Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 02. März 2017 - 9 U 207/16

published on 02/03/2017 00:00
Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 02. März 2017 - 9 U 207/16
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Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 12.10.2016, Az. 8 O 204/15, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, weil die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat.

2. Hierzu erhält die Beklagte Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 20.03.2017.

Gründe

 
I.
Mit der Berufung wendet sich die Beklagte gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 12.10.2016, Az. 8 O 204/15, mit dem sie im Wesentlichen zur Freistellung von Verpflichtungen des Klägers von Verbindlichkeiten gegenüber der Streitverkündeten zu 2 sowie zur Zahlung von 15.000 EUR sowie zur Verschaffung von 4.500 Stück Inhaber Aktien der H. AG verurteilt wurde, und begehrt Klagabweisung.
In der Sache geht es um die Haftung aus der Verletzung von Beratungspflichten im Zusammenhang mit einem Vermögensverwaltervertrag. In dessen Vorfeld hatte der Zeuge G. den 75-jährigen Kläger, der in einer schuldenfreien, eigenen Immobilie wohnte, zur Beratung und Betreuung an den bei der Beklagten beschäftigten Zeugen E. verwiesen. An den Zeugen G. hatte er sich nach dem Wegfall regelmäßiger Dividendenzahlungen gewandt, die einen wesentlichen Teil seines Einkommens gebildet hatten. Seine Rente von ca. 700 EUR monatlich genügte ihm nicht, an seinem Aktienpaket im Wert von ca. 310.000 EUR wollte er aber möglichst festhalten. Für den Zeugen G. hatte der Zeuge E. zuvor im Rahmen eines Vermögensverwaltervertrages durch Stillhaltegeschäfte mit Aktienoptionen Einnahmen von ca. 2.000 EUR monatlich generiert. Hierüber informiert wandte sich der Kläger an den Zeugen E., obwohl er Geld bis dahin lediglich langfristig in Aktien investiert hatte. Im Namen der Beklagten schloss dieser mit dem Kläger am 29./30.07.2014 einen Vermögensverwaltervertrag (Anl. K1), zu dem der Kläger konkrete Anlagerichtlinien erteilte (Anl. K4). Danach bezwecke er
i „kurzfristige Gewinnerzielung/Spekulation“, wozu er
i „außergewöhnliche hohe Ertragserwartungen“ habe, denen
i „sehr hohe Verlustrisiken“ gegenüberstünden.
i Diese Anlageziele sollten mit „Finanztermingeschäften“ erreicht werden.
i Insbesondere sollten „schwerpunktmäßig Einnahmen erzielt werden durch Verkauf von kurzlaufenden Optionen (ODAX und ODX).“.
Der Zeuge E. riet dem Kläger nicht von den Geschäften ab, sondern führte sie ab Anfang August 2014 für ihn durch. Von der ...-Bank … Anfang September 2014 auf eine fehlende Margin-Verpflichtung aufmerksam gemacht, bat er diese um Abschluss eines Margin-Vertrages mit dem Kläger über 120.000 EUR. Als sie ihn kurz darauf auf die Überschreitung der Margin-Linie hinwies, erklärte er dies mit – rein rechnerischen – Terminüberschneidungen.
Als mögliche Reaktionen auf einen Buchverlust von ca. 55.000 EUR Mitte Oktober 2014 schlug der Zeuge E. dem Kläger alternativ zur Realisierung des Verlustes eine Risikominderung durch kostenträchtige Gegengeschäfte oder die Anlage in länger laufende Stillhaltergeschäfte vor. Die letztgenannte Alternative wurde umgesetzt. Zur Erlangung nötiger Liquidität veräußerte die Beklagte 4.500 Inhaberaktien des Klägers von der H. AG.
Ende November 2014 schloss die ...-Bank … das Depotkonto mit einem Sollsaldo von 567.800,97 EUR wegen ungenehmigter Überziehung zwangsweise und verlangt vom Kläger die Zahlung von – incl. bis zum 15.03.2015 aufgelaufenen – Zinsen von 570.697,22 EUR.
