Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 29. Juli 2015 - 15 A 2026/14
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 2.500,- € festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3Die mit dem Zulassungsbegehren vorgebrachten, für die Prüfung maßgeblichen Einwände (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO) begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.). Sie führen auch nicht auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (2.). Ebenso wenig ergibt sich aus ihnen eine zur Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO führende Abweichung des Urteils von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, auf der das Urteil beruht (3.) oder ein der Beurteilung des beschließenden Senats unterliegender Verfahrensmangel gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, auf dem die Entscheidung beruhen kann (4.).
41. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nicht vor.
5Ernstliche Zweifel sind gegeben, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. Sie sind (nur) begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt.
6Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem Antrag,
7die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Juli 2013 eine Befreiung von der Überlassungspflicht für das auf dem Grundstück W. 48 in C. N. anfallende häusliche Abwasser (Klärschlamm) zu erteilen,
8im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe keinen Befreiungsanspruch. Die Erteilung der Befreiung stehe im Ermessen der Beklagten. Die Ablehnungsentscheidung der Beklagten sei nicht zu beanstanden.
9Die dagegen von dem Kläger vorgetragenen Rügen haben keinen Erfolg.
10Wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, bleibt gemäß § 51 Abs. 2 Satz 2 LWG NRW das Recht der Gemeinde unberührt, durch Satzung zu fordern, dass im Fall des § 51 Abs. 2 Nr. 1 LWG NRW - also im Hinblick auf das in landwirtschaftlichen Betrieben anfallende Abwasser - das häusliche Abwasser an eine öffentliche Abwasseranlage angeschlossen wird; fordert die Gemeinde den Anschluss, finden die Vorschriften der §§ 51 ff. LWG NRW Anwendung. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Beklagte von dieser Ermächtigung in ihrer Satzung über die Entsorgung von Grundstücksentwässerungsanlagen - Kleinkläranlagen, abflusslose Gruben - (im Folgenden: EGrEntwS) Gebrauch gemacht hat. Nach § 4Abs. 2 EGrEntwS gilt der Anschluss- und Benutzungszwang auch für das in landwirtschaftlichen Betrieben anfallende häusliche Abwasser. Die Stadt kann den Grundstückseigentümer lediglich im Einzelfall für das in landwirtschaftlichen Betrieben anfallende Abwasser auf Antrag vom Anschluss- und Benutzungszwang befreien, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 Nr. 1 LWG NRW gegeben sind (§ 4 Abs. 3 Satz 1 EGrEntwS).
11Vgl. zur grundsätzlichen Rechtmäßigkeit einer solchen Regelung: OVG NRW, Beschluss vom 12. Februar 1996 - 22 A 4244/95 -, NWVBl. 1996, 434 = juris Rn. 8 ff.
12§ 4 Abs. 3 Satz 1 EGrEntwS ist auf Rechtsfolgenseite als Ermessensvorschrift ausgestaltet, die als solche grundsätzlich den Anforderungen der §§ 40 VwVfG NRW, 114 VwGO unterliegt. Dies bedeutet zugleich, dass ein Befreiungsanspruch auch bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen nur in Fällen einer Ermessensreduzierung auf Null zu bejahen ist. Im Übrigen wird die Ermessensausübung im Rahmen des § 4 Abs. 3 Satz 1 EGrEntwS von denselben Leitlinien gesteuert wie es bei strukturell vergleichbaren anderen Befreiungsvorschriften der Fall ist. Diese verlangen für die Erteilung einer Befreiung regelmäßig eine atypische unzumutbare Härte, die von der Grundnorm, von der die Abweichung begehrt wird, offenbar nicht beabsichtigt wird, mit anderen Worten einen atypischen Sonderfall. Deshalb kann man von einem intendierten Ermessen der Behörde sprechen, das sie regelmäßig dazu befugt, einen Befreiungsantrag nach § 4 Abs. 3 Satz 1 EGrEntwS abzulehnen.
13Vgl. zu diesem Regelungsmechanismus etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 1. Juni 2012 - 15 A 48/12 -, juris Rn. 40, vom 16. November 2011 - 15 A 854/10 -, und vom 1. September 2010 - 15 A 1636/08 -, juris Rn. 22 ff. (jeweils zu § 53 Abs. 3a Satz 1 LWG NRW), oder die Befreiungsvorschriften der §§ 31 Abs. 2 Nr. 3 BauGB, 67 BNatSchG, 73 Abs. 1 BauO NRW. Zum Verständnis der letztgenannten Ausnahmenorm siehe aus der Rechtsprechung beispielsweise OVG NRW, Beschluss vom 24. September 2014 - 2 B 570/14 -, juris Rn. 8 ff.
14Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Öffnungsklausel des § 51 Abs. 2 Satz 2 LWG NRW - und damit gleichzeitig hier dem auf ihr beruhenden § 4 Abs. 2 EGrEntwS - die Annahme zugrunde liegt, dass das Abwasser aus landwirtschaftlichen Wohnhäusern eine umweltschädliche Zusammensetzung haben kann, insbesondere chemische Substanzen wie etwa spezielle Putz- und Reinigungsmittel enthält, so dass nicht auszuschließen ist, dass diese nach ihrem Aufbringen auf landwirtschaftliche Flächen in das Grundwasser gelangen können, dessen Schutz die kommunale Abwasserbeseitigung bezweckt.
15Vgl. Queitsch, in: Queitsch/Koll-Sarfeld/Wallbaum, Wassergesetz für das Land NRW, Loseblatt, Stand März 2008, § 51 Anm. 2, Rn. 27; siehe insoweit außerdem VG Aachen, Urteil vom 16. Januar 2006 - 6 K 4234/06 -, juris Rn. 38, m.w.N.
16Auch mit Blick auf diese typisierende Einschätzung des Gesetz- bzw. Satzungsgebers kann der von § 4 Abs. 3 Satz 2 EGrEntwS i.V.m. § 51 Abs. 2 Nr. 1 LWG NRW geforderte Nachweis, dass das Abwasser im Rahmen der pflanzenbedarfsgerechten Düngung auf z. B. landwirtschaftlich oder gärtnerisch genutzten Böden ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit im Einklang mit den wasserrechtlichen, abfallrechtlichen, naturschutzrechtlichen und immissionsschutzrechtlichen Bestimmungen aufgebracht wird, für sich genommen noch keinen atypischen Härtefall i.S.d. § 4Abs. 3 Satz 1 EGrEntwS begründen. Vielmehr eröffnet die Erbringung dieses Nachweises als Tatbestandsvoraussetzung erst den auf der Rechtsfolgenseite des § 4 Abs. 3 Satz 1 EGrEntwS gegebenen (aber - wie ausgeführt - intendierten) Ermessensspielraum der Stadt.
17Ausgehend davon ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht eine Befreiungslage verneint hat, weil der Kläger keine Besonderheiten seines Einzelfalls gegenüber den Fällen anderer Landwirte dargelegt habe.
18Derartige atypische Besonderheiten zeigt auch der Zulassungsantrag nicht auf.
19Das Schreiben des Kreises F. vom 30. Oktober 2012 determiniert die Ermessensbetätigung der Beklagten nicht in Richtung eines atypischen Sonderfalls. Im Gegenteil wies auch der Kreis F. darauf hin, dass der Kläger einen Antrag bei der Beklagten auf Befreiung von der Klärschlammbeseitigungspflicht zu stellen hat, innerhalb dessen er bestimmte Angaben machen bzw. Nachweise erbringen muss, welche die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 4 Abs. 3 EGrEntwS, 51Abs. 2 Nr. 1 LWG NRW ausfüllen. Das von dem Zulassungsantrag in Bezug genommene Schreiben der Beklagten vom 16. Mai 2013 bestätigt dies. Der außerdem von dem Kläger ins Feld geführte Bescheid des Kreises F. vom 7. August 2002 betrifft zwar die Befreiung der Beklagten von der Pflicht zur Beseitigung der auf dem Grundstück des Klägers anfallenden Abwässer. In dem Bescheid heißt es indessen ausdrücklich, dass die Entsorgung der anfallenden Klärschlämme – und damit der Anschluss- und Benutzungszwang – bei der Beklagten verbleibt.
202. Die Berufung ist nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
21Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im betreffenden Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.
22Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen schon deshalb nicht gerecht, weil es zur Auslegung und Anwendung von § 4 Abs. 3 EGrEntwS keine Grundsatzfrage formuliert. Der Angriff gegen die Erwägung des Verwaltungsgerichts, der Kläger sei aus betrieblichen Gründen kaum auf die begehrte Befreiung angewiesen, bezieht sich auf die Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht im Einzelfall. Dasselbe gilt für den von dem Verwaltungsgericht thematisierten Aspekt der Gebühreneinsparungen und die Frage, mit wie vielen Befreiungsanträgen von Landwirten nach § 4 Abs. 3 EGrEntwS die Beklagte zu rechnen hat. Im Übrigen ist auch in Anbetracht dieses Vorbringens nicht zu erkennen, dass der Kläger sich in einer Befreiungslage befindet.
