind auch entscheidungserhebliche Veränderungen der Sach- und Rechtslage, die nach seinem Erlass eintreten, der Beurteilung seiner Rechtmäßigkeit zugrunde zu legen.
35Vgl. BVerwG, Urteile vom 14. März 2006 - 1 C 3.05 - und - 1 C 11.1 C 11.05 -, juris, jeweils Rn. 9, m.w.N.; vgl. auch Riese in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Kommentar, Loseblatt-Sammlung (Stand: Mai 2018), § 113 Rn. 276, der dafür plädiert, regelmäßig auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen.
36Dies zugrunde gelegt ist die angefochtene Zwangsgeldandrohung im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden.
37Bedenken gegen ihre formelle Rechtmäßigkeit ergeben sich nicht. Sie ist auch materiell rechtmäßig.
38Gemäߠ§ 55 Abs. 1 VwVG NRW kann ein Verwaltungsakt, der auf die Vornahme einer Handlung, Duldung oder Unterlassung gerichtet ist (dazu 1.), mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, wenn er unanfechtbar ist oder wenn ein Rechtmittel keine aufschiebende Wirkung hat (dazu 2.). Zu den Zwangsmitteln zählt das Zwangsgeld, das gemäß §§ 57 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2, 60, 63 Abs. 1 und 5 VwVG NRW schriftlich anzudrohen ist (dazu 3.).
39Diese Anforderungen erfüllt die Nebenbestimmung Nr. 6.1.6 des Genehmigungsbescheides der Beklagten vom 28. April 2016.
401. Mit dieser Nebenbestimmung ist der Klägerin hinsichtlich des mit dem Bescheid genehmigten Betriebs von zwei Windenergieanlagen in der Windkonzentrationszone "B. " die Vornahme einer Handlung aufgegeben worden, namentlich
41der Unteren Umweltschutzbehörde der Beklagten den direkten Zugriff (Lesemöglichkeit) auf verschiedene Parameter und Betriebsdaten (Windgeschwindigkeit, Windrichtung, Anlage in Betrieb, Anlage startet, Anlage stoppt, Schattenabschaltung, Eisansatzerkennung und Wartung) zu gewähren.
422. Der Genehmigungsbescheid und insbesondere die - isoliert anfechtbare - Nebenbestimmung Nr. 6.1.6 sind von der Klägerin nicht angefochten und daher bestandskräftig geworden. Dies gilt selbst für den Fall, dass die streitgegenständliche Nebenbestimmung durch eine nachträgliche Änderung erneut anfechtbar geworden sein sollte (vgl. hierzu die Ausführungen unter 2.1).
43Aus den Einwendungen der Klägerin gegen die der Zwangsgeldandrohung zugrunde liegende Grundverfügung, namentlich die Nebenbestimmung Nr. 6.1.6 des Genehmigungsbescheides vom 28. April 2016, folgt nicht die Rechtswidrigkeit der hier streitgegenständlichen Zwangsgeldandrohung. Die Nebenbestimmung ist insbesondere weder infolge fehlender Bestimmtheit nicht vollstreckungsfähig (dazu 2.1), noch ist sie infolge schwerwiegender und offenkundiger Rechtswidrigkeit unwirksam und deshalb keine taugliche Vollstreckungsgrundlage (dazu 2.2).
442.1 Die Nebenbestimmung Nr. 6.1.6 ist hinreichend bestimmt und damit vollstreckungsfähig. Es ist zwar richtig, dass ein mangels Bestimmtheit nicht vollstreckungsfähiger Verwaltungsakt selbst dann nicht Gegenstand der Verwaltungsvollstreckung sein kann, wenn er bestandskräftig ist.
45Vgl. u.a. Sadler, VwVG/VwZG, Kommentar, 9. Auflage 2014, § 6 VwVG Rn. 13; Saarl. OVG, Urteil vom 20. Februar 2017 - 2 A 34/16 -, juris Rn. 30.
46Die streitgegenständliche Nebenbestimmung ist jedoch nicht unbestimmt.
47Gemäß § 37 Abs. 1 VwVfG NRW muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Das Bestimmtheitsgebot dient der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Der Adressat muss in der Lage sein zu erkennen, was von ihm gefordert wird; zudem muss der Verwaltungsakt geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts. Ob ein Verwaltungsakt diesen notwendigen Inhalt mit hinreichender Bestimmtheit bezeichnet, ist durch Auslegung seines verfügenden Teils in Zusammenhang mit den Gründen und sonstigen den Betroffenen bekannten oder für sie ohne weiteres erkennbaren Umständen festzustellen. Die Annahme seiner Rechtswidrigkeit oder gar Nichtigkeit wegen Unbestimmtheit scheidet aus, wenn die (vorrangige) Auslegung des Bescheids etwaige Zweifel an der Bestimmtheit beseitigt; dabei kommt es nicht darauf an, wie ein außenstehender Dritter, sondern wie der Betroffene selbst nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der angefochtenen Bescheide unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen musste.
48Vgl. BVerwG, u.a. Urteile vom 27. Juni 2012 - 9 C 7.11 -, juris Rn. 15, vom 2. Juli 2008 - 7 C 38.07 -, juris Rn. 11, und vom 18. April 1997 - 8 C 43.95 -, juris Rn. 35 und 37; Sadler, a.a.O., § 6 VwVG Rn. 10.
49Ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot hat die materielle Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes zur Folge, unter den Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 VwVfG NRW unter Umständen sogar seine Nichtigkeit und damit Unwirksamkeit (§ 43 Abs. 3 VwVfG NRW).
50Ausgehend hiervon liegt kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot vor.
51Die Beklagte hat der Klägerin mit der fraglichen Nebenbestimmung aufgegeben, ihr mittels vorhandener Hard- und Software der Fa. ENERCON einen direkten Zugriff in Form einer Lesemöglichkeit auf verschiedene, enumerativ aufgezählte Parameter und Betriebsdaten der Anlagen zu gewähren. Unter Berücksichtigung des allein maßgeblichen Empfängerhorizonts spricht alles dafür, dass für die Klägerin, die die fragliche Software selbst besitzt und regelmäßig einsetzt, nicht zweifelhaft gewesen ist, wie einem Dritten - hier der Überwachungsbehörde - ein Zugriff auf die Anlagendaten gewährt werden konnte.
52Dass nach der Formulierung der Nebenbestimmung dieser Zugriff "mittels Fernüberwachung und Modemverbindung" gewährt werden sollte, was - worauf die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu Recht hingewiesen hat - wohl schon lange nicht mehr dem Stand der Technik entspricht, ist unschädlich. Für die Klägerin war offensichtlich, dass mittels der eingesetzten Hard- und Software der ENERCON ein Zugriff nicht in dieser Form, sondern allein über das Internet erfolgt. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben muss die Klägerin sich dieses Verständnis entgegenhalten lassen. Diese Frage hat folgerichtig in dem hinsichtlich dieser Nebenbestimmung intensiv geführten Schriftwechsel der Beteiligten überhaupt keine Rolle gespielt und ist erst im Rahmen des Eilverfahrens 6 L 859/18 von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin aufgeworfen worden.
53Ebenfalls ist im Ergebnis unschädlich, dass weder im Verfügungstenor noch in der Begründung des Genehmigungsbescheides vom 28. April 2016 ausgeführt war, wie der geforderte Zugriff auf die Anlagendaten im Einzelnen zu gewähren war, namentlich über den Zugriff auf einen bestimmten "Dongle" mit einem bestimmten Benutzernamen. Nach Auffassung der Kammer ist es - gerade bei immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheiden, die insbesondere zu den Schutzgütern des UVPG (Mensch, Tiere, Pflanzen, Boden, Wasser, Luft etc.) regelmäßig eine Vielzahl unterschiedlichster Nebenbestimmungen aufweisen - nicht immer erforderlich, in jeder Nebenbestimmung deren Umsetzung im Einzelnen und detailgenau vorzuzeichnen. Insoweit kann es jedenfalls dann, wenn allein die Überwachung der Anlagen in Rede steht, ausreichend sein, im Genehmigungsbescheid das Regelungsziel genau zu beschreiben und das hierfür vorgesehene Mittel anzugeben. Nähere Einzelheiten der Umsetzung können zwischen Genehmigungsinhaber und Genehmigungs- bzw. Überwachungsbehörde für das Überwachungsverfahren im Einzelnen abgestimmt werden. Erst dann, wenn die Erfüllung der Nebenbestimmung mit einem Zwangsmittel bedroht wird, muss zwischen den Beteiligten auch die Umsetzung im Einzelnen feststehen.
54Vgl. zu einer erst nachträglichen Konkretisierung: OVG Meckl.-Vorp., Urteil vom 13. September 2017 - 3 L 145/14 -, juris Rn. 40; OVG Bremen, Urteil vom 29. August 2000 - 1 A 398/99 -, juris Rn. 48 f.
55Diesen Anforderungen genügt die streitige Nebenbestimmung. Ziel und Mittel sind hinreichend genau beschrieben. Die Klägerin wusste, was von ihr gefordert wird.
56Unter Berücksichtigung des maßgeblichen Empfängerhorizonts und des Grundsatzes von Treu und Glauben begegnet die Nebenbestimmung unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Bestimmtheit aus den dargelegten Gründen daher keinen durchgreifenden Bedenken.
57Im Übrigen wäre ein etwaiger Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot zwischenzeitlich geheilt.
58Die Behörde ist befugt, einen unklaren Verwaltungsakt zu präzisieren und seine hinreichende Bestimmtheit nachträglich herbeizuführen. Denn es ist allgemein anerkannt, dass Verwaltungsakte nach ihrem Erlass noch geändert werden können, insbesondere dass inhaltliche Mängel auch nachträglich durch Änderung oder Ergänzung noch korrigiert werden können. § 45 Abs. 2 VwVfG NRW schließt nur die "Heilung" bestimmter verfahrensfehlerhafter Verwaltungsakte durch bloße Nachholung des Verfahrensschritts aus. Eine inhaltliche Änderung - bis hin zur vollständigen Aufhebung - ist sogar, nämlich im Rahmen der §§ 48 und 49 VwVfG, noch nach Bestandskraft zulässig.
59Vgl. BVerwG, Urteile vom 2. Juli 2008 - 7 C 38.07 -, juris Rn. 18, und vom 14. Dezember 1990 - 7 C 5.90 -, juris Rn. 26, und Beschluss vom 21. Juni 2006 - 4 B 32.06 -, juris Rn. 1; OVG NRW, Beschluss vom 12. Februar 2015 - 2 A 616/14 -, juris Rn. 7 f.
60Zwar ist die Klarstellung, dass die Erfüllung der fraglichen Nebenbestimmung von der Klägerin verlangt, beim Hersteller der Windenergieanlagen, der ENERCON GmbH, die Freischaltung des Benutzers mit dem
61Dongle:
62Benutzername:
63für den SCADA-Zugriff zu beantragen, erst nach Eintritt der Bestandskraft des Genehmigungsbescheides vom 28. April 2016 erfolgt. Die Heilung einer fehlenden Bestimmtheit ist der Behörde aber nach den zuvor dargestellten Grundsätzen auch nach Eintritt der Bestandskraft nicht verwehrt. Vorliegend hat die Beklagte in ihrem der Klägerin mit Schreiben vom 11. Juli 2017 zugeleiteten Abnahmeprotokoll vom 7. Juni 2017 die Klarstellung vorgenommen, wie der Zugriff zu gewähren ist. Hierdurch hat sie die Nebenbestimmung Nr. 6.1.6 wirksam inhaltlich abgeändert. Jedenfalls im Zeitpunkt der vorliegend angefochtenen Androhung eines Zwangsgeldes wusste die Klägerin damit, was im Einzelnen von ihr verlangt wird und wie sie die Festsetzung eines Zwangsgeldes vermeiden kann.
64Diese nachträgliche Änderung der bereits in Bestandskraft erwachsenen Nebenbestimmung Nr. 6.1.6 hat Regelungscharakter und der Klägerin eine neue Anfechtungsmöglichkeit eröffnet. Die in dieser Form präzisierte Nebenbestimmung hat die Klägerin jedoch (ebenfalls) nicht angefochten. Im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung war die Nebenbestimmung Nr. 6.1.6 in der Fassung ihrer Präzisierung durch das Abnahmeprotokoll vom 7. Juni 2017 daher - auch unter Berücksichtigung der wegen der fehlenden Rechtsmittelbelehrung geltenden Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO - in Bestandskraft erwachsen. Zweifel an der Vollstreckungsfähigkeit des Grundverwaltungsakts bestehen nach alledem nicht.
652.2 Hinsichtlich der übrigen Einwände gegen die Grundverfügung gilt grundsätzlich, dass mit einem gegen Vollstreckungsmaßnahmen gerichteten Rechtsmittel nur deren Rechtswidrigkeit, nicht aber die Rechtswidrigkeit der Grundverfügung gerügt werden kann. Ist die Grundverfügung - wie hier - unanfechtbar geworden, so können Einwendungen gegen diese grundsätzlich nicht mehr berücksichtigt werden.
66Vgl. BVerwG, u.a. Urteil vom 25. September 2008 - 7 C 5.08 -, juris Rn. 12; OVG NRW, Beschlüsse vom 14. März 2013 - 2 B 219/13 -, juris Rn. 8, vom 19. Dezember 2012 - 12 B 1339/12 -, juris Rn. 3, und vom 20. Januar 2012 - 4 B 1425/11 -, juris Rn. 4; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 17. Januar 2018 - 1 S 2794/17 -, juris Rn. 3; OVG Sachs.-Anh., Beschluss vom 28. September 2016 - 3 M 170/16 -, juris Rn. 3; OVG Berl.-Brand., Beschluss vom 20. Januar 2016 - OVG 10 S 29.15 -, juris Rn. 4.
67Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht nur dann, wenn der zu vollstreckende Grundverwaltungsakt i.S.v. § 44 VwVfG NRW nichtig und damit unwirksam ist. Denn nur ein wirksamer Verwaltungsakt kann Grundlage einer rechtmäßigen Verwaltungsvollstreckung sein.
68Vgl. statt Vieler OVG Berl.-Brand., Beschluss vom 20. Januar 2016 - OVG 10 S 29.15 -, juris Rn. 5.
69Die Klägerin hat mit ihrem Vorbringen jedoch keine Umstände aufgezeigt, die für eine Nichtigkeit der fraglichen Nebenbestimmung sprechen.
70Nach § 44 Abs. 1 VwVfG NRW ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.
71Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist die aus Rechtsmängeln abgeleitete Folge der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes stets als eine besondere Ausnahme von dem Grundsatz angesehen worden, dass ein Akt der staatlichen Gewalt die Vermutung seiner Gültigkeit in sich trage. Besonders schwerwiegend im Sinne des § 44 Abs. 1 VwVfG NRW ist daher nur ein Fehler, der den davon betroffenen Verwaltungsakt als schlechterdings unerträglich erscheinen, d.h. mit tragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten wesentlichen Wertvorstellungen unvereinbar sein lässt. Dagegen ist die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes nicht schon deswegen anzunehmen, weil er einer gesetzlichen Grundlage entbehrt (sog. "gesetzloser" Verwaltungsakt) oder die in Frage kommenden Rechtsvorschriften unrichtig angewendet worden sind.
72Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1997 - 8 C 1.96 -, juris Rn. 28, und Beschluss vom 11. Mai 2000 - 11 B 26.00 -, juris Rn. 8; OVG Berl.-Brand., Beschluss vom 20. Januar 2016 - OVG 10 S 29.15 -, juris Rn. 7; Ramsauer in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 17. Aufl. 2016, § 44 Rn. 7 ff. m.w.N.