Im Übrigen wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils vom 12.10.2016 (Bl. 279 ff. der Akte) Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Beklagte mit dem Beklagtenvertreter am 18.10.2016 zugestelltem Urteil (Bl. 305 der Akte) nach Vernehmung der Zeugen G., E. und B. antragsgemäß verurteilt. Sie habe die sie auch als Vermögensverwalterin treffende Pflicht zur anlegergerechten Beratung verletzt, indem sie dem Kläger aufgrund fehlender Ermittlung seiner Risikoneigung und -tragfähigkeit sowie seiner finanziellen Verhältnisse nicht von der Festlegung auf Anlagerichtlinien zur Vornahme von hochriskanten Stillhaltergeschäften in Dax-Optionen abgeraten habe.
Die am 14.11.2016 bei Gericht eingegangene und innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründete Berufung verfolgt das erstinstanzliche Klageabweisungsbegehren weiter. Insbesondere rügt die Beklagte, dass das Landgericht weder den Risiken begrenzenden Sicherungsmechanismen noch dem Verhalten des Klägers nach Eintritt des erheblichen Zwischenverlustes Mitte Oktober 2014 ausreichend Rechnung getragen habe, der sich in dessen Bewusstsein für die Fortsetzung der Anlagestrategie entschieden habe. Danach habe das Landgericht die Risikogeneigtheit des Klägers und die Angemessenheit der Stillhaltegeschäfte unzutreffend beurteilt, zumal die Beklagte angesichts der Angaben des Klägers, 90 % seiner Einkünfte aus Kapitalanlagen zu erzielen, unter Berücksichtigung der weggefallenen Dividenden von einem wesentlich höheren Kapitalvermögen habe ausgehen dürfen.
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Sie habe sich zudem auf die Überwachung der Margin-Line durch die depotverwaltende ...-Bank … verlassen dürfen, was ihr selbst technisch nahezu unmöglich gewesen sei. Überdies habe diese die Berichtspflichten gegenüber den Kunden übernommen. Hierzu hat die Beklagte mit der Berufungsbegründung die Kooperationsvereinbarung mit der ...-Bank … vorgelegt (Anl. B9, Bl. 346 ff. der Akte). Letztlich sei der Kläger infolge des Online-Zugangs jederzeit ausreichend über die Transaktionen und deren Entwicklung informiert gewesen.
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Der Beklagte beantragt (Schriftsatz vom 19.01.2017, Bl. 325 der Akte):
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1. Das Urteil des Landgerichts Stuttgart, Az.: 8 O 204/1, vom 12.10.2016, zugestellt am 14.10.2016, wird abgeändert.
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2. Die Klage wird abgewiesen.
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Sie hat ihrem ehemaligen Vorstandsmitglied W. R. und der ...-Bank … den Streit verkündet.
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Der Kläger hat noch keinen Antrag gestellt.
II.
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Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Insbesondere ist trotz des unvollständig angegebenen Aktenzeichens und des unzutreffenden Zustellungsdatums im Berufungsantrag erkennbar, dass sich die Berufung gegen das Kammerurteil des Landgerichts Stuttgart vom 12.10.2016 zum Aktenzeichen 8 O 204/15 richtet. Dieses war der Berufungsschrift beigefügt, in der auch das Aktenzeichen vollständig aufgeführt war.
17 
Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich unbegründet ist (§ 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Der Rechtssache kommt auch keine grundsätzliche Bedeutung zu, und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Berufungsgerichts. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
18 
