Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 01. Sept. 2011 - 4 LB 11/10

ECLI:ECLI:DE:OVGSH:2011:0901.4LB11.10.0A
bei uns veröffentlicht am01.09.2011

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichter der 8. Kammer - vom 04. Mai 2009 geändert.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 05. September 2006 verpflichtet festzustellen, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens trägt die Beklagte.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der am 10. Mai 1979 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er begehrt im vorliegenden Verfahren die Anerkennung als Flüchtling, hilfsweise eines Abschiebungsverbotes.

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Der Kläger reiste nach eigenen Angaben am 26. Mai 2005 auf einem Lkw aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland ein. Dort stellte er mit anwaltlichem Schreiben vom 30. Mai 2005 sowie persönlich am 03. Juni 2005 einen auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG und Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG beschränkten Asylantrag. Zur Begründung machte er geltend, er habe einige Jahre für die PKK gearbeitet, sich mittlerweile jedoch von ihr losgesagt. Er sei auf Grund seiner ehemaligen PKK-Mitgliedschaft in der Türkei von Haft, Folter und Strafverfolgung bedroht und befürchte gleichermaßen Verfolgung seitens der PKK.

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Im Verlaufe des Asylverfahrens trug der Kläger vor, er habe sich im Alter von 17 Jahren der PKK angeschlossen. Er stamme aus einer politischen Familie, die ihn bei der Kontaktaufnahme zur PKK unterstützt habe. Zunächst habe er fünf bis sechs Monate in Bulgarien verbracht, um die Organisation kennenzulernen, im Anschluss sei er drei Monate lang in Griechenland politisch ausgebildet worden. Unter einem Decknamen sei er danach wieder nach Bulgarien zurückgeschickt worden und dort ca. 11 Monate für das sogenannte "Heimatbüro" zuständig gewesen. In dieser Funktion habe es ihm oblegen, den Personen, die sich der PKK angeschlossen hätten, Informationen über die Organisation zu vermitteln und für sie Wohnungen sowie die Weiterreise nach Griechenland zu organisieren. Außerdem habe er dem Kurdistan-Informationszentrum bei der Veröffentlichung der Tageszeitungen geholfen. Ab Juni 1998 habe er sich einige Monate in Griechenland und in Armenien aufgehalten, bis er im März 1999 in den Nordirak (Kandil Dagi) gefahren und dort 15 Tage lang politisch und militärisch ausgebildet worden sei. Insgesamt habe seine Ausbildung vor allem auf die Tätigkeit als Lehrender für Psychologie, Philosophie, türkische und kurdische Geschichte, nicht jedoch auf einen militärischen Einsatz abgezielt. Im Anschluss habe er bei der politischen Ausbildung von aus der Türkei zurückkommenden bewaffneten Kämpfern mitgewirkt. Im Jahre 2003 habe er an einer Militärkonferenz in Kandil Dagi teilgenommen. Anschließend sei ihm die Verantwortung für Öffentlichkeits- und Pressearbeit sowie die Lösung von Problemen im Verhältnis zur bzw. innerhalb der Zivilbevölkerung übertragen worden. Er habe Gesprächstermine zwischen den verschiedenen im Nordirak tätigen Organisationen arrangiert und Termine zwischen Journalisten und den Hauptverantwortlichen der PKK abgestimmt. Im Mai 2004 habe er sich jedoch von der Organisation abgesetzt, nachdem sein Vorgesetzter Naki Bektas festgenommen worden sei. Gemeinsam mit Bektas und einigen anderen Mitgliedern habe er sich gegen den Beschluss der PKK im Jahre 2004 gewandt, nochmals den bewaffneten Kampf aufzunehmen. Sie seien der Auffassung gewesen, dass die kurdische Frage von der Weltöffentlichkeit ausreichend wahrgenommen worden sei und eine Wiederaufnahme des Krieges die Kurden international als Terroristen darstellen und das zwischenzeitlich politisch Erreichte gefährden könne. Die Organisation habe jedoch abweichende Meinungen nicht akzeptiert und es habe für sie eine große Gefahr bestanden. Im Zuge der Auseinandersetzungen über die weitere Strategie der PKK 2004 seien der Gruppe des Bektas, zu der auch er selbst gehört habe, Ultimaten gesetzt worden und es habe ihnen ein lebensgefährliches Gerichtsverfahren interner Parteiorgane gedroht. Nach der Verhaftung von Bektas hätten der Kläger und weitere Personen dessen Flucht organisiert. In diesem Zusammenhang habe er sich mit einem Freund ca. 5 Monate in Kirkuk in einer Wohnung aufgehalten und mehrere Male erfolglos versucht, über Jordanien auszureisen, um den Gefährdungen seitens der PKK zu entkommen. Anschließend habe er in Bagdad beim englischen Botschafter erfolglos Asyl beantragt. Mit einem gefälschten irakischen Reisepass und einem sechsmonatigen Visum sei er danach in die Türkei eingereist. Bis zu seiner Ausreise über Istanbul, die seine Familie für ihn organisiert habe, habe er sich in einem Ferienhaus seines Bruders in Balikesir verborgen. Während seines Aufenthaltes in Kirkuk hätten ihm zwei bewaffnete Männer eine Nachricht des Hauptverantwortlichen der PKK Murat Karayilan überbracht, in der ihm und seinen Freunden schlimme Konsequenzen für den Fall, dass sie ihren Weg entgegen den Beschlüssen der PKK fortsetzten, angedroht worden seien. Karayilan habe ihm telefonisch einmal mitgeteilt, dass die Organisation ihn an jedem Ort finden werde. Falls ihn die Organisation identifiziere, sei er daher überall gefährdet. Für den Fall seiner Rückkehr in die Türkei befürchte er zudem staatliche Folter und eine lebenslängliche Haftstrafe. Den Behörden sei bekannt, dass er bei der PKK gewesen sei, es laufe gegen ihn ein Ermittlungsverfahren. Außerdem werde er wegen Nichtableistung des Wehrdienstes gesucht.

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Im Juli 2006 wurde der Kläger in die Betreuung der Organisation REFUGIO e.V. aufgenommen und zur psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung an die Fachärztin Dr. Klimaschewski vermittelt.

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Mit Bescheid vom 05. September 2006 lehnte die Beklagte einen Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht vorlägen und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG nicht vorlägen. Der Kläger wurde zur Ausreise aufgefordert und ihm wurde die Abschiebung in die Türkei oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht. Zur Begründung wird in dem Bescheid ausgeführt, es bedürfe keiner Entscheidung, ob ein Anspruch auf Asylanerkennung nach Art. 16 a GG entstanden sei oder ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG bestehe, da bezüglich des Klägers der Ausschlussgrund nach § 60 Abs. 8 AufenthG eingreife. Der Kläger sei als Kader in der terroristischen Organisation PKK tätig gewesen und erfülle die Merkmale einer mitgliedschaftlichen Beteiligung an einem schweren nichtpolitischen Verbrechen. Er habe nach seinem Anschluss an die PKK und seiner Ausbildung innerhalb der PKK-Hierarchie Funktionärstätigkeiten ausgeübt. Als Mitarbeiter des "Heimatbüros" in Bulgarien sei er nach den allgemeinen Erkenntnissen über den Aufgabenbereich dieser Büros auch für Sicherheitsbelange der PKK zuständig gewesen. Aus seinem Aufstieg innerhalb der Hierarchie der Organisation lasse sich eine Verinnerlichung und Unterstützung auch der terroristischen Ausrichtung der PKK ableiten. Seine überdurchschnittliche Identifikation mit der Organisation werde auch durch die Teilnahme als Delegierter der Militärkonferenz 2003 sowie durch die Kontaktaufnahme seitens des Führungsmitgliedes Murat Karayilian nach seiner Distanzierung von der Organisation verdeutlicht. Eine konkrete eigene Beteiligung an bewaffneten Aktionen müsse dem Kläger nicht nachgewiesen werden. Als ehemaliges Kadermitglied müsse er sich vielmehr die von der PKK auch in den eigenen Reihen verübten Morde und Attentate, Misshandlungen und Folterungen zurechnen lassen. Der Kläger habe die Ziele der PKK und deren Umsetzung durch terroristische Aktivitäten im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten unterstützt. Eine Wiederholungsgefahr sei für einen Ausschluss des Schutzes nach § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG nicht erforderlich. Zudem lägen schwerwiegende Gründe vor, die die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger sich als Kadermitglied auch Handlungen habe zuschulden kommen lassen, die den Zielen der Vereinten Nationen zuwider liefen. Er habe als Funktionär an der Förderung des bewaffneten Kampfes und damit an Verstößen gegen die u.a. in Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen dargelegten Ziele der UN mitgewirkt. Durch seine professionelle Mitarbeit habe er die innere Organisation, den Zusammenhalt sowie den bewaffneten Kampf der PKK unmittelbar gefördert. Überdies sei eine zu einem Abschiebungshindernis führende Gefährdung des Klägers nicht hinreichend erkennbar. Aufgrund der in der Türkei umgesetzten Reformen und der "Null-Toleranz-Politik" gegenüber Folter und Misshandlungen sei die Gefahr einer Misshandlung bei Wiedereinreise in die Türkei nicht beachtlich wahrscheinlich.

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Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 18. September 2006 Klage erhoben und gleichzeitig im Verfahren 8 B 62/06 erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht um Eilrechtsschutz nachgesucht. Die Klage ist anknüpfend an den Vortrag im Asylverfahren im Wesentlichen wie folgt begründet worden:

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Der Kläger sei niemals systematisch bewaffnet oder gewaltbereit und auch nicht an der Vorbereitung gewaltsamer Aktionen der PKK beteiligt, sondern lediglich als Lehrender aktiv gewesen. Eine derartige ideologische Unterstützung falle nicht unter den Zweck des gesetzlichen Ausschlussgrundes für den Flüchtlingsschutz. Während seiner Tätigkeit im Nordirak habe er die aus der Türkei gekommenen - von der PKK von dort zurückgezogenen - Kämpfer politisch sowie am Computer geschult und darüber hinaus Lebensmittel besorgt, Bücher gelesen oder die Ausbildungskommission vorbereitet. Im Übrigen habe er sich glaubhaft von der Politik der prinzipiellen Gewaltbereitschaft abgewandt. Auf der Militärkonferenz 2003, an der er wie andere PKK-Mitglieder uniformiert teilgenommen habe und an der auch einfache Mitglieder hätten teilnehmen können, habe er sich öffentlich kritisch zur neuen Strategie der Wiederaufnahme eines bewaffneten Kampfes geäußert. In der Hierarchie der PKK sei er unterhalb der Ebene angesiedelt gewesen, welche die politischen und ideologischen Entscheidungen mitbestimmt habe. Bei der Ausführung der ihm zugewiesenen Arbeiten habe er zwar selbstständig, aber nicht weisungsgebend oder in politischer oder ideologischer Hinsicht ideengebend gearbeitet.

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Die Familie des Klägers sei seit seinem Anschluss an die PKK 1996 von türkischen Sicherheitskräften drangsaliert, bedroht, ihr Haus sei überfallen und Gegenstände seien zerstört worden. Sein Vater sei bis mindestens Anfang 2008 mehrfach zur Wache genommen, geschlagen und bedroht worden. Sein Cousin sei als PKK-Kämpfer inhaftiert gewesen und der Kläger vermute, dass in diesem Zusammenhang auch sein eigener Kontakt zur PKK bekannt geworden sei. Zwar sei er bislang noch nie einem Ermittlungsverfahren unterzogen worden, er könne jedoch im Falle einer Rückkehr in die Türkei seinen Aufenthalt und seine Tätigkeiten für mehrere Jahre nicht belegen, was innerhalb kürzester Zeit zu Rückschlüssen über seinen Aufenthalt bei der Guerilla führen könne. Er befürchte, bei einer Rückkehr zum Wehrdienst überstellt, dort sonderinhaftiert und misshandelt und gegebenenfalls sogar gezielt umgebracht zu werden.

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In einem vom Kläger eingereichten fachärztlichen-psychotherapeutischen Attest seiner Therapeutin Dr. Klingenburg-Vogel vom 03. April 2009 ist für den Kläger - anknüpfend an ein im Eilverfahren nach mehrwöchigem stationären Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik Heiligenhafen vorgelegtes Attest vom 30. Januar 2007 - u.a. eine posttraumatische Belastungsstörung, eine mittelgradige depressive Episode sowie der ernstzunehmende Verdacht einer Suizidabsicht für den Fall der Ablehnung seines Asylgesuches und einer Abschiebung diagnostiziert worden.

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Der Kläger hat beantragt,

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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05. September 2006 zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 5 und 7 AufenthG vorliegen.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hat unter Verweise auf die Begründung des Bescheides vorgetragen, die von der PKK begangenen Verbrechen seien dem Kläger individuell auf Grund seiner Einbindung in die Organisation als professioneller Kader und seiner jahrelangen aktiven Unterstützung der Ideologie der PKK gerechtfertigt. Damit habe er sich nicht nur die Ziele, sondern auch die von der PKK zu ihrer Verfolgung angewandten Mittel zu eigen gemacht. Die Mitwirkungshandlungen des Klägers im Rahmen seiner aktiven Mitgliedschaft in der PKK seien rechtlich als besonders schweres nichtpolitisches Verbrechen im Sinne des mittlerweile in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG überführten Ausschlussgrundes zu bewerten. Dieser gehe auf das Konzept der Asylunwürdigkeit zurück und setze eine Wiederholungsgefahr nicht voraus. Aufgrund seiner langjährigen Aktivitäten erfülle der Kläger zudem die Voraussetzungen des Ausschlussgrundes des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG, da schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigten, dass er die PKK durch den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider laufende Handlungen unterstützt habe.

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Mit Urteil vom 04. Mai 2009 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger sei nicht vorverfolgt aus der Türkei ausgereist. Ihm drohten bei einer Rückkehr in die Türkei nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgungsmaßnahmen. Nachfragen bei seiner Familie könnten auf seine seit 1997 bestehende Wehrpflicht zurückgehen. Im Falle einer Wiedereinreise müsse er gegebenenfalls mit seiner Überstellung an die nächste Militärdienstbehörde zur Einberufung rechnen. In der Türkei handele es sich bei der Wehrdienstentziehung um eine Massenerscheinung; der Kläger müsse wahrscheinlich nicht mit Eröffnung eines Strafverfahrens rechnen. Auch im Hinblick auf seine Mitgliedschaft und Tätigkeit für die PKK seien Verfolgungsmaßnahmen nicht beachtlich wahrscheinlich, da keine Anhaltspunkte für eine entsprechende Kenntnis des türkischen Staates und Ermittlungsverfahren vorlägen. Der Kläger sei auch durch den während seiner Tätigkeit geführten Decknamen vor einem Bekanntwerden seiner Identität auf Grund von Aussagen von Weggefährten geschützt. Selbst wenn es aber zu einer Verurteilung auf Grund der Tätigkeit für die PKK komme, sei eine Flüchtlingsanerkennung des Klägers nach § 60 Abs. 8 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 2 AsylVfG ausgeschlossen. Als ausgebildeter Kader, der Nachwuchskräfte betreut und Kämpfer geschult habe, habe der Kläger die Ziele der PKK verteidigt, sich die bei deren Verfolgung angewandten Mittel zu eigen gemacht und sich damit im Sinne von § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG in sonstiger Weise an schweren nichtpolitischen Straftaten der PKK beteiligt. Dem stehe auch nicht die Abwendung des Klägers von der PKK im Jahre 2004 entgegen, da eine Wiederholungsgefahr für das Eingreifen des Ausschlussgrundes nicht erforderlich sei. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG seien nicht gegeben, da Erkenntnisse über Misshandlungen oder Folterungen von aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrten abgelehnten Asylbewerbern in jüngster Zeit nicht vorlägen. Auch die Voraussetzungen für eine Anerkennung eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbotes aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG lägen im Falle des Klägers nicht vor. Psychische Erkrankungen seien in der Türkei behandelbar. Die psychische Erkrankung des Klägers sei nicht im Kern untrennbar mit dem Herkunftsland und dort erlittenen Traumatisierungen verbunden, da sie nicht auf traumatisierende Ereignisse in der Türkei, sondern auf Ereignisse während seines Aufenthaltes im Nordirak sowie Vertrauenserschütterungen durch seine rechtliche Nichtanerkennung als Asylberechtigter in Deutschland zurückzuführen sei.

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Der Senat hat auf fristgerechten Antrag des Klägers mit Beschluss vom 01. Dezember 2009 die Berufung gegen dieses Urteil zugelassen.

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Mit Beschluss vom 21. Januar 2010 hat der Senat im Einverständnis der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH über den Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. November 2008 - 10 C 46.07 - angeordnet und das Verfahren nach Ergehen des Urteils des EuGH vom 09. November 2010 - C-57/09 und C-101/09 - wieder aufgenommen.

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Der Kläger begründet die Berufung unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen wie folgt:

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Er sei auch aktuell Dissident innerhalb der PKK, stünde aber im Falle einer Rückkehr in die Türkei dem türkischen Staat keinesfalls als Informant zur Verfügung, wodurch sich in einem Ermittlungsverfahren die Gefahr von Folter erhöhe. Der türkische Staat habe nach dem Verbot der kurdischen Partei DTP - dem "legalen Arm der PKK" - Ende 2009 ein weiterhin gesteigertes Interesse an der Verfolgung ehemaliger PKK-Mitglieder. Dass sich der Kläger von der PKK losgesagt habe, werde der türkische Staat nicht berücksichtigen, sondern ihn als Mitglied der Organisation aburteilen. Der Name seiner Familie sei dem Staat in diesem Kontext sehr gut bekannt. Er verweist auf sehr bekannte namensgleiche Verwandte, die Mitglied der PKK seien oder gewesen seien; ein Cousin seines Vaters werde von den türkischen Behörden in diesem Zusammenhang mit internationalem Haftbefehl gesucht.

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Vordringlicher Fluchtgrund des Klägers sei ausweislich der Bundesamtsanhörung aber die Furcht vor einer Verfolgung durch die PKK gewesen. Er habe seine Flucht aus dem Nordirak nicht durch den mehrmonatigen Aufenthalt in dem Ferienhaus des Bruders in der Türkei beendet, denn in dieser überwiegend von Ausländern bewohnten Siedlung habe er sich nur während der halbjährigen Dauer seines unter gefälschten irakischen Papieren erlangten Visums sicher fühlen können. Er selbst kenne mehrere ehemalige PKK-Aktivisten und spätere Dissidenten, die noch im Jahre 2006 von der PKK ermordet worden seien, und halte sich selbst auch aktuell noch in gleicher Weise konkret gefährdet. Aufgrund der engen Beziehungen seiner Familie zur PKK und der ihm dort gebotenen Aufstiegschancen werde seine Lossagung von der Partei als besonders schlimm bewertet. Der Kläger habe, sofern aus Rechtsgründen die Zuerkennung des Schutzes nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht erfolge, jedenfalls einen Anspruch auf Anerkennung eines Abschiebungsverbotes aufgrund zu erwartender staatlicher wie nichtstaatlicher Verfolgung in Form von Folter, unmenschlicher Behandlung und ständiger wiederkehrender niederschwelliger Drangsal und Ausgrenzung.

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Der Kläger hält daran fest, dass seine früheren Aktivitäten innerhalb der PKK nicht den Ausschlusstatbestand des § 60 Abs. 8 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 2 AsylVfG erfüllten, weil er lediglich politisch-propagandistisch eingesetzt und durch keine seiner eigenen Handlungen unmittelbar an einer schweren nichtpolitischen Straftat beteiligt gewesen sei. Nach der Verhaftung von Öcalan 1999 habe ihm die im Zuge des Rückzuges aller PKK-Kämpfer aus der Türkei in den Nordirak und dem bis April 2004 geltenden inoffiziellen Waffenstillstand verfolgte Idee einer politischen Lösung der Kurdenfrage sehr zugesagt. In dieser nahezu kampflosen Zeit habe er mit seinem theoretischen Wissen u.a. als Lehrer für eine politische Lösung gearbeitet. Die Anforderungen des EuGH an eine lediglich im Rahmen einer individuellen Prüfung zulässige Zurechnung von aus einer Organisation heraus begangenem Unrecht seien in seinem Fall nicht erfüllt.

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Aufgrund der weiterhin behandlungsbedürftigen, gegenwärtig auch behandelten psychischen Erkrankung des Klägers bestehe für ihn jedenfalls ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Er könne nicht auf eine Behandlung in der Türkei verwiesen werden, weil der Kern seiner Erkrankung untrennbar mit dem Herkunftsland verbunden sei. Er habe bereits als Kind die Verfolgung von Kurden in der Türkei angesehen; auch die auf nordirakischem Gebiet erlebten Kriegshandlungen gegen die PKK und das hierdurch ausgelöste Kriegstrauma seien ausschließlich auf türkische Staatskräften zurückzuführen. Ungeachtet noch nicht selbst erlebter Folter sehe er Bilder der zu erwartenden Misshandlungen vor sich. Der Kläger hat zuletzt ein Attest der ihn behandelnden Fachärztin für psychotherapeutische Medizin Dr. Klingenburg-Vogel vom 11. Juli 2011 eingereicht, wonach die bei ihm fortbestehende posttraumatische Belastungsstörung und Depression derzeit auch aufgrund guter Integrationserfolge durch eine erfolgreiche Schul- und Hochschulausbildung in Deutschland gebessert seien. Aus der erstinstanzlichen Klagabweisung hätten sich jedoch Rückschläge, verbunden mit Suizidideen, entwickelt. Die Gefahr eines Suizids im Falle einer drohenden Abschiebung müsse trotz der derzeitigen relativen Stabilisierung ernst genommen werden.

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Der Kläger beantragt,

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das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichter der 8. Kammer - vom 04. Mai 2009 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen,

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hilfsweise

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die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie ist der Auffassung, dass die seinerzeitigen Aktivitäten des Klägers für die PKK auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH vom 09. November 2011 jedenfalls zum Ausschluss der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG führten. Die in dem Zeitraum 1996 bis 2004 von der PKK begangenen terroristischen Akte seien dem Kläger sowohl objektiv als auch subjektiv zuzurechnen. Bereits als Mitglied des "Heimatbüros" in Bulgarien habe der Kläger dem Funktionärskörper der PKK angehört; strafrechtlich sei er nach der Rechtsprechung des BGH aufgrund dieser Funktion als Mitglied einer kriminellen Vereinigung zu bewerten. Seine anschließende Funktion der politischen und ideologischen Ausbildung von PKK-Kämpfern und der Pflege von Beziehungen zu anderen Kräften, seine Unterstellung unmittelbar unter die Weisungsgewalt des PKK-Hauptverantwortlichen Murat Karayilan und die Teilnahme an der Militärkonferenz 2003 verdeutlichten seine vormals führende Rolle. Als "Diplomat" für die PKK müsse er deren Ideologie, Ziele und Methoden verinnerlicht haben. Er müsse in seiner Position auch Kenntnis von den terroristischen Aktivitäten der Organisation gehabt haben und habe sie durch sein weiteres Engagement bewusst unterstützt. Dies begründe eine unmittelbare Verantwortlichkeit für diese Aktivitäten. Eine weitere Verhältnismäßigkeitsprüfung oder Darlegung einer Wiederholungsgefahr seien ausweislich der Rechtsprechung des EuGH nicht erforderlich. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger auch den Ausschlusstatbestand des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG verwirklicht habe. Die Aktivitäten des Klägers wiesen jedenfalls eine für die Einbeziehung der Handlungen von Privatpersonen in die Bewertung als internationaler Terrorismus hinreichende internationale Dimension auf.

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In der mündlichen Berufungsverhandlung vom 01. September 2011 hat der Kläger im Rahmen der informatorischen Befragung durch den Senat und die Beklagte seinen Werdegang und seine Aufgaben innerhalb der PKK erneut eingehend dargestellt. Zu der im Mai 2004 stattgefundenen Flucht der Gruppe um Bektas einschließlich seiner eigenen Person aus dem Kandil-Gebiet nach Kirkuk und von dort weiter nach Mossul hat der Kläger ebenfalls ergänzende Angaben gemacht; u.a. hat er angegeben, im Zuge des Besuches der beiden bewaffneten Abgesandten der PKK in der Wohnung, in der sie sich in Kirkuk aufgehalten hätten, sei ihnen eine kurzzeitige Bedenkzeit eingeräumt worden, die sie aus Furcht vor einer von den Bewaffneten organisierten Verstärkung bei deren Wiederkehr zum sofortigen Verlassen der Wohnung und der Stadt genutzt hätten.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Sitzungsniederschrift vom 01. September 2011, auf beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten im vorliegenden sowie im Verfahren 8 B 62/06 verwiesen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der ablehnende Bescheid des Bundesamtes vom 05. September 2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.

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Für die gerichtliche Beurteilung des Verpflichtungsbegehrens des Klägers ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz abzustellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.09.2010 - 10 C 11/09 -, Juris). Maßgeblich ist daher die seit dem 28. August 2007 geltende Fassung des Asylverfahrensgesetzes durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I 2007, 1970) sowie nachfolgende Änderungen, zuletzt vom 23. Juni 2011 (BGBl. I 2011, 1266).

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Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach dieser Regelung darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Die bereits erlittener Verfolgung gleichzustellende unmittelbar drohende Verfolgung setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen muss (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2009 - 10 C 24/08 -, BVerwGE 135, 252). Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304, S. 12) - sog. Qualifikationsrichtlinie - ergänzend anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG). Damit ist auch zu prüfen, ob ein Antragsteller gem. Art. 8 der Richtlinie keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält (inländische Fluchtalternative, vgl. BVerwG, Urt. v. 29.05.2008 - 10 C 11/07 -, BVerwGE 131, 186). Im Rahmen der Flüchtlingsanerkennung nach der Qualifikationsrichtlinie kann allerdings eine Vorverfolgung nicht wegen einer zum Zeitpunkt der Ausreise bestehenden inländischen Fluchtalternative verneint werden; dem Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes wird aber nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie durch eine Verweisung auf eine zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Flüchtlingsanerkennung bestehende interne Schutzalternative Rechnung getragen (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.01.2009 - 10 C 52/07 -, BVerwGE 133, 55).

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Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 Ziff. c AufenthG begründet auch eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure ein Abschiebungsverbot, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.

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Aus den in Art. 4 RL 2004/83/EG geregelten Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Antragstellers folgt, dass es auch unter Berücksichtigung der Vorgaben dieser Richtlinie Sache des Ausländers ist, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung politische Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung abgibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigen werden (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 17.08.2010 - 8 A 4063/06.A -, Juris; Senatsurt. v. 03.12.2003 - 4 LB 75.99 -).

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Bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG ist, wie bei der Prüfung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG, der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Die zum Asylgrundrecht entwickelten unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe, je nachdem, ob der Ausländer seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist, finden unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie auf § 60 AufenthG keine Anwendung mehr. Nach § 60 Abs. 1 Satz 5, Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Die Vorschrift privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Das ergibt sich aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG, der sich mit der Voraussetzung, dass der Antragsteller "tatsächlich Gefahr läuft", an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK zur tatsächlichen Gefahr ("real risk") orientiert. Das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Unterschiedliche Prognosemaßstäbe hingegen konnten bei den Beratungen über die Qualifikationsrichtlinie nicht durchgesetzt werden. Zur Privilegierung des Vorverfolgten bzw. in anderer Weise Geschädigten normiert Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. zu allem BVerwG, Urt. v. 07.09.2010 - 10 C 11/09 -, Juris, sowie v. 27.04.2010 - 10 C 5/09 -, BVerwGE 136, 377, OVG NRW, a.a.O.).

