Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 02. Sept. 2015 - 6 B 808/15
Gericht
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die im November 2013 ausgeschriebenen zehn Beförderungsplanstellen (Fachlehrer an Förderschulen) der Besoldungsgruppe A 10 LBesO mit den Beigeladenen zu besetzen, bis über die Bewerbung der Antragstellerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen der Antragsgegner und die Beigeladenen zu 2. und 5. jeweils zu 1/3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Antragsgegner und die Beigeladene zu 2. jeweils zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. bis 10. tragen diese in beiden Rechtszügen jeweils selbst.
Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für beide Rechtszüge jeweils auf die Wertstufe bis 13.000 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Die Beschwerde hat Erfolg.
3Die von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe rechtfertigen es, ihrem mit der Beschwerde weiter verfolgten erstinstanzlichen Antrag zu entsprechen und den angefochtenen Beschluss zu ändern.
4Die Antragstellerin hat entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts die tatsächlichen Voraussetzungen eines ihren Antrag stützenden Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Die Auswahlentscheidung des Antragsgegners zugunsten der Beigeladenen ist rechtswidrig und verletzt den Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin. Sie beruht auf einem rechtsfehlerhaften Qualifikationsvergleich, weil ihre aus Anlass der Bewerbung um die in Rede stehenden Beförderungsplanstellen erstellte Beurteilung vom 15. Juni 2014, auf welche die Entscheidung gestützt ist, zu beanstanden ist.
5Dienstliche Beurteilungen sind von den Verwaltungsgerichten nur beschränkt überprüfbar. Die Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich darauf zu beschränken, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Soweit der Dienstherr Richtlinien für die Abgabe dienstlicher Beurteilungen erlassen hat, ist vom Gericht auch zu prüfen, ob die Richtlinien eingehalten worden sind und ob sie mit den gesetzlichen Regelungen im Einklang stehen.
6Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2002 - 2 C 31.01 -, NVwZ 2003, 1398.
7Einer Überprüfung nach diesen Maßgaben hält die Anlassbeurteilung der Antragstellerin nicht stand, weil sie nicht im Einklang mit Nr. 4.2 Satz 1 der Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Lehrkräfte sowie der Leiterinnen und Leiter an öffentlichen Schulen und Studienseminaren, RdErl. des Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder vom 2. Januar 2003, ABl. NRW. S. 7, BASS 21 - 02 Nr. 2 (im Folgenden: BRL) steht. Danach muss der Zeitraum, auf den sich die Beurteilung bezieht, aus der Beurteilung erkennbar sein. Dafür genügt es, dass aus der Beurteilung der Zeitraum, auf den sich diese bezieht, im Wege der Auslegung zu ermitteln ist.
8Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 15. August 2014 - 6 B 600/14 -, juris, und vom 8. Juni 2012 - 6 B 480/12 -, juris, sowie Urteil vom 16. Mai 2012 - 1 A 499/09 -, mit weiteren Nachweisen.
9Dabei ist ausgehend vom Empfängerhorizont an objektive Anhaltspunkte anzuknüpfen. Nicht entscheidend ist demgegenüber ein gegebenenfalls abweichender, objektiv aber nicht zum Ausdruck gekommener innerer Wille des Beurteilers. Wenn es im Einzelfall an hinreichenden objektiven Anhaltspunkten dazu fehlt, wie der der Beurteilung zugrunde liegende Zeitraum eingegrenzt ist, kann die Auslegungsregel greifen, dass zur Vermeidung einer Beurteilungslücke „im Zweifel" beabsichtigt sein dürfte, unmittelbar an den Zeitraum der letzten Vorbeurteilung anzuknüpfen.
10Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 15. August 2014 - 6 B 600/14 -, juris, vom 23. April 2013 - 6 B 285/13 -, vom 8. Juni 2012 - 6 B 480/12 - und vom 7. Juni 2011 - 6 B 544/11 -, jeweils juris.
11Im Streitfall lässt sich der Anlassbeurteilung der Antragstellerin der Zeitraum, auf den sie sich bezieht, nicht, geschweige denn hinreichend verlässlich entnehmen. Sie enthält keine objektiven Anhaltspunkte, anhand derer der Beurteilungszeitraum eingegrenzt werden könnte. Die Beurteilerin, Schulleiterin Dr. Q. , hat für die Beurteilung das den Beurteilungsrichtlinien als Anlage 2 beigefügte Muster verwandt (vgl. Nr. 4.1 BRL). Entgegen der dortigen Vorgabe hat sie unter Ziff. 2 der Beurteilung das „Datum der letzten Beurteilung“ nicht angegeben, sondern einen waagerechten Strich eingefügt. Auch der weitere Inhalt der Beurteilung ist in Bezug auf den ihr zu Grunde liegenden Zeitraum ohne hinreichenden Aussagewert.
12Dies stellt auch der Antragsgegner nicht in Abrede. Er meint vielmehr, er könne sich auf die genannte Auslegungsregel berufen, so dass die Anlassbeurteilung der Antragstellerin an den Zeitraum der letzten - mithin der aus Anlass des Ablaufs ihrer Probezeit unter dem 26. November 1993 erstellten - Beurteilung anknüpfe. Die Auslegungsregel greift in Anbetracht der vorliegend gegebenen Einzelfallumstände jedoch nicht.
