Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 17. Apr. 2018 - 1 L 233/13

published on 17/04/2018 00:00
Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 17. Apr. 2018 - 1 L 233/13
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Gericht

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Tenor

Es wird festgestellt, dass sich die Hauptsache erledigt hat. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 8. August 2013 – 4 A 1587/10 – wird für unwirksam erklärt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Gegenstand des Verfahrens ist ein Erledigungsrechtsstreit wegen eines Beitragsbescheides.

2

Der Beklagte setzte gegen die Kläger als Eigentümer des Grundstücks Gemarkung A-Stadt, Flur ..., Flurstück .../... am 6. September 2010 einen Anschlussbeitrag für die Herstellung der zentralen Schmutzwasserbeseitigungsanlage in Höhe von 2.445,90 Euro fest. Den Widerspruch der Kläger gegen diesen Bescheid wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2010 zurück. Am 9. November 2010 haben die Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Schwerin erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 8. August 2013 – 4 A 1587/10 – abgewiesen und zugleich die Berufung zugelassen. Das Urteil ist den Klägern am 4. Oktober 2013 zugestellt worden. Am 4. November 2013 haben die Kläger Berufung gegen das Urteil eingelegt. Auf den am 4. Dezember 2013 gestellten Antrag der Kläger hat der Vorsitzende die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 15. Januar 2014 verlängert, auf einen weiteren Antrag vom 15. Januar 2014 hin bis zum 10. Februar 2014. Am 10. Februar 2014 haben die Kläger die Berufung begründet.

3

Am 9. Dezember 2016 haben die Kläger wegen des Inkrafttretens von Artikel 1 Nummer 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016 (GVOBl. M-V S. 584) die Erledigung der Hauptsache erklärt. Die Erfolgsaussichten der Klage hätten sich durch die Gesetzesänderung wesentlich verschlechtert. Das Handeln des Gesetzgebers falle nicht in die Sphäre der Kläger. Vielmehr müsse der Beklagte das Risiko einer unzureichenden Gesetzesgrundlage für sein Handeln tragen.

4

Der Beklagte hat der Erledigungserklärung widersprochen. Eine Erledigung der Hauptsache sei nicht eingetreten. Der angefochtene Beitragsbescheid sei weiter wirksam und auch bei Erlass rechtmäßig gewesen. Der Beklagte habe das geltende Recht angewandt, dass eine Beitragserhebung im vorliegenden Fall auch noch im Jahre 2010 erlaubt habe.

5

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

6

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vom Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

7

Das Gericht durfte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO.

II.

8

Gegenstand des anhängigen Verwaltungsstreitverfahrens ist nur noch die Frage, ob sich die Hauptsache erledigt hat. Das ist dann der Fall, wenn ein nach der Klageerhebung eingetretenes außerprozessuales Ereignis dem Klagebegehren die Grundlage entzogen hat und die Klage deshalb für den Kläger gegenstandslos geworden ist. Das Prozessrecht eröffnet dem Kläger die Möglichkeit, in einem solchen Fall den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären. Die Wirksamkeit der Erklärung hängt nicht davon ab, dass die Klage ursprünglich zulässig und begründet war. Widerspricht der Beklagte der Erledigungserklärung, wird der Rechtsstreit mit der geänderten Streitgegenstand fortgesetzt. Das Gericht hat dann grundsätzlich nur noch die Frage zu prüfen, ob sich das ursprüngliche Klagebegehren durch ein nach Klageerhebung eingetretenes Ereignis außerhalb des Prozesses erledigt hat. Erweist sich das Vorbringen des Klägers über ein nachträgliches Ereignis, das seiner Klage die Grundlage entzogen habe, als richtig, so ist dem geänderten Klageantrag stattzugeben, anderenfalls ist die Klage abzuweisen (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.10.1990 – 4 C 7/88 –, juris Rn. 19 m.w.N.).