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Der Kläger hat nach diesen Maßstäben nach der Überzeugung des Senats vor seiner Ausreise keine Vorverfolgung durch staatliche Stellen erlitten und war auch nicht unmittelbar von einer solchen bedroht. Er war zu keinem Zeitpunkt im staatlichen Zugriff und es ist nach eigenem Vortrag im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bis zu seiner Ausreise aus der Türkei auch kein staatliches Ermittlungsverfahren gegen ihn angestrengt worden. Dass die türkischen Behörden in den Jahren 2004 und 2005 nach jahrelanger Abwesenheit des Klägers Kenntnis von seiner Rückkehr in die Türkei aus dem Irak unter irakischen Personalien gehabt hätten oder so bald hätten erlangen können, dass von einer bereits damals ausweglosen Lage auszugehen wäre, ist nicht ersichtlich. Auch der Kläger selbst hat keine staatliche Vorverfolgung geltend gemacht; die von ihm vorgetragenen Drangsalierungen und Festnahmen betrafen andere Mitglieder seiner Familie. Es liegen mithin keine Anhaltspunkte dafür vor, dass ihm selbst vor seiner Ausreise aus der Türkei staatliche asylrelevante Maßnahmen unmittelbar gedroht hätten.

39

Solche Maßnahmen sind jedoch nunmehr nach der Erkenntnislage für den Fall einer Rückkehr des Klägers in die Türkei beachtlich wahrscheinlich. Der Senat ist in seiner bisherigen Rechtsprechung zur Gefährdung von Unterstützern kurdischer oppositioneller Organisationen zum einen davon ausgegangen, dass Personen, die von den türkischen Sicherheitsbehörden als Sympathisanten und Unterstützer der PKK eingestuft werden, vor Verfolgung nicht hinreichend sicher sind, auch wenn es sich nicht um exponierte Akteure handelt (Senatsurt. v. 09.02.2010 - 4 LB 9/09 -, v. 10.06.2008 - 4 LB 4/06 -, v. 20.06.2006 - 4 LB 25/02 -, v. 23.05.2000 - 4 L 21/94 -, Senatsbeschl. v. 16.04.2009 - 4 LA 14/09 -, v. 20.03.2009 - 4 LA 16/09 -). An der im Anschluss an die Rechtsprechung des OVG NW (Urteil vom 19.04.2005 – 8 A 273/04.A – und vom 26.05.2004 – 8 A 3852/03.A-) getroffenen Bewertung, dass nach wie vor vom Fortbestehen von Folter und Misshandlungen in der Türkei auszugehen sei und daher jedenfalls keine hinreichende Verfolgungssicherheit (in der Terminologie des vor Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie gültigen rechtlichen Maßstabes) für vermutete Mitglieder oder Unterstützer der PKK bestehe (Urteil vom 20.06.2006 – Az.: 4 LB 25/02), hat der Senat noch mit Urteil vom 09. Februar 2010 - 4 LB 9/09 - festgehalten. Dabei hat er sich auf die aktuelle Auskunftslage zu zwischenzeitlichen Reformbemühungen der Türkei im Strafrecht und bei dem Problem staatlicher Folter und Misshandlungen bezogen und auf die fortbestehenden, sich eher verschärfenden Spannungen in der Kurdenfrage, auf strafrechtliche Verfolgungen von positiven Aussagen zur PKK, Verhaftungen von PKK-Unterstützern, fortbestehende Berichten über Folter und Misshandlungen sowie die Problematik der Straflosigkeit von Tätern in Folterfällen verwiesen (vgl. im Einzelnen die dortige Auswertung der Auskunftslage). Zum anderen besteht nach bisheriger Senatsrechtsprechung (nur) unter besonderen individuellen Voraussetzungen eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung nach Rückkehr in die Türkei, nämlich für politisch aktive, sich erkennbar von der Masse gleichartiger Betätigungen abhebende und damit überhaupt erst in das Blickfeld der vom türkischen Staat organisierten Überwachung der kurdischen Opposition geratende Unterstützer der PKK und vergleichbarer Organisationen, nicht dagegen für "niedrig profilierte" politisch-oppositionell aktive Unterstützer (vgl. Senatsbeschl. v. 16.04.2009 - 4 LA 14/09 -, Senatsurt. v. 20.06.2006 - 4 LB 56/02 -, v. 25.07.2000 - 4 L 147/95 - m.w.N.).

40

Daran ist auch unter Auswertung der aktualisierten Auskunftslage festzuhalten. Das Auswärtige Amt geht weiterhin davon aus, dass sich die Sicherheitsbehörden bei einer Einreise in die Türkei mit türkischen Staatsangehörigen befassen, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 08.04.2011, S. 18). Auch nach aktueller Einschätzung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Bericht v. 20.12.2010 über die aktuelle Situation der Kurden, S. 19) riskieren politisch aktive Kurden Haftstrafen wegen Mitgliedschaft in der verbotenen PKK. Kamil Taylan berichtete in einem Gutachten für das OVG Saarland vom 11. Februar 2011 (S. 5), dass die Staatsanwaltschaft Diyarbakir im April 2010 ein Strafverfahren gegen 30 Rückkehrer aus dem Nordirak wegen des Vorwurfs der Propaganda für eine Terrororganisation bzw. Planung und Durchführung von Verbrechen im Auftrag einer solchen Organisation eingeleitet habe; dieselbe Staatsanwaltschaft führe einen Massenprozess gegen PKK-Unterstützer. An anderer Stelle führt Taylan allerdings aus, dass keine Verfahren gegen Rückkehrer wegen Unterstützungshandlungen in den 90’ger Jahren bekannt seien (ebd. S. 4). Was die Gefahr von Folter und Misshandlungen anbelangt, so ist auch nach den seit dem Senatsurteil vom 09. Februar 2010 hinzugekommenen Erkenntnissen weiterhin von einer nicht auszuschließenden, insgesamt nicht spürbar reduzierten Gefährdungslage auszugehen. Das Auswärtige Amt berichtet für das Jahr 2010 von einer erheblichen Anzahl von Fällen von Folter und Misshandlungen, die bei anerkannten Menschenrechtsorganisationen registriert seien. Es sei der Regierung nach wie vor nicht gelungen, solche Misshandlungen vollständig zu unterbinden; Straflosigkeit der Täter sei weiterhin ein ernstzunehmendes Problem (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 08.04.2011, S. 21). Die EU-Kommission stellt in ihrem Fortschrittsbericht vom 09. November 2010 (Turkey 2010 Progress Report, SEC (2010) 1327, S. 18) zwar insgesamt einen positiven Trend bezüglich der Verhütung von Folter und Misshandlungen, gleichzeitig aber weiterhin ein verbleibendes, besorgniserregendes Problem unangemessener Gewaltanwendung seitens der Sicherheitsbehörden fest. Beispiele für auch noch 2010 geschehene Folter führt auch Kaya (Gutachten an OVG Greifswald v. 14.06.2010, S. 11 ff.) auf. Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe hält staatliche Folter in der Realität immer noch für verbreitet, wobei zunehmend an unbeobachteten Orten - außerhalb von Polizeistationen und Gefängnissen - gefoltert werde (SFH, Türkei: Die aktuelle Situation der Kurden, 20.12.2010, S. 13; Türkei: Risiken bei der Rückkehr eines verurteilten PKK-Mitglieds, 26.05.2010, S. 1 f.).

41

Die Wahrscheinlichkeit für Rückkehrer, bei der Einreise festgehalten, verhört und ggf. an weitere Sicherheitsbehörden überstellt zu werden, hängt nach im Wesentlichen übereinstimmenden Auskünften nach wie vor davon ab, ob ein Strafverfahren gegen den Rückkehrer anhängig ist oder war und ob er seine Wehrpflicht erfüllt hat. Ist beides nicht der Fall, so ist nach Auskunft von Kaya (an das VG Freiburg vom 01.07.2010) eine Ingewahrsamnahme an der Grenze nicht zu erwarten. Wird bei der Einreise jedoch festgestellt, dass der Wehrdienst noch nicht abgeleistet wurde, wird der Betreffende nach Auskunft von Kaya (Gutachten an VG Freiburg vom 11.06.2008) festgenommen und in Begleitung von Polizisten oder Gendarmen zwecks Musterung und Einberufung der nächstgelegenen Militärdienstbehörde überstellt. Taylan hält eine Situation des vorherigen jahrelangen Nichterscheinens bei der Musterung mit der Möglichkeit, dass darüber ein Aufenthalt des Wehrpflichtigen im Ausland bei der PKK bekannt geworden sein könnte, und den fehlenden Beleg der entstandenen Auslandszeiten mit einem von türkischen Behörden anerkannten Status bei der Einreise für sehr gefährlich, weil er in aller Regel zu einer intensiveren Untersuchung führe (Taylan, Gutachten an VG Sigmaringen v. 21.12.2007). Für eine derartige Konstellation ist auch Aydin in einem Gutachten an das VG Sigmaringen vom 20. September 2007 von einer Gefährdung des betreffenden Rückkehrers durch Misshandlung oder Folter ausgegangen. Oberdiek teilt in seinem Gutachten an das VG Sigmaringen vom 15. August 2007 ebenfalls die Einschätzung, dass zurückkehrende Nichtwehrdienstleistende einer Überprüfung hinsichtlich des Grundes ihrer zwischenzeitlichen Abwesenheit und eines möglichen Verdachts der Zusammenarbeit mit der PKK unterzogen werden, ohne jedoch eine klare Aussage zu den hierdurch zu befürchtenden Folgen für den Rückkehrer zu treffen (vgl. dort S. 15). Die österreichische Organisation ACCORD berichtet über ungeklärte Todesfälle auch von Kurden während des Wehrdienstes (ACCORD, KurdInnen in der Türkei, Juni 2009, S. 41); Erkenntnisse, dass es sich hierbei um ein in seiner Dimension greifbares und verbreitetes Phänomen handelt, liegen allerdings nicht vor.

42

Auf dieser Erkenntnisgrundlage geht der Senat davon aus, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Nachteile seitens des türkischen Staates erleiden würde. Dabei sind die Angaben des Klägers zugrunde zu legen, die er im Verlauf seines Asylverfahrens sowie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, zuletzt im Rahmen der eingehenden informatorischen Befragung in der mündlichen Berufungsverhandlung, gemacht hat. Der Kläger hat auf den Senat in jeglicher Hinsicht einen glaubwürdigen, sachlichen und zurückhaltenden Eindruck gemacht. Sein Vorbringen weist keine Widersprüche auf; seinen Werdegang und seine Erlebnisse hat der Kläger durchweg in ruhiger, klarer Weise ohne Zögern und ohne Übertreibungen geschildert. Auf Nachfragen war er jeweils imstande, weitere Detailinformationen zu liefern, die sich widerspruchsfrei in das zuvor aus seinen Angaben entstandene Bild einfügten.

43

Da der Kläger noch keinen Wehrdienst geleistet hat, würde er beachtlich wahrscheinlich bereits bei der Einreise von den Sicherheitsbehörden in Gewahrsam genommen und von diesen oder den Militärbehörden, an die er zwecks Musterung überstellt werden würde, einer eingehenderen Untersuchung unterzogen, in deren Zuge er nicht in der Lage wäre, die seit seinem 17. Lebensjahr entstandenen Abwesenheitszeiten aus dem Zugriff der Wehrdienstbehörden in einer zufriedenstellenden, für die Behörden unverdächtigen Weise zu erklären. Nachforschungen erfolgen in einem derartigen Fall der Untersuchung eines wehrdienstpflichtigen Rückkehrers auch in dessen Heimatregion (amnesty international, Auskunft an OVG Saarland v. 31.01.2011). Da der Nachname des Klägers den Behörden schon wegen der Aktivitäten des Großcousins zugunsten der PKK im Zusammenhang mit prokurdischen Organisationen bekannt sein dürfte, ist es naheliegend, dass die türkischen Behörden auch beim Kläger angesichts seiner jahrelangen Abwesenheit eine aktive Unterstützung der PKK annehmen werden. Hinzu kommt, dass er als politischer Ausbilder im Nordirak, insbesondere aber ab 2003 als Verantwortlicher für die Öffentlichkeitsarbeit der dortigen PKK-Führung und als Verbindungsperson im Verhältnis zu anderen Organisationen und zur Zivilbevölkerung einen potentiell großen Bekanntheitsgrad und vor allem in ganz besonderem Maße Insiderkenntnisse über die Strukturen und Strategien der PKK bis hin zur obersten Spitze erlangt hat, die von hohem Interesse für türkische Sicherheitsbehörden sein könnten. Diese Umstände lassen den Kläger stärker in das Blickfeld des türkischen Staates geraten als sog. niedrig profilierte kurdische Aktivisten; sie erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung durch Folter und Misshandlung im Rahmen des behördlichen Zugriffs, dem er bei der Einreise aufgrund der Nichtableistung des Wehrdienstes ausgesetzt wäre.

44

Der Kläger ist darüber hinaus durch nichtstaatliche Akteure vorverfolgt aus dem Irak und anschließend aus der Türkei ausgereist; eine Wiederholung seiner Verfolgung wäre im Falle seiner Rückkehr unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie beachtlich wahrscheinlich. vor seiner Ausreise von Verfolgung seitens der PKK als nichtstaatlichem Akteur i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 Ziff. c AufenthG unmittelbar bedroht worden. Nach dem in sich stimmigen und glaubhaften Vorbringen des Klägers sowohl im Asylverfahren vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als auch im gerichtlichen Verfahren hat der Kläger die PKK gemeinsam mit Weggefährten im Nordirak verlassen, indem er seinem Vorgesetzten Bektas zur Flucht aus der "Haft" innerhalb der PKK verholfen hat. Er hat von Ultimaten berichtet, mit denen er sowie die anderen Angehörigen der Gruppe des Bektas zur Abkehr von ihrer der offiziellen PKK-Strategie zuwiderlaufenden, die Wiederaufnahme des gewaltsamen Kampfes gegen türkische Kräfte ablehnenden Position gedrängt werden sollten, darüber hinaus von einem Besuch bewaffneter Abgesandter des PKK-Führers Karayilan während ihrer Fluchtstation in Kirkuk, welche ihnen eine gravierende Drohung für den Fall der Fortsetzung ihres abtrünnigen Weges überbracht hätten. Diese Situation, in der er sich gemeinsam mit seinen Weggefährten in dem Unterschlupf in Kirkuk befand, hat der Kläger zuletzt in der mündlichen Berufungsverhandlung nachvollziehbar dahingehend geschildert, dass sie eine drohende Rückkehr der Bewaffneten zusammen mit weiteren bewaffneten Unterstützern befürchtet hätten, denen sie auch zahlenmäßig dann nicht mehr gewachsen gewesen wären. Daraufhin hätten sie unmittelbar die Wohnung verlassen, seien zu einem Minibusbahnhof gelaufen und in Richtung Mossul weggefahren.

45

Auch diesbezüglich hat sich kein Anlass zu Zweifeln am Wahrheitsgehalt der Angaben des Klägers ergeben. Der Senat hält sein Vorbringen zu den Ereignissen nach der Loslösung von der Organisation auf dem Hintergrund der vorliegenden Erkenntnisse über die Sanktionierung von Dissidenten innerhalb der PKK auch für glaubhaft. Die PKK sanktioniert interne Opposition wie Ungehorsam und Befehlsverweigerung und Desertion konsequent (vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 08.04.2011, S. 12, sowie vom 11.04.2010, S. 11). Mit der Fluchthilfe für einen Führer einer PKK-Gruppe hatte der Kläger über seine inhaltlich-oppositionelle Haltung zur offiziellen PKK-Doktrin in der Gewaltfrage hinaus einen greifbaren Anlass für eine derartige Sanktionierung geliefert. Bereits die vorherige Inhaftierung des Naki Bektas, zu dessen unmittelbaren Mitarbeitern der ihm gleichgesonnene Kläger gehörte, konnte der Kläger als Hinweis auf eine Gefährdung seitens der PKK bewerten; diese Situation der Bedrohung hatte sich durch die Fluchthilfe zugunsten des Bektas und das Absetzen der Gruppe des Klägers aus dem Kandil-Gebiet noch weiter verdichtet. Sie bestand auch noch bei seiner Ausreise aus der Türkei, denn nach dem Ablaufen des vom Kläger unter falschen irakischen Personalien erlangten Besuchsvisums für die Türkei hätte ihm im Falle einer Kontrolle durch türkische Behörden eine Enttarnung seiner Legende im Zuge vermeintlich ausländerrechtlicher Maßnahmen oder eine Abschiebung in den Irak gedroht, jedenfalls ein Verbleiben innerhalb des - bis in die türkischen Gefängnisse hinein bestehenden (vgl. nur Schweizerische Flüchtlingshilfe, Türkei: Risiken bei der Rückkehr eines verurteilten PKK-Mitglieds, 26.05.2010, S. 6) - Einflussbereiches auch der PKK für eine Bestrafungsaktion gegenüber dem Kläger. Dass in Bezug auf die Bedrohungen seitens der PKK Schutz durch staatliche türkische Behörden für den Kläger nicht zu erlangen war, bedarf über die nachstehenden Ausführungen hinaus keiner weiteren Erläuterung.

46

Die dem Kläger danach wegen der unmittelbar bevorstehenden asylrelevanten (weil an seine politische Überzeugung anknüpfende) Maßnahmen der PKK und damit seiner Vorverfolgung zur Seite stehende beweisrechtliche Privilegierung nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG begründet für den Fall seiner Rückkehr in die Türkei die Vermutung einer Wiederholung der Vorverfolgung. Stichhaltige Gründe, die jene Vermutung entkräften könnten, liegen weder in individueller Hinsicht vor, noch lassen sie sich aus der Auskunftslage ableiten. Ebenso wie das Auswärtige Amt (s.o.) gehen auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe und das Schweizerische Bundesamt für Migration (BfM) davon aus, dass Abtrünnige der PKK im Falle ihrer Abschiebung in die Türkei von Racheakten bedroht sind (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Türkei: Gutachten zur Rückkehr eines ehemaligen PKK-Aktivisten v. 23.02.2006, S. 6; Schweizerisches Bundesamt für Migration, Focus Irak / Türkei: Die Situation ehemaliger türkischer PKK-Mitglieder im Nordirak, 05.02.2008, S. 4, 11 ff.); das BfM sieht für abtrünnige PKK-Mitglieder ein durch mehrere Fälle bis zum Berichtszeitpunkt 2008 illustriertes reelles Risiko der Verfolgung oder sogar Tötung durch die Organisation, dessen Ausmaß von der vormaligen Position innerhalb der Hierarchie und von den vorhandenen Insider-Kenntnissen abhängig sei (ebd., S. 4, 13 ff.). Solche Kenntnisse hatte der Kläger jedenfalls ab 2003 in hohem Maße. Nach Oberdiek, der auch über die Ermordungen einiger prominenter PKK-Dissidenten 2005 und 2006 berichtet hat, sind die Kriterien, nach denen die PKK ihre Opfer für exemplarische Bestrafungsaktionen auswählt, unklar (Oberdiek, Gutachten an OVG Greifswald vom 05.05.2010, S. 6, 8). Nach Einschätzung von Kaya dagegen sind Übergriffe der Organisation gegen Deserteure, die nicht mit den türkischen Sicherheitsbehörden zusammengearbeitet haben, nicht zu erwarten (Kaya, Gutachten an OVG Greifswald vom 14.06.2010, S. 4). Dies wirft allerdings die Frage auf, anhand welcher Annahmen die PKK im Falle des Klägers von einer Kollaboration oder Nichtkollaboration mit den türkischen Behörden ausgehen würde. Insgesamt rechtfertigen die dem Senat vorliegenden Informationen jedenfalls nicht die Annahme, dass die für den Kläger bestehende Vermutung einer Wiederholung seiner Vorverfolgung durch die PKK für den Fall seiner Rückkehr in die Türkei aufgrund stichhaltiger Gründe widerlegt wäre.

47

Der Kläger hat keinen der Anerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft entgegenstehenden Ausschlussgrund gemäß § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 2 AsylVfG verwirklicht. Die Anerkennung ist danach u.a. dann ausgeschlossen, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Betreffende vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebietes begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG), oder dass er den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG). Dasselbe gilt nach Satz 3 der Regelung für Ausländer, die andere zu solchen Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben. Mit diesen seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes nunmehr im Asylverfahrensgesetz (früher: § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG / § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG) geregelten Ausschlussgründen hat der deutsche Gesetzgeber Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/83/EG, der seinerseits auf die schon in Art. 1 Abschnitt F Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) aufgeführten Ausschlussgründe zurückgeht, umgesetzt (vgl. BVerwG, Vorlagebeschl. v. 14.10.2008 - 10 C 48/07). Ihre Auslegung hat sich maßgeblich an den entsprechenden Regelungen in Art. 12 der Qualifikationsrichtlinie zu orientieren.

48

Die einen Ausschlussgrund gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG i.V.m. Art. 12 Abs. 2 und 3 dieser Richtlinie verwirklichenden Handlungen müssen nicht definitiv im Sinne eines für eine strafrechtliche Verurteilung erforderlichen Beweisstandards erwiesen sein; ausreichend ist vielmehr ein gegenüber der nach § 108 VwGO erforderlichen Überzeugungsgewissheit abgesenktes Beweismaß (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 09.03.2011 - 11 A 1439/07.A - Juris, m.w.N.). Die Annahme der Verwirklichung von Handlungen im Sinne eines Ausschlussgrundes ist aus schwerwiegenden Gründen gerechtfertigt, wenn hierfür Anhaltspunkte von erheblichem Gewicht vorliegen; dies ist in der Regel der Fall, wenn klare und glaubhafte Indizien für die Begehung der jeweils genannten Handlungen bestehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.03.2011 - 10 C 2/10 -, Juris).

49

Die Anwendung der auf Art. 12 Abs. 2 und 3 der Qualifikationsrichtlinie zurückgehenden Ausschlussgründe setzt eine Einzelfallwürdigung der - bekannten - genauen tatsächlichen Umstände in Bezug auf die Handlungen des betreffenden Ausländers, der im Übrigen die Voraussetzungen für eine Flüchtlingsanerkennung erfüllt, voraus. Allein der Umstand einer Mitgliedschaft in einer anerkanntermaßen an terroristischen Handlungen beteiligten Organisation hat nicht automatisch den Ausschluss der betreffenden Person von der Anerkennung als Flüchtling zur Folge. Erforderlich ist vielmehr eine dem Beweisniveau der Annahme aus schwerwiegenden Gründen genügende Zurechnung eines Teils der Verantwortung für Handlungen, die von der Organisation im Zeitraum der Mitgliedschaft begangen wurden. Eine solche individuelle Verantwortung für die Verwirklichung der Handlungen der Organisation ist anhand sowohl objektiver als auch subjektiver Kriterien zu beurteilen, wobei die tatsächliche Rolle der betreffenden Person bei der Verwirklichung der fraglichen Handlungen, ihre Position innerhalb der Organisation, der Grad der Kenntnis, die sie von deren Handlungen hatte oder haben musste, sowie etwaige Pressionen oder andere verhaltensbeeinflussende Faktoren zu berücksichtigen sind. Hatte die betreffende Person eine hervorgehobene Position innerhalb der Organisation inne, so kann eine individuelle Verantwortung für von dieser Organisation begangene Handlungen im relevanten Zeitraum vermutet werden; dennoch bleibt eine Prüfung sämtlicher erheblicher Umstände erforderlich (vgl. EuGH, Urt. der Großen Kammer v. 09.11.2010 - C-57/09 und C-101/09 -, NVwZ 2011, 285). Zu diesen gehört auch die altersbedingte Einsichtsfähigkeit des betreffenden Ausländers zur Zeit der zurechenbar begangenen Handlungen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.12.2010 - 11 LA 495/10 -, AuAS 2011, 70, m.w.N.). Ein Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung setzt weder eine gegenwärtige Gefahr für den Aufnahmemitgliedstaat noch eine auf den Einzelfall bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung des Ausschlusses unter erneuter Beurteilung des Schweregrades der begangenen Handlungen voraus; die Schwere der begangenen Handlungen ist vielmehr bereits bei der Prüfung des Vorliegens von Ausschlussgründen nach Art. 12 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie einzubeziehen und muss von einem solchen Grad sein, dass die betreffende Person nicht in berechtigter Weise Anspruch auf den Schutz erheben kann (vgl. EuGH, ebd.).

50

Terroristische Handlungen, die durch ihre Gewalt gegenüber Zivilbevölkerungen gekennzeichnet sind, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt werden, müssen als schwere nicht politische Straftaten i.S.d. Art. 12 Abs. 2 Ziff. b der Qualifikationsrichtlinie (vgl. EuGH, a.a.O.) und damit auch § 3 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 2 AsylVfG angesehen werden.

51

Die für den Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG maßgeblichen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen werden in der Präambel und in den Art. 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen dargelegt (vgl. EuGH, a.a.O.). In der Präambel wie in Art. 1 der Charta wird das Ziel formuliert, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren. Kapitel VII der Charta (Art. 39 bis 51) regelt die zu ergreifenden Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen. Nach Art. 39 der Charta obliegt dem Sicherheitsrat die Feststellung, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist dem Umstand besondere Bedeutung beizumessen, dass der Sicherheitsrat, indem er Resolutionen aufgrund von Kapitel VII der Charta beschließt, nach Art. 24 der Charta die Hauptverantwortung wahrnimmt, die ihm zur weltweiten Wahrung des Friedens und der Sicherheit übertragen ist. Das schließt die Befugnis des Sicherheitsrats ein zu bestimmen, was eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit darstellt (EuGH, Urt. der Großen Kammer vom 03.09.2008 - C-402/05 P und C-415/05 P, Kadi und Al Barakaat - Slg. 2008 Rn. 294). Zu den Akten der Vereinten Nationen, die entsprechend dem 22. Erwägungsgrund der Qualifikationsrichtlinie die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen konkretisieren, gehören auch die Resolutionen 1373 (2001) und 1377 (2001) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, denen die Auffassung des Sicherheitsrates zu entnehmen ist, dass Handlungen des internationalen Terrorismus allgemein und unabhängig von der Beteiligung eines Staates diesen Zielen und Grundsätzen zuwiderlaufen. Daher kann der Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. Art. 12 Abs. 2 Ziff. c der Qualifikationsrichtlinie auch auf eine Person als nichtstaatlichem Akteur angewendet werden, wenn sie im Rahmen ihrer Zugehörigkeit zu einer im Anhang des Gemeinsamen Standpunktes des Rates der Europäischen Union 2001/931 aufgeführten Organisation an terroristischen Handlungen mit einer internationalen Dimension nach den o.g. Kriterien beteiligt war (vgl. EuGH, Urt. v. 09.11.2010, a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 31.03.2011 - 10 C 2/10, Juris Rn. 38; OVG NRW, Urt. v. 09.03.2011 - 11 A 1439/07.A -, Juris).

