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| Das Amtsgericht - Strafrichter - Ludwigsburg hatte den Angeklagten am 10. April 2013 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu der Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30,00 Euro verurteilt. |
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| Auf die vom Angeklagten hiergegen eingelegte Berufung hob das Landgericht Stuttgart mit Urteil vom 8. Oktober 2013 das Urteil des Amtsgerichts auf und sprach den Angeklagten aus rechtlichen Gründen frei. |
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| Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der Angeklagte am 5. September 2011 mit einem Pkw in F. auf öffentlichen Straßen, wobei er (nur) im Besitz eines ihm am 10. August 2011 erteilten polnischen Führerscheins war. In dem Führerschein war als Wohnanschrift „B.“ in „S.“ (Polen) eingetragen. Der Angeklagte wohnte seit dem 2. Juli 2008 ununterbrochen in K.. Am 17. Februar 2010 hatte er gegenüber der Führerscheinbehörde auf seine Fahrerlaubnis verzichtet, um einer kostenpflichtigen Entziehung seiner Fahrerlaubnis zu entgehen. |
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| Zur Begründung des Freispruchs führt das Landgericht aus, der Angeklagte sei auf Grund der polnischen Erlaubnis fahrberechtigt gewesen. Eine Ausnahme von der Verpflichtung zur Anerkennung der EU-Fahrerlaubnis nach § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV liege nicht vor. Die im Rechtshilfeweg aus Polen eingeholten Auskünfte zum Wohnsitz des Angeklagten seien keine vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen im Sinne dieser Vorschrift: |
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| Das Schreiben des Präsidenten der Stadt S. vom 9. Oktober 2012 teile nur mit, dass der Angeklagte im Zeitraum vom 24. Juni 2011 bis 31. Dezember 2011 in S. in der Wohnung in der U. gemeldet gewesen sei und eine Frau G. dies mit eigenhändiger Unterschrift bestätigt habe. Das beinhalte die gegenteilige Erklärung, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Ausstellung des polnischen Führerscheins in Polen wohnhaft gewesen sei. |
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| Das Protokoll des Amtsgerichts S. über die am 20. Dezember 2012 erfolgte richterliche Vernehmung der Zeugin G., dessen Inhalt nicht mitgeteilt wird, beinhalte nur Angaben der Vermieterin als Privatperson. |
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| Die Mitteilung des Polizeireviers S. vom 23. November 2012 besage lediglich, dass aktuell an der angegebenen Adresse nur Frau G. wohne und zwei Zeuginnen der Umgebung mitgeteilt hätten, dort nie einen jungen Mann deutscher Nationalität gesehen zu haben. |
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| Anders sei der Fall nach Auffassung des Landgerichts allenfalls dann zu beurteilen, wenn eine polnische Behörde auf der Grundlage eigener Ermittlungen die Feststellung getroffen hätte, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis über keinen Wohnsitz in Polen verfügt habe. |
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| Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Revision. Sie rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt die Aufhebung des Urteils des Landgerichts und die Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zu neuer Verhandlung und Entscheidung. |
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| Die Verteidigung beantragt, die Revision als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zu verwerfen. |
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| Die zulässige Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg, weil die Würdigung der von Polen herrührenden Hinweise auf einen Wohnsitz des Angeklagten in Deutschland lückenhaft ist. Dies führt gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 StPO zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an eine andere Berufungskammer des Landgerichts Stuttgart. |
