Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 16. Juli 2012 - 7 U 54/12

published on 16/07/2012 00:00
Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 16. Juli 2012 - 7 U 54/12
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile

Gericht

There are no judges assigned to this case currently.
addJudgesHint

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 5.3.2012 (16 O 527/11) wird

zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Streitwert des Berufungsverfahrens. 5.118,74 EUR

Gründe

 
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Gem. § 522 Abs. 2 S. 3 ZPO nimmt der Senat zur Begründung der vorliegenden Entscheidung auf die Ausführungen in seinem Hinweisbeschluss vom 16.5.2012 Bezug.
Im Hinblick auf die Stellungnahme des Klägers zum genannten Hinweisbeschluss ergänzend ist auszuführen:
1. Der Senat bleibt nach nochmaliger Überprüfung bei seiner Auffassung, dass die Belehrung über das Widerspruchsrecht weder an einem formalen noch einem inhaltlichen Mangel leidet. Sie war deshalb geeignet, den Lauf der Widerspruchsfrist nach Übermittlung der erforderlichen Informationen an den Kläger in Gang zu setzen.
2. Der Senat bleibt auch bei seiner Auffassung, dass § 5 a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VVG a. F. (sog. „Policenmodell“) nicht gegen europäisches Gemeinschaftsrecht verstößt. Insoweit wird auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss vom 16.5.2012 Bezug genommen.
3. Die Sache ist nicht dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung gem. § 267 Abs. 3 AEUV vorzulegen. Der Senat kann vielmehr ohne eine solche Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs entscheiden.
§ 267 AEUV hat folgenden Wortlaut:
(1). Der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet im Wege der Vorabentscheidung
a) über die Auslegung der Verträge,
b) über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union,
 (2). Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen.
(3). Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet.
(4). Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren, das eine inhaftierte Person betrifft, bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, so entscheidet der Gerichtshof innerhalb kürzester Zeit.
10 
a. Da die Zurückweisungsentscheidung des Senats mit Rücksicht auf den 20.000 EUR nicht übersteigenden Streitwert nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde anfechtbar ist (§§ 522 Abs. 3, 544 Abs. 1 S. 1 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO), ist § 267 Abs. 3 AEUV einschlägig. In einem solchen Fall muss nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs das letztinstanzliche nationale Gericht wegen einer Frage des Gemeinschaftsrechts, die sich in dem bei ihm schwebenden Verfahren stellt, grundsätzlich die Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs einholen. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn die gestellte gemeinschaftsrechtliche Frage nicht entscheidungserheblich ist oder wenn die betreffende gemeinschaftsrechtliche Frage bereits durch den Europäischen Gerichtshof geklärt wurde oder wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. 283/81 "C.I.L.F.I.T." -, Slg. 1982, S. 03415, Rn. 21).
11 
b. Die vorliegend aufgeworfene Frage, ob die bundesdeutsche Regelung des sog. Policenmodells gem. § 5 a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VVG a. F. mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind, war noch nicht Gegenstand einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs.
12 
c. Die Frage ist auch entscheidungserheblich. Aus dem Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs vom 28.3.2012 im Verfahren IV ZR 76/11 (VersR 2012, 608 ff) zur Frage, ob § 5 a Abs. 2 S. 4 VVG a. F. mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, kann entnommen werden, dass der Bundesgerichtshof eine richtlinienkonforme Auslegung des § 5 a VVG jedenfalls für denkbar und möglich hält. Vor diesem Hintergrund gibt der Senat seine bislang vertretene gegenteilige Auffassung auf.