52

Nach diesen Maßstäben lassen sich Anhaltspunkte von erheblichem Gewicht dafür, dass der Kläger während seiner Tätigkeit für die PKK Handlungen im Sinne des Ausschlussgrundes des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3 AsylVfG zumindest durch "Beteiligung in sonstiger Weise" verwirklicht hat, nicht feststellen. Zwar ist die PKK nach gesicherter obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urt. V. 30.03.1999 – 9 C 23/98 -, BVerwGE 109, 12; Urt. v. 15.03.2005 – 1 C 26/03 -, BVerwGE 123, 114; Vorlagebeschluss an den EuGH v. 25.11.2008 – 10 C 46/07 -, NVwZ 2009, 592; BGH, Urt. v. 28.10.2010 – 3 StR 179/10, BGHSt 56, 28) wie auch nach der Einstufung der Europäischen Union (vgl. zuletzt Beschuss 2011/70/GASP des Rates vom 31.01.2011, ABl. L 28/57, Anhang Ziff. 2.16) gerade aufgrund von Gewalttaten gegenüber der Zivilbevölkerung als terroristische Organisationen zu bewerten. Es bedarf vorliegend keiner näheren Ausführungen um zu begründen, dass die Organisation hierdurch auch schwere nichtpolitische Straftaten im Sinne des Ausschlussgrundes des § 3 Abs. 2 AsylVfG i.V.m. Art. 12 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie begangen hat und dass sehr viele ihrer Aktionen den Grundsätzen und Zielen der Vereinten Nationen, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und die Achtung vor den Menschenrechten zu fördern (vgl. Art. 1 der Charta der Vereinten Nationen) zuwidergelaufen sind. Denn für eine im Verhältnis zum Kläger individuelle Zurechnung dieser terroristischen Handlungen nach den Kriterien des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 09. November 2011 fehlt es trotz des abgesenkten Beweisniveaus der "Annahme aus schwerwiegenden Gründen" an einem hinreichend dargelegten Bezug. Die für die Auslegung des Art. 12 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie maßgeblichen Ausführungen des EuGH haben klargestellt, dass aufgrund der reinen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Rahmen des Ausschlussgrundes für die Flüchtlingseigenschaft keine automatische Zurechnung von Handlungen der Organisation erfolgen kann. Ebenso wenig reicht nach dem Urteil des EuGH eine Beteiligung des betreffenden Schutzsuchenden an den Handlungen der Organisation im Sinne von Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/475 vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (Beteiligung an den Handlungen einer terroristischen Vereinigung einschließlich Bereitstellung von Informationen oder materiellen Mitteln oder durch jegliche Art der Finanzierung ihrer Tätigkeit mit dem Wissen, dass diese Beteiligung zu den strafbaren Handlungen der terroristischen Vereinigung beiträgt) in jedem Falle aus, um einen Ausschlussgrund im Sinne der Qualifikationsrichtlinie zu verwirklichen. Auch eine ideologische Verinnerlichung der von der Organisation insgesamt angewandten Ziele – auch derjenigen der Gewaltanwendung – allein bewirkt noch keinen Ausschluss. Die nach objektiven und subjektiven Kriterien vorzunehmende Zurechnung von Verantwortung i.S.v. Art. 12 der Qualifikationsrichtlinie muss sich vielmehr spezifisch auf Handlungen der Organisation in dem Zeitraum der Mitgliedschaft des jeweiligen Antragstellers richten, die für sich genommen einen Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung begründen können. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass der Kläger nach eigenem, widerspruchslosen und von der Beklagten unwiderlegtem Vortrag bis zur Ausrufung des "einseitigen Waffenstillstandes" der PKK im Jahre 1999 zunächst politisch und erst im März 1999 15 Tage lang auch militärisch ausgebildet worden war und bis zu diesem Zeitpunkt nach seinem Anschluss an die PKK im Jahre 1996 im Rahmen des "Heimatbüros" in Sofia die von ihm angeführten organisatorischen Tätigkeiten der Beschaffung von Informationen und Wohnungen für neue Mitglieder sowie von Visen oder illegalen Ausreisewegen für Griechenland verrichtet hat. Eine zurechenbare Beteiligung an schweren nichtpolitischen Straftaten oder Handlungen entgegen den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen lässt sich für den Zeitraum vor der weiteren Ausbildung des Klägers im Irak im Frühjahr 1999 weder anhand der Angaben des Klägers feststellen noch aus den Ausführungen des angefochtenen Bescheides oder dem Vorbringen der Beklagten im gerichtlichen Verfahren ableiten. Im Zeitraum danach, von 1999 bis zu seiner Loslösung 2004, hat der Kläger eine politisch-ideologische Lehrtätigkeit sowie allgemeine organisatorische Arbeiten (Öffentlichkeitsarbeit, Verbindungen zur Zivilbevölkerung) für die im Nordirak zusammengezogenen Kräfte der PKK geleistet, wobei er nach eigenen Angaben auch die aus der Türkei abgezogenen bewaffneten Kämpfer in den von ihm aufgeführten sozialwissenschaftlichen Fächern unterrichtet hat. Hierin sieht der Senat noch keine hinreichende objektive oder subjektive Unterstützung von Handlungen der PKK, welche einen Ausschlusstatbestand verwirklichen. Diese Tätigkeit ist vor dem Hintergrund der bis zum Ausscheiden des Klägers im Jahre 2004 noch bestehenden einseitigen Waffenruhe der PKK zu sehen. Selbst wenn in besonderen Fällen die ideologische Unterstützung eines bewaffneten Kampfes ausreichen könnte, um eine individuelle Verantwortung im Sinne eines Ausschlussgrundes für die Flüchtlingsanerkennung nach Art. 2 der Qualifikationsrichtlinie zu begründen, müsste sie jedenfalls eine inhaltliche Ausrichtung auf die Anwendung gewaltsamer Mittel in der geforderten Qualität und auch zeitlich wie räumlich-organisatorisch eine hinreichende Nähe zu einem von der Organisation geführten gewaltsamen Kampf aufweisen. Andernfalls würde dem Ausschlusstatbestand eine ausufernde Weite beigemessen, die den Kriterien für eine Zurechnung der tatsächlichen Verwirklichung von entsprechenden Handlungen der Organisation im Sinne der Auslegung der Qualifikationsrichtlinie durch den EuGH nicht gerecht würde. Eine Zurechenbarkeit terroristischer Handlungen kann deshalb nicht bereits aus der aktiven Unterstützung einer generell auf terroristische Handlungen ausgerichteten Organisation abgeleitet werden (vgl. aber OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 09.03.2011 – 11 A 1439/07.A -, DVBl. 2011, 719, Juris Rn. 56). Soweit nicht bereits gewichtige Anhaltspunkte für eine persönliche Beteiligung des Betreffenden am bewaffneten Kampf der Organisation vorliegen, die im Rahmen der geforderten Einzelfallprüfung eine objektive und subjektive Zurechenbarkeit schwerer Gewalttaten der Organisation rechtfertigen, wird eine persönliche Verantwortlichkeit im Sinne eines Ausschlussgrundes nach § 3 Abs. 2 AsylVfG i.V.m. Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie regelmäßig einen wesentlichen sonstigen (logistischen, organisatorischen oder auch unmittelbar ideologischen, d.h. zu terroristischen Taten aufrufenden) Beitrag zur Durchführung entsprechender Verbrechen im Bewusstsein von deren Erleichterung voraussetzen (vgl. OVG Lüneburg, Urt.
v. 11.08.2010 – 11 LB 405/08). Davon ist beim Kläger nach allem, was dem Senat über seine Tätigkeit und die Ausrichtung der PKK in deren Zeitraum bekannt ist, aber nicht auszugehen.

53

Auch eine Zurechnung von Verantwortung über eine exponierte Funktionärsposition, die ihm Befehls- oder Mitentscheidungsgewalt über terroristische Akte der Organisation verliehen hätte, kommt für den Kläger nicht in Betracht. Insoweit wäre ohnehin lediglich der Zeitraum von der Übertragung der Aufgabe der Öffentlichkeitsarbeit nach der Militärkonferenz 2003 bis zur Loslösung des Klägers von der PKK Mitte 2004 relevant. Davor erfüllten weder die Tätigkeit des Klägers als Leiter des - im Wesentlichen nur aus seiner Person bestehenden - Heimatbüros in Sofia noch die Ausbildungstätigkeit als einer von mehreren Lehrpersonen die Voraussetzungen einer hervorgehobenen Funktionärsrolle. Dass der Kläger über seinen Arbeitsbereich der politischen Bildung und Öffentlichkeitsarbeit hinaus in Entscheidungen über bewaffnete Aktivitäten der PKK in dem – in die einseitige "Waffenruhe" fallenden, vgl. etwa ACCORD, KurdInnen in der Türkei, Juni 2009, S. 35 – Zeitraum seines Aufenthaltes im Nordirak eingebunden gewesen wäre, haben weder die Beklagte noch der Senat festgestellt. Im Übrigen weist auch die "Chronologie der Kurden", auf die die Beklagte im Berufungsverfahren zum Beleg von auch während der Waffenruhe der PKK von dieser verübten terroristischen Taten verwiesen hat, zwischen Juli 1999 und Juni 2004 - also im Wesentlichen dem Zeitraum des Aufenthaltes des Klägers im Nordirak - keine derartigen terroristischen Übergriffe der PKK auf, sondern eine Vielzahl von Zusammenstößen mit türkischen Sicherheitskräften mit Verlusten auf beiden Seiten. Nach Darstellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz bestand der bewaffnete Arm der PKK/HPG ab 2000 bis Juni 2004 grundsätzlich nur noch zu Verteidigungszwecken etwa im Falle eines Angriffs durch das türkische Militär; gleichwohl sei im Krisengebiet immer wieder auch offensiv operiert worden (BfV, Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) - Strukturen, Ziele, Aktivitäten, März 2007. S. 12). Allein die Teilnahme an einer Militärkonferenz stellt allerdings noch kein ausreichendes Indiz für eine Mitentscheidungsgewalt über bewaffnete Aktionen dar, zumal der Kläger vorgetragen hat, dass dort auch einfache Mitglieder teilnehmen konnten. Und schließlich ist der vom Kläger sowohl in seiner Anhörung vor dem Bundesamt als auch in der Berufungsverhandlung vorgetragene unmittelbare telefonische Kontakt mit dem damaligen Hauptverantwortlichen der PKK im Irak, Murat Karayilan, zwar ein Hinweis darauf, dass er in seiner Verantwortung für die Öffentlichkeitsarbeit eine nahe an diesem angesiedelte Stabsfunktion innehatte. Eine hinreichende Grundlage für die objektive und subjektive Zurechnung von Verantwortung selbst für (allenfalls vereinzelte) operativ-militärische Aktivitäten der PKK in jenem Zeitraum ergibt sich daraus aber noch nicht.

54

Ob für den Kläger auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen, kann offenbleiben, da über seinen diesbezüglichen, im Berufungsverfahren gestellten Hilfsantrag wegen des Erfolges des auf die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG gerichteten Hauptantrages nicht mehr zu entscheiden ist. Die Feststellung in Ziff. 3 des angefochtenen Bescheides, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorlägen, ist aufzuheben.

55

Das Urteil des Verwaltungsgerichts war daher mit den sich aus § 83b AsylVfG und § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolgen abzuändern.

56

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

57

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO sind nicht gegeben.


Urteilsbesprechung zu Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 01. Sept. 2011 - 4 LB 11/10

Urteilsbesprechungen zu Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 01. Sept. 2011 - 4 LB 11/10

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl
Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 01. Sept. 2011 - 4 LB 11/10 zitiert 11 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

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Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

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Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 132


(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulas

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 108


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

Referenzen - Urteile

Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 01. Sept. 2011 - 4 LB 11/10 zitiert oder wird zitiert von 8 Urteil(en).

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Bundesgerichtshof Urteil, 28. Okt. 2010 - 3 StR 179/10

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 179/10 vom 28. Oktober 2010 Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja StGB § 129, § 129a, § 129b 1. Eine in Deutschland tätige Teilorganisation einer ausländischen Vereinigung ist nur da

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Tatbestand 1 Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Anerkennung als Flüchtling und Asylberechtigter.

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 07. Sept. 2010 - 10 C 11/09

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Tatbestand 1 Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, erstrebt die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 S

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 27. Apr. 2010 - 10 C 5/09

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Tatbestand 1 Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.
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Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht Urteil, 04. Dez. 2015 - 8 A 133/14

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Tenor Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe v

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 19. Nov. 2013 - 10 C 26/12

bei uns veröffentlicht am 19.11.2013

Tatbestand 1 Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 01. Dez. 2011 - 4 LB 8/11

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Tenor Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 2. Kammer - vom 07. April 2009 geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2008 wird aufgehoben. Gerichtskosten (Gebühren und Au

Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 06. Okt. 2011 - 4 LB 5/11

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Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichter der 8. Kammer - vom 21. Februar 2007 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist hinsic

Referenzen

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tatbestand

1

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, erstrebt die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.

2

Der 1976 in der Türkei geborene Kläger reiste im Dezember 1990 nach Deutschland ein und beantragte Asyl, weil ihm wegen Unterstützung der PKK in der Türkei politische Verfolgung drohe. Aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Verwaltungsgerichts Köln erkannte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - den Kläger im Juli 1995 als Asylberechtigten an und stellte das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG 1990 bezüglich der Türkei fest (Flüchtlingsschutz). In den Entscheidungsgründen des Urteils heißt es, der Kläger habe die Türkei wegen drohender politischer Verfolgung verlassen (Vorfluchtgrund). Er habe glaubhaft dargelegt, dass er in den Verdacht geraten sei, Sympathisant der PKK zu sein. Als solchem habe ihm jedenfalls ein polizeiliches Ermittlungsverfahren und asylrechtlich erhebliche Haft und Folter gedroht. In der Türkei werde insbesondere im Polizeigewahrsam systematisch gefoltert.

3

Nachdem der Kläger im Dezember 2000 wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und zugleich die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden war, widerrief das Bundesamt mit Bescheid vom 11. Oktober 2005 die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung des Klägers, weil er den Ausschlusstatbestand des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG erfüllt habe, und stellte ferner fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorlägen. Eine konkrete Gefahr für den Kläger, bei einer Rückkehr in die Türkei der Folter oder anderen menschenrechtswidrigen Maßnahmen unterzogen zu werden, sei nicht ersichtlich. Gegen die Strafverfolgung in der Türkei bestünden inzwischen - nach der Strafrechtsreform - keine durchgreifenden rechtsstaatlichen Bedenken. Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln seien keine Fälle mehr bekannt geworden, in denen abgelehnte Asylbewerber in Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden seien.

4

Das Verwaltungsgericht hat der Klage gegen den Widerrufsbescheid stattgegeben. Das Oberverwaltungsgericht hat dagegen den Widerrufsbescheid als rechtmäßig bestätigt und die Klage insgesamt, also auch hinsichtlich des Hilfsbegehrens auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG, abgewiesen. Zur Begründung hat es insoweit ausgeführt, die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG sei zwar - anders als die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft - nicht durch den Ausschlussgrund nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG ausgeschlossen. Die Voraussetzungen dieser Abschiebungsverbote lägen aber nicht vor. Insoweit komme es nicht darauf an, ob der Kläger vor seiner Ausreise bereits von Vorverfolgung betroffen gewesen sei, da allein der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit maßgeblich sei. Das Verwaltungsgericht habe seinerzeit bei der Zuerkennung des Asyls und der Flüchtlingsanerkennung angenommen, dem Kläger drohe im Rahmen des polizeilichen Ermittlungsverfahrens wegen Unterstützung der PKK asylrechtlich erhebliche Haft und Folter. Hinsichtlich der asylrechtlich erheblichen Haft bestehe jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt keine Gefährdung mehr, die auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG führe. Für die Annahme, dass dem Kläger die Gefahr der Folter auch heute noch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe, bestünden keine Anhaltspunkte. Der Kläger sei bei seiner Ausreise erst 14 Jahre alt gewesen, seine Tätigkeit habe sich damals darauf beschränkt, als Freiheitskämpfer verkleidete türkische Soldaten mit Lebensmitteln zu versorgen in der Annahme, es handele sich tatsächlich um Freiheitskämpfer. Mittlerweile lägen diese Geschehnisse fast 18 Jahre zurück. Zwar würden abgeschobene Personen von der türkischen Grenzpolizei einer Routinekontrolle unterzogen, die eine Abgleichung des Fahndungsregisters nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalte. Nur dann, wenn sich Anhaltspunkte dafür ergäben, dass der Einreisende als Mitglied oder Unterstützer der PKK bzw. einer Nachfolgeorganisation nahestehe oder schon vor der Ausreise ein Separatismusverdacht gegen ihn bestanden habe, müsse er mit einer intensiveren Befragung durch die Sicherheitsbehörden, unter Umständen auch mit menschenrechtswidriger Behandlung rechnen. Nach Lage der Dinge bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass nach dem Kläger in der Türkei gefahndet werde. Ebenso wenig sei es beachtlich wahrscheinlich, dass er in der Türkei heute noch wegen Unterstützung der PKK individuell registriert sei, so dass erst recht eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für Folter oder eine menschenrechtswidrige Behandlung zu verneinen sei.

5

Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Senat die Revision hinsichtlich des Hilfsbegehrens auf Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG, die dem subsidiären Schutz nach der Richtlinie 2004/83/EG zuzuordnen sind, zugelassen. Im Übrigen, also hinsichtlich des Widerrufs der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung sowie hinsichtlich des Nichtvorliegens von sonstigen nationalen ausländerrechtlichen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, hat der Senat die Beschwerde zurückgewiesen.

6

Der Kläger trägt zur Begründung seiner Revision im Wesentlichen vor, das Berufungsgericht habe bei der Prüfung der unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote - hier: des Verbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG wegen konkreter Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung - zu Unrecht den Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit angewandt. Da er vorverfolgt ausgereist sei, komme ihm gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG auch im Rahmen dieser Abschiebungsverbote die Regelung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG - sog. Qualifikationsrichtlinie - zugute. Danach indiziere ein einmal erlittener Eingriff, der die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG erfülle, eine weiterhin bestehende Gefährdung des Betroffenen. Diese Indizwirkung entfalle erst, wenn sich zwischenzeitlich die Bedingungen im Heimatland grundsätzlich geändert hätten. Eine solche Veränderung sei aber nach überwiegender Rechtsprechung in der Türkei bislang nicht erkennbar. In seinem, des Klägers, Fall sei daher ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG festzustellen.

7

Die Beklagte ist - ähnlich wie der Kläger - der Auffassung, dass auch bei den unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverboten, von denen hier allein das nach § 60 Abs. 2 AufenthG in Betracht komme, die Wiederholungsvermutung nach Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie zu gelten habe, wenn der Ausländer vor seiner Ausreise bereits in gleicher Weise verfolgt oder von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht gewesen sei. Gleichwohl könne die Revision keinen Erfolg haben, weil eine Vorverfolgung des Klägers, zumal in Gestalt der Folter, nicht festgestellt worden sei und nach den Ausführungen des Berufungsgerichts auch mehr als fernliege. Abgesehen davon sprächen angesichts der Tatsache, dass seit der allenfalls untergeordneten Unterstützung der PKK durch den damals 14-jährigen Kläger inzwischen 18 Jahre vergangen seien, auch stichhaltige Gründe dagegen, dass er heute noch einer ähnlichen Gefahr wie zur Zeit seiner Ausreise ausgesetzt wäre.

8

Der Vertreter des Bundesinteresses meint, das Berufungsgericht habe bei der Gefahrenprognose im Rahmen von § 60 Abs. 2 AufenthG zwar zutreffend den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde gelegt, es habe aber rechtsfehlerhaft die Nachweiserleichterung des § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie unberücksichtigt gelassen. Seine nur unter dem Blickwinkel der beachtlichen Wahrscheinlichkeit getroffenen Feststellungen reichten nicht aus, um das Eingreifen der Nachweiserleichterung abschließend zu beurteilen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), weil es das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG verneint hat, ohne zu prüfen, ob dem Kläger gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU vom 30. September 2004 Nr. L 304 S. 12, ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) - sog. Qualifikationsrichtlinie - zugutekommt (1.). Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil selbst nicht abschließend entscheiden kann, ob bei dem Kläger ein solches Abschiebungsverbot hinsichtlich der Türkei vorliegt (2.), ist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

10

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines der unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. a bis c der Richtlinie 2004/83/EG). Hinsichtlich des Widerrufs der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung und hinsichtlich der ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote nach nationalem Recht (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) ist das Berufungsurteil nach Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde rechtskräftig geworden. Von den unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverboten kommt vorliegend nur das Abschiebungsverbot wegen drohender Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung nach § 60 Abs. 2 AufenthG (entsprechend Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG) in Betracht.

11

Für die rechtliche Beurteilung des Verpflichtungsbegehrens des Klägers, das auf Feststellung eines solchen Abschiebungsverbots zielt, ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz am 29. Juli 2008 abzustellen. Deshalb sind die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) anzuwenden, die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten und die Rechtsänderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - berücksichtigen.

12

Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (zur Entstehungsgeschichte und Auslegung dieses durch das Richtlinienumsetzungsgesetz in Umsetzung von Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG neu formulierten Abschiebungsverbots vgl. Urteil des Senats vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, Rn. 15 ff.).

13

a) Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG nicht deshalb ausscheidet, weil der Kläger den Ausschlussgrund des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG erfüllt hat. Denn dieser Ausschlussgrund gilt nach dem eindeutigen Wortlaut nur für das flüchtlingsrechtliche Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG, nicht hingegen für die sonstigen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Auch die Tatsache, dass die Richtlinie 2004/83/EG für den subsidiären Schutz in Art. 17 Abs. 1 Buchst. d einen vergleichbaren Ausschlussgrund vorsieht, führt nicht dazu, dass die den Voraussetzungen des Art. 15 der Richtlinie entsprechenden Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG dem Kläger nicht zuerkannt werden könnten. Denn der deutsche Gesetzgeber hat die unionsrechtlichen Vorschriften zum subsidiären Schutz im Aufenthaltsgesetz insoweit "überschießend" umgesetzt, als er die in Art. 15 der Richtlinie enthaltenen Varianten des ernsthaften Schadens in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet und die Ausschlussgründe nach Art. 17 der Richtlinie erst auf nachgelagerter Ebene als Versagungsgründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG normiert hat (vgl. das bereits zitierte Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - a.a.O. Rn. 16). Die Verwirklichung von Ausschlussgründen nach Art. 17 der Richtlinie steht deshalb der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG nicht entgegen.

14

b) Im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG hat das Berufungsgericht bei der Prognose, ob für den Kläger in der Türkei die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden, zu Recht den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde gelegt. Der für den Ausländer günstigere sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit, der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht für Fälle der Vorverfolgung entwickelt und auf den Flüchtlingsschutz übertragen worden ist, war und ist im Rahmen des subsidiären Abschiebungsschutzes nicht anzuwenden. Dieser herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab hat auch in die Richtlinie 2004/83/EG keinen Eingang gefunden, sondern ist durch die Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ersetzt worden, die sowohl für den Flüchtlingsschutz als auch für den subsidiären Schutz nach der Richtlinie gilt. Diese Nachweiserleichterung ist nach der vom deutschen Gesetzgeber getroffenen Regelung in § 60 Abs. 11 AufenthG auch im Rahmen der unionsrechtlich vorgezeichneten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG anzuwenden. Als Prognosemaßstab gilt daher für diese Abschiebungsverbote - ebenso wie für die sonstigen rein nationalen Abschiebungsverbote - allein der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (zum Vorstehenden insgesamt wiederum Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - a.a.O. Rn. 18 bis 23 m.w.N.). Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe im Rahmen von § 60 Abs. 2 AufenthG den falschen Wahrscheinlichkeitsmaßstab angewandt, ist daher unbegründet.

15

c) Zu Recht bemängelt die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht bei der Prüfung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG die Regelung des § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG nicht berücksichtigt hat. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchem Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind. Geht es um die Anwendung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bei der Feststellung eines unionsrechtlich vorgezeichneten subsidiären Abschiebungsverbots, greift die Vermutung nach dieser Vorschrift ein, wenn der Antragsteller vor seiner Ausreise aus dem Heimatland einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 der Richtlinie erlitten hat oder unmittelbar von einem solchen Schaden bedroht war (Vorschädigung; vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, Rn. 27). Eine Vorverfolgung im flüchtlingsrechtlichen Sinne reicht für das Eingreifen der Vermutung im Rahmen des subsidiären Schutzes daher nur dann aus, wenn in ihr zugleich ein ernsthafter Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie liegt, etwa wenn die Verfolgungsmaßnahme in Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht. Außerdem setzt die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie, dass der Antragsteller "erneut von einem solchen Schaden bedroht wird", einen inneren Zusammenhang zwischen der Vorschädigung und dem befürchteten künftigen Schaden voraus (Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - a.a.O. Rn. 31).

16

Ob die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zugunsten des Klägers eingreift, hat das Berufungsgericht, das weder diese Vorschrift noch § 60 Abs. 11 AufenthG in den Urteilsgründen erwähnt hat, ersichtlich nicht geprüft. Hierzu hätte aber Anlass bestanden, da das Berufungsgericht selbst ausführt (UA S. 21), dass das Verwaltungsgericht Köln bei der Zuerkennung von Asyl und Flüchtlingsschutz an den Kläger im Urteil vom 19. März 1995 einen Vorfluchtgrund angenommen habe, weil der Kläger vor seiner Ausreise mit der Einleitung eines polizeilichen Ermittlungsverfahrens zu rechnen gehabt habe und ihm in diesem Rahmen nicht nur asylerhebliche Haft, sondern auch Folter gedroht habe. Dies wird vom Berufungsgericht bei seinen weiteren Ausführungen, weil aus seiner Sicht rechtlich unerheblich, auch nicht in Frage gestellt. Da in einer drohenden Folter zugleich auch ein ernsthafter Schaden im Sinne von Art. 15 Buchst. b der Richtlinie läge, könnte die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zugunsten des Klägers eingreifen, es sei denn, dass stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass er erneut von einem solchen Schaden bedroht ist. Dies hat das Berufungsgericht nicht geprüft und festgestellt. Indem es gleichwohl das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG verneint hat, hat es deshalb Bundesrecht verletzt.

17

2. Die Berufungsentscheidung erweist sich entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Den Feststellungen des Berufungsgerichts kann nicht entnommen werden, dass es - ungeachtet der fehlerhaften Rechtsgrundlage - jedenfalls der Sache nach Umstände festgestellt hat, die ein Eingreifen der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zugunsten des Klägers ausschließen. Dass es, wie die Beklagte meint, schon an einer Vorverfolgung und damit auch an einer Vorschädigung im Sinne dieser Vorschrift fehlen würde, lasst sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts, das eine dem Kläger im Zeitpunkt der Ausreise drohende Folter zumindest unterstellt, keinesfalls herleiten. Auch für die Annahme, dass stichhaltige Gründe vorliegen, die die Vermutung der Wiederholung des Schadenseintritts widerlegen könnten, fehlt es an ausreichenden tatrichterlichen Feststellungen. Das Berufungsgericht hat seine gesamten Ausführungen zur Gefahrenprognose hierzu ersichtlich im Rahmen der Prüfung einer auch heute noch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Folter oder menschenrechtswidrigen Behandlung gemacht und diese unter Würdigung der Auskunftslage über die Behandlung abgeschobener türkischer Staatsangehöriger und im Hinblick darauf verneint, dass der Kläger bei der Ausreise erst 14 Jahre alt gewesen sei, mittlerweile 18 Jahre vergangen seien und die Tätigkeit des Klägers sich darauf beschränkt habe, vermeintliche Freiheitskämpfer der PKK - in Wahrheit verkleidete Soldaten - mit Lebensmitteln zu versorgen. Diese allein unter dem Blickwinkel der beachtlichen Wahrscheinlichkeit getroffenen Feststellungen können vom Revisionsgericht nicht als Feststellung stichhaltiger, gegen eine Schadenswiederholung sprechende Gründe unter dem Blickwinkel von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie uminterpretiert werden. Dies käme allenfalls in Betracht, wenn das Berufungsgericht die Gefahrenprognose nach dem herabgestuften Maßstab der hinreichenden Sicherheit vorgenommen und die Gefahr einer Folter oder sonstigen menschenrechtswidrigen Behandlung oder Bestrafung nach diesem Maßstab verneint hätte, wobei allerdings auch dann zu beachten wäre, dass im Einzelfall eine Beurteilung nach dem herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab zu einem anderen Ergebnis führen kann als die Anwendung von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - a.a.O. Rn. 23 und Beschluss vom 22. Juli 2010 - BVerwG 10 B 20.10 - juris Rn. 5).

18

Ebenso wenig reichen die bisherigen Feststellungen im Berufungsurteil aus, um das Vorliegen eines Abschiebungsverbots zugunsten des Klägers zu bejahen. Es bedarf deshalb in jedem Fall einer neuen tatrichterlichen Prüfung und Würdigung im Hinblick auf Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie, so dass das Verfahren an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist.

