Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 24. Sept. 2014 - 2 B 570/14
Gericht
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,- € festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
3Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen nicht zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung.
4Das Verwaltungsgericht hat den mit der Beschwerde weiterverfolgten Antrag,
5die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung einschließlich der erteilten Abweichung vom 11. Dezember 2013 anzuordnen,
6im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, die Interessenabwägung falle zum Nachteil der Antragstellerin aus. Bei summarischer Prüfung sei es überwiegend wahrscheinlich, dass das Vorhaben des Beigeladenen nicht gegen nachbarschützende Vorschriften verstoße. Im Rahmen einer Gesamtbewertung des konkreten Einzelfalls sei insbesondere ein Verzicht auf die Errichtung einer Gebäudeabschlusswand zum Grundstück der Antragstellerin gerechtfertigt.
7Die dagegen von der Beschwerde erhobenen Einwände bleiben ohne Erfolg.
8Soweit in diesem Gesetz oder in aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften nichts anderes geregelt ist, kann die Genehmigungsbehörde gemäß § 73 Abs. 1Satz 1 BauO NRW Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen dieses Gesetzes und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind.
9Da durch die bauordnungsrechtlichen Vorschriften die schutzwürdigen und schutzbedürftigen Belange und Interessen regelmäßig schon in einen gerechten Ausgleich gebracht worden sind, ist die Abweichung kein Instrument zur Legalisierung gewöhnlicher Rechtsverletzungen. Die Voraussetzungen für eine Abweichung sind nur dann gegeben, wenn im konkreten Einzelfall eine besondere Situation vorliegt, die sich vom gesetzlichen Regelfall derart unterscheidet, dass die Nichtberücksichtigung oder Unterschreitung des normativ festgelegten Standards gerechtfertigt ist. Es muss ein Sachverhalt gegeben sein, der von dem der gesetzlichen Regelung der Abstandflächen zugrunde liegenden Normalfall in so deutlichem Maß abweicht, dass die strikte Anwendung des Gesetzes zu Ergebnissen führt, die der Zielrichtung der Norm nicht entsprechen. Steht eine Abweichung von zwingendem Recht - etwa, wie hier, von§ 31 Abs. 1, Abs. 4 BauO NRW - in Rede, setzt die Zulassung einer Abweichung in diesem Sinne eine (auf die jeweilige Vorschrift, von der abgewichen werden soll, abgestimmte) atypische (Grundstücks-)Situation voraus.
10Vgl. zu § 31 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW: OVG NRW, Beschluss vom 5. November 2007 - 7 E 737/07 -, juris Rn. 7 und 9; allgemein: OVG NRW, Urteile vom 29. August 2012 - 2 A 723/11 -, juris Rn. 82 (zu § 6 BauO NRW), und vom 3. Mai 2007 - 7 A 2364/06 -, BRS 71 Nr. 139 = juris Rn. 44; Hartmann, in: Schönenbroicher/Kamp, BauO NRW, 1. Aufl. 2012,§ 73 Rn. 3 f.; Boeddinghaus/Hahn/Schulte/Radeisen, BauO NRW, Band II, Stand Mai 2007, § 73 Rn. 7 ff.; Johlen, in: Gädtke/Czepuck/Johlen/Plietz/Wenzel, BauO NRW, 12. Aufl. 2011, § 73 Rn. 19b und 19c.
11Bei einer Abweichung von Vorgaben des zwingenden Rechts (wie z. B. § 31 Abs. 1, Abs. 4 BauO NRW) sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 73 Abs. 1Satz 1 BauO NRW demnach restriktiv zu handhaben. Zu prüfen ist, welche nachbarlichen bzw. öffentlichen Belange mit der Norm verfolgt werden. Erst dann kann die Frage beantwortet werden, ob die Abweichung gleichwohl ausnahmsweise mit den nachbarlichen sowie den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Außerdem müssen übergreifend die mit dem einschlägigen Recht verfolgten Belange überprüft werden, die sich nicht nur aus dem Bauordnungsrecht ergeben können.
12Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. Januar 2009 - 10 A 1075/08 -, BRS 74 Nr. 156 = juris Rn. 50, 54 und 56; Boeddinghaus/Hahn/Schulte/Radeisen, BauO NRW, Band II, Stand Mai 2007, § 73 Rn. 11.
13Legt man diese Maßstäbe an, zieht die Beschwerde das Ergebnis der Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts bei summarischer Betrachtung nicht ernstlich in Zweifel.
