Oberlandesgericht Köln Urteil, 14. Okt. 2016 - 20 U 59/16
Gericht
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 11. März 2016 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn – 9 O 312/15 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage hinsichtlich des Feststellungsantrags als unzulässig zurückgewiesen und hinsichtlich eines eingeklagten Teilbetrags in Höhe von 6.029,71 € zuzüglich Zinsen als derzeit unbegründet abgewiesen wird.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Dieses Urteil und das erstinstanzliche Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor einer Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zur Vollstreckung anstehenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen, soweit der Zahlungsantrag das Klägers wegen eines Teilbetrags in Höhe von 6.029,71 € zuzüglich Zinsen als derzeit unbegründet abgewiesen wurde. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
1
G r ü n d e
2I.
3Der Kläger fordert von der beklagten Versicherungsgesellschaft aufgrund eines zwischen den Parteien bestehenden Vertrages über eine Krankheitskostenversicherung die Erstattung der Kosten für im Jahr 2014 erfolgte Maßnahmen im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung und die Feststellung der Erstattungspflicht der Beklagten wegen der Kosten zukünftiger damit in Zusammenhang stehender weiterer Behandlungsmaßnahmen.
4Der Kläger, der an einer Oligo-Astheno-Teratozoospermie, d.h. einer verminderten Spermiendichte bei gleichzeitig verminderter Spermienbeweglichkeit und erhöhter Spermienfehlformrate, leidet, hatte sich bereits im Oktober 2009 und – gemeinsam mit seiner im Oktober 1976 geborenen Ehefrau, die nicht bei der Beklagten versichert ist, – im August 2013 im PAN INSITUT für Endokrinologie und Reproduktionsmedizin in L wegen einer Kinderwunschbehandlung vorgestellt. Im September 2014 suchten der Kläger und seine Ehefrau erneut das Institut auf. Dort wurden der Ehefrau, die seit September 2014 an Brustkrebs erkrankt ist und sich vom 23. Oktober 2014 bis zum 5. Februar 2015 einer Chemotherapie unterziehen musste, zur Erhaltung ihrer Fertilität Eizellen entnommen, die mittels einer intracytoplastischen Spermien-Injektion (ICSI) mit den Spermien des Klägers befruchtet und kryokonserviert, d.h. eingefroren, wurden. Infolge der Behandlungen seit September 2014 sind Kosten in Höhe von insgesamt 6.765,82 € entstanden. Eine Einpflanzung der entnommenen befruchteten Eizellen in die Gebärmutter erfolgte aufgrund der Krebserkrankung der Ehefrau des Klägers und der damit verbundenen Behandlungen bislang nicht.
5Die Beklagte lehnte die Übernahme der Kosten ab, weil beim Kläger kein krankhafter Befund sowie keine medizinische Notwendigkeit der Behandlung vorliege und zudem keine deutliche Erfolgsaussicht für den Eintritt einer Schwangerschaft bestehe.
6Vorgerichtlich forderte der Kläger die Beklagte erfolglos auf, die im Rahmen seiner Behandlung verauslagten Kosten in Höhe von 4.714,01 € zu erstatten.
7Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die durchgeführte IVF/ICSI-Behandlung und die mit der Kryokonservierung der Eizellen seiner Ehefrau in Zusammenhang stehenden Maßnahmen stellten eine medizinisch notwendige Heilbehandlung seiner Person wegen Krankheit dar. Die In-vitro-Fertilisation bilde zusammen mit der intracytoplastischen Spermien-Injektion eine auf sein Krankheitsbild abgestimmte Gesamtbehandlung. Erst die Kombination der Behandlungsmaßnahmen diene insgesamt der Linderung seiner Unfruchtbarkeit. Die damit verbundene Mitbehandlung der Ehefrau wie auch die für später geplante Einpflanzung der Eizellen in ihre Gebärmutter seien notwendige Bestandteile der Behandlung. Er hat behauptet, für weitere Versuche durch Einpflanzung der kryokonservierten Eizellen bestehe hinreichende Erfolgswahrscheinlichkeit für eine Schwangerschaft von über 15 %. Bei seiner Ehefrau lägen keine klinischen Hinweise auf organische Erkrankungen oder Funktionsstörungen die Fertilität betreffend vor.
