Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 24. Aug. 2011 - 11 O 43/11
Gericht
Tenor
Die Beschwerden der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern gegen die Beschlüsse des Berufsgerichts für die Heilberufe bei dem Verwaltungsgericht Greifswald vom 12.04.2011 werden zurückgewiesen.
Die Ärztekammer trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren einschließlich der notwendigen Auslagen der Beschuldigten.
Gründe
I.
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Dem Beschuldigten in dem Verfahren 11 O 43/11 (im folgenden Beschuldigter zu 1.) wird zur Last gelegt, unter dem 06.06.2008 „als weiterbildender Arzt ein inhaltlich unrichtiges Weiterbildungszeugnis erstellt“ zu haben. Dem Beschuldigten in dem Verfahren 11 O 44/11 (Beschuldigter zu 2.) wird „der Gebrauch eines inhaltlich unrichtigen Zeugnisses“ (nämlich des Zeugnisses vom 06.06.2008) zur Last gelegt.
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Die Ärztekammer hat gegen die Beschuldigten jeweils gesondert berufsgerichtliche Klagen erhoben.
- 3
Das Berufsgericht hat die Eröffnung der Verfahren abgelehnt. In den Gründen der erstinstanzlichen Beschlüsse heißt es u.a.: Das Zeugnis vom 06.06.2008 sei nicht inhaltlich unrichtig. Die Auffassung der Ärztekammer, durch das „Zeugnis zur Erlangung der Schwerpunktanerkennung Neonatologie vom 06.06.2008 habe der Eindruck erweckt werden sollen, die in Rede stehende Weiterbildung sei ganztägig erfolgt, treffe nicht zu. Das Zeugnis enthalte keine Angaben zur „Weiterbildungszeit“, wohl aber eine Beschreibung der Tätigkeit des Weiterzubildenden und ungefähre Angaben zur Zahl der von ihm behandelten Patienten. Die insoweit getroffenen Feststellungen habe die Ärztekammer nicht substantiiert in Frage gestellt.
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Gegen die jeweilige Ablehnung der Verfahrenseröffnung richten sich die vorliegenden Beschwerden der Ärztekammer.
II.
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Die nach § 76 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 HeilBerG M-V statthaften und auch sonst zulässigen Beschwerden, über die durch Sammelbeschluss entschieden wird (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 08.05.2001 - 11 LA 1623/01 -, m.w.N.; OVG Greifswald, Beschl. v. 18.11.2009 - 1 M 82/09 -; OVG Greifswald, Beschl. v. 23.07.09 - 2 O 50/09 -, Rn. 3, alle zitiert nach juris), bleiben in der Sache ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat es zur Recht abgelehnt, die berufsgerichtlichen Verfahren zu eröffnen.
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Rechtsgrundlage für die Ablehnung der Verfahrenseröffnung ist § 76 Abs. 2 bzw. Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 HeilBerG M-V. Danach setzt die Ablehnung voraus, dass der Vorwurf des Berufsvergehens offenbar unbegründet oder die Eröffnung des Verfahrens unzulässig oder die Durchführung eines Verfahrens wegen Geringfügigkeit des Berufsvergehens nicht erforderlich erscheint.
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Offenbar unbegründet ist der Vorwurf eines Berufsvergehens jedenfalls dann, wenn ohne Weiteres zu erkennen ist, dass der Beschuldigte wegen des ihm zur Last gelegten Verhaltens nicht verurteilt werden wird. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht zur Verurteilung kommen wird. Umgekehrt ausgedrückt ist für die Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens der auf konkrete Tatsachen gestützte (ernsthafte) Verdacht einer Berufspflichtverletzung erforderlich, wovon auch die Ärztekammer zutreffend ausgeht.
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Nach diesen Maßstäben erweisen sich die gegen die Beschuldigten erhobenen Vorwürfe auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Beschwerdeverfahren als offensichtlich unbegründet.