Die Berufungsbegründung enthält keine konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen durch das Landgericht begründen. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Daher ist der Senat nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hieran gebunden. Sie rechtfertigen keine andere Entscheidung. Das Urteil beruht nicht auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO). Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung der von der ...-Bank … geforderten 570.697,22 EUR, Freistellung von weiteren, insbesondere Zinsforderungen der ...-Bank … sowie Wiederbeschaffung von 4.500 Aktien der H. AG aus § 280 Abs. 1 BGB i. V. m. dem Vermögensverwaltervertrag vom 29./30.07.2014 i. V. m. § 241 Abs. 1 BGB bzw. i. V. m. einem diesem vorgeschalteten Beratungsvertrag.
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Im Einzelnen ist zu den Rügen des Beklagten angesichts der umfassenden und nachvollziehbaren Gründe im landgerichtlichen Urteil, denen sich der Senat vollumfänglich anschließt, lediglich noch ergänzend auszuführen:
20 
1. Wie das Landgericht aus zutreffenden Erwägungen festgestellt hat, hat die Beklagte die ihr gegenüber dem Kläger obliegende Pflicht zur anlegergerechten Beratung verletzt. Sie hat sich Anlagerichtlinien für hochspekulative Geschäfte mit hochriskanten Stillhaltergeschäften von ihm erteilen lassen, ohne seine finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie seine Erfahrungen und Kenntnisse ausreichend zu ermitteln [s. u. a)] und das tatsächliche Anlageziel zu berücksichtigen [s. u. b)]. Dadurch riet sie ihm pflichtwidrig [s. u. c)] nicht von diesen Geschäften ab, obwohl er wirtschaftlich nicht in der Lage war, das hiermit verbundene Risiko zu tragen.
21 
a) Entgegen der Ansicht der Beklagten war der Kläger nicht in der Lage, die mit den anvisierten Optionsgeschäften verbundenen Risiken ohne Änderung seiner Lebensverhältnisse zu verkraften. Selbst auf der Grundlage der Angaben zum Vermögensstatus und zu den Einkommensverhältnissen im Datenanalysebogen (Anl. K3), die nach Angaben des Zeugen E. nicht einmal vom Kläger stammen können, weil sie darüber nicht gesprochen haben (Prot. Bl. 213 ff. [228 f., 248] der Akte), war die fehlende Risikotragfähigkeit erkennbar. Denn sogar danach verfügte der Kläger über ein regelmäßiges Jahresnettoeinkommen von nur bis zu 50.000 EUR, dem laufende Verpflichtungen von monatlich 2.800 EUR gegenüber standen. Da das im Jahr 33.600 EUR sind, hätte der Kläger hieraus nur Verluste in Höhe von 16.400 EUR tragen können. Erklärtermaßen wollte er den – selbstgenutzten – Immobilienbesitz nicht einsetzen und auch die Unternehmensbeteiligungen im Wert von „bis EUR 500.000“ nicht riskieren. Er benötigte sie nach Angaben gegenüber dem Zeugen E. angesichts der geringen ihm nach Wegfall der Dividenden ausschließlich noch verbleibenden Rente „von 700 bis 800,00 EUR“ vielmehr, weil er schon die 15.000 EUR Handwerkerleistungen nicht decken konnte (Prot. Bl. 213 ff. [228 f.] der Akte).
22 
Die Beklagte durfte auch nicht aufgrund der Angaben von 90 % des Jahresnettoeinkommens aus Kapitalvermögen im Datenanalysebogen (Anl. K3) von einer ausreichenden Risikotragfähigkeit ausgehen. Denn sie durfte sich auf diese Angabe nicht verlassen. Zum einen hat der Zeuge E. selbst angegeben, mit dem Kläger weder über seine Vermögensverhältnisse (Prot. Bl. 213 ff. [228] der Akte), noch über seine Einkommenssituation gesprochen zu haben (aaO., Bl. 228 der Akte). Zum anderen ist der Vermögensverwalter zwar grundsätzlich berechtigt, auf – tatsächlich gemachte – Kundenangaben zu vertrauen. Er hat diese jedoch bei Anlass zu Zweifeln zu hinterfragen (vgl. nur Schäfer/Seth/Lang, HB der Vermögenverwaltung, 2 .Aufl. 