13 
d. Der Senat hält es jedoch für offenkundig, dass das Policenmodell gem. § 5 a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VVG a. F. mit europäischem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, und ist überzeugt, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und für den Europäischen Gerichtshof die gleiche Gewissheit besteht. Diese Überzeugung beruht auf folgenden Erwägungen:
14 
aa. Die veröffentlichten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und der deutschen Oberlandesgerichte (aus der jüngeren Rechtsprechung z. B. OLG Köln, Urteil vom 2.3.2012, 20 U 178/11; OLG Celle, Urteil vom 9.2.2012, 8 U 191/11; OLG Hamm, Beschluss vom 31.8.2011, 20 U 81/11; allesamt nachgewiesen bei juris) belegen einen einhelligen Konsens, dass das Policenmodell mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Auch der oben erwähnte Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs stellt die europarechtliche Vereinbarkeit des Policenmodells gem. § 5 a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 als solches nicht in Frage, sondern beschränkt sich auf die Vorlagefrage, ob die Regelung des § 5 a Abs. 2 S. 4 VVG a. F. – also ein Vertragsschluss ohne jede Vorlage von Informationen und Versicherungsbedingungen an den Versicherungsnehmer – mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Hätte der Bundesgerichtshof schon die europarechtliche Vereinbarkeit des Policenmodells als solches in Zweifel gezogen, so hätte es nahegelegen, auch die Vereinbarkeit von § 5 a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VVG a. F. mit dem Europarecht zum Gegenstand der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu machen.
15 
bb. Soweit ersichtlich, sind auch in anderen Mitgliedsstaaten der EU, die den Abschluss von Versicherungsverträgen nach einem dem Policenmodell des § 5 a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VVG a. F. ähnlichen Ablauf kennen (wie z. B. in Österreich, vgl. § 5 b ÖVVG), keine durchgreifenden europarechtlichen Bedenken geltend gemacht worden, die Gerichten der betreffenden Mitgliedsstaaten zur Herbeiführung von Vorabentscheidungen des Europäischen Gerichtshofs Anlass gegeben hätten.
16 
cc. Aus den bisherigen Entscheidungen des EuGH zur Richtlinie 92/96 EWG des Rates vom 10.11.1992 und zur Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5.11.2002, insbesondere zu deren Art 31 Abs. 1 bzw. Art. 36 Abs. 1, ergeben sich keine Hinweise, der Gerichtshof könnte europarechtliche Bedenken gegen die Vereinbarkeit von Policenmodellen mit dem Gemeinschaftsrecht hegen. So ließ der Gerichtshof in seiner Vorabentscheidung vom 5.3.2002 im Verfahren C-386/00 (VersR 2002, 1011 ff) auf den Vorlagenbeschluss des Cour d'appel Brüssel, ob Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 92/96 EWG der belgischen Regelung entgegenstehe, nach der das Angebot einer Lebensversicherungoder mangels eines Angebots die Versicherungspolice den Versicherungsnehmer darüber aufklären müsse, dass die Kündigung, die Herabsetzung oder der Rückkauf eines laufenden Lebensversicherungsvertrags zu dem Zweck, einen anderen Lebensversicherungsvertrag abzuschließen, im Allgemeinen für den Versicherungsnehmer nachteilig sei, hinsichtlich des Umstandes unbeanstandet, dass die in Rede stehende Aufklärung auch erst in der Police erfolgen könne.
17 
dd. Entgegen der Auffassung der Berufung ergibt sich aus der Entscheidung des EuGH vom 13.1.2001, Rs. C-481/99 („Heininger“), Slg. 2001, I – 9945, Tz 48, weder ein Anhaltspunkt für eine etwaige Europarechtswidrigkeit des Policenmodells gem. § 5 a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VVG a. F. noch ein Anhaltspunkt dafür, dass der Europäische Gerichtshof diese Regelung nach ähnlichen Gesichtspunkten beurteilen könnte.
