Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 08. Okt. 2014 - 1 L 168/11

bei uns veröffentlicht am08.10.2014

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 11. Mai 2011 – 2 A 1548/10 – wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um Grundsteuern.

2

Die Klägerin ist Eigentümerin der Grundstücke E... Straße ...-... und N... Straße ..., ..., ..., ..., ... in A-Stadt. Der Grundsteuermessbetrag beträgt 5.401,28 Euro für das Grundstück E... Straße ...-... und 2.432,11 Euro für das Grundstück N... Straße ..., ..., ..., ..., .... Der Beklagte setzte für das Erhebungsjahr 2010 mit zwei Bescheiden gemäß § 164 AO vom 12. Januar 2010 für die vorgenannten Grundstücke unter Zugrundelegung eines Hebesatzes von 410 v.H. Grundsteuern in Höhe von 21.992,65 Euro und 9.971,65 Euro fest.

3

Die Stadtvertretung der Stadt Neubrandenburg beschloss am 28. Januar 2010, den Hebesatz für die Grundsteuer für die Grundstücke der Grundsteuer B von 410 v.H. auf 480 v.H. heraufzusetzen. Diese Festsetzung wurde Gegenstand der Haushaltssatzung für das Haushaltsjahr 2010 (nachfolgend: Haushaltssatzung 2010), die am 3. Juni 2010 beschlossen und am 17. November 2010 im „Stadtanzeiger der Stadt Neubrandenburg“ Nummer 11 veröffentlicht wurde. Der Beklagte setzte daraufhin für die Grundstücke der Klägerin mit zwei Änderungsbescheiden vom 18. November 2010 (Aktenzeichen 7...3 und 7...2) für das Erhebungsjahr 2010 Grundsteuern in Höhe von 25.747,49 Euro und 11.674,13 Euro fest. Den Widerspruch der Klägerin gegen die Änderungsbescheide wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. Dezember 2010 zurück.

4

Am 29. Dezember 2010 hat die Klägerin gegen die Änderungsbescheide Klage zum Verwaltungsgericht erhoben. Zu deren Begründung hat sie vorgetragen, die Haushaltssatzung 2010 sei nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden. Die im Impressum des „Stadtanzeigers“ angegebene Bezugsmöglichkeit stimme nicht mit der Regelung in der Hauptsatzung überein. Neben der Verteilung eines Amtsblattes an die Haushalte müsse zudem eine weitere Bezugsmöglichkeit bestehen, die es den außerhalb der Stadt lebenden Betroffenen ermögliche, vom Satzungsrecht Kenntnis zu nehmen. Daran fehle es. Die Möglichkeit des Abonnements sehe weder die Hauptsatzung vor, noch werde darauf im Impressum hingewiesen. Im Impressum müssten aber sämtliche Bezugsmöglichkeiten aufgeführt sein.

5

Die Klägerin hat beantragt,

6

den Bescheid vom 18. November 2010 (Aktenzeichen 7...3) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2010 und den Bescheid vom 18. November 2010 (Aktenzeichen 7...2) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2010 aufzuheben.

7

Der Beklagte hat beantragt,

8

die Klage abzuweisen.

9

Der Beklagte hat im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorgetragen, die Bekanntmachung der Haushaltssatzung sei wirksam erfolgt. Das amtliche Bekanntmachungsblatt der Stadt Neubrandenburg erfülle die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Bekanntmachungsorgan. Der Vertrieb des Bekanntmachungsblattes stelle die Kenntnisnahme der Öffentlichkeit sicher.

10

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 11. Mai 2011 – 2 A 1548/10 – die Bescheide vom 18. November 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2010 aufgehoben und die Kosten des Verfahrens dem Beklagten auferlegt.

11

Zur Begründung hat es ausgeführt, die Haushaltssatzung 2010 sei mangels einer ordnungsgemäßen Bekanntmachung nicht wirksam geworden, damit fehle es an der Bestimmung des Hebesatzes. Der „Stadtanzeiger“ Nummer 11 vom 17. November sei ausweislich der Angaben im Impressum nicht kostenlos an alle Haushalte verteilt worden, wie es die Hauptsatzung der Stadt Neubrandenburg vorsehe.

12

Das Urteil ist dem Beklagten am 16. Mai 2011 zugestellt worden.

13

Am 31. Mai 2011 hat der Beklagte beantragt, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifwald vom 11. Mai 2011 – 2 A 1548/10 – zuzulassen. Am 12. Juli 2011 hat der Beklagte den Antrag begründet. Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 13. Mai 2014 zugelassen. Der Beschluss ist dem Beklagten am 16. Mai 2014 zugestellt worden. Am 28 Mai 2014 hat er die Berufung begründet.

14

Der Beklagte trägt vor, das Impressum des amtlichen Bekanntmachungsblatt sei kein Beleg dafür, dass der Stadtanzeiger nicht an alle Haushalte im Stadtgebiet verteilt worden sei. Dies sei im Gegenteil geschehen. Damit seien die Bestimmungen über öffentliche Bekanntmachungen in § 15 der Hauptsatzung der Stadt Neubrandenburg in der Fassung der 6. Satzung zur Änderung der Hauptsatzung der Stadt Neubrandenburg (nachfolgend: Hauptsatzung 2010) eingehalten worden. Im Übrigen seien sämtliche Voraussetzungen der Durchführungsverordnung zur Kommunalverfassung erfüllt. Eine Pflicht, alle Bezugsmöglichkeiten im Impressum anzugeben, bestehe nicht. Die Verordnung fordere auch nicht die ausdrückliche Angabe, dass das Bekanntmachungsblatt einzeln und im Abonnement zu beziehen sei.

15

Der Beklagte beantragt,

16

das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 11. Mai 2011 – 2 A 1548/10 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

17

Die Klägerin beantragt,

18

die Berufung zurückzuweisen.

19

Die Klägerin trägt vor, die Unwirksamkeit der Bekanntmachung der Haushaltssatzung 2010 folge schon daraus, dass die Angaben in § 15 Hauptsatzung 2010 nicht mit den Angaben über die Bezugsmöglichkeiten im amtlichen Bekanntmachungsblatt selbst übereinstimmten. Auf die tatsächlichen Bezugsmöglichkeiten komme es nicht an, da insbesondere Personen mit auswärtigem Wohnsitz für ihre Kenntnisse über den Bezug des Bekanntmachungsblattes auf eindeutige Angaben in der Hauptsatzung bzw. dem Blatt selbst angewiesen seien. Die fragliche Ausgabe des Stadtanzeigers gebe nicht die in der Durchführungsverordnung zur Kommunalverfassung zwingend vorgeschriebenen Bezugsmöglichkeiten an.

20

Zudem fehle auch eine wirksame Hauptsatzung und damit eine Bekanntmachungsvorschrift. Die Hauptsatzung sei ihrerseits nicht wirksam bekanntgemacht worden. Zwar folge die Bekanntmachung der ersten Hauptsatzung der eigenen Bekanntmachungsvorschrift. Die Hauptsatzung der Stadt Neubrandenburg vom 8. August 2002 enthalte jedoch eine unwirksame Bekanntmachungsregel, da sie entgegen § 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a KV-DVO in der bis zum 29. März 2008 gültigen Fassung nicht sämtliche Bezugsmöglichkeiten des amtlichen Bekanntmachungsblattes genannt habe und das Bekanntmachungsblatt dort nicht richtig bezeichnet sei. Dieser Bekanntmachungsmangel sei nicht geheilt worden. Auch die vorangegangene Hauptsatzung habe keine wirksame Bekanntmachungsvorschrift enthalten.

21

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

22

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat der zulässigen Anfechtungsklage der Klägerin im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Die Änderungsbescheide vom 18. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2010 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

23

Rechtsgrundlage der Steuerfestsetzung ist § 27 Abs. 1 Satz 1 GrStG. Danach wird die Grundsteuer für das Kalenderjahr festgesetzt. Gemäß § 25 Abs. 1 GrStG bestimmt die Gemeinde, mit welchem Hundertsatz des Steuermessbetrags oder des Zerlegungsanteils die Grundsteuer zu erheben ist (Hebesatz). An einer solchen Bestimmung des Hebesatzes fehlt es hier. Das führt zur Aufhebung der angefochtenen Bescheide.