8Der Kläger hat beantragt,
91. die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 6.765,82 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten seit dem 01.08.2015 zu zahlen, und
102. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm im tariflichen Umfang Gesamtkosten der künstlichen Befruchtung im Rahmen der IVF/ICSI-Behandlung zu erstatten, solange die Erfolgsaussicht der Behandlung hinsichtlich des Eintritts einer klinischen Schwangerschaft wenigstens 15 % beträgt und die Behandlung unter Beteiligung seiner am 21.10.1976 geborenen Ehefrau T stattfindet.
11Die Beklagte hat den Antrag gestellt,
12die Klage abzuweisen.
13Sie hat die Ansicht vertreten, die erfolgten Maßnahmen seien keine medizinisch notwendige Heilbehandlung zur Überwindung einer ungewollten Kinderlosigkeit gewesen, und behauptet, Ziel der erfolgten Befruchtung der Eizellen sei nicht die Geburt eines Kindes gewesen, sondern allein der prophylaktische Erhalt befruchteter Eizellen der Ehefrau des Klägers für eine möglicherweise irgendwann später einmal erfolgende Kinderwunschbehandlung. Es habe sich daher um eine Behandlung nicht des Klägers, sondern seiner Ehefrau gehandelt. In absehbarer Zeit sei nicht mit einer Kinderwunschbehandlung zu rechnen, schon weil sich die Ehefrau des Klägers zuvor von der Chemotherapie erholen müsse. Die Beklagte hat deswegen die Ansicht vertreten, der Feststellungsantrag sei mangels eines Interesses an alsbaldiger Feststellung unzulässig. Weiter hat sie die erforderliche Erfolgswahrscheinlichkeit für den Eintritt einer Schwangerschaft bestritten, weil die Hormonwerte der Ehefrau des Klägers nicht gut genug seien und die Erfolgsaussichten durch die Chemotherapie weiter herabgesetzt würden; nach Erreichen des 40. Lebensjahres der Ehefrau des Klägers seien die Erfolgsaussichten als noch geringer zu werten; die Aussicht, mittels kryokonservierter Eizellen eine Schwangerschaft zu erreichen, sei ohnehin gering.
14Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
15Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
16Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Zahlung bereits entstandener Behandlungskosten für die im September 2014 begonnene Kinderwunschbehandlung zu, weil kein Versicherungsfall im Sinne der Vertragsbedingungen vorliege. Danach sei ein Versicherungsfall gegeben bei medizinisch notwendiger Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Der Versicherungsfall beginne mit der Heilbehandlung und ende, wenn nach medizinischem Befund Behandlungsbedürftigkeit nicht mehr bestehe. Zwar liege beim Kläger eine bedingungsgemäße Krankheit vor, da er an einer Oligo-Astheno-Teratozoospermie, also einem objektiv nach ärztlichem Urteil bestehenden anormalen, regelwidrigen Körperzustand, leide. Die durchgeführte Behandlung stelle aber keine notwendige Heilbehandlung dar, denn es liege mangels Einpflanzung der kryokonservierten Eizellen in die Gebärmutter seiner Ehefrau keine Heilbehandlung des Klägers vor.