18 
(1) Schon in formaler Hinsicht ergeben sich keine Berührungspunkte zum vorliegenden Verfahren. Im Kern ging es in jenem Verfahren um die Frage, ob das in der Haustürgeschäft-Richtlinie vorgesehene Widerrufsrecht ohne Befristungsmöglichkeit vom deutschen Gesetzgeber richtig umgesetzt wurde, indem dieser eine solche Befristung vornahm. Vorliegend sah der europäische Gesetzgeber überhaupt kein Widerrufs- oder gar Widerspruchsrecht als Instrument zur Verwirklichung des Verbraucherschutzes vor. Wenn der deutsche Gesetzgeber ein solches Instrument eingesetzt hat, konnte er sich demnach nicht von entsprechenden europarechtlichen Vorgaben unzulässig entfernen.
19 
(2) Auch inhaltlich sind die Problemstellungen des vorliegenden Falles und des Falles Heininger nicht vergleichbar: Dient das Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften der Abwehr der Gefahr, überrumpelt zu werden, so verfolgt das Widerspruchsrecht vorliegend den Zweck, den Verbraucher vor der Komplexität des abzuschließenden Geschäfts zu schützen und ihm eine ausreichende Zeitspanne zur Prüfung zu geben. Anders als im Falle eines Haustürgeschäfts, das schon im Grundsatz die missbilligungswürdige Gefahr der Überrumpelung in sich trägt, ist die Komplexität eines Versicherungsprodukts grundsätzlich nicht zu beanstanden. Anders als im Falle eines Rechts zum Widerruf eines Haustürgeschäfts hat das Widerspruchsrecht gem. § 5 a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VVG a. F. keinen Sanktions-, sondern ausschließlich Schutzcharakter.
20 
ee. In seiner Entscheidung vom 10.4.2008 – Rs. C-412/06 – Hamilton, Slg. 2008, I-2383, hat der Europäische Gerichtshof in Weiterentwicklung der „Heininger“-Entscheidung klargestellt, dass auch verbraucherschützende Widerrufsrechte nicht schrankenlos gewährt werden, selbst dann nicht, wenn sie aus Sanktionsgründen wegen mangelnder Belehrung im Grundsatz keiner Befristung unterliegen. Auch wenn diese Entscheidung im vorliegenden Fall nicht unmittelbar einschlägig ist, verdeutlicht sie doch, dass das Gemeinschaftsrecht auch den Verbraucherschutz nur in einem bestimmten Rahmen gewährleistet. In dem vorliegend durch die Richtlinien 92/96/EWG und 2002/83/EG abgesteckten Rahmen, innerhalb dessen es nicht nur den Schutz des Verbrauchers zu berücksichtigen gilt, kann das Widerspruchsrecht des Versicherungsinteressenten im Rahmen des Policenmodells keinen weiteren Raum beanspruchen, als er in ausschließlich verbraucherschützenden Normen zugewiesen bekommen hat. Wenn selbst bei Haustürgeschäften bei ordnungsgemäßer Belehrung das Widerrufsrecht befristet ist, kann für den Bereich des Widerspruchsrechts bei ordnungsgemäßer Belehrung und ausreichender Information des Versicherungsnehmers nichts anderes gelten.
21 
ff. Auch der Umstand, dass die Europäische Kommission im Vertragsverletzungsverfahren 2005/5046 die Regelungen des § 5 a VVG a. F. als richtlinienwidrig ansah, steht der Offenkundigkeit der europarechtlichen Zulässigkeit des Policenmodells in der Ausprägung des § 5 a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VVG a. F. nicht entgegen. So verkannte die Kommission in ihrem Aufforderungsschreiben an das deutsche Bundesministerium der Justiz vom 4.4.2006 [K(2006), 1309, S. 4 f] offensichtlich die durch § 5 a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VVG a. F. begründete Rechtslage, indem sie die Auffassung vertrat, bereits mit der Übersendung der Versicherungspolice komme der Vertrag mit Bindungswirkung für den Versicherungsnehmer zu Stande, dem das Widerspruchsrecht lediglich die Möglichkeit eröffne, sich vom bereits wirksamen Vertragsschluss einseitig wieder zu lösen. Nachdem die Bundesregierung in ihrem Schreiben vom 8.6.2006 auf die einhellige Auffassung der Rechtsprechung hingewiesen