Oberlandesgericht München Endurteil, 01. Dez. 2017 - 10 U 3025/17

published on 01/12/2017 00:00
Oberlandesgericht München Endurteil, 01. Dez. 2017 - 10 U 3025/17
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Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers vom 31.08.2017, eingegangen am 06.09.2017, wird das Endurteil des LG München I vom 09.08.2017 wie folgt abgeändert:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag von 5.431,25 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.07.2015, sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 480,20 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.01.2017 zu bezahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz zu tragen.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).

B.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache nahezu uneingeschränkt Erfolg.

I.

Das Landgericht ist davon ausgegangen (EU 2/3 = Bl. 42/43 d. A.), dass der Kläger für den Verkehrsunfall vom 24.05.2015 gegen 15.00 Uhr an der Kreuzung der O.straße mit der P.straße keinen Schadensersatz verlangen könne, weil er selbst die Schäden jedenfalls ganz überwiegend verursacht und mitverschuldet habe (§§ 17 I, II, 9 StVG, 254 I BGB), so dass der Verursachungsbeitrag und (fehlende) Verschuldensanteil des Beklagtenfahrzeugs zu vernachlässigen seien (BGH NJW-RR 2007, 1077; Senat, Urt. v. 13.11.2015 – 10 U 3964/14 [juris]; Urt. v. 12.06.2015 – 10 U 3673/14 [juris], jeweils m.w.N.).

Dieses Entscheidungsergebnis erweist sich hinsichtlich der rechtlichen Bewertung der die Unfallbeteiligten treffenden straßenverkehrsrechtlichen Sorgfaltspflichten als weder zutreffend, noch überzeugend begründet, ohne dass eine erneute Beweisaufnahme durch den Senat notwendig gewesen wäre. Die notwendige Richtigstellung bringt zu Tage, dass der Kläger wegen einer Verkehrslage bei „mehrspurigem parallelen Abbiegen“ (BGH NZV 2007, 185) auf der von ihm gewählten Linksabbiegespur Vorrang hatte. Dagegen ist dem Fahrer des Beklagtenfahrzeugs ein Verstoß gegen die Gefahrvermeidungspflicht beim Spurwechsel (§ 7 V StVO) unterlaufen, deswegen hat der Kläger gegen den Beklagten Anspruch auf Schadensersatz in voller Höhe, einschließlich Zinsen und verzinster vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten, mit Ausnahme der auf letztere entfallenden Umsatzsteuer.

1. Der Senat ist an die entscheidungserheblichen tatsächlichen Feststellungen (s. Senat, Urt. v. 24.01.2014 – 10 U 1673/13 [juris, Rz. 16]) nach § 529 I Nr. 1 ZPO gebunden, weil keinerlei konkrete Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit vorgetragen oder ersichtlich wurden. Eine Bindung für das weitere Verfahren entfiele nur dann, wenn und soweit diese Feststellungen offensichtlich lückenhaft, widersprüchlich oder unzutreffend wären (BGH NJW 2005, 1583, 1585), und somit fassbare Einzelumstände Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit wecken würden (BGH r + s 2003, 522). Solche Anhaltspunkte ergeben sich weder aus Berufungsrügen des Klägers noch aus der Berufungserwiderung des Beklagten, die solche Umstände nicht geltend machen wollen. Auch eine vom Senat von Amts wegen vorgenommene (so BGH [V. ZS] NJW 2004, 1876; [VI. ZS] NJW 2014, 2797) Überprüfung offenbart insoweit keine Mängel des Ersturteils.

Hinsichtlich einzelner Gesichtspunkte der Schadensberechnung hat der Beklagte auf die Hinweise des Senats (v. 20.09.2017, S. 2 = Bl. 58 d. A.) entweder nicht mehr Stellung genommen, oder allein rechtliche Erwägungen geliefert (Schriftsatz v. 08.11.2017, S. 2/3 = Bl. 64/65 d A.).