17Der Bundesgerichtshof habe eine homologe In-Vitro-Fertilisation (IVF) als Heilbehandlung anerkannt, wenn sie eingesetzt werde, um die Fortpflanzungsunfähigkeit einer Frau zu überwinden. Werde eine IVF eingesetzt, um die organisch bedingte Unfruchtbarkeit eines Mannes zu überwinden, so könne im Ergebnis nichts anderes gelten. Allerdings könne eine Linderung der Sterilität des Mannes erst durch die Gesamtheit der Maßnahmen erreicht werden. Müsse die biologische Funktion der Fortpflanzungsorgane und Spermien des Mannes, eine Schwangerschaft herbeizuführen, wegen Fertilitätsstörungen durch ärztliche Maßnahmen ersetzt werden, so hätten diese nur dann Aussicht auf Erfolg und könnten eine Linderung bewirken, wenn eine befruchtete Eizelle in die Gebärmutter übertragen werde. Die Behandlung ziele darauf ab, einen Zustand zu erreichen, der ohne die Fertilitätsstörung mit Hilfe der natürlichen Körperfunktionen hätte herbeigeführt werden können. Erst dann lasse sich davon sprechen, dass die gestörte Körperfunktion durch den ärztlichen Eingriff ersetzt werde, so dass auch erst dann die der Linderung dienende Heilbehandlungsmaßnahme beendet sei. Die IVF bilde zusammen mit der ICSI eine auf das Krankheitsbild des Mannes abgestimmte Gesamtbehandlung. Ohne die zur IVF zählende Eizellenentnahme könne die Injektion der Spermien nicht durchgeführt werden. Erst die kombinierten Behandlungsmaßnahmen dienten der Linderung der Unfruchtbarkeit des Mannes. Die damit einhergehende Mitbehandlung der Frau durch die Einpflanzung der Eizellen in die Gebärmutter sei notwendiger Bestandteil der gesamten Behandlung. Die Anerkennung der Behandlungen als Heilbehandlung des Mannes setze daher notwendigerweise eine Einpflanzung der entnommenen und befruchteten Eizellen in die Gebärmutter der Frau voraus. Da diese hier fehle, habe keine vollständige Kombination aus ICSI- und IVF-Behandlung vorgelegen, die die Krankheit des Klägers hätte lindern können. Durch die bloße Kryokonservierung der Eizellen habe keine Schwangerschaft herbeigeführt und keine mangelnde Funktion eines Organs oder Körperteils des Klägers ersetzt werden können.
18Die Absicht, irgendwann die kryokonservierten Eizellen in die Gebärmutter der Ehefrau einpflanzen zu lassen, stehe dem nicht entgegen. Zum einen müsse die Frage, ob es sich um eine den Versicherungsfall begründende Heilbehandlung des Mannes handelt, aus der ex-ante Sicht, spätestens im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung, beurteilt werden. Zu diesem Zeitpunkt habe eine Heilbehandlung des Klägers nicht angenommen werden können, weil eine unmittelbare Einpflanzung der entnommenen und befruchteten Eizellen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft aufgrund der Krebserkrankung und der Chemotherapie der Ehefrau weder möglich noch geplant gewesen sei. Zum anderen könne die bloße Absicht, entnommene Eizellen später in die Gebärmutter einer Frau einzupflanzen, nicht zur Annahme einer Heilbehandlung des Mannes ausreichen. Denn etwas anderes wäre für den Versicherer mit unzumutbaren Risiken und Unsicherheiten verbunden, weil er unter Umständen verpflichtet wäre, die Kosten einer Behandlung zu tragen, deren Abschluss ggf. völlig ungewiss sei. Der Versicherungsnehmer hingegen würde die Möglichkeit haben, sich eine „spätere Heilbehandlung“ durch die prophylaktische Sicherung von befruchteten Eizellen vorsichtshalber zu sichern, sich dabei die Entscheidung über ihre Durchführung offen zu lassen. Die Annahme einer „Heilbehandlung des Mannes“ durch die bloße Konservierung von Eizellen würde daher mit untragbaren Gefahren des Versicherers und der Gemeinschaft der Versicherungsnehmer einhergehen. Dies gelte erst Recht im Falle der bloßen Entnahme und Konservierung unbefruchteter Eizellen der Lebenspartnerin eines versicherten Mannes.