23Auch wenn das Verwaltungsgericht den Beschluss des beschließenden Gerichts vom 10. September 2008 - 20 B 1219/07 -, RdL 2010, 81 = juris, in der mündlichen Verhandlung ausführlich angesprochen haben sollte, war es nicht verpflichtet, ihn im Urteil zu zitieren. Der genannte Beschluss enthält zudem keine für den Kläger günstige Aussage. Er besagt u. a. (siehe dort juris Rn. 7), dass auch die Herkunft häuslichen Abwassers aus einem landwirtschaftlichen Betrieb und seine Verwendung zum Aufbringen auf landwirtschaftlichen Nutzflächen nicht von dem wasserrechtlichen Anforderungsniveau an die Abwasserbeseitigung befreit.
243. Der Kläger legt den Zulassungsgrund der Divergenz gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht dar.
25Hierzu muss ein die angefochtene Entscheidung tragender abstrakter, aber inhaltlich bestimmter Rechtssatz aufgezeigt werden, der zu einem ebensolchen Rechtssatz in einer Entscheidung eines der in der Vorschrift genannten Gerichte in Widerspruch steht.
26Einen solchen Rechtssatz benennt der Kläger nicht. Er zeigt nicht auf, welcher Rechtssatz im Urteil des Verwaltungsgerichts im Widerspruch zu Rechtssätzen in den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Juli 1985 - 8 C 22.83 -, BVerwGE 72, 1 = NJW 1986, 738 = juris, und vom 10. Dezember 1987 - 5 C 32.85 -, BVerwGE 78, 314 = NVwZ 1988, 444 = juris, stehen soll.
27Die Rüge eines Ermessensnichtgebrauchs im konkreten Fall ist keine Divergenzfrage. Abgesehen davon hat die Beklagte ausweislich der Begründung des Bescheids vom 15. Juli 2013 erkannt, dass die Entscheidung über den Befreiungsantrag des Klägers gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 EGrEntwS in ihrem Ermessen steht. Gründe für eine vom Regelfall des § 4 Abs. 2 EGrEntwS abweichende „Andersbehandlung“ im Einzelfall habe der Kläger aber nicht genannt. Damit hat die Beklagte zu erkennen gegeben, dass sie eine Ermessensentscheidung getroffen hat.
28Der mit dem Zulassungsantrag vorgelegte Pachtvertrag und der Hinweis auf die Lage der Flächen, auf die sich der Befreiungsantrag bezieht, ist nicht dem Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzuordnen. Unbeschadet dessen macht der Zulassungsvortrag zu der Situierung der Flächen auch nicht deutlich, dass gerade daraus eine Befreiungslage folgt.
294. Der Zulassungsantrag legt schließlich keinen Verfahrensmangel i.S.v. § 124Abs. 2 Nr. 5 VwGO dar. Er besagt nicht, welche konkrete Verfahrensnorm das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidungsfindung verletzt habe.
30Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
31Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.
32Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
33Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 29. Juli 2015 - 15 A 2026/14 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).
(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,
- 1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, - 2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, - 3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.
(1) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans können solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind.
(2) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und
- 1.
Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, des Bedarfs an Anlagen für soziale Zwecke und des Bedarfs an einem zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien, die Befreiung erfordern oder - 2.
die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder - 3.
die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde
(3) In einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, das nach § 201a bestimmt ist, kann mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von Satz 1 kann nur bis zum Ende der Geltungsdauer der Rechtsverordnung nach § 201a Gebrauch gemacht werden. Die Befristung in Satz 2 bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Verfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 entsprechend.
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,- € festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
3Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen nicht zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung.
4Das Verwaltungsgericht hat den mit der Beschwerde weiterverfolgten Antrag,
5die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung einschließlich der erteilten Abweichung vom 11. Dezember 2013 anzuordnen,
6im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, die Interessenabwägung falle zum Nachteil der Antragstellerin aus. Bei summarischer Prüfung sei es überwiegend wahrscheinlich, dass das Vorhaben des Beigeladenen nicht gegen nachbarschützende Vorschriften verstoße. Im Rahmen einer Gesamtbewertung des konkreten Einzelfalls sei insbesondere ein Verzicht auf die Errichtung einer Gebäudeabschlusswand zum Grundstück der Antragstellerin gerechtfertigt.
7Die dagegen von der Beschwerde erhobenen Einwände bleiben ohne Erfolg.
