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| Die Beklagte ist seit März 1997 wegen Okklusions- und Kiefergelenksbeschwerden in ständiger Behandlung bei verschiedenen Zahnärzten. Ein durchgreifender Behandlungserfolg wurde nicht erzielt. Stattdessen nahmen die Beschwerden zu. Es entwickelte sich eine cranio-mandibuläre Dysfunktion (CMD) bzw. eine Myoarthropathie. Der Senat war in diesem Zusammenhang bereits mehrfach mit Schadensersatzforderungen der Beklagten befasst (Urteil vom 22.04.2008 - 1 U 98/07; Urteil vom 10.02.2009 - 1 U 52/08; Urteil vom 20.04.2010 - 1 U 59/09). |
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| Der Kläger hat bei der Beklagten zwischen dem 27.03.2003 und dem 20.04.2003 eine Kiefergelenksbehandlung durchgeführt. |
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| Die 6. Zivilkammer des Landgerichts Ulm hat die Beklagte mit Urteil vom 24.03.2010 (Bl. 755 ff. d. A.) zur Zahlung von Behandlungshonorar in Höhe von 2.735,02 EUR zuzüglich Zinsen und Nebenforderungen verurteilt. Die auf materiellen Schadensersatz und Schmerzensgeld gerichtete Widerklage hatte dagegen keinen Erfolg. |
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| Das Urteil wurde der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 30.03.2010 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt (Bl. 771 d. A.). Mit Schriftsatz vom 27.04.2010 legte der an diesem Tag von der Beklagten mit der Prozessvertretung in der zweiten Instanz neu beauftragte Prozessbevollmächtigte beim Oberlandesgericht Stuttgart per Telefax Berufung gegen das landgerichtliche Urteil ein (Bl. 795 f. d. A.). Mit Verfügung des Oberlandesgerichts vom 28.04.2010 wurde dem neuen Prozessbevollmächtigten der Eingang der Berufungsschrift mitgeteilt (Bl. 802 d. A.). Eine Begründung der Berufung erfolgte nicht. Mit Verfügung vom 07.07.2010, dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten zugestellt am 12.07.2010, wurde darauf hingewiesen, dass die Berufung nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist begründet worden sei und der Senat beabsichtige, das Rechtsmittel kostenpflichtig als unzulässig zu verwerfen. Mit Schriftsatz vom 09.07.2010, eingegangen beim Oberlandesgericht am 12.07.2010, beantragte die Beklagte Wiedereinsetzung in die abgelaufene Berufungsbegründungsfrist und begründete die Berufung (Bl. 804 ff. d. A.). |
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| Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages wird vorgebracht, das landgerichtliche Urteil sei der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 30.03.2010 zugestellt worden. Dort sei als Fristablauf für die Berufung der 30.04.2010 und für die Berufungsbegründung der 28.05.2010 auf der Urteilsausfertigung vermerkt worden. Diese Urteilsausfertigung sei von der Beklagten bei der Mandatierung am 27.04.2010 per Telefax an die Kanzlei des neuen Prozessbevollmächtigten übermittelt worden (Bl. 850 d. A.). Noch am selben Tag habe der neue Prozessbevollmächtigte die Rechtsmittelschrift gefertigt und Berufung eingelegt. Die allgemeine Büroorganisation sehe zwar vor, dass eine mit Empfangsbekenntnis übersandte Urteilsausfertigung dem zuständigen Rechtsanwalt mit der Handakte vorgelegt werde. Gleichzeitig werde auf dem Urteil vermerkt, dass der Fristablauf für die Berufung und der Fristablauf für die Berufungsbegründung sowie jeweils eine Vorfrist von einer Woche in den Fristenkalender eingetragen worden sei. Hier habe es sich aber um einen Sonderfall gehandelt, da die Beklagte in der ersten Instanz durch eine andere Anwaltskanzlei vertreten worden sei. Diese Kanzlei und nicht die des neuen Prozessbevollmächtigten habe die Urteilsausfertigung gegen Empfangsbekenntnis erhalten. Dem neuen Prozessbevollmächtigten sei lediglich die Kopie der Urteilsausfertigung von der Beklagten übermittelt worden. Er habe vor Ablauf der Berufungsfrist keine Gelegenheit gehabt, mittels Akteneinsicht oder durch Rückfrage bei der früheren Bevollmächtigten das genaue Zustelldatum und den Fristablauf zu überprüfen. Deshalb habe er seiner Büroleiterin die mündliche Anweisung erteilt, sofort Berufung einzulegen und beim Landgericht Ulm Akteneinsicht zu beantragen. Diese Anweisung sei ausgeführt worden. Am 03.05.2010 sei die Mitteilung des Oberlandesgerichts über den Eingang der Berufung zugegangen; die Gerichtsakten seien am 06.05.2010 in der Kanzlei eingegangen. Vom 03.05.2010 bis zum 06.05.2010 sei er jedoch wegen der Teilnahme an einem Fachanwaltslehrgang nicht in der Kanzlei gewesen. Sofort nach seiner Rückkehr seien ihm die Mitteilung des Oberlandesgerichts und die Gerichtsakte vorgelegt worden. Da es sich um einen Sonderfall gehandelt habe, bei dem die Urteilsausfertigung nicht mittels Empfangsbekenntnis im normalen Bürobetrieb in der Kanzlei zugestellt worden sei, habe er dann die Fristen anhand der Akten des Landgerichts berechnet und auf der Mitteilung des Oberlandesgerichts