9

Ein Kläger kann nicht nur dann zum Begehren auf Feststellung der Hauptsacheerledigung übergehen, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt im engeren Sinn erledigt hat, etwa durch dessen Aufhebung. Erledigung tritt auch ein, wenn das Verfahren infolge einer Rechtsänderung oder einer anderen wesentlichen Änderung eine derartige Wendung zu Ungunsten des Klägers genommen hat, dass eine bis dahin aussichtsreiche Klage unbegründet geworden oder ihre Erfolgsaussicht entscheidend geschmälert worden ist. Für das Beitragsrecht hat das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung entschieden, der Kläger könne die drohende Prozesskostenlast, die mit der Möglichkeit einer nachträglichen Heilung eines Heranziehungsbescheids im Verwaltungsprozess durch den (erstmaligen) Erlass einer wirksamen Beitragssatzung oder die Erfüllung sonstiger Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einhergeht, verlässlich dadurch abwenden, dass er die Hauptsache für erledigt erklärt (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.01.1993 – 8 C 40/91 –, juris Rn. 13 m.w.N.).

10

Gemessen daran, ist der geänderte Klage zulässig und begründet. Die Kläger durften das Inkrafttreten von Artikel 1 Nummer 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016 (GVOBl. M-V S. 584) zum Anlass nehmen, die Erledigung der Hauptsache zu erklären. Mit dieser Gesetzesänderung war eine wesentliche Verschlechterung der Erfolgsaussichten ihrer Anfechtungsklage gegen den Beitragsbescheid verbunden.

11

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzte das Landesrecht in Mecklenburg-Vorpommern der Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für einen Vorteil durch Anschluss an eine öffentliche Einrichtung schaffen sollen, keine bestimmte zeitliche Höchstgrenze, falls die maßgeblichen Beitragssatzungen zunächst nichtig waren und erst später durch rechtswirksame Satzungen ersetzt worden sind. Das Landesrecht ließe in diesen Fällen entgegen dem verfassungsrechtlichen Gebot der Belastungsklarheit und Belastungsvorhersehbarkeit das berechtigte Interesse des Bürgers, in zumutbarer Zeit Klarheit darüber zu gewinnen, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss, völlig unberücksichtigt. Das Bundesverwaltungsgericht war obiter dictum weiterhin der Auffassung, dass sich der Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit (erst) auf Bescheide ausgewirkt habe, die nach Ablauf der bis zum 31. Dezember 2008 reichenden Übergangsfrist aus § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V a.F. erlassen worden sind (BVerwG, Urt. v. 15.04.2015 – 9 C 19/14 –, juris Rn. 10, 14). Die gegen einen Beitragsbescheid vom 6. September 2010 gerichtete Klage hatte jedenfalls aus diesem Gesichtspunkt heraus eine erhebliche Erfolgsaussicht.

12

Dieses verfassungsrechtliche Erhebungshindernis ist durch das Erste Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016 beseitigt worden (umfassend dargestellt in OVG Greifswald, Urt. v. 06.09.2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 68 ff.). Damit besteht nunmehr eine mit höherrangigem Recht vereinbare landesgesetzliche Festlegung einer zeitlichen Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner, so dass die Erfolgsaussicht der Anfechtungsklage durch die Gesetzesänderung entscheidend geschmälert worden ist. Auf den Umstand, dass die bis 29. Juli 2016 bestehende Rechtslage nicht vom Beklagten zu vertreten ist, kommt es hier nicht an. Maßgeblich ist allein, dass sich das ursprüngliche Klagebegehren der Kläger erledigt hat.

13

Aus Gründen der Rechtsklarheit war es geboten, das nicht rechtskräftig gewordene Urteil des Verwaltungsgerichts in dieser Sache für rechtsunwirksam zu erklären (vgl. BVerwG, Beschl. v. 17.12.1993 – 3 B 134/92 –, juris Rn. 3).

III.

14

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 ZPO. Es liegen keine Gründe gemäß § 132 Abs. 2 VwGO für die Zulassung der Revision vor.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulas

Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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published on 15/04/2015 00:00

Tatbestand 1 Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu einem Schmutzwasseranschlussbeitrag. 2
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published on 24/11/2016 00:00

Tenor Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibende
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Annotations

(1) Für das Berufungsverfahren gelten die Vorschriften des Teils II entsprechend, soweit sich aus diesem Abschnitt nichts anderes ergibt. § 84 findet keine Anwendung.

(2) Ist die Berufung unzulässig, so ist sie zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluß ergehen. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Gegen den Beschluß steht den Beteiligten das Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Die Beteiligten sind über dieses Rechtsmittel zu belehren.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.