2016, § 7 Rn. 78). Dieser Anlass bestand, weil die Angaben im Datenanalysebogen (Anl. K3) in sich widersprüchlich waren. Unter der Prämisse einer – dem Zeugen E. gegenüber mitgeteilten Rente von monatlich – mindestens – 700,00 EUR, die lediglich 10 % seines Einkommens ausgemacht hätte, hätte dem Kläger ein Jahresnettoeinkommen von 84.000 EUR zur Verfügung stehen müssen. Das ist weder mit dem angegebenen Gesamteinkommen von bis zu 50.000 EUR vereinbar noch mit den Angaben zu den Nettovermögenswerten. Wie dem Zeugen E. bekannt war, wurden für die Unternehmensbeteiligungen keine Dividenden, also keine regelmäßigen Zahlungen mehr geleistet. Aus Bar- und Kontovermögen von bis zu 500.000 EUR sind keine regelmäßigen Einkünfte von 75.600 EUR zu erzielen. Das entspräche – gesicherten – Zinsen von über 15 % p.a.
23 
Unter Berücksichtigung der dem Zeugen E. gegenüber gemachten Angaben, „nach dem Wegfall der Dividenden“ einen „laufenden Bedarf an Einkünften“ zu haben und Handwerkerleistungen von 15.000 EUR nicht decken zu können, war für die Beklagte evident, dass der Kläger unbegrenzte Verlustrisiken nicht tragen konnte.
24 
b) Wie der Zeuge E. ausgesagt hat, hatte der Kläger ihm als Ausgangspunkt klar mitgeteilt, dass er zum Ausgleich des Dividendenausfalls und zur Deckung seiner laufenden Aufwendungen laufende Einkünfte benötigte (Prot. Bl. 213 ff. [227 f.] der Akte). Zur Erreichung dieses Ziels wären Aktienoptionsgeschäfte selbst dann ungeeignet und damit nicht anlegergerecht, wenn der Anleger korrekt und eindeutig über das Risiko, und zwar nicht nur über mögliche Anlaufrisiken (vgl. Prot. Bl. 213 ff. [228] der Akte) oder gar Totalverlustrisiken des eingesetzten Kapitals, sondern darüber hinaus über tatsächlich bestehende unbegrenzte Risiken aufgeklärt worden wäre. Selbst das tat die Beklagte nicht, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat.
25 
c) Die Beklagte war i. R. d. Beratungspflicht auch verpflichtet, dem Kläger von einer für ihn ungeeigneten Anlage abzuraten. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ist ein Berater – anders als etwa ein Anlagevermittler – auch zur Bewertung möglicher Anlageformen hinsichtlich ihrer Eignung für den Anleger verpflichtet (vgl. bereits BGH, Urteil vom 06.07.1993 – XI ZR 12/93, zit. nach juris, Rn. 15 ff.; speziell für den Vermögensverwalter s. auch Schäfer/Seth/Lang, aaO., § 7 Rn. 9 ff., 37 ff., Balzer, WM 2000, 441 [444, 446] vgl. BGH, Urteil vom 04.04.2002 – XI ZR 237/01, zit. nach juris, Rn. 13). Eine Empfehlung auszusprechen braucht ein Institut mangels Beratungsvertrag freilich dann nicht, wenn der Anleger mangels Beratungsbedarfs ausschließlich einen Ausführungsauftrag erteilt (sog. execution only, vgl. nur BGH, Urteil vom 04.03.2014 – XI ZR 313/12, zit. nach juris, Rn. 14. m. w. N.).
26 
Davon ist angesichts des vom Zeugen E. erkannten Beratungsbedarfs selbst dann nicht auszugehen, wenn als wahr unterstellt wird, dass der Kläger, bereits vom Zeugen G. auf die Möglichkeit der Stillhaltergeschäfte aufmerksam gemacht, mit einem diesbezüglichen konkreten Anliegen Kontakt zum Zeugen E. aufnahm. Ausfluss der Pflicht, geeignete Empfehlungen auszusprechen, ist, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, auch, von ungeeigneten Anlagen abzuraten (vgl. nur Schäfer/Seth/Lang, aaO., § 7 Rn. 10 ff.). Ungeeignet waren die Stillhaltegeschäfte nicht, weil dem Kläger die Risiken nicht ausreichend verdeutlicht wurden, sondern weil sie nicht zu laufenden Einnahmen führten und der Kläger wirtschaftlich nicht in der Lage war, das Verlustrisiko zu tragen.
27 