19Mangels Vorliegens einer Heilbehandlung habe es keiner Entscheidung bedurft, ob eine bedingungsgemäße medizinische Notwendigkeit der Heilbehandlung vorliege, die nach ständiger Rechtsprechung bei einer IVF/ICSI-Behandlung eine Wahrscheinlichkeit von mindestens 15 % dafür voraussetze, dass ein Embryotransfer zur gewünschten Schwangerschaft führt.
20Der Feststellungsantrag, allein darauf gerichtet die Verpflichtung der Beklagten in Bezug auf die Kostentragung der späteren Beendigung der bereits im September 2014 begonnenen IFV/ICSI -Behandlung festzustellen, sei dementsprechend – falls nicht bereits unzulässig – unbegründet, da ein Versicherungsfall nicht gegeben sei.
21Gegen diese Entscheidung wendet sich die Berufung des Klägers, der seine erstinstanzlichen Klageanträge mit der Klarstellung weiterverfolgt, dass sich sein Feststellungsantrag allein auf die Erstattungspflicht der Beklagten in Bezug auf die im September 2014 begonnene Behandlung bezieht. Der Entscheidung des Landgerichts liege eine unzutreffende Sachverhaltsfeststellung zu Grunde. Das Landgericht habe angenommen, es seien unbefruchtete Eizellen seiner Ehefrau kryokonserviert worden. Tatsächlich sei die ICSI/IVF-Behandlung, bei der mittels einer feinen Nadel eine ausgewählte Samenzelle in eine ausgewählte Eizelle injiziert werde, abgeschlossen und es seien befruchtete Eizellen kryokonserviert worden. Die Heilbehandlung, die allein wegen seiner Unfruchtbarkeit und nicht auch wegen einer Fertilitätsstörung seiner Ehefrau erfolgt sei, sei damit im Grunde abgeschlossen.
22Die Beklagte verteidigt das Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Der zeitliche Ablauf bestätige, dass die Behandlung im Jahr 2014 nur durchgeführt worden sei, weil durch die anstehende Chemotherapie der Ehefrau des Klägers mit einer Zerstörung ihrer Eizellen zu rechnen gewesen sei. Eine Heilbehandlung, die mit der Injektion der Spermien in die Eizellen abgeschlossen wäre, würde für sich allein genommen keinen Sinn ergeben. Erforderlich für eine Erstattungspflicht sei eine bestimmte Erfolgswahrscheinlichkeit für den Eintritt einer Schwangerschaft; solange die befruchteten Eizellen nicht eingesetzt würden, sei eine solche nicht gegeben. Die extrakorporale Befruchtung von Eizellen könne für sich genommen folglich keine medizinisch notwendige Heilbehandlung sein.
23Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
24II.
25Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Das Landgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht den Erfolg versagt.
26Der auf Feststellung gerichtete Klageantrag ist unzulässig. Ihm fehlt das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an einer alsbaldigen richterlichen Entscheidung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, ist eine Klage auf Feststellung der Eintrittspflicht des Versicherers für die Kosten einer noch nicht durchgeführten Heilbehandlung nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Die Feststellung muss ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis in dem Sinne betreffen, dass die zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehenden Beziehungen schon zur Zeit der Klageerhebung wenigstens die Grundlage bestimmter Ansprüche bilden. Das ist der Fall, wenn das Begehren nicht nur auf künftige, mögliche, sondern auf bereits aktualisierte, ärztlich für notwendig erachtete, bevorstehende Behandlungen gerichtet ist und außerdem ein Feststellungsinteresse dahingehend besteht, dass durch ein Feststellungsurteil eine sachgemäße und erschöpfende Lösung des Streits über die Erstattungspflicht zu erwarten ist (BGH, Urt. v. 8.2.2006 – IV ZR 131/05, VersR 2006, 535).
