Oberlandesgericht München Hinweisbeschluss, 16. Jan. 2019 - 25 U 3650/18

published on 16/01/2019 00:00
Oberlandesgericht München Hinweisbeschluss, 16. Jan. 2019 - 25 U 3650/18
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Tenor

I. Gemäß der im Versicherungsschein (Anlage K1) ausdrücklich vereinbarten Klausel 0003 zu den VGB 2008 - BVV/BLBV (Anlage K2, Seite 14) übernimmt der Versicherer die notwendigen Aufräumungskosten der auf dem Versicherungsgrundstück gepflanzten Bäume, die durch Sturm abgestorben oder umgestürzt sind.

Nach dem - streitigen - Sachvortrag der Klagepartei soll die Buche im Garten des Klägers an einer Stammgabelung aus zwei Trieben (einem sog. Zwiesel) durch den Sturm vom 09.07.2017 so gespalten worden sein, dass es zu einem Abbruch und einer Zerstörung von ca. 60% des Baumes gekommen sei und die stehengebliebenen 40% des Baumes nicht überlebensfähig gewesen seien, so dass die Buche insgesamt als abgestorben anzusehen gewesen sei. Das Erstgericht hat die Klage - mit Ausnahme eines Teils der Gutachterkosten - abgewiesen, weil es den „Restbaum“ schon nach dem Vortrag der Klagepartei, der auch das Privatgutachten des Försters R. umfasste, nicht als abgestorben angesehen hat. Der Privatgutachter unterscheide zwischen dem Gefährdungspotential des nicht mehr standsicheren Restbaumes, aufgrund dessen er die Fällung empfohlen habe, und der Überlebensfähigkeit des Restbaumes, die er nicht in Frage gestellt habe. Dass die Situation mit einem Totalverlust oder Absterben des Baumes vergleichbar sei, sei eine persönliche Schlussfolgerung des Sachverständigen ohne Berücksichtigung der Versicherungsbedingungen. Mit ihrer Berufung rügt die Klagepartei unter anderem die unterlassene Beweiserhebung durch das Erstgericht.

Der Senat hat erhebliche Zweifel, ob die maßgebliche Klausel 0003 zu den VGB 2008 -BVV/BLBV so auszulegen ist, dass zwischen abgetrenntem „Teilbaum“ und nicht mehr standsicherem „Restbaum“ zu unterscheiden ist. Grundsätzlich ist - wie das Landgericht zutreffend ausführt - der Maßstab der Auslegung von Versicherungsbedingungen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse die jeweilige Klausel bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Zusammenhangs verstehen muss (st. Rspr., vgl. z.B. BGH, Urteil vom 23.06.1993 - IVZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85; BGH, Urteil vom 19. 5. 2004 - IVZR 29/03, VersR 2004, 1035; BGH, Urteil vom 16.7.2014 - IV ZR 88/13, VersR 2014, 1118).

Legt man diesen Maßstab an die streitgegenständliche Klausel 0003 an, so ist aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers darauf abzuheben, ob infolge des Sturmes ein Baum abgestorben oder umgestürzt ist und deshalb beseitigt werden muss. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird keine gedankliche Aufspaltung der Klausel in „Teilbäume“ und „Restbäume“ vornehmen, sondern sich fragen, ob Aufräumungskosten für einen Baum entstehen, der sturmbedingt abgestorben oder umgestürzt ist, wobei es in der Natur der Sache liegt, dass beim Umstürzen je nach der Höhe oder Lage der Knick- oder Bruchstelle Teile des Baumes stehend im Boden verbleiben. Dass auch die Beseitigungskosten für solche Teile des Baumes erstattungsfähig sind, die wie der Wurzelstock nicht ohne weiteres auf dem Grundstück verbleiben können, wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer dem zweiten Satz der Klausel entnehmen („Die erstattungsfähigen Kosten umfassen den Abtransport und die Entsorgung umgestürzter Bäume auf dem Versicherungsgrundstück einschließlich der Entfernung des Wurzelstocks, soweit eine natürliche Regeneration nicht zu erwarten ist sowie der Einebnung des Erdreichs am ehemaligen Standpunkt des Baumes. (…)“). Folglich wird der zur Auslegung berufene durchschnittliche, verständige Versicherungsnehmer bei aufmerksamer Durchsicht der Klausel zu dem Ergebnis gelangen, dass sich bei einer Abspaltung eines Baumteils, das umgestürzt und anschließend abgestorben ist, die erstattungsfähigen Aufräumungskosten auf den Baum insgesamt beziehen, wenn infolge des Absterbens oder Umstürzens der noch stehend im Boden verbliebene Teil ebenfalls beseitigt werden muss. Dass hierbei - gerade sturmbedingte - Probleme der Standsicherheit eine Rolle spielen können, liegt ebenfalls in der Natur der Sache und wird von der Klausel bei verständiger Würdigung keineswegs ausgeschlossen. Bei einem um mehrere Tage zeitversetzten Umkippen eines Baumes, der seine Standsicherheit durch einen Sturm verloren hatte, hat die Rechtsprechung dementsprechend auch Versicherungsschutz in der Gebäudeversicherung bejaht, wenn 25 u 3650/18 - Seite 3 zwischen Kausalereignis und Erfolg keine weitere Ursache tritt und der Sturm die zeitlich letzte Ursache ist (vgl. olg Hamm, Urteil vom 25.09.2017 - 6 u 191/15, r+s 2018, 18). Ebenfalls hat die Rechtsprechung im Rahmen der „Aufräumungskosten für Bäume“ eine weite Auslegung gewählt und auch Folgekosten bei Grundstücksschäden durch schweres Gerät für ersatzfähig gehalten (LG München I, Urteil vom 11.08.2017 - 26 O 8529/16, r+s 2017, 640). Aufgrund des Begriffs der „natürlichen Regeneration“ im zweiten Satz der Klausel sind nach Auffassung des Senats auch keine Teilbetrachtungen dazu veranlasst, ob der „Restbaum“ allein überlebensfähig gewesen wäre, wenn wie hier die Beseitigung - nach Behauptung des Klägers - aus Gründen der sturmbedingten Standunsicherheit veranlasst war. Eine natürliche Regeneration des gesamten Baums, wie sie die Klausel meint, war nach dem Abspalten des Zwieselteils von vermeintlich 60% nämlich in jedem Fall ausgeschlossen.

II. Im Hinblick auf die vom Landgericht nach § 287 Abs. 2 ZPO geschätzten Kosten für ein Privatgutachten einer Baumschule sieht der Senat keine Anhaltspunkte, dass ausnahmsweise die Bindung an die erstinstanzlichen Feststellungen nach § 529 Abs. 1 ZPO entfallen würde. Die Annahme, dass eine solche Begutachtung mit geringeren Kosten verbunden sein dürfte als diejenige durch einen diplomierten Forstwirt, lässt keinen Verstoß gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze erkennen.

Es besteht weiter Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Hinweisen binnen 3 Wochen.

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(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit e

(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:1.die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidung
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(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit e

(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:1.die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidung
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published on 16/07/2014 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR88/13 Verkündet am: 16. Juli 2014 Schick Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja BGB § 242 Ba; ARB § 15 Abs. 2 1.
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(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.

(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:

1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.

(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.