19

3. Das Oberverwaltungsgericht wird in dem weiteren Berufungsverfahren unter Berücksichtigung von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie erneut prüfen müssen, ob für den Kläger die konkrete Gefahr besteht, dass er in der Türkei der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen wird. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass das Oberverwaltungsgericht bei der Frage, ob der Kläger vor seiner Ausreise im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie unmittelbar von einem ernsthaften Schaden bedroht war - die Alternative eines bereits erlittenen ernsthaften Schadens dürfte nach dem eigenen Vorbringen des Klägers nicht in Betracht kommen -, nicht an die Feststellungen des Verwaltungsgerichts, das seinerzeit den Asyl- und Flüchtlingsschutz zugesprochen hat, gebunden ist, sondern es sich auch insoweit eine eigene tatrichterliche Überzeugung gemäß § 108 Abs. 1 VwGO bilden muss. Dies schließt es allerdings nicht aus, dass das Berufungsgericht sich die dortigen Feststellungen nach entsprechender Prüfung zu eigen macht. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände im Rahmen der tatsächlichen Feststellung, ob die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie widerlegt ist, kann das Berufungsgericht im Übrigen auch der Tatsache Bedeutung beimessen, dass die Türkei als Abschiebezielstaat ein Vertragsstaat der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl II 1952 S. 685) - EMRK - ist, der sich verpflichtet hat, die darin garantierten Rechte und Grundsätze zu achten (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - a.a.O. Leitsatz 2 und Rn. 29).

20

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Wegen des Kostenanteils, der auf den bereits abschließend rechtskräftig entschiedenen Teil des Verfahrens entfällt, wird auf die Kostenentscheidung und deren Begründung im Beschluss des Senats über die Nichtzulassungsbeschwerde vom 29. Juni 2009 - BVerwG 10 B 60.08 - verwiesen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tatbestand

1

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, erstrebt die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.

2

Der 1976 in der Türkei geborene Kläger reiste im Dezember 1990 nach Deutschland ein und beantragte Asyl, weil ihm wegen Unterstützung der PKK in der Türkei politische Verfolgung drohe. Aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Verwaltungsgerichts Köln erkannte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - den Kläger im Juli 1995 als Asylberechtigten an und stellte das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG 1990 bezüglich der Türkei fest (Flüchtlingsschutz). In den Entscheidungsgründen des Urteils heißt es, der Kläger habe die Türkei wegen drohender politischer Verfolgung verlassen (Vorfluchtgrund). Er habe glaubhaft dargelegt, dass er in den Verdacht geraten sei, Sympathisant der PKK zu sein. Als solchem habe ihm jedenfalls ein polizeiliches Ermittlungsverfahren und asylrechtlich erhebliche Haft und Folter gedroht. In der Türkei werde insbesondere im Polizeigewahrsam systematisch gefoltert.

3

Nachdem der Kläger im Dezember 2000 wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und zugleich die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden war, widerrief das Bundesamt mit Bescheid vom 11. Oktober 2005 die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung des Klägers, weil er den Ausschlusstatbestand des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG erfüllt habe, und stellte ferner fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorlägen. Eine konkrete Gefahr für den Kläger, bei einer Rückkehr in die Türkei der Folter oder anderen menschenrechtswidrigen Maßnahmen unterzogen zu werden, sei nicht ersichtlich. Gegen die Strafverfolgung in der Türkei bestünden inzwischen - nach der Strafrechtsreform - keine durchgreifenden rechtsstaatlichen Bedenken. Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln seien keine Fälle mehr bekannt geworden, in denen abgelehnte Asylbewerber in Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden seien.

4

Das Verwaltungsgericht hat der Klage gegen den Widerrufsbescheid stattgegeben. Das Oberverwaltungsgericht hat dagegen den Widerrufsbescheid als rechtmäßig bestätigt und die Klage insgesamt, also auch hinsichtlich des Hilfsbegehrens auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG, abgewiesen. Zur Begründung hat es insoweit ausgeführt, die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG sei zwar - anders als die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft - nicht durch den Ausschlussgrund nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG ausgeschlossen. Die Voraussetzungen dieser Abschiebungsverbote lägen aber nicht vor. Insoweit komme es nicht darauf an, ob der Kläger vor seiner Ausreise bereits von Vorverfolgung betroffen gewesen sei, da allein der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit maßgeblich sei. Das Verwaltungsgericht habe seinerzeit bei der Zuerkennung des Asyls und der Flüchtlingsanerkennung angenommen, dem Kläger drohe im Rahmen des polizeilichen Ermittlungsverfahrens wegen Unterstützung der PKK asylrechtlich erhebliche Haft und Folter. Hinsichtlich der asylrechtlich erheblichen Haft bestehe jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt keine Gefährdung mehr, die auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG führe. Für die Annahme, dass dem Kläger die Gefahr der Folter auch heute noch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe, bestünden keine Anhaltspunkte. Der Kläger sei bei seiner Ausreise erst 14 Jahre alt gewesen, seine Tätigkeit habe sich damals darauf beschränkt, als Freiheitskämpfer verkleidete türkische Soldaten mit Lebensmitteln zu versorgen in der Annahme, es handele sich tatsächlich um Freiheitskämpfer. Mittlerweile lägen diese Geschehnisse fast 18 Jahre zurück. Zwar würden abgeschobene Personen von der türkischen Grenzpolizei einer Routinekontrolle unterzogen, die eine Abgleichung des Fahndungsregisters nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalte. Nur dann, wenn sich Anhaltspunkte dafür ergäben, dass der Einreisende als Mitglied oder Unterstützer der PKK bzw. einer Nachfolgeorganisation nahestehe oder schon vor der Ausreise ein Separatismusverdacht gegen ihn bestanden habe, müsse er mit einer intensiveren Befragung durch die Sicherheitsbehörden, unter Umständen auch mit menschenrechtswidriger Behandlung rechnen. Nach Lage der Dinge bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass nach dem Kläger in der Türkei gefahndet werde. Ebenso wenig sei es beachtlich wahrscheinlich, dass er in der Türkei heute noch wegen Unterstützung der PKK individuell registriert sei, so dass erst recht eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für Folter oder eine menschenrechtswidrige Behandlung zu verneinen sei.

5

Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Senat die Revision hinsichtlich des Hilfsbegehrens auf Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG, die dem subsidiären Schutz nach der Richtlinie 2004/83/EG zuzuordnen sind, zugelassen. Im Übrigen, also hinsichtlich des Widerrufs der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung sowie hinsichtlich des Nichtvorliegens von sonstigen nationalen ausländerrechtlichen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, hat der Senat die Beschwerde zurückgewiesen.

6

Der Kläger trägt zur Begründung seiner Revision im Wesentlichen vor, das Berufungsgericht habe bei der Prüfung der unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote - hier: des Verbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG wegen konkreter Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung - zu Unrecht den Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit angewandt. Da er vorverfolgt ausgereist sei, komme ihm gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG auch im Rahmen dieser Abschiebungsverbote die Regelung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG - sog. Qualifikationsrichtlinie - zugute. Danach indiziere ein einmal erlittener Eingriff, der die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG erfülle, eine weiterhin bestehende Gefährdung des Betroffenen. Diese Indizwirkung entfalle erst, wenn sich zwischenzeitlich die Bedingungen im Heimatland grundsätzlich geändert hätten. Eine solche Veränderung sei aber nach überwiegender Rechtsprechung in der Türkei bislang nicht erkennbar. In seinem, des Klägers, Fall sei daher ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG festzustellen.

7

Die Beklagte ist - ähnlich wie der Kläger - der Auffassung, dass auch bei den unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverboten, von denen hier allein das nach § 60 Abs. 2 AufenthG in Betracht komme, die Wiederholungsvermutung nach Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie zu gelten habe, wenn der Ausländer vor seiner Ausreise bereits in gleicher Weise verfolgt oder von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht gewesen sei. Gleichwohl könne die Revision keinen Erfolg haben, weil eine Vorverfolgung des Klägers, zumal in Gestalt der Folter, nicht festgestellt worden sei und nach den Ausführungen des Berufungsgerichts auch mehr als fernliege. Abgesehen davon sprächen angesichts der Tatsache, dass seit der allenfalls untergeordneten Unterstützung der PKK durch den damals 14-jährigen Kläger inzwischen 18 Jahre vergangen seien, auch stichhaltige Gründe dagegen, dass er heute noch einer ähnlichen Gefahr wie zur Zeit seiner Ausreise ausgesetzt wäre.

8

Der Vertreter des Bundesinteresses meint, das Berufungsgericht habe bei der Gefahrenprognose im Rahmen von § 60 Abs. 2 AufenthG zwar zutreffend den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde gelegt, es habe aber rechtsfehlerhaft die Nachweiserleichterung des § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie unberücksichtigt gelassen. Seine nur unter dem Blickwinkel der beachtlichen Wahrscheinlichkeit getroffenen Feststellungen reichten nicht aus, um das Eingreifen der Nachweiserleichterung abschließend zu beurteilen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), weil es das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG verneint hat, ohne zu prüfen, ob dem Kläger gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU vom 30. September 2004 Nr. L 304 S. 12, ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) - sog. Qualifikationsrichtlinie - zugutekommt (1.). Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil selbst nicht abschließend entscheiden kann, ob bei dem Kläger ein solches Abschiebungsverbot hinsichtlich der Türkei vorliegt (2.), ist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

10

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines der unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. a bis c der Richtlinie 2004/83/EG). Hinsichtlich des Widerrufs der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung und hinsichtlich der ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote nach nationalem Recht (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) ist das Berufungsurteil nach Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde rechtskräftig geworden. Von den unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverboten kommt vorliegend nur das Abschiebungsverbot wegen drohender Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung nach § 60 Abs. 2 AufenthG (entsprechend Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG) in Betracht.

11

Für die rechtliche Beurteilung des Verpflichtungsbegehrens des Klägers, das auf Feststellung eines solchen Abschiebungsverbots zielt, ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz am 29. Juli 2008 abzustellen. Deshalb sind die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) anzuwenden, die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten und die Rechtsänderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - berücksichtigen.

12

Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (zur Entstehungsgeschichte und Auslegung dieses durch das Richtlinienumsetzungsgesetz in Umsetzung von Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG neu formulierten Abschiebungsverbots vgl. Urteil des Senats vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, Rn. 15 ff.).

13

a) Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG nicht deshalb ausscheidet, weil der Kläger den Ausschlussgrund des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG erfüllt hat. Denn dieser Ausschlussgrund gilt nach dem eindeutigen Wortlaut nur für das flüchtlingsrechtliche Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG, nicht hingegen für die sonstigen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Auch die Tatsache, dass die Richtlinie 2004/83/EG für den subsidiären Schutz in Art. 17 Abs. 1 Buchst. d einen vergleichbaren Ausschlussgrund vorsieht, führt nicht dazu, dass die den Voraussetzungen des Art. 15 der Richtlinie entsprechenden Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG dem Kläger nicht zuerkannt werden könnten. Denn der deutsche Gesetzgeber hat die unionsrechtlichen Vorschriften zum subsidiären Schutz im Aufenthaltsgesetz insoweit "überschießend" umgesetzt, als er die in Art. 15 der Richtlinie enthaltenen Varianten des ernsthaften Schadens in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet und die Ausschlussgründe nach Art. 17 der Richtlinie erst auf nachgelagerter Ebene als Versagungsgründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG normiert hat (vgl. das bereits zitierte Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - a.a.O. Rn. 16). Die Verwirklichung von Ausschlussgründen nach Art. 17 der Richtlinie steht deshalb der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG nicht entgegen.

14

b) Im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG hat das Berufungsgericht bei der Prognose, ob für den Kläger in der Türkei die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden, zu Recht den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde gelegt. Der für den Ausländer günstigere sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit, der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht für Fälle der Vorverfolgung entwickelt und auf den Flüchtlingsschutz übertragen worden ist, war und ist im Rahmen des subsidiären Abschiebungsschutzes nicht anzuwenden. Dieser herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab hat auch in die Richtlinie 2004/83/EG keinen Eingang gefunden, sondern ist durch die Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ersetzt worden, die sowohl für den Flüchtlingsschutz als auch für den subsidiären Schutz nach der Richtlinie gilt. Diese Nachweiserleichterung ist nach der vom deutschen Gesetzgeber getroffenen Regelung in § 60 Abs. 11 AufenthG auch im Rahmen der unionsrechtlich vorgezeichneten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG anzuwenden. Als Prognosemaßstab gilt daher für diese Abschiebungsverbote - ebenso wie für die sonstigen rein nationalen Abschiebungsverbote - allein der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (zum Vorstehenden insgesamt wiederum Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - a.a.O. Rn. 18 bis 23 m.w.N.). Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe im Rahmen von § 60 Abs. 2 AufenthG den falschen Wahrscheinlichkeitsmaßstab angewandt, ist daher unbegründet.

15

c) Zu Recht bemängelt die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht bei der Prüfung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG die Regelung des § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG nicht berücksichtigt hat. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchem Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind. Geht es um die Anwendung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bei der Feststellung eines unionsrechtlich vorgezeichneten subsidiären Abschiebungsverbots, greift die Vermutung nach dieser Vorschrift ein, wenn der Antragsteller vor seiner Ausreise aus dem Heimatland einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 der Richtlinie erlitten hat oder unmittelbar von einem solchen Schaden bedroht war (Vorschädigung; vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, Rn. 27). Eine Vorverfolgung im flüchtlingsrechtlichen Sinne reicht für das Eingreifen der Vermutung im Rahmen des subsidiären Schutzes daher nur dann aus, wenn in ihr zugleich ein ernsthafter Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie liegt, etwa wenn die Verfolgungsmaßnahme in Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht. Außerdem setzt die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie, dass der Antragsteller "erneut von einem solchen Schaden bedroht wird", einen inneren Zusammenhang zwischen der Vorschädigung und dem befürchteten künftigen Schaden voraus (Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - a.a.O. Rn. 31).

16

Ob die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zugunsten des Klägers eingreift, hat das Berufungsgericht, das weder diese Vorschrift noch § 60 Abs. 11 AufenthG in den Urteilsgründen erwähnt hat, ersichtlich nicht geprüft. Hierzu hätte aber Anlass bestanden, da das Berufungsgericht selbst ausführt (UA S. 21), dass das Verwaltungsgericht Köln bei der Zuerkennung von Asyl und Flüchtlingsschutz an den Kläger im Urteil vom 19. März 1995 einen Vorfluchtgrund angenommen habe, weil der Kläger vor seiner Ausreise mit der Einleitung eines polizeilichen Ermittlungsverfahrens zu rechnen gehabt habe und ihm in diesem Rahmen nicht nur asylerhebliche Haft, sondern auch Folter gedroht habe. Dies wird vom Berufungsgericht bei seinen weiteren Ausführungen, weil aus seiner Sicht rechtlich unerheblich, auch nicht in Frage gestellt. Da in einer drohenden Folter zugleich auch ein ernsthafter Schaden im Sinne von Art. 15 Buchst. b der Richtlinie läge, könnte die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zugunsten des Klägers eingreifen, es sei denn, dass stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass er erneut von einem solchen Schaden bedroht ist. Dies hat das Berufungsgericht nicht geprüft und festgestellt. Indem es gleichwohl das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG verneint hat, hat es deshalb Bundesrecht verletzt.

17

2. Die Berufungsentscheidung erweist sich entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Den Feststellungen des Berufungsgerichts kann nicht entnommen werden, dass es - ungeachtet der fehlerhaften Rechtsgrundlage - jedenfalls der Sache nach Umstände festgestellt hat, die ein Eingreifen der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zugunsten des Klägers ausschließen. Dass es, wie die Beklagte meint, schon an einer Vorverfolgung und damit auch an einer Vorschädigung im Sinne dieser Vorschrift fehlen würde, lasst sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts, das eine dem Kläger im Zeitpunkt der Ausreise drohende Folter zumindest unterstellt, keinesfalls herleiten. Auch für die Annahme, dass stichhaltige Gründe vorliegen, die die Vermutung der Wiederholung des Schadenseintritts widerlegen könnten, fehlt es an ausreichenden tatrichterlichen Feststellungen. Das Berufungsgericht hat seine gesamten Ausführungen zur Gefahrenprognose hierzu ersichtlich im Rahmen der Prüfung einer auch heute noch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Folter oder menschenrechtswidrigen Behandlung gemacht und diese unter Würdigung der Auskunftslage über die Behandlung abgeschobener türkischer Staatsangehöriger und im Hinblick darauf verneint, dass der Kläger bei der Ausreise erst 14 Jahre alt gewesen sei, mittlerweile 18 Jahre vergangen seien und die Tätigkeit des Klägers sich darauf beschränkt habe, vermeintliche Freiheitskämpfer der PKK - in Wahrheit verkleidete Soldaten - mit Lebensmitteln zu versorgen. Diese allein unter dem Blickwinkel der beachtlichen Wahrscheinlichkeit getroffenen Feststellungen können vom Revisionsgericht nicht als Feststellung stichhaltiger, gegen eine Schadenswiederholung sprechende Gründe unter dem Blickwinkel von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie uminterpretiert werden. Dies käme allenfalls in Betracht, wenn das Berufungsgericht die Gefahrenprognose nach dem herabgestuften Maßstab der hinreichenden Sicherheit vorgenommen und die Gefahr einer Folter oder sonstigen menschenrechtswidrigen Behandlung oder Bestrafung nach diesem Maßstab verneint hätte, wobei allerdings auch dann zu beachten wäre, dass im Einzelfall eine Beurteilung nach dem herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab zu einem anderen Ergebnis führen kann als die Anwendung von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - a.a.O. Rn. 23 und Beschluss vom 22. Juli 2010 - BVerwG 10 B 20.10 - juris Rn. 5).

18

Ebenso wenig reichen die bisherigen Feststellungen im Berufungsurteil aus, um das Vorliegen eines Abschiebungsverbots zugunsten des Klägers zu bejahen. Es bedarf deshalb in jedem Fall einer neuen tatrichterlichen Prüfung und Würdigung im Hinblick auf Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie, so dass das Verfahren an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist.

19

3. Das Oberverwaltungsgericht wird in dem weiteren Berufungsverfahren unter Berücksichtigung von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie erneut prüfen müssen, ob für den Kläger die konkrete Gefahr besteht, dass er in der Türkei der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen wird. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass das Oberverwaltungsgericht bei der Frage, ob der Kläger vor seiner Ausreise im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie unmittelbar von einem ernsthaften Schaden bedroht war - die Alternative eines bereits erlittenen ernsthaften Schadens dürfte nach dem eigenen Vorbringen des Klägers nicht in Betracht kommen -, nicht an die Feststellungen des Verwaltungsgerichts, das seinerzeit den Asyl- und Flüchtlingsschutz zugesprochen hat, gebunden ist, sondern es sich auch insoweit eine eigene tatrichterliche Überzeugung gemäß § 108 Abs. 1 VwGO bilden muss. Dies schließt es allerdings nicht aus, dass das Berufungsgericht sich die dortigen Feststellungen nach entsprechender Prüfung zu eigen macht. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände im Rahmen der tatsächlichen Feststellung, ob die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie widerlegt ist, kann das Berufungsgericht im Übrigen auch der Tatsache Bedeutung beimessen, dass die Türkei als Abschiebezielstaat ein Vertragsstaat der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl II 1952 S. 685) - EMRK - ist, der sich verpflichtet hat, die darin garantierten Rechte und Grundsätze zu achten (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - a.a.O. Leitsatz 2 und Rn. 29).

20

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Wegen des Kostenanteils, der auf den bereits abschließend rechtskräftig entschiedenen Teil des Verfahrens entfällt, wird auf die Kostenentscheidung und deren Begründung im Beschluss des Senats über die Nichtzulassungsbeschwerde vom 29. Juni 2009 - BVerwG 10 B 60.08 - verwiesen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.

2

Der 1972 geborene Kläger wurde im November 2004 in M. aufgegriffen und beantragte daraufhin Asyl. Zur Begründung gab der Kläger an, er habe sich am bewaffneten Kampf der PKK beteiligt. Im Juni 1991 sei er festgenommen und einen Monat lang von türkischen Sicherheitskräften unter Folter verhört worden. Nach seiner Verurteilung zu zwölfeinhalb Jahren Haft sei er bis Dezember 2000 weiter im Gefängnis gewesen und dann vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Anschließend habe er sich erneut der PKK angeschlossen. Später habe er an deren politischer Linie gezweifelt und sich im Juli 2004 von der PKK getrennt. In der Türkei sei sein Leben trotz des Reuegesetzes gefährdet gewesen, da er keinen Wehrdienst abgeleistet und deswegen gesucht worden sei. Zudem hätten die Sicherheitskräfte erfahren, dass er sich nach seiner Entlassung aus der Haft wieder der PKK angeschlossen habe.

3

Der Kläger hat dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) unter anderem die Kopie eines Urteils des Staatssicherheitsgerichts D. vom 24. Januar 1992 übergeben, wonach er u.a. wegen "Mitgliedschaft in der illegalen Organisation PKK" gemäß § 168/2 tStGB zu einer Haftstrafe von 12 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden ist. Das Auswärtige Amt bestätigte die Echtheit der Urkunden und teilte mit, dass nach dem Kläger in der Türkei wegen Mitgliedschaft in der PKK gefahndet werde. Sein Bruder habe ausgesagt, dass der Kläger sich nach der Entlassung aus der Strafhaft wieder der PKK angeschlossen habe. Außerdem sei bekannt, dass er sich in einem Ausbildungscamp im Iran aufgehalten habe. Würde er wegen Mitgliedschaft in der PKK zu einer Haftstrafe verurteilt, würde zusätzlich die auf Bewährung ausgesetzte Reststrafe vollstreckt werden.

4

Mit Bescheid vom 28. Juli 2005 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte dem Kläger für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Der Asylantrag sei gemäß § 30 Abs. 4 AsylVfG offensichtlich unbegründet, da der Kläger eine schwere nichtpolitische Straftat begangen und den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider gehandelt habe. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.

5

Im Klageverfahren hat der Kläger seinen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter nicht weiter verfolgt. Mit Urteil vom 22. November 2005 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Flüchtlingsanerkennung des Klägers verpflichtet. Im Berufungsverfahren hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt, der Kläger sei im Bundesgebiet für die Nachfolgeorganisation der PKK, den KONGRA-GEL aktiv und habe im Januar 2005 an einer Aktivistenversammlung in N. teilgenommen. Er habe im Jahr 2006 als Leiter des KONGRA-GEL in Offenbach fungiert und ab diesem Zeitpunkt eine Kontrollfunktion innerhalb des KONGRA-GEL in A. ausgeübt. Der Kläger hat das bestritten.

6

Mit Urteil vom 21. Oktober 2008 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger nach Rückkehr in die Türkei gemäß § 314 Abs. 2 tStGB 2005 zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests widerrufen würde. Auch wenn dies politische Verfolgung darstellen sollte, stünde § 3 Abs. 2 AsylVfG der Flüchtlingsanerkennung entgegen. Die terroristischen Taten der PKK seien als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzusehen, stellten schwere nichtpolitische Straftaten dar und stünden in Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen. Der Kläger habe sich daran zumindest "in sonstiger Weise" beteiligt. Selbst wenn für das Vorliegen von Ausschlussgründen gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG von dem Ausländer weiterhin eine Gefahr ausgehen müsse, sei das beim Kläger der Fall. Denn er habe sich weder äußerlich von der PKK abgewandt noch innerlich von seiner früheren Verstrickung in den Terror gelöst. Dahinstehen könne, ob § 3 Abs. 2 AsylVfG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetze, denn der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung bedeute keine unbillige Härte für den Kläger.

7

Abschiebungshindernisse lägen nicht vor. Die Todesstrafe sei in der Türkei vollständig abgeschafft. Wegen der dem Kläger in der Türkei drohenden langjährigen Haftstrafe sei ausgeschlossen, dass er im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG einer erheblichen individuellen Gefahr ausgesetzt sei. Ein Abschiebungsverbot ergebe sich auch nicht aus § 60 Abs. 2 AufenthG und § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Zwar greife zugunsten des Klägers, der im Anschluss an seine Festnahme im Juni 1991 Folter erlitten habe, die Beweiserleichterung des § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Dennoch sprächen aufgrund der Angaben des Auswärtigen Amtes sowie türkischer Menschenrechtsorganisationen stichhaltige Gründe dagegen, dass er bis zum Abschluss des Strafverfahrens Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten habe. Misshandlungen durch türkische Sicherheitskräfte lägen ganz überwiegend Fälle zugrunde, in denen sich der Betroffene nicht offiziell in Gewahrsam befunden habe; das wäre beim Kläger jedoch der Fall. Angesichts bereits vorhandener Beweise bestünde auch keine Notwendigkeit, durch Folter ein Geständnis zu erzwingen. Schließlich lebten in seiner Heimat zahlreiche Personen, die sich seiner annehmen und ihm bereits bei seiner Ankunft anwaltlichen Beistand verschaffen könnten. Zudem würden die PKK oder andere prokurdische Organisationen das Schicksal des Klägers verfolgen und etwaige Übergriffe auf seine Person publik machen. Ein Schutz durch "Herstellen von Öffentlichkeit" lasse sich zwar nicht während der gesamten Dauer der Strafhaft gewährleisten. Aber auch für diese Zeitspanne sprächen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger, der in einem Gefängnis des Typs F untergebracht würde, Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein würde, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen könnten. Dahinstehen könne, ob das auch für unter dieser Schwelle liegende Maßnahmen gelte, denn derartige Umstände stünden einer Abschiebung des Klägers in die Türkei als Unterzeichnerstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 3 EMRK stehe bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat dessen eigene Verantwortung für die Einhaltung der Konventionsrechte im Vordergrund. Eine Mitverantwortung des abschiebenden Landes bestehe nur, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohten und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht rechtzeitig zu erreichen sei. Diese Voraussetzungen lägen angesichts der Verhältnisse in der Türkei nicht vor. Da sich Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG an Art. 3 EMRK orientiere, beanspruchten diese Grundsätze auch im Rahmen des § 60 Abs. 2 AufenthG Geltung. Stünden im Herkunftsland ausreichende und effektive Möglichkeiten zur Abwehr drohender Gefahren zur Verfügung, benötige der Betreffende keinen internationalen Schutz. Auch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG greife nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision - beschränkt auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 2 AufenthG - zugelassen.

8

Mit der Revision rügt der Kläger vor allem eine Verletzung des § 60 Abs. 2 AufenthG. Das Berufungsgericht habe im Rahmen seiner Beweiswürdigung die Quellen selektiv ausgewertet und zu Lasten des Klägers ohne Aufklärung unterstellt, dass seine Familie einen Rechtsanwalt besorgen könne und die Nachfolgeorganisationen der PKK für ihn Öffentlichkeitsarbeit machen würden. Angesichts der umfassenden Geltung des Art. 3 EMRK reiche die Erkenntnislage nicht aus, um ein Abschiebungshindernis auszuschließen. Insofern werde auch eine Gehörsverletzung gerügt, denn wenn das Gericht zu erkennen gegeben hätte, dass es aus tatsächlichen Gründen für den Kläger keine Gefahr einer Misshandlung sehe, hätte der Kläger dazu weiter vorgetragen und Beweisanträge gestellt. Schließlich sei die Auslegung der in Art. 17 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Ausschlussgründe ungeklärt.

9

Innerhalb der bis einschließlich 4. Juni 2009 verlängerten Revisionsbegründungsfrist ist der Begründungsschriftsatz nicht vollständig per Fax eingegangen. Die Bevollmächtigte des Klägers hat Wiedereinsetzung beantragt und zur Begründung Probleme bei der Faxübertragung geltend gemacht.

10

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Die tatsächlichen Feststellungen und Bewertungen des Berufungsgerichts seien einer Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogen. Nicht ersichtlich sei, warum der Kläger angesichts der tatsächlichen Würdigung des Berufungsgerichts nicht den Schutz seines Heimatlandes durch Anrufung türkischer Gerichte bzw. eine Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Anspruch nehmen könne.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision hat Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), da er bei der Prüfung des in § 60 Abs. 2 AufenthG enthaltenen Abschiebungsverbots diejenigen erniedrigenden Behandlungsmaßnahmen übergangen hat, die keine irreparablen oder sonst schweren körperlichen und seelischen Folgen hinterlassen. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder in positiver noch in negativer Hinsicht abschließend selbst entscheiden. Daher ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

1. Die Revision ist zulässig. Wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren, da seine Prozessbevollmächtigte ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Diese durfte nach mehreren nur teilweise erfolgreichen Versuchen einer Faxübertragung infolge der fernmündlich erteilten unrichtigen Auskunft des Gerichtspförtners, es seien alle Seiten angekommen, davon ausgehen, dass der Revisionsbegründungsschriftsatz innerhalb der Frist vollständig eingegangen sei.