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| Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV dürfen Inhaber einer gültigen EU-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 FeV im Bundesgebiet haben, im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV gilt diese Berechtigung nicht für Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten. |
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| Diese Ausnahme von der Pflicht, in anderen Mitgliedstaaten erteilte Fahrerlaubnisse ohne Formalitäten anzuerkennen, darf nicht weit verstanden werden, da sonst der aus Art. 2 Abs.1 der Richtlinie 2006/126 (3. Führerschein-Richtlinie der EU) folgende Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung ausgehöhlt würde (EuGH, NJW 2012, 1341, 1344, Rn. 65 [Akyüz]). Neben den Angaben im Führerschein selbst sind vom Ausstellungsstaat herrührende unbestreitbare Informationen die einzigen Erkenntnisquellen, auf die sich der Aufnahmestaat stützen kann, um die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins zu verweigern (EuGH [Akyüz], aaO Rn. 66; NJW 2010, 217, 219, Rn. 53 [Wierer]). Hiervon geht das Landgericht zu Recht aus. |
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| Die Informationen müssen von einer Behörde des Ausstellungsstaates herrühren (EuGH [Akyüz], aaO Rn. 67). So können Informationen der Einwohnermeldebehörden des Ausstellungsstaates als vom Ausstellungsstaat herrührende Information angesehen werden (EuGH [Akyüz], aaO Rn. 69). Ermittlungen der Polizei des Ausstellungsstaates können ebenfalls vom Ausstellungsstaat herrührende Informationen darstellen (BayVGH, Urteil vom 25.02.2013, Beck RS 2013, 49009, Rn. 11, zitiert nach beck-online). Bei Privatpersonen wie z. B. Vermietern eingeholte Informationen sind hingegen keine vom Ausstellungsstaat herrührende Informationen (EuGH [Wierer], aaO Rn. 61). |
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| Nach der Prüfung, ob die erlangten Informationen als vom Ausstellungsstaat herrührende Information eingestuft werden können, sind die Informationen dahin zu bewerten und zu beurteilen, ob es sich um „unbestreitbare Informationen“ handelt, die belegen, dass der Inhaber des Führerscheins zu dem Zeitpunkt, als er diesen erhielt, seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Ausstellungsstaat hatte (EuGH [Akyüz], aaO Rn. 74). |
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| Die Würdigung, ob und inwieweit die aus dem Ausstellungsstaat herrührenden Informationen in diesem Sinn unbestreitbar sind, ist von dem nationalen Tatsachengericht vorzunehmen (EuGH [Wierer], aaO Rn. 60; [Akyüz], aaO Rn. 74). Dabei hat das Tatsachengericht insbesondere die Aussagekraft und die Verlässlichkeit der Informationen zu bewerten, was die Erfüllung des Wohnsitzerfordernisses angeht (BVerwG, Urteil vom 30.05.2013, Beck RS 2013, 12178, Rn. 26, zitiert nach beck-online). Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist eine solche Bewertung des nationalen Gerichts auch dann möglich, wenn es an einer entsprechenden Bewertung einer Behörde des Ausstellungsstaates fehlt. |
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| Maßgebend ist nicht, ob jede einzelne Information für sich genommen „unbestreitbar“ ist, sondern ob die Informationen des Ausstellungsstaates in einer Gesamtschau auch unter Berücksichtigung der festgestellten inländischen Tatsachen als unbestreitbare Informationen über den Wohnsitz zu bewerten sind. |
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| Im Rahmen seiner Beurteilung der ihm vorliegenden, vom Ausstellungsstaat herrührenden Informationen hat das Gericht alle weiteren Umstände und Beweisergebnisse des bei ihm anhängigen inländischen Verfahrens zu berücksichtigen (OLG Jena, Beschluss vom 28.05.2013, 1 Ss 18/13, bei juris Rn. 11, zitiert nach juris). Es kann auch den Umstand würdigen, dass die vom Ausstellungsstaat herrührenden Informationen darauf hinweisen, dass sich der Inhaber des Führerscheins im Gebiet des Staates nur für ganz kurze Zeit aufgehalten und dort einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck errichtet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedsstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen (EuGH [Akyüz], aaO Rn. 75). Dabei können im Rahmen der Würdigung auch Eintragungen in ein (Melde-)Register in Frage gestellt werden (vgl. zum Führerscheinregister BayVGH, Urteil vom 25.02.2013, BeckRS 2013, 49009, Rn. 13, zitiert nach beck-online). |