24

Die Unwirksamkeit der Bestimmung des Hebesatzes folgt allerdings noch nicht aus dem Umstand, dass die Haushaltssatzung 2010 erst am 17. November des Erhebungsjahres bekanntgemacht worden ist. Nach § 25 Abs. 2 GrStG ist der Hebesatz für ein oder mehrere Kalenderjahre, höchstens jedoch für den Hauptveranlagungszeitraum der Steuermessbeträge festzusetzen. Der Beschluss über die Festsetzung oder Änderung des Hebesatzes ist gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 GrStG bis zum 30. Juni eines Kalenderjahres mit Wirkung vom Beginn dieses Kalenderjahres zu fassen. Maßgeblich für die Rechtzeitigkeit der Bestimmung ist der Zeitpunkt der Beschlussfassung durch die zuständige Gemeindevertretung, auf den Zeitpunkt der Genehmigung oder der Bekanntmachung des Beschlusses kommt es dagegen nicht an (BVerwG, Beschl. v. 13.07.1979 – 7 B 143.79 –, juris; FG Cottbus, Urt. v. 14.01.2009 – 3 K 2287/04 B –, juris). Der Gegenauffassung (OVG Magdeburg, Beschl. v. 04.02.1996 – 2 M 65/95 –, juris), wonach der Zeitpunkt der Bekanntgabe der Haushaltssatzung maßgeblich sei, folgt der Senat nicht. Zwar trifft es zu, dass die Haushaltssatzung, deren Bestandteil die Festsetzung des Hebesatzes zwingend ist (§ 45 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KV M-V), ihre Wirksamkeit erst mit der Bekanntmachung erfährt. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes soll es jedoch nicht auf den Zeitpunkt der Wirksamkeit des Beschlusses, sondern auf den Zeitpunkt des Beschlusses selbst ankommen, um zu bestimmen, ob die Grundsteuerpflichtigen im Kalenderjahr noch mit einer Erhöhung der Grundsteuer rechnen mussten. Es kann schließlich dahinstehen, ob es für § 25 Abs. 3 Satz 1 GrStG auf den Zeitpunkt der Einzelbeschlussfassung über den Hebesatz oder auf den Zeitpunkt des Beschlusses über die Haushaltssatzung ankommt, da auch die Haushaltssatzung 2010 insgesamt vor dem 30. Juni 2010 beschlossen worden ist.

25

Die Bestimmung des Hebesatzes für die Grundstücke der Grundsteuer B auf 480 v.H. ist jedoch deshalb bislang nicht wirksam geworden, weil die Haushaltssatzung 2010 noch nicht wirksam bekanntgemacht worden ist. Gemäß § 47 Abs. 3 Satz 1 KV M-V ist eine Haushaltssatzung öffentlich bekanntzumachen. In welcher Form die öffentliche Bekanntmachung von Satzungen zu erfolgen hat, wird durch eine Rechtsverordnung nach § 174 Abs. 1 Nr. 2 KV M-V geregelt. Im Übrigen bestimmt die Gemeinde Form, Fristen und Verfahren der öffentlichen Bekanntmachung in der Hauptsatzung (§ 5 Abs. 4 Satz 2 und 3 KV M-V). Das Satzungsrecht des Beklagten wies zum Zeitpunkt der Bekanntmachung der Haushaltssatzung 2010 am 17. November 2010 keine wirksame Bekanntmachungsregel auf. Die Bekanntmachungsvorschrift in § 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 der Hauptsatzung der Stadt A-Stadt vom 8. August 2002 in der Fassung der 6. Satzung zur Änderung der Hauptsatzung der Stadt Neubrandenburg vom 3. Juni 2010 (nachfolgend: Hauptsatzung 2010) war unwirksam.

26

Allerdings ist der Klägerin nicht zu folgen, soweit sie der Auffassung ist, die Hauptsatzung der Stadt Neubrandenburg vom 8. August 2002 (nachfolgend: Hauptsatzung 2002) sei ihrerseits nicht wirksam bekanntgemacht worden und deshalb insgesamt unwirksam. Die Bekanntmachung der Hauptsatzung 2002 erfolgte auf der Grundlage von § 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 der Hauptsatzung der Stadt Neubrandenburg vom 24. Mai 1995 (nachfolgend: Hauptsatzung 1995). Diese Vorschriften lauten:

27

Satzungen (§ 5 KV M-V) und sonstige Beschlüsse der Stadtvertretung werden im Stadtanzeiger der Stadt Neubrandenburg öffentlich bekanntgemacht. Der Stadtanzeiger der Stadt Neubrandenburg erscheint 14-tägig und wird an die Haushalte kostenlos verteilt. Kostenlose Exemplare des Stadtanzeigers liegen im Hauptgebäude der Stadtverwaltung aus. Gegen Erstattung der Portokosten kann der Stadtanzeiger direkt von der Stadt Neubrandenburg, Friedrich-Engels-Ring 53, 17033 Neubrandenburg, bezogen werden.

28

Diese Regelungen stehen mit § 4 Satz 1, Satz 2 Nr. 1, Nr. 2 Buchst. a der Durchführungsverordnung zur Kommunalverfassung vom 26. Januar 1995 (GVOBl. S. 87, nachfolgend: KV-DVO 1995) in Übereinstimmung. Danach regeln die Gemeinden die Einzelheiten der öffentlichen Bekanntmachung von Satzungen in der Hauptsatzung, die mindestens die Festlegung der Bekanntmachungsform und im Fall der Bekanntmachung durch ein amtliches Bekanntmachungsblatt die namentliche Bezeichnung des periodisch erscheinenden Druckwerks sowie die Angabe der Erscheinungsweise und die Bezugsmöglichkeiten enthalten musste. Die Bestimmung, wonach das Bekanntmachungsblatt gegen Erstattung der Portokosten direkt von der Stadt Neubrandenburg bezogen werden kann, stellt eine hinreichend bestimmte Angabe der Bezugsmöglichkeiten dar.

29

Der Zweck der öffentlichen Bekanntmachung erschöpft sich nicht in der wichtigen Aufgabe der inhaltlichen Kenntnisgabe der in der Satzung getroffenen Regelung, sie dient vielmehr auch der Rechtssicherheit und ist Geltungsbedingung einer Rechtsnorm. Die öffentliche Bekanntmachung informiert über den Erlass der Norm, macht den authentischen Text allgemein zugänglich und gewährleistet gleichzeitig eine einwandfreie Dokumentierung des Norminhaltes. Damit garantiert sie die zweifelsfreie und bindende Wiedergabe des Regelungsinhaltes einer Satzung und sichert so ab, dass sich jedermann aus allgemein zugänglichen Quellen über den Text der für ihn verbindlichen Regelung informieren kann. Der Bestimmtheitsgrundsatz verlangt vor diesem Hintergrund, dass die Bestimmungen in der gemeindlichen Hauptsatzung über die Veröffentlichung von Satzungen hinreichend klar sein müssen. Sie müssen dem Bürger die Möglichkeit geben, sich ohne Schwierigkeiten darüber zu informieren, wie Satzungen in der Gemeinde veröffentlicht werden. Inhaltlich müssen die Bestimmungen der Bekanntmachungsregelung so gefasst sein, dass sie gewährleisten, dem Kreis der von der Satzungsregelung unmittelbar Betroffenen schnellstens zuverlässig, ohne größeren Zeitaufwand und dauernd Kenntnis von dem Ortsrecht zu vermitteln (OVG Greifswald, Beschl. v. 26.08.2005 – 1 M 84/05 –, juris Rn. 13 f. m.w.N.).

30

Nach diesen Maßstäben hält der Senat die Bestimmung in § 15 Abs. 2 Satz 3 Hauptsatzung 1995 für noch hinreichend bestimmt. In materieller Hinsicht regelt § 6 Abs. 1 Nr. 5 KV-DVO 1995 die erforderlichen Bezugsmöglichkeiten und schreibt dazu vor, dass das amtliche Bekanntmachungsblatt einzeln und im Abonnement zu beziehen sein muss. Aus den Festsetzungen in der Hauptsatzung 1995, wonach die Bekanntmachungen der Stadt Neubrandenburg in einem regelmäßig erscheinenden amtlichen Bekanntmachungsblatt erfolgen, das gegen Erstattung der Portokosten bezogen werden kann, konnten die potentiellen Normbetroffenen ohne Schwierigkeiten entnehmen, dass sie das Bekanntmachungsblatt einzeln oder im Abonnement beziehen konnten. Dabei handelt es sich um die üblichen entgeltlichen Bezugsmöglichkeiten eines Periodikums. Die Formulierung gibt weder zu der Annahme Anlass, dass ein Bezug von einzelnen Ausgaben ausgeschlossen sei, noch lässt sie für den objektiven Betrachter erkennen, dass das Bekanntmachungsblatt nicht fortlaufend im Abonnement bezogen werden könnte.

31

Soweit § 15 Abs. 1 Satz 1 Hauptsatzung 1995 das amtliche Bekanntmachungsblatt als „Stadtanzeiger der Stadt Neubrandenburg“ namentlich bezeichnet, ist damit gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 KV-DVO 1995 in genügender Weise auf dessen amtlichen Charakter und den Träger der öffentlichen Verwaltung, der er herausgibt, hingewiesen. Die Bezeichnung des Bekanntmachungsblattes als „Stadtanzeiger der Stadt Neubrandenburg“ verweist auf seine Herausgeberin und lässt damit und durch die Verwendung des Begriffs des „Stadtanzeigers“, der auf die Funktion der Publikation als Organ einer Körperschaft verweist, dessen amtlichen Charakter hinreichend erkennen.