13

2. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die unionsrechtlich vorgezeichneten Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG. Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Beschränkung der Revisionszulassung auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG erweist sich als unwirksam. Denn der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - ABl EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen Streitgegenstand bzw. selbständigen Streitgegenstandsteil (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 ). Die Revisionszulassung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (vgl. Urteil vom 1. April 1976 - BVerwG 2 C 39.73 - BVerwGE 50, 292 <295>; BGH, Urteil vom 21. September 2006 - I ZR 2/04 - NJW-RR 2007, 182 <183>).

14

Für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens, das auf Feststellung der Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG zielt, ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz am 15. Oktober 2008 abzustellen. Deshalb sind die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) von Bedeutung, die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten und die Rechtsänderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - berücksichtigen.

15

3. Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem durch das Richtlinienumsetzungsgesetz ergänzten Abschiebungsverbot, das bereits in § 53 Abs. 1 AuslG 1990 und § 53 Abs. 4 AuslG 1990 i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685 - EMRK) enthalten war, wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 EMRK orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM(2001) 510 endgültig S. 6, 30).

16

Die Vorschriften zum subsidiären Schutz sind im Aufenthaltsgesetz insoweit "überschießend" umgesetzt worden, als die in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Varianten des ernsthaften Schadens in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet worden sind. Denn die in Art. 17 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe greifen nach nationalem Recht gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erst auf einer nachgelagerten Ebene als Versagungsgründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Daher kommt es entgegen der Annahme der Revision auf die Interpretation der Ausschlussgründe gemäß Art. 17 der Richtlinie im vorliegenden Fall nicht an.

17

Bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG ist der während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83 S. 389 - GR-Charta) als verbindlicher Teil des primären Unionsrechts (Art. 6 Abs. 1 EUV) zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Die Vorschrift gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch diese Bestimmung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen.

18

a) Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Prüfung des § 60 Abs. 2 AufenthG in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass der Kläger vor seiner Ausreise in der Türkei gefoltert worden ist. Dennoch hat das Berufungsgericht seiner Prognose den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und nicht den sog. herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab hinreichender Sicherheit zugrunde gelegt. Es hat aber zugunsten des Klägers die in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltene Beweiserleichterung angewendet (UA Rn. 90). Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

19

Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

20

Diese Vorschrift greift sowohl bei der Entscheidung über die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz für einen Vorverfolgten (bzw. von Verfolgung unmittelbar Bedrohten) als auch bei der Prüfung der Gewährung subsidiären Schutzes zugunsten desjenigen, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. davon unmittelbar bedroht war. In beiden Varianten des internationalen Schutzes privilegiert sie den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Das ergibt sich neben dem Wortlaut auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Denn die Bundesrepublik Deutschland konnte sich mit ihrem Vorschlag, zwischen den unterschiedlichen Prognosemaßstäben der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und der hinreichenden Sicherheit zu differenzieren, nicht durchsetzen (vgl. die Beratungsergebnisse der Gruppe "Asyl" vom 25. September 2002, Ratsdokument 12199/02 S. 8 f.). Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind.

21

Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 - BVerfGE 54, 341 <360 f.>; dem folgend Urteil vom 31. März 1981 - BVerwG 9 C 237.80 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27; stRspr). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97 <101 ff.>), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (Urteil vom 27. April 1982 - BVerwG 9 C 308.81 - BVerwGE 65, 250 <252>). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - a.a.O. S. 99). Diese zum Asylgrundrecht entwickelte Rechtsprechung (zusammenfassend Urteile vom 25. September 1984 - BVerwG 9 C 17.84 - BVerwGE 70, 169 <170 f.> und vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.>) wurde auf den Flüchtlingsschutz (Abschiebungsschutz aus politischen Gründen) gemäß § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (Urteil vom 3. November 1992 - BVerwG 9 C 21.92 - BVerwGE 91, 150 <154 f.>), nicht jedoch auf die Abschiebungsverbote des § 53 AuslG 1990 übertragen (vgl. Urteile vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <330> zu § 53 Abs. 6 AuslG und vom 4. Juni 1996 - BVerwG 9 C 134.95 - InfAuslR 1996, 289 zu § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK).

22

Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4: Zum einen wird ihr Anwendungsbereich über den Flüchtlingsschutz hinaus auf alle Tatbestände des unionsrechtlich geregelten subsidiären Schutzes ausgeweitet. Sie erfasst demzufolge auch das im vorliegenden Fall zu prüfende Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG. Zum anderen bleibt der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 84 ff. zum Widerruf der Flüchtlingsanerkennung). Der in dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192 stRspr).

23

Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. Rn. 128 m.w.N.). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung (mehr).

24

b) Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung, ob stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger während der Strafhaft erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein wird, den Maßstab des § 60 Abs. 2 AufenthG auf diejenigen tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen verengt, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen können, zur Verursachung bleibender Schäden geeignet oder aus sonstigen Gründen als gravierend anzusehen sind (UA Rn. 106). Erniedrigende Behandlungsmaßnahmen im Sinne des Art. 3 EMRK, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen, hat es bei der Prognoseerstellung ausdrücklich nicht geprüft (UA Rn. 111). Insoweit hat der Verwaltungsgerichtshof die eigene Verantwortung der Türkei als Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention betont und daraus gefolgert, dass sich der Kläger darauf verweisen lassen müsse, seine Rechte gegen diese Arten von Konventionsverletzungen in der Türkei und von der Türkei aus selbst zu verfolgen (UA Rn. 112). Diese Annahme verletzt Bundesrecht.

25

Die Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG hat sich nach den unionsrechtlichen Vorgaben - wie oben bereits ausgeführt - an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK zu orientieren. Dieser betont in seinen Entscheidungen zur Verantwortlichkeit eines Vertragsstaates für die mittelbaren Folgen einer Abschiebung, wenn dem Betroffenen im Zielstaat Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, immer wieder den absoluten und ausnahmslosen Schutz des Art. 3 EMRK (EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering - NJW 1990, 2183 ; vom 15. November 1996 - Nr. 70/1995/576/662, Chahal - NVwZ 1997, 1093 und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. ). Damit erweist es sich als unvereinbar, den Schutzbereich des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG zu verengen, und bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat der Konvention erniedrigende Behandlungsmaßnahmen von vornherein auszunehmen, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen. Sonst käme Rechtsschutz durch türkische Gerichte oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu spät und könnte eine bereits eingetretene Rechtsverletzung nicht ungeschehen machen. Das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG gilt mithin uneingeschränkt auch bei der Abschiebung in einen Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention.

26

Der Verwaltungsgerichtshof beruft sich für seine Auffassung zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 4 AuslG 1990 (nunmehr: § 60 Abs. 5 AufenthG) i.V.m. Art. 3 EMRK. Der damals für die Feststellung von Abschiebungshindernissen durch das Bundesamt zuständige 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat entschieden, dass eine Mitverantwortung des abschiebenden Vertragsstaates, den menschenrechtlichen Mindeststandard in einem anderen Signatarstaat als Zielstaat der Abschiebung zu wahren, nur dann besteht, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist (Urteil vom 7. Dezember 2004 - BVerwG 1 C 14.04 - BVerwGE 122, 271 <277>). Dieser Rechtssatz schränkt jedoch nicht den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ein. Vielmehr werden - insbesondere mit Blick auf die von dem damaligen Kläger angeführten Haftbedingungen in der Türkei - nur Maßnahmen erfasst, die erst durch Zeitablauf oder Wiederholung in den Tatbestand einer erniedrigenden Behandlung und damit den Schutzbereich des Art. 3 EMRK hineinwachsen. Nur in derartigen Fällen kann der Betroffene auf Rechtsschutz im Abschiebezielstaat oder durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verwiesen werden.

27

4. Das Berufungsgericht hat die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG geprüft und aus tatsächlichen Gründen abgelehnt (UA Rn. 86 f.). Dagegen bestehen aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Bedenken.

28

5. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder zugunsten noch zulasten des Klägers abschließend entscheiden. Die Sache ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Damit bedarf es keiner Entscheidung über die Gehörsrüge. Der Senat bemerkt aber dazu, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht gegen das Verbot einer Überraschungsentscheidung verstoßen hat. Denn grundsätzlich ist ein Gericht nicht verpflichtet, die abschließende Sachverhalts- und Beweiswürdigung vorab mit den Beteiligten zu erörtern (Beschlüsse vom 21. Januar 2000 - BVerwG 9 B 614.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 46 und vom 26. November 2001 - BVerwG 1 B 347.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52; stRspr). Etwas anderes gilt nur dann, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. Urteil vom 10. April 1991 - BVerwG 8 C 106.89 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235). Dafür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich, da der Kläger selbst in der Berufungsbegründung zur Gefahr der Folter in der Türkei vorgetragen hatte.

29

Der Verwaltungsgerichtshof wird in dem neuen Berufungsverfahren die Prognose, ob die konkrete Gefahr besteht, dass der Kläger in der Türkei der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen wird, auf aktueller tatsächlicher Grundlage erneut stellen müssen. Dabei besteht auch Gelegenheit, dem Vorbringen des Klägers weiter nachzugehen, dass die ihn belastende Aussage seines Bruders die Gefahr von Folter nicht ausschließe. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände im Rahmen der tatsächlichen Feststellung, ob die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG widerlegt ist, kann das Berufungsgericht auch der Tatsache Bedeutung beimessen, dass die Türkei als Abschiebezielstaat ein Vertragsstaat der Konvention ist, der sich verpflichtet hat, die darin garantierten Rechte und Grundsätze zu achten. Die Berücksichtigung dieses Umstands im Rahmen der Prognose entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (Entscheidungen vom 7. Oktober 2004 - Nr. 33743/03, Dragan - NVwZ 2005, 1043 <1045> und vom 15. Dezember 2009 - Nr. 43212/05, Kaplan - ) und ist durch Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG mit dem darin enthaltenen Kriterium ausreichender Schutzgewährleistung abgedeckt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Anerkennung als Flüchtling und Asylberechtigter.

2

Der 1963 geborene Kläger ist ruandischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hutu an. 1983 legte er in Ruanda das Abitur ab, arbeitete dort anschließend als Lehrer und studierte dann von 1987 bis 1989 in der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo). Im März 1989 reiste er zum Studium in die Bundesrepublik Deutschland ein. 1995 schloss er hier sein Studium der Volkswirtschaftslehre ab, im Dezember 2000 wurde ihm der Doktortitel verliehen. Seit dem Bürgerkrieg in Ruanda im Jahr 1994 engagierte sich der Kläger in Deutschland - überwiegend in leitender Funktion - in ruandischen Exilorganisationen. Mit Bescheid vom 17. März 2000 wurde er wegen der Gefahr der politischen Verfolgung, die ihm aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten drohte, als Asylberechtigter anerkannt und festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich Ruandas vorliegen. Mitte 2001 wurde der Kläger Präsident der Forces Démocratiques de Libération du Rwanda (nachfolgend: FDLR), einer 1999 gegründeten Hutu-Exilorganisation, die im Osten der DR Kongo über bewaffnete Kampfgruppen verfügt.

3

Am 1. November 2005 nahm der Sanktionsausschuss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen - gestützt auf die Sicherheitsrats-Resolution 1596 (2005) vom 18. April 2005 - den Kläger in die Liste von Personen und Einrichtungen auf, gegen die Restriktionen wegen des Waffenembargos für das Gebiet der DR Kongo verhängt wurden. Daraufhin widerrief das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 22. Februar 2006 die Asylanerkennung und die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht vorliegen.

4

Der Widerruf wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Kläger Präsident der FDLR sei und daher aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt sei, dass er Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Handlungen begangen habe, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderliefen. Die FDLR sei für regelmäßige Übergriffe - wie Überfälle, Vergewaltigungen und Entführungen - auf Dorfbewohner in der ostkongolesischen Provinz Südkivu verantwortlich. Sie verfüge im Osten der DR Kongo schätzungsweise über 10 000 bis 15 000 Kämpfer und begehe seit Jahren systematisch Verbrechen an der kongolesischen Zivilbevölkerung. Es handele sich dabei um Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998. Der Kläger sei hierfür als Vorgesetzter verantwortlich. Durch die Verletzungen des durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 28. Juli 2003 verhängten Waffenembargos begehe die FDLR zudem Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderliefen. Der Sanktionsausschuss des Sicherheitsrats habe deshalb den Kläger auf die Liste der mit Sanktionen zu belegenden Personen gesetzt, von denen er überzeugt sei, dass sie gegen das Waffenembargo verstießen.

5

Das Verwaltungsgericht hob mit Urteil vom 13. Dezember 2006 den Widerrufsbescheid auf. Die Entscheidung beruhte im Wesentlichen auf der Erwägung, das Bundesamt habe das Vorliegen der Voraussetzungen von Ausschlussgründen nicht hinreichend darlegen und belegen können. Die in das Verfahren eingeführten Auskünfte seien eher vage und nicht hinreichend verlässlich. Das gelte umso mehr für die Verantwortlichkeit des Klägers.

6

Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Während des Berufungsverfahrens ist der Kläger aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 16. November 2009 unter anderem wegen Verdachts auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit und auf Kriegsverbrechen gemäß §§ 4, 7 Abs. 1 Nr. 1 und 6, § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 und 9, § 11 Abs. 1 Nr. 4 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) in Untersuchungshaft genommen worden. Der Ermittlungsrichter des BGH hat am 17. Juni 2010 die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet (Beschluss vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, JZ 2010, 960). Im Dezember 2010 hat der Generalbundesanwalt beim BGH Anklage gegen den Kläger und gegen den Vizepräsidenten der FDLR unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen erhoben; das Oberlandesgericht Stuttgart hat mit Beschluss vom 1. März 2011 die Anklage zugelassen.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch Urteil vom 11. Januar 2010 das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Er teilt die Auffassung des Bundesamts, dass der Kläger als Präsident der FDLR die Ausschlusstatbestände des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3 AsylVfG verwirklicht habe und damit die Voraussetzungen für den Widerruf seiner Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erfüllt seien. Dem Widerruf stehe nicht entgegen, dass die Handlungen, die zum Ausschluss führten, zeitlich nach der Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes lägen. Für den Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter gelte im Ergebnis nichts anderes.

8

Der Kläger habe die Ausschlusstatbestände des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3 AsylVfG zumindest als "in sonstiger Weise" Beteiligter nach § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG verwirklicht. Er sei Präsident der FDLR und allein dadurch als maßgeblicher Unterstützer für ihre Aktivitäten mitverantwortlich. Sein maßgeblicher Einfluss auf die Organisation und die grundsätzliche Billigung ihrer Kampfeinsätze sei von ihm selbst nie in Abrede gestellt worden und werde unter anderem durch Aussagen ehemaliger FDLR-Kämpfer bestätigt. Auch der Ermittlungsrichter des BGH komme, gestützt auf Zeugenaussagen und Telekommunikationsüberwachung, zu dem Ergebnis, dass der Kläger innerhalb der FDLR unumschränkte Befehls- und Verfügungsgewalt habe. Damit könnten die Ausschlussgründe, die von der Organisation als solche verwirklicht worden seien und nach ihrer Struktur von ihr verantwortet werden müssten, auch dem Kläger persönlich zugerechnet werden. Es sei aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt, dass Aktionen der FDLR Ausschlussgründe nach § 3 Abs. 2 AsylVfG erfüllten. Das Auswärtige Amt berichte seit Jahren über Ausplünderungen der Bevölkerung, Niederbrennen von Dörfern, Erschießungen von Frauen und Kindern, Massenvergewaltigungen und Verstümmelungen als Kriegswaffe sowie die Rekrutierung von Kindersoldaten (auch) durch die FDLR. Das Gericht sei davon überzeugt, dass die berichteten Gewalttaten mindestens zu einem großen Teil auch tatsächlich der FDLR zur Last fielen und dass die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung von der FDLR systematisch als Mittel der Kriegsführung eingesetzt würden. Die aufgeführten Taten der FDLR stellten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 dar.

9

Der Ausschlusstatbestand der Zuwiderhandlung gegen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG) sei ebenfalls erfüllt. Er ergebe sich aus den festgestellten systematischen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die FDLR gehöre zu den staatsähnlichen Gebilden und der Kläger persönlich zu den Trägern von Machtpositionen, die in der Lage seien, Zuwiderhandlungen gegen Ziele der Vereinten Nationen zu begehen.

10

Der Kläger begründet seine gegen das Berufungsurteil eingelegte Revision im Wesentlichen wie folgt: Die Anerkennung als Asylberechtigter und Flüchtling dürfe nach § 73 Abs. 1 AsylVfG nur widerrufen werden, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anerkennungsentscheidung nicht mehr vorlägen. Die nachträgliche Verwirklichung von Ausschlusstatbeständen rechtfertige einen Widerruf hingegen nicht. Auch die Genfer Flüchtlingskonvention gehe davon aus, dass die Ausschlusstatbestände des Art. 1 F bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufnahme als Flüchtling vorgelegen haben müssten. Statusbeendende Maßnahmen dürften nur unter den Voraussetzungen des Art. 33 Abs. 2 GFK erfolgen. Ein Widerruf der Asylberechtigung wegen nachträglicher Verwirklichung von Ausschlusstatbeständen verstoße gegen Art. 16a GG. Wenn man eine immanente Schranke der Asylgewährung in den Rechten der Allgemeinheit sehe, sei darunter die deutsche Allgemeinheit zu verstehen, die im vorliegenden Fall aber nicht betroffen sei. Weiterhin werde seine persönliche Verantwortlichkeit durch Anstiftung und Organisationsherrschaft nur behauptet. Es sei nicht festgestellt worden, welchen Tatbeitrag er geleistet habe. Im Übrigen sei sein Recht auf ein faires Verfahren dadurch verletzt worden, dass sein mit Schriftsatz vom 4. Januar 2010 hilfsweise gestellter Antrag abgelehnt worden sei, das Verfahren auszusetzen, bis vorläufige Ergebnisse der Ermittlungen der Bundesanwaltschaft im Kongo vorlägen. Erst im Zeitraum von ca. 2 Monaten vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs seien Berichte veröffentlicht worden, die überhaupt eine Basis für die getroffene Entscheidung darstellen könnten. Durch die Ablehnung einer Aussetzung sei sein Recht vereitelt worden, Beweise gegen den durch die Berichte vermittelten Eindruck über die Verwicklungen der FDLR und seine Beteiligung zu sammeln.

11

Die Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt im Wesentlichen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs. Bei der erhobenen Verfahrensrüge müsse sich der Kläger entgegenhalten lassen, dass er nicht die ihm zu Gebote stehenden und sachgerechten Mittel gewählt habe, etwa anstelle eines Aussetzungsantrags konkrete Beweisanträge zu stellen. Die dem Kläger im Kern zur Last gelegten Vorwürfe seien auch nicht erst kurzfristig vor der Berufungsverhandlung entstanden, sondern seien bereits Grundlage des Widerrufsbescheids gewesen.

12

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und schließt sich im Wesentlichen der Argumentation der Beklagten an.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die von ihm erhobene Verfahrensrüge ist unzulässig (1.). Die Rüge der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) bleibt ohne Erfolg. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, dass die Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling (2.a) und als Asylberechtigter (2.b) zu Recht widerrufen wurde, steht mit Bundesrecht in Einklang.

14

1. Die vom Kläger erhobene Rüge der Verletzung der Grundsätze eines fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) durch die Verweigerung einer Aussetzung des Verfahrens ist unzulässig.

15

Soweit sie sich gegen die Ablehnung der Aussetzung des Verfahrens nach § 94 VwGO wendet, ergibt sich die Unzulässigkeit der Verfahrensrüge daraus, dass ein Verstoß gegen § 94 VwGO als solcher im Revisionsverfahren nicht als Verfahrensmangel rügefähig ist. Eine Aussetzungsentscheidung nach § 94 VwGO ist unanfechtbar, wenn sie im Beschlussweg ergeht (§ 152 Abs. 1 VwGO). Die Revision kann in diesen Fällen nicht auf eine fehlerhafte Ablehnung einer Aussetzung gestützt werden. Dies folgt aus § 173 VwGO i.V.m. § 557 Abs. 2 ZPO (vgl. Beschluss vom 22. Dezember 1997 - BVerwG 8 B 255.97 - NJW 1998, 2301; Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Juli 2009, § 94 Rn. 42; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 132 Rn. 52). Nichts anderes kann dann gelten, wenn - wie hier - über die hilfsweise begehrte Aussetzung im Urteil entschieden und diese verweigert wird (Beschluss vom 15. April 1983 - BVerwG 1 B 133.82 - Buchholz 310 § 94 VwGO Nr. 4).

16

Der Kläger legt auch nicht dar, dass die Verweigerung der Aussetzung des Verfahrens zu einem Folgemangel geführt hat, der dem Berufungsurteil weiter anhaftet (vgl. hierzu Urteil vom 17. Februar 1972 - BVerwG 8 C 84.70 - BVerwGE 39, 319 <324>). Zwar rügt die Revision eine Verletzung des fairen Verfahrens dadurch, dass dem Kläger durch die verweigerte Aussetzung des Verfahrens die Möglichkeit genommen worden sei, Beweise "gegen die durch die Berichte entstandenen Eindrücke über die Verwicklungen der FDLR und seiner Beteiligung zu sammeln". Damit wird der Sache nach eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 138 Nr. 3 VwGO) geltend gemacht. Insoweit fehlt es aber an einer den gesetzlichen Vorgaben aus § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO genügenden Darlegung eines Verfahrensmangels, einschließlich der Angabe der Tatsachen, die diesen Mangel ergeben. Denn der Kläger gibt nicht an, weshalb es ihm nicht möglich gewesen sein soll, zu den die FDLR belastenden, von ihm nicht näher bezeichneten "Berichten" Stellung zu nehmen, die "im Zeitraum von ca. 2 Monaten vor der Entscheidung" veröffentlicht worden seien. Dies wäre aber erforderlich gewesen, um zu begründen, weshalb mit der Berufungsentscheidung am 11. Januar 2010 gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs oder des fairen Verfahrens verstoßen worden sein soll. Es hätte dem Kläger oblegen, darzutun, welche der Vorwürfe aus welchen "Berichten" er für unzutreffend erachtet und weshalb es ihm noch nicht möglich gewesen ist, seine Sicht der Dinge darzulegen und unter Beweis zu stellen. Im Übrigen stützt sich das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs nicht nur auf Berichte des Auswärtigen Amtes, einer vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingesetzten Expertengruppe und von Nichtregierungsorganisationen wie Human Rights Watch, sondern auch auf den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs (BGH), der dem Kläger - wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom Bevollmächtigten des Klägers eingeräumt - bei seiner Inhaftierung Mitte November 2009 bekannt gegeben worden war. Der geltend gemachte Verfahrensverstoß ist des Weiteren auch deshalb nicht dargelegt, weil der Kläger in der Revisionsbegründung nicht angibt, was er im Einzelnen noch vorgetragen und gegebenenfalls unter Beweis gestellt hätte, wenn ihm hinreichend Zeit zur Erwiderung eingeräumt worden wäre (vgl. Beschluss vom 13. Juni 2007 - BVerwG 10 B 61.07 - juris Rn. 5).

17

2. Die Rüge der Verletzung von Bundesrecht ist unbegründet. Der Verwaltungsgerichtshof hat in Übereinstimmung mit Bundesrecht entschieden, dass der Widerruf der Anerkennung des Klägers als Flüchtling und Asylberechtigter zu Recht erfolgte. Er entspricht den maßgeblichen Anforderungen des § 73 AsylVfG. Dabei ist hinsichtlich der formellen Voraussetzungen auf die zum Zeitpunkt seines Erlasses geltende Fassung des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Zuwanderungsgesetzes abzustellen. Hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen ist die Vorschrift in der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltenden Fassung (Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2. September 2008, BGBl I S. 1798) anzuwenden.

18

Die formellen Widerrufsvoraussetzungen des § 73 AsylVfG liegen vor. Die Revision hat insoweit auch keine Einwände erhoben.

19

a) Zutreffend ist der Verwaltungsgerichtshof zu dem Ergebnis gekommen, dass auch die materiellen Voraussetzungen für den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft erfüllt sind. Gemäß § 73 Abs. 1 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen.

20

aa) Entgegen der Auffassung der Revision erfasst die Vorschrift nicht nur das nachträgliche Entfallen verfolgungsbegründender Umstände, das in Satz 2 der Vorschrift als Beispielfall ("insbesondere") angeführt wird, sondern auch die nachträgliche Verwirklichung von Ausschlussgründen nach § 3 Abs. 2 AsylVfG.

21

(1) Dafür spricht schon der Wortlaut des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, der ohne sachliche Einschränkung die Verpflichtung zum Widerruf begründet, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung "nicht mehr" vorliegen. Das ist auch bei nachträglicher Verwirklichung von Ausschlussgründen der Fall. Dass diese Fallgestaltung von der Regelung mit erfasst werden soll, ergibt sich zudem aus § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG. Danach ist ein Widerruf auch nach Ablauf von 3 Jahren nach Unanfechtbarkeit der Anerkennungsentscheidung möglich, steht dann aber im Ermessen des Bundesamts, es sei denn der Widerruf erfolgt, weil die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder des § 3 Abs. 2 AsylVfG vorliegen. Im letzten Fall bleibt es bei der Verpflichtung zum Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Die Regelung geht also davon aus, dass auch die Verwirklichung von Ausschlusstatbeständen zu den Gründen zählt, deren nachträgliches Eintreten zur Folge hat, dass die Anerkennungsvoraussetzungen im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG "nicht mehr" vorliegen. Das Ergebnis wird bestätigt durch die Begründung der Bundesregierung zu § 73 Abs. 1 AsylVfG in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BTDrucks 16/5065 S. 219). Danach sind die Voraussetzungen für den Widerruf "auch dann gegeben, wenn nachträglich Ausschlussgründe eintreten". Ausgenommen ist hiervon nur der Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG, dessen Tatbestand eine vor der Aufnahme als Flüchtling begangene schwere nichtpolitische Straftat voraussetzt.

22

(2) Dem steht die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) nicht entgegen. Diese regelt in Art. 1 F GFK nur die materiellen Voraussetzungen für den Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft, nicht aber das Verfahren der Zu- und Aberkennung. Den Ausschlusstatbeständen liegt maßgeblich das Konzept der Asylunwürdigkeit zugrunde (vgl. Urteil vom 24. November 2009 - BVerwG 10 C 24.08 - BVerwGE 135, 252 Rn. 24 ff.). Die Notwendigkeit des Ausschlusses asylunwürdiger Personen hängt aber nicht davon ab, zu welchem Zeitpunkt sie die materiellen Ausschlussgründe nach Art. 1 F GFK verwirklichen. Etwas anderes gilt nur für den Ausschlussgrund des Art. 1 F Buchst. b GFK, der sich - anders als die hier maßgeblichen Ausschlusstatbestände des Art. 1 F Buchst. a und c GFK - auf nichtpolitische Straftaten beschränkt, die vor Aufnahme als Flüchtling begangen wurden (ebenso wie § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG). Auch der Hohe Flüchtlingskommissar hält eine Aufhebung der Flüchtlingsanerkennung für gerechtfertigt, wenn Ausschlussgründe erst nach der Anerkennungsentscheidung verwirklicht werden. So führt er in Ziffer 4 der UNHCR-Richtlinie zur Beendigung der Flüchtlingseigenschaft vom 10. Februar 2003 (HCR/GIP/03/03) aus: "Ein Widerruf kann ausgesprochen werden, wenn ein Flüchtling im Nachhinein durch sein Verhalten den Tatbestand des Artikels 1 F (a) oder 1 F (c) erfüllt." Gegenteiliges kann nicht aus der Formulierung der Ausschlusstatbestände in der Vergangenheit geschlossen werden ("begangen haben", "zuschulden kommen ließen"), denn daraus ergibt sich nur, dass ein entsprechendes Verhalten vorgelegen haben muss, bevor der Ausschlusstatbestand greift (anders aber Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand: Juni 2010, § 2 Rn. 33). Nicht gefolgt werden kann auch der Auffassung von Marx (InfAuslR 2005, 218 <225 f.>), auf die die Revision sich beruft. Er begründet seine Meinung, die nationale Regelung über die Ausschlussgründe könne völkerrechtlich unbedenklich nur die Statusentscheidung sperren, nicht aber einen nachträglichen Widerruf rechtfertigen, unter Bezugnahme auf die Background Note des UNHCR zu den Ausschlussgründen aus dem Jahr 2003 (a.a.O. S. 226 Fn. 52). Marx zitiert aber nur die Passage, die sich mit einer Aufhebung der Flüchtlingsanerkennung ex tunc befasst, während der UNHCR im darauf folgenden Abschnitt der genannten Background Note (a.a.O. Rn. 17) den Widerruf ex nunc wegen nachträglicher Verwirklichung von Ausschlusstatbeständen nach Art. 1 F Buchst. a und c GFK für gerechtfertigt hält, wenn die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind, und als Beispiel die Beteiligung des Flüchtlings an bewaffneten Aktionen im Aufnahmeland nennt.

