Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 18. Sept. 2014 - 13 A 2557/13.A
Gericht
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 21. August 2013 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Keiner der in § 78 Abs. 3 AsylVfG genannten Gründe für eine Zulassung der Berufung ist gegeben.
31. Der vom Kläger gerügte Verfahrensmangel der Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG, § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.
4Das auch in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte Gebot des rechtlichen Gehörs gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche vortragen zu können. Es verpflichtet das Gericht, dieses Vorbringen zur Kenntnis zu nehmen und in seine Entscheidungserwägungen einzustellen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat. Das Gericht ist nicht verpflichtet, den Ausführungen eines Beteiligten in der Sache zu folgen. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht geeignet, eine - vermeintlich - fehlerhafte Feststellung und Bewertung des Sachverhalts einschließlich seiner rechtlichen Würdigung zu beanstanden.
5Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. Februar 2013
6-13 A 2871/12.A -, www.nrwe.de, Rn. 12 bis 18.
7Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundes-verfassungsgerichts ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Die Gerichte brauchen sich dabei nicht mit jedem Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen. Aus einem Schweigen der Entscheidungsgründe zu Einzelheiten des Prozessstoffs allein kann noch nicht der Schluss gezogen werden, das Gericht habe diese nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann daher nur dann festgestellt werden, wenn es sich aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen der Beteiligten nicht in Erwägung gezogen hat,
8vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 2011
9- 10 B 38.11 -, juris, Rn. 2.
10Gemessen daran ist eine Gehörsverletzung auf der Grundlage des Zulassungsvor-bringens nicht feststellbar. Sie lässt sich insbesondere nicht daraus herleiten, dass das Verwaltungsgericht aus dem Umstand, dass der Kläger zwischen 1998 und seiner Ausreise aus Afghanistan im Jahr 2007 von seinen mutmaßlichen Verfolgern unbehelligt geblieben sei, geschlossen hat, ihm drohe keine Blutrache bzw. diese sei mit dem Tod seines Bruders beendet. Entsprechendes gilt für die weitere Annahme des Verwaltungsgerichts, der Kläger habe trotz seiner Tätigkeit als Lehrer an einer Mädchenschule und seiner Weigerung, sich den Taliban anzuschließen, nicht glaubhaft gemacht, von diesen aus asylrelevanten Gründen verfolgt zu werden. Der Einwand des Klägers, an dieser Argumentation werde deutlich, dass das Verwaltungsgericht sein Vorbringen sowie die Ausführungen des Sachverständigen Dr. Mostafa Danesch in dessen Gutachten vom 10. Januar 2013 ignoriert habe, greift nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat sich umfassend mit dem Vortrag des Klägers im Klageverfahren auseinander gesetzt und hat in den Entscheidungsgründen auch das erwähnte Gutachten des Sachverständigen Dr. Mostafa Danesch erwähnt. Demgegenüber zielt das Zulassungsvorbringen in erster Linie darauf ab, Fehler bei der Sachverhalts- und Beweiswürdigung aufzuzeigen und die Erwägungen des Verwaltungsgerichts dazu - im Stil einer Berufungsschrift - zu entkräften. Darauf kann der Kläger den geltend gemachten Gehörsverstoß indes nicht mit Erfolg stützen. Denn etwaige Fehler bei der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen. Ein Verfahrensverstoß kann darin nur ausnahmsweise bei einer von Willkür geprägten Beweiswürdigung, etwa bei einem Verstoß gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze liegen,
11vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 29. Juni 2005 - 1 B 185.04 -, juris, Rn. 3, und vom 18. April 2008 - 8 B 105.07 -, juris, Rn. 10.
12Dafür, dass die Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts Erwägungen enthält, die diese Schwelle überschreiten, bietet das Zulassungsvorbringen keinen Anknüpfungspunkt. Wenngleich die Bewertung des Verwaltungsgerichts zur Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers danach - was zulassungsrechtlich unerheblich ist ‑ nicht durchgehend zwingend sein mag, entzieht sie sich nicht der Logik, sondern ist im Gegenteil ausführlich, stimmig und überzeugend.