32

Die Bekanntmachungsvorschriften des § 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Hauptsatzung 2010 (ursprünglich § 16 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 der Hauptsatzung der Stadt Neubrandenburg vom 8. August 2002), auf deren Grundlage die Haushaltssatzung 2010 bekanntgemacht worden ist, verstoßen jedoch gegen höherrangiges Recht und sind deshalb unwirksam. Die Vorschriften lauten wie folgt:

33

Öffentliche Bekanntmachungen der Stadt erfolgen im Stadtanzeiger der Stadt A-Stadt. Der Stadtanzeiger der Stadt Neubrandenburg erscheint einmal monatlich, bei Bedarf jedoch öfter und wird an die Haushalte kostenlos verteilt. Zusätzliche Ausgaben des Stadtanzeigers werden sonnabends in der Tageszeitung „Nordkurier“ (Bezugsadresse: Kurierverlag GmbH & Co. KG, Flurstraße 2, 17034 Neubrandenburg) angekündigt.

34

Diese Bekanntmachungsvorschriften stehen mit § 4 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 Buchst. a der Durchführungsverordnung zur Kommunalverfassung vom 23. April 1999 (GVOBl. S. 295; nachfolgend: KV-DVO 1999) nicht in Übereinstimmung. Nach diesen Vorschriften regeln die Gemeinden die Einzelheiten der öffentlichen Bekanntmachung von Satzungen in der Hauptsatzung. Die Hauptsatzung muss hierzu mindestens die Festlegung der zulässigen Bekanntmachungsform und im Fall der Bekanntmachung durch ein amtliches Bekanntmachungsblatt die namentliche Bezeichnung des periodisch erscheinenden Druckwerks sowie die Angabe der Erscheinungsweise und die Bezugsmöglichkeiten enthalten. Die Hauptsatzung 2010 enthält hingegen keine hinreichende Angabe der Bezugsmöglichkeiten des amtlichen Bekanntmachungsblatts. Sie verweist in § 15 Abs. 2 Satz 1 lediglich darauf, dass der Stadtanzeiger kostenlos an die Haushalte verteilt wird. Das genügt der Vorgabe durch den Verordnungsgeber auch dann nicht, wenn man die Verteilung des Bekanntmachungsblattes als eine Form des Bezugs ansehen wollte.

35

Der Verweis des Beklagten auf § 6 Abs. 1 Nr. 4 und 5 KV-DVO 1999 führt zu keiner anderen Betrachtungsweise. Nach diesen Vorschriften muss das amtliche Bekanntmachungsblatt die Bezugsmöglichkeiten angeben und einzeln und im Abonnement zu beziehen sein. Damit sind indes keine Anforderungen an den Inhalt der Hauptsatzung, sondern solche an den Inhalt und den Bezug des Bekanntmachungsblattes aufgestellt. Die Angabe der Bezugsmöglichkeiten im Bekanntmachungsblatt selbst und die gesetzlichen Mindestanforderungen an die zu gewährenden Bezugsmöglichkeiten suspendieren nicht von der gesetzlichen Anordnung in § 4 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a KV-DVO 1999, diese Möglichkeiten auch in der Hauptsatzung anzugeben. Aus § 6 Abs. 1 Nr. 5 KV-DVO 1999 ergibt sich vielmehr, dass zu den Bezugsmöglichkeiten mindestens der Einzelbezug und der Bezug im Abonnement gehören. (Auch) auf diese musste in der Hauptsatzung hingewiesen werden, dazu war jedenfalls – wie in § 15 Abs. 2 Satz 3 Hauptsatzung 1995 – ein Hinweis auf eine Bezugsadresse für den Versand des Bekanntmachungsblattes erforderlich.

36

Dabei handelt es sich nicht um eine bloße Ordnungsvorschrift mit der Folge, dass ein Verstoß für die Wirksamkeit der Vorschrift unschädlich wäre. Das Rechtsstaatsprinzip gebietet, dass förmlich gesetzte Rechtsnormen verkündet werden; denn die Verkündung stellt einen integrierenden Teil der förmlichen Rechtsetzung dar, ist also Geltungsbedingung. Verkündung bedeutet regelmäßig, dass die Rechtsnormen der Öffentlichkeit in einer Weise förmlich zugänglich gemacht werden, dass die Betroffenen sich verlässlich Kenntnis von ihrem Inhalt verschaffen. Diese Möglichkeit darf auch nicht in unzumutbarer Weise erschwert sein. Es obliegt dem zuständigen Normgeber, das Verkündungsverfahren so auszugestalten, dass es seine rechtsstaatliche Funktion erfüllt, der Öffentlichkeit die verlässliche Kenntnisnahme vom geltenden Recht zu ermöglichen (BVerfG, Urt. v. 22.11.1983 – 2 BvL 25/81 –, BVerfGE 65, 283). Dieser Verpflichtung ist der Verordnungsgeber mit dem Erlass auch von § 4 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a KV-DVO 1999 nachgekommen. Das kommunale Bekanntmachungsrecht muss dieser Anordnung folgen.

37

Die Regelungen in § 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Hauptsatzung 2010 sind zuletzt auch nicht dadurch wirksam geworden, dass seit dem Inkrafttreten von § 3 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 1 der Durchführungsverordnung zur Kommunalverfassung vom 4. März 2008 (GVOBl. S. 85; nachfolgend KV-DVO 2008) am 29. März 2008 die Angabe der Bezugsmöglichkeiten des amtlichen Bekanntmachungsblattes in der Hauptsatzung nicht mehr vorgeschrieben ist. Rechtsnormen, die unter Verletzung zwingenden höherrangigen Rechts, das in dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit maßgeblichen Zeitpunkt zu beachten war, zustande gekommen sind, sind im Grundsatz von Anfang an (ex tunc) und ohne Weiteres (ipso iure) unwirksam. Sie bleiben es auch bis zur Behebung des Mangels durch den Satzungsgeber, soweit sich nicht aufgrund gesetzlicher Sonderregelungen etwas anderes ergibt. Das gilt selbst dann, wenn die Normen nach einer Änderung des höherrangigen Rechts mit gleichem Inhalt und gleicher Begründung erneut erlassen werden könnten. Spätester in Betracht kommender Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ist der Zeitpunkt der Inkraftsetzung der Rechtsnorm (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.03.2014 – 4 CN 3/13 –, juris Rn. 27, 33 m.w.N.; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 14. Auflage, § 47, Rn. 90; Krappel, NVwZ 2014, 1027 f.).

38

Wegen der Unwirksamkeit von § 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Hauptsatzung 2010 konnte die Haushaltssatzung 2010 mangels einer wirksamen Bekanntmachungsvorschrift im kommunalen Satzungsrecht des Beklagten einschließlich der beschlossenen Festsetzung des Hebesatzes für die Grundsteuer für die Grundstücke der Grundsteuer B nicht wirksam bekanntgemacht werden, so dass es an einer Rechtsgrundlage für die angefochtenen Änderungsbescheide fehlt. Die Bekanntgabe einer Satzung ist nicht nur dann verfahrensfehlerhaft, wenn sie entgegen einer Bekanntmachungsvorschrift erfolgt, sondern auch dann, wenn es an einer solchen Vorschrift fehlt. Verkündungsfehler führen als wesentliche Verfahrensfehler regelmäßig zum Nichtwirksamwerden der Norm (Hufen/Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, 5. Auflage, Rn. 754). Rechtsnormen, die in verfahrensfehlerhafter Weise zustande gekommen sind, sind, soweit nicht aufgrund gesetzlicher Sonderregelung anderes gilt, grundsätzlich nichtig (BVerwG, Beschl. v. 07.03.2002 – 4 BN 60/01 –, juris Rn. 22). Eine gesetzliche Heilungsvorschrift oder Anordnung der Unbeachtlichkeit von Bekanntmachungsfehlern besteht hier nicht. Die Klägerin konnte den Verstoß gegen Bekanntmachungsvorschriften auch noch im Berufungsverfahren geltend machen. Eine Verletzung von Bekanntmachungsvorschriften kann gemäß § 5 Abs. 5 Satz 3 KV M-V stets geltend gemacht werden. Ein Rückgriff auf die Bekanntmachungsregelungen in § 15 Hauptsatzung 1995 schließlich muss ausscheiden, weil die Hauptsatzung 1995 durch § 20 Abs. 2 Hauptsatzung 2002 insgesamt und wirksam aufgehoben worden ist.

39

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

40

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 709 Satz 1 ZPO.

41

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Urteilsbesprechung zu Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 08. Okt. 2014 - 1 L 168/11

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(1) Die Steuern können, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, allgemein oder im Einzelfall unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, ohne dass dies einer Begründung bedarf. Die Festsetzung einer Vorauszahlung ist stets eine Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung.