27Die Einpflanzung der kryokonservierten befruchteten Eizellen in die Gebärmutter der Ehefrau des Klägers steht derzeit jedoch nicht im Raum. Dass aktuell mit der Durchführung der weiteren Behandlung, für deren Kosten der Kläger die Erstattungspflicht der Beklagten festgestellt haben möchte, zu rechnen wäre, ist nicht ersichtlich. Erstinstanzlich hat der Kläger zwar – wenig substanziiert – vorgetragen, seine Ehefrau „dürfte“ sich nach dem Abschluss der Chemotherapie Februar 2015 „bereits hinreichend erholt“ haben. Ein angekündigtes ärztliches Attest dazu, dass die Kinderwunschbehandlung nunmehr fortgesetzt werden könne, hat er aber nicht vorgelegt. Im Berufungsverfahren hat er die Feststellung im landgerichtlichen Urteil, es sei nicht absehbar, ob es überhaupt zu einer Einpflanzung der befruchteten Eizellen kommen werde, nicht angegriffen. Damit fehlt es u.a. an einer Basis für eine Beurteilung der Erfolgsaussicht einer Fortsetzung der Kinderwunschbehandlung, die jedoch eine Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch für die durch sie verursachten Kosten darstellt, so dass allein deswegen eine sachgemäße und erschöpfende Lösung des Streits über die Erstattungspflicht mit einem Feststellungsurteil nicht zu erreichen wäre.
28Hinsichtlich der im Jahr 2014 erfolgten Behandlungen, für die der Kläger Kostenerstattung von der Beklagten verlangt, ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass es an der Voraussetzung einer erstattungspflichtigen Heilbehandlung des Klägers fehlt.
29Soweit es isoliert um die Kryokonservierung der Eizellen geht, handelt es sich um eine Maßnahme, die allein der Krebserkrankung der Ehefrau des Klägers geschuldet und demzufolge nicht Teil der eigentlichen Kinderwunschbehandlung ist. Jedenfalls handelt es sich um einen Behandlungsschritt, der ausschließlich durch die Erkrankung der Ehefrau des Klägers geboten war. Denn ohne diese Erkrankung wäre, so muss man den Vortrag des Klägers verstehen, die Einpflanzung der befruchteten Eizellen in die Gebärmutter seiner Ehefrau ohne zwischenzeitliche Kryokonservierung unmittelbar vorgenommen worden. Damit handelt es sich nicht um einen Behandlungsschritt, der im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Kinderwunschbehandlung, der der Senat folgt, wertend als Teil der Heilbehandlung des Klägers eine Kostentragungspflicht seines Versicherers - der Beklagten - auslösen könnte (vgl. BGH, Urt. v. 15.9.2010 – IV ZR 187/07, VersR 2010, 1485; juris Rn. 18). Schon aus diesem Grund kann der Kläger von der Beklagten nicht die Erstattung des Betrages in Höhe von 744,11 € verlangen, die seiner Ehefrau unter dem 9. Oktober 2015 (Anl. K9, GA 20) für die Kryokonservierung in Rechnung gestellt worden sind.
30In Bezug auf den verbleibenden Forderungsbetrag von 6.029,71 €, der sich zusammensetzt aus den Einzelbeträgen der Rechnungen der Q vom 25. September 2014 (Anl. K8, GA 19), der E GmbH vom 24. Oktober 2014 (Anl. K6, GA 17) und der Q2 GmbH & Co. KG vom 4. November 2014 (Anl. K5, GA 15) sowie des Kassenbons der Apotheke am O vom 4. Oktober 2014 (Anl. K7, GA 18) ist die Klage jedenfalls derzeit unbegründet.
31Das ergibt sich – wie auch das Landgericht nicht angenommen hat – allerdings nicht schon daraus, dass die Rechnungen nicht an den Kläger selbst, sondern an seine Ehefrau gerichtet sind und deren Behandlung im Rahmen einer im September 2014 begonnenen IVF/ICSI-Behandlung betreffen.