13Auch die Wahrunterstellungen hinsichtlich der in den Hilfsbeweisanträgen zu den Ziffern 1 bis 3 genannten Tatsachen verletzen nicht das rechtliche Gehör des Klägers. Eine Gehörsverletzung durch Wahrunterstellung liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht einen Beweisantrag ablehnt oder die Stellung eines Beweisantrags als unnötig erscheinen lässt, indem es die jeweilige Tatsache als wahr unterstellt, von dieser Wahrunterstellung in dem Urteil aber abweicht,
14vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. März 1999 - 2 BvR 206/98 -, juris, Rn. 21.
15Die Entscheidungsgründe enthalten keine derartige Abweichung. Dass das Verwaltungsgericht die unter Beweis gestellten Tatsachen als wahr unterstellt hat und zugleich angenommen hat, der Kläger habe einen ihn und seine Familie betreffenden Blutracheschwur nicht glaubhaft gemacht, ist prozessordnungsrechtlich nicht zu beanstanden und führt nicht zur Inkongruenz der Wahrunterstellungen. Denn die unter Beweis gestellten und als wahr unterstellten Tatsachen sind für sich genommen nicht geeignet, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Sie belegen - unabhängig von konkret stattgefundenen Verfolgungshandlungen - nur ein erhöhtes Risiko des Klägers, einem Blutracheschwur zum Opfer zu fallen. Demgegenüber bieten sie keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen für die zu treffende konkrete Gefahrenprognose, die entscheidend von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere von Maß und Umfang aus diesem Anlass stattgefundener Bedrohungen abhängt. Diese hat das Verwaltungsgericht umfassend, ohne dass insoweit Widersprüche zu den erfolgten Wahrunterstellungen feststellbar sind, gewürdigt und gewichtet und ist auf dieser Grundlage zu der Überzeugung gelangt, der Kläger habe einen ihn und seine Familie betreffenden Blutracheschwur nicht glaubhaft gemacht.
16Hierin liegt keine unzulässige Überraschungsentscheidung. Eine solche kann nur angenommen werden, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte.
17Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 -, NJW 1991, 2823, und Urteil vom 20. Oktober 1987 - 9 C 147.86 -, InfAuslR 1988, 55.
18Die Beteiligten können nicht voraussetzen, dass das Verwaltungsgericht sie vorab auf seine Rechtsauffassung oder die mögliche Würdigung des Sachverhalts hinweist, weil sich die tatsächliche und rechtliche Einschätzung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Entscheidungsfindung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergibt.
19Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Mai 1999 - 9 B 1076.98 -, juris, Rn. 10; OVG NRW, Beschluss vom 10. August 2012 - 13 A 151/12.A.-, juris, Rn 26.
20Ausgehend hiervon muss ein Asylbewerber stets damit rechnen, dass das Verwaltungsgericht sein verfolgungsrelevantes Vorbringen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und im Klageverfahren im Hinblick auf Widersprüche und Steigerungen überprüft und solche gegebenenfalls bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Verfolgungsschicksals zu Lasten des Asylbewerbers berücksichtigt. Daran ändert nichts, dass einzelne unter Beweis gestellte Tatsachen zum Vorfluchtgeschehen als wahr unterstellt worden sind, zumal sich daraus nichts zu deren Gewichtung im Zusammenhang mit weiteren entscheidungserheblichen Tatsachen herleiten lässt. Abgesehen davon begründet die Wahrunterstellung aber auch deswegen keine Überraschungsentscheidung, weil sie beim Kläger - bedingt dadurch, dass sie erst in den Entscheidungsgründen erfolgte - überhaupt keine unzutreffende Erwartung hervorgerufen haben kann.