23

(3) Für eine solche Auslegung des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG spricht auch Art. 14 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG, der bei Erfüllung eines Ausschlusstatbestandes die Verpflichtung zur Beendigung, Aberkennung oder Nichtverlängerung der Flüchtlingseigenschaft unabhängig davon begründet, wann die Ausschlussgründe entstanden sind ("hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist"). § 73 AsylVfG i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes von 2007 dient der Umsetzung auch dieser EU-Vorschrift und ist daher in Übereinstimmung mit ihr auszulegen (so im Ergebnis auch Hailbronner, AuslR, Stand: Aug. 2008, § 73 AsylVfG Rn. 50; Wolff, in: HK-AuslR, § 73 AsylVfG Rn. 23).

24

(4) Der Kläger genießt entgegen der Ansicht der Revision keinen Vertrauensschutz dahin, dass seine Anerkennung als Flüchtling vom März 2000 nicht nachträglich den Einschränkungen unterworfen wird, die sich aus der Einführung der Ausschlussgründe in bundesdeutsches Recht mit Wirkung zum 1. Januar 2002 durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 (BGBl I S. 361) ergeben. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Erfüllung von Ausschlussgründen durch den Kläger aus Tatsachen abgeleitet, die im Schwerpunkt im Zeitraum von 2005 bis 2009 verwirklicht wurden. Aus der Zeit vor 2005 ist insoweit nur die Übernahme des Amtes des Präsidenten der FDLR durch den Kläger Mitte 2001 von Bedeutung. Es kann offenbleiben, ob ein Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft sich nicht auch auf Handeln beziehen darf, das vor der Normierung der Ausschlussgründe im nationalen Recht verwirklicht wurde. Denn hier beruht der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ausschließlich auf dem Kläger zugerechneten Verbrechen der FDLR, die nach Einführung der Ausschlussgründe begangen wurden. Auf Vertrauensschutz kann sich der Kläger schon deshalb nicht berufen. Im Übrigen fordert auch Unionsrecht die Anwendung der Ausschlussgründe auf vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG ausgesprochene Anerkennungen. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) weist in diesem Zusammenhang auf den zwingenden Charakter des Art. 14 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie hin, der bei Vorliegen von Ausschlussgründen eine Aberkennung oder Beendigung der Flüchtlingseigenschaft auch für schon vorher eingeleitete und abgeschlossene Verfahren verlangt (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 - Rs. C-57/09, (B) und Rs. C-101/09, (D) - NVwZ 2011, 285 Rn. 74).

25

bb) Das Berufungsgericht ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger den Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG verwirklicht hat. Nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG ist ein Ausländer unter anderem dann kein Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen.

26

(1) Der Verwaltungsgerichtshof hat seiner Beurteilung, dass der Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG erfüllt ist, den zutreffenden Beweismaßstab zugrunde gelegt. Er ist zu der Überzeugung gelangt, dass durch Handlungen der FDLR Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG begangen wurden und diese dem Kläger als Präsidenten der FDLR zuzurechnen sind. Für diese Überzeugungsbildung reicht es aus, dass die Annahme der Begehung entsprechender Verbrechen aus schwerwiegenden Gründen gerechtfertigt ist. Ein Beweisstandard, wie er etwa im Strafrecht verlangt wird, ist hierfür nicht erforderlich. Vielmehr ergibt sich aus der Qualifizierung als "schwerwiegend", dass die Anhaltspunkte für die Begehung der in § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG genannten Verbrechen von erheblichem Gewicht sein müssen. Schwerwiegend sind die Gründe in der Regel dann, wenn klare und glaubhafte Indizien für die Begehung derartiger Verbrechen vorliegen (vgl. hierzu die Empfehlung <2005> 6 des Ministerrats des Europarats vom 23. März 2005 zum Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 1 F Buchst. b GFK; ähnlich Hailbronner, AuslR, Stand: Dez. 2007, § 3 AsylVfG Rn. 8). Von diesem Beweismaßstab ist das Berufungsgericht ausgegangen (UA Rn. 29).

27

(2) Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, welche zum Ausschluss nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG führenden Handlungen die FDLR im Einzelnen nach der Überzeugung des Gerichts begangen hat. Dazu zählt die Ausplünderung der Bevölkerung, das Niederbrennen von Dörfern, Erschießungen von Frauen und Kindern, Entführungen, Massenvergewaltigungen und Verstümmelungen als Mittel der Kriegsführung sowie die Rekrutierung von Kindersoldaten. Das Berufungsgericht entwickelt seine Überzeugung nicht nur aufgrund einer zusammenfassenden Würdigung von Lageberichten des Auswärtigen Amtes, sondern bezieht sich auch auf konkret aufgelistete Fälle im Bericht einer Expertengruppe der Vereinten Nationen vom 23. November 2009, im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des BGH vom 16. November 2009, in den Berichten von Human Rights Watch vom April und Dezember 2009 und in der Informationsschrift des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom Mai 2009. Die Beweiswürdigung beruht auf einer hinreichend breiten Tatsachengrundlage.

28

Der Verwaltungsgerichtshof wertet diese Taten zutreffend als Kriegsverbrechen im Sinne von Art. 8 und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne von Art. 7 Buchst. a und g des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 (BGBl 2000 II S. 1394, nachfolgend: IStGH-Statut). Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 24. November 2009 - BVerwG 10 C 24.08 - (a.a.O. Rn. 31) entschieden, dass sich die Frage, ob Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG vorliegen, gegenwärtig in erster Linie nach den im IStGH-Statut ausgeformten Tatbeständen dieser Delikte bestimmt. Denn darin manifestiert sich der aktuelle Stand der völkerstrafrechtlichen Entwicklung bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht. Dabei durfte der Verwaltungsgerichtshof offenlassen, ob es sich bei den Kämpfen im Ostkongo um einen internationalen oder einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt handelt, weil die festgestellten Morde, Vergewaltigungen, Verstümmelungen, Plünderungen und Zwangsrekrutierungen von Kindersoldaten in beiden Fällen als Kriegsverbrechen im Sinne von Art. 8 IStGH-Statut anzusehen sind (Art. 8 Abs. 2 Buchst. a Ziff. I, Buchst. b Ziff. I, II, X, XVI, XXII, Buchst. c Ziff. I, Buchst. e Ziff. I, V, VI, VII und XI IStGH-Statut, Art. 2 und 3 des Genfer Abkommens zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12. August 1949, BGBl 1954 II, S. 917). Die Morde und Vergewaltigungen im Rahmen eines ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung stellen gleichzeitig Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne von Art. 7 Buchst. a und g IStGH-Statut dar (vgl. auch Haftbefehl des Ermittlungsrichters des BGH vom 16. November 2009 S. 16 ff.).

29

(3) Das Berufungsgericht hat eine Verantwortlichkeit des Klägers für die von der FDLR begangenen Verbrechen zutreffend aus dessen Stellung als Präsident der Organisation und dem damit verbundenen Einfluss auf die Handlungen ihrer Kämpfer abgeleitet. Die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen tragen den Schluss, dass der Kläger als Täter der von der FDLR begangenen Verbrechen anzusehen ist und nicht nur - wie im Berufungsurteil angenommen - als ein daran in sonstiger Weise Beteiligter gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG.

30

Die Verantwortlichkeit des Klägers ergibt sich aus Art. 28 Buchst. a IStGH-Statut. Danach ist ein militärischer Befehlshaber unter anderem bereits dann für die von Truppen unter seiner Führungsgewalt und Kontrolle begangenen Verbrechen verantwortlich, wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass in seinem Einflussbereich derartige Verbrechen begangen wurden und er nicht alles in seiner Macht stehende unternommen hat, um ihre Begehung zu verhindern. Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, dass der Kläger Präsident der FDLR ist, maßgeblichen Einfluss auf die Organisation ausübt und innerhalb der FDLR unumschränkte Befehls- und Verfügungsgewalt besitzt. Ergänzend verweist er auf den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des BGH vom 16. November 2009, der ebenfalls zu diesem Ergebnis kommt. Danach ist der Kläger als Präsident der FDLR zugleich ihr oberster militärischer Befehlshaber (Haftbefehl S. 6 und 14 ff.) und demzufolge berechtigt, sowohl strategische Einsatzbefehle zu erteilen als auch bestimmte Kampfhandlungen oder Kampfmethoden zu unterbinden (Haftbefehl S. 15). Er habe auch faktisch die Befehlsgewalt ausgeübt. Die dem Kläger nachgeordneten, vor Ort tätigen Kommandanten hätten regelmäßig über Satellitentelefon, E-Mail oder herkömmliche Fernsprechverbindungen den engen Kontakt zum Kläger gesucht, um dessen Anordnungen entgegenzunehmen oder zumindest sein Einverständnis zu bestimmten Militäraktionen einzuholen (Haftbefehl S. 15 und 23 ff.). Ausgehend von diesen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) ergibt sich hieraus die Verantwortlichkeit des Klägers für die von der FDLR begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Art. 28 Buchst. a IStGH-Statut.

31

Der Kläger handelte nach den Feststellungen im Berufungsurteil auch vorsätzlich. Für die subjektive Verantwortlichkeit im Sinne von Art. 28 Buchst. a IStGH-Statut reicht zwar Fahrlässigkeit. Der Verwaltungsgerichtshof verweist hinsichtlich der subjektiven Verantwortlichkeit aber auf den Haftbefehl vom 16. November 2009, in dem der Ermittlungsrichter zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger vorsätzlich gehandelt hat. Dies wird damit begründet, dass er aufgrund der zahlreichen Berichte wie auch der persönlichen Unterrichtung durch die örtlichen Kommandanten der FDLR Kenntnis von den Straftaten der FDLR-Milizionäre gehabt habe. Er sei sich darüber im Klaren gewesen, dass die von ihm befehligten Milizionäre in ihrem Herrschaftsbereich weiterhin Tötungen, Folterungen, Plünderungen und Vertreibungen begehen würden, solange er dies nicht unterbindet. Mit Recht kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass distanzierende Presseerklärungen für ein entsprechendes Unterbinden der Verbrechen nicht ausreichen. Auch die Verankerung des Verbots derartiger Verbrechen im Statut der FDLR, auf die die Revision sich beruft, reicht nicht aus, wenn der Kläger keine geeigneten Maßnahmen zur Durchsetzung des Verbots ergreift.

32

Zu einer Verantwortlichkeit des Klägers kommt man auch, wenn man die Kriterien des Gerichtshofs der Europäischen Union anlegt, wie er sie in seinem Urteil vom 9. November 2010 für den Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 2004/83/EG entwickelt hat (a.a.O. Rn. 95 ff.). Danach kann dem Mitglied einer Organisation ein Teil der Verantwortung für Handlungen, die von der fraglichen Organisation im Zeitraum seiner Mitgliedschaft begangen wurden, zugerechnet werden. Dabei ist insbesondere von Bedeutung, welche Rolle die betreffende Person bei der Verwirklichung der fraglichen Handlungen tatsächlich gespielt hat, welche Position sie innerhalb dieser Organisation gehabt hat und welche Kenntnis sie von deren Handlungen hatte oder haben musste. Hier hatte der Kläger als Präsident und militärischer Oberbefehlshaber eine hervorgehobene Stellung in der Organisation, die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beging. Er wusste von den begangenen Verbrechen und ergriff keine geeigneten Maßnahmen, die Taten zu verhindern.

33

Unzutreffend ist in diesem Zusammenhang die Rüge der Revision, der Verwaltungsgerichtshof habe die Verantwortlichkeit des Klägers nur behauptet und nicht festgestellt, welchen Tatbeitrag er geleistet habe. Das Berufungsurteil stellt vielmehr auf die Organisationsherrschaft des Klägers als Präsident und militärischer Oberbefehlshaber ab, wodurch ihm alle Handlungen der von ihm geleiteten Organisation zugerechnet werden, sofern er nicht geeignete Schritte zu ihrer Verhinderung ergriffen hat. Der Verweis auf seine Organisationsherrschaft als Präsident ist mehr als eine lediglich "pauschale Behauptung der Täterschaft". Auch trifft es nicht zu, dass - wie die Revision behauptet - die Auswertungen der Kommunikationsüberwachung (TKÜ) und des Laptops des Klägers keine Rolle spielen dürften, weil diese "selbst am 31. März 2010 weitgehend noch nicht ausgewertet" gewesen seien. Der Haftbefehl stützt sich bei seiner Bewertung, dass der Kläger maßgeblichen Einfluss auf die FDLR ausgeübt habe, auf die Angaben des Klägers selbst, auf zahlreiche Berichte von Nichtregierungsorganisationen, auf die Angaben von drei Zeugen sowie die Erkenntnisse aus der Überwachung der Telekommunikation des Klägers und der Auswertung seines E-Mail-Verkehrs. Diese Unterlagen sind detailreich und präzise.

34

cc) Da die Anerkennung des Klägers als Flüchtling wegen der Verwirklichung des Ausschlussgrundes nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG zu widerrufen war, konnte der Senat offenlassen, ob der Kläger - wie vom Berufungsgericht angenommen - auch die Voraussetzungen für den Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG erfüllt. Allerdings spricht viel dafür, dass der Kläger den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.

35

(1) Die für den Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG maßgeblichen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen werden in der Präambel und in den Art. 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen dargelegt (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 82). In der Präambel wie in Art. 1 der Charta wird das Ziel formuliert, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren. Kapitel VII der Charta (Art. 39 bis 51) regelt die zu ergreifenden Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen. Nach Art. 39 der Charta obliegt dem Sicherheitsrat die Feststellung, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist dem Umstand besondere Bedeutung beizumessen, dass der Sicherheitsrat, indem er Resolutionen aufgrund von Kapitel VII der Charta beschließt, nach Art. 24 der Charta die Hauptverantwortung wahrnimmt, die ihm zur weltweiten Wahrung des Friedens und der Sicherheit übertragen ist. Das schließt die Befugnis des Sicherheitsrats ein zu bestimmen, was eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit darstellt (EuGH, Urteil der Großen Kammer vom 3. September 2008 - Rs. C-402/05 P und Rs. C-415/05 P, Kadi und Al Barakaat - Slg. 2008 Rn. 294).

36

In der Resolution 1493 (2003) vom 28. Juli 2003 hat der UN-Sicherheitsrat festgestellt, dass der bewaffnete Konflikt in der DR Kongo eine Bedrohung des Weltfriedens darstellt, und sein Handeln ausdrücklich auf Kapitel VII der Charta gestützt (Resolution vor Ziffer 1). Dabei hat er auf das Andauern von Feindseligkeiten im Osten des Landes Bezug genommen und auf die damit einhergehenden schweren Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts. Er verurteilt entschieden die "systematischen Gewalthandlungen gegen Zivilpersonen, einschließlich der Massaker, sowie die anderen Gräueltaten und Verletzungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte, insbesondere die sexuellen Gewalthandlungen gegen Frauen und Mädchen, und betont, dass die Verantwortlichen, auch auf Führungsebene vor Gericht gestellt werden müssen" (Ziffer 8 der Resolution). Zudem hat der Sicherheitsrat ein Waffenembargo zur Verhinderung der weiteren Einfuhr von Rüstungsgütern und sonstigem Wehrmaterial in die DR Kongo verhängt (Ziffer 20 der Resolution). Damit steht fest, dass die bewaffneten Auseinandersetzungen in der DR Kongo, an denen die FDLR beteiligt ist, eine Störung des Weltfriedens darstellen, ohne dass die nationalen Gerichte insoweit zu einer Überprüfung ermächtigt sind. Aufgrund der Resolution des UN-Sicherheitsrates steht weiter fest, dass die Störung des Weltfriedens jedenfalls auch durch die in der Resolution näher bezeichneten Gräueltaten und Verletzungen des humanitären Völkerrechts wie auch die Einfuhr von Waffen in das Konfliktgebiet erfolgt. Diese Störungshandlungen laufen damit den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider.

37

(2) Einer Verwirklichung des Ausschlussgrundes durch den Kläger würde es allerdings entgegenstehen, wenn derartige Zuwiderhandlungen nur von Personen begangen werden könnten, die eine Machtposition in einem Mitgliedstaat der Vereinten Nationen oder zumindest in einer staatsähnlichen Organisation innehaben. Diese Auffassung wird nicht nur vom UNHCR vertreten, sondern entspricht auch der früheren Rechtsprechung des 1. Senats des Bundesverwaltungsgerichts (UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Genf, September 1979, Nr. 163; Urteil vom 1. Juli 1975 - BVerwG 1 C 44.68 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 9). Dass der Kläger zu diesem Personenkreis zählt, lässt sich den Feststellungen im Berufungsurteil nicht entnehmen. Denn für die Annahme des Berufungsgerichts, dass er als Präsident der FDLR einer staatsähnlichen Organisation vorstehe, liegen keine ausreichenden, diesen Schluss rechtfertigenden Tatsachenfeststellungen vor.

38

Aus Sicht des Senats spricht allerdings viel dafür, dass unter bestimmten engen Voraussetzungen auch nichtstaatliche Akteure den Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG verwirklichen können. Für Mitglieder terroristischer Organisationen ergibt sich dies aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. November 2010 (a.a.O. Rn. 82 ff.). Danach laufen Handlungen des internationalen Terrorismus "unabhängig von der Beteiligung eines Staates" den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider und führen im Falle individueller Verantwortung zum Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft. Dies hat der Gerichtshof unter Bezug auf die Resolution 1373 (2001) vom 28. September 2001 begründet, die in Ziffer 5 ausdrücklich "erklärt, dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen". Für andere Verletzungen des Weltfriedens ist auf der Grundlage der vom UN-Sicherheitsrat verabschiedeten Resolutionen festzustellen, ob und worin er eine Verletzung des Weltfriedens sieht, ob ein privater Akteur maßgeblichen Einfluss darauf hat und ob von ihm eine ähnliche Wirkung auf die Störung des Weltfriedens ausgeht wie von staatlichen Verantwortungsträgern. Diese Auslegung ermöglicht eine sachgerechte Abgrenzung der Ausschlussgründe nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3 AsylVfG, denn Nr. 3 erfasst dann auch das Handeln nichtstaatlicher politischer Verantwortungsträger, die möglicherweise nicht strafrechtlich nach Nr. 1 zur Verantwortung gezogen werden können, deren Ausschluss wegen ihres maßgeblichen Einflusses auf die Störung des Weltfriedens etwa als politische Repräsentanten oder Anführer paramilitärischer Verbände oder Milizen aber zur Wahrung der Integrität des Flüchtlingsstatus geboten ist.

39

Auch Gerichte anderer Staaten wenden die Ausschlussklausel des Zuwiderhandelns gegen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen (Art. 1 F Buchst. c GFK) auf Personen an, die keine staatliche Macht ausüben (vgl. etwa Urteil des britischen Immigration Appeal Tribunal vom 7. Mai 2004, KK

<2004> UKIAT 00101 Rn. 20; Supreme Court of Canada in der Sache Pushpanathan v. Canada <1999> INLR 36), ohne dass insoweit aber eine einheitliche Staatenpraxis besteht. Folgt man der vom Senat hier entwickelten Auslegung, wäre an der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1975 nicht mehr festzuhalten, wonach die Ausschlussbestimmung des Art. 1 F Buchst. c GFK nur Handlungen erfasst, die dem zwischenstaatlichen (internationalen) Frieden und der zwischenstaatlichen Völkerverständigung zuwiderlaufen (vgl. Urteil vom 1. Juli 1975 a.a.O.).

40

Geht man von diesen Kriterien aus, so ergibt sich eine solche Verantwortlichkeit des Klägers nicht schon aus der Tatsache, dass er von den Vereinten Nationen in eine Liste von Personen aufgenommen wurde, gegen die Beschränkungen zur Durchsetzung des Waffenembargos ergriffen werden sollen. Durch die Resolution 1596 (2005) vom 18. April 2005 hat der Sicherheitsrat in Ziffern 13 und 15 ein Einreiseverbot und finanzielle Restriktionen gegen Personen beschlossen, die nach Ziffer 18 Buchst. a der Resolution von einem dafür benannten Ausschuss benannt und in einer zu aktualisierenden Liste erfasst werden. In diese Liste wurde der Kläger am 1. November 2005 aufgenommen, wobei seine Erfassung mit seiner Stellung als Präsident der FDLR und seiner Beteiligung am Waffenhandel in Verletzung des verhängten Embargos begründet wird. Allerdings genügt die Aufnahme in eine derartige Liste allein nicht, um den Ausschlussgrund des Zuwiderhandelns gegen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen anzunehmen; ihr kommt insoweit (nur) eine erhebliche Indizwirkung zu. Vielmehr bedarf es, wenn der Betreffende - wie hier - die zugrundeliegenden tatsächlichen Umstände bestreitet, entsprechender Feststellungen durch die nationalen Behörden bzw. Gerichte. Diese Prüfung hat sich auch auf die individuelle Verantwortung des Klägers in Bezug auf das Zuwiderhandeln gegen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen durch Verletzung des Waffenembargos zu beziehen (vgl. Urteil des EuGH vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 82 ff.). Eine solche individuelle Prüfung hat das Berufungsgericht hier nicht vorgenommen.

41

Für eine Verantwortlichkeit des Klägers im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG spricht indes folgender Umstand: Aus der Resolution 1493 (2003) des UN-Sicherheitsrats ergibt sich, dass eine Störung des Weltfriedens vorliegt und dass sie von den bewaffneten Auseinandersetzungen im Osten der DR Kongo ausgeht, an denen nicht nur staatliche Armeeeinheiten sondern auch nichtstaatliche Milizen wie die FDLR beteiligt sind, sowie von den systematischen Gewalthandlungen gegen Zivilpersonen und Verletzungen des humanitären Völkerrechts, zu deren Verhinderung der Sicherheitsrat "alle Parteien, einschließlich der Regierung der Demokratischen Republik Kongo" auffordert (Ziffer 8 der Resolution). Das spricht dafür, dass hier auch nichtstaatlichen Akteuren ein maßgeblicher Einfluss auf die Störung des Weltfriedens zugeschrieben wird. Nimmt man die Feststellungen des Berufungsgerichts hinzu, dass die FDLR seit Jahren an dem bewaffneten Konflikt beteiligt ist, ein Territorium im Osten der DR Kongo besetzt hält und systematisch Gewaltakte gegen die Zivilbevölkerung verübt, so dürfte sie als eine nichtstaatliche Organisation anzusehen sein, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderhandelt. Dabei kommt es nicht - wie der Verwaltungsgerichtshof meint - darauf an, ob die FDLR ein staatsähnliches Gebilde ist. Entscheidend ist vielmehr, ob die von ihr und ihren Anführern ausgehenden Wirkungen auf die Störungen des Weltfriedens den von staatlichen Machthabern ausgehenden Wirkungen vergleichbar sind. Für das den Weltfrieden störende Handeln der FDLR trägt der Kläger als deren Präsident, der nach den Feststellungen des Berufungsgerichts maßgeblichen Einfluss auf das Verhalten seiner Kämpfer hat, die persönliche Verantwortung (vgl. Urteil des EuGH vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 97 f.).

42

Auch wenn nach Auffassung des Senats viel dafür spricht, dass der Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG in besonderen Fällen auch von nichtstaatlichen Akteuren wie dem Kläger verwirklicht werden kann, bedurfte es hier keiner abschließenden Entscheidung dieser Frage, da der Kläger schon nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG von der Flüchtlingsstellung ausgeschlossen ist.

43

b) Mit Recht ist der Verwaltungsgerichtshof ferner davon ausgegangen, dass auch die materiellen Voraussetzungen für den Widerruf der Asylberechtigung des Klägers erfüllt sind. Denn der Widerruf der Asylberechtigung ist geboten, wenn Ausschlussgründe nach der Anerkennungsentscheidung verwirklicht werden. Das folgt aus nationalem Recht wie aus Unionsrecht.

44

aa) Die Voraussetzungen für den Widerruf einer Asylanerkennung ergeben sich im nationalen Recht aus § 73 Abs. 1 AsylVfG. Die Vorschrift bezieht sich ausdrücklich auf den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft und der Asylberechtigung. Danach ist die Anerkennung als Asylberechtigter zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen (§ 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Wie schon für den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ausgeführt, erfasst die Vorschrift nicht nur das nachträgliche Entfallen verfolgungsbegründender Umstände, sondern auch die nachträgliche Verwirklichung von Ausschlussgründen nach § 3 Abs. 2 AsylVfG (vgl. oben Rn. 20 ff.). Weiter ergibt sich aus § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass sich die Ausschlussgründe nach § 3 Abs. 2 AsylVfG auch auf die Asylanerkennung erstrecken und demnach auch einen Widerruf der Asylanerkennung rechtfertigen. Der Begriff "Widerruf oder Rücknahme" in dieser Vorschrift bezieht sich ersichtlich auf beide Anerkennungsformen. Außerdem spricht für dieses Verständnis der gesetzlichen Regelung auch § 30 Abs. 4 AsylVfG, wonach ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder des § 3 Abs. 2 AsylVfG vorliegen. Aus der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Richtlinienumsetzungsgesetz ergibt sich, dass durch die in § 30 Abs. 4 AsylVfG getroffene Regelung eine mögliche Kollision zwischen der Flüchtlingsanerkennung und der Asylberechtigung vermieden werden soll, indem die Ausschlussklauseln gleichermaßen bei der Flüchtlingsanerkennung wie auch bei der Anerkennung als Asylberechtigter anzuwenden sind (BTDrucks 16/5065 S. 214).

45

Ob diese einfachgesetzliche Regelung in vollem Umfang mit Art. 16a GG vereinbar ist oder ob die Grenzen des grundrechtlichen Asylanspruchs nach der hierzu bisher vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anders zu bestimmen sind als nach der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. hierzu Beschluss vom 14. Oktober 2008 - BVerwG 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 Rn. 36 ff.), kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls wird der Fall des Klägers nicht vom Schutzbereich des verfassungsrechtlich garantierten Asyls erfasst, so dass der Widerruf seiner Asylberechtigung nicht gegen Art. 16a GG verstößt.

46

Der Schutzbereich des Art. 16a GG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch einen "Terrorismusvorbehalt" begrenzt. Danach liegt es außerhalb des Asylrechts, wenn für terroristische Aktivitäten nur ein neuer Kampfplatz gesucht wird, um sie dort fortzusetzen oder zu unterstützen (BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 1989 - 2 BvR 958/86 - BVerfGE 81, 142 <152 f.>). Demgemäß kann Asyl nicht beanspruchen, wer im Heimatland unternommene terroristische Aktivitäten oder deren Unterstützung von der Bundesrepublik Deutschland aus in den hier möglichen Formen fortzuführen trachtet. Er sucht nicht den Schutz und Frieden, den das Asylrecht gewähren will. Diese normative Begrenzung des Schutzbereichs gilt unabhängig von einer etwaigen Verfolgung wegen terroristischer Aktivitäten im Heimatstaat. Sie gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch für diejenigen, die erstmals von Deutschland aus im Rahmen exilpolitischer Aktivitäten den politischen Kampf mit terroristischen Mitteln aufnehmen (Urteil vom 30. März 1999 - BVerwG 9 C 23.98 - BVerwGE 109, 12 <16 ff.>; die gegen dieses Urteil gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen, Beschluss vom 26. Oktober 2000 - 2 BvR 1280/99 - InfAuslR 2001, 89).

