Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 08. Mai 2014 - 13 A 827/14.A
Gericht
Tenor
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 13. März 2014 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3Die Berufung ist nicht wegen der allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG, § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Die Kläger legen mit dem Zulassungsantrag bereits nicht dar, welche konkrete Frage bisher in der obergerichtlichen oder höchstrichterlichen Rechtsprechung ungeklärt ist, warum sie sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich halten und aus welchen Gründen ihr (noch heute) Bedeutung über den Einzelfall hinaus zukommt. Sie bezeichnen lediglich allgemein als grundsätzlich klärungsbedürftig, wie es in Dublin-Verfahren „mit dem Fristbeginn der Überstellungsfrist weitergehen soll“. Zur Begründung verweisen sie auf Rechtsausführungen des Verwaltungsgerichts Münster im Beschluss vom 30. August 2013 – 3 L 466/13.A -, die der angefochtenen Entscheidung entgegenstünden, sowie darauf, dass die Überstellungsfrist in zahlreichen Dublin-Verfahren erheblich sei. Dies genügt nicht den Darlegungsanforderungen.
4Abgesehen davon lässt sich die hier allein entscheidende Frage, wann die Frist für die Überstellung nach § 19 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (im Folgenden: Dublin-II-VO) in den Fällen zu laufen beginnt, in denen das Gericht durch einstweilige Anordnung die Durchführung der Überstellung vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache ausgesetzt hat, mit der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung beantworten, mit der sich die Kläger nicht auseinandersetzen. Nach § 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. In der Rechtsprechung des EuGH zu den entsprechenden Bestimmungen des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2, Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO ist geklärt, dass die Frist nicht schon ab der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung läuft, mit der die Durchführung des Überstellungsverfahrens ausgesetzt wird, sondern erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die dieser Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann. Fristbeginn ist nach Sinn und Zweck der Bestimmung erst dann, wenn feststeht, dass die Überstellung in Zukunft erfolgen wird, und wenn lediglich die (technische) Modalitäten ihrer Durchführung zu regeln bleiben, wofür die vollen sechs Monate zur Verfügung stehen sollen.
5Vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495 = juris.
6Ist die Vollziehung der Überstellung – wie hier – gerichtlich ausgesetzt, beginnt die Frist danach erst mit der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu laufen. Nach der Rechtsprechung des OVG NRW ist es weiter unionsrechtlich unerheblich, dass nach § 34a Abs. 2 AsylVfG a. F. die Aussetzung der Abschiebung im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ausgeschlossen ist, weil der materielle Anspruch auf Aussetzung der Überstellung aus Verfassungsrecht hergeleitet wird. Ferner kommt es wegen des praktisch gleichen Ergebnisses nicht darauf an, ob Eilrechtsschutz nach § 80 VwGO oder – wie hier – nach § 123 VwGO gewährt worden ist: In beiden Fällen darf die Überstellung zunächst kraft gerichtlicher Anordnung nicht erfolgen.
7Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A -, juris, und Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A., NVwZ-RR 2012, 619 = juris.
8Entgegenstehende Rechtsprechung anderer Obergerichte, die eine bundeseinheitliche Klärung erforderte, ist nicht ersichtlich.
9Vgl. wie hier nur Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 -, juris; VGH Bad-Württ., Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 -, juris; s. auch VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me -, juris.
10Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen erschließt sich dem Senat auch nicht, warum hier deshalb etwas anderes gelten soll, weil die Aussetzung von Überstellungsmaßnahmen nach § 123 VwGO zeitlich (kurz) vor Zustellung des angefochtenen Bescheids der Beklagten erfolgt ist. Für den Lauf der Überstellungsfrist ist es angesichts ihres oben geschilderten Zwecks unerheblich, ob das Bundesamt seiner Pflicht nachgekommen ist, in angemessener Zeit zu entscheiden, was hier im Übrigen nicht zweifelhaft ist. Mit dem Hinweis der Kläger auf ein abweichendes obiter dictum des Verwaltungsgerichts Münster, das sich mit der EuGH-Rechtsprechung nicht befasst, wird insoweit auch kein grundsätzlicher Klärungsbedarf aufgezeigt.
11Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.
12Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.
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Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn
- 1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, - 2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war, - 3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war, - 4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat, - 5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder - 6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.