2. Das Landgericht hat auch das Verhalten des Klägers nach dem Gespräch am 16.10.2014 im Zusammenhang mit den Zwischenverlusten von ca. 55.000 EUR nicht fehlerhaft gewürdigt, indem es die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens (vgl. dazu nur BGH, Urteil vom 08.05.2012 – XI ZR 262/10, zit. nach juris, Rn. 28 ff.) nicht für widerlegt gehalten hat.
28 
Richtig ist zwar, dass auch späteres Verhalten eines Anlegers als Indiz für die Frage gewertet werden kann, wie er sich in Kenntnis bestimmter, aufklärungsrelevanter Umstände wie beispielsweise der Erlangung von Rückvergütungen durch die beratende Bank verhalten hätte (BGH, aaO., Rn. 50). So kann etwa dafür sprechen, dass ein Anleger sich im Falle gebotener Aufklärung und anlagegerechter Beratung nicht an den Rat gehalten hätte, wenn er trotz zwischenzeitlich erworbener Kenntnis weiterhin Geschäfte gleicher Art tätigt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 04.06.2013 – XI ZR 188/11, zit. nach juris, Rn. 29; vgl. auch Oppenheim/Ulmrich, WM 2017, 164 [168 f.]).
29 
Solch ein Fall liegt hier aber nicht vor. Denn der Zwischenverlust von – nicht, wie die Beklagte nun annimmt, 75.000 EUR, sondern unstreitig (vgl. Bl. 66, 100 der Akte) sowie nach § 314 ZPO mit Tatbestandswirkung festgestellt – ca. 55.000 EUR Mitte Oktober 2014 führte nicht zur Kenntnis des Klägers, dass die in den Anleiherichtlinien bestimmten Stillhaltergeschäfte aufgrund fehlender laufender Einnahmen mit seinen Anlagezielen nicht zu vereinbaren sind und zu unbegrenzten Verlusten führen können, die der Kläger unter Beibehaltung seines Lebensstandards nicht würde tragen können. Dieser Verlust war allenfalls geeignet, dem Kläger zu verdeutlichen, dass überhaupt und in kurzer Zeit Verluste entstehen können. Sie hielten sich indessen mitten in dem mit dem Zeugen E. möglicherweise besprochenen Rahmen von 120.000 EUR (vgl. Prot. Bl. 213 ff. [229] der Akte). Überdies stellte der Zeuge E. die Verluste nach eigenen Angaben insofern als noch nicht tatsächlich eingetreten dar, als sie erst durch Schließen der Positionen fixiert würden. Der Kläger wollte sie jedoch nicht „realisieren“ (vgl. Prot. Bl. 213 ff. [236] der Akte). Das spricht dafür, dass dem Kläger das Risiko trotz der Kursentwicklung Mitte Oktober noch immer nicht bewusst war. Zudem entschärfte es sich durch die kurzfristige Erholung wieder.
30 
Hinzu kommt, dass weder der Kursverlust noch die darauf erfolgten Gespräche dazu geführt haben, dem Kläger zu verdeutlichen, dass Options- in Form der Stillhaltergeschäfte unter Berücksichtigung seiner Risikotragfähigkeit für ihn angesichts des unbegrenzten – nicht einmal durch das aufgewandte Kapital begrenzte, sogenannte Totalverlustrisiko – Verlustrisikos nicht angemessen ist. Eine grundsätzliche Änderung der Strategie unter Berücksichtigung der Risikotragfähigkeit erfolgte auch zu diesem Zeitpunkt nicht. Die drei von dem Zeugen E. genannten Optionen zur Reaktion auf den Zwischenverlust dienten allein der Risikominderung vor einem bevorstehenden weiteren Absturz des Dax.
31 
Die Beklagte hat dem Kläger nicht einmal nach dessen kurzfristiger Erholung geraten, die Strategie angesichts der fehlenden Risikotragfähigkeit grundlegend zu ändern (vgl. Prot. Bl. 213 ff. [237] der Akte).
32 
3. Das Landgericht hat auch nicht rechtsirrig außer Acht gelassen, dass sich die Beratungspflichten im Rahmen der Vermögensverwaltung als Dauerschuldverhältnis unter Berücksichtigung anfänglich noch fehlender, zwischenzeitlich aber hinzugewonnener Erfahrungen für die Beurteilung der Risikogeneigtheit ändern können. Denn dadurch wurde der Zurechnungszusammenhang auch hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität nicht mit der Folge unterbrochen, dass die nach der kurzfristigen Kurserholung Mitte Oktober eingetretenen Verluste der Beklagten nicht zuzurechnen wären, weil der Kläger sich nicht für die Schließung der Positionen und die Änderung der Anlagerichtlinien entschloss.