73Der schwerwiegende Fehler muss darüber hinaus für einen unvoreingenommenen, mit den in Betracht kommenden Umständen vertrauten, verständigen und urteilsfähigen Bürger ohne Weiteres ersichtlich sein, er muss sich ihm geradezu aufdrängen. Dem Verwaltungsakt muss die Fehlerhaftigkeit gewissermaßen "auf die Stirn geschrieben" sein, d.h. es darf die ernsthafte Möglichkeit, dass der Verwaltungsakt doch rechtmäßig sein könnte, nach Lage der Dinge nicht bestehen. Kenntnis der verletzten Rechtsvorschriften oder Rechtsgrundsätze ist nicht Voraussetzung; es genügt, dass im Sinne der strafrechtlichen Theorie der Parallelwertung in der Laiensphäre ein billig und gerecht denkender, aufgeschlossener Staatsbürger ohne weitere Ermittlungen oder besondere rechtliche Überlegungen zu dem Schluss kommen muss, dass der Verwaltungsakt unmöglich rechtens sein kann.
74Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31. August 2015 - 15 B 966/15 -, juris Rn. 12; Schlesw.-Holst. OVG, Urteil vom 17. April 2018 - 15 KF 9/17 -, juris Rn. 71 f.; BGH, Urteil vom 7. September 2017 - 2 StR 24/16 -, juris Rn. 72; BFH, Urteil vom 12. August 2015 - I R 45/14 -, juris Rn. 19; Ramsauer, a.a.O., § 44 Rn. 12 f. m.w.N.
75Die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes ist daher nur dann anzunehmen, wenn die an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen in so erheblichem Maße verletzt werden, dass von niemandem erwartet werden kann, den Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen.
76Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1997 - 8 C 1.96 -, juris Rn. 28, und Beschluss vom 5. April 2011 - 6 B 41.10 -, juris Rn. 4; OVG Berl.-Brand., Beschluss vom 20. Januar 2016 - OVG 10 S 29.15 -, juris Rn. 5.
77Dass diese Voraussetzungen in Bezug auf die Nebenbestimmung Nr. 6.1.6 vorliegen, ist nicht im Ansatz erkennbar.
78Ob die geltend gemachten Rechtsfehler (Verstoß gegen das Urheberrechtsgesetz, unbefugte Veröffentlichung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen der Klägerin, Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen, Unverhältnismäßigkeit der Nebenbestimmung) überhaupt vorliegen und geeignet sein können, eine "einfache" Rechtswidrigkeit der Nebenbestimmung zu begründen, muss die Kammer nicht entscheiden. Auf diese Prüfung besteht nach den zuvor dargestellten Grundsätzen bei einer bestandskräftigen Grundverfügung gerade kein Anspruch.
79Die Kammer kann hier auch offenlassen, ob die geltend gemachten Rechtsfehler, sollten sie tatsächlich vorliegen, besonders schwerwiegende Fehler darstellen würden. Denn es fehlt jedenfalls an einem offenkundigen Rechtsbruch.
80Dass die von der Klägerin angeführten, nach ihrer Einschätzung besonders schwerwiegenden Rechtsfehler für einen verständigen und urteilsfähigen Bürger nicht ohne Weiteres auf der Hand liegen können, sondern einer eingehenden juristischen Prüfung bedürfen, zeigt bereits der Umstand, dass die Klägerin diese Fehler in einer insgesamt mehr als 30-seitigen Antrags- und Klagebegründung im Einzelnen darlegt. Selbst die zur Entscheidung berufene Kammer könnte nicht ohne nähere Prüfung beurteilen, ob die Erfüllung der Nebenbestimmung tatsächlich zu Verstößen gegen das Datenschutz- oder Urheberrecht führt, ob unter Umständen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse in rechtswidriger Weise von der Nebenbestimmung betroffen sind und ob sie möglicherweise unverhältnismäßig ist. Nicht ohne Grund hat die Klägerin ihre Bitte, das Verfahren nicht auf den Einzelrichter zu übertragen, mit dem Hinweis darauf begründet, dass sich im Klageverfahren "komplexe datenschutz- und urheberrechtliche Fragestellungen im Konfliktfeld zwischen immissionsschutzrechtlichen Überwachungspflichten der Behörde und grundrechtlich geschützten Interessen des Betreibers von Windenergieanlagen an der Geheimhaltung von Betriebs- und Geschäftsinformationen" stellen würden. Dabei handele es sich "aufgrund der datenschutzrechtlichen und immissionsschutzrechtlichen Verknüpfungen um eine durchaus komplexe Materie, die zudem einige grundsätzliche Sach- und Rechtsfragen" aufwerfe. Auch nach der Einschätzung der Klägerin kann daher vorliegend keine Rede davon sein, dass der streitgegenständlichen Nebenbestimmung die Rechtswidrigkeit "auf die Stirn geschrieben" steht und dass für einen verständigen Bürger ohne Weiteres erkennbar ist, dass ein solcher Verwaltungsakt unmöglich rechtens sein kann.
81Eine Nichtigkeit im Sinne von § 44 Abs. 1 VwVfG NRW liegt vor diesem Hintergrund nicht vor.
82Die Klägerin beruft sich schließlich auch ohne Erfolg auf den absoluten Nichtigkeitsgrund des § 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG NRW. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 nichtig, wenn er die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht. Die Befürchtung der Klägerin, die Erfüllung der Nebenbestimmung erfordere von ihr im Hinblick auf das Urheberrecht des Herstellers der Windenergieanlagen eine strafbare oder jedenfalls mit einem Bußgeld bewehrte Handlung, ist nicht begründet. Denn ohne eine Mitwirkung der ENERCON GmbH, die den Nutzer der erforderlichen Hardware (Dongle) und der Software freischalten muss, ist die Fernüberwachung technisch nicht möglich. Das Vorliegen einer Urheberrechtsverletzung dürfte bei einer aktiven Mitwirkung des Rechteinhabers an einer Nutzung seiner Software aber zweifelhaft sein. Zu diesem Ergebnis kommt offenbar auch die ENERCON GmbH selbst, die auf Anfrage der Beklagten mit Schreiben vom 10. Januar 2018 mitgeteilt hat, dass die behördliche Nutzung des ENERCON Scada Remote Systems aus Herstellersicht keine Urheberrechtsverletzung darstelle (Bl. 806 der Beiakte II). Jedenfalls wird aber die Klägerin mit dem ihr allein abverlangten Antrag auf Freischaltung die Grenze zur Strafbarkeit oder zur Begehung einer Ordnungswidrigkeit ersichtlich nicht überschreiten.
83Eine unanfechtbare, wirksame und vollstreckbare Grundverfügung liegt damit im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vor.
843. Auch die übrigen Vollstreckungsvoraussetzungen sind gegeben.
85Gemäߠ§§ 57 Abs. 2, 63 Abs. 1 Satz 1 VwVG NRW sind Zwangsmittel schriftlich anzudrohen. In der Androhung ist dem Pflichtigen eine zur Erfüllung geeignete Frist zu setzen. Diesen Anforderungen wird die der Klägerin mit der schriftlichen Androhung gesetzte Frist, die Nebenbestimmung bis zum 31. Mai 2018 zu erfüllen, gerecht.
86Die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes begegnet schließlich ebenfalls keinen Bedenken. Es bewegt sich mit 2.000 Euro am unteren Rand des gesetzlich vorgegebenen Rahmens von zehn bis einhunderttausend Euro (§§ 60 Abs. 1, 63 Abs. 5 VwVG NRW). Dass mit diesem Betrag das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an der Nichtbefolgung der Nebenbestimmung zu hoch bemessen sein könnte, ist nicht erkennbar.
87Soweit die Klägerin die Unverhältnismäßigkeit der Zwangsgeldandrohung mit Einwänden gegen die Verhältnismäßigkeit der zu Grunde liegenden Grundverfügung, namentlich der Nebenbestimmung Nr. 6.1.6, begründet, ist sie mit diesem Vortrag aus den unter Ziffer 2.2 dargelegten Gründen ausgeschlossen. Dass es aus rechtsstaatlichen Gründen ausnahmsweise gerechtfertigt oder gar erforderlich sein könnte, eine mögliche Unverhältnismäßigkeit der Grundverfügung auf die Vollstreckungsebene durchschlagen zu lassen, ist vorliegend nicht ansatzweise ersichtlich. Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Zwangsgeldandrohung bestehen auch im Übrigen nicht.
88Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 24. April 2018 weist daher im Ergebnis nicht die von der Klägerin gerügten Rechtsfehler auf, weshalb die Klage vollumfänglich abzuweisen ist.
89Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
90Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Aachen Urteil, 30. Nov. 2018 - 6 K 1959/18
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Verwaltungsgericht Aachen Urteil, 30. Nov. 2018 - 6 K 1959/18 zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Der Verwaltungsakt, der auf die Herausgabe einer Sache oder auf die Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder Unterlassung gerichtet ist, kann mit den Zwangsmitteln nach § 9 durchgesetzt werden, wenn er unanfechtbar ist oder wenn sein sofortiger Vollzug angeordnet oder wenn dem Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung beigelegt ist.
(2) Der Verwaltungszwang kann ohne vorausgehenden Verwaltungsakt angewendet werden, wenn der sofortige Vollzug zur Verhinderung einer rechtswidrigen Tat, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht, oder zur Abwendung einer drohenden Gefahr notwendig ist und die Behörde hierbei innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse handelt.
(1) Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein.
(2) Ein Verwaltungsakt kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Ein mündlicher Verwaltungsakt ist schriftlich oder elektronisch zu bestätigen, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht und der Betroffene dies unverzüglich verlangt. Ein elektronischer Verwaltungsakt ist unter denselben Voraussetzungen schriftlich zu bestätigen; § 3a Abs. 2 findet insoweit keine Anwendung.
(3) Ein schriftlicher oder elektronischer Verwaltungsakt muss die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten. Wird für einen Verwaltungsakt, für den durch Rechtsvorschrift die Schriftform angeordnet ist, die elektronische Form verwendet, muss auch das der Signatur zugrunde liegende qualifizierte Zertifikat oder ein zugehöriges qualifiziertes Attributzertifikat die erlassende Behörde erkennen lassen. Im Fall des § 3a Absatz 2 Satz 4 Nummer 3 muss die Bestätigung nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes die erlassende Behörde als Nutzer des De-Mail-Kontos erkennen lassen.
(4) Für einen Verwaltungsakt kann für die nach § 3a Abs. 2 erforderliche Signatur durch Rechtsvorschrift die dauerhafte Überprüfbarkeit vorgeschrieben werden.
(5) Bei einem schriftlichen Verwaltungsakt, der mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird, können abweichend von Absatz 3 Unterschrift und Namenswiedergabe fehlen. Zur Inhaltsangabe können Schlüsselzeichen verwendet werden, wenn derjenige, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, auf Grund der dazu gegebenen Erläuterungen den Inhalt des Verwaltungsaktes eindeutig erkennen kann.
(6) Einem schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakt, der der Anfechtung unterliegt, ist eine Erklärung beizufügen, durch die der Beteiligte über den Rechtsbehelf, der gegen den Verwaltungsakt gegeben ist, über die Behörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf einzulegen ist, den Sitz und über die einzuhaltende Frist belehrt wird (Rechtsbehelfsbelehrung). Die Rechtsbehelfsbelehrung ist auch der schriftlichen oder elektronischen Bestätigung eines Verwaltungsaktes und der Bescheinigung nach § 42a Absatz 3 beizufügen.
(1) Der Verwaltungsakt, der auf die Herausgabe einer Sache oder auf die Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder Unterlassung gerichtet ist, kann mit den Zwangsmitteln nach § 9 durchgesetzt werden, wenn er unanfechtbar ist oder wenn sein sofortiger Vollzug angeordnet oder wenn dem Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung beigelegt ist.
(2) Der Verwaltungszwang kann ohne vorausgehenden Verwaltungsakt angewendet werden, wenn der sofortige Vollzug zur Verhinderung einer rechtswidrigen Tat, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht, oder zur Abwendung einer drohenden Gefahr notwendig ist und die Behörde hierbei innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse handelt.
(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.
(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,
- 1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt; - 2.
der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt; - 3.
den eine Behörde außerhalb ihrer durch § 3 Abs. 1 Nr. 1 begründeten Zuständigkeit erlassen hat, ohne dazu ermächtigt zu sein; - 4.
den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann; - 5.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht; - 6.
der gegen die guten Sitten verstößt.
(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil
- 1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind, außer wenn ein Fall des Absatzes 2 Nr. 3 vorliegt; - 2.
eine nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat; - 3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war; - 4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.
(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsaktes, so ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.
(5) Die Behörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.
(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.
(2) Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.
(3) Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam.
Tenor
Die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 26. Juni 2014 wird zurückgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht zuvor der Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
- 1
Die Kläger wenden sich gegen eine artenschutzrechtliche Auflage zu einem Höhenmonitoring im Zeitraum vom 01.04. bis 31.10. eines Jahres.
- 2
Die E. beantragte am 30.06.2010 die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen im Windeignungsgebiet "F" im Landkreis Mecklenburgische-Seenplatte. Nach dem im Genehmigungsverfahren vorgelegten "Landschaftspflegerischen Begleitplan" vom 23.06.2010 könnten Fledermäuse in ganz unterschiedlicher Weise von den Auswirkungen der Windenergieanlagen betroffen sein. Der Plan verweist dazu auf die Ausführungen des Abschlussberichtes zur Erfassung der Fledermauszönose im Windeignungsraum G vom 14.10.2008. Danach seien insbesondere die Zwergfledermaus, die Mückenfledermaus, der Abendsegler sowie die Breitflügelfeldermaus zum Zeitpunkt der Untersuchung im Untersuchungsgebiet G nachgewiesen worden. Der Artenreichtum von neun Fledermausarten (sechs im engeren Untersuchungsgebiet), davon eine nach FFH-Anhang II-8 (Mausohr), und das Vorhandensein von Quartieren von mindestens drei Fledermausarten seien in der Region etwas Besonderes. Es seien klare Funktionsräume mit hoher Bedeutung für die Fledermauszönose erkennbar. Dabei spielten sowohl das Dorf G mit seinen Lebensräumen als auch Waldteile und Heckenstrukturen im Gebiet eine herausragende Rolle. Auf der anderen Seite seien zwischen den Landschaftsteilen mit hoher Lebensraumfunktion für Fledermäuse auch großflächige Ackerflächen vorhanden, die aus der Sicht des Fledermausschutzes für eine Nutzung durch Windkraftanlagen geeignet erscheinen würden. Durch den Betrieb von Windkraftanlagen könne es zu Beeinträchtigungen der Fledermauszönose kommen. Insbesondere der Hudewald (Fläche 1) und der Wald (Fläche 3) sollten nicht mit Windkraftanlagen bebaut werden. Hier solle eine ausreichend große Abstandsfläche (größer als 150 m) von jeglicher Bebauung freigehalten werden, um eine erhebliche Beeinträchtigung der Funktionsräume der Fledermauszönose zu vermeiden.
- 3
Des weiteren wurde ein „Artenschutzrechtlicher Fachbeitrag Windpark G“ (AFB) der N.-Ingenieure und Architekten, vom 22.12.2010 eingereicht. Hinsichtlich der behandelten Fledermausarten kommt das Gutachten sämtlich zu dem Ergebnis, dass sich das Verletzungs– und Tötungsrisiko für die individuellen Exemplare nicht signifikant erhöhen und das Risiko der Beschädigung oder Zerstörung von Entwicklungsformen nicht signifikant ansteigen würde. Das Gutachten behandelt den Großen Abendsegler, die Zwerg-/Mückenfledermaus und die Breitfügelfledermaus.
- 4
In der Stellungnahme des Landesamtes für Umwelt, Naturschutz und Geologie Mecklenburg-Vorpommern – LUNG – vom 19.10.2011 werden folgende Mängel des AFB festgestellt: Um das Kollisionsrisiko für Fledermäuse abschließend einschätzen, werde eine akustische Höhenerfassung für notwendig erachtet. Flugstraßen seien im Rahmen des Fledermausgutachtens nachgewiesen und bei der Ausweisung der einzelnen Standorte berücksichtigt. Allerdings seien die Angaben im AFB widersprüchlich. Das Eintreten von Verbotstatbeständen gemäß § 44 Abs. 1 BNatSchG könne durch geeignete Vermeidung und/oder CEF-Maßnahmen ausgeschlossen werden. Es sei eine akustische Höhenerfassung vorzunehmen. Die weiteren Einzelheiten werden dargelegt. Das Konzept müsse dem LUNG bis zum 15.12.2011 vorliegen.