hatte, die Übersendung der Police nebst sämtlichen erforderlichen Unterlagen führe nach dem in § 5 a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VVG a. F. vorgegebene Vertragsschlussmechanismus zunächst nur zu einem schwebend unwirksamen Vertragsschluss ohne jede Bindungswirkung für den Versicherungsnehmer, verfolgte die Kommission ihre bisherige Argumentation nicht weiter. Sie stützte ihre Stellungnahme vom 18.10.2006 [K (2006) 4688 Tz 10] stattdessen auf die These, die Unvereinbarkeit der deutschen Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht ergebe sich daraus, dass der Verbraucher „nicht rechtzeitig“ informiert werde, insbesondere unter Berücksichtigung, dass ihm eine „Widerspruchslast“ aufgebürdet werde.
22 
Diese Argumentation ist aus folgenden Gründen offensichtlich verfehlt:
23 
(1) In den Materialien des Gesetzgebungsverfahrens zu Art. 31 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung ist zum Passus „vor Abschluss des Vertrages“ ausgeführt, dass die Mitgliedsstaaten im Hinblick auf die in der Richtlinie angeordneten vorvertraglichen Informationspflichten selbst darüber bestimmen können, „wann genau ein Vertrag als abgeschlossen gilt und wann genau die … vorgeschriebenen Angaben dem Versicherungsnehmer mitgeteilt werden müssen“ (vgl. Ratsprotokoll Nr. 2 zu Art. 31, Dok. 7307/92, auszugsweise abgedruckt bei Bücher, Der Referentenentwurf eines Dritten Durchführungsgesetzes/EWG zum VAG auf dem Prüfstand, Münsteraner Reihe Bd. 18, 1993, S. 13). Dass der historische Werdegang der Richtlinien-Gesetzgebung als Auslegungsmaßstab herangezogen werden kann, ist spätestens seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 21.1.1992 – Rs. C-310/90 – Egle, Slg. 1992, I – 197, Tz 12, anerkannt. Im Lichte dieser Äußerung eines Gesetzgebungsorgans gewinnt der Erwägungsgrund Nr. 19 zu Art. 31 und Anhang II. A. der Richtlinie 92/96 EWG „Die den Mitgliedsstaaten belassene Möglichkeit, die Anwendung ihres eigenen Rechts für Versicherungsverträge vorzuschreiben, bei denen die Versicherungsunternehmen Verpflichtungen in ihrem eigenen Hoheitsgebiet eingehen, stellt deshalb eine hinreichende Sicherung für die Versicherungsnehmer dar. “ solche Eindeutigkeit und Klarheit, dass ein Verstoß der bundesdeutschen Regelung zum Vertragschlussmechanismus nach dem Policenmodell schlechterdings auszuschließen ist.
24 
(2) Überdies hat die Kommission die Zielsetzungen der Richtlinien 92/96 EWG und 2002/83/EG verkannt. Maßgeblicher Zweck der älteren der beiden Richtlinien war eine Harmonisierung des Versicherungsaufsichtswesens, erst in zweiter Linie der Verbraucherschutz. Auch die Richtlinie 2002/83/EG verfolgt nicht den Verbraucherschutz als oberstes Ziel. Im unmittelbaren Anschluss an den Erwägungsgrund Nr. 1, der darstellt, dass aus Gründen der Klarheit eine Neufassung der Vorgänger-Richtlinien erforderlich sei, beschreibt der Erwägungsgrund Nr. 2 den maßgeblichen Zweck der neugefassten Richtlinie dahin, dass „zur Erleichterung der Aufnahme und der Ausübung der Tätigkeiten der Lebensversicherung … gewisse Unterschiede zwischen dem Aufsichtsrecht der verschiedenen Mitgliedstaaten zu beseitigen [sind], wobei ein angemessener Schutz der Versicherten und der Begünstigten in allen Mitgliedstaaten gewahrt bleiben muss.“ Damit ist klargestellt, dass dem Verbraucherschutz ein mindestens gleichrangiger gesetzgeberischer Zweck zur Seite gestellt ist, nämlich die Tätigkeit der Lebensversicherer zu erleichtern. Der dem nationalen Gesetzgeber zur Umsetzung der Richtlinie eröffnete Gestaltungsspielraum muss daher so weit sein, dass sinnvolle Regelungen zur Verwirklichung beider Ziele möglich sind. Dies bedeutet zugleich, dass dem Verbraucherschutz nach dem im Europarecht geltenden Prinzip des „effet utile“ nicht der Vorrang in dem Sinne einzuräumen ist, dass der nationale Gesetzgeber bei der Richtlinien-Umsetzung