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| Nach diesen Grundsätzen ist die Mitteilung des Präsidenten der Stadt S. aus dem Melderegister vom 9. Oktober 2012 als eine Information einer Behörde des Ausstellungsstaates Polen zu werten. Inhaltlich besagt sie, dass der Angeklagte zeitweise, nämlich vom 24. Juni 2011 bis 31. Dezember 2011 in der Stadt S. gemeldet war. Zugleich besagt die Mitteilung, dass dies vorher und nachher nicht der Fall war. |
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| Die im Wege der Rechtshilfe vom polnischen Gericht erhobene und richterlich protokollierte Vernehmung der Zeugin G. vom 20. Dezember 2012, deren Inhalt das Urteil nicht mitteilt, ist entgegen der Auffassung des Landgerichts ebenfalls als vom Ausstellungsstaat herrührende Information anzusehen. |
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| Die Mitteilung der richterlichen Vernehmung einer Zeugin im Wege der Rechtshilfe ist nicht mit der einfachen Einholung von Informationen bei Privatpersonen gleichzustellen. Vielmehr handelt es sich um eine staatliche Mitteilung über einen gerichtlich protokollierten Vorgang und insbesondere darüber, dass die Zeugin vor Gericht unter Wahrheitspflicht die protokollierten Angaben gemacht hat. Das Protokoll, in welches über die Angaben der Zeugin hinaus auch Geschehensabläufe und andere äußere Umstände aufgenommen werden können, hat damit eine eigene Funktion. Die in ihm enthaltenen Informationen rühren von der Justiz des Ausstellungsstaates Polen her. Es ist kein Grund ersichtlich, ein richterliches Vernehmungsprotokoll, das sich als Ergebnis eines im Wege der Rechtshilfe erfolgten Ermittlungsvorganges darstellt, anders zu behandeln als Auskünfte der Meldebehörden aus den Registern oder aufgrund von Ermittlungen erteilte Auskünfte der Polizei darüber, ob jemand an- oder abgemeldet worden ist. |
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| Auch die Mitteilung des Polizeireviers S. vom 23. November 2012 ist eine Information des Ausstellungsstaates, die über Beobachtungen von Polizeibeamten berichtet. |
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| Ob diese Auskünfte des Ausstellungsstaates Polen als unbestreitbare Informationen nach den oben genannten Auslegungsmaßstäben anzusehen sind, ist durch das Tatgericht zu würdigen. Die Würdigung des Landgerichts erweist sich aber als lückenhaft. |
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| Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (BGHSt 21, 149, 151). Die Überzeugungsbildung des Tatrichters ist für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend (BGH NJW 1979, 2318). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung unter anderem dann, wenn sie von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, wenn sie lückenhaft ist und die Beweise nicht erschöpfend würdigt (BGH NJW 1979, 2318, 2319). |
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| Hier ist die erforderliche umfassende Würdigung unterblieben. Insbesondere fehlt die Würdigung der gerichtlichen Aussage der Zeugin G. als der angeblichen Vermieterin des Angeklagten, deren Inhalt dem Urteil des Landgerichts nicht zu entnehmen ist, weil das Landgericht unzutreffend annahm, dass es sich bei der Vernehmung nicht um eine vom Ausstellungsstaat herrührende Information handele. In die Würdigung einzubeziehen war u.a. auch, dass die Meldung des Angeklagten in der Stadt S. nur zeitlich begrenzt war und dass der Angeklagte, wie das Urteil feststellt, seit 2. Juli 2008 ununterbrochen in K. „wohnte“. Nicht zuletzt fehlt die erforderliche Abwägung aller Umstände im Rahmen einer Gesamtschau. |
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| Da dieser sachlich-rechtliche Mangel bereits zur Aufhebung führt, kommt es auf die weitere Beanstandung der Staatsanwaltschaft nicht an. |
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