Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 29. Aug. 2016 - 32 W 16/16
Gericht
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 20.05.2016 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 6.000,00 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2I.
3Der Kläger macht mit seiner am 23.04.2015 beim Landgericht Düsseldorf eingegangenen Klage Ansprüche wegen Verletzung von Amtspflichten gegen das beklagte Land im Zusammenhang mit Kontenpfändungen durch die Finanzverwaltung geltend.
4Mit Beschluss vom 15.07.2015 hat sich das Landgericht Düsseldorf für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Münster verwiesen.
5In der durch Verfügung vom 31.08.2015 anberaumten mündlichen Verhandlung vom 11.12.2015 erteilte die zuständige Einzelrichterin, Richterin am Landgericht Dr. O, einen rechtlichen Hinweis. Noch in der Sitzung beantragte der Kläger die Ablehnung der Einzelrichterin wegen der Besorgnis der Befangenheit.
6Mit Schriftsatz vom 06.01.2016 begründete er das Ablehnungsgesuch im Wesentlichen damit, dass die Einzelrichterin den Hinweis früher habe erteilen müssen.
7Mit Beschluss vom 07.01.2016 hat der Vorsitzende Richter am Landgericht T als Einzelrichter das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das Ablehnungsgesuch schon unzulässig sei, weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers es im eigenen Namen eingelegt habe. Im Übrigen sei es auch unbegründet, weil eine etwaige Verspätung des Hinweises nicht auf Willkür oder eine unsachliche Einstellung der abgelehnten Richterin zurückzuführen sei. Im Übrigen sei aber auch die Hinweiserteilung gänzlich unnötig gewesen, weil der Beklagte die den Gegenstand des Hinweises bildende Thematik ausreichend schriftsätzlich vorgetragen habe.
8Mit weiterem Beschluss vom 19.01.2016 hat sodann die 10. Zivilkammer in der Besetzung Vorsitzender Richter am Landgericht T, Richter am Landgericht Dr. I und Richterin I2 den Beschluss vom 07.01.2016 aufgehoben und eine im Wesentlichen inhaltsgleiche Entscheidung getroffen.
9Mit Schriftsatz vom 21.01.2016 hat sodann der Kläger die vorgenannten Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass der Vorsitzende Richter am Landgericht T seinen eigenen Beschluss vom 07.01.2016 von Amts wegen aufgehoben habe, obwohl er anlässlich eines Befangenheitsverfahrens hierzu nicht befugt gewesen sei. Die Annahme, der Befangenheitsantrag gegen die Richterin am Landgericht Dr. O sei vom Prozessbevollmächtigten des Klägers in eigenem Namen gestellt worden, stelle eine willkürliche Verdrehung völlig üblicher Prozesshandlungen dar. Der verspätete Hinweis stelle sehr wohl einen Ablehnungsgrund dar, denn bei rechtzeitiger Erteilung wäre ergänzend vor der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden. Gerade dann, wenn es sich um offensichtliche Fehler handelt, sei das Gericht aufgefordert, rechtliche Hinweise zu erteilen. Die Einholung einer dienstlichen Äußerung der abgelehnten Richterin sei nicht entbehrlich gewesen. Jedenfalls die Summe dieser Verstöße begründe einen Ablehnungsgrund.
10Mit weiterem Schriftsatz vom 25.01.2016 erhob der Kläger sofortige Beschwerde sowohl gegen den Beschluss vom 07.01.2015, als auch gegen den vom 19.01.2016.
11Mit Beschluss vom 20.05.2016 wies die 10. Zivilkammer in der Besetzung Vorsitzender Richter am Landgericht Dr. U, Richter am Landgericht Dr. M und Richter X das Ablehnungsgesuch vom 21.01.2016 zurück. Hinsichtlich der Begründung wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
12Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner sofortigen Beschwerde vom 08.06.2016, der das Landgericht durch Beschluss vom 13.06.2016 nicht abgeholfen hat.
