Verwaltungsgericht Aachen Urteil, 22. Jan. 2015 - 1 K 1555/13
Gericht
Tenor
Das beklagte Land wird unter Aufhebung des Bescheids vom 9. April 2013 verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Klägerin und Beklagter tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin begehrt die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe.
3Die am 6. September 1969 geborene Klägerin absolvierte von September 1989 bis August 1992 eine Berufsausbildung zur mathematisch-technischen Assistentin an der S. . Hieran schloss sich das Studium der Informatik an der S. von Oktober 1992 bis Mai 1997 an, das sie mit dem Abschluss Diplom-Informatikerin beendete. Von Mitte Mai 1997 bis zum 31. August 1997 war sie sodann an der S. Aachen beruflich tätig. Am 1. September 1997 nahm sie eine Tätigkeit bei dem Unternehmen F. auf, die sie bis zum 22. August 2010 fortsetzte. Am 28. Oktober 1999 gebar sie die Zwillingskinder B. und H. .
4Nach der Geburt ihrer Kinder reduzierte die Klägerin ihre Tätigkeit in dem Unternehmen F. auf eine Teilzeitbeschäftigung von zunächst 16 Stunden, die sie dann auf 19, später auf 24 und letztlich auf 26 Wochenstunden erhöhte. Parallel bemühte sie sich um die Übernahme in den Landesdienst als Lehrerin. Bereits am 26. Februar 2003 hatte sie die Anerkennung ihres Diplomstudiengangs als Erste Staatsprüfung für das Lehramt für die Sekundarstufe II mit dem Erstfach Informatik und dem weiteren Fach Mathematik erhalten. Nachdem sie sich um die Einstellung in den Schuldienst des Landes NRW beworben hatte, erhielt sie ein Einstellungsangebot mit dem Inhalt, dass wegen der notwendigen Teilnahme an Weiterqualifizierungsmaßnahmen eine Teilzeitbeschäftigung aus dienstlichen Gründen nur mit einer Reduzierung von maximal 4 Stunden möglich sei. Die Klägerin erklärte unter dem 3. April 2003, dass sie das Einstellungsangebot nicht annehme.
5Im April 2010 bewarb sie sich erneut um die Einstellung in den Schuldienst des Landes NRW bei dem Berufskolleg Wirtschaft des Kreises I. in H1. , wo sie ab dem 30. August 2010 als Lehrerin mit 20 Wochenstunden unterrichtete. Ausweislich des Zeugnisses vom 22. August 2012 legte sie am 25. April 2012 die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt an Berufkollegs mit den Fächern Wirtschaftsinformatik und Mathematik erfolgreich ab. Ab dem 23. August 2012 war sie als angestellte Lehrerin weiter an dem Berufskolleg Wirtschaft des Kreises I. in H1. tätig.
6Bereits mit Schreiben vom 4. Juli 2012 hatte die Klägerin die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe beantragt. Unter dem 14. Juli 2012 wies sie darauf hin, dass auf die Höchstaltersgrenze für die Verbeamtung ihre Kinderbetreuungszeiten anzurechnen seien. Sie erziehe ihre Kinder seit der Geburt selbst. Im Zeitraum vom 21. September 1999 bis zum 27. Oktober 2002 sei sie im Erziehungsurlaub gewesen. Nach den damals gültigen Gesetzen sei es möglich gewesen, dabei einer Berufstätigkeit von bis zu 50 % nachzugehen. Diese Möglichkeit habe sie genutzt und überwiegend in Form von Telearbeit gearbeitet. Auch nachdem ihre Kinder im September 2003 einen Kindergartenplatz erhalten hätten, habe sie weiterhin eine Teilzeittätigkeit ausgeübt. Nur so sei ihr die Betreuung ihrer Kinder möglich gewesen. Sie habe das Angebot zum Schuleinstieg im Jahr 2003 abgelehnt, da nach den Aussagen des damaligen Schulleiters der Seiteneinstieg als Lehrerin nicht im Rahmen eines Teilzeitvertrags möglich sei.