(2) Solange der Vorbehalt wirksam ist, kann die Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert werden. Der Steuerpflichtige kann die Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung jederzeit beantragen. Die Entscheidung hierüber kann jedoch bis zur abschließenden Prüfung des Steuerfalls, die innerhalb angemessener Frist vorzunehmen ist, hinausgeschoben werden.

(3) Der Vorbehalt der Nachprüfung kann jederzeit aufgehoben werden. Die Aufhebung steht einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich; § 157 Abs. 1 Satz 1 und 3 gilt sinngemäß. Nach einer Außenprüfung ist der Vorbehalt aufzuheben, wenn sich Änderungen gegenüber der Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nicht ergeben.

(4) Der Vorbehalt der Nachprüfung entfällt, wenn die Festsetzungsfrist abläuft. § 169 Absatz 2 Satz 2, § 170 Absatz 6 und § 171 Absatz 7, 8 und 10 sind nicht anzuwenden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Die Grundsteuer wird für das Kalenderjahr festgesetzt. Ist der Hebesatz für mehr als ein Kalenderjahr festgesetzt, kann auch die jährlich zu erhebende Grundsteuer für die einzelnen Kalenderjahre dieses Zeitraums festgesetzt werden.

(2) Wird der Hebesatz geändert (§ 25 Abs. 3), so ist die Festsetzung nach Absatz 1 zu ändern.

(3) Für diejenigen Steuerschuldner, die für das Kalenderjahr die gleiche Grundsteuer wie im Vorjahr zu entrichten haben, kann die Grundsteuer durch öffentliche Bekanntmachung festgesetzt werden. Für die Steuerschuldner treten mit dem Tage der öffentlichen Bekanntmachung die gleichen Rechtswirkungen ein, wie wenn ihnen an diesem Tage ein schriftlicher Steuerbescheid zugegangen wäre.

(1) Die Gemeinde bestimmt, mit welchem Hundertsatz des Steuermeßbetrags oder des Zerlegungsanteils die Grundsteuer zu erheben ist (Hebesatz).

(2) Der Hebesatz ist für ein oder mehrere Kalenderjahre, höchstens jedoch für den Hauptveranlagungszeitraum der Steuermeßbeträge festzusetzen.

(3) Der Beschluß über die Festsetzung oder Änderung des Hebesatzes ist bis zum 30. Juni eines Kalenderjahres mit Wirkung vom Beginn dieses Kalenderjahres zu fassen. Nach diesem Zeitpunkt kann der Beschluß über die Festsetzung des Hebesatzes gefaßt werden, wenn der Hebesatz die Höhe der letzten Festsetzung nicht überschreitet.

(4) Der Hebesatz muß jeweils einheitlich sein

1.
für die in einer Gemeinde liegenden Betriebe der Land- und Forstwirtschaft;
2.
für die in einer Gemeinde liegenden Grundstücke.
Wird das Gebiet von Gemeinden geändert, so kann die Landesregierung oder die von ihr bestimmte Stelle für die von der Änderung betroffenen Gebietsteile auf eine bestimmte Zeit verschiedene Hebesätze zulassen.

Tatbestand

1

Gegenstand des Normenkontrollverfahrens ist der Bebauungsplan Nr. 67 "Kommunale Entlastungsstraße Bensersiel" der Antragsgegnerin.

2

Der Antragsteller ist Eigentümer einer der Ortslage von Bensersiel westlich vorgelagerten landwirtschaftlichen Hofstelle mit ca. 70 ha (teilweise verpachteten) Betriebsflächen, die durch die geplante, mittlerweile fertig gestellte Entlastungsstraße durchschnitten werden.

3

Die Entlastungsstraße ist ca. 2 140 m lang. Sie schließt im Westen mit einem Kreisel an den bisherigen Verlauf der Landesstraße L 5 an und führt von dort mit einem Abstand von ca. 200 bis 250 m südlich um die Ortslage von Bensersiel herum, um im Osten wiederum über einen Kreisel an die durch den Ort als "Hauptstraße" verlaufende, nach Osten auf einer neuen Trasse weiterführende Landesstraße L 5 sowie an die Landesstraße L 8 anzubinden.

4

Ende 2003 beschloss die Antragsgegnerin die Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 67, mit dem sie die planungsrechtlichen Grundlagen für die Entlastungsstraße schaffen wollte. Im Aufstellungsverfahren wiesen Umweltverbände in mehreren Stellungnahmen darauf hin, dass der Bereich der Straßentrasse und die angrenzenden Bereiche teilweise ein faktisches Vogelschutzgebiet darstellten. Das war auch der Standpunkt der im Aufstellungsverfahren beteiligten Behörden. Das Gebiet war ferner bei Sudfeldt et. al., Important Bird Areas (Bedeutende Vogelschutzgebiete) in Deutschland - überarbeitete und aktualisierte Gesamtliste (Stand 1. Juli 2002) mit dem Eintrag "Norden-Esens, binnendeichs, 10 485 ha" als sog. IBA-Gebiet aufgeführt. In der Bekanntmachung der Erklärung Europäischer Vogelschutzgebiete des Niedersächsischen Umweltministeriums vom 23. Juli 2002 war es jedoch noch nicht erfasst. Die EU-Kommission forderte die Bundesrepublik Deutschland deshalb im Vertragsverletzungsverfahren 2001/5117 mit Schreiben vom 3. April 2003 auf, u.a. das Gebiet "IBA Norden-Esens" von ca. 10 000 ha als Besonderes Schutzgebiet auszuweisen.

5

Auf diese Problematik war die Antragsgegnerin im Aufstellungsverfahren zunächst nur mit dem Hinweis eingegangen, die Fläche werde nicht als Vogelschutzgebiet eingeschätzt und sei deshalb nicht gemeldet worden. In der Vorlage für die Ratssitzung vom 20. September 2004, in der der Bebauungsplan Nr. 67 als Satzung beschlossen wurde, bestätigte sie dann allerdings die Bedeutung der IBA-Gebiete und ging auf das Mahnschreiben der EU-Kommission ein. Sie hob jedoch ihren fachlichen Beurteilungsspielraum hervor und legte dar, dass es keinen Anlass gebe, das fragliche Gebiet als eines der für die Erhaltung der in Betracht kommenden Arten zahlen- und flächenmäßig am geeignetsten einzustufen. Auch das Land Niedersachsen sehe keinen Nachmeldebedarf. Selbst wenn es zu einer Nachmeldung kommen sollte, sei zweifelhaft, ob der Planungsraum für die Entlastungsstraße hierzu gehöre, weil gerade wegen der Belange des Vogelschutzes eine Trasse in relativer Nähe zum Ortsrand gewählt worden sei.

6

In einer Stellungnahme der EU-Kommission vom 10. April 2006 wurde das Gebiet erneut als nicht ausreichend gemeldet aufgelistet. Der daraufhin erarbeitete Vorschlag V 63 "Ostfriesische Seemarsch zwischen Norden und Esens" des Landes Niedersachsen für ein ca. 8 000 ha großes Vogelschutzgebiet reicht an die Trasse der Entlastungsstraße heran, schließt diese aber nicht ein, was wiederum auf fachliche Kritik stieß. Am 26. Juni 2007 beschloss die Landesregierung die Nachmeldung des Vogelschutzgebiets V 63 entsprechend dem Vorschlag, mit Bekanntmachung vom 28. Juli 2009 (Nds.MBl. S. 783) wurde es zum Europäischen Vogelschutzgebiet erklärt.

7

Den Normenkontrollantrag des Antragstellers hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 22. Mai 2008 abgelehnt. Die Planung scheitere nicht am Maßstab der Erforderlichkeit. Der Bebauungsplan sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt des europäischen Vogelschutzes fehlerhaft, allerdings nur deshalb nicht, weil das Land Niedersachsen inzwischen Vogelschutzgebiete nachgemeldet habe. Damit stehe das Gebiet nicht (mehr) als sog. faktisches Vogelschutzgebiet unter unmittelbarem Schutz der Vogelschutzrichtlinie. Der Umstand, dass das Gebiet als IBA-Gebiet anerkannt gewesen sei, hätte der Planung an sich zunächst entgegen gestanden; die Überlegungen, die die Antragsgegnerin in der Anlage zu ihrer Sitzungsvorlage angestellt habe, hätten bei gleichbleibendem Sachstand die Planung nur dann "gerettet", wenn die Annahme gutachtlich erhärtet worden wäre, dass das faktische Vogelschutzgebiet nicht bis an den Trassenbereich heranreichte. Im Nachhinein sei nunmehr jedoch eine entscheidende Veränderung dadurch eingetreten, dass das Land das Vogelschutzgebiet V 63 nachgemeldet habe. Mit der Nachmeldung stehe zugleich fest, dass diejenigen Bereiche, in denen die Nachmeldung flächenmäßig hinter dem ursprünglichen IBA-Gebiet zurückbleibe, nicht als faktisches Vogelschutzgebiet zu bewerten seien. Offen bleiben könne, ob die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach Rechtsänderungen, die zum Fortfall eines Rechtsverstoßes führten, bei der Überprüfung von Planfeststellungsbeschlüssen zu berücksichtigen seien, auf Normenkontrollverfahren übertragen werden könne. Denn hier liege in der Gebietsnachmeldung und der dadurch bewirkten Netzschließung im Kern nur die Bestätigung bereits bei Satzungsbeschluss zugrunde gelegter fachlicher Annahmen, die von vornherein plausibel gewesen seien. Der Bebauungsplan lasse auch keine Abwägungsfehler erkennen. Die Interessen des Antragstellers seien insgesamt nicht so gewichtig, dass das Vorhaben einer nachhaltigen Verkehrsentlastung dahinter zurückstehen müsste.