21Dass das Verwaltungsgericht den hilfsweise gestellten Beweisantrag zu Ziffer 5 abgelehnt hat, ist prozessordnungsrechtlich ebenfalls unbedenklich. Die Ablehnung bezieht sich nur auf den ersten Satz des Beweisantrages, der - wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat - keine Tatsachen, sondern eine Bewertung beinhaltet, die einer Beweisaufnahme nicht zugänglich ist. Entsprechendes gilt für den dritten Satz dieses Hilfsbeweisantrages. Selbst wenn man sich insoweit mit dem Kläger auf den Standpunkt stellt, dass damit Tatsachen unter Beweis gestellt werden, musste das Verwaltungsgericht diesem Beweisantrag nicht nachgehen, weil er unsubstantiiert ist. Denn der Kläger hat nicht dargelegt, worin die besondere Sachkunde des als sachverständigen Zeugen benannten Dr. Mostafa Danesch in Bezug auf die subjektiven Absichten der Brüder des G. M. liegen soll und welche eigenen Wahrnehmungen dieser im Zusammenhang damit gemacht hat. Soweit das Verwaltungsgericht die im zweiten Satz des Antrages unter Beweis gestellte Tatsache, dass die vier Brüder des G. M. heute einflussreiche Persönlichkeiten sind und in herausgehobenen staatlichen Stellungen tätig sind, als wahr unterstellt hat, folgt daraus keine Inkongruenz. Das Verwaltungsgericht hat diesen Umstand berücksichtigt, ohne an anderer Stelle der Entscheidungsgründe damit unvereinbare Feststellungen zugrunde gelegt zu haben. Es hat ihn lediglich - ohne, dass sich dies den Gesetzen der Logik entziehen würde oder willkürlich wäre und insofern zulassungsrechtlich bedeutsam sein könnte - im Rahmen der Gesamtwürdigung nicht als ausschlaggebend angesehen.
22Die erfolgte Ablehnung des Beweisantrages zu Ziffer 6 ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden, weil auch dieser Antrag unsubstantiiert ist. Einerseits fehlt es an der für den Zeugenbeweis erforderlichen Konkretisierung der unter Beweis gestellten Behauptung und andererseits an der Darlegung, welche Wahrnehmungen der benannte Zeuge in Bezug auf das Beweisthema selbst gemacht haben soll.
23Vgl. dazu Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage, § 98 Rn. 32.
24Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt darin aus den vorstehenden Gründen nicht.
25Der weitere Einwand des Klägers, das Verwaltungsgericht habe sein rechtliches Gehör verletzt, indem es als Beleg für die tatsächliche Situation in der Provinz Baghlan gerichtliche Entscheidungen zitiert habe, ohne diese oder die ihnen zugrunde liegenden Erkenntnisquellen in das Verfahren eingeführt zu haben, verhilft dem Zulassungsvorbringen ebenfalls nicht zum Erfolg. Denn eine dadurch etwaig begründete Gehörsverletzung würde, da das Verwaltungsgericht selbstständig tragend festgestellt hat, dass Kabul dem Kläger eine interne Schutzalternative bietet, nichts am Ergebnis der Entscheidung ändern.
262. Die geltend gemachte Abweichung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG liegt ebenfalls nicht vor. Die Darlegung einer Abweichung nach dieser Vorschrift setzt voraus, dass der Zulassungsantrag einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechts- oder verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz benennt, mit dem das Verwaltungsgericht einem in der Rechtsprechung eines in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG genannten Divergenzgerichts aufgestellten entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz widersprochen hat.
27Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. März 2007 - 1 B 271.06 -, juris; OVG NRW, Beschlüsse vom 27. Januar 2014 - 13 A 1705/13.A -, und vom 2. April 2004 - 15 A 1298/04.A -, juris, Rn. 8.
28Daran fehlt es hier. Das Verwaltungsgericht hat in der angegriffenen Entscheidung nicht einen - vom Kläger im Übrigen auch nicht benannten - abstrakten Rechtssatz aufgestellt, der von einem in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - aufgestellten Rechtssatz abweicht. Soweit der Kläger meint, das verwaltungsgerichtliche Urteil widerspreche den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts insoweit, als die Herkunftsregion bzw. Teilgebiete davon regelmäßig nicht als interne Schutzalternative in Betracht zu ziehen seien, ist bereits zweifelhaft, ob die zur Begründung der Divergenz zitierte Feststellung des Verwaltungsgerichts, der Kläger könne innerhalb seiner Herkunftsprovinz in sicherere Gebiete ausweichen, als Verweis auf eine interne Schutzalternative zu verstehen ist oder nicht vielmehr Teil der Bewertung der Sicherheitslage in der Provinz Baghlan ist. Selbst von Ersterem ausgehend, würde es sich dabei aber allenfalls um eine fehlerhafte Rechtsanwendung im Einzelfall handeln, auf die die Divergenzrüge nicht mit Erfolg gestützt werden kann.