33 
Die Beklagte erfüllte ihre dem Kläger gegenüber bestehenden Beratungspflichten auch zu diesem Zeitpunkt nicht dadurch, ihm aufgrund der weiterhin fehlenden Risikotragfähigkeit von der Fortführung des im Juli geschlossenen Verwaltervertrages im Rahmen der bereits formulierten Anlagerichtlinien abzuraten. Seine fehlende Risikotragfähigkeit hat sie dem Kläger weiterhin nicht vor Augen geführt. Von einem Fortführen der Geschäfte in Kenntnis aller für die Beurteilung der Angemessenheit erforderlichen Gesichtspunkte kann also keine Rede sein.
34 
4. Das Landgericht hat auch die von der Beklagten vorgesehenen Risikobegrenzungsmaßnahmen nicht rechtsfehlerhaft außer Acht gelassen. Diese führten – selbst wenn sie vollständig und wirksam umgesetzt worden wären [s. dazu aber auch unten unter 5. a. E.] – nicht dazu, dass es sich bei den Stillhaltergeschäften um für das Anlageziel des Klägers zur Generierung laufender Einnahmen als Ersatz für die ausfallenden Dividendenzahlungen geeignete, also anlegergerechte Geschäfte gehandelt hätte. Angesichts der bei weitem nicht einmal die laufenden Ausgaben deckenden, sonstigen regelmäßigen Einnahmen, die der bereits 75 Jahre alte Kläger auch durch Aufnahme einer Beschäftigung nicht anderweitig aufstocken konnte, war er nicht in der Lage, das unbegrenzte Risiko zu tragen. Er war vielmehr auf das vorhandene Vermögen angewiesen.
35 
5. Die Beklagte durfte sich – unabhängig davon, dass der neue Vortrag nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen ist – im Verhältnis zum Kläger auch nicht darauf verlassen, dass dieV.-Bank AG keine über die Margin-Linie hinausgehenden Geschäfte zulassen werde. Zum einen ändert dies nichts an der fehlenden Eignung der Geschäfte für den Kläger und damit an der Verletzung der Pflicht zur anlegergerechten Beratung.
36 
Zum anderen war die Beklagte die Vermögensverwalterin des Klägers und nicht die V.-Bank AG. Diese war nach Angaben des Zeugen E. nicht einmal bereit, Privatkunden direkt zu betreuen, sondern verlangte vielmehr die Verbindung über einen Vermögensverwalter (Prot. Bl. 213 ff., [224, 238] der Akte). Dem Kläger gegenüber hat sich die Beklagte selbst unter Nr. 1. Abs. 4 des Vermögensverwaltungsvertrages (Anl. K1) verpflichtet, sogar durch bloße Valutaüberschreitungen infolge unterschiedlicher Abwicklungsfristen von Transaktionen veranlasste Überziehungen nicht vorzunehmen. Dennoch hat der Zeuge E. auf die E-Mail des zuständigen Mitarbeiters L. der ...-Bank … vom 05.09.2014, dass u. a. beim Kläger „Unterdeckungen der Sicherheiten sowie Überschreitungen der Marginlinie“ bestünden (Anl. K14), mit einer rein buchungstechnischen und nur möglichen Erklärung reagiert und die Geschäftstätigkeit unvermindert fortgesetzt. Damit hat die Beklagte zum einen in Kenntnis der Warnung die eigene Verpflichtung aus dem Vermögensverwaltungsvertrag verletzt. Zum anderen hat sie erkannt, dass die ...-Bank … Überschreitungen der Marginlinien doch zulässt; andernfalls hätte es nicht zur „Überschreitungen der Marginlinie[n]“ kommen können. Sie durfte sich auf das Gegenteil also gerade nicht verlassen.
37 