verfügt, dass eine Vorfrist für die Berufungsbegründung auf den 21.05.2010 und der Fristablauf für die Berufungsbegründung auf den 28.05.2010 einzutragen seien (Bl. 869 d. A.). Diese Verfügung habe er in die Rubrik „Fristen“ in den Pultordner des Sekretariats gelegt und der Büroleiterin, die ausschließlich für die Führung des Fristenkalenders zuständig sei, so zur sofortigen Bearbeitung überlassen. Die Büroleiterin sei seit dem Jahr 2000 in der Kanzlei beschäftigt und sehr zuverlässig. Bis zum Jahr 2004 sei die Führung des Fristenkalenders von ihm ständig, seitdem stichprobenartig überwacht worden. Es sei in der ganzen Zeit zu keiner einzigen Beanstandung gekommen. Die Büroleiterin habe hier jedoch weder die Fristen notiert noch einen Erledigungsvermerk an der Verfügung angebracht. Somit sei eine schriftlich erteilte Einzelanweisung nicht befolgt worden, auf deren Ausführung er habe vertrauen dürfen. Aufgrund einer am 27.06.2010 eingegangenen Stellungnahme der Beklagten in einem anderen Verfahren habe er das Versehen der Büroleiterin schließlich bemerkt. |
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| Die Richtigkeit dieses Vorbringens wurde anwaltlich versichert und durch die Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der Büroleiterin glaubhaft gemacht (Bl. 867 f. d. A.). |
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| Die Berufung ist unzulässig, da die Beklagte das Rechtsmittel nicht fristgerecht begründet hat (§§ 522 Abs. 1, 520 Abs. 2 S. 1 ZPO) und Wiedereinsetzungsgründe nicht bestehen. |
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| Die Beklagte hat nicht glaubhaft gemacht, dass die Berufungsbegründungsfrist ohne ein ihr zuzurechnendes (§ 85 Abs. 1 ZPO) Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten versäumt worden ist (§§ 233, 236 Abs. 2 S. 1 ZPO). |
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| 1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein im Rechtsmittelverfahren beauftragter Prozessbevollmächtigter alles ihm Zumutbare unternehmen und veranlassen, damit die Frist zur Begründung des Rechtsmittels gewahrt wird. Das Ende der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist ist im Fristenkalender eines mit der Vertretung im Berufungsverfahren neu beauftragten Prozessbevollmächtigten jedenfalls bei Auftragserteilung durch den Mandanten bzw. spätestens bei Fertigung der Berufungsschrift zu notieren (BGH NJW-RR 2005, 498; BGH FamRZ 2004, 1183; zur Rechtsprechung vor der ZPO-Reform, die erst recht unter den geänderten Vorschriften fortgelten muss, nachdem der Lauf der Berufungsbegründungsfrist nicht mehr wie nach § 519 Abs. 2 S. 2 ZPO a. F. von der Einlegung der Berufung, sondern gem. § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO n. F. von der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils abhängt und damit bei Einlegung der Berufung schon feststeht: BGH NJW-RR 2001, 782; BGH VersR 1997, 1118 m. w. N.). Kann sich der Prozessbevollmächtigte wegen eines Anwaltswechsels zu diesem Zeitpunkt nicht selbst anhand des Empfangsbekenntnisses oder der Gerichtsakten vom Datum der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils überzeugen (zur entsprechenden Verpflichtung des Rechtsmittelanwaltes bei Anwaltswechsel BGH NJW-RR 1986, 614; BGH VersR 1984, 585), ist der mutmaßliche Fristablauf zunächst vorläufig einzutragen. |
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| a) Dem Vorbringen der Beklagten ist nicht zu entnehmen, dass in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten entweder durch die allgemeine Büroorganisation oder durch eine konkrete Einzelanweisung dafür Sorge getragen wurde, dass jedenfalls bei Fertigung der Berufungsschrift am 27.04.2010 vorläufig der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist auf den 28.05.2010 notiert wurde. Die vorläufige Notierung des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist wäre dem Prozessbevollmächtigten aufgrund des handschriftlichen Vermerks der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten zum Fristablauf auf der ihm von der Beklagten überlassenen Urteilsausfertigung aber unschwer möglich gewesen. |
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| Vielmehr hat sich der Prozessbevollmächtigte nach seinen eigenen Ausführungen und den damit übereinstimmenden Angaben in der eidesstattlichen Versicherung der Büroleiterin bei Einlegung der Berufung am 27.04.2010 darauf beschränkt, die Gerichtsakte anzufordern, um die Fristen anhand der Akte nach deren Eingang selbst zu berechnen. Eine (vorläufige) Berufungsbegründungsfrist wurde nicht notiert. |
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| Auch über die allgemeine Büroorganisation war die Eintragung der Frist nicht gewährleistet. Im Rahmen allgemeiner organisatorischer Maßnahmen war die Eintragung der Fristen durch die Büroleiterin nur für den hier nicht gegebenen Fall vorgesehen, dass eine Vertretung bereits in der ersten Instanz erfolgt ist und die erstinstanzliche Entscheidung gegen Empfangsbekenntnis in der Kanzlei zugestellt wird. Dies war dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten nach seinem Vorbringen auch bewusst. |