47

Lagen den von der Rechtsprechung bisher entschiedenen Fällen nur Sachverhalte zugrunde, in denen es um terroristische Aktivitäten von Asylsuchenden ging, so bedeutet dies keineswegs, dass sich die normative Begrenzung des Schutzbereichs von Art. 16a GG auf eine Betätigung im Bereich des Terrorismus beschränkt. Denn Grund für die normative Begrenzung ist, dass eine derartige Betätigung von der Bundesrepublik Deutschland in Übereinstimmung mit der von ihr mitgetragenen Völkerrechtsordnung grundsätzlich missbilligt wird (vgl. Urteil vom 30. März 1999 a.a.O. Rn. 17). Die Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit stellt einen vergleichbar schweren Verstoß gegen die von der Bundesrepublik Deutschland mitgetragene Völkerrechtsordnung dar wie Akte des Terrorismus. Derartige Handlungen gehören nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs zu den schwersten Verbrechen, die "die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren" (Art. 5 IStGH-Statut). Dieses Statut wurde von der Diplomatischen Bevollmächtigtenkonferenz der Vereinten Nationen am 17. Juli 1998 verabschiedet und mittlerweile von 139 Staaten unterzeichnet. In dem Statut wird das Völkerstrafrecht unter Berücksichtigung der gemeinsamen Überzeugungen der Völkerrechtsgemeinschaft kodifiziert (vgl. Denkschrift der Bundesregierung zum Ratifikationsgesetz, BRDrucks 716/1999 S. 99). Ausländer, die nach Aufnahme in Deutschland Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen begehen oder sich an ihnen beteiligen, begehen einen schweren Verstoß gegen die Völkerrechtsordnung und suchen nicht den Schutz und Frieden, den das Asylrecht gewähren will. Sie können asylrechtlichen Schutz nach Art. 16a GG nicht beanspruchen.

48

Für eine derartige Begrenzung des Schutzbereichs von Art. 16a GG spricht im Übrigen auch Art. 26 GG, wonach Handlungen verfassungswidrig sind, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören (vgl. Hobe, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 26 Rn. 11; I. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 26 Rn. 18). Durch Art. 26 Abs. 1 Satz 1 GG wird unmittelbar durch die Verfassung ein Verhalten verboten, das auf die Herbeiführung oder Förderung völkerrechtswidriger Zustände unter Gefährdung des Weltfriedens oder der internationalen Sicherheit im Sinne von Art. 39 UN-Charta zielt (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Stand: März 2006, Art. 26 Rn. 13). Auch die Begehung von oder die Beihilfe zu völkerrechtlichen Verbrechen - wie sie etwa in Art. 5 ff. und Art. 28 IStGH-Statut normiert sind - sind geeignet, den Völkerfrieden zu stören, und werden daher vom Störungsverbot des Art. 26 Abs. 1 Satz 1 GG erfasst (so I. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 26 Rn. 15 und 17). So verstanden könnte auch Art. 26 Abs. 1 GG eine verfassungsimmanente Schranke der Asylverheißung des Art. 16a GG begründen.

49

Wie bereits im Rahmen des Widerrufs der Flüchtlingseigenschaft ausgeführt, ist aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt, dass die vom Kläger geleitete FDLR Kriegsverbrechen im Sinne von Art. 8 IStGH-Statut und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne von Art. 7 Buchst. a und g IStGH-Statut begangen hat und der Kläger hierfür nach Art. 28 Buchst. a IStGH-Statut als Täter verantwortlich ist. Die hier noch erforderliche aktuelle Gefahr (oder auch Wiederholungsgefahr - vgl. hierzu Urteil vom 30. März 1999 a.a.O. Rn. 22 unter Hinweis auf Urteil vom 10. Januar 1995 - BVerwG 9 C 276.94 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 175, juris Rn. 23) ist im Fall des Klägers aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts gegeben, da er weiterhin Präsident der FDLR ist und diese - wie im Haftbefehl ausgeführt - auch während des Berufungsverfahrens ihre einschlägigen Aktivitäten fortgesetzt hat. Damit ist der Kläger auch nach Verfassungsrecht von der Anerkennung als Asylberechtigter ausgeschlossen.

50

bb) Unabhängig davon ist der Widerruf der Asylberechtigung bei der Verwirklichung von Ausschlussgründen nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3 AsylVfG auch nach Unionsrecht geboten.

51

Die in § 3 Abs. 2 AsylVfG normierten Ausschlussgründe setzen die für die Flüchtlingseigenschaft getroffenen Vorgaben in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG um. Nach Art. 14 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie gilt die Verpflichtung zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft im Fall der nachträglichen Feststellung von Ausschlussgründen im Sinne von Art. 12 der Richtlinie auch für Personen, die - wie der Kläger - ihren Antrag auf Gewährung von Flüchtlingsschutz bereits vor Inkrafttreten der Richtlinie gestellt haben. Sie ist auch für die nach nationalem Recht gewährte Asylberechtigung zu beachten. Denn Art. 3 der Richtlinie gestattet den Mitgliedstaaten günstigere Regelungen zur Frage, wer als Flüchtling gilt, nur insoweit, als dies mit der Richtlinie zu vereinbaren ist.

52

Der Senat hat durch Beschluss vom 14. Oktober 2008 - BVerwG 10 C 48.07 - (a.a.O.) dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage vorgelegt, ob es mit Art. 3 der Richtlinie vereinbar ist, dass ein Mitgliedstaat nach seinem Verfassungsrecht einer Person, die gemäß Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen ist, ein Asylrecht zuerkennt. Der Gerichtshof hat die Frage dahin beantwortet, dass es Art. 3 der Richtlinie zuwiderläuft, dass ein Mitgliedstaat Bestimmungen erlässt oder beibehält, die die Rechtsstellung des Flüchtlings einer Person gewähren, die hiervon nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie ausgeschlossen ist (Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 115). Die Mitgliedstaaten dürfen zwar Schutz aus anderen Gründen gewähren als denjenigen, auf denen der internationale Schutz beruht. In Betracht kommt etwa eine Schutzgewährung aus familiären oder humanitären Gründen (a.a.O. Rn. 118). Diese andere Form des Schutzes, zu deren Gewährung die Mitgliedstaaten befugt sind, darf indessen nicht mit der Rechtsstellung des Flüchtlings im Sinne der Richtlinie verwechselbar sein (a.a.O. Rn. 119). Nur soweit die nationalen Rechtsvorschriften, die von der Flüchtlingsanerkennung im Sinne der Richtlinie ausgeschlossenen Personen ein Asylrecht gewähren, eine klare Unterscheidung des nationalen Schutzes von dem Schutz gemäß der Richtlinie erlauben, beeinträchtigen sie daher das von der Richtlinie geschaffene System nicht (a.a.O. Rn. 120).

53

Legt man die vom Gerichtshof entwickelten Kriterien an die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Asylberechtigung nach Art. 16a GG an, so handelt es sich um einen nationalen Schutzstatus, der der Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der Richtlinie weitgehend entspricht und damit eine Verwechslungsgefahr im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs begründet. Bei der Asylberechtigung nach Art. 16a GG handelt es sich nicht um einen gegenüber der Flüchtlingsanerkennung andersartigen Schutzstatus - gegründet etwa auf familiäre oder humanitäre Motive. Vielmehr genießt ein Asylberechtigter nach § 2 Abs. 1 AsylVfG im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Seine Rechtsposition entspricht innerstaatlich auch der unionsrechtlichen Stellung von Flüchtlingen, wie sie durch die Richtlinie 2004/83/EG ausgestaltet ist (vgl. Hailbronner, ZAR 2009, 369 <371 ff.>). Damit liefe es aber dem Vorbehalt in Art. 3 der Richtlinie zuwider, wenn Deutschland Personen eine dem Flüchtlingsstatus weitgehend entsprechende Rechtsstellung gewährte oder erhielte, die hiervon nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie ausgeschlossen sind. Die Vorgaben des Unionsrechts verlangen somit, dass die Ausschlussgründe des Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie auch auf Asylberechtigte anzuwenden sind und ihre Anerkennung bei nachträglicher Verwirklichung von Ausschlussgründen nach Art. 14 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie zu widerrufen ist. Der deutsche Gesetzgeber hat dem Rechnung getragen, indem er die Geltung der Ausschlussgründe auch für Asylberechtigte angeordnet hat (vgl. oben Rn. 44).