32Nach den dem Vertrag der Parteien zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), Teil I – Rahmenbedingungen 2009 (RB/KK 2009) - § 1 Abs. 2 ist Versicherungsfall die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Krankheit im Sinne des Rechts der privaten Krankenversicherung ist ein objektiv nach ärztlichem Urteil bestehender anomaler, regelwidriger Körper- oder Geisteszustand. Dazu zählt auch eine auf körperlichen Ursachen beruhende Unfähigkeit, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen (BGH, Urt. v. 3.3.2004 - IV ZR 25/03, BGHZ 158, 166 = NJW 2004, 1658).
33Soweit es um die in Rede stehende extrakorporale Befruchtung der Eizellen der Ehefrau des Klägers geht, handelt es sich nicht um Behandlungsschritte, die allein aufgrund einer Erkrankung der Ehefrau erfolgt sind. Es kann dahinstehen, ob die Fertilität der Ehefrau des Klägers, wie die Beklagte annimmt, hormonbedingt eingeschränkt war. Denn jedenfalls ist von einer behandlungsbedürftigen Fertilitätseinschränkung des Klägers auszugehen, der nach den nicht angegriffenen Feststellungen im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils an einer Oligo-Astheno-Teratozoospermie leidet. Damit ist beim Kläger ein regelwidriger körperlicher Zustand gegeben, der zur Folge hat, dass die Fähigkeit, eine Eizelle zu befruchten, stark eingeschränkt ist. Die In-vitro-Fertilisation (IVF) bildet deshalb zusammen mit der intracytoplasmatischen Spermien-Injektion (ICSI) eine auf das Krankheitsbild des Klägers abgestimmte Gesamtbehandlung. Ohne die zur IVF zählende Eizellenentnahme kann die Injektion der Spermien nicht durchgeführt werden. Die kombinierten Maßnahmen einer IVF/ICSI-Behandlung dienen insgesamt der Linderung der Unfruchtbarkeit des Mannes. Die damit einhergehende Mitbehandlung der Frau ist dabei notwendiger Bestandteil der gesamten Behandlung. Deshalb zielt die Behandlung insgesamt darauf ab, zumindest auch die Krankheit des Mannes zu lindern. Dass alle Einzelstadien der Behandlung sich auf den Körper des Versicherungsnehmers beziehen und nur dort auf eine Abmilderung „medizinisch unmittelbar zugänglicher Leidensfolgen” abzielen, ist nicht erforderlich, um die vertragliche Erstattungspflicht des Versicherers auszulösen (vgl. BGH, Urt. v. 3.3.2004 - IV ZR 25/03, BGHZ 158, 166 = NJW 2004, 1658). Treffen körperlich bedingte Fertilitätseinschränkungen von Mann und Frau zusammen, so ist die Behandlung, selbst wenn sie zugleich die körperlich bedingte Unfruchtbarkeit beider Partner überwinden soll, jedenfalls auch als eine eigene Heilbehandlung desjenigen Ehepartners anzusehen, bei dem die Fertilitätsstörung nachgewiesen ist (vgl. BGH, Urt. v. 15.9.2010 – IV ZR 187/07, VersR 2010, 1485 = juris Rn. 18).
34Einem Erstattungsanspruch des Klägers steht jedenfalls derzeit aber – wovon das Landgericht zu Recht ausgegangen ist - entgegen, dass die in Rede stehenden Behandlungsmaßnahmen im Jahr 2014 (noch) nicht die Voraussetzungen einer bedingungsgemäßen Heilbehandlung erfüllen. Das Erfordernis einer notwendigen Heilbehandlung des Klägers im Sinne von Teil I § 1 Abs. 2 AVB ist bislang nicht gegeben, weil eine Einpflanzung der befruchteten Eizellen in die Gebärmutter seiner Ehefrau noch nicht erfolgt ist.