7Mit Anhörungsschreiben vom 10. Dezember 2012 kündigte der Beklagte die Absicht an, den Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe abzulehnen. Sie habe die Höchstaltersgrenze beim Einstellungstermin am 13. August 2012 um zwei Jahre, elf Monate und 18 Tage überschritten. Die verzögerte Bewerbung um die Übernahme in das Beamtenverhältnis sei vermeidbar gewesen. Schon ab dem Jahr 2003 sei sie überhälftig bei dem Unternehmen F. beschäftigt gewesen. Es wäre ihr deshalb schon zu diesem Zeitpunkt möglich gewesen, trotz der Betreuung ihrer Kinder den angebotenen berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst in Teilzeit abzuleisten. Im Anschluss daran (bei regulären Verlauf im August 2005) hätte sie dann die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe und eine Teilzeitbeschäftigung beantragen können. Der Kausalzusammenhang zwischen der Kinderbetreuung und der verzögerten Einstellung sei deshalb unterbrochen. Das Anhörungsschreiben wurde der Gleichstellungsbeauftragten zur Kenntnis gegeben, die keine Stellungnahme abgab.
8Unter dem 9. Januar 2013 machte die Klägerin geltend, dass die ihr im Jahre 2003 angebotene berufsbegleitende Ausbildung zeitlich nicht mit der erforderlichen Betreuung ihrer Kinder vereinbar gewesen sei. Dies wäre auch bei einer Ausbildung auf einer Teilzeitstelle der Fall gewesen. Zwar hätte sich dann der stundenmäßige Umfang der Unterrichtserteilung, nicht jedoch der stundenmäßige Umfang der Teilnahme am Studienseminar reduziert. Sowohl bei den Unterrichts- als auch bei den Seminarstunden handele es sich zudem um feste zeitliche Belastungen, die in Konflikt mit der für die Kinderbetreuung erforderlichen zeitlichen Flexibilität getreten wären. Im Rahmen ihrer Teilzeitbeschäftigung bei dem Unternehmen F. habe sie hingegen die notwendige zeitliche Flexibilität besessen. Sie habe ihre Bürozeiten selbst flexibel wählen können und habe nur bis zu 60 % der Wochenstunden im Büro absolvieren müssen. Den Rest der Arbeitszeit habe sie zu Hause ableisten können. Bedingt durch die Tätigkeit in internationalen Projekten (Asien und Kanada) habe sie regelmäßig entweder in den sehr frühen Morgenstunden oder den späten Abendstunden arbeiten und so Kollisionen mit den für die Kinderbetreuung erforderlichen Zeiten vermeiden können. Ihrem Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe sei zudem zumindest aufgrund einer Ausnahmeentscheidung zu entsprechen. Zwar sei der so genannte Mangelfächererlass zwischenzeitlich aufgehoben worden, bei den von ihr erteilten Unterrichtsfächern handele es sich jedoch um solche, in denen ein Lehrermangel nach wie vor gegeben sei. Überdies sei ihrem Antrag auch deshalb zu entsprechen, weil sich ihr beruflicher Werdegang aufgrund der dargelegten Notwendigkeiten der Kinderbetreuung in einer von ihr nicht zu vertretender Weise verzögert habe, so dass die Anwendung der Regelaltersgrenze unbillig sei.
9Mit Bescheid vom 9. April 2013, zugestellt am 17. April 2013, lehnte der Beklagte den Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe ab. Soweit ihr ein Schulleiter im Jahr 2003 die fehlerhafte Auskunft gegeben habe, dass die angebotene berufsbegleitende Ausbildung nicht auf Basis einer Teilzeitbeschäftigung möglich sei, sei ihr dies zuzurechnen. Sie hätte diese Frage rechtsverbindlich bei der Bezirksregierung klären müssen. Spätestens ab dem 1. April 2001 habe sie eine überhälftige berufliche Tätigkeit in der Privatwirtschaft ausgeübt. Ab diesem Zeitpunkt habe sie nicht mehr ganz oder überwiegend der Kinderbetreuung gewidmet. Daran vermöge auch die Art der Berufsausübung – also die Erledigung in Heimarbeit oder die Möglichkeit der freien Zeiteinteilung – nichts zu ändern. Eine Ausnahmeregelung komme ebenfalls nicht in Betracht. Durch die Aufhebung des Mangelfacherlasses habe der Verordnungsgeber zu erkennen gegeben, dass er ein dienstliches Interesse an der Gewinnung bzw. dem Behalten von Lehrern in Abwägung mit den sich durch die Verbeamtung älterer Lehrer verbundenen Versorgungslasten nicht mehr als erheblich betrachte. Die Voraussetzungen der Härtefallklausel lägen nicht vor, da diese nur ganz außergewöhnlich gelagerte Sachverhalte erfasse.