8Soweit in diesem Gesetz oder in aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften nichts anderes geregelt ist, kann die Genehmigungsbehörde gemäß § 73 Abs. 1Satz 1 BauO NRW Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen dieses Gesetzes und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind.
9Da durch die bauordnungsrechtlichen Vorschriften die schutzwürdigen und schutzbedürftigen Belange und Interessen regelmäßig schon in einen gerechten Ausgleich gebracht worden sind, ist die Abweichung kein Instrument zur Legalisierung gewöhnlicher Rechtsverletzungen. Die Voraussetzungen für eine Abweichung sind nur dann gegeben, wenn im konkreten Einzelfall eine besondere Situation vorliegt, die sich vom gesetzlichen Regelfall derart unterscheidet, dass die Nichtberücksichtigung oder Unterschreitung des normativ festgelegten Standards gerechtfertigt ist. Es muss ein Sachverhalt gegeben sein, der von dem der gesetzlichen Regelung der Abstandflächen zugrunde liegenden Normalfall in so deutlichem Maß abweicht, dass die strikte Anwendung des Gesetzes zu Ergebnissen führt, die der Zielrichtung der Norm nicht entsprechen. Steht eine Abweichung von zwingendem Recht - etwa, wie hier, von§ 31 Abs. 1, Abs. 4 BauO NRW - in Rede, setzt die Zulassung einer Abweichung in diesem Sinne eine (auf die jeweilige Vorschrift, von der abgewichen werden soll, abgestimmte) atypische (Grundstücks-)Situation voraus.
10Vgl. zu § 31 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW: OVG NRW, Beschluss vom 5. November 2007 - 7 E 737/07 -, juris Rn. 7 und 9; allgemein: OVG NRW, Urteile vom 29. August 2012 - 2 A 723/11 -, juris Rn. 82 (zu § 6 BauO NRW), und vom 3. Mai 2007 - 7 A 2364/06 -, BRS 71 Nr. 139 = juris Rn. 44; Hartmann, in: Schönenbroicher/Kamp, BauO NRW, 1. Aufl. 2012,§ 73 Rn. 3 f.; Boeddinghaus/Hahn/Schulte/Radeisen, BauO NRW, Band II, Stand Mai 2007, § 73 Rn. 7 ff.; Johlen, in: Gädtke/Czepuck/Johlen/Plietz/Wenzel, BauO NRW, 12. Aufl. 2011, § 73 Rn. 19b und 19c.
11Bei einer Abweichung von Vorgaben des zwingenden Rechts (wie z. B. § 31 Abs. 1, Abs. 4 BauO NRW) sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 73 Abs. 1Satz 1 BauO NRW demnach restriktiv zu handhaben. Zu prüfen ist, welche nachbarlichen bzw. öffentlichen Belange mit der Norm verfolgt werden. Erst dann kann die Frage beantwortet werden, ob die Abweichung gleichwohl ausnahmsweise mit den nachbarlichen sowie den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Außerdem müssen übergreifend die mit dem einschlägigen Recht verfolgten Belange überprüft werden, die sich nicht nur aus dem Bauordnungsrecht ergeben können.
12Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. Januar 2009 - 10 A 1075/08 -, BRS 74 Nr. 156 = juris Rn. 50, 54 und 56; Boeddinghaus/Hahn/Schulte/Radeisen, BauO NRW, Band II, Stand Mai 2007, § 73 Rn. 11.
13Legt man diese Maßstäbe an, zieht die Beschwerde das Ergebnis der Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts bei summarischer Betrachtung nicht ernstlich in Zweifel.
14Das Verwaltungsgericht hat - in der Sache mit dem genannten rechtlichen Ansatz übereinstimmend - argumentiert, die vorliegende Situation sei atypisch, weil sie von der Zielrichtung der Brandschutzvorschrift des § 31 Abs. 1, Abs. 4 BauO NRW nicht mehr erfasst sei. Die Aufgabe von Gebäudeabschlusswänden, das Übergreifen eines Brands auf das Nachbargrundstück zu begrenzen, komme aufgrund der Einzelfallumstände nicht zum Tragen. Dies ergebe sich daraus, dass die streitgegenständliche Überdachungskonstruktion zum einen aus nicht brennbaren Baustoffen bestehe, die nicht selbständig zu einer Brandweiterleitung beitrügen. Zum anderen werde die Überdachung nach sachverständiger Einschätzung des Brandschutzingenieurs C. vom S. -T. ‑Kreis im Brandfall innerhalb kurzer Zeit versagen und eine thermisch geleitete Feuer und Rauchabführung nach oben hin sicherstellen. Schließlich regle die Baugenehmigung, dass unterhalb der Überdachung keine Brandlasten erlaubt seien.