13Gegen die Absicht der Beurteilerin, unmittelbar an den von der Vorbeurteilung erfassten Zeitraum anzuknüpfen, spricht bereits der Umstand, dass sie in der aktuellen Anlassbeurteilung, wie dargestellt, das Datum der Vorbeurteilung nicht angegeben, sondern lediglich einen waagerechten Strich eingefügt hat. Hingegen hat sie in der aktuellen Anlassbeurteilung der Beigeladenen zu 4. vom 5. Juni 2014 das Datum der Vorbeurteilung angeführt. Diese Vorgehensweise deutet darauf hin, dass ihr das Datum der Vorbeurteilung der Antragstellerin und damit auch der ihr zu Grunde liegende Beurteilungszeitraum nicht bekannt waren und sie keine Veranlassung gesehen hat, unmittelbar an den Zeitraum anzuknüpfen, der von der Vorbeurteilung der Antragstellerin abgedeckt war, um so eine „Beurteilungslücke“ zu vermeiden. Insoweit ist auch in den Blick zu nehmen, dass die Beurteilerin erst am 8. Juni 1998 ihre Tätigkeit an der Schule B. M. in C. aufgenommen hat. Da sie aus eigener Anschauung keine Kenntnisse über das Leistungs- und Befähigungsbild der Antragstellerin vor der Übernahme der Schulleitung am 8. Juni 1998 hat, hätte sie, um die Anlassbeurteilung auch auf den vorangegangenen Zeitraum erstrecken zu können, sich in anderer Weise die notwendigen Erkenntnisse über das seinerzeitige Leistungs- und Befähigungsbild der Antragstellerin verschaffen müssen. Dass dies geschehen ist, kann den Darlegungen des Antragsgegners nicht entnommen werden und ist auch sonst nicht erkennbar. Daran ändert auch die im Schriftsatz der Beigeladenen zu 5. vom 29. Juli 2015 angesprochene, in der Beurteilung der Antragstellerin in der Tat erwähnte Fortbildungsmaßnahme vom 12. November 1993 („Orff-Schulwerk Lehrgang ‘Klang und Ausdruck Musik und Bewegung mit hörgeschädigten Kindern‘ “) nichts; das gilt umso mehr, als diese Fortbildung in den Zeitraum der Vorbeurteilung selbst fiel.
14Angemerkt sei, dass die aktuelle Anlassbeurteilung der Antragstellerin auch dann rechtlichen Bedenken begegnete, wenn unterstellt würde, dass sie über den Zeitraum ab dem 8. Juni 1998 hinaus auch den vorangehenden, an die Vorbeurteilung vom 26. November 1993 anknüpfenden Zeitraum erfasst. Denn hinsichtlich des letztgenannten Zeitraums ist - wie bereits dargestellt - nicht ersichtlich, dass die Beurteilerin sich insoweit eine hinreichende Erkenntnisgrundlage verschafft hat.
15Erweist sich die streitgegenständliche Auswahlentscheidung nach alledem als zu Lasten der Antragstellerin rechtsfehlerhaft, weil die ihr zu Grunde gelegte Anlassbeurteilung der Antragstellerin nicht rechtsfehlerfrei erstellt worden ist, sind ihre Aussichten, in einem neuen rechtmäßigen Auswahlverfahren ausgewählt zu werden, offen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass bei einer dienstlichen Beurteilung das Schwergewicht regelmäßig auf dem in jüngerer Zeit deutlich gewordenen Leistungs- und Befähigungsbild des zu Beurteilenden beruhen muss und weiter zurückliegende Zeiträume vornehmlich mit Blick auf die Leistungsentwicklung im Beurteilungszeitraum relevant werden dürften. Eine Einschätzung dazu, wie das Ergebnis der Beurteilung der Antragstellerin im Falle der Vermeidung der dargestellten Fehler ausfiele, ist dennoch rein spekulativ und verbietet sich daher.
16Die Antragstellerin hat schließlich auch Umstände glaubhaft gemacht, die einen Anordnungsgrund begründen. Würden die in Rede stehenden Stellen mit den Beigeladenen besetzt, wäre dies nicht ohne Weiteres wieder rückgängig zu machen.
17Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.
18Die Streitwertfestsetzung/-änderung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, 52 Abs. 1, Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 und 3, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Der sich in Anwendung von § 52 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 und 3 GKG ergebende Betrag ist im Hinblick auf den im Eilrechtsschutz lediglich angestrebten Sicherungszweck um die Hälfte zu reduzieren, so dass sich ein Viertel des Jahresbetrages, also drei Monatsbeträge ergeben. Dieser Wert ist, obwohl die Besetzung von zehn Stellen verhindert werden sollte, nur einfach anzusetzen, weil im Hinblick auf die Stellenbesetzung ein im Wesentlichen einheitliches Verfahren durchgeführt worden ist und die Vergabe der Stellen durch eine einheitliche Auswahlentscheidung erfolgen sollte.
19Vgl. OVG NRW, Senatsbeschluss vom 19. März 2012 - 6 E 162/12 -, NVwZ-RR 2012, 663.
20Ausgangspunkt der vorzunehmenden (fiktiven) Berechnung der Bezüge ist das von der Antragstellerin angestrebte Amt der Besoldungsgruppe A 10 LBesO sowie die von ihr erreichte Erfahrungsstufe 11. Der sich ergebende Monatsbetrag (Grundgehalt + 1/12 der jährlichen Sonderzahlung) ist mit dem Faktor 3 zu multiplizieren und der Streitwert dementsprechend auf die Wertstufe bis 13.000,00 Euro festzusetzen.
21Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.
(1) Gegen den Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühren festgesetzt worden ist (§ 63 Absatz 2), findet die Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb der in § 63 Absatz 3 Satz 2 bestimmten Frist eingelegt wird; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht. § 66 Absatz 3, 4, 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden. Die weitere Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung des Beschwerdegerichts einzulegen.
(2) War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. Gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung findet die Beschwerde statt. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von zwei Wochen eingelegt wird. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung. § 66 Absatz 3 Satz 1 bis 3, Absatz 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Die Verfahren sind gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.