Unerheblich ist diesbezüglich, ob der Margin-Report, der als Anlage zur E-Mail übersandt werden sollte, tatsächlich angehängt war. Allein das hat der Zeuge E. in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht bestritten (Prot. Bl. 213 ff. [230, 232] der Akte). Aus dem E-Mail-Text selbst geht indessen unmissverständlich hervor, dass für den Kläger ein Marginvertrag bisher nicht abgeschlossen war und auch für andere Kunden vereinbarte Marginlinien überschritten wurden.
38 
Sogar mit E-Mail vom 19.09.2014 (Anl. K17) hat der Mitarbeiter L. der ...-Bank … den Zeugen E. erneut auf weiterhin bestehende Unterdeckungen und Überschreitungen vorhandener Marginlinien sowie darauf hingewiesen, dass ein Margin-Vertrag mit dem Kläger über 120.000 EUR die Höhe der Geschäfte nicht abdecken werde. Daraus musste die Beklagte schließen, dass für diesen eine Marginlinie zum einen noch immer nicht einmal vereinbart war und das Geschäftsvolumen bereits über den vom Kläger als maximal akzeptablen hingenommenen Verlust (vgl. Prot. Bl. 213 ff. [229] der Akte) hinaus ging.
39 
Jedenfalls darin dürfte letztlich über die Beratungspflichtverletzung hinaus auch eine Verletzung des Vermögensverwaltervertrages selbst i. S. d. § 280 Abs. 1 BGB liegen. Entgegen der Ansicht der Berufung hat die Beklagte die von ihr geltend gemachten Risikobegrenzungsstrategien gerade nicht vollständig umgesetzt.
40 
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, stellt der Senat der Beklagten anheim, die Berufung aus Kostengründen zurückzunehmen, wodurch sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren ermäßigten (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
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(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. (2) Schadensersatz weg

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:1.die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidung
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(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. (2) Schadensersatz weg

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:1.die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidung
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published on 04/06/2013 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil XI ZR 188/11 Verkündet am: 4. Juni 2013 Herrwerth, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
published on 04/03/2014 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil XI ZR 313/12 Verkündet am: 4. März 2014 Herrwerth, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat gemäß § 128 Abs. 2 ZPO im sch
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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:

1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.

(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.

Das Recht ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.

(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.

(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.

(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

Der Tatbestand des Urteils liefert Beweis für das mündliche Parteivorbringen. Der Beweis kann nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden.

(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.

(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie

1.
einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist,
2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder
3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
Das Berufungsgericht kann die Glaubhaftmachung der Tatsachen verlangen, aus denen sich die Zulässigkeit der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ergibt.

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.

(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.