29Ebenfalls ohne Erfolg begründet der Kläger diese - erneut ohne insoweit einen abweichenden abstrakten Rechtssatz in dem angefochtenen Urteil zu benennen - damit, dass das Verwaltungsgericht zur Begründung der internen Schutzalternative einen mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht in Einklang stehenden Zumutbarkeitsmaßstab zugrunde gelegt habe. Abgesehen davon, dass auch mit diesem Einwand lediglich eine - zulassungsrechtlich unerhebliche - fehlerhafte Rechtsanwendung im Einzelfall dargetan ist, trifft er der Sache nach nicht zu. Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass Fälle von Tod aufgrund von Hunger oder Unterernährung in den vergangenen zehn Jahren bei Afghanistanrückkehrern nicht zu beobachten gewesen seien, setzt keinen Maßstab für die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative, sondern füllt neben einer Reihe anderer Gesichtspunkte als ein Teilaspekt einen Zumutbarkeitsmaßstab aus. Dass das Verwaltungsgericht dabei nicht das bloße Existenzminimum zum Maßstab genommen hat, ergibt sich offenkundig aus den Entscheidungsgründen.
303. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG). Die Darlegung der Grundsatzbedeutung setzt voraus, dass eine bestimmte, obergerichtlich oder höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärte und für die Berufungsentscheidung erhebliche Frage rechtlicher oder tatsächlicher Art herausgearbeitet und formuliert wird; zudem muss angegeben werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Darzulegen sind die konkrete Frage, ihre Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit und allgemeine Bedeutung.
31Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 7. Januar 2013 -13 A 727/10.A -, vom 10. August 2012 - 13 A 151/12.A ‑, juris, Rn. 2 und vom 24. Februar 2011 ‑ 13 A 2839/10.A -.
32Im Hinblick auf unionsrechtliche Fragen ist eine Rechtssache dann von grundsätzlicher Bedeutung, wenn dargelegt ist, dass im weiteren Rechtsmittelverfahren voraussichtlich eine Vorabentscheidung des EuGH gemäß Art. 267 AEUV einzuholen sein wird. Daran fehlt es, wenn hinreichende Gründe vorliegen, die die Einholung einer Vorabentscheidung entbehrlich erscheinen lassen, oder wenn es für die Entscheidung des Zulassungsantrages nicht auf die aufgeworfene unionsrechtliche Frage ankommt.
33Vgl. Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage, § 124 Rn. 136.
34Das ist hier der Fall. Zur Einholung einer Vorabentscheidung durch den EuGH zu den vom Kläger aufgeworfenen Fragen,
35„ob die Definition des Grades willkürlicher Gewalt bzw. der notwendigen Gefährdungsdichte seitens des BVerwG in seinem Urteil vom 27. April 2010 ‑ 10 C 4.09 - mit Art. 15 lit. c) der Richtlinie 2004/83/EG (QRL I) und Art. 15 lit. c) der Richtlinie 2011/95/EU (QRL II) vereinbar ist
36und
37ob bei der Feststellung des Niveaus der willkürlichen Gewalt ohne gefahrerhöhende persönliche Umstände nur die Zahl der Todesfälle und Verletzten bei der Zivilbevölkerung zugrunde gelegt werden darf bzw. muss oder darüber hinaus auch die Zahl seelisch verletzter Personen mit ernsthaften Traumata, die Zahl der Vergewaltigungen oder sexuellen Gewalt gegen Frauen und Männer bzw. Kinder, die Zahl der willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen, die Zahl der (auch drohenden) Zwangsrekrutierungen, die Anzahl der Binnenvertriebenen im Land, die erhebliche Dunkelziffer betreffend alle Zahlen und die humanitäre Situation zu berücksichtigen sind,“
38sieht der Senat mangels Klärungsbedarfs keine Veranlassung.
39Vgl. bereits OVG NRW, Urteil vom 26. August 2014 ‑ 13 A 2998/11 -.
40Es besteht kein Ansatz dafür, dass das für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach der Entscheidung des BVerwG vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 - erforderliche Niveau willkürlicher Gewalt nicht mit Art. 15 lit. c) QRL I bzw. Art. 15 lit. c) QRL II vereinbar ist, zumal sich das BVerwG auf die zu dieser Vorschrift ergangene Rechtsprechung des EuGH bezieht. Soweit die zweite Frage letztlich auf die Berücksichtigung qualitativer Aspekte bei der zu treffenden Gefahrenprognose abzielt, sieht der Senat bereits deswegen keinen Klärungsbedarf, weil auch nach der Rechtsprechung des BVerwG neben der quantitativen Ermittlung der Gefahrendichte eine wertende Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der Anzahl der Opfer und der Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) vorzunehmen ist, wobei die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden können.
41Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, juris, Rn. 33, und vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 ‑, juris, Rn. 23,
42und damit eine Berücksichtigung qualitativer Gesichtspunkte einhergeht.
43Die weitere Frage,
44„ob die inländische Schutzalternative des Artikel 8 QRL I bzw. nach Art. 8 QRL II voraussetzt, dass am Ort der inländischen Schutzalternative ein normales Leben mit Zugang zu Nahrung, Wasser, Unterkunft und medizinischer Versorgung unter Beachtung der individuellen Bedürfnisse und ein normales Leben mit mehr als dem bloßen Existenzminimum ohne ein Leben in Not und mit Entbehrungen auf Dauer gewährleistet, also sichergestellt ist und die Garantie der Achtung der Menschenrechte des Betroffenen ein ausreichendes Maß an Stabilität und effektiven staatlichen und zivilen Schutzstrukturen, die auf Dauer effektiven Schutz vermitteln, gewährleistet, also sicher gestellt ist“
45ist ebenfalls nicht grundsätzlich bedeutsam. Sie betrifft die - nicht klärungsbedürftigen, weil geklärten - Anforderungen, die an die Annahme einer internen Schutzalternative im Sinne des Art. 8 QRL I bzw. QRL II zu stellen sind. Die Frage, wann von einem Schutzsuchenden „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, hat das BVerwG dahin präzisiert, dass dieser Zumutbarkeitsmaßstab über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinausgehe.
46Vgl. BVerwG, Urteile vom 29. Mai 2008 - 10 C 11.07 ‑, juris, Rn. 35, und vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, juris, Rn. 20.
47Dass diese Feststellung nicht den Grad an Detailliertheit erreicht, den der Kläger insoweit für geboten hält, ist zulassungsrechtlich unerheblich. Im Übrigen ist diese Frage auch in der Rechtsprechung des Senats geklärt, der hierzu in seinem Urteil vom 26. August 2014 - 13 A 2998/11 - in Anschluss an die Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg Folgendes ausgeführt hat:
48„Nach den vorstehend genannten Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine zumutbare Schutzalternative etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder im Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, bietet keinen internen Schutz.
49Vgl. VGH Bad.Württ., Urteil vom 6. März 2012 - A 11 S 3177/11 -, juris, Rn. 30.”
50Soweit der Kläger auf eine Vielzahl weiterer, seiner Auffassung nach prüfungsbedürftiger Kriterien verweist, fehlt es mit Blick darauf schon an der für die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage erforderlichen Darlegung, weil sein Vorbringen sich nicht dazu verhält, wie deren Anwendung sich im vorliegenden Fall konkret auswirken würde.
51Die weitere Einwand des Klägers, es bestehe eine Abweichung zwischen dem in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 - aufgestellten Rechtssatz, Art. 4 Abs. 4 QRL I privilegiere den Vorverfolgten bzw. Geschädigten durch die (widerlegbare) Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung oder Schädigung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werde, und einem in dem verwaltungsgerichtlichen Urteil inzident aufgestellten Rechtssatz, dass eine Vorverfolgung bzw. Vorschädigung im Sinne des Art. 4 Abs. 4 QRL I völlig irrelevant sei und nicht beachtet werden müsse, greift nicht durch. Denn er trifft nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat keinen abstrakten Rechtssatz diesen Inhalts aufgestellt. Der Kläger versucht dies - erfolglos - daraus herzuleiten, dass das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt habe, dass er schriftlich bedroht worden sei, aber gleichwohl die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 4 QRL I nicht als erfüllt angesehen habe. Im Kern beanstandet der Kläger damit erneut lediglich eine fehlerhafte ‑ im Rahmen der erhobenen Divergenzrüge unbeachtliche - einzelfallbezogene Rechtsanwendung.
52Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylVfG.
53Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.
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Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn
- 1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, - 2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war, - 3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war, - 4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat, - 5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder - 6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.