10Die Klägerin hat am 16. Mai 2013 Klage erhoben. Sie wiederholt und vertieft ihren Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren. Die in der Verordnung über die Laufbahnen der Beamten im Land Nordrhein-Westfalen (LVO NRW) geregelte Altersgrenze verstoße gegen das Altersdiskriminierungsverbot. Entgegen der abweichenden Beurteilung durch den Beklagten sei die erforderliche Betreuung ihrer beiden Kinder für die Überschreitung der Altersgrenze kausal. Aus der überhälftigen Tätigkeit in der Privatwirtschaft folge nichts anderes. Es liege bei ihr ein atypischer Fall vor, da eine überhälftige Teilzeitbeschäftigung unter Vereinbarung mit der Betreuung ihrer Kinder nur wegen der enormen zeitlichen und örtlichen Flexibilität der ausgebübten Tätigkeit möglich gewesen sei.
11Die Klägerin beantragt,
12den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 9. April 2013 zu verpflichten, sie in das Beamtenverhältnis auf Probe zu übernehmen,
13hilfsweise, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 9. April 2013 zu verpflichten, über ihren Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
14Der Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Er wiederholt und vertieft die Begründung aus dem angefochtenen Bescheid. Die Altersgrenze von 40 Jahren verstoße nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte nicht gegen das Altersdiskriminierungsverbot.
17Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
18Entscheidungsgründe:
19Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
20Die Klage hat mit dem Hauptantrag keinen Erfolg. Das Begehren der Klägerin, das beklagte Land zu verpflichten, sie in das Beamtenverhältnis auf Probe zu übernehmen, ist nicht spruchreif (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Im Rahmen der Entscheidung über die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe obliegt es dem Dienstherrn, auch über die Frage der gesundheitlichen Eignung des Bewerbers zu befinden. Eine solche, durch den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum gekennzeichnete Entscheidung hat das beklagte Land bislang nicht getroffen.
21Vgl. zu den Anforderungen an eine Ermessensverengung auf Null bei der Verbeamtung von Lehrkräften OVG NRW, Beschlüsse vom 11. Juli 2013 - 6 A 2649/10 -, juris, Rn. 24; und vom 9. Oktober 2014 - 6 A 2486/13 -, juris, Rn. 7.
22Die Klage hat jedoch mit dem Hilfsantrag Erfolg. Die Klägerin hat einen Anspruch auf erneute Entscheidung über ihr Begehren, sie in das Beamtenverhältnis auf Probe zu übernehmen. Insoweit ist der Bescheid der Bezirksregierung Köln vom 9. April 2013 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
23Der streitgegenständliche Bescheid ist formell rechtmäßig. Die Gleichstellungsbeauftragte wurde frühzeitig über die beabsichtigte Ablehnung unterrichtet und hatte Gelegenheit zur Stellungnahme, §§ 17 Abs. 1, 18 Abs. 2 Satz 1 und 2 LGG NRW. Die Klägerin wurde ordnungsgemäß gem. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW angehört.
24Die Ablehnung ihrer Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe ist jedoch materiell rechtswidrig.
25Das Klagebegehren ist auf der Grundlage der im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geltenden Bestimmungen der Verordnung über die Laufbahnen der Beamtinnen und Beamten im Land Nordrhein-Westfallen in der Fassung vom 28. Juni 2014 - LVO NRW - (GV. NRW. 2014 S. 22) zu beurteilen. Die LVO NRW enthält keine Übergangsvorschriften für bereits vor Inkrafttreten dieser Neufassung der Laufbahnverordnung gestellte Verbeamtungsanträge.
26Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 7. Oktober 2014 - 2 K 6702/13 -, juris, Rn. 29, m.w.N.