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Zu folgen ist der Ärztekammer lediglich in ihrem rechtlichen Ansatz, dass es ein Berufsvergehen darstellen würde, wenn ein Arzt einem anderen Arzt ein inhaltlich unrichtiges Weiterbildungszeugnis ausstellt, um diesem so zu einer Anerkennung durch die Ärztekammer zu verhelfen, die ihm nicht zusteht, wie es auch ein Berufsvergehen darstellen würde, wenn der Arzt, der das (erkanntermaßen) unrichtige Weiterbildungszeugnis erhält, von diesem gegenüber der Ärztekammer Gebrauch macht. Jedenfalls läge in einem solchen Verhalten ein Verstoß gegen die Pflicht zu standesgemäßem Verhalten (vgl. § 2 Berufsordnung).
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Nicht zu folgen ist der Ärztekammer jedoch in ihrer Auffassung, dass das Zeugnis vom 06.06.2008 „inhaltlich unrichtig“ ist. Nach dem Sachverhalt, so wie er dem Senat unterbreitet worden ist, erscheint dieser Vorwurf als offensichtlich unbegründet.
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Der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass das Weiterbildungszeugnis keine (ausdrücklichen) Angaben über den (täglichen/wöchentlichen) zeitlichen Umfang der bescheinigten Weiterbildung enthalte, ist die Ärztekammer nicht substantiiert entgegen getreten. Auch der Senat vermag dem bei den Akten befindlichen Zeugnis derartige Angaben nicht zu entnehmen. Darin heißt es lediglich, die Weiterbildung sei am „1.7.2006“ begonnen worden und zwar im Rahmen einer Kooperation zwischen den beiden Kliniken, an denen die Beschuldigten zu der Zeit jeweils tätig waren. Der Beschuldigte zu 2. sei an beiden Standorten mit der Behandlung von Neonaten, Frühgeborenen und sehr untergewichtigen Frühgeborenen betraut gewesen. Sofern die Ärztekammer geltend machen will, mit dem Zeugnis werde unausgesprochen oder schlüssig bescheinigt, dass es sich um eine Weiterbildung „in Vollzeit“ gehandelt habe, so erweist sich auch dies als offensichtlich unzutreffend.
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Ärztliche Weiterbildungszeugnisse sind wie Willenserklärungen auszulegen, das heißt entsprechend §§ 133, 157 BGB. Es kommt also auf ihren objektiven Erklärungsinhalt an, so wie der Empfänger sie unter Berücksichtigung der für die Auslegung wesentlichen Umstände verstehen konnte. Da das Zeugnis hier zur Vorlage bei der Ärztekammer bestimmt war, kommt es also auf deren Empfängerhorizont an.
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Für die Ärztekammer war aber ohne Weiteres erkennbar, dass keine Vollzeitweiterbildung gemeint gewesen sein konnte. Es war der Ärztekammer bekannt, dass der Beschuldigte zu 2. während des für die Weiterbildung angegebenen Zeitrahmens eine „Vollzeittätigkeit als angestellter Universitätsprofessor“ ausübte, wie sich schon aus dem eigenen Vortrag der Ärztekammer in der Anklageschrift ergibt. Dieser Umstand legt es nahe, dass die Weiterbildung nicht ebenfalls „in Vollzeittätigkeit“ erfolgt sein konnte. Offensichtlich hat die Ärztekammer diese Überlegung auch angestellt und nicht etwa irrtümlich angenommen, dass die Weiterbildung als Vollzeittätigkeit ausgestaltet gewesen wäre. Die Ärztekammer hat in den Beschwerdebegründungen ausdrücklich angegeben, dass sich das Zeugnis vom 06.06.2008 von den zahlreichen sonst vom Beschuldigten zu 1. erstellten Weiterbildungszeugnissen im Hinblick auf die angegebenen Weiterbildungszeiten „signifikant“ unterscheide. Zumindest hatte die Ärztekammer bezüglich der Weiterbildungszeit von vornherein Zweifel; denn sie hat mit Schreiben vom 24.09.2008 beim Beschuldigten zu 1. nachgefragt, ob die Weiterbildung unter seiner Anleitung „in einem Umfang von 35 Wochenstunden“ erfolgt sei. Darauf hat der Beschuldigte zu 1. mit Schreiben vom 26.09.2008, also unverzüglich, erklärt, er könne eine Bestätigung gemäß den von der Ärztekammer „dargelegten Vorgaben“ nicht abgeben.