2. Dagegen ist der sachlich-rechtliche Ansatz des Erstgerichts (§§ 513 I 1. Alt., 546 ZPO) im entscheidenden Punkt zu beanstanden: In Fällen „mehrspurigen parallelen Abbiegens“ im Sinne der BGH-Rechtsprechung werden das Recht der freien Fahrstreifenwahl des am weitesten rechts eingeordneten Abbiegers und das Rechtsfahrgebot ersetzt durch das Gebot, die Spur zu halten (BGH NZV 2007, 185: „An die Stelle des Rechtsfahrgebots tritt die Pflicht zum Spurhalten … Ziel der Richtungspfeile und der Möglichkeit zum parallelen Abbiegen ist nämlich die Schaffung von mehr Verkehrsraum, der auch genutzt werden soll. Dem liefe der Vorrang des am weitesten rechts Eingeordneten entgegen, weil dadurch die ausgewiesene zweite Abbiegespur nur erschwert zum Abbiegen verwendet und unbenutzt bleiben könnte. … grundsätzlich kein Vorrang des am weitesten rechts eingeordneten Fahrzeugs … Die für einen Spurwechsel geltende Sorgfalt ist auch in einem solchen Fall zu beachten“).

a) Die Unfallörtlichkeit im Streitfall weist unstreitig im Kreuzungsbereich Fahrbahnmarkierungen, insbesondere Leitlinien (Anlage 3 zu § 42 II StVO, Zeichen 340) für den Rechtsabbiegerverkehr nicht auf. Ebenso unstreitig trägt die in Fahrtrichtung des Beklagtenfahrzeugs von rechts gesehen zweite Fahrbahn der Oettingen Straße einen kombinierten Rechts- und Geradeauspfeil (Anlage 2 zu § 41 I StVO, Zeichen 297).

b) Der Senat bleibt bei seiner den Parteien bereits mitgeteilten Rechtsauffassung (Verfügung v. 20.09.2017, S. 1/2 = Bl. 57/58 d. A.), dass das vorgenannte Urteil des Bundesgerichtshofs in folgendem Sinne auszulegen ist: Die Erwägung, dass „in einem solchen Fall“ in mehreren Reihen nebeneinander gefahren werden dürfe, ohne zu überholen oder sich stets vor dem weiter rechts Fahrenden einordnen zu müssen, gilt auch dann, wenn der in zweiter Reihe nach rechts Abbiegende einem solchen Richtungspfeil folgen darf (aber auch geradeaus weiterfahren dürfte). Dieses Ergebnis ist nach dem Regelungszweck der Ge- und Verbotspfeile zwingend, da auch der kombinierte Rechtsabbieger- und Geradeauspfeil das Ziel verfolgt, mit der Möglichkeit zum parallelen Abbiegen mehr Verkehrsraum zu schaffen, den Verkehrsfluss zu erhöhen und das Abbiegen zu beschleunigen. Dies gilt im Streitfall umso mehr, als die Prinzregenten Straße in Fahrtrichtung der Beteiligten ebenfalls mehrspurig fortgeführt wird. Der übrige Verkehr wird durch den kombinierten Pfeil nicht weniger unterrichtet und gewarnt als durch einen ausschließlich nach rechts weisenden Pfeil.

c) Erneut ist darauf hinzuweisen, dass der Senat diese Frage nicht bereits abweichend entschieden hat (Bl. 28/30 d. A.). Abgesehen davon, dass nicht Urteile, sondern Beschlüsse nach § 522 II ZPO vorlagen, betrafen diese Entscheidungen nicht die Ausgangslage, dass das mehrspurige Abbiegen durch Richtungspfeile vorgesehen oder geboten war. Auch neuere Urteile (10 U 1963/15 [n.v.] und 10 U 3295/15 [n.v.]) hatten – bei grundsätzlich zulässigem mehrspurigen Abbiegen – keine Fahrbahnmarkierungen oder Richtungspfeile zur Grundlage, die faktisch zwei voneinander unabhängige Abbiegespuren geschaffen hätten.