8

Mit Beschluss vom 17. Juni 2009 - BVerwG 4 BN 28.08 - hat der Senat die Revision zugelassen zur Klärung der Frage, ob ein Bebauungsplan für eine Umgehungsstraße, der beschlossen wurde, ohne zu klären, ob die Trasse in einem faktischen Vogelschutzgebiet lag, allein deshalb als wirksam betrachtet werden kann, weil das Land der Europäischen Kommission das fragliche Gebiet nach der ortsüblichen Bekanntmachung des Bebauungsplans als Europäisches Vogelschutzgebiet nachgemeldet hat, ohne das Plangebiet in die Meldung einzubeziehen. Von dem zugelassenen Rechtsmittel hat der Antragsteller Gebrauch gemacht.

9

Zur Behebung etwaiger mit der Zulassungsfrage aufgezeigter Bedenken gegen den Bebauungsplan Nr. 67 brachte die Antragsgegnerin einen neuen Bebauungsplan Nr. 72 in Aufstellung, der im November 2009 ortsüblich bekannt gemacht wurde. Dieser war im Wesentlichen inhaltsgleich mit dem verfahrensgegenständlichen Bebauungsplan Nr. 67. Er setzte allerdings erstmals fest, dass die Umgehungsstraße mit einem sog. Flüsterasphalt ausgebaut und mit einer 1,75 m hohen Lärm- und Sichtschutzwand zum Schutze der Wohnbevölkerung und des Vogelschutzgebiets versehen wird. Zur Begründung des Bebauungsplans Nr. 72 stellte die Antragsgegnerin im Wesentlichen auf die Begründung der Vorgängerplanung ab.

10

Auch gegen diesen Bebauungsplan Nr. 72 beantragte der Antragsteller beim Oberverwaltungsgericht eine Normenkontrolle. Bis zur Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts über den Bebauungsplan Nr. 72 hatte der Senat das Normenkontrollverfahren gegen den Bebauungsplan Nr. 67 ausgesetzt.

11

Nach erfolglosem Eilantrag des Antragstellers (OVG, Beschluss vom 30. April 2010 - 1 MN 34/10) hat das Oberverwaltungsgericht den Bebauungsplan Nr. 72 - einschließlich dessen zwischenzeitlich in Kraft gesetzter 1. Änderung - mit Normenkontrollurteil vom 10. April 2013 für unwirksam erklärt, weil der Bebauungsplan zu einer unzulässigen Beeinträchtigung eines faktischen Vogelschutzgebiets führe und gegen Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der V-RL verstoße. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision blieb ohne Erfolg (Beschluss vom 13. Januar 2014 - BVerwG 4 BN 37.13).

12

Mit Bekanntwerden des Normenkontrollurteils gegen den Bebauungsplan Nr. 72 hat der Senat die Aussetzung des Normenkontrollverfahrens gegen den Bebauungsplan Nr. 67 aufgehoben.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Revision ist begründet. Das angegriffene Normenkontrollurteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Es stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO); der Bebauungsplan Nr. 67 der Antragsgegnerin ist für unwirksam zu erklären (§ 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

14

1. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, der im Jahr 2004 als Satzung beschlossene und im Jahr 2005 bekannt gemachte Bebauungsplan Nr. 67 sei unter dem Gesichtspunkt des europäischen Vogelschutzes deshalb nicht fehlerhaft, weil das Land Niedersachsen im Jahr 2007 das Vogelschutzgebiet V 63 nachgemeldet habe. Zwar hätte die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses von einem faktischen Vogelschutzgebiet ausgehen müssen. Ihre gegenteilige Einschätzung sei aber durch die vom Land vorgenommene Abgrenzung des nachgemeldeten Vogelschutzgebiets V 63 nachträglich als "von vornherein plausibel" bestätigt worden. Diese Annahme verletzt Bundesrecht.

15

a) Nicht zu beanstanden ist diese Annahme allerdings, soweit das Oberverwaltungsgericht davon ausgeht, das Plangebiet habe bei Satzungsbeschluss dem Schutz der Vogelschutz-Richtlinie unterstanden, der der Planung "an sich" entgegen gestanden habe.

16

Art. 4 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten - Vogelschutzrichtlinie - V-RL (ABl. L 20/7), die an die Stelle der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 getreten ist, legt fest, dass hinsichtlich der in Anhang I der Richtlinie aufgeführten Arten besondere Schutzmaßnahmen hinsichtlich ihrer Lebensräume anzuwenden sind, um ihr Überleben und ihre Vermehrung in ihrem Verbreitungsgebiet sicherzustellen. Die Mitgliedstaaten sind insbesondere verpflichtet, die für die Erhaltung dieser Vogelarten zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete zu besonderen Schutzgebieten zu erklären. Gemäß Art. 4 Abs. 2 der V-RL haben die Mitgliedstaaten entsprechende Maßnahmen für die in Anhang I der Richtlinie aufgeführten, regelmäßig auftretenden Zugvogelarten hinsichtlich ihrer Vermehrungs-, Mauser- und Überwinterungsgebiete sowie der Rastplätze in ihren Wanderungsgebieten zu treffen. Nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der V-RL treffen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen, um die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel (unter bestimmten Voraussetzungen) in den Schutzgebieten zu vermeiden. Nur überragende Gemeinwohlbelange wie etwa der Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen oder der Schutz der öffentlichen Sicherheit sind geeignet, das Beeinträchtigungs- und Störungsverbot des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der V-RL zu überwinden (Urteil vom 14. November 2002 - BVerwG 4 A 15.02 - BVerwGE 117, 149 <152 f.>; EuGH, Urteil vom 28. Februar 1991 - Rs. C-57/89, Leybucht - Slg. 1991, I-883 Rn. 22 f.).

17

Die Mitgliedstaaten haben das Beeinträchtigungs- und Störungsverbot auch dann zu beachten, wenn sie das betreffende Gebiet nicht zum Vogelschutzgebiet erklärt haben, obwohl dies hätte geschehen müssen (EuGH, Urteil vom 18. März 1999 - Rs. C-166/97 - Slg. 1999, I-1719 Rn. 38). Denn andernfalls könnten die Schutzziele nicht erreicht werden (EuGH, Urteil vom 2. August 1993 - Rs. C-355/90, Santona - Slg. 1993, I-4221 Rn. 22). Kommt ein Mitgliedstaat seiner Verpflichtung zur Ausweisung von Vogelschutzgebieten nicht nach, erfahren solche Gebiete als sog. faktische Vogelschutzgebiete bis zu ihrer ordnungsgemäßen Unterschutzstellung den strengen Schutz des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der V-RL (EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2000 - Rs. C-374/98 - Slg. 2000, I-10799 Rn. 47).

18

Faktische Vogelschutzgebiete umfassen Lebensräume und Habitate, die für sich betrachtet in signifikanter Weise zur Arterhaltung in dem betreffenden Mitgliedstaat beitragen und damit zum Kreis der im Sinne des Art. 4 der V-RL geeignetsten Gebiete gehören (Urteil vom 22. Januar 2004 - BVerwG 4 A 32.02 - BVerwGE 120, 87 <101>). Über die Abgrenzung dieser Gebiete gibt u.a. das aktualisierte IBA-Verzeichnis Aufschluss. Dieses Verzeichnis ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (z.B. EuGH, Urteil vom 19. Mai 1998 - Rs. C-3/96 - NuR 1998, 538 Rn. 68 ff.) und des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 22. Januar 2004 a.a.O. S. 102) ein bedeutsames Erkenntnismittel. Es hat zwar keinen Rechtsnormcharakter, spielt aber als gewichtiges Indiz für die Zugehörigkeit eines Gebiets zu den im Sinne des Art. 4 der V-RL geeignetsten Gebieten eine maßgebliche Rolle. Seine Indizwirkung kann nur entkräftet werden, wenn der Mitgliedstaat wissenschaftliche Beweise dafür vorlegt, dass die Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 1 und 2 der V-RL durch andere als die in diesem Verzeichnis aufgeführten Gebiete erfüllt werden können (EuGH, Urteil vom 13. Dezember 2007 - Rs. C-418/04 - Slg. 2007, I-10947 Rn. 51).