- 5
Mit Bescheid vom 16.11.2011 erteilte der Beklagte der E. zur Nr. G 046/11 die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von sechs Windkraftanlagen des Typs ENERCON E-101 mit einer Nabenhöhe von 135,4 m und einem Rotordurchmesser von 101 m auf den Flurstücken H, I und J der Flur 1, Gemarkung G. Die Gesamthöhe der Anlagen beträgt 185,9 m. Die Genehmigung enthält unter Ziff. 1.2.5.2 eine Auflage für ein einjähriges Höhenmonitoring (01.04. bis 31.10.) an mindestens drei Windkraftanlagen, auf dessen Basis die Anzahl zu erwartender Fledermausschlagopfer hochzurechnen ist, da die erfolgte Bodennaherfassung nicht ausreiche, um das Kollisionsrisiko für die Artengruppe der Fledermäuse abschließend bewerten zu können. Die Auflage lautet:
- 6
"Für die Artengruppen der Fledermäuse ist eine akustische Höhenerfassung in den Windkraftanlagen vorzunehmen. Dieses Höhenmonitoring ist für das erste Betriebsjahr durchzuführen. Die Erfassung hat während des gesamten Aktivitätszeitraumes der Fledermäuse im Zeitraum vom 1. April bis 31. Oktober zu erfolgen.
- 7
Da die Windkraftanlagen in zwei Gruppen relativ nah beieinander stehen, ist es ausreichend, wenn mindestens drei Anlagen erfasst werden. Dabei sind in jeder Gruppe die Anlagen auszuwählen, die einer geeigneten Struktur am nächsten liegen (WKA 1, 2, 4).
- 8
Auf Basis der Höhenerfassung ist die Anzahl zu erwartender Schlagopfer hochzurechnen. Gegebenenfalls müssen über nachträgliche Anordnungen nach § 17 BlmSchG Abschaltzeiten formuliert und langfristig eingehalten werden, die die zu erwartende Anzahl von Schlagopfern auf das Maß von weniger als zwei Fledermauskollisionen an jeder einzelnen WKA im Jahr reduzieren.
- 9
Die Methode der Höhenerfassung sowie die Hochrechnung auf Schlagopfer und die Abschaltzeiten sind mit dem LUNG M-V abzustimmen und nach dessen Vorgaben anzupassen.
- 10
Das Konzept ist dem LUNG M- V bis zur Inbetriebnahme der WKA vorzulegen."
- 11
Zur Begründung dieser Auflage wird in dem Bescheid ausgeführt: Der AFB komme zum Ergebnis, dass bei Durchführung der vom Gutachter entwickelten Vermeidungs– und CEF-Maßnahmen durch das Vorhaben keine Verbotstatbestände gemäß § 44 Abs. 1 BNatSchG für die überprüften Arten erfüllt seien. Das akustische Höhenmonitoring für die Art der Fledermäuse sei in der Nebenbestimmung 1.2.5.2 enthalten. Die bodennahe Erfassung reiche nicht aus, um das Kollisionsrisiko für die Arten Gruppe der Fledermäuse abschließend bewerten zu können.
- 12
Die Anlagen sind nach Angaben der Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat errichtet und in Betrieb. Das Monitoring ist durchgeführt, die Ergebnisse aber nicht ausgewertet.
- 13
Gegen die Auflage haben die Klägerinnen, die nach Übertragung der Rechte aus der Genehmigung den Bauherrenwechsel gegenüber dem Beklagten angezeigt haben, am 15.12.2011 Klage erhoben.
- 14
Die Klägerinnen haben beantragt,
- 15
die Nebenbestimmung Ziff. 1.2.5.2 der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung des Beklagten vom 16.11.2011 aufzuheben.
- 16
Der Beklagte hat beantragt,
- 17
die Klage abzuweisen.
- 18
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 26. Juni 2014 abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt: Nach den vorliegenden Unterlagen könne sich die Kammer der Auffassung der Kläger, dass eine fehlende signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos von Fledermäusen durch vorliegende Gutachten bereits hinreichend belegt sei, nicht anschließen. In dem Gutachten betreffend die Betriebszeiten der Windkraftanlagen werde ausgeführt: "Je nach Befunden vor Ort kann die Betriebszeit in den Monaten August und September auf die Hellphasen begrenzt werden. Damit würde das Risiko für durchziehende Fledermausarten weitgehend vermieden". Weiter stellt der Gutachter zusammenfassend fest: "Funktionsräume mit herausragender und besonderer Bedeutung für die Fledermauszönose sind der Hudewald nordöstlich von G, der Wald am Nordrand des Untersuchungsgebietes sowie die Baumreihe entlang der Straße von G nach K. Durch den Betrieb von Windkraftanlagen kann es zur Beeinträchtigung der Fledermauszönose kommen, welche nicht erheblich sein wird, wenn die vorgeschlagenen Ausschlussräume und Abstände eingehalten werden". Für den Hudewald und den Wald habe der Gutachter dementsprechend eine Abstandsfläche von mehr als 150 m, zu den weiteren Funktionsräumen mit herausragender Bedeutung einen Abstand von mindestens 100 m und von den Funktionsräumen mit großer Bedeutung einen Abstand von mindestens 50 m empfohlen.
- 19
Obwohl der Gutachter auf die Standardmethode zur Bestandserfassung von Fledermäusen zurückgegriffen und einen Methodenmix aus Habitatanalyse und Geländeuntersuchungen unter Einsatz von Sichtbeobachtungen, Detektoren, Horchboxen und Netzfängen angewandt habe und auch die von ihm empfohlenen Abstände durch die errichteten Windkraftanlagen unstreitig eingehalten würden, bedürfe es noch weiterer Ermittlungen und Feststellungen, um dem Beklagten eine hinreichende Beurteilung des durch die Windkraftanlagen verursachten Tötungsrisikos zu erlauben. Dabei bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass durch zusätzliche Ermittlungen keine weitergehenden Erkenntnisse zu erwarten sind und die gegenwärtig bestehende Unsicherheit über die zu erwartenden Beeinträchtigungen nicht behoben werden kann. Derartige Ermittlungen seien tatsächlich möglich. Auch stelle die hier gegebene Möglichkeit, dass es zu Schlagopfern unter Fledermäusen kommen könne, kein unausräumbares Hindernis für das Vorhaben der Kläger dar. Durch geeignete Vermeidungs- und Schutzmaßnahmen wie das vorgesehene Monitoring und ggf. Abschaltzeiten könnten die Eingriffs- und Störwirkungen auf ein hinnehmbares Maß reduziert werden, so dass der Beklagte der Rechtsvorgängerin der Kläger die Genehmigung erteilen durfte.
- 20
Die Anordnung des Monitorings sei sachgerecht. Es sei grundsätzlich anerkannt, dass eine Genehmigungsbehörde ein Monitoring anordnen könne, um nicht behebbaren naturschutzrechtlichen Erkenntnislücken oder Unsicherheiten Rechnung zu tragen, insbesondere dann, wenn Unsicherheit über die Wirksamkeit von Schutz- und Kompensationsmaßnahmen besteht, die für den Fall, dass sich die Maßnahmen als unzureichend erweisen, durch weitere Maßnahmen ergänzt werden sollen. Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Denn die gutachterlichen Ermittlungen enthielten Unsicherheiten, die eine Überprüfung angezeigt erscheinen ließen, ob eine signifikante Erhöhung des Risikos einer Fledermaustötung des Abendseglers durch Rotorschlag anzunehmen sei. In einer solchen Situation diene das Monitoring dazu, weitere Erkenntnisse über Beeinträchtigungen zu gewinnen und dementsprechend die Durchführung des Vorhabens zu steuern. Es diene dazu, die dauerhafte Tragfähigkeit der Prognose des Gutachters zu überprüfen und zu erkennen, ob und ggf. in welcher Häufigkeit es zu Kollisionen komme.
- 21
Dieses Urteil wurde den Klägerinnen am 11. Juli 2014 zugestellt. Am 25. Juli 2014 haben sie den Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, den sie am 13. August 2014 fristgerecht begründet haben. Mit Beschluss vom 30. März 2016 hat der Senat die Berufung zugelassen.
- 22
Dieser Beschluss wurde den Klägerinnen am 05. April 2016 zugestellt. Am 29. Juni 2016 haben die Klägerinnen, nach dem der Vorsitzende die Begründungsfrist auf den 1. Juli 2016 verlängert hatte, die Berufung begründet und einen Antrag gestellt.
- 23
Zur Begründung der Berufung tragen die Klägerinnen vor:
- 24
Es bestünden grundsätzliche Zweifel an der Geeignetheit eines Monitorings zum Schutz von Individuen, mithin an der Erforderlichkeit i.S.v. § 12 Abs. 1 Satz 1 BlmSchG. Ein Monitoring könne für sich betrachtet keinesfalls die Tötung von Individuen der besonders ge-schützten Arten verhindern. Ein Monitoring könnte allenfalls dazu beitragen, die Verwirklichung des Tötungsverbots aus § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG zu verhindern, wenn es Bestandteil eines wirksamen Schutzkonzepts sei. Hier stehe fest, dass die Genehmigung selbst keine Maßnahmen vorsehe, die ergriffen werden können, wenn sich die Prognosen aus dem Genehmigungsverfahren als unzutreffend erweisen. Eine nachträgliche erstmalige Anordnung von Abschaltzeiten zum Schutz von Fledermäusen könne nicht, wie es in der angefochtenen Nebenbestimmung vorgesehen ist, auf Basis von § 17 BlmSchG erlassen werden, weil diese Vorschrift nur zu Maßnahmen ermächtige, die die Erfüllung der Pflichten aus dem Bundesimmissionsschutzgesetz gewährleisten. Der Genehmigungsbescheid enthalte keinen Auflagenvorbehalt, der zu einer nachträglichen Anordnung von Abschaltzeiten ermächtige.
- 25
Abgesehen davon seien auch die Voraussetzungen von § 12 Abs. 1 Satz 1 BlmSchG i.V.m. § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG nicht erfüllt. Ein signifikant gesteigertes Tötungsrisiko für die Fledermausarten im Vorhabengebiet könne bereits auf Grund der beim Beklagten eingereichten fachgutachterlichen Stellungnahmen sicher ausgeschlossen werden. Wenn der Beklagte ausführe, die Auflage diene der Schließung von unvermeidbarer Erkenntnislücken und solle die Grundlage für eventuell anzuordnende Schutzmaßnahmen darstellen, soweit derartige Maßnahmen erforderlich sind, um einen Verstoß gegen das Tötungsverbot aus § 44 Abs. 1 BNatSchG zu verhindern, werde daraus deutlich, dass im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung gerade nicht sicher eingeschätzt werden konnte, ob ein Verstoß gegen das Tötungsrisiko zu erwarten war. Es sei Aufgabe der Behörde, sich die Daten zu verschaffen; die Verantwortung für die (vollständige) Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen obliege ihr. Sofern die Behörde meine, ihr lägen nicht sämtliche Informationen vor, die sie für ihre Entscheidung benötigt, so könne sie schlichtweg keine Entscheidung treffen.
- 26
Im Übrigen sei das angeordnete Monitoring mangels Geeignetheit auch nicht erforderlich, um das Vorliegen der Genehmigungsvoraussetzung sicherzustellen. Es solle das Schutzkonzept selbst sein. Es seien hier keine Schutz- und Kompensationsmaßnahmen angeordnet, deren Wirksamkeit durch das Monitoring überprüft werden sollten. Ein wirksames, in der Genehmigung verbindlich angelegtes, Schutzkonzept sei gegeben, wenn die das Schutzkonzept bildenden Regelungen in der Genehmigung verbindlich angeordnet seien. Es sei nicht ausreichend, dass etwaige Abschaltzeiten angekündigt werden. Diese hätten verbindlich angeordnet werden müssen, um ein Schutzkonzept (verbindlich) zu implementieren. Alternativ hätte auch ein Auflagenvorbehalt gemäß § 12 Abs. 2a Satz 1 BlmSchG in die Genehmigung aufgenommen werden können.
- 27
Die Klägerinnen beantragen:
- 28
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 26. Juni 2014, Az. 5 A 1257/11, wird aufgehoben.
- 29
Die Nebenbestimmung in Ziff. 1.2.5.2 der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung Nr. G 046/11 des Berufungsbeklagten vom 16. November 2011 wird aufgehoben.
- 30
Der Beklagte beantragt,
- 31
die Berufung zurückzuweisen.
- 32
Die Monitoringauflage könne auf § 12 Abs. 1 S. 1 BlmSchG i. V. m. § 44 Abs. 1 BNatSchG gestützt werden. Die Auflage diene der Schließung unvermeidbarer Erkenntnislücken und solle die Grundlage für eventuell anzuordnende Schutzmaßnahmen stellen, soweit derartige Maßnahmen erforderlich sind, um einen Verstoß gegen das Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 BNatSchG zu verhindern. Die Erkenntnislücken ergäben sich daraus, dass sowohl aus der „Erfassung der Fledermauszönose im Wind Eignungsraum G“ wie auch aus dem „Artenschutzrechtlichen Fachbeitrag Windpark G“ nur eine lückenhafte Erfassung der Fledermauspopulation erkennbar werde. Der AFB sei nach dem Kenntnisstand 2008 methodisch fachgerecht erstellt worden. Es hätte sich aber das Problem ergeben, dass die Auswirkungen des Betriebs von Windenergieanlagen auf Fledermäuse sich durch eine Bodenerfassung allein nicht abklären ließen. Seit 2009 sei die Erkenntnis gewonnen, dass einerseits die Fledermäuse durch Windenergieanlagen angelockt würden und sich am Mast im Flug hochschraubten und dass andererseits das Verhalten der Fledermäuse um Windenergieanlagen nicht sicher abschätzbar sei. Die Erkenntnisunsicherheit könne nur durch ein Gondelmonitoring beseitigt werden. Aufgrund der seinerzeit vorliegenden gutachtlichen Stellungnahmen habe es andererseits keine Veranlassung gegeben, bereits mit der Genehmigung Abschaltzeiten vorzusehen. Man sah aber wegen der genannten Unsicherheiten die Notwendigkeit entsprechend der angefochtenen Auflage bei einem Erkenntnisstand, der zu einer relevanten Gefährdung der Fledermäuse führt, durch Abschaltauflagen nachsteuern zu können. Das somit signifikant erhöhte Tötungsrisiko könne durch geeignete Vermeidungs- und Schutzmaßnahmen, wie das vorgesehene Monitoring oder gegebenenfalls Abschaltzeiten auf ein in hinnehmbares Maß reduziert werden. Erfahrungsgemäß beschränkten sich die erforderlichen Abschaltzeiten auf Nächte im Sommer und Herbst mit einer relativ geringen Windgeschwindigkeit. Die Ertragsverluste seien daher relativ gering, zumal die Abschaltungen nur in den ertragsschwachen windarmen Nächten erforderlich seien. Das Monitoring sei damit sehr wohl Teil eines Schutzkonzepts. So sei in der Auflage insbesondere auch angekündigt worden, dass - soweit erforderlich - Abschaltzeiten angeordnet werden können.
- 33
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach– und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten ergänzend Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
- 34
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
- 35
I. Die Klage wendet sich gegen die Nebenbestimmung Ziff. 1.2.5.2 der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung des Beklagten vom 16.11.2011. Die Klägerinnen haben Anfechtungsklage erhoben. Diese Klageart ist statthaft.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist gegen belastende Nebenbestimmungen eines Verwaltungsakts die Anfechtungsklage gegeben. Dies gilt insbesondere für einem begünstigenden Verwaltungsakt beigefügte Auflagen oder Auflagenvorbehalte. Wird wie hier geltend gemacht, eine solche Nebenbestimmung finde im Gesetz keine Grundlage, so kann dies mit der Klage auf Aufhebung der Nebenbestimmung verfolgt werden. Ob diese Klage zur isolierten Aufhebung der Nebenbestimmung führen kann, hängt davon ab, ob der begünstigende Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann; dies ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des Anfechtungsbegehrens, sofern nicht eine isolierte Aufhebbarkeit offenkundig von vornherein ausscheidet (BVerwG, Urt. v. 22.11.2000 - 11 C 2/00 - BVerwGE 112, 221 = NVwZ 2001, 429). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier nicht vor.
