Oberlandesgericht Köln Urteil, 29. Juli 2016 - 20 U 143/13
Gericht
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 15. Juli 2013 verkündete Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln ‑ 26 O 6/13 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.942,08 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. Januar 2013 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des Revisionsverfahrens IV ZR 201/14 haben die Klägerin zu 72% und die Beklagte zu 28% zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe
I.
2
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen
3II.
4Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache zum Teil Erfolg.
5Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der von ihr auf den Versicherungsvertrag geleisteten Prämien abzüglich der Risikokosten, des Rückkaufswertes und des erstatteten Stornoabzugs. Nutzungen kann sie hingegen nicht beanspruchen; vielmehr ist zu Lasten der Klägerin ein Fondsverlust in Abzug zu bringen.
61.
7Die Klägerin konnte dem Vertragsschluss noch mit Schreiben vom 30. November 2010 widersprechen.
8Die Widerspruchsfrist des § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. ist nicht wirksam in Gang gesetzt worden. Nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. beginnt der Lauf der hier maßgebenden Frist von 14 Tagen erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach Absatz 1 (Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen nach § 10a VAG) vollständig vorliegen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist. Die vorliegende Belehrung war unzureichend, weil nicht alle fristauslösenden Unterlagen angeführt wurden. Insoweit nimmt der Senat auf die - insoweit vom Bundesgerichtshof als zutreffend bestätigten - Ausführungen im Berufungsurteil in dieser Sache vom 2. Mai 2014 Bezug.
92.
10Die Klägerin war noch im Jahr 2010 zum Widerspruch berechtigt. § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F., der vorsah, dass das Recht zum Widerspruch ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt, ist auf Lebens- und Rentenversicherungsverträge nicht anwendbar. Das hat der Bundesgerichtshof für das vorliegende Verfahren durch Urteil vom 24. Februar 2016 – IV ZR 201/14 – mit für den Senat bindender Wirkung (§ 563 Abs. 2 ZPO) entschieden.
11Die Kündigung des Versicherungsvertrags steht dem Widerspruch nicht entgegen; ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (BGH, aaO, Rz. 15). Verwirkung kann nicht angenommen werden (BGH, aaO, Rz. 16).
123.
13Die Klägerin kann somit dem Grunde nach die gezahlten Prämien aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 BGB) zurückverlangen, weil sie diese rechtsgrundlos geleistet hat.
14Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB allerdings grundsätzlich nicht uneingeschränkt alle Prämien, die die Klägerin an die Beklagte gezahlt hat, ohne hierzu durch einen wirksamen Versicherungsvertrag verpflichtet zu sein. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (aaO; grundlegend BGH, VersR 2014, 817) darf im Rahmen einer gemeinschaftsrechtlich geforderten rechtsfortbildenden Auslegung einer nationalen Norm bei der Regelung der Rechtsfolgen des Widerspruchs nach nationalem Recht ein vernünftiger Ausgleich und eine gerechte Risikoverteilung zwischen den Beteiligten hergestellt werden. In Rechnung zu stellen ist insbesondere, dass der Versicherungsnehmer während der Dauer der Prämienzahlung Versicherungsschutz genossen hat; diesen muss er sich im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung als erlangten Vermögensvorteil anrechnen lassen. Bei Lebensversicherungen kann, so der Bundesgerichtshof, etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (aaO). Die Kürzung um den Risikoanteil muss nicht europarechtlich hinterfragt werden (anders, wenngleich ohne nähere Begründung, Schwintowski, VuR 2015, 471), denn die Rechtsfolgen eines wirksamen Widerspruchs richten sich nach nationalem Recht (s. Art. 15 Abs. 1 Satz 3 der Richtlinie 90/619/EWG vom 8. November 1990).
15Abschluss- und Verwaltungskosten sind hingegen von dem Prämienrückforderungsanspruch nicht in Abzug zu bringen (vgl. BGH, VersR 2015, 1101 und 1104).
16Die Klägerin hat unstreitig Prämien in Höhe von 16.530,- € gezahlt. Abzuziehen sind davon der Risikoanteil an den Prämien für die Lebensversicherung (379,46 €) und der Risikoanteil an den Prämien für die Schwere-Krankheiten-Zusatzversicherung (1.772,95 €), deren Höhe die Klägerin im Anschluss an den Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 28. April 2016 nicht weiter bestritten hat. Entgegen der im Schriftsatz vom 25. April 2016 geäußerten Rechtsauffassung der Klägerin sind die Risikoanteile nicht mit dem objektiven Marktwert anzusetzen, sondern es sind die tatsächlich vom Versicherer kalkulierten Risikokosten anzurechnen (BGH, Urt. v. 24. Februar 2016 - IV ZR 126/15 -).
17Der Prämienrückzahlungsanspruch der Klägerin beläuft sich somit auf 14.377,59 €.
184.