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| Durch die gewählte Vorgehensweise hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten aber für den Fall keine Sorge getragen, dass das Akteneinsichtsgesuch an das Landgericht Ulm vom 27.04.2010 von dort nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist erledigt worden wäre. Da keinerlei Frist notiert war, wäre ihm die Akte dann nicht rechtzeitig vor Fristablauf vorgelegt worden. Damit hat er nicht alles ihm Zumutbare unternommen, um die Berufungsbegründungsfrist zu wahren. |
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| b) Das in Bezug auf die Erfassung der Berufungsbegründungsfrist nicht ausgeräumte Organisationsverschulden ist ursächlich für die Versäumung der Frist geworden. |
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| Es ist nicht etwa deswegen folgenlos geblieben, weil der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nach Überprüfung der Fristen anhand der in der Zwischenzeit eingesehenen Gerichtsakte auf der Mitteilung des Oberlandesgerichts über die Rechtsmitteleinlegung die Eintragung einer Vorfrist auf den 21.05.2010 und des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist auf den 28.05.2010 verfügt hat (Bl. 869 d. A.), deren Befolgung zur Notierung der Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender geführt und so die durch das Organisationsverschulden vom 27.04.2010 geschaffene Gefahrenlage noch rechtzeitig beseitigt hätte. |
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| Trifft die Partei oder ihren Anwalt ein Verschulden im Sinne des § 233 ZPO, so kann Wiedereinsetzung nur dann gewährt werden, wenn glaubhaft gemacht ist, dass es sich nicht auf die Fristversäumung ausgewirkt haben kann (vgl. BGH NJW 2000, 3649). Dies ist hier gerade nicht so. Vielmehr wäre die Handakte dem Prozessbevollmächtigten noch rechtzeitig vorgelegt worden, wenn bereits am 27.04.2010 vorläufig der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist (mit Vorfrist) auf den 28.05.2010 notiert worden wäre (BGH NJW-RR 2001, 782). |
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| Es liegt somit auch kein Fall vor, in dem durch Erteilung einer Einzelweisung eine unzureichende allgemeine Büroorganisation ausgeglichen worden wäre (BGH MDR 2010, 400; BGH JurBüro 2009, 54). Denn dies kommt nur in Betracht, wenn die Einzelanweisung die unzureichende allgemeine Organisation ersetzt (vgl. MüKoZPO/Gehrlein, 3. Aufl., § 233, Rdnr. 75; Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 233, Rdnr. 23 Stichwort Büropersonal und -organisation). Dies ist hier nicht der Fall, weil die nachträgliche Erteilung einer Einzelanweisung den in einer fehlerhaften Handhabung der Fristenüberwachung liegenden früheren Pflichtenverstoß nicht mehr berührt. |
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| 2. Da Wiedereinsetzung in den vorigen Stand schon aus diesem Grund nicht zu gewähren war, kann letztlich offen bleiben, ob der Prozessbevollmächtigte der Beklagten zudem auch noch am 21.05.2010 schuldhaft gegen seine Pflicht zur Fristenkontrolle verstoßen hat. |
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| Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein Rechtsanwalt den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen zwar nicht bei jeder Vorlage der Handakten, aber doch dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung vorgelegt werden oder sich sonst die Notwendigkeit einer Überprüfung aufdrängt (BGH NJW 1998, 1498 m. w. N.). |
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| Letzteres kommt hier in Betracht. Am 21.05.2010 wurde dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten die Handakte zwar nicht zur Vornahme einer fristgebundenen Prozesshandlung, aber doch mit einer Verfügung des Landgerichts Ulm über die Verlängerung einer Stellungnahmefrist vorgelegt, die er offenkundig nicht einzuordnen vermochte - objektiv deshalb, weil die Verfügung nicht an den Beklagtenvertreter, sondern an den Klägervertreter gerichtet war - und die ihn veranlasste, dort noch am selben Tage schriftlich nachzufragen (Bl. 794 d. A.). Daher hätte es bei sorgfältiger Vorgehensweise zumindest nahe gelegen, bei einer Aktenvorlage im Zusammenhang mit einer nicht zuordenbaren Fristverlängerung die in dem Verfahren notierten Fristen zu prüfen. Dabei hätte dem Beklagten aber auffallen müssen, dass in diesem Verfahren keinerlei Frist notiert und an seiner die Notierung der Fristen anordnenden Verfügung auf der Mitteilung des Oberlandesgerichts über den Eingang der Berufungsschrift kein Erledigungsvermerk angebracht war. |
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