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II. Die angefochtene Auflage findet ihre Rechtsgrundlage in § 12 Abs. 1 S. 1 BImSchG.
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1. Nach § 12 Abs. 1 S. 1 BImSchG kann die Genehmigung unter Bedingungen erteilt und mit Auflagen verbunden werden, soweit dies erforderlich ist, um die Erfüllung der in § 6 genannten Genehmigungsvoraussetzungen sicherzustellen.
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Die angefochtene Nebenbestimmung stellt keinen Auflagenvorbehalt i.S.v. § 12 Abs. 2 a S. 1 BImSchG dar. Danach kann die Genehmigung mit Einverständnis des Antragstellers mit dem Vorbehalt nachträglicher Auflagen erteilt werden, soweit hierdurch hinreichend bestimmte, in der Genehmigung bereits allgemein festgelegte Anforderungen an die Errichtung oder den Betrieb der Anlage in einem Zeitpunkt nach Erteilung der Genehmigung näher festgelegt werden sollen.Ein Auflagenvorbehalt soll es der Behörde ermöglichen, die Genehmigung noch nachträglich sich möglicherweise wandelnden, im Zeitpunkt ihres Erlasses noch nicht übersehbaren Verhältnissen durch Auflage anzupassen (Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 149. Lieferung 07.2017, § 120 AO Rn. 21). Er soll es ermöglichen, in die Bestandskraft des Verwaltungsakts einzugreifen (U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 8. Aufl. 2014 § 36 Rn. 89). Es geht hier nicht um noch nicht übersehbare Verhältnisse. Vielmehr geht der Beklagte im Rahmen seiner Beurteilung davon aus, dass erst nach Errichtung und Betrieb der Anlagen nach dem derzeitigen fachlichen Erkenntnisstand zu klären sein wird, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um dem Verbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG sicher Rechnung zu tragen. Die Nebenbestimmung gibt vor: Auf Basis der Höhenerfassung durch das Monitoring ist die Anzahl zu erwartender Schlagopfer hochzurechnen. Gegebenenfalls müssen dann Abschaltzeiten formuliert und langfristig eingehalten werden, die die zu erwartende Anzahl von Schlagopfern auf das Maß von weniger als zwei Fledermauskollisionen an jeder einzelnen WKA im Jahr reduzieren. Die Methode der Höhenerfassung sowie die Hochrechnung auf Schlagopfer und die Abschaltzeiten sind mit dem LUNG M-V abzustimmen und nach dessen Vorgaben anzupassen. Das Konzept ist dem LUNG M- V bis zur Inbetriebnahme der WKA vorzulegen. Die Genehmigung soll damit nicht zunächst ohne diese Nebenbestimmung bestandskräftig werden, sondern mit Wirksamwerden der Genehmigung ebenfalls wirksam sein. Die Nebenbestimmung gibt unmittelbar die Durchführung des Monitorings auf. Es ist auch vorgegeben, dass je nach dessen Ergebnis Abschaltzeiten einzuhalten sein werden, die auf der Grundlage des Ergebnisses des Monitorings zu konkretisieren sind.
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Die Nebenbestimmung ist somit eine Auflage, durch die dem Betroffenen ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben wird (vgl. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG). Hier wird der Klägerin ein zweistufiges Tun auferlegt. Dass nach Vorliegen der Ergebnisse des Monitorings ggf. der Beklagte die Abschaltzeiten ergänzend festlegen muss, steht der Annahme einer Auflage nicht entgegen. Eine Behörde kann im Rahmen einer Anordnung ein gestuftes Verfahren vorsehen, in dem die Bestimmung des Mittels der Anordnung nachfolgen kann (U. Stelkens a.a.O. § 37 Rn. 34). Dies ist in Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot des § 37 Abs. 1 VwVfG zulässig, wenn es zu den Besonderheiten der Abwehr von Gefahren oder Beseitigung von Schäden durch bestimmte Vorgänge gehört, dass zunächst nur eine Gefahrenlage bekannt ist, ohne dass schon hinreichend sicher feststünde, welche Ausdehnung sie hat und welche konkreten Maßnahmen im einzelnen geeignet und erforderlich sind, ihr wirksam zu begegnen und sich die entsprechenden Erkenntnisse mit hinreichender Sicherheit erst im Zuge weiterer Maßnahmen gewinnen lassen. Solche Besonderheiten können dazu führen, dass die zur Erreichung des Erfolges erforderlichen Mittel nicht schon in der Anordnung im Einzelnen bezeichnet werden, sondern zumindest teilweise einer nachfolgenden Konkretisierung durch auf der Grundlage eines einzuholenden Sachverständigengutachtens vorbehalten bleiben (vgl. OVG Bremen, U. v. 29.08.2000 - 1 A 398/99 - NVwZ-RR 2001, 157). So liegt der Fall hier.
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2. Die Genehmigung ist gem. § 6 Abs. 1 BImSchG zu erteilen, wenn 1. sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 und einer auf Grund des § 7 erlassenen Rechtsverordnung ergebenden Pflichten erfüllt werden, und 2. andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen. Danach müssen die artenschutzrechtlichen Verbote nach §§ 44 ff. BNatSchG beachtet werden. Nebenbestimmungen können mithin auch auf die Sicherstellung naturschutzrechtlicher Anforderungen gerichtet sein.
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Nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ist es verboten, wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzten oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören. Zu den im Anhang A der Verordnung (EG) Nr. 338/97 des Rates vom 9. Dezember 1996 über den Schutz von Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenarten durch Überwachung des Handels (ABl. L 61 v. 3.3.1997, S. 1) aufgeführte Tierarten gehören auch der Große Abendsegler, die Zwerg-/Mückenfledermaus und die Breitfügelfledermaus, und somit zu den nach § 7 Abs. 2 Nr. 13 a) BNatSchG besonders geschützten Arten. Der individuenbezogene Tötungstatbestand ist nicht nur bei einer gezielten Tötung, sondern auch dann erfüllt, wenn sich die Tötung als unausweichliche Konsequenz eines im Übrigen rechtmäßigen Verwaltungshandelns erweist. Dass einzelne Exemplare besonders geschützter Arten durch Kollisionen mit Windkraftanlagen bzw. deren Rotorblättern zu Schaden kommen können, ist allerdings bei lebensnaher Betrachtung nie völlig auszuschließen und daher als unvermeidlich hinzunehmen. Soll das Tötungs- und Verletzungsverbot nicht zu einem unverhältnismäßigen Planungshindernis werden, ist daher zu fordern, dass sich das Risiko des Erfolgseintritts in signifikanter Weise erhöht (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 - 9 A 3.06 - BVerwGE 130, 299 Rn. 219; Urt. v. 9.7.2008 - 9 A 14.07 -, BVerwGE 131, 274 Rn. 91; Urt. v. 8.1.2014 - 9 A 4.13 -, BVerwGE 149, 31 Rn. 98 f.). Bei der Beurteilung der Frage, ob eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos gegeben ist, steht der Genehmigungsbehörde eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zu, weil die behördliche Beurteilung sich auf außerrechtliche Fragestellungen richtet, für die weithin allgemein anerkannte fachwissenschaftliche Maßstäbe und standardisierte Erfassungsmethoden fehlen. Wenn und solange die ökologische Wissenschaft sich insoweit nicht als eindeutiger Erkenntnisgeber erweist, fehlt es den Gerichten an der auf besserer Erkenntnis beruhenden Befugnis, eine naturschutzfachliche Einschätzung der sachverständig beratenden Zulassungsbehörde als "falsch" und "nicht rechtens" zu beanstanden (BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 - 9 A 14.07 -, BVerwGE 131, 274 Rn. 65; Urt. v. 27.6.2013 - 4 C 1.12 -, BVerwGE 147, 118 Rn. 14; Urt. v. 21.11.2013 - 7 C 40.11 -, NVwZ 2014, 524 Rn. 14).
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Die Genehmigungsbehörde ist regelmäßig gehalten, bereits vorhandene Erkenntnisse und Literatur zum Plangebiet und den dort nachgewiesenen oder möglicherweise vorkommenden Arten, zu ihren artspezifischen Verhaltensweisen und den für sie typischen Habitatstrukturen auszuwerten. Solche Erkenntnisse können sich stets unter Berücksichtigung ihrer Validität und der Art ihres Zustandekommens ergeben aus vorhandenen Katastern, Registern und Datenbanken öffentlicher Stellen, in denen über größere Zeiträume hinweg Erkenntnisse zusammengetragen werden, aus Abfragen bei den Fachbehörden und bei Stellen des ehrenamtlichen Naturschutzes, durch Auswertung von gutachtlichen Stellungnahmen aus Anlass anderer Planvorhaben oder aus Forschungsprojekten, schließlich aus der naturschutzfachlichen Literatur im Allgemeinen. Erst durch eine aus beiden Quellen (Bestandserfassung vor Ort; Auswertung vorhandener Erkenntnisse und Literatur) gewonnene und sich wechselseitig ergänzende Gesamtschau wird sich die Behörde regelmäßig die erforderliche hinreichende Erkenntnisgrundlage verschaffen können. Lassen allgemeine Erkenntnisse zu artspezifischen Verhaltensweisen, Habitatansprüchen und dafür erforderlichen Vegetationsstrukturen sichere Rückschlüsse auf das Vorhandensein bestimmter Arten zu, ist es nicht zu beanstanden, wenn die Behörde, gestützt auf naturschutzfachlichen Sachverstand, daraus Schlussfolgerungen auf das Vorkommen und den Verbreitungsgrad bestimmter Arten zieht. Diese bedürfen, ebenso wie sonstige Analogieschlüsse, der plausiblen, naturschutzfachlich begründeten Darlegung. Ebenso ist es zulässig, mit Prognosewahrscheinlichkeiten und Schätzungen zu arbeiten. Lassen sich gewisse Unsicherheiten aufgrund verbleibender Erkenntnislücken nicht ausschließen, darf die Planfeststellungsbehörde auch "worst-case-Betrachtungen" anstellen, also im Zweifelsfall mit negativen Wahrunterstellungen arbeiten, sofern sie konkret und geeignet sind, den Sachverhalt angemessen zu erfassen (BVerwG, U. v. 09.07.2008 - 9 A 14/07 - BVerwGE 131, 274).
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Dabei kann die Behörde sich auch auf gutachtliche Stellungnahmen stützen, die der Vorhabenträger beigebracht hat. Dies hat der Beklagte hier getan. Er hält aber die eingereichten Gutachten zur Frage der Beeinträchtigungen von Fledermäusen für methodisch defizitär.
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Das Gericht wiederum kann unter den gleichen Voraussetzungen behördliche und private Gutachten berücksichtigen. Ein Tatsachengericht kann sich grundsätzlich ohne Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht auf eine gutachterliche Stellungnahme stützen, die eine Behörde im Verwaltungsverfahren eingeholt hat. Die Einholung zusätzlicher Sachverständigengutachten oder gutachterlicher Stellungnahmen liegt nach § 98 VwGO i.V.m. §§ 404 Abs. 1, 412 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Tatsachengerichts. Dieses Ermessen wird nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung weiterer Gutachten absieht, obwohl die Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung sich ihm hätte aufdrängen müssen. Dies ist der Fall, wenn das vorliegende Gutachten auch für den Nichtsachkundigen erkennbare Mängel aufweist, etwa nicht auf dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft beruht, von unzutreffenden tatsächlichen Verhältnissen ausgeht, unauflösbare Widersprüche enthält oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Sachverständigen gibt (vgl. BVerwG, B. v. 30.06.2010 - 2 B 72/09 – juris).
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3. Das BVerwG sieht als zulässigen Bestandteil eines Schutzkonzepts die Anordnung von Beobachtungsmaßnahmen an (sog. Monitoring). Ein Monitoring kann dazu dienen, aufgrund einer fachgerecht vorgenommenen Risikobewertung Unsicherheiten Rechnung zu tragen, die sich aus nicht behebbaren naturschutzfachlichen Erkenntnislücken ergeben, sofern ggf. wirksame Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Es stellt hingegen kein zulässiges Mittel dar, um behördliche Ermittlungsdefizite und Bewertungsmängel zu kompensieren; dies umso weniger, wenn wie hier offen bleibt, mit welchen Mitteln nachträglich zu Tage tretenden Eignungsmängeln eines Schutzkonzepts wirkungsvoll begegnet werden soll (BVerwG, U. v. 14.07.2011 - 9 A 12/10 - BVerwGE 140, 149 juris Rn. 105; vgl. auch BVerwG, U. v. 17.01.2007 - 9 A 20/05 - BVerwGE 128, 1 juris Rn. 55). Bleibt insbesondere in Bezug auf die Wirksamkeit von Vermeidungsmaßnahmen eine wissenschaftlich bisher nicht zu beseitigende Unsicherheit bestehen, kann das verbleibende prognostische Risiko, ob trotz der getroffenen Maßnahmen ein erhöhtes Kollisionsrisiko besteht, durch ein geeignetes Risikomanagement aufgefangen werden. Als ein Bestandteil des notwendigen Schutzkonzepts kann ein populations- und maßnahmenbezogenes Monitoring zum Schutz von Fledermäusen angeordnet werden, um weitere Erkenntnisse über die möglichen Beeinträchtigungen zu gewinnen (vgl. BVerwG, U. v. 06.11.2012 - 9 A 17/11 - BVerwGE 145, 40 juris. Rn. 48).
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Danach kann einem Vorhabenträger insbesondere beim Habitat- und Artenschutz zur Sicherstellung der Genehmigungsvoraussetzungen ein auf Erfolgskontrolle gerichtetes „Monitoring“ auferlegt werden, das der dauerhaften Beobachtung der angeordneten Schutz- und Kompensationsmaßnahmen dient. Die damit verbundene, den Vorhabenträger treffende dauerhafte Beobachtungspflicht, findet ihre Rechtfertigung darin, dass den Vorhabenträger die Nachweispflicht dafür trifft, dass Verstöße gegen artenschutzrechtliche Verbote vermieden werden. Insofern stellt sich ein Monitoring für den Vorhabenträger als milderes Mittel im Vergleich zu anderen Maßnahmen dar, mit denen die Beachtung artenschutzrechtlicher Verbote ebenfalls sichergestellt werden könnte, die aber eine stärkere Belastung des Vorhabenträgers, wie etwa die zeitweise Abschaltung von Windkraftanlagen oder die gänzliche Versagung der Genehmigung, mit sich brächten. Der erforderliche Nachweis der Wirksamkeit der angeordneten Maßnahmen kann allein durch ein Monitoring jedoch nicht erbracht werden. Vielmehr muss das Monitoring Bestandteil eines Risikomanagements sein, das die fortdauernde ökologische Funktion der Schutzmaßnahmen gewährleistet. Begleitend zum Monitoring müssen somit Korrektur- und Vorsorgemaßnahmen für den Fall angeordnet werden, dass die Beobachtung nachträglich einen Fehlschlag der positiven Prognose anzeigt. Derartige Korrektur- und Vorsorgemaßnahmen müssen geeignet sein, Risiken für die Erhaltungsziele wirksam auszuräumen (vgl. OVG Lüneburg, U. v. 10.01.2017 – 4 LC 198/15 – juris Rn. 142 f.).