27Nach der gemäß § 49 Abs. 1 LVO NRW auch für Lehrkräfte anwendbaren Vorschrift des § 8 Abs. 1 LVO NRW darf als Laufbahnbewerber nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 LVO NRW in das Beamtenverhältnis auf Probe nur eingestellt oder übernommen werden, wer das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
28Die am 6. September 1969 geborene Klägerin hat die Höchstaltersgrenze von 40 Jahren im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung um etwas mehr als 5 Jahre und 4 Monate überschritten. Im Zeitpunkt des Antrags auf Verbeamtung vom 4. Juli 2012 hatte sie die Höchstaltersgrenze um zwei Jahre und fast 10 Monate überschritten.
29Die durch diese Vorschriften festgelegte Höchstaltersgrenze ist wirksam und mit höherrangigem Recht vereinbar.
30Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2012 - 2 C 76/10 -, BVerwGE 142, 59 = juris, Rn. 14 ff.; OVG NRW, Urteil vom 27. Juli 2010 - 6 A 858/07 -, NVwZ-RR 2010, 992 = juris, Rn. 39 ff.
31Die Überschreitung der Altersgrenze ist jedoch nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 LVO NRW unschädlich.
32Hiernach darf im Fall einer Verzögerung der Einstellung oder Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe wegen der Geburt eines Kindes oder wegen der tatsächlichen Betreuung eines minderjährigen Kindes die Altersgrenze im Umfang der Verzögerung überschritten werden. Gemäß Satz 2 der Vorschrift darf bei Verzögerungen aus den genannten Gründen die Altersgrenze um bis zu drei Jahren, bei mehreren Kindern höchstens um bis zu sechs Jahre überschritten werden.
33Die Voraussetzungen der Vorschrift liegen vor. Die Überschreitung der Altersgrenze durch die Klägerin beruht auf der tatsächlichen Betreuung ihrer minderjährigen Kinder. Da die Klägerin zwei Kinder betreut hat, kann die Altersgrenze maximal um sechs Jahre hinausgeschoben werden, was zur Deckung der eingetretenen Verzögerung genügt.
34Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowie des Oberverwaltungsgerichts NRW ist maßgeblich für die individuell zulässige Überschreitung der Höchstaltersgrenze allerdings nicht der Umfang der Kinderbetreuungszeiten, sondern der Umfang der durch die Kinderbetreuung bedingten Verzögerung der Einstellung. Unterbrechungen des Kausalzusammenhangs durch weitere, vom Verordnungsgeber nicht privilegierte Ursachen bleiben deshalb bedeutsam, da insoweit kein Grund für eine Privilegierung der betroffenen Bewerber besteht. Die Annahme der Kausalität von Verzögerungstatbeständen erfordert im Interesse einer berechenbaren und gleichmäßigen Verwaltungspraxis objektive, nach außen erkennbare Anhaltspunkte für die rechtzeitige Hinwendung zu einem Beruf im öffentlichen Dienst - hier dem Lehrerberuf -, wenn der Einstellungsbewerber zuvor eine Ausbildung durchlaufen hat, die auf einen Beruf außerhalb des öffentlichen Dienstes hinführte.
35Vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Januar 2011 - 2 B 2.11 -, NVwZ-RR 2011, 329 = juris, Rn. 17; OVG NRW, Beschluss vom 29. Oktober 2014 - 6 A 1842/13 -, juris, Rn. 7 ff.; m.w.N.
36Die Klägerin hat sich nach ihrem Studium, und zwar spätestens im Jahr 2003, also noch weit vor einer Überschreitung der Höchstaltersgrenze, dem Beruf der Lehrerin zugewandt, wie aus der Anerkennung ihres Studienabschlusses als Erste Staatsprüfung für das Lehramt für die Sekundarstufe II deutlich wird.
37Die Ergreifung des Berufs der Lehrerin hat sich sodann aus Gründen der Kinderbetreuung verzögert. Die Klägerin hat ihre Kinder nach deren Geburt im Jahr 1999 betreut. Ihre Tätigkeit für die Firma F. in den Jahren 1997 bis 2010 steht dem nicht entgegen.