19

Von diesen rechtlichen Maßstäben hat sich das Oberverwaltungsgericht (UA S. 18 f.) ersichtlich leiten lassen. Das ergibt sich nicht nur daraus, dass es auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausdrücklich Bezug genommen hat, sondern kommt etwa auch in der Formulierung zum Ausdruck, die Planung hätte bei gleichbleibendem Sachstand nur "gerettet" werden können, wenn die Annahme gutachtlich erhärtet worden wäre, dass das faktische Vogelschutzgebiet nicht bis an den Trassenbereich heranreicht (UA S. 19). Entgegen dem Vortrag der Antragsgegnerin - auch in der mündlichen Verhandlung - ist dem angegriffenen Urteil auch zu entnehmen, dass das Plangebiet nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts im faktischen Vogelschutzgebiet lag. Das lässt sich nicht nur aus dem Ergebnis der vorinstanzlichen Subsumtion rückschließen, wonach der Umstand, dass Norden-Esens als IBA-Gebiet anerkannt gewesen sei, der Planung "an sich zunächst" entgegen gestanden habe. Das Oberverwaltungsgericht (UA S. 18) hat auch ausdrücklich festgestellt, dass das "Gebiet" (nach der Nachmeldung des Vogelschutzgebiets V 63 durch das Land) "nicht (mehr) als sog. faktisches Vogelschutzgebiet unter unmittelbarem Schutz der Vogelschutz-Richtlinie" stehe, worin zweifelsfrei zum Ausdruck kommt, dass es nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ursprünglich unter diesem Schutz stand. Keinen Zweifeln unterliegt ferner, dass das Oberverwaltungsgericht mit dem Begriff "Gebiet" das Plangebiet bezeichnet hat. Der Senat hat deshalb im Revisionsverfahren als bindende Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) zugrunde zu legen, dass das Gebiet Norden-Esens als IBA-Gebiet anerkannt war, dass das Plangebiet in diesem IBA-Gebiet lag und dass die Indizwirkung des IBA-Gebiets für das Vorliegen eines faktischen Vogelschutzgebiets seitens der Antragsgegnerin nicht durch einen wissenschaftlichen Gegenbeweis entkräftet wurde. Im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts hat das Oberverwaltungsgericht auf dieser Tatsachengrundlage angenommen, dass das strenge Schutzregime des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der V-RL für faktische Vogelschutzgebiete der Planung "an sich zunächst" entgegenstand, weil es ersichtlich keine Anhaltspunkte für das Vorliegen überragender Gemeinwohlbelange gesehen hat, aufgrund derer das Beeinträchtigungs- und Störungsverbot des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der V-RL hätte überwunden werden können.

20

b) Die weitere Annahme des Oberverwaltungsgerichts, das strenge Schutzregime des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der V-RL sei im "Nachhinein" entfallen, weil das Land das Vogelschutzgebiet V 63 nach Abschluss der Planung nachgemeldet habe (UA S. 19), wobei das Schutzgebiet bis an die Trasse der Entlastungsstraße heranreiche, diese aber nicht mit einschließe, steht dagegen mit Bundesrecht nicht im Einklang. Richtig ist zwar, dass die gerichtliche Anerkennung eines faktischen Vogelschutzgebiets im Falle eines abgeschlossenen Gebietsauswahl- und -meldeverfahrens nur noch unter engen Voraussetzungen in Betracht kommt, nämlich dann, wenn der Nachweis geführt werden kann, dass die vorgenommene Gebietsabgrenzung auf sachwidrigen Erwägungen beruht. Dieser deutlich erhöhte Maßstab für die Anerkennung eines faktischen Vogelschutzgebiets kann indes nicht einer Planung zugute kommen, die zu einem Zeitpunkt aufgestellt wurde, als das Gebietsauswahl- und -meldeverfahren des Landes noch defizitär war. Das gilt bereits aus Rechtsgründen. Auf die vom Oberverwaltungsgericht im Normenkontrollverfahren gegen den Bebauungsplan Nr. 67 noch verneinte, im Normenkontrollverfahren gegen den Bebauungsplan Nr. 72 sodann aber bejahte Frage, ob die vorgenommene Abgrenzung des nachgemeldeten Vogelschutzgebiets V 63 auf sachwidrigen Erwägungen beruht, kommt es deshalb nicht an.

21

aa) Die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Maßstäbe für die gerichtliche Anerkennung eines faktischen Vogelschutzgebiets im Falle eines abgeschlossenen mitgliedstaatlichen Gebietsauswahl- und -meldeverfahrens hat das Oberverwaltungsgericht (UA S. 19 f.) zutreffend wiedergegeben.

22

Der Umstand, dass ein Land die Auswahl seiner "Natura 2000"-Gebiete abgeschlossen hat, steht der rechtlichen Existenz "faktischer" Vogelschutzgebiete grundsätzlich nicht entgegen (Urteil vom 14. November 2002 - BVerwG 4 A 15.02 - BVerwGE 117, 149 <154>). Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, alle Landschaftsräume zu besonderen Schutzgebieten zu erklären, die für die Erhaltung der betreffenden Vogelarten am geeignetsten erscheinen (EuGH, Urteil vom 19. Mai 1998 a.a.O. Rn. 62). Die Identifizierung Europäischer Vogelschutzgebiete hat sich ausschließlich an ornithologischen Kriterien zu orientieren; eine Abwägung mit anderen Belangen findet nicht statt (Urteil vom 14. November 2002 a.a.O. S. 156). Ob die Ausweisungs- und Meldepflichten erfüllt worden sind, unterliegt grundsätzlich der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung. Ein Land kann die Diskussion um die Existenz "faktischer" Vogelschutzgebiete folglich nicht dadurch beenden, dass es sein Gebietsauswahlverfahren für abgeschlossen erklärt (Urteil vom 14. November 2002 a.a.O. S. 155).

23

Art. 4 Abs. 1 Satz 4 der V-RL eröffnet jedoch den Mitgliedstaaten einen fachlichen Beurteilungsspielraum in der Frage, welche Gebiete nach ornithologischen Kriterien für die Erhaltung der zu schützenden Vogelarten "zahlen- und flächenmäßig" am geeignetsten sind (EuGH, Urteile vom 28. Februar 1991 - Rs. C-57/89, Leybucht - Slg. 1991, I-883, vom 2. August 1993 - Rs. C-355/90, Santona - Slg. 1993, I-4221 und vom 11. Juli 1996 - Rs. C-44/95 - NuR 1997, 36). Die Eignungsfaktoren mehrerer Gebiete sind vergleichend zu bewerten. Gehört ein Gebiet hiernach zu den für den Vogelschutz "geeignetsten" Gebieten, ist es zum Vogelschutzgebiet zu erklären. Unterschiedliche fachliche Wertungen sind allerdings möglich. Die Nichtmeldung eines Gebiets ist nicht zu beanstanden, wenn sie fachwissenschaftlich vertretbar ist.

24

Diese Vertretbarkeitskontrolle umfasst auch die Netzbildung in den einzelnen Ländern, hat aber auch insoweit den fachlichen Beurteilungsspielraum des Mitgliedstaates zu beachten. In dem Maße, in dem sich die Gebietsvorschläge eines Landes zu einem kohärenten Netz verdichten, verringert sich die richterliche Kontrolldichte. Mit dem Fortschreiten des mitgliedstaatlichen Auswahl- und Meldeverfahrens steigen die prozessualen Darlegungsanforderungen für die Behauptung, es gebe ein (nicht erklärtes) "faktisches" Vogelschutzgebiet, das eine "Lücke im Netz" schließen soll (Urteil vom 14. November 2002 a.a.O. S. 155 f.). Entsprechendes gilt auch für die zutreffende Gebietsabgrenzung. Die gerichtliche Anerkennung eines faktischen Vogelschutzgebiets kommt im Falle eines abgeschlossenen Gebietsauswahl- und -meldeverfahrens deshalb nur in Betracht, wenn der Nachweis geführt werden kann, dass die Nichteinbeziehung bestimmter Gebiete in ein gemeldetes Vogelschutzgebiet auf sachwidrigen Erwägungen beruht. Das gilt selbst dann, wenn die betreffenden Gebiete im IBA-Verzeichnis aufgeführt sind (Gellermann, in: Landmann/Rohmer, BNatSchG, Stand 1. August 2013, Vor § 31 - 36 Rn. 15 a.E.).