d) Die Beklagtenvertreter versagen sich eine gedankliche Auseinandersetzung und nachvollziehbare Begründung ihrer gegenteiligen Auffassung, was umso mehr geboten gewesen wäre, als ihre Rechtsmeinung eine den in zweiter Spur rechts Abbiegenden verwirrende und die Sicherheit des Straßenverkehrs insgesamt beeinträchtigende Folge hätte: Es entstünde der Eindruck, gleichzeitig mit und neben dem ganz rechts Eingeordneten abbiegen zu dürfen, wobei die jederzeit mitwirkende Pflicht, dessen Recht auf freie Fahrstreifenwahl zu achten, keineswegs gleichwertig naheliegt.

e) Der Senat hält deswegen die Berufung des Klägers für begründet, denn dem Fahrer des Beklagtenfahrzeugs ist ein Verstoß gegen die umfassenden Sorgfaltspflichten beim Fahrstreifenwechsel (§ 7 V StVO) vorzuwerfen.

Hinsichtlich der Schadenshöhe war zuletzt lediglich noch streitig, ob der Kläger bei fiktiver Abrechnung den Wiederbeschaffungsaufwand so errechnen müsse, dass der Wiederbeschaffungswert ohne, der Restwert dagegen mit 19 Prozent Umsatzsteuer anzusetzen seien (Schriftsatz v. 08.11.2017, S. 2/3 = Bl. 64/65 d. A.). Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden, denn sie berücksichtigt nicht, dass die Ermittlung des Wiederbeschaffungsaufwands insgesamt nicht auf konkreten Kauf- und Verkaufsgeschäften, sondern auf fiktiven Einschätzungen beruht. Letztere kann und darf sich nur auf vergleichbare Werte stützen, anderenfalls entstünde ein methodischer Bruch: der Wiederbeschaffungsaufwand enthielte einen gewichteten Umsatzsteueranteil, der im tatsächlichen Wirtschaftsleben nicht auftreten kann. Somit sind grundsätzlich die jeweiligen Bruttowerte miteinander zu vergleichen (BGH NJW 2009, 1340). Ist der Geschädigte vorsteuerabzugsberechtigt, sind die Nettowerte (Netto-WBA, Netto-WBW, Netto-Restwert) als Vergleichsmaßstab heranzuziehen (Jahnke in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht 24. Aufl. 2016, BGB § 249 Rn. 44, 45).

f) Klage und Berufung sind insoweit unbegründet, als der vorsteuerabzugsberechtigte Kläger auch den Umsatzsteueranteil der Rechtsanwaltskosten (von 91,24 €) beansprucht. Hierauf wurde vom Senat hingewiesen (Verfügung v. 20.09.2017, S. 2 = Bl. 58 d. A.), ohne dass der Kläger hierauf eingegangen wäre. Hierauf beruhen Ziffern I. 2, II der Urteilsformel.

II.

Die Kostenentscheidung beruht für beide Rechtszüge auf § 92 I Nr. 1 ZPO.

III.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10 S. 1, 713 ZPO, 26 Nr. 8 S. 1 EGZPO.

IV.

Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gemäß § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben, denn weder eine grundsätzliche Bedeutung der Sache (BVerfG NJW 2014, 2417 [2419, Tz. 26–32]; BGH NJW-RR 2014, 505) noch die Fortbildung des Rechts (BVerfG a.a.O. Tz. 33) oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (BVerfG a.a.O. [2420, Tz. 34]; BGH NJW 2003, 1943) erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die Entscheidung betrifft einen Einzelfall, der grundlegende Rechtsfragen nicht aufwirft, und weicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht ab.

… … … Vorsitzender Richter Richter Richter am Oberlandesgericht

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Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur
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Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur
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Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.