54

Die einfachgesetzliche Erstreckung der Ausschlussklauseln auf Asylberechtigte ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil der deutsche Gesetzgeber hierdurch seiner Verpflichtung zur innerstaatlichen Umsetzung des Unionsrechts nachgekommen ist. Die Bindung an zwingende Vorgaben einer Richtlinie nach Art. 288 AEUV befindet sich in Übereinstimmung mit den in Art. 23 Abs. 1 genannten Rechtsgrundsätzen des Grundgesetzes, solange die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Union generell gewährleistet, der dem vom Grundgesetz jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. März 2007 - 1 BvF 1/05 - BVerfGE 118, 79 <95 ff.>). Dass dieser unabdingbar gebotene Grundrechtsschutz auf unionsrechtlicher Ebene in Bezug auf das Asylrecht generell nicht gewährleistet wäre, kann angesichts des in Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbürgten Rechts auf Asyl und der dem Schutzstandard der Genfer Flüchtlingskonvention verpflichteten Bestimmungen der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. etwa Erwägungsgründe 3 und 17 der Richtlinie) nicht angenommen werden. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts hat zwar nicht die Nichtigkeit entgegenstehenden nationalen Rechts zur Folge. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts ist entgegenstehendes mitgliedstaatliches Recht aber grundsätzlich unanwendbar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2010 - 2 BvR 2661/06 - NJW 2010, 3422). Der Anwendungsvorrang gilt in Deutschland allerdings nur kraft des durch Zustimmungsgesetz zu den Verträgen erteilten Rechtsanwendungsbefehls. Er reicht für in Deutschland ausgeübte Hoheitsgewalt daher nur so weit, wie die Bundesrepublik Deutschland dieser Kollisionsregel zugestimmt hat und zustimmen durfte (vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 - 2 BvE 2/08 u.a. - BVerfGE 123, 267 <343>). Innerhalb dieser Grenzen ist das Unionsrecht aber auch bei der Auslegung des Grundgesetzes zu beachten. Dies hat hier zur Folge, dass mit der Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG das Grundrecht auf Asyl richtlinienkonform auszulegen ist und die Ausschlussklauseln selbst im Falle einer nicht durch richtlinienkonforme Auslegung oder Rechtsfortbildung dieses Grundrechts behebbaren Kollision jedenfalls über den Anwendungsvorrang des vom nationalen Gesetzgeber umgesetzten Unionsrechts beachtlich sind.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 179/10
vom
28. Oktober 2010
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
1. Eine in Deutschland tätige Teilorganisation einer ausländischen Vereinigung ist
nur dann als eigenständige inländische Vereinigung im Sinne der §§ 129, 129a
StGB anzusehen, wenn die Gruppierung für sich genommen alle für eine Vereinigung
notwendigen personellen, organisatorischen, zeitlichen und voluntativen
Voraussetzungen erfüllt.
2. Hieraus folgt, dass die inländische Teilgruppierung ein ausreichendes Maß an organisatorischer
Selbstständigkeit aufweisen und einen eigenen, von der ausländischen
(Haupt-)Organisation unabhängigen Willensbildungsprozess vollziehen
muss, dem sich ihre Mitglieder unterwerfen. Hierfür reicht es nicht aus, dass die
Mitglieder der inländischen Teilgruppe lediglich Einigkeit darüber erzielen, sich
dem Willen der Gesamtorganisation unterzuordnen; erforderlich ist vielmehr, dass
sich der für eine Vereinigung konstitutive, auf deren Zwecke bezogene Willensbildungsprozess
in seiner Gesamtheit in der inländischen Gruppierung vollzieht.
BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 3 StR 179/10 - OLG Frankfurt am Main
in der Strafsache
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Oktober
2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 1. Dezember 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an einen anderen Senat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Der Angeklagte beanstandet mit seiner hiergegen gerichteten Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht an.
2
1. Der Verurteilung liegt zu Grunde, dass der Angeklagte von Juli 2004 bis Juni 2007 in Deutschland nacheinander insgesamt drei Gebiete der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkeren Kurdistan - PKK) leitete.
3
Im Einzelnen hat das Oberlandesgericht hierzu folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
a) Ziel der im Jahre 1978 gegründeten PKK war es zunächst, in den kurdischen Siedlungsgebieten in der Türkei, in Syrien, im Irak und im Iran einen sozialistischen kurdischen Nationalstaat unter ihrer alleinigen Führung zu errichten. Sie verstand sich als straff organisierte, zentralistisch geführte, den Zielen des Marxismus/Leninismus verpflichtete Kaderorganisation und erachtete die Anwendung "revolutionärer Gewalt" als legitim. Im Jahre 1984 begann sie einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat. Die Auseinandersetzungen wurden von beiden Seiten mit großer Härte geführt und forderten insbesondere unter der Zivilbevölkerung zahlreiche Opfer.
5
Nachdem die Kämpfe die PKK ihrem Ziel nicht entscheidend näher gebracht hatten, erklärte ihr Führer Abdullah Öcalan 1996/1997, es sei auch ein "bundesstaatliches Modell nach Schweizer Vorbild" vorstellbar. Öcalan wurde im Februar 1999 festgenommen. Aus diesem Anlass wurden die Parteiziele weiter modifiziert; es sollte nunmehr nur noch die Wahrung der kurdischen Identität durch Erhaltung der sozialen und kulturellen Eigenständigkeit der kurdischen Bevölkerung innerhalb der staatlichen Ordnung der Türkei in friedlichem Ausgleich mit dem türkischen Staat und auf demokratischem Wege erreicht werden. Im Juni 1999 wurde Öcalan in der Türkei wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Im August 1999 erklärte die PKK den Guerillakampf einseitig für beendet und ordnete den Rückzug ihrer Verbände aus der Türkei an. Die bewaffneten Einheiten zogen sich daraufhin vor allem in den Nordirak zurück und gliederten sich als "Volksverteidigungskräfte" (Hezen Parastina Gel - HPG) neu. Diese "Friedenslinie" diente vorrangig dazu, das Leben Öcalans zu retten.
6
Im April 2002 wurde der "Freiheits- und Demokratiekongress Kurdistans" (Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistane - KADEK) gegründet, der sich unter Aufrechterhaltung von Strukturen und Zielen der PKK als deren Nachfolger verstand. Die gegen Öcalan verhängte Todesstrafe wurde im Oktober 2002 in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt. Der KADEK beschloss im Oktober 2003 seine Auflösung; gebildet wurde nunmehr der "Volkskongress Kurdistans" (Kongra Gele Kurdistan - KONGRA-GEL), dessen politischen Willen die HPG unterstellt wurden. Diese kündigten den "Waffenstillstand" mit der Türkei zum 1. Juni 2004 auf. In der Folgezeit eskalierten die gewalttätigen Auseinandersetzungen und forderten auf beiden Seiten vermehrt Todesopfer.
7
Im April 2005 bildete sich nach den Vorgaben Öcalans eine "neue PKK", die sich als ideologische und philosophische Bewegung verstand und die ebenfalls von Öcalan entwickelte Idee eines "Demokratischen Konföderalismus Kurdistans" mit Hilfe des KONGRA-GEL umsetzen wollte. Hierzu wurde im Mai 2005 die "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (Koma Komalen Kurdistan - KKK) gegründet; die KKK-Vereinbarung vom 17. Mai 2005 enthält grundlegende Regelungen in Form einer Verfassung. U. a. werden in Art. 19 die "Gebiete Europa und GUS" als Landesteile behandelt. Im Jahre 2007 verstärkten sich die militärischen Auseinandersetzungen zwischen den HPG und der türkischen Armee erneut. Der KKK benannte sich in "Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans" (Koma Civaken Kurdistan - KCK) um; die KKK-Verein-barung wurde durch das KCK-Abkommen vom 25. Mai 2007 fortgeschrieben.
8
Die PKK verlegte schon wenige Jahre nach ihrer Gründung zahlreiche Aktivitäten ins Ausland, um dem massiven Verfolgungsdruck in der Türkei auszuweichen. Sie warb in Deutschland und anderen Regionen Westeuropas um Mitglieder und Sympathisanten, die zur finanziellen Unterstützung der Partei und ihrer Kader verpflichtet wurden, und betrieb intensiv die Rekrutierung von Nachwuchs sowohl für Kader als auch für die in der Türkei operierende Guerilla. Zur Organisierung ihrer in Europa lebenden Anhänger und zur Propagierung ihrer Ziele gründete die PKK im Jahre 1985 die "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (Eniya Rizgariya Netewa Kurdistan - ERNK). Der Europaführung der PKK gelang es, eine straffe Organisationsstruktur zu errichten und viele der in Europa lebenden Kurden für die Ziele der Partei zu gewinnen. Ihren uneingeschränkten Führungs- und Alleinvertretungsanspruch setzte die PKK vor allem zwischen 1984 und 1988 auch durch die Begehung von Tötungsdelikten an sog. Verrätern bzw. Abweichlern um.
9
Der hierdurch hervorgerufene Verfolgungsdruck sowie der Wunsch nach einer Stärkung der Effizienz der Parteiarbeit veranlasste die PKK zu Beginn der 1990er Jahre, die Organisation in Europa noch fester und straffer zu gliedern. Träger war ein aus professionellen Kadern bestehender Funktionärskörper mit der "Europäischen Frontzentrale" (Avrupa Cephe Merkezi - ACM) an der Spitze. Im Jahre 2000 wurde die ERNK aufgelöst und durch die "Kurdische Demokratische Volksunion" (Yekitiya Demokratika Gele Kurd - YDK) ersetzt; an deren Stelle trat 2004 die "Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft" (Koordinasyon Civata Demokratik a Kurdistan - CDK).
10
Dementsprechend folgten auf den ACM zunächst der YDK-Rat und sodann der CDK-Rat bzw. die CDK-Koordinierung. Diesem Gremium stand die sog. Zentrale oder auch Exekutive vor, die aus dem Europaverantwortlichen sowie einigen weiteren engen Vertrauten Öcalans bestand und für die Leitung der laufenden Geschäfte zuständig war. Ihr oblag es, die Ziele, Vorgaben und Personalentscheidungen der Parteiführung gegenüber den nachgeordneten Einheiten durch individuelle und generelle Anweisungen durchzusetzen. Unterhalb dieser Führungsebene war Europa überwiegend in Regionen (Eyalet), Gebiete (Bölge), Räume (Alan) und Stadtteile (Semt) eingeteilt. Für jede Organisationseinheit wurde von der Führung ein Verantwortlicher eingesetzt, für Regionen und Gebiete waren dies in der Regel durch die Partei alimentierte professionelle Kader. Diese wechselten regelmäßig ihre Funktionen und verhielten sich in hohem Maße konspirativ.
11
In Deutschland gab es seit 2002 mit einer kurzen Unterbrechung im Jahre 2007 drei Sektoren (Süd, Mitte und Nord), denen etwa 25 Gebiete nachgeordnet waren; zeitweise übte ein Sektorleiter auch die Funktion eines sog. Deutschlandkoordinators aus. Die Tätigkeit der PKK in Deutschland war von Beginn an auf die Unterstützung der militärischen und politischen Auseinandersetzung mit dem türkischen Staat ausgerichtet. Hierfür stellten die Organisationseinheiten der PKK in Europa die Finanzmittel, rekrutierten Nachwuchs für den Guerillakampf und betrieben Propaganda, um die öffentliche Meinung zu Gunsten der PKK zu beeinflussen. Es wurden verschiedene Aufgabenbereiche (Finanzen, Außenbeziehungen, Öffentlichkeitsarbeit u.a.) gebildet, die ihre Aufgaben nach den Vorgaben der Europazentrale zu erfüllen hatten.
12
Besondere Bedeutung kam dabei dem Bereich Finanzen zu. Die erforderlichen Geldmittel erzielte die Organisation vor allem durch eine jährlich durchgeführte "Spendenkampagne". Die zu leistenden Zahlungen wurden auf der Grundlage verbindlicher Zielvorgaben der Europaführung für die einzelnen Strukturebenen nach der finanziellen Leistungsfähigkeit des Einzelnen festgelegt ; in der Regel wurde ein Monatsgehalt verlangt. Die führenden Funktionäre und Kader führten die Aktionen durch, überwachten sie und hatten dafür zu sorgen, dass die Vorgaben der Europaführung erfüllt wurden. Raumverantwortliche und "Frontarbeiter" suchten die ortsansässigen Kurden in Deutschland auf und forderten die Gelder ein. Aufgrund der hohen Planvorgaben standen vor allem die Gebietsleiter sowie die sonstigen Kader und Aktivisten an der Front unter erheblichem Erfolgsdruck. Die eingesammelten Gelder sowie weitere Beiträge und Einnahmen aus Publikationen waren an das unmittelbar an die Europaführung angebundene "Wirtschafts- und Finanzbüro" (Ekonomi Razi Buroya Iliskin - EMB) zu übermitteln.
13
Im November 1993 gingen Mitglieder und Sympathisanten der PKK weisungsgemäß dazu über, in Deutschland Brandanschläge auf türkische Geschäfte , Banken, Vereinslokale und ähnliche Versammlungsstätten zu verüben. Diese Aktivitäten führten dazu, dass der PKK und der ERNK die Betätigung in Deutschland durch Verfügung des Bundesministers des Innern vom 22. November 2002 vereinsrechtlich verboten wurde; das Verbot wurde später auf die Nachfolgeorganisationen erstreckt. In der Folge kam es zu von der Europaführung zentral gesteuerten Protestwellen mit gewalttätigen Ausschreitungen, Autobahnblockaden , Brandanschlägen und Verwüstungsaktionen. Öcalan bezeichnete noch in der ersten Hälfte des Jahres 1996 Deutschland als den "Feind Nr. 2" nach der türkischen Republik.
14
Nachdem die Führung der PKK erkannt hatte, dass diese Aktivitäten in Deutschland den Zielen der Partei abträglich waren, stellte Öcalan das gewaltsame Vorgehen in Deutschland als einen auf einem Missverständnis seiner Anordnungen beruhenden Fehler dar und wies seine Organisation im August 1996 an, alle Gewaltaktionen in Westeuropa einzustellen. Diese Anweisung wurde in der Folgezeit - mit Ausnahme von Besetzungsaktionen im Februar 1999 im Zusammenhang mit der Festnahme Öcalans - befolgt.
15
Die Organisationsstruktur der Partei und deren Ziele bestanden allerdings fort. Die von Öcalan in der Öffentlichkeit verkündete "Garantie", die Mitglieder der PKK würden sich künftig in Deutschland gesetzestreu verhalten, wurde nicht eingelöst:
16
Es wurde ein Arbeitsbereich "heimatgerichtete Aktivitäten" gebildet, dem vor allem die Unterstützung der Guerillakämpfer und der Parteigliederungen in den Heimatgebieten, die Rekrutierung von Nachwuchs, die Beschaffung von Ausrüstungsgegenständen sowie die Organisierung eines Kurierdienstes und von Reisen oblag. Die Grundentscheidungen über diese Aktivitäten traf die Europaführung , die entsprechende Anweisungen an das "Heimatbüro" sowie an die Leiter der Sektoren, Regionen und der Basisorganisationen erließ. Die Europaführung ihrerseits war Adressat von Anordnungen der Parteiführung in der Heimat, die etwa Reisen von Kadern und sonstigen Parteimitgliedern nach Europa zum Gegenstand hatten. Die systematische Durchführung grenzüberschreitender Reisebewegungen wurde mit Hilfe von Straftaten der Urkundenfälschung insbesondere in Form der Verfälschung von Ausweisen und Pässen und solchen des Einschleusens von Ausländern begangen.
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Daneben nahm die PKK für sich eine Strafgewalt in Anspruch und setzte diese über die Strukturen der Organisation um. Es entwickelte sich bereits in den 1980er Jahren eine Disziplinierungs- und Bestrafungspraxis. Opfer waren zum einen sog. Verräter oder Abweichler, d. h. Angehörige der Organisation oder außenstehende Personen, die durch ein als parteischädigend bewertetes Verhalten aufgefallen waren. Zum anderen maßte sich die PKK eine Strafgewalt im Zusammenhang mit dem Eintreiben von "Spenden" und sonstigen Geldern an und ging mit Drohungen und Gewalt gegen Zahlungsunwillige und Säumige vor. Bei den begangenen Straftaten handelte es sich vor allem um Körperverletzungen, Freiheitsberaubungen, Nötigungen und Bedrohungen. Ab den Jahren 1993/1994 wurde das Strafsystem ausgeweitet; bis 1999 kam es in Deutschland zu zahlreichen Bestrafungsaktionen bis hin zu (versuchten) Tötungsdelikten. Auch nach der Festnahme Öcalans wurde die angemaßte Strafgewalt bis in das Jahr 2007 weiterhin ausgeübt. Formale Grundlage war ein von der PKK auf verschiedenen Parteikongressen beschlossenes und modifiziertes Strafsystem, das mehrere Kategorien von Straftaten vorsah und diese in verschiedene Schweregrade unterteilte.
18
Der Angeklagte war unter dem Decknamen "D. " von Juli 2004 bis Juni 2007 ununterbrochen als hauptamtlicher Kader mit der Funktion eines Gebietsverantwortlichen für die PKK tätig. In der Zeit von Juli 2004 bis Ende Mai 2005 leitete er das Gebiet N. . Anschließend war er in der Zeit von Juni 2005 bis Juni 2006 für das Gebiet M. zuständig. Von Juli 2006 bis Juni 2007 fungierte er als Leiter des Gebiets Da. . Er nahm die für einen Gebietsverantwortlichen typischen Leitungsaufgaben wahr und regelte die organisatorischen , finanziellen, personellen sowie propagandistischen Angelegenheiten seines jeweiligen Zuständigkeitsbereichs. Z. B. war er in erheblichem Umfang damit befasst, Veranstaltungen der PKK und Zusammenkünfte ihrer Mitglieder und Sympathisanten zu organisieren und zu koordinieren; außerdem stellte er sicher, dass die in seinem Gebiet ansässigen Kurden sich auch an überregionalen Veranstaltungen beteiligten. Er koordinierte die Arbeit der ihm nachgeordneten Kader und Aktivisten; außerdem berichtete er den ihm übergeordneten Kadern - etwa dem damaligen Finanzverantwortlichen der PKK für Europa "S. " - und befolgte deren Anweisungen. Zu seinen wesentlichen Aufgaben gehörte das Eintreiben und Weiterleiten von "Spendengeldern" und sonstigen finanziellen Mitteln. Er war in die Bestrafungs- und Disziplinierungsmaßnahmen der Organisation eingebunden und gab Anweisungen zum Vorgehen gegen säumige oder unwillige "Spendenzahler".
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b) Das Oberlandesgericht hat dieses Verhalten des Angeklagten rechtlich als mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung nach § 129 Abs. 1 StGB gewürdigt. Im Tatzeitraum habe ein in Deutschland auf Dauer angelegter organisatorischer Zusammenschluss von Funktionären der PKK bestanden, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsam kriminelle Zwecke verfolgten und kriminelle Tätigkeiten entfalteten. Zwecke und Tätigkeiten dieser Vereinigung seien darauf gerichtet gewesen, das Erscheinungsbild nach außen prägende und nicht nur un- tergeordnete Straftaten zu begehen, namentlich im Bereich "heimatgerichtete Aktivitäten" Urkundendelikte und Vergehen nach dem Asylverfahrens- und Aufenthaltsgesetz sowie im Bereich Bestrafungs- und Disziplinierungswesen Körperverletzungen , Freiheitsberaubungen, Nötigungen und Bedrohungen. Personelle Träger der kriminellen Vereinigung seien die Mitglieder der Europazentrale , die Sektor- und Gebietsleiter sowie weitere mit Sonderzuständigkeiten ausgestattete Kader gewesen; der Angeklagte habe als Gebietsverantwortlicher zu diesem Kreis gezählt.
20
2. Diese Wertung hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand; denn die Feststellungen belegen nicht, dass die in Deutschland tätigen Führungskader der PKK im Tatzeitraum eine - im Verhältnis zur Gesamtorganisation eigenständige - kriminelle Vereinigung nach § 129 StGB bildeten.
21
a) Die rechtliche Einordnung des inländischen Funktionärskörpers der PKK durch das Oberlandesgericht entspricht allerdings der bisherigen ständigen Rechtsprechung. Danach galt:
22
aa) Als Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB ist der auf eine gewisse Dauer angelegte, freiwillige organisatorische Zusammenschluss von mindestens drei Personen zu verstehen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen (st. Rspr.; s. aus neuerer Zeit BGH, Beschluss vom 17. März 1999 - 3 ARs 2/99, BGHSt 45, 26, 35; Urteil vom 10. März 2005 - 3 StR 233/04, NJW 2005, 1668; Beschluss vom 10. Januar 2006 - 3 StR 263/05, NJW 2006, 1603; Beschluss vom 20. Dezember 2007 - StB 12, 13 und 47/07, BGHR StGB § 129 Vereinigung 3; Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 107 ff.). Das notwendige voluntative Element ist regelmäßig hinreichend belegt, wenn festgestellt ist, dass die Mitglieder der Organisation nicht nur kurzfristig ein gemeinsames Ziel verfolgen, das über die Begehung der konkreten Straftaten hinausgeht, auf welche die Zwecke oder Tätigkeit der Gruppe gerichtet sind, und hierbei - etwa im Rahmen der Vorbereitung oder der Verwirklichung dieser Straftaten - koordiniert zusammenwirken (BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216).
23
Der Senat hat in der jüngeren Vergangenheit in mehreren Entscheidungen deutlich gemacht, dass auch mit Blick auf Rechtsakte der Europäischen Union an dieser Umschreibung einer kriminellen Vereinigung festzuhalten ist und es gegebenenfalls dem Gesetzgeber obliegt, als erforderlich angesehene Modifikationen vorzunehmen (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2007 - StB 12, 13 und 47/07, BGHR StGB § 129 Vereinigung 3; Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 110 f.; Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 221 f.). Dies gilt fort.
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bb) Vor Inkrafttreten des durch das 34. Strafrechtsänderungsgesetz vom 22. August 2002 (BGBl. I S. 3390) in das Strafgesetzbuch eingefügten § 129b StGB am 30. August 2002 war ein organisationsbezogenes Verhalten mit Blick auf den räumlichen Geltungsbereich des Verbots nach Art. 9 Abs. 2 GG, an das die §§ 129, 129a StGB anknüpfen, nur dann nach diesen Vorschriften strafbar, wenn es sich auf eine Vereinigung bezog, die innerhalb der Bundesrepublik Deutschland bestand (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteil vom 12. Oktober 1965 - 3 StR 15/65, NJW 1966, 310, 311; Beschlüsse vom 5. Januar 1982 - StB 53/81, BGHSt 30, 328; vom 17. März 1999 - 3 ARs 2/99, BGHSt 45, 26, 35; vom 10. Januar 2002 - AK 22/01). Hierfür reichte es indes aus, dass eine ausländische Gruppierung eine Teilorganisation in Deutschland unterhielt, die ihrerseits die Voraussetzungen einer Vereinigung erfüllte. Nicht erforderlich war es jedoch, dass sich auch die gruppeninterne Willensbildung autonom innerhalb der inländischen Teilorganisation vollzog; vielmehr genügte es, wenn deren Mitglieder in die Willensbildung der ausländischen Organisation integriert waren und sich den auf dieser Ebene getroffenen Entschlüssen gegebenenfalls unter Zurückstellung ihrer individuellen Meinungen unterwarfen, sie mithin von der ausländischen (Haupt-)Vereinigung "gelenkt" wurden (BGH, Urteil vom 12. Oktober 1965 - 3 StR 15/65, NJW 1966, 310, 311; Beschluss vom 12. Oktober 2001 - AK 14/01).
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cc) In Anwendung dieser Maßstäbe wurden die in Deutschland agierenden Führungskader der PKK als eigenständige Vereinigung angesehen (s. etwa BGH, Beschlüsse vom 11. August 1999 - AK 10, 11/99, BGHR StGB § 129 Straftaten 1; vom 20. Dezember 2001 - AK 21/01, BGHR StGB § 129 Straftaten 2; vom 10. Januar 2002 - AK 22/01; vom 18. Januar 2002 - AK 1/02). Für die Zeit von November 1993 bis August 1996 galt die Gruppierung als terroristische Vereinigung nach § 129a StGB aF, da ihre Zwecke und Tätigkeit insbesondere auch auf die Begehung von Straftaten nach § 129a Abs. 1 Nr. 3 StGB aF, etwa Brandstiftungsdelikte, gerichtet waren (s. etwa BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2007 - AK 15/07). Für die Zeit danach wurde der führende inländische Funktionärskörper der PKK als kriminelle Vereinigung nach § 129 StGB eingestuft, wobei die Zwecke und Tätigkeit sich bis etwa Ende 1999 auf drei Bereiche von Straftaten richteten, namentlich demonstrative Gewalttaten und Delikte im Zusammenhang mit den Aktivitäten des "Heimatbüros" sowie mit der angemaßten Strafgewalt. Ab Anfang 2000 bezogen sich die Zwecke und Tätigkeit der in Deutschland agierenden Führungsebene jedenfalls noch auf Straftaten in den Bereichen "Heimatbüro" und Strafsystem (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 - 3 StR 94/04, BGHSt 49, 268).
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dd) Die Strafverfolgungspraxis hat diese Maßstäbe auch nach Inkrafttreten des § 129b StGB angewendet und den im Inland tätigen führenden Funktio- närskörper der PKK bzw. deren Nachfolge- und Unterorganisationen weiterhin als inländische Vereinigung bewertet. Der Senat hat diese Würdigung bisher in mehreren Entscheidungen (s. etwa BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 - 3 StR 94/04, BGHSt 49, 268, 274; Beschlüsse vom 11. November 2004 - AK 13/04, insoweit in BGHR StGB § 129 Strafzumessung 1 nicht abgedruckt; vom 2. Oktober 2007 - AK 15/07; vom 12. Februar 2009 - AK 1/09; vom 9. April 2009 - AK 7/09) - darunter auch einem Haftfortdauerbeschluss in dem vorliegenden Verfahren (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 - AK 16/08) - auf der jeweiligen Grundlage der tatgerichtlichen Feststellungen bzw. der Ermittlungsergebnisse gebilligt.
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b) Hieran hält der Senat nicht länger fest. Er sieht sich vielmehr vor allem mit Blick auf die durch die Einfügung des § 129b StGB in das Strafgesetzbuch veränderte Rechtslage zu folgender neuen rechtlichen Bewertung veranlasst (s. schon BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - StB 5/10, NJW 2010, 3042):
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Eine in Deutschland tätige Teilorganisation einer ausländischen Vereinigung ist nur dann als eigenständige inländische Vereinigung im Sinne der §§ 129, 129a StGB anzusehen, wenn die Gruppierung für sich genommen alle für eine Vereinigung notwendigen personellen, organisatorischen, zeitlichen und voluntativen Voraussetzungen erfüllt. Hieraus folgt insbesondere auch, dass die inländische Teilgruppierung ein ausreichendes Maß an organisatorischer Selbstständigkeit aufweisen und einen eigenen, von der ausländischen (Haupt )Organisation unabhängigen Willensbildungsprozess vollziehen muss, dem sich ihre Mitglieder unterwerfen. Hierfür reicht es nicht aus, dass die Mitglieder der inländischen Teilgruppe lediglich Einigkeit darüber erzielen, sich dem Willen der Gesamtorganisation unterzuordnen; erforderlich ist vielmehr, dass sich der für eine Vereinigung konstitutive, auf deren Zwecke bezogene Willensbildungsprozess in seiner Gesamtheit in der inländischen Gruppierung vollzieht. Aus die- sem Grund wird das für die Annahme einer Vereinigung notwendige voluntative Element in Bezug auf die Teilorganisation auch nicht allein dadurch hinreichend belegt, dass die Mitglieder dieser Gruppe mittel- oder langfristig ein gemeinsames , politisch/ideologisches Ziel verfolgen, wenn dieses Ziel von der Gesamtorganisation vorgegeben wird.
29
Dies beruht auf folgenden Erwägungen:
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aa) § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB bestimmt, dass die §§ 129, 129a StGB auch für Vereinigungen im Ausland gelten. Die Vorschrift erfasst - soweit hier von Bedeutung - jede Beteiligung an einer ausländischen kriminellen oder terroristischen Vereinigung durch eine im Inland ausgeübte Tätigkeit, ohne dass es darauf ankommt, ob in Deutschland Organisationsstrukturen der ausländischen Vereinigung vorhanden sind. Das Handeln des Täters im Inland wird typischerweise durch seine Einbindung in die ausländische Organisation und seine Unterwerfung unter die auf deren Ebene getroffenen Entscheidungen bestimmt. Dabei macht es für die Strafbarkeit wegen der Tätigkeit für eine ausländische Vereinigung keinen Unterschied, ob es bei dem isolierten Handeln eines Einzelnen verbleibt oder ob die Vorgaben der Gesamtorganisation ein Zusammenwirken bedingen; denn allein aus einer solchen gemeinschaftlichen Beteiligungshandlung im Inland lässt sich das Bestehen einer gesonderten inländischen Vereinigung im Sinne der §§ 129, 129a StGB, die neben die ausländische Organisation tritt, nicht ableiten.
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bb) Bilden die in Deutschland handelnden Mitglieder einer ausländischen Vereinigung keinen eigenständigen Gesamtwillen, so weist die Tat auch keinen Unrechtsgehalt auf, der über den bereits von § 129b StGB erfassten hinausgeht. Strafgrund der §§ 129 ff. StGB ist die erhöhte kriminelle Intensität, die in der Gründung und Fortführung einer festgefügten Organisation ihren Ausdruck findet, die kraft der ihr innewohnenden Eigendynamik eine erhöhte abstrakte Gefährlichkeit für wichtige Güter der Gemeinschaft mit sich bringt (BGH, Urteil vom 22. Februar 1995 - 3 StR 583/94, BGHSt 41, 47, 51). Diese größere Personenzusammenschlüsse kennzeichnende Eigendynamik hat ihre besondere Gefährlichkeit darin, dass sie geeignet ist, dem einzelnen Beteiligten die Begehung von Straftaten zu erleichtern und bei ihm das Gefühl persönlicher Verantwortung zurückzudrängen (BGH, Urteil vom 11. Oktober 1978 - 3 StR 105/78, BGHSt 28, 147, 148 f.). Für das Entstehen dieser typischerweise von den einzelnen Mitgliedern der Vereinigung nicht mehr voll steuerbaren Eigendynamik sind vor allem die eine bestimmte Festigkeit aufweisende innere Organisationsstruktur sowie die auf Dauer angelegte organisierte Willensbildung von Belang. Besteht eine ausländische, diese Merkmale aufweisende kriminelle oder terroristische Vereinigung, so wird deshalb der vereinigungsspezifische Unrechtsgehalt der Tat bereits durch deren Ahndung unter diesem Gesichtspunkt erfasst. Für eine zusätzliche - gegebenenfalls tateinheitlich neben den Schuldspruch nach § 129b StGB tretende - Verurteilung nach § 129 oder § 129a StGB ist daher kein Raum. Sie ist mit Blick auf die Betätigung für eine inländische Gruppierung nur dann gerechtfertigt, wenn diese eigenständig alle Voraussetzungen einer Vereinigung erfüllt und aus diesem Grunde die abstrakte Gefahr für die Allgemeinheit erhöht.
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cc) § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB erfordert für die Verfolgung der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und damit die Erfüllung einer besonderen Prozessvoraussetzung. Dies gilt auch dann, wenn die Tat durch eine im Inland ausgeübte Tätigkeit begangen wird. Zweck des Ermächtigungsvorbehalts ist es insbesondere, der Exekutive die Möglichkeit einzuräumen, auf die Durchführung eines Strafverfahrens zu verzichten, wenn dieses unverhältnismäßige außenpo- litische Nachteile mit sich bringen würde (BT-Drucks. 14/8893 S. 17; Altvater NStZ 2003, 179, 181). Es entspricht somit der Grundentscheidung des Gesetzgebers, die Verfolgung einer Tat im Sinne des § 129b Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB von der Prüfung abhängig zu machen, ob außenpolitische Belange der Bundesrepublik Deutschland berührt sein können. Dieses Erfordernis würde umgangen, wollte man bei einer inländischen Teilorganisation einer ausländischen Gruppierung auf die für eine eigenständige Vereinigung konstitutiven Voraussetzungen auch nur teilweise verzichten.
33
c) Gemessen an diesem Maßstab wird das Bestehen einer eigenständigen inländischen, aus den in Deutschland agierenden Führungskadern der PKK zusammengesetzten kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 StGB durch die vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen nicht belegt; denn diese Gruppierung vollzog nicht einen eigenen, auf die Zwecke der Vereinigung gerichteten Willensbildungsprozess. Damit ist das Willenselement einer Vereinigung nicht gegeben. Der festgestellte Sachverhalt trägt auch nicht die Bewertung , bei der Europaführung der PKK handele es sich um eine eigenständige Vereinigung. Er lässt es vielmehr nahe liegend erscheinen, dass die PKK insgesamt die Voraussetzungen einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Ausland erfüllt, bei welcher der maßgebende Vereinigungswille außerhalb der Bundesrepublik Deutschland gebildet wird und der Schwerpunkt der Strukturen sowie das eigentliche Aktionsfeld in den von Kurden bevölkerten Gebieten in der Türkei, in Syrien, im Irak und im Iran liegen (zu den maßgeblichen Abgrenzungskriterien für die Entscheidung der Frage, ob eine Vereinigung, die sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in anderen Staaten Tätigkeiten entfaltet, als in- oder ausländische Vereinigung zu bewerten ist, vgl. Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 523). Im Einzelnen:
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aa) Die PKK war insgesamt zentralistisch und hierarchisch organisiert. In diesen Aufbau war die Organisation in Deutschland nahtlos eingegliedert. Die in Deutschland agierenden Kader verfolgten aufgrund der gemeinsamen politisch /ideologischen Überzeugung und dem auf dieser Basis unterhaltenen, nach Art, Inhalt und Intensität engem Beziehungsgeflecht zu den im Ausland tätigen Kadern jeweils diejenigen über den bloßen Zweckzusammenhang hinausreichenden politisch/ideologischen Zielsetzungen, die von der Gesamtorganisation vorgegeben wurden. Von deren jeweiligen Vorstellungen abweichende Ziele der inländischen Gruppierung sind nicht festgestellt. Die Endziele der PKK wurden vielmehr von deren Führern entwickelt bzw. auf deren Versammlungen beschlossen. Sie waren für die in Deutschland tätigen Kader verbindlich. Deren hauptsächliche Aufgabe bestand vor allem darin, die von den übergeordneten Führungsebenen erteilten Direktiven umzusetzen und auf diese Weise die PKK insgesamt zu unterstützen. Die wesentlichen Grundsätze der Art und Weise der Umsetzung wurden dabei ebenfalls von der Spitze der PKK vorgegeben. Die enge Verbindung zwischen der im Ausland tätigen Gruppierung und den hiesigen Kadern tritt auch im Hinblick auf die umfangreichen Berichtspflichten zu Tage, mit denen u.a. der wesentliche Einfluss der übergeordneten Funktionäre und Gremien abgesichert wurde. Eine ausreichend eigenständige, auf die Zwecke der PKK bezogene Willensbildung der Kader in Deutschland fand demgegenüber weder bezüglich der - sich im Laufe der Zeit nach den Vorgaben der Gesamtorganisation ändernden - Zielsetzung noch der Wahl der verwendeten Mittel bzw. der durchgeführten Aktionsformen statt. Dies wird deutlich etwa im Bereich der Finanzen, bei dem sich die in Deutschland handelnden Führungsfunktionäre streng nach den ihnen erteilten Direktiven zu richten hatten. Aber z. B. auch in dem Bereich der "heimatgerichteten Aktivitäten" war die inländische Organisation nicht eigenständig tätig. Sie befolgte vielmehr auch hier die Anweisungen der Leitung der Gesamtorganisation, die teilweise sogar Schleusungen im Einzelfall betrafen.
35
Danach verblieb für die inländische Teilorganisation ein Bereich eigenverantwortlicher Entscheidungen nur im Rahmen der Ausführung der vorgegebenen Direktiven; allein dieser limitierte Entscheidungsspielraum konnte durch eine eigenständige Willensbildung der inländischen Unterorganisation ausgefüllt werden. Dies genügt für die Bejahung des Willenselements der Vereinigung nicht.
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bb) Entsprechendes gilt, soweit man - den Ausführungen des Generalbundesanwalts folgend - über das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hinaus den führenden Funktionärskörper der PKK in Westeuropa in den Blick nimmt. Auch diese Gruppierung erfüllt nach den bisherigen Feststellungen die Voraussetzungen einer eigenständigen (Teil-)Vereinigung nicht. Die auf Europaebene tätigen Funktionäre - bei denen es sich jedenfalls zeitweise überwiegend um enge Weggefährten Öcalans handelte - waren zwar den nationalen Teilen der Organisation in Westeuropa übergeordnet und insoweit weisungsbefugt. Sie erhielten ihre Direktiven indes von der Spitze der Gesamtorganisation und waren in deren zentralistisches und hierarchisches System integriert. Für eine ausreichend eigenständige, auf die Zwecke der Vereinigung bezogene Willensbildung der europäischen Führungsgruppe ergeben die bisherigen Feststellungen ebenfalls nichts.
37
cc) Die - auf der Grundlage der vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen erfolgte - Neubewertung der PKK trägt schließlich zu einer insgesamt harmonischeren, in sich stimmigeren Rechtsanwendung in dem Bereich der Vereinigungskriminalität bei; denn im Gegensatz zu der bisher zur PKK vertretenen Auffassung würdigt die Strafverfolgungspraxis Organisationen, die in ihrer Struktur der PKK ähnlich sind, nach Inkrafttreten des § 129b StGB rechtlich insgesamt als terroristische Vereinigung im Ausland. So ist etwa - wie dem Senat aus zahlreichen Verfahren bekannt ist - die DHKP-C (Devrimci Halk Kurtulus Partisi - Cephesi = Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front), eine marxistisch-leninistisch orientierte, wie die PKK hierarchisch und zentralistisch aufgebaute Gruppierung, die das Ziel verfolgt, durch "bewaffneten Kampf" einen Umsturz der politischen Verhältnisse in der Türkei herbeizuführen und dort eine kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten, auch außerhalb der Türkei, insbesondere in Westeuropa, aktiv. Aufgabe der vor allem auch in Deutschland bestehenden Organisationseinheiten ist es - ähnlich der PKK -, finanzielle Mittel zu beschaffen, Nachwuchs zu rekrutieren sowie einen Rückzugsraum für Mitglieder der Organisation zu bilden. Das Bundesministerium der Justiz hat am 29. Juli 2003 die nach § 129b Abs. 1 Satz 3 und 4 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung erteilt. Eine auf den Vorwurf gegründete Strafverfolgung, die in Deutschland aktiven Führungsfunktionäre bildeten eine selbstständige inländische Vereinigung nach den §§ 129, 129a StGB, findet, soweit für den Senat ersichtlich, jedenfalls in den Fällen nicht statt, in denen die Tatzeit nach Inkrafttreten des § 129b StGB liegt. Zwar sollen die Unterschiede zwischen der PKK und der DHKP-C nicht verkannt werden. So sind etwa die jeweiligen Strukturen nicht völlig deckungsgleich und die Funktionäre und Aktivisten der DHKP-C nach der Gewaltverzichtserklärung vom Februar 1999 in Deutschland zunächst nicht mehr nach den §§ 129, 129a StGB, sondern nur wegen eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz strafrechtlich verfolgt worden. Auch genießt die PKK in der Öffentlichkeit eine größere Aufmerksamkeit und die Anzahl ihrer Mitglieder und Sympathisanten ist deutlich größer als bei der DHKP-C. Jedoch rechtfertigen allein diese Umstände eine ungleiche Bewertung der Organisationen als ausländische Vereinigung jedenfalls nach Inkrafttreten des § 129b StGB nicht. Insbesondere wäre eine unter- schiedliche rechtliche Einordnung, die sich im Wesentlichen lediglich auf die verschiedene Größe und Bedeutung der Gruppierung gründen würde, mit den gesetzlichen Vorgaben nicht zu vereinbaren; diese gelten für alle Organisationen in gleicher Weise.
38
3. Eine eigene Sachentscheidung des Senats scheidet aus.
39
Dabei bedarf es keiner näheren Betrachtung, ob die Feststellungen vor dem Hintergrund der vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen rechtsfehlerfrei getroffen worden sind (vgl. zur Frage der Gerichtskundigkeit KK-Fischer, 6. Aufl., § 244 Rn. 137 ff.; LR-Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 208 ff., jeweils mwN). Die Umstellung des Schuldspruchs auf eine Beteiligung des Angeklagten als Mitglied an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129, § 129a jeweils i.V.m. § 129b StGB kommt nicht in Betracht, weil die Feststellungen, die das Oberlandesgericht mit Blick auf eine inländische kriminelle Vereinigung nach § 129 Abs. 1 StGB getroffen hat, keine hinreichende Grundlage für die Bewertung der Organisation als kriminelle oder terroristische Vereinigung im Ausland bilden. Dies gilt sowohl für die PKK insgesamt als auch für deren Organisation in Europa. Soweit sich die Tat möglicherweise auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union bezieht, fehlt es darüber hinaus an der für eine Verfolgung nach § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB erforderlichen Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz; eine solche ist bisher bezüglich der PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen nicht erteilt worden. Im Übrigen ist eine Verurteilung nach § 129 Abs. 1 StGB durch ein neues Tatgericht nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen; denn das Oberlandesgericht hat sich erkennbar an den Maßstäben der bisherigen Rechtsprechung ausgerichtet und bei der Ermittlung des Sachverhalts die nunmehr maßgeblichen Gesichtspunkte nicht im Blick gehabt. Denkbar erscheint es ebenso , dass nach neu zu treffenden Feststellungen die mitgliedschaftliche Be- teiligung an einer kriminellen inländischen Vereinigung in Tateinheit zu einer Beteiligung an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Ausland steht; denn eine Gruppierung kann sich etwa auch in der Art organisieren und strukturieren, dass neben einzelnen regionalen Vereinigungen eine übergeordnete Dach-Vereinigung besteht, und beide Gruppierungen die Kriterien einer Vereinigung erfüllen. Einzelne Mitglieder können sich dann sowohl an der regionalen als auch an der Dach-Vereinigung und damit gegebenenfalls an zwei Vereinigungen beteiligen (BGH, Beschluss vom 30. März 2001 - StB 4, 5/01, BGHSt 46, 349, 354). Schließlich steht einer Umstellung des Schuldspruchs auch § 265 StPO entgegen; denn der Angeklagte hatte vor dem Hintergrund des Anklagevorwurfs, welcher der bisherigen Rechtsprechung entsprach, ohne einen diesbezüglichen Hinweis keine ausreichende Möglichkeit, sich gegen den Vorwurf der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Ausland angemessen zu verteidigen. Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
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4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgende Gesichtspunkte hin:
41
a) Die Verfolgungsermächtigung nach § 129b Abs. 1 Satz 3, 4 StGB ist als Prozessvoraussetzung einzuordnen (Altvater NStZ 2003, 179, 182); sie kann deshalb auch noch während des laufenden Strafverfahrens wirksam erteilt werden.
42
b) Der möglichen Beteiligung des Angeklagten an einer ausländischen Vereinigung als Mitglied stünde gegebenenfalls nicht grundsätzlich entgegen, dass er sich im Inland und damit außerhalb des unmittelbaren Betätigungsgebiets der Kernorganisation aufhielt. In einem solchen Fall bedürfen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Mitgliedschaft zwar besonderer Prüfung (BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 112 f.); dies bedeutet indes nicht, dass sie von vornherein ausgeschlossen sind. Maßstab sind auch in diesen Fallkonstellationen die allgemeinen Kriterien für eine mitgliedschaftliche Beteiligung an einer Vereinigung (BGH aaO).
43
5. Obwohl es sich nach den bisherigen Feststellungen bei dem Angeklagten um einen Gebietsverantwortlichen und damit um einen Führungskader der Organisation handelte, sieht der Senat vorsorglich Anlass zu folgender Bemerkung :
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Anhaltspunkte dafür, dass bezüglich der Mitgliedschaft in der Vereinigung zwischen einem Kreis herausgehobener Funktionäre bzw. Kadern einerseits und den sonstigen Angehörigen zu differenzieren ist, sind den bisherigen Feststellungen in Ansehung der Struktur der PKK bzw. ihrer Nachfolgeorganisationen nicht zu entnehmen. Der Senat hat die entsprechende Unterscheidung zwar bisher gebilligt und entschieden, dass dann, wenn nur ein Kern der Gruppierung strafrechtlich relevante Ziele verfolgt, lediglich dieser eine kriminelle Vereinigung bildet; die außenstehenden weiteren Mitglieder der Gruppierung können dann aber Unterstützer der Vereinigung sein (BGH, Beschluss vom 17. März 1999 - 3 ARs 2/99, BGHSt 45, 26, 36 = NJW 1999, 1876, 1878). Es ist jedoch kein ausreichender sachlicher Grund dafür erkennbar, denjenigen, der sich in Kenntnis von Zielen, Programmatik und Methoden der Organisation dieser anschließt und in ihr betätigt, allein deshalb nicht als Mitglied der Vereinigung einzustufen, weil er nicht dem Kreis der führenden Funktionäre angehört (BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 3 StR 214/10). Dies entspräche auch nicht den Vorstellungen und dem Willen des Gesetzgebers, der etwa anlässlich der Einfügung des § 153c Abs. 1 Nr. 3 StPO als Beispiel für untergeordnete , den Tatbestand gleichwohl erfüllende Beteiligungshandlungen die Entrichtung von Mitgliedsbeiträgen oder die Vornahme einfacher Hilfsdienste, mit- hin Tätigkeiten mit weit geringerem Gewicht als die Ausübung einer Führungsfunktion , genannt hat (BT-Drucks. 14/8893, S. 10; LK-Krauß, 12. Aufl., § 129b Rn. 38). Die Einstufung der PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL als terroristische Vereinigung durch die Europäische Union (vgl. aus der neueren Zeit Gemeinsamer Standpunkt 2009/ 468/GASP des Rates vom 15. Juni 2009 zur Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Gemeinsamen Standpunkts 2009/67/GASP, Anhang Ziffer 2. 25., ABl. L 151/49; Beschluss 2010/386/GASP des Rates vom 12. Juli 2010 zur Aktualisierung der Liste der Personen, Vereinigungen und Körperschaften, auf die die Artikel 2, 3 und 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus Anwendung finden, Anhang Ziffer 2. 16., ABl. L 178/28) enthält ebenfalls keine Einschränkung auf einen bestimmten Personenkreis innerhalb der Organisation. Der Senat verkennt mit Blick auf die große Zahl der in Deutschland für die PKK und ihre Nachfolgesowie Teilorganisationen aktiven Personen zwar nicht, dass nach dieser Maßgabe der Kreis potentieller Beschuldigter unter Umständen deutlich größer werden und der Unrechtsgehalt der Tat sowie das Maß des Verschuldens stark unterschiedlich zu bewerten sein kann. Diesen Umständen wird - gegebenenfalls etwa durch Anwendung der § 129 Abs. 5, § 129a Abs. 6 StGB, §§ 153b, 153c StPO - im Einzelfall angemessen Rechnung zu tragen sein.
Becker Pfister von Lienen Hubert Schäfer

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.