25

Während also im Falle einer unterbliebenen Gebietsmeldung eine widerlegliche Vermutung dafür spricht, dass die im IBA-Verzeichnis aufgeführten Gebiete faktische Vogelschutzgebiete sind, greift im Stadium eines abgeschlossenen mitgliedstaatlichen Auswahl- und Meldeverfahrens umgekehrt eine Vermutung des Inhalts, dass ein faktisches Vogelschutzgebiet außerhalb des gemeldeten Vogelschutzgebiets nicht existiert, die nur durch den Nachweis sachwidriger Erwägungen bei der Gebietsabgrenzung widerlegt werden kann. Der vom Oberverwaltungsgericht für die nachträgliche Bestätigung einer "von vornherein plausiblen" Planung herangezogene Maßstab der vom Land nach Abschluss der Planung vorgenommenen Gebietsabgrenzung ist mithin kein dem Erkenntnismittel des IBA-Verzeichnisses äquivalenter, sondern ein für die Anerkennung faktischer Vogelschutzgebiete deutlich strengerer Maßstab.

26

bb) Zu Unrecht hat das Oberverwaltungsgericht (UA S. 19) angenommen, dass die streitgegenständliche Straßenplanung, die bereits abgeschlossen war, als der Vorschlag für das nachgemeldete Vogelschutzgebiet V 63 erarbeitet wurde, von diesem für die Anerkennung faktischer Vogelschutzgebiete deutlich strengeren Maßstab rückwirkend profitieren könne.

27

Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass der Bebauungsplan "an sich zunächst" dem strengen Schutzregime für faktische Vogelschutzgebiete nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der V-RL unterstehe. In der Gebietsnachmeldung liege aber im Kern die Bestätigung von fachlichen Annahmen, die "von vornherein plausibel" gewesen seien. Dies beseitigt indes die Unwirksamkeit des Bebauungsplans nicht. Das Oberverwaltungsgericht verkennt bereits den für die Beurteilung der Rechtsgültigkeit von Rechtsnormen maßgeblichen Zeitpunkt. Rechtsnormen, die unter Verletzung (zwingenden) höherrangigen Rechts, das in dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit maßgeblichen Zeitpunkt zu beachten war, zustande gekommen sind, sind im Grundsatz von Anfang an (ex tunc) und ohne Weiteres (ipso iure) unwirksam (vgl. z.B. Gerhardt/Bier, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand April 2013, vor § 47 Rn. 6 und Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 47 Rn. 112 und 120), soweit sich nicht aufgrund gesetzlicher Sonderregelungen anderes ergibt (vgl. Beschluss vom 7. März 2002 - BVerwG 4 BN 60.01 - Buchholz 406.13 § 5 ROG Nr. 3 S. 10). Dies gilt jedenfalls für den hier markierten Verstoß gegen Unionsrecht, da ausweislich des entsprechend anzuwendenden § 1a Abs. 4 BauGB der nationale Gesetzgeber die Unwirksamkeit von Bebauungsplänen anordnet, die unter Verstoß gegen Regelungen des Gebietsschutzes für "Natura 2000"-Gebiete erlassen worden sind. Welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit maßgeblich ist, ist im Gesetz nur in Ansätzen geregelt. Für die Abwägung bei Bebauungsplänen bestimmt § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB, dass die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Satzung maßgebend ist; ist der planenden Gemeinde in diesem Zeitpunkt ein beachtlicher Abwägungsfehler unterlaufen, kann der Bebauungsplan - vorbehaltlich etwaiger Planerhaltungsvorschriften (§§ 214, 215 BauGB) - auf der Grundlage dieses Satzungsbeschlusses nicht wirksam in Kraft treten. Ob dieser Zeitpunkt auch für die Beurteilung der Vereinbarkeit einer Planung mit Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der V-RL maßgeblich ist, kann der Senat offen lassen. Denn spätester in Betracht kommender Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ist der Zeitpunkt der Inkraftsetzung der Rechtsnorm, hier durch ortsübliche Bekanntmachung gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Verstößt die Rechtsnorm in diesem Zeitpunkt gegen Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der V-RL, ist sie von Anfang an unwirksam (vgl. z.B. Kopp/Schenke, a.a.O.).

28

Vorliegend wurde der Bebauungsplan Nr. 67 am 20. September 2004 als Satzung beschlossen und mit ortsüblicher Bekanntmachung im Amtsblatt für den Landkreis Wittmund am 28. Februar 2005 in Kraft gesetzt. Bis zur Inkraftsetzung des Bebauungsplans war die Meldepraxis des Landes nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (UA S. 19) defizitär; die von der EU-Kommission angemahnte Nachmeldung und Ausweisung des Gebiets "IBA Norden-Esens" als Besonderes Schutzgebiet lag noch nicht vor (UA S. 5); sie erfolgte erst im Jahre 2007. In dem für die Beurteilung der Rechtswirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 67 spätestens maßgeblichen Zeitpunkt der Inkraftsetzung des Bebauungsplans konnte sich die Antragsgegnerin auf die Abgrenzung des erst ca. zwei Jahre später nachgemeldeten Vogelschutzgebiets V 63 deshalb nicht berufen; als Erkenntnismittel war in diesem Zeitpunkt maßgeblich auf das IBA-Verzeichnis abzustellen. Da das Plangebiet nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts im IBA-Gebiet "Norden-Esens" lag und die Annahme, dass das faktische Vogelschutzgebiet nicht bis an den Trassenbereich heranreicht, nicht gutachtlich erhärtet wurde, unterlag die Planung dem strengen Schutzregime des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der V-RL. Gegen dieses hat die Antragsgegnerin verstoßen, weil überragende Gemeinwohlbelange, die geeignet gewesen wären, dieses strenge Schutzregime zu überwinden, nicht vorlagen. Da Unbeachtlichkeitsvorschriften (§ 214 Abs. 1 bis 3, § 215 Abs. 1 BauGB) insoweit nicht greifen, konnte der Bebauungsplan Nr. 67 im Zeitpunkt seiner ortsüblichen Bekanntmachung nicht wirksam in Kraft treten.

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Die Anerkennung eines rückwirkenden Maßstabswechsels bei der Frage der zutreffenden Abgrenzung eines faktischen Vogelschutzgebiets widerspräche auch dem Sanktionscharakter, den der Europäische Gerichtshofs dem strengen Schutzregime des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der V-RL beimisst. Sobald ein Vogelschutzgebiet zu einem besonderen Schutzgebiet erklärt wird, treten gemäß Art. 7 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. 206 vom 22. Juli 1992, 7) - FFH-RL - die Verpflichtungen nach Art. 6 der FFH-RL an die Stelle der Pflichten aus Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der V-RL (EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2000 - Rs. C-374/98 - Slg. 2000, I-10799 Rn. 44). Dieser mit Ausweisung eines Vogelschutzgebiets eintretende Regimewechsel ermöglicht es dem Mitgliedstaat, aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art einen Plan oder ein Projekt durchzuführen, auch wenn sie ein Schutzgebiet erheblich beeinträchtigen können, sofern eine Alternativlösung nicht vorhanden und durch Ausgleichsmaßnahmen sichergestellt ist, dass die globale Kohärenz des "Natura 2000"-Netzes geschützt ist. Unterlässt der Mitgliedstaat die gebotene Schutzgebietsausweisung, bleibt es bei dem strengen Schutzregime des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der V-RL, wonach - wie dargelegt - das Beeinträchtigungs- und Störungsverbot des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der V-RL nur zugunsten überragender Gemeinwohlbelange, wie etwa der Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen oder der Schutz der öffentlichen Sicherheit, überwunden werden kann. Diese Dualität der anwendbaren Regelungen sieht der Europäische Gerichtshof (Urteil vom 7. Dezember 2000 a.a.O. Rn. 50 ff.) als gerechtfertigt an, weil ein Mitgliedstaat aus der Missachtung seiner unionsrechtlichen Pflichten keinen Vorteil ziehen soll. Einen solchen Vorteil nimmt der Europäische Gerichtshof an, wenn sich ein Mitgliedstaat, der unter Verstoß gegen die Vogelschutz-Richtlinie ein Gebiet nicht zum besonderen Schutzgebiet erklärt, obwohl dies nach fachlichen Gesichtspunkten erforderlich gewesen wäre, auf Art. 6 Abs. 3 und 4 der FFH-RL berufen könnte. Denn ohne den förmlichen Akt der Unterschutzstellung ist es für die Kommission besonders schwer, wirksam zu überprüfen, ob die Mitgliedstaaten das Verfahren nach Art. 6 Abs. 3 und 4 der FFH-RL angewandt haben, und gegebenenfalls festzustellen, dass gegen die daraus resultierenden Verpflichtungen verstoßen wurde. Insbesondere wäre die Gefahr wesentlich größer, dass Pläne und Vorhaben, die das Gebiet beeinträchtigen, von den nationalen Behörden unter Verstoß gegen das genannte Verfahren genehmigt werden, von der Kommission aber nicht überprüft werden können und entgegen den Erfordernissen der Erhaltung dieses Gebiets schwere oder sogar irreparable Umweltschäden verursachen. Darüber hinaus schafft das strenge Schutzregime nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der V-RL für faktische Vogelschutzgebiete auch einen Anreiz für die Mitgliedstaaten, besondere Schutzgebiete auszuweisen, weil sie sich dadurch die Möglichkeit eröffnen, sich eines Verfahrens zu bedienen, das es ihnen erlaubt, auch aus Gründen sozialer oder wirtschaftlicher Art einen Plan oder ein Vorhaben zu beschließen, der oder das ein besonderes Schutzgebiet beeinträchtigt (EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2000 a.a.O. Rn. 56).