38Die Betreuung von Kindern ist allerdings nur dann beachtlich, wenn sie den Tagesablauf der Betreuungsperson geprägt, d.h. im Vergleich zu anderen Tätigkeiten in Ausbildung und/oder Beruf deutlich überwogen hat. Der Bewerber muss sich ganz oder jedenfalls überwiegend der Betreuung seiner Kinder gewidmet haben. Das ist regelmäßig nicht mehr anzunehmen, wenn er einer anderweitigen Tätigkeit, insbesondere einer mindestens halbtags (mit halber Stelle) ausgeübten Berufstätigkeit nachgegangen ist, die dazu führte, dass die Betreuungstätigkeit nicht mehr im Vordergrund stand.
39Vgl. BVerwG, Urteile vom 13. Juli 2000 - 2 C 21.99 -, ZBR 2001, 32 = juris, Rn. 16, und vom 18. Juni 1998 - 2 C 6.98 -, ZBR 1998, 419 = juris, Rn. 22; OVG NRW, Urteil vom 18. Juli 2007 - 6 A 4769/04 -, juris, Rn. 42, jeweils zu insoweit gleichlautenden Vorgängerbestimmungen und mit weiteren Nachweisen; ferner OVG NRW, Beschlüsse vom 9. August 2011 - 6 A 1340/11 -, juris, Rn. 7, und vom 26. August 2013 - 6 A 307/13 -, juris, Rn. 11.
40Mit der Begründung, von einer tatsächlichen Kinderbetreuung im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 LVO NRW sei "im Allgemeinen" nicht mehr auszugehen, wenn gleichzeitig eine überhälftige Beschäftigung im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses ausgeübt wurde, lässt diese Rechtsprechung allerdings zu, dass es im Einzelfall möglich sein kann, dass ein Bewerber sein Kind tatsächlich betreut hat, sein Tagesablauf durch die Betreuung geprägt wurde und er dennoch einer überhälftigen Berufstätigkeit nachgehen konnte. Dies dürfte aber nur in besonderen Ausnahmefällen anzunehmen sein. Der Bewerber muss die maßgeblichen Besonderheiten in solchen Fällen besonders darlegen. Die Darlegungs- und Begründungslast für den Bewerber ist dabei im Hinblick auf seine prozessuale Mitwirkungspflicht aus § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO regelmäßig überdurchschnittlich hoch, da es sich für gewöhnlich um Umstände handeln dürfte, die in seiner Sphäre liegen. In die Betrachtung des jeweiligen Einzelfalls ist regelmäßig zumindest einzubeziehen, in welchem zeitlichen Umfang eine überhälftige Tätigkeit überschritten wurde und unter welchen Rahmenbedingungen die berufliche Tätigkeit ausgeübt wurde.
41Dieses Verständnis der Vorschrift orientiert sich an ihrer familienpolitischen Bedeutung, die das Ziel verfolgt, Bewerbern, die gerade zugunsten der Kinderbetreuung die Aufnahme einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst hinausgeschoben oder unterbrochen haben, die damit verbundene Verzögerung in begrenztem Umfang hinsichtlich des Einstellungshöchstalters auszugleichen. Um diesem Ziel zu maximaler Wirksamkeit zu verhelfen, ist in jedem Einzelfall eine Betrachtung erforderlich. Die Kammer hält es mit dem Regelungszweck für unvereinbar, Kinderbetreuungszeiten nicht anzuerkennen, wenn ein Bewerber sein Kind tatsächlich betreut hat und es ihm wegen besonderer Umstände möglich war, gleichzeitig einer überhälftigen Tätigkeit nachzugehen.
42Ein solches Verständnis des § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 LVO NRW ist auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Beklagten in der mündlichen Verhandlung zum Bedürfnis einer gleichbleibenden Verwaltungspraxis richtig. Zwar ist aus Sicht der Verwaltung das Bedürfnis nachvollziehbar, den Umfang anerkennungsfähiger Kinderbetreuungszeiten klar zu definieren. Indes entspricht eine abstrakt-generelle Regelung dieser Frage gerade nicht der gesetzgeberischen Konzeption des § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 LVO NRW. Denn die Vorschrift verlangt durch das aufgestellte Kausalitätskriterium eine Bestimmung der betreuungsbedingten Verzögerung in jedem Einzelfall. Dem Bedürfnis der Verwaltungspraxis dürfte zudem schon dadurch Rechnung getragen werden, dass im Regelfall bei einer überhälftigen Tätigkeit nicht mehr von einer tatsächlichen Kinderbetreuung ausgegangen werden kann. Nur Ausnahmefälle rechtfertigen eine andere Bewertung.