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Die Auffassung, die Prognose, ein signifikant erhöhtes Tötungs- und Verletzungsrisiko der Fledermäuse durch die genehmigten Anlagen sei nicht als gerechtfertigt anzusehen, könne nicht durch eine kontinuierliche akustische Überwachung der Fledermausaktivität im Rotorbereich abgesichert werden, wenn damit entgegen dem artenschutzrechtlichen Verbot das Tötungsrisiko in Kauf genommen werde und Vermeidungsmaßnahmen erst für den Fall vorbehalten bleiben würden, dass beim akustischen Monitoring der Fledermäuse an den Windkraftanlagen ein relevantes Kollisionsrisiko prognostiziert wird (so VGH Kassel, B. v. 14.05.2012 - 9 B 1918/11 - NuR 2012, 493), hält der Senat jedenfalls für einen Fall wie den Vorliegenden für zu eng. Denn hier wird einem verbleibenden prognostischen Restrisiko nicht Rechnung getragen. Es müsste dann zu einer Versagung der Genehmigung führen oder zu Vermeidungsauflagen, die möglicherweise weit über das Erforderliche hinausgehen, um „auf die sichere Seite“ zu gelangen.
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Bei dem oben darlegten Verständnis des Anwendungsbereichs einer sogenannten Monitoring-Auflage erledigt sich auch der Einwand, eine solche Auflage sei deswegen rechtswidrig, weil die Suche nach getöteten Tieren eine Tötung der Tiere nicht verhindere; vielmehr lasse sich durch ein Monitoring allenfalls Erkenntnisse über die Beeinträchtigung der Tiere gewinnen, diese aber nicht vermeiden (Rolzhofen ZNER 2014,303, Anmerkung zu OVG Magdeburg, U. V. 13.03.2014 – 2L215/11 – ZNER 2014,300).
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Die Klägerinnen sind zudem der Auffassung, dass es sich um die Anordnung einer Eigenüberwachungsmaßnahme handele, die allein der Sachverhaltsaufklärung und damit der Frage diene, ob eine Rechtsbeeinträchtigung als Verstoß gegen das Tötungsverbot tatbestandlich überhaupt vorliege. Eine solche Eigenüberwachungsmaßnahme könne nur auf der Grundlage einer konkreten gesetzlichen Ermächtigung angeordnet werden, die nicht bestehe (so auch OVG Magdeburg, U. v. 13.03.2014 – 2 L 215/11 – ZNER 2014,300 unter Bezugnahme auf VGH München, U. v. 19.02.2009 – 22 BV 08.1164 - NVwZ-RR 2009, 594). Im Bundes-Immissionsschutzgesetz habe – so der VGH München – eine solche Betreiberpflicht zur Eigenüberwachung verschiedentlich Ausdruck gefunden. Es enthalte eine Vielzahl von Regelungen, die die betriebliche Eigenüberwachung und die Anleitung hierzu näher konkretisieren. Die Zusammenstellung über Anforderungen an die betriebliche Eigenüberwachung zeige ein sehr ausdifferenziertes Regelungssystem, das den Schluss auf eine abschließende gesetzliche Kodifikation für Eigenüberwachungsanordnungen nahelegt. Dem schließt sich der Senat nicht an, soweit es um ein naturschutzrechtliches Monitoring geht.
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Es kann dahinstehen, ob das Bundesimmissionsschutzgesetz eine abschließende Regelung verschiedener möglicher Anordnungen zur Eigenüberwachung enthält. Die Regelungen dieses Gesetzes betreffen jeweils Umwelteinwirkungen im Sinne von § 6 Abs. 1 Nummer 1 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 des Gesetzes. Dies rechtfertigt nicht den Schluss, dass insoweit auch eine abschließende Regelung für solche Rechtsbereiche getroffen werden soll, die Kraft der Konzentrationswirkung der Genehmigung nach § 13 BImSchG und § 6 BImSchG daneben zu prüfen sind, wie insbesondere das Naturschutzrecht. Hier ermöglicht es die allgemeine Norm des § 12 Abs. 1 Satz 1 BImSchG entsprechende Auflagen zur Herstellung der Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens in den Genehmigungsbescheid aufzunehmen.
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4. a) Voraussetzung für die Anordnung eines Monitoring ist danach zunächst, dass hier das Tötungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG berührt ist. Ein Monitoring kann (darf nur) dazu dienen, aufgrund einer fachgerecht vorgenommenen Risikobewertung Unsicherheiten Rechnung zu tragen, die sich aus nicht behebbaren naturschutzfachlichen Erkenntnislücken ergeben, sofern ggf. wirksame Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen (BVerwG, U. v. BVerwG vom 14.07.2011 a.a.O.). Es geht um das verbleibende prognostische Risiko, ob trotz der getroffenen Maßnahmen ein erhöhtes Kollisionsrisiko besteht, das jedoch durch ein geeignetes Risikomanagement aufgefangen werden kann (BVerwG, U. v. 06.11.2012 a.aO.).
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Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dargelegt, dass der AFB nach dem Kenntnisstand 2008 methodisch fachgerecht erstellt worden sei. Es hätte sich aber das Problem ergeben, dass die Auswirkungen des Betriebs von Windenergieanlagen auf Fledermäuse sich durch eine Bodenerfassung allein nicht abklären ließen. Im Jahre 2007 sei ein Forschungsvorhaben begonnen und 2009 abgeschlossen worden, dessen Ergebnisse Brinkmann 2009 vorgestellt habe und die 2011 veröffentlicht worden seien (BRINKMANN, R.; BEHR, O.; NIERMANN, I. & REICH, M. (HRSG.): Entwicklung von Methoden zur Untersuchung und Reduktion des Kollisionsrisikos von Fledermäusen an Onshore-Windenergieanlagen, Göttingen). Diesen Sachverhalt sollte die Stellungnahme in der Begründung zu der geforderten Auflage in dem Schreiben des LUNG vom 17.10.2011 benennen. Die Erkenntnisunsicherheit beruhe darauf, dass einerseits die Fledermäuse durch Windenergieanlagen angelockt würden und sich am Mast im Flug hochschraubten und dass andererseits das Verhalten der Fledermäuse um Windenergieanlagen nicht sicher abschätzbar sei. Aufgrund der seinerzeit vorliegenden gutachtlichen Stellungnahmen habe es andererseits keine Veranlassung gegeben, bereits mit der Genehmigung Abschaltzeiten vorzusehen. Man sah aber wegen der genannten Unsicherheiten die Notwendigkeit entsprechend der angefochtenen Auflage bei einem Erkenntnisstand, der zu einer relevanten Gefährdung der Fledermäuse führt, durch Abschaltauflagen nachsteuern zu können. Die Veröffentlichung von Brinkmann 2011 sei noch heute die Grundlage des Gondelmonitorings.
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Diese Einschätzung haben die Klägerinnen nicht in Frage gestellt. Sie entspricht auch der Artenschutzrechtlichen Arbeits- und Beurteilungshilfe für die Errichtung und den Betrieb von WEA des LUNG M-V – AAB-WAE – Teil Fledermäuse (Stand 01.08.2016). Als Standard-Methode hätten sich Detektorbegehungen im Umfeld der geplanten WEA Standorte sowie der Einsatz stationärer Horchboxen etabliert. In einigen Fällen würden zusätzlich aufwändige akustische Erfassungen in der Höhe mit Hilfe von Ballons oder Drachen oder Netzfänge und Telemetrie zur Suche nach Fledermausquartieren durchgeführt. Schwerpunkträume der residenten Fledermäuse ließen sich bei ausreichender Untersuchungstiefe durch Detektorbegehungen und Horchboxerfassungen im Vorfeld der Planung erfassen. So können z.B. bedeutende Flugstraßen und Jagdgebiete sowie Quartiere nachgewiesen werden. Anhand der Ergebnisse ließe sich das Kollisionsrisiko der residenten Tiere für die einzelnen Standorte relativ gut abschätzen. Für Prognosen des Kollisionsrisikos der migrierenden Tiere bestehe jedoch eine erhebliche Prognoseunsicherheit (Hinweis auf Brinkmann et al. 2011, S. 213 ff). Die Prognoseunsicherheit sei besonders durch den Stichprobencharakter der Untersuchung begründet. Kollisionsereignisse träten häufig konzentriert in wenigen Nächten im Jahr mit hoher Aktivität auf und können bei Stichprobenuntersuchungen (z.B. 20 Kontrollen innerhalb von 200 Aktivitätstagen) schnell „verpasst“ werden. Hinzu käme die z.T. abweichende Arten-Verteilung in verschiedenen Höhen (bodennah hohe Aktivität von nicht kollisionsgefährdeten Arten, in der Höhe hoher Anteil kollisionsgefährdeter Arten). Eine zusätzliche Prognose-Unsicherheit ergebe sich aus den Standort-Veränderungen, die durch den Bau der WEA eintreten. WEA hätten als Bauwerk einen Anlockungseffekt auf Fledermäuse. Dieser könne bei Vorab-Untersuchungen noch nicht berücksichtigt werden, die Flugaktivität von Fledermäusen aber beeinflussen.Fledermausuntersuchungen im Vorfeld des Anlagenbaus könnten das Kollisionsrisiko der Residenten Fledermäuse gut prognostizieren. Die Prognose des Kollisionsrisikos für Wandernde Fledermäuse sei nicht mit hinreichender Sicherheit möglich, es lassen sich aber evtl. Trends erkennen. Besonders Aussagen zu Abschaltzeiten und ggf. zu den erforderlichen Windgeschwindigkeits-Schwellenwerten seien anhand der bodengebundenen und stichprobenartigen Erfassungen nicht möglich (Seite 13). An Standorten, an denen auf Basis der Vorab-Untersuchung kein erhöhtes Kollisionsrisiko zu erwarten sei, sei eine Genehmigung ohne pauschale Abschaltzeiten möglich. Nach dem Bau der Anlage werde das standortspezifische Kollisionsrisiko der wandernden Fledermäuse durch Höhenmonitoring erfasst. Da dann ggf. Abschaltzeiten erforderlich sein könnten, sei in der Genehmigung eine nachträgliche Anordnung vorzusehen (Seite 18).
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Diese Beurteilung füllt die Einschätzungsprärogative des Beklagten aus. Sie resultiert aus den prognostischen Elementen der Prüfung des § 44 BNatSchG und dem Fehlen allgemein anerkannter standardisierter Beurteilungsmaßstäbe. Sie ist fachlich vertretbar und beruht auf einem geeigneten Bewertungsverfahren. Das ergibt sich zur Überzeugung des Senats daraus, dass ein ähnliches Vorgehen auch in anderen Leitfäden vorgeschrieben wird. So wird in Ziff. 8.4.2. Bayern: Hinweise zur Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen vom 1. September 2016 ausgeführt: In Bereichen wie z.B. in Flussauen, Wald- und Gewässerlandschaften, Feldgehölzen, ausgeprägten Heckenlandschaften, in denen allgemeine Erkenntnisse zu artspezifischen Verhaltensweisen, Habitatansprüchen und dafür erforderlichen Vegetationsstrukturen plausible Rückschlüsse auf das Vorhandensein dieser Arten zulassen, könne die Behörde, gestützt auf naturschutzfachlichen Sachverstand, daraus Schlussfolgerungen auf das Vorkommen und den Verbreitungsgrad bestimmter Arten ziehen. In diesen Bereichen sei der Vorhabenträger grundsätzlich gehalten, dazu gezielte Daten zu erheben, auf deren Grundlage die Behörde beurteilen kann, ob durch die geplante WEA ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko verwirklicht wird. Diese Untersuchungen seien auf Gondelhöhe durchzuführen. Von einer entsprechenden Erhebung könne abgesehen werden, wenn durch ein begleitendes Gondelmonitoring die Fledermausaktivitäten und das damit gegebenenfalls verbundene erhöhte Tötungsrisiko beobachtet wird (vgl. auch Schleswig-Holstein: Integration artenschutzrechtlicher Vorgaben in Windkraftgenehmigungen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz 2017, S. 13 ff.).
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III. Die Klage wäre auch abzuweisen, wenn die Voraussetzungen für eine Gondelmonitoring-Auflage mit vorgezeichneten Abschaltregime nicht erfüllt sind.
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Die Frage, ob eine Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG durch signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos vorliegt, ist durch die fachlichen, der Einschätzungsprärogative des Beklagten unterfallenden Erkenntnisse nur hinreichend sicher auszuschließen, wenn das angeordnete Monitoring mit den möglichweise daraus herzuleitenden Abschaltzeiten angeordnet wird. Nach dem oben dargelegten Erkenntnisstand 2011 konnte ohne weitere Ermittlungen durch ein Gondelmonitoring allein auf der Grundlage der im Genehmigungsverfahren vorgelegten Gutachten nicht davon ausgegangen werden, dass nachgewiesen ist, der Betrieb der genehmigten Anlagen werde nicht zu Verstößen gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG führen. Die notwendige Erkenntnis könnte andererseits nicht vorab gewonnen werden, ohne dass die Anlagen errichtet und in Betrieb sind. Unter diesen Umständen hätte ohne die angefochtene Auflage die Genehmigung versagt werden müssen. Die Genehmigung ohne eine solche Auflage wäre daher rechtwidrig. Sie entspräche auch nicht dem Willen des Beklagten. Nach den oben dargelegten Grundsätzen käme daher eine isolierte Aufhebung der Auflage nicht in Betracht.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 167 Abs. 1 VwGO und § 708 Ziff. 11, 711 ZPO.
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Die Revision ist zuzulassen, da die Frage der Zulässigkeit und Voraussetzungen eines Monitorings in einer immissionschutzrechtlichen Genehmigung grundsätzliche Bedeutung hat.
(1) Eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn
- 1.
der für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird; - 2.
die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird; - 3.
die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird; - 4.
der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderlich ist, nachträglich gefasst wird; - 5.
die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird.
(2) Handlungen nach Absatz 1 können bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.
(3) Fehlt einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung oder ist die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlass des Verwaltungsaktes unterblieben und ist dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes versäumt worden, so gilt die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als nicht verschuldet. Das für die Wiedereinsetzungsfrist nach § 32 Abs. 2 maßgebende Ereignis tritt im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung ein.
(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.
(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er
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den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat; - 2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren; - 3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.
(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.
(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.
(1) Ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist.
(2) Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt darf, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden,
- 1.
wenn der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist; - 2.
wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat; - 3.
wenn die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde; - 4.
wenn die Behörde auf Grund einer geänderten Rechtsvorschrift berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, soweit der Begünstigte von der Vergünstigung noch keinen Gebrauch gemacht oder auf Grund des Verwaltungsaktes noch keine Leistungen empfangen hat, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde; - 5.
um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen.
(3) Ein rechtmäßiger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden,
- 1.
wenn die Leistung nicht, nicht alsbald nach der Erbringung oder nicht mehr für den in dem Verwaltungsakt bestimmten Zweck verwendet wird; - 2.
wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat.
(4) Der widerrufene Verwaltungsakt wird mit dem Wirksamwerden des Widerrufs unwirksam, wenn die Behörde keinen anderen Zeitpunkt bestimmt.
(5) Über den Widerruf entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zu widerrufende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.
(6) Wird ein begünstigender Verwaltungsakt in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 3 bis 5 widerrufen, so hat die Behörde den Betroffenen auf Antrag für den Vermögensnachteil zu entschädigen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen schutzwürdig ist. § 48 Abs. 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend. Für Streitigkeiten über die Entschädigung ist der ordentliche Rechtsweg gegeben.
Tenor
Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 3. Februar 2014 ist wirkungslos.
Die Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens jeweils zur Hälfte. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beigeladene.
Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 5.000,- € festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Das Verfahren ist aus Gründen der Klarstellung in entsprechender Anwendung der §§ 125 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Anlass für die Erledigungserklärungen war, dass die Beigeladene die streitige Baugenehmigung vom 23. Mai 2011 in der Fassung vom 6. Februar 2013 ausweislich ihres Schriftsatzes vom 2. Februar 2015 nach der Erteilung einer neuen Baugenehmigung als gegenstandlos betrachtet. Ebenfalls zur Klarstellung ist das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts für wirkungslos zu erklären (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 ZPO).
3Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift hat das Gericht bei Erledigung der Hauptsache nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Dieser Maßstab führt zu der tenorierten Kostenentscheidung, welche die Beklagte und die Beigeladene gemäß §§ 154 Abs. 1 und Abs. 3, 159Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO für das erstinstanzliche Verfahren jeweils zur Hälfte betrifft. Die Kosten des Berufungsverfahrens, das nur sie eingeleitet hat, trägt die Beigeladene nach § 154 Abs. 3 VwGO allein.