35Eine Heilbehandlung ist jede ärztliche Tätigkeit, die durch eine Krankheit verursacht ist, sofern die Leistung des Arztes auf deren Heilung, Besserung oder auch nur Linderung abzielt. Maßnahmen der künstlichen Befruchtung sind daher als Heilbehandlung anzusehen, wenn sie eingesetzt werden, um die Fortpflanzungsfähigkeit eines Partners zu überwinden. Die Linderung kann in diesen Fällen allerdings erst mit dem Abschluss der Gesamtheit der Maßnahmen, die die Einpflanzung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter einschließt, erreicht werden (vgl. BGH, Urt. v. 3.3.2004 - IV ZR 25/03, BGHZ 158, 166 = NJW 2004, 1658). Muss die biologische Funktion der Fortpflanzungsorgane und Spermien des Mannes, eine Schwangerschaft herbeizuführen, wegen Fertilitätsstörungen durch ärztliche Maßnahmen ersetzt werden, so haben diese nur dann Aussicht auf Erfolg und können insoweit eine Linderung bewirken, wenn eine befruchtete Eizelle in die Gebärmutter übertragen wird, um sich dort einzunisten. Erst dann lässt sich davon sprechen, dass die gestörte Körperfunktion durch den ärztlichen Eingriff ersetzt wird, so dass auch erst in diesem Zeitpunkt die der Linderung dienende Heilbehandlungsmaßnahme durchgeführt worden ist. Erst die kombinierten Behandlungsmaßnahmen dienen insgesamt der Linderung der Unfruchtbarkeit des Mannes. Ohne die Einpflanzung der befruchteten Eizelle bleiben die vorhergehenden Maßnahmen sinnlos und sind für sich genommen nicht zur Linderung der Unfruchtbarkeit des Mannes geeignet (vgl. BGH, a.a.O.).
36Das bedeutet für den vorliegenden Fall, dass von einer notwendigen Heilbehandlung derzeit allenfalls ausgegangen werden könnte, wenn von einer aktuell in Aussicht genommenen Fortsetzung der Behandlungsmaßnahmen durch Einpflanzung einer befruchteten Eizelle in die Gebärmutter der Ehefrau des Klägers auszugehen wäre. Dann könnte inzident zugleich geprüft werden, ob die Behandlung insgesamt medizinisch indiziert war und ist, weil hinreichende Erfolgsaussicht besteht. Im Falle der Kinderwunschbehandlung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, von der vertraglich geforderten Notwendigkeit der Heilbehandlung nur auszugehen, wenn eine Erfolgswahrscheinlichkeit von mindestens 15 % besteht, dass ein Embryotransfer zur gewünschten Schwangerschaft führt (BGH, Urt. v. 21.9.2005 - IV ZR 113/04, BGHZ 164, 122 = NJW 2005, 3783). Das bedeutet, dass für die Beurteilung der Erfolgswahrscheinlichkeit auf den Zeitpunkt des Embryotransfers abzustellen ist. Wie dargelegt ist jedoch nicht ersichtlich, dass aktuell mit der Durchführung der weiteren Behandlung zu rechnen wäre.
37Aus vorstehenden Erwägungen folgt allerdings, dass ein Erstattungsanspruch des Klägers zurzeit nicht endgültig abzuweisen ist, weil er im Falle des Abschlusses der begonnenen Kinderwunschbehandlung noch zur Entstehung gelangen kann.
38Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Absatz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
39Nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist es geboten, zur Fortbildung des Rechts die Revision zuzulassen, soweit es um die Frage geht, ob einem Erstattungsanspruch des Klägers entgegen steht, dass die Kinderwunschbehandlung aufgrund der Krebserkrankung seiner Ehefrau und der deswegen erfolgten Chemotherapie (noch) nicht abgeschlossen wurde und deswegen die bereits durchgeführten Maßnahmen (hier insbesondere wie Kryokonservierung) nicht als bedingungsgemäße Heilbehandlung gewertet werden. Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nicht vor.
40Streitwert des Berufungsverfahrens: 7.765, 82 €
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Annotations
(1) Anstelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen enthält das Urteil
- 1.
die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen, - 2.
eine kurze Begründung für die Abänderung, Aufhebung oder Bestätigung der angefochtenen Entscheidung.
(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.
(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.