Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 31. Juli 2015 - 6 B 577/15
Gericht
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die beiden für März 2015 noch zur Verfügung stehenden Beförderungsplanstellen der Besoldungsgruppe A 11 BBesO mit den Beigeladenen zu besetzen, bis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts insoweit eine neue Auswahlentscheidung getroffen worden ist.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst tragen.
1
G r ü n d e:
2Die Beschwerde hat Erfolg.
3Die vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe rechtfertigen es, seinem mit der Beschwerde weiter verfolgten erstinstanzlichen Antrag zu entsprechen und den angefochtenen Beschluss zu ändern.
4Der Antragsteller hat entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Die am 10. Februar 2015 hinsichtlich der hier in Rede stehenden Beförderungsplanstellen getroffene Auswahlentscheidung des Antragsgegners zugunsten der Beigeladenen ist rechtswidrig und verletzt den Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers. Sie beruht auf einem fehlerhaften Qualifikationsvergleich, weil die insoweit maßgebliche dienstliche Regelbeurteilung des Antragstellers vom 5. September 2014 rechtswidrig ist. Die formal den Zeitraum vom 1. Juli 2011 bis 31. Mai 2014 umfassende Regelbeurteilung erfasst die vom Antragsteller gezeigten Leistungen nur unvollständig, weil der Erstbeurteiler sich in Bezug auf einen Teilzeitraum von 10 Monaten mangels eigener dienstlicher Kontakte mit dem Antragsteller keinen hinreichenden eigenen Eindruck über dessen Leistungen verschaffen konnte und sich auch nicht in anderer Weise über dessen Leistungen des Antragstellers – etwa durch Einholung formloser Beurteilungsbeiträge – vergewissert hat.
5Vgl. zu einer ähnlichen Sachlage: OVG NRW, Urteil vom 27. Juni 2013 – 6 A 1449/11 -, juris.
6Die dienstliche Beurteilung dient der Verwirklichung des mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatzes, Beamte nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung einzustellen und zu befördern (Art. 33 Abs. 2 GG). Ihr Ziel ist es, die den Umständen nach optimale Verwendung des Beamten zu gewährleisten und so die im öffentlichen Interesse liegende Erfüllung hoheitlicher Aufgaben durch Beamte (Art. 33 Abs. 4 GG) bestmöglich zu sichern. Zugleich dient die dienstliche Beurteilung dem berechtigten Anliegen des Beamten, in seiner Laufbahn entsprechend seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung voranzukommen. Die dienstliche Beurteilung soll den Vergleich mehrerer Beamter miteinander ermöglichen. Ihre wesentliche Aussagekraft erhält eine dienstliche Beurteilung erst aufgrund ihrer Relation zu den Bewertungen in den dienstlichen Beurteilungen anderer Beamter. Daraus folgt, dass die Beurteilungsmaßstäbe gleich sein und gleich angewendet werden müssen.
7Höchstmögliche Vergleichbarkeit von Regelbeurteilungen wird grundsätzlich durch den gemeinsamen Stichtag und den gleichen Beurteilungszeitraum erreicht. Die Einheitlichkeit des Beurteilungszeitraums soll gewährleisten, dass die Beurteilung für alle Beamten gleichmäßig die zu beurteilenden Merkmale nicht nur punktuell, sondern in ihrer zeitlichen Entwicklung unabhängig von einer konkreten Verwendungsentscheidung erfasst. Eine Regelbeurteilung hat deshalb die Leistung des Beurteilten während des gesamten Beurteilungszeitraums zu umfassen. Einschränkungen dieses Grundsatzes sind nur hinzunehmen, soweit sie auf zwingenden Gründen beruhen. Einen solchen zwingenden Grund stellt es nicht dar, wenn der Beurteiler die Tätigkeit des Beamten nur für einen Teil des Beurteilungszeitraums aus eigener Anschauung kennt. Kann der Beurteiler die Leistungsbewertung nicht für den vollständigen Beurteilungszeitraum auf seine eigene Anschauung stützen, so hat er, um eine aussagekräftige Tatsachengrundlage für seine Bewertung zu erhalten, Beurteilungsbeiträge sachkundiger Personen einzuholen. Der Beurteiler darf von der Heranziehung dieser Erkenntnisquellen nicht deshalb absehen, weil er sich trotz fehlender eigener Anschauung zutraut, den Beamten zutreffend einzuschätzen. Zwar ist der Beurteiler an die Feststellungen und Bewertungen Dritter nicht gebunden, sondern kann zu abweichenden Erkenntnissen gelangen. Er übt seinen Beurteilungsspielraum jedoch nur dann rechtmäßig aus, wenn er die Beurteilungsbeiträge in seine Überlegungen einbezieht. Abweichungen müssen nachvollziehbar begründet. Auch Werturteile müssen auf nachvollziehbaren Feststellungen gegründet sein, die relevante Sachverhaltskomplexe oder Zeiträume nicht einfach ausblenden dürfen.
8Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. September 2012
9– 2 A 2.10 -, NVwZ-RR 2013, 54, und juris, mit weiteren Nachweisen.
10Gemessen hieran erweist sich die Regelbeurteilung des Antragstellers vom 5. September 2014 als rechtsfehlerhaft, weil der Beurteiler den durch Nr. 3.1. der Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Beamtinnen und Beamten im Bereich der Polizei – BRL Pol – (RdErl. d. Innenministeriums – 45.2 -26.00.05 – vom 9. Juli 2010) vorgegebenen Beurteilungszeitraum nicht vollständig ausgeschöpft und die Regelbeurteilung somit auf eine in zeitlicher Hinsicht unzureichende Tatsachen- und Bewertungsgrundlage gestützt hat.
11Zwar hat der Erstbeurteiler, PHK N. , der erst seit dem 1. September 2013 Leiter des Schwerpunktdienstes der Polizeiinspektion 3 S. (PI 3) ist, sowohl von dem EPHK T. als Vertreter des Leiters der PI 3 als auch von dem PHK L. als stellvertretendem Leiter des Schwerpunktdienstes PI 3 Beurteilungsbeiträge für die Zeiträume 25. November 2011 bis 1. August 2012 sowie 7. Januar 2013 bis 31. August 2013 eingeholt. Es liegen jedoch keinerlei Tatsachenfeststellungen und Werturteile von Vorgesetzten oder Kollegen des Antragstellers über seine Leistung und Befähigung in den Zeiträumen vom 1. Juli 2011 bis 24. November 2011 sowie 2. August 2012 bis 6. Januar 2013 vor. Ein zwingender Grund, der ein Absehen von der Einbeziehung dieser insgesamt 10 Monate umfassenden Zeiträume hätte rechtfertigen können, lag nicht vor. Er ist entgegen der Ansicht des Antragsgegners auch nicht darin zu sehen, dass Nr. 3.5 Absatz 2 BRL Pol einen Verzicht auf die Einholung von Beurteilungsbeiträgen gestattet, wenn der relevante Zeitraum weniger als sechs Monate umfasst, es sei denn, die wahrgenommenen Aufgaben sind für die Beurteilung wesentlich. Denn diese Bestimmung, die sich an den aus Art. 33 Abs. 2 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Vorgaben messen lassen muss, erfasst nur förmliche Beurteilungsbeiträge. Sie entbindet den Beurteiler nicht von der Pflicht des Beurteilers, sich auf andere Weise Kenntnisse über die in einem Zeitraum von insgesamt 10 Monaten gezeigten Leistungen des Antragstellers zu verschaffen. Ob dazu auch die Einholung mündlicher Äußerungen der unmittelbaren Vorgesetzten bzw. Kollegen des Antragstellers ausgereicht hätte, kann offen bleiben, weil es auch daran im vorliegenden Fall fehlt.
12Im Übrigen spricht auch einiges dafür, dass die von dem Antragsteller in den genannten Zeiträumen wahrgenommenen Aufgaben für die Beurteilung wesentlich waren. Denn nach seinem unwidersprochen gebliebenen Vortrag hat er häufig als Wachdienstführer fungiert und das Projekt Tageswohnungseinbruch betreut. Diese Tätigkeiten lassen sich jedenfalls nicht ohne weiteres seinem in der dienstlichen Beurteilung unter I. beschriebenen sonstigen Tätigkeitsbereich zuordnen.
13Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
14Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und6 Satz 1 Nr. 1, Satz 2, 3 und 4 GKG.
15Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
(1) Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.
(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.
(3) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.
(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.
(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.
(1) Gegen den Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühren festgesetzt worden ist (§ 63 Absatz 2), findet die Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb der in § 63 Absatz 3 Satz 2 bestimmten Frist eingelegt wird; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht. § 66 Absatz 3, 4, 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden. Die weitere Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung des Beschwerdegerichts einzulegen.
(2) War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. Gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung findet die Beschwerde statt. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von zwei Wochen eingelegt wird. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung. § 66 Absatz 3 Satz 1 bis 3, Absatz 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Die Verfahren sind gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.