4Ihre Berufung hätte voraussichtlich keinen Erfolg gehabt, so dass es bei der Stattgabe durch das Verwaltungsgericht geblieben wäre.
5Das Verwaltungsgericht hat die angefochtene Baugenehmigung aus derzeitiger Sicht zu Recht aufgehoben. Diese verletzte die Kläger wohl in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
6Das Verwaltungsgericht dürfte zutreffend entschieden haben, dass die Baugenehmigung entgegen § 37 Abs. 1 VwVfG NRW in nachbarrechtsrelevanter Hinsicht unbestimmt war und deswegen zugleich zum Nachteil der Kläger gegen das hier in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme verstieß.
7Das Bestimmtheitsgebot in seiner nachbarrechtlichen Ausprägung verlangt, dass sich der Baugenehmigung und den genehmigten Bauvorlagen mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen lassen muss, dass nur solche Nutzungen erlaubt sind, die Nachbarrechte nicht beeinträchtigen können. Ist eine Baugenehmigung in dieser Hinsicht inhaltlich nicht hinreichend bestimmt, führt dies zu einem Abwehrrecht des Nachbarn, wenn sich die Unbestimmtheit gerade auf solche Merkmale des Vorhabens bezieht, deren genaue Festlegung erforderlich ist, um eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften auszuschließen und - zusätzlich - wenn die insoweit mangelhafte Baugenehmigung aufgrund dessen ein Vorhaben zulässt, von dem der Nachbar konkret unzumutbare Auswirkungen zu befürchten hat. Wie weit das nachbarrechtliche Bestimmtheitserfordernis im Einzelnen reicht, beurteilt sich nach dem jeweils anzuwendenden materiellen Recht.
8Vgl. zuletzt etwa OVG NRW, Urteil vom 15. Mai 2013 - 2 A 3010/11 -, DVBl. 2013, 1327 = juris Rn. 44.
9Gemessen daran wurde die Baugenehmigung den an sie zu stellenden Bestimmtheitsanforderungen mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht gerecht, was zu einem eigenständigen Abwehrrecht der Kläger geführt hätte. Sie ließ Merkmale des Betriebs der Beigeladenen unreglementiert, deren Regelung es nach Lage der Dinge zwingend bedurft hätte, um den genehmigten Betrieb im Verhältnis zu den Klägern nachbarrechtskonform auszugestalten. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann dazu im Wesentlichen auf die Begründungserwägungen im Urteil des Verwaltungsgerichts Bezug genommen werden. Weder der angefochtenen Baugenehmigung selbst noch den ihr zugehörigen Bauvorlagen waren die maßgeblichen nachbarrechtsrelevanten betrieblichen Rahmenbedingungen zu entnehmen. Wie von dem Verwaltungsgericht ausgeführt, verhielt sich die Baugenehmigung insbesondere nicht hinreichend konkret zu dem An- und Abfahrtverkehr durch Lkw und dem Betrieb von Kühlanlagen, von dem in Bezug auf die Nachbarschaft im nahegelegenen Wohngebiet, dem das Grundstück der Kläger angehört, erhebliche Geräuschimmissionen ausgehen können.
10Die Beklagte hat die Unbestimmtheit nicht durch eine nachträgliche Klarstellung im gerichtlichen Verfahren geheilt.
11Vgl. zu dieser Möglichkeit: BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 2006 - 4 B 32.06 -, NVwZ-RR 2006, 589 = juris Rn. 1, Urteil vom 20. April 2005 - 4 C 18.03 -, BVerwGE 123, 261 = BRS 69 Nr. 19 = juris Rn. 54.
12Sie hat zu der streitbefangenen Baugenehmigung - etwa auf der Grundlage der von der Beigeladenen im Berufungszulassungsverfahren nachgereichten Betriebsbeschreibung vom 27. März 2014 und des Lärmgutachtens des Ingenieurbüros M. S. vom 30. März 2014 - weder einen Nachtrag erlassen noch sonst eine klarstellende Erklärung abgegeben. Eine Klarstellung war auch versperrt, nachdem die Beigeladene im Ortstermin am 8. September 2014 erklärt hatte, sie wolle den Betrieb B. S1. 78 mit Blick auf zwischenzeitliche Änderungen des Betriebsumfangs ohnehin auf eine neue genehmigungsrechtliche Grundlage stellen und dazu einen neuen Bauantrag bei der Beklagten einreichen, was sie schließlich - wie oben angesprochen - auch getan hat. Infolgedessen kann dahinstehen, ob eine nachträgliche Heilung der Unbestimmtheit unabhängig davon nicht schon deswegen hätte ausscheiden müssen, weil die Beigeladene im Vergleich zu der Baugenehmigung vom 23. Mai 2011/6. Februar 2013 mit der Betriebsbeschreibung vom 27. März 2014 und dem Lärmgutachten vom 30. März 2014 ein sog. „aliud“ - also ein anderes Vorhaben mit in einem selbständigen Genehmigungsverfahren baurechtlich neu zu bewertenden Merkmalen - vorstellte.
13Vgl. zum Begriff des „aliud“ etwa OVG NRW, Beschluss vom 22. April 2013 - 2 A 1891/12 -, BauR 2013, 1668 = juris Rn. 7.
14Die Unbestimmtheit der Baugenehmigung war nachbarrechtsrelevant, weil sie für das klägerische Grundstück T. 8 konkret unzumutbare Lärmauswirkungen befürchten ließ, die einer genehmigungsrechtlichen Betrachtung bedurft hätten.
15Das - weil die in Rede stehende Baugenehmigung ausschließlich einen Tagbetrieb zwischen 6 Uhr und 22 Uhr gestattete - hier allein interessierende Lärmschutzniveau des Grundstücks der Kläger während der Tagzeit beläuft sich auf 55 dB(A). Dies ergibt sich unmittelbar aus Nr. 6.1 d), 6.6 TA Lärm, weil das klägerische Grundstück in dem durch den Bebauungsplan Nr. 332 der Beklagten festgesetzten allgemeinen Wohngebiet liegt. Die Beklagte hat diese Sichtweise im Ortstermin am 8. September 2014 ausdrücklich bestätigt. Auch die Geräuschprognose vom 30. März 2014 ging von dieser Annahme aus.
16Eine Zwischenwertbildung über Nr. 6.7 TA Lärm in Richtung des Mischgebietswerts der Nr. 6.1 c) TA Lärm von tagsüber 60 dB(A) kam nicht in Betracht. Für diese lässt der Bebauungsplan Nr. 332 keinen Raum.
17Nutzungskonflikte infolge von Lärmimmissionen in Gemengelagen, d. h. in Bereichen, in denen Gebiete unterschiedlicher Qualität und Schutzwürdigkeit zusammentreffen, sind dem Grundsatz der gegenseitigen Rücksichtnahme entsprechend auszugleichen. Dabei können situationsbedingte Umstände die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme mindern und zu einer erhöhten Hinnahme von sonst nicht (mehr) zumutbaren Beeinträchtigungen führen. Angesichts der Belastung der Grundstücksnutzung mit einer gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme ist ein Zwischenwert zu bilden, der zwischen den Immissionsrichtwerten liegt, die für benachbarte Gebiete unterschiedlicher Nutzung und damit unterschiedlicher Schutzwürdigkeit - bei jeweils isolierter Betrachtung - vorgegeben sind. Bei der Zwischenwertbildung müssen zur Bestimmung der Zumutbarkeit zudem die Ortsüblichkeit und die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden, wobei insbesondere auch die Priorität der entgegenstehenden Nutzungen von Bedeutung ist.
18Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. September 2007 - 7 B 24.07 -, juris Rn. 4 f.; OVG NRW, Beschluss vom 12. Februar 2013 - 2 B 1336/12 -, BauR 2013, 1078 = juris Rn. 33 ff.
19Eine Konfliktbewältigung auf der Grundlage des Rücksichtnahmegebots durch Zwischenwertbildung setzt im Falle des Vorliegens eines Bebauungsplans für die aufeinanderprallenden unterschiedlichen Nutzungen jedoch voraus, dass der Bebauungsplan für diese Lösung noch Raum lässt. Daran fehlt es, wenn der in Frage stehende Nutzungskonflikt bereits auf der Ebene des Bebauungsplans abgewogen worden ist. Dann ist das Rücksichtnahmegebot in der den Festsetzungen des Bebauungsplans zugrunde liegenden Abwägung aufgegangen. Es ist von der planerischen Abwägung gleichsam aufgezehrt. Eine Konfliktbewältigung auf der Grundlage des Rücksichtnahmegebots ist ferner ausgeschlossen, wenn planerische Festsetzungen - ungeachtet einer bereits auf der Ebene der Bauleitplanung beabsichtigten Konfliktbewältigung - so weit konkretisiert sind, dass ein Ausgleich der durch die Planung aufgeworfenen Nutzungskonflikte im Baugenehmigungsverfahren auf eine Korrektur der planerischen Festsetzungen hinausliefe. Je konkreter eine planerische Festsetzung, um so geringer ist der Spielraum für die Anwendung des § 15 Abs. 1 BauNVO und der Nr. 6.7 TA Lärm.
20Vgl. insoweit zuletzt BVerwG, Urteile vom 12. September 2013 - 4 C 8.12 -, BVerwGE 147, 379 = BauR 2014, 210 = juris Rn. 20, und vom 29. November 2012 - 4 C 8.11 -, BVerwGE 145, 145 = BauR 2013, 563 = juris Rn. 15.
21Ausgehend von diesen Maßgaben belässt der Bebauungsplan Nr. 332 für eine weitergehende Zwischenwertbildung zuungunsten des Grundstücks der Kläger keinen Spielraum. Der Plan hat das Rücksichtnahmegebot im Hinblick auf das Lärmschutzniveau für die Tagzeit erkennbar bereits durch eine insoweit abschließende Konfliktbewältigung auf Planungsebene aufgezehrt. Dies lässt sich vor allem aus dem Hinweis im Bebauungsplan zur Kennzeichnung des WA1 als lärmvorbelastetem Bereich schlussfolgern. In diesem Hinweis heißt es lediglich bezogen auf die Nachtzeit, es könne sich während dieser in den zwei südöstlichen Reihenhauszeilen B. S1. durch Schallimmissionen der bestehenden Gewerbebetriebe im Südosten eine zeitweise Überschreitung der idealtypischen Orientierungswerte der DIN 18005 für ein allgemeines Wohngebiet ergeben. Diese möglichen Überschreitungen lägen aber im Rahmen der Orientierungswerte für ein Mischgebiet, in dem ebenfalls Wohnen ohne Einschränkung allgemein zulässig sei. Entsprechende Erwägungen für die Tagzeit, die den Anwendungsbereich für eine Zwischenwertbildung auch insofern hätten eröffnen können, hat der Plangeber nicht angestellt. Die Planbegründung zum Bebauungsplan Nr. 332 bekräftigt diesen Befund. Sie stellt gleichfalls klar, dass die möglichen Überschreitungen der Orientierungswerte der DIN 18005 für allgemeine Wohngebiete nur nachts erfolgen und die Bewohner deshalb nur in diesem Zeitraum gegenüber den bestehenden Betrieben im Gewerbegebiet nicht im Sinne der Rücksichtnahme idealtypische WA-Werte einfordern könnten.
22Nach den vorliegenden Erkenntnissen war im Weiteren keinesfalls offensichtlich, dass der Betrieb der Beigeladenen den am Grundstück der Kläger maßgeblichen Tagrichtwert von 55 dB(A) einhielt und unzumutbare Geräuschimmissionen somit nicht konkret zu erwarten gewesen wären. Dies folgt schon aus den Feststellungen des Kreises H. , die dieser anlässlich verschiedener Messungen getroffen hat. Im Messbericht des Kreises vom 6. September 2010 wird etwa ausgeführt, Messungen am Immissionsort T. 8 am 19. August 2010 hätten ergeben, dass der Betrieb eines Kühl-Lkw-Aufliegers sowie einer Kühlung nebst Fahrgeräuschen und Beladung auf dem Betriebsgrundstück der Beigeladenen an diesem Immissionsort zur Tagzeit einen Beurteilungspegel von maximal 54 dB(A) verursache. Dabei sei gemäß Nr. 6.9 TA Lärm ein Messabschlag von 3 dB(A) angesetzt worden, weil es sich um eine Überwachungsmessung gehandelt habe. Da ein Messabschlag im Streit um die (Nachbar-)Rechtmäßigkeit der Baugenehmigungserteilung aber nicht vorzunehmen ist,
23vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 29. August 2007 - 4 C 2.07 -, BVerwGE 129, 209 = BRS 71 Nr. 103 = juris Rn. 17 ff.; OVG NRW, Urteil vom 15. Mai 2013 - 2 A 3010/11 -, DVBl. 2013, 1327 = juris Rn. 95,
24deutet diese Messung auf einen zu berücksichtigenden Beurteilungspegel von 57 dB(A) und damit eine (nicht unerhebliche) Richtwertüberschreitung hin.
25Im Anschluss an die obigen Ausführungen dürfte die angefochtene Baugenehmigung schließlich auch deswegen zu Lasten der Kläger nachbarrechtswidrig gewesen sein, weil sie eine in für die Kläger nachbarrechtsrelevanter Weise materiell fehlerhafte Zielwertbestimmung enthielt.
26Vgl. zum Themenkomplex Zielwertbestimmung und Nachbarrechtskonformität: OVG NRW, Beschlüsse vom 14. November 2014 - 2 A 767/14 -, juris Rn. 16, und vom 12. Februar 2013 - 2 B 1336/12 -, BauR 2013, 1078 = juris Rn. 17 ff.
27Während die Kläger - wie dargelegt - für ihr Grundstück das Geräuschimmissionsschutzniveau eines allgemeinen Wohngebiets von 55 dB(A) am Tag für sich in Anspruch nehmen können, legte die Baugenehmigung dieses in der Auflage Nr. 7 fehlgehend auf den Mischgebietswert von 60 dB(A) fest.
28Die Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren folgt aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.
29Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.
(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22. November 2017 - 5 K 4087/16 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
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Gründe
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I. Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Magdeburg - 1. Kammer - vom 17. August 2016, deren Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkt ist, hat in der Sache keinen Erfolg. Die vorgebrachten Einwendungen rechtfertigen die Abänderung des angefochtenen Beschlusses nicht.
- 2
Das Verwaltungsgericht hat die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 1. September 2015 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 1. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 19. August 2015 abgelehnt, mit dem ihr ein Zwangsgeld in Höhe von jeweils 30.000,00 € für den Fall angedroht wurde, dass sie der Untersagungsverfügung zu den Spaltenweiten und zur Beleuchtungsstärke im Kontrollbericht vom 24. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 23. Juni 2015 nicht bis zur Zustellung des Bescheides nachkommt. Nach der bei der im vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein veranlassten überschlägigen Prüfung rechtfertigen die von der Antragstellerin mit der Beschwerde erhobenen Einwendungen keine andere Bewertung.
- 3
Der Einwand der Antragstellerin, es komme - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes - darauf an, dass sich Grundverfügung des Antragsgegners vom 24. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 23. Juni 2015 als (offensichtlich) rechtswidrig erweise, greift nicht durch. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass bei einem isolierten Verfahren gegen die Androhung oder auch Festsetzung eines Zwangsgeldes die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung grundsätzlich außer Betracht bleibt, soweit eine nicht nichtige Grundverfügung unanfechtbar ist oder ein Rechtsbehelf dagegen keine aufschiebende Wirkung hat. Demnach ist die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung anders als deren Wirksamkeit und Unanfechtbarkeit bzw. sofortige Vollziehbarkeit grundsätzlich keine Voraussetzung für die Anwendung von Zwangsmitteln (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 2008 - 7 C 5.08 -, juris). Hat - wie vorliegend - ein Rechtsbehelf gegen die Grundverfügung keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO), ist die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung keiner rechtlichen Kontrolle zu unterziehen. Ungeachtet dessen begegnet die Grundverfügung nicht den von der Antragstellerin gerügten Bedenken. Insoweit wird auf den Beschluss des Senates vom heutigen Tag in dem die Grundverfügung betreffenden Eilverfahren (3 M 169/16) verwiesen, mit dem die Beschwerde der Antragstellerin gegen den - die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 24. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 23. Juni 2015 ablehnenden - Beschluss des Verwaltungsgerichtes Magdeburg zurückgewiesen wurde.