19Nutzungen, die die Klägerin gemäß ihrem Schriftsatz vom 3. Juni 2016 nur noch aus dem Sparanteil an den Prämien fordert, stehen ihr nicht zu.
20Bei einer hier streitgegenständlichen fondsgebundenen Lebensversicherung kann nicht vermutet werden, dass der Versicherer aus den Sparanteilen der vom Versicherungsnehmer gezahlten Prämien einen entsprechenden Gewinn erzielt hat. Ein im Rahmen der Fondsanlage erzielter Gewinn dokumentiert sich in der Regel in der Differenz zwischen dem Sparanteil an den eingezahlten Prämien und dem Fondsguthaben bei Beendigung der Versicherung, wobei ein Fondsverlust zu Lasten des Versicherungsnehmers geht (BGH, VersR 2016, 33).
21Einen solchen Fondsverlust hat die Beklagte vorliegt schlüssig und letztlich von der Klägerin nicht mehr angegriffen dargelegt. Das Fondsguthaben betrug (unter Ausklammerung eines zu Unrecht erhobenen und unwidersprochen erstatteten Stornoabzugs) 9.778,57 €. Zugunsten der Klägerin hatte die Beklagte demgegenüber einen Gesamtbetrag von 10.245,51 € in die Fonds investiert. Darin enthalten sind auch Risiko- und Kostenüberschüsse in Höhe von 642,90 €, die das Anteilsguthaben entsprechend dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 21. Juni 2016 erhöht haben. Dass die Beklagte diese Überschüsse der Klägerin gutgebracht hat, ist ein ihr günstiger Umstand, weil sie dadurch die Chance auf eine Vermögensmehrung hatte. Dass sich letztlich ein mit 466,94 € zu beziffernder Fondsverlust ergeben hat (10.245,51 € - 9.778,57 €), geht zum Nachteil der Klägerin.
225.
23Damit ergibt sich folgende Gesamtberechnung:
2414.377,59 € (Prämien unter Abzug der Risikoanteile) - 466,94 € (Fondsverlust) - 8.846,07 € (tatsächlich ausgekehrter Rückkaufswert) ‑ 1.122,50 € (unwidersprochen erstatteter Stornoabzug)
25= 3.942,08 €
26Zinsen auf diesen Betrag stehen der Klägerin nicht schon ab dem 1. Januar 2012 zu. Dazu, dass zu diesem Zeitpunkt Verzug eingetreten ist, fehlt jeder Vortrag. Ein Zinsanspruch besteht erst ab Rechtshängigkeit.
276.
28Ein Anspruch auf Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten ist nicht schlüssig dargelegt. Es ist schon nicht ersichtlich, dass die jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin überhaupt vorgerichtlich für diese tätig geworden sind; das Widerspruchsschreiben jedenfalls stammt von der Anwaltskanzlei Steinpichler und nicht, wie es auf S. 25 der Klageschrift heißt, „vom Unterzeichner“ (= Rechtsanwalt Vetter). Auch im Übrigen ist ein Anspruch aus Verzug oder aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes nicht schlüssig dargetan.
297.
30Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
31Anlass zur Zulassung der Revision nicht. Die grundsätzlichen Fragen der Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrags nach wirksam erklärtem Widerspruch sind, soweit hier von Bedeutung, vom Bundesgerichtshof mittlerweile geklärt.
32Berufungsstreitwert: 14.196,80 €
moreResultsText
Annotations
(1) Anstelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen enthält das Urteil
- 1.
die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen, - 2.
eine kurze Begründung für die Abänderung, Aufhebung oder Bestätigung der angefochtenen Entscheidung.
(1) Des Tatbestandes bedarf es nicht, wenn ein Rechtsmittel gegen das Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist. In diesem Fall bedarf es auch keiner Entscheidungsgründe, wenn die Parteien auf sie verzichten oder wenn ihr wesentlicher Inhalt in das Protokoll aufgenommen worden ist.
(2) Wird das Urteil in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist, verkündet, so bedarf es des Tatbestands und der Entscheidungsgründe nicht, wenn beide Parteien auf Rechtsmittel gegen das Urteil verzichten. Ist das Urteil nur für eine Partei anfechtbar, so genügt es, wenn diese verzichtet.
(3) Der Verzicht nach Absatz 1 oder 2 kann bereits vor der Verkündung des Urteils erfolgen; er muss spätestens binnen einer Woche nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Gericht erklärt sein.
(4) Die Absätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden im Fall der Verurteilung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen oder wenn zu erwarten ist, dass das Urteil im Ausland geltend gemacht werden wird.
(5) Soll ein ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe hergestelltes Urteil im Ausland geltend gemacht werden, so gelten die Vorschriften über die Vervollständigung von Versäumnis- und Anerkenntnisurteilen entsprechend.
(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.
(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.
(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder der mit einer Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eintritt.
(2) Als Leistung gilt auch die durch Vertrag erfolgte Anerkennung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Schuldverhältnisses.
(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.
(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn
- 1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder - 2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.