den größtmöglichen „effet utile“ zu gewährleisten hätte. Im Hinblick auf den im Grundsatz gegenläufigen weiteren Zweck, auch den Versicherern die Aufnahme und Ausübung ihrer Tätigkeit zu erleichtern, bedarf es vielmehr eines Ausgleichs der widerstreitenden Verbraucher- und Unternehmerinteressen, in dessen Rahmen es genügt, dass der Verbraucherschutz praktisch so wirksam bleibt, dass er nicht ernsthaft gefährdet, sinnentleert oder in erheblichem Maße geschmälert wird. Das Policenmodell gem. § 5 a Abs. 1 S. 1, Abs, 2 S. 1 VVG a. F. erfüllt diese Anforderungen. Dass dem Versicherungsnehmer die „Widerspruchslast“ auferlegt wird, schmälert den „effet utile“ im Sinne europarechtlicher Vorgaben nicht in bedenklicher Weise. Zahlreiche andere, ausdrücklich dem Verbraucherschutz gewidmeten Vorschriften des Gemeinschaftsrechts verwirklichen den Verbraucherschutz durch Widerrufsrechte. In allen diesen Fällen hatten die europäischen Gesetzgebungsorgane keine Bedenken, dem Verbraucher eine „Widerrufslast“ aufzuerlegen. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb die nicht ausschließlich dem Verbraucherschutz dienenden Richtlinien 92/96 EWG und 2002/83/EG insoweit strengere Anforderungen an den Verbraucherschutz stellen sollten als diejenigen Richtlinien, die ganz oder wenigstens vorrangig den Verbraucher schützen wollen. Dies gilt umso mehr, als die in gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften verankerten Widerrufsrechte echte Gestaltungsrechte sind, indem sie dem Verbraucher die Lösung von einem bereits bindend geschlossenen Vertrag ermöglichen, während im Falle des § 5 a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VVG a. F. die Gestaltungswirkung des Widerspruchsrechts vorverlagert ist, indem seine Ausübung schon den Eintritt der Bindungswirkung an die abgegebene Willenserklärung hindert.
25 
(3) Wie gering die Kommission die den Verbrauchern durch das Policenmodell drohenden Gefahren selbst nach ihrer eigenen Rechtsauffassung einschätzte, lässt sich aus dem Umstand ersehen, dass sie das Vertragsverletzungsverfahren mit Rücksicht auf die Neufassung des deutschen VVG einstellte. Von der Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens bis zum Inkrafttreten des neuen VVG dauerte es mehr als 1 1/2 Jahre, in denen noch eine Vielzahl von Versicherungsverträgen nach dem Policenmodell abgeschlossen wurden.
26 
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Vollstreckbarkeitsentscheidung auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
{{count_recursive}} Urteilsbesprechungen zu {{shorttitle}}

moreResultsText


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Versicherungsvertragsgesetz - VVG
{{title}} zitiert {{count_recursive}} §§.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Versicherungsvertragsgesetz - VVG
3 Referenzen - Urteile
{{Doctitle}} zitiert oder wird zitiert von {{count_recursive}} Urteil(en).

published on 20/11/2013 00:00

Tenor 1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 06.06.2013 - Az. 1 C 5903/12 - wird zurückgewiesen. 2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsrechtstreits. 3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckb
published on 14/02/2013 00:00

Tenor 1. Die Berufung des Klägers gegen das am 23. August 2012 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg, Az.: 11 O 486/12, wird zurückgewiesen. 2. Die Kosten der Berufungsinstanz trägt der Kläger. 3. Das Urteil ist o
published on 17/01/2013 00:00

Tenor 1. Die Berufung der Klägerin gegen das am 04. Mai 2011 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau, Az.: 4 O 646/11, wird zurückgewiesen. 2. Die Kosten der Berufungsinstanz trägt die Klägerin. 3. Das Urteil ist
{{count_recursive}} Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren {{Doctitle}}.

Annotations

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.