- 14
Sofern die Ärztekammer meint, es ergebe sich aus berufsrechtlichen Bestimmungen, dass das Zeugnis nur so ausgelegt werden könne, dass eine Weiterbildung in Vollzeit gemeint gewesen sei, berücksichtigt sie nicht genügend, dass die Auslegung – wie ausgeführt – nach dem objektiven Erklärungsinhalt des Zeugnisses zu erfolgen hat. Außerdem sehen die maßgeblichen Vorschriften auch nicht zwingend vor, dass die Weiterbildung „in Vollzeit“ zu geschehen habe. So heißt es etwa in § 4 Abs. 5 der (von der Ärztekammer übersandten) Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern vom 26.05.2005 (WBO), dass die Weiterbildung „grundsätzlich“ ganztägig und in hauptberuflicher Stellung durchzuführen sei. In § 4 Abs. 6 WBO ist außerdem die „Weiterbildung in Teilzeit“ vorgesehen. Aus der Verwendung des Begriffes „grundsätzlich“ ergibt sich nach allgemeinem juristischen Verständnis, dass jedenfalls in atypischen Fällen auch von der Voraussetzung der Vollzeitweiterbildung abgesehen werden kann. Auch nach Sinn und Zweck der Vorschriften über die Weiterbildung erscheint es nicht fernliegend, wenn der Erwerb besonderer Kenntnisse und Fertigkeiten in einem speziellen medizinischen Bereich auch auf andere Weise als durch Vollzeitweiterbildung ermöglicht werden kann. Dies wird von der Ärztekammer anscheinend im Ansatz ebenso gesehen; denn sowohl in den Anklageschriften als auch in den Beschwerdebegründungen geht sie ausdrücklich davon aus, dass Weiterbildungen (lediglich) „grundsätzlich“ in Vollzeit zu absolvieren seien. Allerdings ist dem Vortrag der Ärztekammer nicht zu entnehmen, ob und in welchen Fällen sie Ausnahmen zulassen würde, was im Übrigen auch nach § 37 Abs. 4 Satz 2 HeilBerG M-V vorgesehen ist.
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Sofern es der Ärztekammer um die rechtliche Klärung gehen sollte, ob im vorliegenden Fall die Weiterbildung ausreichend war, um die begehrte Anerkennung auszusprechen, hätte die Möglichkeit bestanden, einen entsprechenden (ablehnenden) Bescheid zu erteilen, der den Zugang zu einer gerichtlichen Klärung eröffnet hätte, wie dies offenbar in dem von der Ärztekammer erwähnten vom Niedersächs. Oberverwaltungsgericht entschiedenen Fall (Beschl. v. 14.03.2007 – 8 LA 177/06 -) erfolgt ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Abs. 1, Abs. 5 Satz 2 HeilBerG M-V analog.
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Annotations
Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.
Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
(1) Der Beschwerdeführer kann vor Einlegung der Beschwerde einen Vermittler anrufen, wenn er sich persönlich gekränkt fühlt und ihm ein gütlicher Ausgleich möglich erscheint.
(2) Der Vermittler darf frühestens nach Ablauf einer Nacht und muss innerhalb einer Woche, nachdem der Beschwerdeführer von dem Beschwerdeanlaß Kenntnis erhalten hat, angerufen werden.
(3) Als Vermittler wählt der Beschwerdeführer einen Soldaten, der sein persönliches Vertrauen genießt und an der Sache selbst nicht beteiligt ist. Der als Vermittler Angerufene darf die Durchführung der Vermittlung nur aus wichtigem Grund ablehnen. Unmittelbare Vorgesetzte des Beschwerdeführers oder desjenigen, über den die Beschwerde geführt wird (Betroffener), dürfen die Vermittlung nicht übernehmen.
(4) Der Vermittler soll sich in persönlichem Benehmen mit den Beteiligten mit dem Sachverhalt vertraut machen und sich um einen Ausgleich bemühen.
(5) Bittet der Beschwerdeführer den Betroffenen vor der Vermittlung oder an Stelle einer Vermittlung um eine Aussprache, hat der Betroffene ihm Gelegenheit zur Darlegung seines Standpunkts zu geben.
(6) Der Lauf der Beschwerdefrist wird durch eine Vermittlung oder eine Aussprache nicht gehemmt.