- 4
Soweit die Antragstellerin daneben einwendet, das Verwaltungsgericht habe sich nicht damit auseinandergesetzt, ob die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes angemessen sei, rechtfertigt dies die Abänderung des Beschlusses nicht. Voranzustellen ist, dass die Antragstellerin erstmals im Beschwerdeverfahren zur unangemessenen Höhe der angedrohten Zwangsgelder von jeweils 30.000,00 € vorträgt, da ihr erstinstanzliches Vorbringen darauf beschränkt war, die Rechtswidrigkeit der Grundverfügung zu rügen und zu behaupten, dass die geforderten Maßnahmen keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hätten. Dagegen, dass sich das Verwaltungsgericht vor diesem Hintergrund nicht ausdrücklich mit der Höhe der festgesetzten Zwangsgelder auseinandergesetzt und wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung auf die Begründung des Bescheides vom 1. Juli 2015 und des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2015 verwiesen hat (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO), ist nichts zu erinnern.
- 5
Entgegen der Darstellung der Antragstellerin hat der Antragsgegner im angefochtenen Bescheid zur Zwangsgeldhöhe sowie deren Begründetheit und Angemessenheit ausgeführt. Danach sei die Androhung der Zwangsgelder geeignet, das Ziel, die Beseitigung tierschutzrechtlicher Verstöße zu den Spaltenweiten und zur Beleuchtungsstärke zu erreichen. Die Androhung sei auch erforderlich, da die tierschutzrechtlichen Vorschriften höher zu bewerten seien, als die besonderen wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin an der Beibehaltung der bisherigen Tierhaltungsbedingungen. Zudem sei die Androhung auch verhältnismäßig, da der mit der Androhung von Zwangsgeldern - in der mit der Verfügung bestimmten Höhe - ausgeübte Druck vorerst als hoch genug erachtet werde. Gleichzeitig seien die Zwangsgelder der Höhe nach tragbar. Inwieweit - diese Begründung zugrunde gelegt - die angedrohte Höhe von jeweils 30.000,00 € willkürlich erscheine und mit §§ 59, 53 ff. SOG LSA nicht in Einklang zu bringen sei, legt die Antragstellerin nicht ansatzweise dar. Nach §§ 59 Abs. 5, 56 Abs. 1 SOG LSA ist ein Zwangsgeld in bestimmter Höhe anzudrohen, wobei dieses mindestens fünf und höchstens 500.000 € betragen kann. Vorliegend hat der Antragsgegner mit der rahmengerechten Bestimmung der Zwangsgeldhöhe von jeweils 30.000 € sein Ermessen ausgeübt und zum Ausdruck gebracht, hierdurch den aus ihrer Sicht vorerst notwendigen Druck bewirken zu können, um das mit der Grundverfügung geforderte Unterlassen (Einstallverbot in Bezug auf unzulässige Spaltenweite und unzureichende Beleuchtung) zu erzwingen, wobei sie von einer für die Antragstellerin tragbaren Höhe ausgeht. Aus welchen spezifischen Gründen die angedrohte Höhe der Zwangsgelder im Gegensatz zu der Annahme der Antragsgegnerin nicht tragbar sein soll, legt die Antragstellerin weder dar, noch liegt dies - ausgehend davon, dass es sich bei ihr um ein Wirtschaftsunternehmen handelt, dessen wirtschaftliche Interessen an der Beibehaltung der Zustände gerade durch den Antragsgegner hervorgehoben worden sind - nicht auf der Hand.
- 6
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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III. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 40, 47 GKG i. V. m. Nr. 1.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
- 8
IV. Dieser Beschluss ist u n a n f e c h t b a r (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.
(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,
- 1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt; - 2.
der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt; - 3.
den eine Behörde außerhalb ihrer durch § 3 Abs. 1 Nr. 1 begründeten Zuständigkeit erlassen hat, ohne dazu ermächtigt zu sein; - 4.
den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann; - 5.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht; - 6.
der gegen die guten Sitten verstößt.
(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil
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Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind, außer wenn ein Fall des Absatzes 2 Nr. 3 vorliegt; - 2.
eine nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat; - 3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war; - 4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.
(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsaktes, so ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.
(5) Die Behörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- € festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
3Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen nicht zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung.
4Das Verwaltungsgericht hat den Antragsgegner auf den Antrag der Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, unverzüglich die konstituierende Sitzung des neu gewählten Verwaltungsrates des Beigeladenen einzuberufen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag sei zulässig, insbesondere seien die Antragsteller antragsbefugt. Der Antrag sei auch begründet. In ihrer Funktion als gewählte Mitglieder des Verwaltungsrates könnten die Antragsteller vom Antragsgegner die Einberufung der konstituierenden Sitzung verlangen.
5Die dagegen von der Beschwerde erhobenen Einwände haben keinen Erfolg.
6Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Antragsteller entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt sind.
7Die Antragsbefugnis in einem (Intra-)Organstreitverfahren setzt voraus, dass der Antragsteller die Verletzung einer wehrfähigen Innenrechtsposition geltend macht. Bei der geltend gemachten Rechtsposition muss es sich um ein durch das Innenrecht eingeräumtes, dem klagenden Organ oder Organteil zur eigenständigen Wahrnehmung zugewiesenes wehrfähiges subjektives Organrecht handeln. Für die Antragsbefugnis reicht es aus, dass eine derartige Rechtsverletzung nach der Behauptung des Antragstellers möglich, d. h. nicht offensichtlich ausgeschlossen ist.
8Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 25. März 2014 - 15 A 1651/12 -, NWVBl. 2014, 388 = juris Rn. 66, und vom 12. September 2008 - 15 A 2129/08 -, NWVBl. 2009, 221 = juris Rn. 5, Urteile vom 8. Oktober 2002 - 15 A 4734/01 -, NVwZ-RR 2003, 376 = juris Rn. 13, und vom 26. April 1989 - 15 A 650/87 -, NVwZ 1990, 188.
9Dies gilt auch für die Behauptung eines Antragstellers, er sei aufgrund einer Wahl Mitglied eines Verwaltungsgremiums geworden und habe deswegen ein Recht auf dessen Einberufung sowie auf Teilnahme an dessen Sitzungen.
10Vgl. insofern VGH Bad.-Württ., Beschluss vom18. Oktober 2010 - 1 S 2029/10 -, juris Rn. 5 ff. (für die Einberufung einer Gemeinderatssitzung); VG Frankfurt a. M., Beschluss vom 9. Februar 2007 - 7 G 5798/06 -, juris Rn. 27 (hinsichtlich des Verwaltungsrats einer Sparkasse).
11Legt man dies zugrunde, ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Antragsteller seien gemäß Art. I § 5 Abs. 1 Nr. 1 c) der Satzung des Studierendenwerks N. i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 3 StWG NRW als Vertreter der Bediensteten des Beigeladenen in den Verwaltungsrat gewählt worden und könnten daher durch dessen Nichteinberufung in ihren subjektiv-organschaftlichen Rechten verletzt sein, nicht zu beanstanden.
12Eine wehrfähige Innenrechtsposition der Antragsteller scheitert nicht bereits daran, dass das Wahlverfahren der Beschäftigtenvertreter möglicherweise rechtsfehlerhaft durchgeführt worden ist.
13Wie auch die Beschwerde sieht, ist die Gremienwahl allenfalls dann (ausnahmsweise) als nichtig und deswegen als nicht umsetzbar anzusehen, wenn sie an einem offensichtlichen Mangel leidet. Dies ist der Fall, wenn bei der Wahl gegen die Grundsätze einer ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maß verstoßen worden ist, dass auch nicht mehr der Anschein einer ordnungsgemäßen Wahl gegeben ist. Der zur Nichtigkeit führende Mangel muss im Zeitpunkt der Wahl offensichtlich sein. Die Wahl muss insofern „den Stempel der Nichtigkeit“ auf der Stirn tragen.
14Vgl. im Hinblick auf eine Personalratswahl: BVerwG, Beschlüsse vom 18. Januar 1990 - 6 P 8.88 -, juris Rn. 19, und vom 13. Mai 1987 - 6 P 20.85 -, DVBl. 1987, 1160 = juris Rn. 23, jeweils m.w.N.; für eine Schwerbehindertenvertretung: BAG, Beschluss vom 23. Juli 2014 - 7 ABR 23/12 -, NZA 2014, 1288 = juris Rn. 41.
15Einen derart gravierenden und offensichtlichen Wahlmangel zeigt die Beschwerde nicht auf. Selbst bei einer angenommenen Unzulässigkeit einer Listenwahl bzw. einer Briefwahl entgegen § 5 Abs. 1 Satz 6 StWG NRW sowie einer fehlerhaft unterbliebenen Personalversammlung würde nicht ohne Weiteres der Anschein erweckt, es habe gar keine ordnungsgemäße Wahl stattgefunden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeerwiderung der Rüge der genannten Wahlfehler durch den Antragsgegner - auch was das Unterbleiben einer Personalversammlung anbelangt - mit substantiierten Ausführungen entgegentritt, denen auch in Ansehung des Vorbringens im Schriftsatz der Antragsteller vom 26. August 2015 im Einzelnen nachzugehen wäre.
16Entsprechendes gilt für die Rechtsfolge eines etwaigen Verstoßes der Wahl gegen § 5 Abs. 3 StWG NRW. Zum einen zwingt der Wortlaut der Norm, dass mindestens vier Mitglieder des Verwaltungsrats Frauen sein müssen, aus sich heraus nicht schon zu der (Evidenz-)Annahme, einer Wahl die u. a. auf ihrer Grundlage durchgeführt worden ist, stehe ein schwerer Fehler wegen offensichtlicher Verfassungswidrigkeit - etwa auch wegen eines Verstoßes des starren Quorums gegen Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG - gewissermaßen auf der Stirn geschrieben, weswegen das Wahlergebnis von vornherein auf keinen Fall umgesetzt werden dürfe. Zum anderen liegen die von der Beschwerde vorgebrachten Zweifel an der hinreichenden rechtsstaatlichen Bestimmtheit der Vorschrift - was zugleich zu den Einwänden der Beschwerde gegen die Begründetheit des Antrags überleitet - außerhalb des Prüfungsrahmens des in Rede stehenden Konstituierungsverfahrens, der allein von den formalen Vorgaben des § 15 Abs. 2 StWG NRW i.V.m. Art. II § 2 der Satzung des Studierendenwerks N. markiert wird.
17Dem Verwaltungsgericht ist darin zuzustimmen, dass § 15 Abs. 2 Satz 1 StWG NRW, Art. II § 2 der Satzung des Studierendenwerks N. und der Geschäftsordnung für den Verwaltungsrat des Studierendenwerks N. weder einer materielle Prüfungskompetenz des Antragsgegners dahingehend zu entnehmen ist, ob die Wahl zum Verwaltungsrat gültig ist noch eine Befugnis, die Neubildung des Verwaltungsrats mit Blick auf potentielle Fehler der Wahl abzulehnen. Von diesem richtigen rechtlichen Ausgangspunkt aus kommen eine Aussetzung des zugrunde liegenden Verfahrens und eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100Abs. 1 GG, um bereits jetzt und in diesem Verfahrenskontext eine Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von § 5 Abs. 3 StWG NRW zu ermöglichen, nicht in Betracht. Eine solche Richtervorlage läge jenseits des Streitgegenstands, der sich auf die bloße Konstituierung des neuen Verwaltungsrats beschränkt.
18Die Wendung in § 15 Abs. 2 Satz 1 StWG NRW „auf der Grundlage dieses Gesetzes“ lässt sich in einer Zusammenschau mit den sonstigen Kompetenzen des Antragsgegners nicht als ihm zustehendes implizites Wahlprüfungsrecht bzw. Bean-standungsrecht verstehen. Dagegen spricht maßgeblich, dass §§ 9 Abs. 3, 14 Abs. 3 StWG NRW Beanstandungsrechte lediglich der Geschäftsführung des Studierendenwerks und dem aufsichtführenden Ministerium zuerkennen. Hätte der Gesetzgeber daneben den Antragsgegner als durch Treuepflichten gegenüber dem Organverwaltungsrat gebundenen „Hüter“ der Vorgaben des Studierendenwerksgesetzes NRW installieren wollen, hätte er dies ausdrücklich statuieren müssen.
19Im Anschluss daran wäre die von der Beschwerde befürchtete - und im Hinblick auf die aufschiebende Wirkung einer eventuellen Beanstandung durch die Geschäftsführung nach § 9 Abs. 3 Satz 2 StWG NRW substantiierte - Handlungsunfähigkeit des Verwaltungsrats, für die der Antragsgegner nach der Gesetzessystematik nicht die Verantwortung trüge, spiegelbildlich allein durch gesetzgeberische Korrekturen - § 5 Abs. 3 StWG NRW unter Umständen eingeschlossen - zu beheben. Welchen Verlauf die von dem Antragsgegner einzuberufende konstituierende Sitzung im Übrigen nimmt, ist von dem grundsätzlichen Einberufungsanspruch der Antragsteller zu unterscheiden. Dieser Anspruch ist ihnen nach der Gesetzeslage zuzusprechen, damit sie in die Lage versetzt werden, ihre gesetzlichen Mitwirkungsrechte ausüben zu können. Dem sind auch die von der Beschwerde erwähnten Wahlhandlungen nach § 5 Abs. 2, Abs. 5 StWG NRW und deren womögliche Beanstandung durch die Geschäftsführung gemäß § 9 Abs. 3 StWG NRW nachgelagert.
20Diesen rechtlichen Betrachtungen ist auf der - ergänzenden - Ebene einer allgemeinen Interessenabwägung hinzuzufügen, dass das von der Beschwerde vorgeschlagene Modell, den bisherigen Verwaltungsrat im Amt zu belassen, weder rechtlich-legitimatorisch noch praktisch vorzugswürdig erscheint. Für ein derartiges Interim, das im Übrigen die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 StWG NRW ebenfalls nicht erfüllt, gibt es keine gesetzliche Grundlage. Es würde zudem die stattgefundene Wahlentscheidung ignorieren und sich auch insofern dem Risiko sofortiger Beanstandungen nach §§ 9 Abs. 3, 14 Abs. 3 StWG NRW aussetzen.
21Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
22Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
23Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Tenor
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Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 14. Mai 2014 2 K 2244/12 aufgehoben.
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Die angefochtene Einkommensteuerfestsetzung wird nach Maßgabe der Urteilsgründe abgeändert.
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Dem Beklagten wird aufgegeben, die geänderte Festsetzung zu errechnen.
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Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
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I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) waren im Streitjahr 2008 verheiratet, hatten einen gemeinsamen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) und wurden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger bezog als Zeitsoldat der Bundeswehr vom 1. Januar 2008 bis 30. März 2008 aus einer Tätigkeit bei der Nordatlantikvertrags-Organisation (NATO) in Belgien Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Ab dem 31. März 2008 übte er eine Tätigkeit als International Civilian Consultant bei der Internationalen Sicherungsunterstützungstruppe (International Security Assistance Force --ISAF--) in Kabul, Afghanistan, aus.