15Dem setzt die Beschwerde nichts Erhebliches entgegen.
16Dass § 31 Abs. 1, Abs. 4 BauO NRW dem Brand- und auch dem Nachbarschutz dient, hat das Verwaltungsgericht nicht in Abrede gestellt. Vielmehr hat es die angefochtene Baugenehmigung/Abweichungsentscheidung (vornehmlich auch) an den nachbarlichen Interessen der Antragstellerin gemessen. Es ist - wie dargestellt - unter Berücksichtigung der nach Lage der Dinge zu beachtenden Gesamtumstände der Frage nachgegangen, ob im zugrunde liegenden Sachkontext des von § 31 Abs. 1, Abs. 4 BauO NRW grundsätzlich geforderten Brandschutzes durch eine Gebäudeabschlusswand ausnahmsweise eine atypische (Grundstücks-)Situation gegeben ist. Wie gesagt, ist für die Möglichkeit einer Abweichung von § 31 Abs. 1 und Abs. 4 BauO NRW nicht allein ausschlaggebend, wie das Grundstück selbst beschaffen und zugeschnitten ist. Maßgebend ist stattdessen, ob sich die Abweichung vor dem strengen normativen Hintergrund des Brandschutzes rechtfertigen lässt.
17Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass das Verwaltungsgericht und die Antragsgegnerin die Bedeutung des Brandschutzes bei der Prüfung der Abweichungszulassung verkannt oder fehlgewichtet hätten. Mit den Ausführungen des Brandsachverständigen C. vom 14. April 2014 setzt sich die Beschwerde nicht auseinander. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass dessen vom Verwaltungsgericht ausgewertete, begründete Einschätzung, eine Gefährdung der Nachbarbebauung im Brandfall sei in der gegebenen Nachbarsituation nicht zu befürchten, fehlerhaft sein könnte. Da der Brandsachverständige bei seiner Stellungnahme die konkreten örtlichen Gegebenheiten vor Augen und gewürdigt hatte, lässt sich gegen seine Expertise nicht pauschal einwenden, es sei eine einheitliche Betrachtung mit dem Wohnhaus geboten; im Brandfall sei die Gefährdung der Nachbarn in Reihenhäusern erheblich erhöht. Dies sind allgemein gehaltene Gesichtspunkte, welche den Blick auf die konkrete Gefahreneinschätzung des Sachverständigen nicht verändern, der sowohl die Grundstücksverhältnisse als auch die Dachkonstruktion brandsachverständig bewertet hat. Aus demselben Grund unerheblich ist der Vortrag der Beschwerde, die Häuserreihe sei nur direkt über einen Fußweg erreichbar.
18Die Erwägungen des oben zitierten Beschlusses des 7. Senats des beschließenden Gerichts vom 5. November 2007 - 7 E 737/07 -, juris Rn. 13, hinsichtlich des Gefahrenpotentials von Terrassenüberdachungen ohne Errichtung einer Gebäudeabschlusswand bei einer Reihenhausbebauung lassen sich insofern nicht unmittelbar und ohne Weiteres auf den zu entscheidenden Fall mit seinen Besonderheiten übertragen. Die Gefahrenabschätzung hat für jede konkrete Genehmigungs‑ bzw. Abweichungssituation neu zu erfolgen, wie dies auch hier geschehen ist. Dies belegt der von dem Verwaltungsgericht hervorgehobene Umstand, dass nach dem Inhalt der Genehmigung unter der Überdachung keine Brandlasten zu sein haben. Dies ist einer der Aspekte, der eine Abweichung von der abstrakten Vorgabe des § 31 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 BauO NRW im Einzelfall ausnahmsweise begründen kann.
19Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
20Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
21Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,
- 1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, - 2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, - 3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.
(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.
(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.
(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.
(1) Gegen den Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühren festgesetzt worden ist (§ 63 Absatz 2), findet die Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb der in § 63 Absatz 3 Satz 2 bestimmten Frist eingelegt wird; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht. § 66 Absatz 3, 4, 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden. Die weitere Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung des Beschwerdegerichts einzulegen.
(2) War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. Gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung findet die Beschwerde statt. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von zwei Wochen eingelegt wird. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung. § 66 Absatz 3 Satz 1 bis 3, Absatz 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Die Verfahren sind gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.