43Nach diesen Maßstäben durchbricht die überhälftige berufliche Tätigkeit der Klägerin für das Unternehmen F. nicht den Kausalzusammenhang zwischen Kinderbetreuung und verzögerter Übernahme in den öffentlichen Dienst. Die Klägerin kann sich auf besondere Umstände berufen, die die Regelannahme, dass eine solche Tätigkeit einer überwiegenden Kinderbetreuung entgegensteht, widerlegen.
44Die Klägerin hat eine berufliche Tätigkeit ausgeübt, die ihr den nötigen zeitlichen Freiraum für eine überwiegende Kinderbetreuung ließ. Die zeitliche Flexibilität besaß sie auf Grund der besonderen Rahmenbedingungen ihrer beruflichen Tätigkeit. Zum einen besaß sie die Möglichkeit zur Telearbeit. Zum anderen betreute sie Projekte in Asien und Kanada, weshalb sie ihre Tätigkeit in Zeiträumen (frühe Morgen- und späte Abendstunden) ausüben konnte, in denen eine Betreuung der Kinder nicht erforderlich war. Der frühere Arbeitgeber der Klägerin hat diese Besonderheiten ihrer Tätigkeit ausdrücklich bestätigt.
45Die Kammer stellt in die Betrachtung zudem ein, dass die Klägerin nur im Umfang von maximal sieben Stunden eine überhälftige Tätigkeit überschritten hat. Zwischen den Beteiligten ist es unstreitig, dass eine Tätigkeit mit 19 Wochenstunden noch keine überhälftige Tätigkeit darstellt. Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte wäre eine berufliche Tätigkeit in diesem Umfang, auch wenn sie voll außerhalb der eigenen Wohnung zu verrichten wäre, im Hinblick auf die Anerkennung von Kinderbetreuungszeiten nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 LVO NRW also von vornherein unbedenklich. Dass die Klägerin zeitweise im Umfang von 26 Wochenstunden gearbeitet hat, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Denn unter Berücksichtigung ihrer Möglichkeit zur Telearbeit und zur Arbeit in den frühen Morgen- oder späten Abendstunden war es ihr leicht möglich, sieben Stunden Mehrarbeit hierdurch aufzufangen.
46Auch eine weitere Berechnung bestätigt diese Einschätzung. Nach den Angaben der Klägerin musste sie maximal 60% ihrer Stundenzahl im Büro ableisten. Dies bedeutet, dass sie bei einer Stundenzahl von 26 Stunden pro Woche im Umfang von 15,6 Stunden (d.h. etwas mehr als drei Stunden pro Tag) außer Haus und im Umfang von 10,4 Stunden (etwas mehr als zwei Stunden pro Tag) zu Hause beruflich tätig war. Diese Arbeitszeiten stehen der Annahme von Kinderbetreuungszeiten, die den Tagesablauf maßgeblich prägen, nicht entgegen.
47Andere (nicht privilegierte) Gründe, die den Kausalzusammenhang zwischen den Kinderbetreuungszeiten und der verzögerten Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe unterbrochen haben könnten, liegen nicht vor. Entgegen der Ansicht des Beklagten hätte die Klägerin insbesondere nicht bereits im Jahr 2003 den angebotenen berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst antreten können. Auch soweit dies in Teilzeit möglich gewesen wäre, hätte sie dennoch im vollen Umfang an dem Studienseminar teilnehmen müssen. Da dies nach den Angaben der Klägerin, denen das beklagte Land nicht entgegengetreten ist, nachmittags stattfindet, wäre dies mit einer Kinderbetreuung unvereinbar gewesen.
48Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Annotations
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
(2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn
- 1.
eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint; - 2.
durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde; - 3.
von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll; - 4.
die Behörde eine Allgemeinverfügung oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen will; - 5.
Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden sollen.
(3) Eine Anhörung unterbleibt, wenn ihr ein zwingendes öffentliches Interesse entgegensteht.
(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.
(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.
(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.