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-
Mit Schreiben vom 28. November 2007 hatte der Kläger unter dem Betreff "Befreiung von der Einkommenssteuerpflicht" eine Anfrage an das Finanzamt X gerichtet: Er nehme Bezug auf das Telefonat vom 12. November 2007, um den Sachverhalt schriftlich zu schildern. Zurzeit diene er als Zeitsoldat der Bundeswehr in Belgien. Er werde durch die Wehrbereichsverwaltung besoldet und sei einkommensteuerpflichtig. Er habe nun einen Antrag auf Befreiung bzw. Beurlaubung bis zu seinem Dienstzeitende bei der Bundeswehr unter Wegfall der Geld- und Sachbezüge gestellt. Grund: Er werde im April 2008 eine Stelle als ICC (International Civilian Consultant) bei NATO ISAF in Kabul Afghanistan antreten. Es sei eine überstaatliche Stelle bei einer überstaatlichen Organisation. Der Vertrag sei vorerst auf drei Jahre befristet. Er werde direkt von der NATO ISAF besoldet. Jeder Anspruch auf Besoldung durch die Bundeswehr sei damit hinfällig. Er bitte um Überprüfung ob des Status der Einkommensteuerpflichtigkeit bzw. Befreiung von der Einkommensteuerpflicht.
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Das Finanzamt X erwiderte mit Schreiben vom 12. Februar 2008 unter Bezugnahme auf die Anfrage des Klägers und dem Betreff "Steuerliche Behandlung der Gehaltszahlungen der ISAF in Afghanistan": Wegen des rechtlichen Problems der steuerlichen Behandlung von Gehaltszahlungen durch die ISAF in Afghanistan habe vorab die vorgesetzte Behörde gehört werden müssen. Leider habe dies etwas Zeit in Anspruch genommen. Es werde gebeten, die Verzögerung zu entschuldigen. Bezugnehmend auf das Schreiben vom 28. November 2007 werde in Abstimmung mit dem (rheinland-pfälzischen) Ministerium der Finanzen mitgeteilt, dass die Gehaltszahlungen an den Kläger gemäß Art. 19 des Übereinkommens über den Status der Nordatlantikvertrags-Organisation, der nationalen Vertreter und des Internationalen Personals vom 20. September 1951 in Verbindung mit der Verordnung über die Gewährung von Vorrechten und Befreiungen an die Nordatlantikvertrags-Organisation, die nationalen Vertreter, das internationale Personal und die für die Organisation tätigen Sachverständigen vom 30. Mai 1958 (BGBl II 1958, 117, 118 ff., zum Inkrafttreten vgl. BGBl II 1958, 350) ohne Progressionsvorbehalt (vgl. § 32b Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes 2002 --EStG 2002-- i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007 --JStG 2007-- vom 13. Dezember 2006, BGBl I 2006, 2878, BStBl I 2007, 28 --EStG 2002 n.F.--) steuerfrei zu stellen seien. Dass die Zahlungen der Bezüge von Afghanistan aus erfolgen solle, könne --wenn dies überhaupt zutreffe-- keine Rolle spielen, da der Kläger von der NATO entlohnt werde. Man hoffe, die Frage ausreichend beantwortet zu haben.
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In der Folge änderte das Finanzamt X die geäußerte Rechtsauffassung, forderte eine Einkommensteuererklärung von den Klägern an und erließ für das Streitjahr einen Einkommensteuerbescheid, in dem es die Einkünfte des Klägers als steuerpflichtig behandelte. Dieser Auffassung schloss sich der nach einem Wohnsitzwechsel zuständig gewordene Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) in der Einspruchsentscheidung an.
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Die hiergegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) Rheinland-Pfalz im Urteil vom 14. Mai 2014 2 K 2244/12 (abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2014, 1455) ab, da weder die vom Finanzamt X erteilte Auskunft bindend sei, noch die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung erfüllt seien.
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Gegen das Urteil wenden sich die Kläger mit der Revision. Sie beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und den angefochtenen Einkommensteuerbescheid dahingehend abzuändern, dass die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit für die ISAF in Afghanistan ohne Berücksichtigung eines Progressionsvorbehaltes gemäß § 32b EStG 2002 n.F. steuerfrei gestellt werden.
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Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und dem Begehren der Kläger stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 EStG) aus der Tätigkeit des Klägers für die ISAF in Afghanistan sind unabhängig von ihrer materiell-rechtlichen Beurteilung (ohne Progressionsvorbehalt i.S. des § 32b EStG 2002 n.F.) als steuerfrei zu behandeln, weil im finanzamtlichen Schreiben vom 12. Februar 2008 eine dahingehende verbindliche Auskunft i.S. des § 89 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007 zu sehen ist, die im Streitfall Bindungswirkung entfaltet.
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1. Nach § 89 Abs. 2 Satz 1 AO können Finanzämter auf Antrag verbindliche Auskünfte über die steuerliche Beurteilung von genau bestimmten, noch nicht verwirklichten Sachverhalten erteilen, wenn daran im Hinblick auf die erheblichen steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse besteht.
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Bei verbindlichen Auskünften nach § 89 Abs. 2 AO handelt es sich um Verwaltungsakte (vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 30. April 2009 VI R 54/07, BFHE 225, 50, BStBl II 2010, 996; vom 29. Februar 2012 IX R 11/11, BFHE 237, 9, BStBl II 2012, 651, und vom 16. Mai 2013 V R 23/12, BFHE 241, 242, BStBl II 2014, 325, m.w.N.). Ob ein solcher vorliegt, ist keine Tat-, sondern eine Rechtsfrage (vgl. Gräber/ Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 118 Rz 25) und in entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs danach zu beurteilen, wie der Empfänger nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 12. Juli 2012 I R 32/11, BFHE 237, 307, BStBl II 2015, 175, Rz 17).
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2. Das Schreiben des Finanzamts X vom 12. Februar 2008 ist nach diesen Maßstäben unter den Umständen des Streitfalls als verbindliche Auskunft anzusehen.
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Indem das Finanzamt feststellt, dass das Gehalt, das der Kläger für die Tätigkeit bei der ISAF beziehen soll, ohne Progressionsvorbehalt steuerfrei zu stellen sei, beantwortet es die ihm gestellte einkommensteuerrechtliche Frage mit hinreichender Bestimmtheit. Aus dem Antrag ergibt sich klar, welcher Sachverhalt und welche Einkünfte betroffen sind. Zudem bezieht sich die Aussage zumindest auf das Streitjahr, den Veranlagungszeitraum der Aufnahme der Beschäftigung in Afghanistan. Dieser Inhalt wird dem Kläger in einer Weise übermittelt, die aus der Sicht eines steuerlich nicht beratenen Empfängers keinerlei Zweifel daran aufkommen lassen, dass das Finanzamt die Frage in verbindlicher Weise, d.h. mit Rechtsbindungswillen, geklärt hat. Über seine Bestimmtheit hinaus ist das Schreiben inhaltlich abgeschlossen und verbindlich formuliert ("ist ... freizustellen"). Der Eindruck der Verbindlichkeit wird --anders als das FG meint-- auch nicht durch die Schlussbemerkung erschüttert, man hoffe, die Frage ausreichend beantwortet zu haben. Dem lässt sich nicht entnehmen, dass die gegebene Auskunft lediglich unverbindlichen oder vorläufigen Charakter hätte. Unter Umständen verbleibende Zweifel an der Verbindlichkeit der Auskunft werden jedenfalls dadurch beseitigt, dass das Finanzamt darauf hinweist, die aufgeworfene Frage erst nach Anhörung der vorgesetzten Behörde und darüber hinaus in Abstimmung mit dem (rheinland-pfälzischen) Ministerium der Finanzen beantwortet zu haben.
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Dieser Auslegung des finanzamtlichen Schreibens vom 12. Februar 2008 steht nicht entgegen, die Anfrage des Klägers habe nicht erkennen lassen, dass der Antritt der Stelle bei der ISAF von der steuerlichen Behandlung abhängig sei, wie es die Vorinstanz zur Bindung nach Treu und Glauben ausführt. Wenngleich der Inhalt der Anfrage des Klägers dessen Empfängerhorizont beeinflussen kann, ist dies im Streitfall schon deshalb nicht in der vom FG angenommenen Art und Weise geschehen, weil nichts dafür ersichtlich ist, dass der Kläger seine Anfrage lediglich auf eine unverbindliche Auskunft gerichtet hat und folglich nur eine solche erwarten konnte. Die Anfrage ist vielmehr auf eine abschließende und verbindliche Klärung der formulierten Rechtsfrage gerichtet, zumal der Kläger ausdrücklich erklärt hatte, seine Anfrage im Anschluss an ein vorhergehendes Telefonat mit einer Mitarbeiterin des Finanzamts in schriftlicher Form vorzubringen. Eine Vorprägung des sog. Empfängerhorizontes i.S. der Ausführungen der Vorinstanz ergibt sich aus der Anfrage nicht.
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Danach stehen der Auslegung des finanzamtlichen Schreibens als verbindliche Auskunft auch nicht die vom FG herausgestellten formellen Mängel der Anfrage entgegen, insbesondere ist nicht entscheidend, ob dem Finanzamt etwaige formale Anforderungen bekannt gewesen seien. Denn, wie dargelegt, ist nicht der Erkenntnishorizont des Finanzamts maßgebend, sondern der des Klägers. Letzteres ist aber nicht geschehen.
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Folglich lässt sich aus den Mängeln nicht der Schluss ziehen, der Kläger habe aufgrund dessen nicht mit der Erteilung einer verbindlichen Auskunft rechnen können. Dies gilt umso mehr, als sich die formalen Anforderungen zum Zeitpunkt der Anfrage des Klägers am 28. November 2007 noch nicht aus § 1 der Verordnung zur Durchführung von § 89 Abs. 2 AO (Steuer-Auskunftsverordnung --StAuskV--) vom 30. November 2007 (BGBl I 2007, 2783) entnehmen ließen, die erst am 7. Dezember 2007 bekanntgemacht worden ist, sondern lediglich (zur früheren Rechtslage) aus dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 29. Dezember 2003 (BStBl I 2003, 742). Der Kläger hat dem Finanzamt einen in der Zukunft liegenden Sachverhalt mit einer klaren Rechtsfrage unterbreitet. Angesichts dessen hätte dem Finanzamt offen gestanden, durch Rückfrage dessen genaues Begehren klarzustellen, und zwar nicht zuletzt im Hinblick auf die durch einen Antrag auf verbindliche Auskunft ausgelöste Gebührenpflicht nach § 89 Abs. 3 bis 5 AO (vgl. Wagner in: Kühn/v. Wedelstädt, 21. Aufl., AO, § 89 Rz 24). Es hätte auf die aus seiner Sicht bestehenden formellen Mängel und einen bestehenden Nachbesserungsbedarf hinweisen oder eine für den Empfänger ersichtlich unverbindliche Auskunft geben können.
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3. Die verbindliche Auskunft entfaltet im streitgegenständlichen Verfahren über die Einkommensteuerfestsetzung Bindungswirkung.
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a) Aus der Einordnung der verbindlichen Auskunft als Verwaltungsakt folgt, dass eine solche mit ihrer --im Streitfall nicht zweifelhaften-- Bekanntgabe (§ 124 Abs. 1 Satz 1, § 122 AO) wirksam wird und dass eine Rechtswidrigkeit für die Bindungswirkung ohne Bedeutung bleibt (vgl. Söhn in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 89 AO, Rz 256, 262; Schmitz in Schwarz/ Pahlke, AO, § 89 Rz 64).
- 18
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Abweichend verhielte es sich nur, wenn die Auskunft nichtig wäre (vgl. § 124 Abs. 3, § 125 Abs. 1 AO). Dafür aber besteht hier kein Anhaltspunkt. Denn als nichtig kann ein Verwaltungsakt allenfalls dann angesehen werden, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies außerdem bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist (vgl. dazu Senatsurteil vom 20. Dezember 2000 I R 50/00, BFHE 194, 1, BStBl II 2001, 381, Rz 19, m.w.N.).
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Derartiges kommt im Streitfall --ohne dass es hierzu der näheren Erörterung der materiellen Rechtslage bedürfte-- von vornherein nicht in Betracht, weil ein gravierender Rechtsfehler, der der Auskunft gleichsam "auf die Stirn" geschrieben steht, jedenfalls nicht vorliegt. Und auch, dass der Antrag auf Erteilung der Auskunft womöglich nicht den formellen Anforderungen entsprochen haben mag, ist insofern ohne Belang (vgl. § 126 Abs. 1 Nr. 1 AO, sowie Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 118 AO Rz 312).
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b) Inwieweit § 2 Abs. 1 Satz 1 StAuskV die Bindungswirkung einer verbindlichen Auskunft einschränken kann, bedarf ebenfalls keiner abschließenden Erörterung, da dessen Anforderungen im Streitfall erfüllt sind.
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aa) Nach dieser auf der Grundlage von § 89 Abs. 2 Satz 4 AO erlassenen Vorschrift ist die von der nach § 89 Abs. 2 Satz 2 und 3 AO zuständigen Finanzbehörde erteilte verbindliche Auskunft für die Besteuerung des Antragstellers bindend, wenn der später verwirklichte Sachverhalt von dem der Auskunft zugrunde gelegten Sachverhalt nicht oder nur unwesentlich abweicht. Die "Verwirklichung" des Sachverhaltes bezieht sich dabei auf den der Auskunft zugrunde liegenden, im Hinblick auf die erteilte Rechtsfrage tatbestandsrelevanten Sachverhalt, der die steuerliche Rechtsfolge auslöst. Das ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut des § 89 Abs. 2 Satz 1 AO, da sich allein aus dem tatbestandsrelevanten Sachverhalt die "erheblichen steuerlichen Auswirkungen" ergeben, und zum anderen aus § 2 Abs. 1 Satz 1 StAuskV, weil dieser Sachverhalt auch der Beantwortung der Rechtsfrage zugrunde liegt. Bloße Vorbereitungshandlungen zur Verwirklichung des Sachverhaltes sind insofern unschädlich.
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bb) Im Streitfall ist der Sachverhalt ungeachtet dessen "später" verwirklicht, ob man auf den Zeitpunkt der Auskunftsanfrage oder --worauf sich nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 1 StAuskV der später verwirklichte Sachverhalt bezieht (ebenso z.B. Anwendungserlass zur Abgabenordnung --AEAO-- zu § 89 Tz 3.5.2; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 89 AO Rz 228; a.A. Roser in Beermann/Gosch, AO § 89 Rz 48)-- auf den Zeitpunkt der Auskunftserteilung abstellt. Denn der maßgebliche Tätigkeitsbeginn des Klägers in Afghanistan am 31. März 2008, den dieser in seiner Anfrage dargelegt hat und der zu den Einkünften i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG geführt hat, folgte der am 12. Februar 2008 erteilten Auskunft zeitlich nach. Ob die erteilte Auskunft für die Aufnahme der Tätigkeit konkret ursächlich war, ist für die Bindungswirkung weder nach § 89 Abs. 2 Satz 1 AO noch nach § 2 Abs. 1 Satz 1 StAuskV von Bedeutung.
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4. Da die Vorinstanz einen abweichenden Rechtsstandpunkt vertreten hat, war ihr Urteil aufzuheben.
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Die Sache ist spruchreif. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass das FA die --von ihm unerkannt-- als Verwaltungsakt erteilte verbindliche Auskunft wirksam (mit Rückwirkung) aufgehoben hätte (vgl. §§ 130 f. AO, § 2 Abs. 3 StAuskV), ergeben sich aus den Feststellungen des FG nicht. Die Einkommensteuerfestsetzung des Streitjahres ist folglich antragsgemäß entsprechend dem Inhalt der verbindlichen Auskunft abzuändern. Die Ermittlung und Berechnung des festzusetzenden Einkommensteuerbetrages wird dem FA nach Maßgabe der Gründe dieser Entscheidung überlassen (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).
- 25
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.
(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,
- 1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt; - 2.
der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt; - 3.
den eine Behörde außerhalb ihrer durch § 3 Abs. 1 Nr. 1 begründeten Zuständigkeit erlassen hat, ohne dazu ermächtigt zu sein; - 4.
den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann; - 5.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht; - 6.
der gegen die guten Sitten verstößt.
(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil
- 1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind, außer wenn ein Fall des Absatzes 2 Nr. 3 vorliegt; - 2.
eine nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat; - 3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war; - 4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.
(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsaktes, so ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.
(5) Die Behörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.