14Das Verwaltungsgericht hat - in der Sache mit dem genannten rechtlichen Ansatz übereinstimmend - argumentiert, die vorliegende Situation sei atypisch, weil sie von der Zielrichtung der Brandschutzvorschrift des § 31 Abs. 1, Abs. 4 BauO NRW nicht mehr erfasst sei. Die Aufgabe von Gebäudeabschlusswänden, das Übergreifen eines Brands auf das Nachbargrundstück zu begrenzen, komme aufgrund der Einzelfallumstände nicht zum Tragen. Dies ergebe sich daraus, dass die streitgegenständliche Überdachungskonstruktion zum einen aus nicht brennbaren Baustoffen bestehe, die nicht selbständig zu einer Brandweiterleitung beitrügen. Zum anderen werde die Überdachung nach sachverständiger Einschätzung des Brandschutzingenieurs C. vom S. -T. ‑Kreis im Brandfall innerhalb kurzer Zeit versagen und eine thermisch geleitete Feuer und Rauchabführung nach oben hin sicherstellen. Schließlich regle die Baugenehmigung, dass unterhalb der Überdachung keine Brandlasten erlaubt seien.
15Dem setzt die Beschwerde nichts Erhebliches entgegen.
16Dass § 31 Abs. 1, Abs. 4 BauO NRW dem Brand- und auch dem Nachbarschutz dient, hat das Verwaltungsgericht nicht in Abrede gestellt. Vielmehr hat es die angefochtene Baugenehmigung/Abweichungsentscheidung (vornehmlich auch) an den nachbarlichen Interessen der Antragstellerin gemessen. Es ist - wie dargestellt - unter Berücksichtigung der nach Lage der Dinge zu beachtenden Gesamtumstände der Frage nachgegangen, ob im zugrunde liegenden Sachkontext des von § 31 Abs. 1, Abs. 4 BauO NRW grundsätzlich geforderten Brandschutzes durch eine Gebäudeabschlusswand ausnahmsweise eine atypische (Grundstücks-)Situation gegeben ist. Wie gesagt, ist für die Möglichkeit einer Abweichung von § 31 Abs. 1 und Abs. 4 BauO NRW nicht allein ausschlaggebend, wie das Grundstück selbst beschaffen und zugeschnitten ist. Maßgebend ist stattdessen, ob sich die Abweichung vor dem strengen normativen Hintergrund des Brandschutzes rechtfertigen lässt.
17Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass das Verwaltungsgericht und die Antragsgegnerin die Bedeutung des Brandschutzes bei der Prüfung der Abweichungszulassung verkannt oder fehlgewichtet hätten. Mit den Ausführungen des Brandsachverständigen C. vom 14. April 2014 setzt sich die Beschwerde nicht auseinander. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass dessen vom Verwaltungsgericht ausgewertete, begründete Einschätzung, eine Gefährdung der Nachbarbebauung im Brandfall sei in der gegebenen Nachbarsituation nicht zu befürchten, fehlerhaft sein könnte. Da der Brandsachverständige bei seiner Stellungnahme die konkreten örtlichen Gegebenheiten vor Augen und gewürdigt hatte, lässt sich gegen seine Expertise nicht pauschal einwenden, es sei eine einheitliche Betrachtung mit dem Wohnhaus geboten; im Brandfall sei die Gefährdung der Nachbarn in Reihenhäusern erheblich erhöht. Dies sind allgemein gehaltene Gesichtspunkte, welche den Blick auf die konkrete Gefahreneinschätzung des Sachverständigen nicht verändern, der sowohl die Grundstücksverhältnisse als auch die Dachkonstruktion brandsachverständig bewertet hat. Aus demselben Grund unerheblich ist der Vortrag der Beschwerde, die Häuserreihe sei nur direkt über einen Fußweg erreichbar.
18Die Erwägungen des oben zitierten Beschlusses des 7. Senats des beschließenden Gerichts vom 5. November 2007 - 7 E 737/07 -, juris Rn. 13, hinsichtlich des Gefahrenpotentials von Terrassenüberdachungen ohne Errichtung einer Gebäudeabschlusswand bei einer Reihenhausbebauung lassen sich insofern nicht unmittelbar und ohne Weiteres auf den zu entscheidenden Fall mit seinen Besonderheiten übertragen. Die Gefahrenabschätzung hat für jede konkrete Genehmigungs‑ bzw. Abweichungssituation neu zu erfolgen, wie dies auch hier geschehen ist. Dies belegt der von dem Verwaltungsgericht hervorgehobene Umstand, dass nach dem Inhalt der Genehmigung unter der Überdachung keine Brandlasten zu sein haben. Dies ist einer der Aspekte, der eine Abweichung von der abstrakten Vorgabe des § 31 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 BauO NRW im Einzelfall ausnahmsweise begründen kann.
19Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
20Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
21Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
moreResultsText
Annotations
(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.
(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.
(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.
(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.
(5) u. (6) (weggefallen)
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.
(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.
(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.
(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.
(1) Gegen den Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühren festgesetzt worden ist (§ 63 Absatz 2), findet die Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb der in § 63 Absatz 3 Satz 2 bestimmten Frist eingelegt wird; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht. § 66 Absatz 3, 4, 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden. Die weitere Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung des Beschwerdegerichts einzulegen.
(2) War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. Gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung findet die Beschwerde statt. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von zwei Wochen eingelegt wird. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung. § 66 Absatz 3 Satz 1 bis 3, Absatz 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Die Verfahren sind gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.