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Unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts würde der Mitgliedstaat auch im Fall einer Gebietsnachmeldung nach Abschluss einer beeinträchtigenden Planung aus der Missachtung seiner unionsrechtlichen Pflichten Vorteile ziehen. Die Vorteile gingen über die vom Europäischen Gerichtshof angenommenen Vorteile noch hinaus. Denn einem Maßstabswechsel hat das Oberverwaltungsgericht nur hinsichtlich der Frage der Abgrenzung des faktischen Vogelschutzgebiets das Wort geredet, während das angegriffene Urteil nicht erkennen lässt, dass die angegriffene Straßenplanung nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts auch an dem mit der Gebietsnachmeldung erreichten Schutzstatus zu messen wäre. Das hätte hier aber nahegelegen, weil das nachgemeldete Vogelschutzgebiet V 63 nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts an die Trasse der Entlastungsstraße heranreicht. Insoweit greift die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 17. Januar 2007 - BVerwG 9 A 20.05 - BVerwGE 128, 1 Rn. 77), auf die sich das Oberverwaltungsgericht in seiner Normenkontrollentscheidung über den Bebauungsplan Nr. 72 (Urteil vom 10. April 2013 - 1 KN 33/10 - NuR 2013, 424 <425>) nunmehr ausdrücklich gestützt hat, wonach im Einzelfall auch ökologische Beziehungsgefüge zwischen den Rand- und Pufferzonen des Gebiets und den an das Gebiet angrenzenden Flächen oder dort anzutreffenden Pflanzen- oder Tierarten für den günstigen Erhaltungszustand des Gebiets maßgeblich sein können. Hätte die Meldung oder Ausweisung des Vogelschutzgebiets V 63 bereits im Zeitpunkt der Straßenplanung vorgelegen, wäre die Antragsgegnerin gemäß Art. 7 i.V.m. Art. 6 Abs. 3 der FFH-RL, § 34 Abs. 1 BNatSchG gehalten gewesen, die Auswirkungen der Straße auf diese Erhaltungsziele im Rahmen einer Verträglichkeitsprüfung zu untersuchen bzw. gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 7 Buchst. b, § 1a Abs. 4 BauGB zu berücksichtigen. Entsprechende Planungsanforderungen hat das Oberverwaltungsgericht hinsichtlich des Bebauungsplans Nr. 67 nicht formuliert. Dem Oberverwaltungsgericht ist insoweit allerdings kein Vorwurf zu machen. Denn im maßgeblichen Zeitpunkt der Planung war der Schutzstatus des Gebiets noch gar nicht definiert (vgl. hierzu jüngst Urteil vom 8. Januar 2014 - BVerwG 9 A 4.13 - juris LS 5) und konnte deshalb im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses (§ 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB) auch nicht berücksichtigt werden. Unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts hätte die planende Gemeinde damit einen doppelten Vorteil: Sie würde einerseits von der Abgrenzung des nachgemeldeten Gebiets profitieren, andererseits könnten ihr die Erhaltungsziele und Schutzzwecke dieses nachgemeldeten Gebiets aber nicht entgegen gehalten werden. Diese doppelte Vorteilslage liefe der Sanktionsrechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erst recht zuwider. Das gilt umso mehr, als das Land Niedersachsen die Abgrenzung des nachgemeldeten Vogelschutzgebiets V 63 nach eigenem Bekunden "unter Berücksichtigung des Bebauungsplans Nr. 67 vorgenommen" hat (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 10. April 2013 a.a.O. <428>). Damit tritt ein weiterer Zweck des strengen Schutzregimes für faktische Vogelschutzgebiete zu Tage, der darin besteht, eine an ornithologisch-fachlichen Kriterien ausgerichtete Gebietsausweisung und -abgrenzung offen zu halten und nicht durch vorangehende Planungen unrealistisch werden zu lassen. Ein Maßstabswechsel bei der Abgrenzung faktischer Vogelschutzgebiete kommt auch aus diesem Grunde erst mit der Meldung und Ausweisung eines Gebiets in Betracht.

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Die Forderung nach einer vorhergehenden Meldung und Ausweisung ist auch - entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin - keine bloße Förmelei. Vielmehr ist dem Vogelschutz in diesem Fall durch das Regelungskonzept des FFH-Rechts Rechnung zu tragen: Die über Art. 7 i.V.m. Art. 6 Abs. 3 und 4 der FFH-RL, § 36 i.V.m. § 34 Abs. 1 und 3 bis 5 BNatSchG eröffnete Möglichkeit, einen Plan aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art durchzuführen, auch wenn er ein Schutzgebiet erheblich beeinträchtigen kann, setzt die strikte Beachtung der habitatschutzrechtlichen Verfahrensanforderungen und gegebenenfalls der inhaltlichen Anforderungen an eine Abweichungsentscheidung voraus (vgl. hierzu Urteil vom 10. April 2013 - BVerwG 4 C 3.12 - BVerwGE 146, 176 Rn. 10 ff.), die nach § 1a Abs. 4 BauGB auch in der Bauleitplanung einzuhalten sind. Ergibt eine durchzuführende Verträglichkeitsprüfung, dass die Erhaltungsziele des Vogelschutzgebiets V 63 beeinträchtigt werden können, ist insbesondere zu prüfen, ob die mit der Straßenplanung beabsichtigte Verkehrsentlastung als "zwingender Grund des überwiegenden öffentlichen Interesses" im Sinne des § 34 Abs. 3 BNatSchG anzuerkennen ist und ob zumutbare Planungsalternativen nicht gegeben sind. Liegen diese Voraussetzungen vor, sind gemäß § 34 Abs. 5 BNatSchG die zur Sicherung des Zusammenhangs des Netzes "Natura 2000" notwendigen Maßnahmen vorzusehen, andernfalls ist die Planung unzulässig. Diese verfahrens- und materiell-rechtlichen Planungsanforderungen sind für den Vogelschutz substantiell von Bedeutung. Sie entfielen, wollte man mit dem Oberverwaltungsgericht die nach Abschluss der Straßenplanung vorgenommene Gebietsnachmeldung als fachliche Bestätigung der "von vornherein plausiblen" Annahmen der Antragsgegnerin zur Abgrenzung des faktischen Vogelschutzgebiets akzeptieren.

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2. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die vom Oberverwaltungsgericht (UA S. 20) offen gelassene Frage, ob die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 12. März 2008 - BVerwG 9 A 3.06 - BVerwGE 130, 299 Rn. 252 ff., 256) zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt bei (der gerichtlichen Überprüfung von) Planfeststellungsbeschlüssen auf Normenkontrollverfahren übertragen werden kann, ist zu verneinen.

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Nach dieser Rechtsprechung sind abweichend von dem Grundsatz, dass es für die gerichtliche Kontrolle eines Planfeststellungsbeschlusses auf die Sach- und Rechtslage bei dessen Erlass ankommt, Rechtsänderungen zu berücksichtigen, die zum Fortfall eines Rechtsverstoßes führen. Diese zum Fachplanungsrecht ergangene Rechtsprechung lässt sich auf Bebauungspläne nicht übertragen. Rechtsnormen, die unter Verletzung höherrangigen Rechts zustande gekommen sind, sind nicht nur - wie ausgeführt - von Anfang an (ex tunc) und ohne weiteres (ipso iure) unwirksam; sie bleiben es auch, soweit nicht aufgrund gesetzlicher Sonderregelungen ausnahmsweise etwas anderes gilt. Der Bebauungsplan Nr. 67 war - wie dargelegt - von Anfang an wegen Verstoßes gegen Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der V-RL unwirksam. Planerhaltungsvorschriften kommen insoweit nicht in Betracht. Die Satzung kann deshalb auch nicht aufgrund einer späteren Rechtsänderung wieder "zum Leben erweckt" werden.

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3. Da die Nachmeldung des Vogelschutzgebiets V 63 somit unter keinem Gesichtspunkt zu der vom Oberverwaltungsgericht angenommenen "entscheidenden Veränderung" führt, kann der Senat auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts selbst entscheiden, dass die Planung gegen Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der V-RL verstößt. Der Bebauungsplan Nr. 67 ist folglich gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO für unwirksam zu erklären.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.