13Zur Begründung führt der Kläger neben der Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen im Wesentlichen aus, dass nicht ausreichend gewürdigt worden sei, dass er, der Kläger, durch den Beschluss vom 07.01.2016 seinem gesetzlichen Richter entzogen worden sei. Durch den Beschluss vom 07.01.2016 habe sich der Vorsitzende Richter am Landgericht T auch bereits eine abschließende Meinung in der Sache gebildet, so dass er zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 19.01.2016 nicht mehr unvoreingenommen gewesen sei. Der Vorsitzende habe nicht an der Beschlussfassung mitwirken dürfen. Außerdem habe die Kammer den Beschluss vom 07.01.2016 nicht als Kollegialgericht aufheben dürfen, sondern allenfalls habe dies der Vorsitzende tun können. Schließlich beinhalte die Begründung, wonach der Kläger sich mit seinen Ablehnungsgesuchen vom 21.01.2016 nicht ausdrücklich auf bestimmte Umstände gestützt habe, die zuvor durch Bezug auf das Gesuch vom 11.12.2015 zitiert worden seien, einen Verfahrensfehler dar. Im Ablehnungsverfahren seien alle Umstände, die einen Befangenheitsgrund darstellen können und sich aus der Akte ergeben, zu berücksichtigen.
14II.
15Die zulässige Beschwerde ist in der Sache nicht begründet.
16Zu Recht hat das Landgericht Münster das Befangenheitsgesuch des Klägers gegen die an der Beschlussfassung der 10. Zivilkammer vom 19.01.2016 beteiligten Richter zurückgewiesen und der gegen die Zurückweisung eingelegten Beschwerde nicht abgeholfen.
17Das Befangenheitsgesuch ist nicht begründet.
18Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters ist anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit aufkommen lassen. Geeignet, Misstrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung des Richters zu rechtfertigen, sind nur objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht (mehr) unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (vgl. BGH V ZB 22/03, NJW 2004, 164; Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 42 Rdn. 9). Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge reichen nicht aus. Auf eine tatsächliche Befangenheit oder auch Selbsteinschätzung eines Richters kommt es allerdings nicht an (vgl. Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 42 Rdn. 5).
19Kriterium für die Unparteilichkeit des Richters ist die Gleichbehandlung der Parteien. Der Ablehnung setzt er sich aus, wenn er, ohne Stütze im Verfahrensrecht, eine gleich große Distanz zu den Parteien aufgibt und sich zum Berater einer Seite macht. Ein Befangenheitsgrund kann zudem bestehen, wenn das prozessuale Vorgehen des Richters einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage entbehrt und sich so sehr von dem normalerweise geübten Verfahren entfernt, dass sich für die dadurch betroffene Partei der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden oder willkürlichen Benachteiligung aufdrängen muss (vgl. OLG Oldenburg, 5 W 10/08, NJOZ 2008, 2042; Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 42 Rz. 24). Abgesehen davon ist die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit kein Instrument zur Fehlerkontrolle (BGH XI ZR 388/01, NJW 2002, 2396). Der Befangenheitsvorwurf kann daher grundsätzlich nicht auf den sachlichen Inhalt von Entscheidungen oder auf Verfahrensverstöße gestützt werden.
20Ausgehend von den dargestellten Grundsätzen ist der vom Kläger angebrachte Befangenheitsantrag nicht gerechtfertigt, denn keiner der vorgebrachten Gründe rechtfertigt für sich die Annahme einer Befangenheit der abgelehnten Richter, noch bietet eine Gesamtschau Anlass zu einer solchen Annahme.
211. Die Aufhebung des Beschlusses des Vorsitzenden vom 07.01.2016 durch die vollbesetzte Kammer mit Beschluss vom 19.01.2016 ist nicht verfahrensfehlerhaft.
22Beschlüsse, die mit der sofortigen Beschwerde angreifbar sind, können grundsätzlich innerhalb laufender Beschwerdefrist auch von Amts wegen geändert werden (h.M., vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2006 – IX ZB 117/04 –, juris, Tz 8, m.w.Nw.). Das folgt aus der Systematik der Zivilprozessordnung.
23Dem Umstand, dass § 318 ZPO in § 329 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht genannt wird, kann entnommen werden, dass Beschlüsse das erlassende Gericht vor Ablauf der Beschwerdefrist im Zweifel nicht binden, solange es noch mit dem Gegenstand des Beschlusses befasst ist. Der Gedanke eines Vertrauensschutzes steht dem bis zu diesem Zeitpunkt nicht entgegen: denn bis zum Ablauf der Beschwerdefrist muss ein durch den Beschluss begünstigter Verfahrensbeteiligter damit rechnen, dass ein anderer Beteiligter Rechtsmittel einlegt. Geschieht dies nicht, sondern ändert das Gericht seinen Beschluss während der laufenden Rechtsmittelfrist von Amts wegen zum Nachteil eines Beteiligten, kann dieser seinerseits zudem sofortige Beschwerde gegen den Änderungsbeschluss einlegen (BGH aaO.).
24Mithin konnte das Landgericht den Beschluss vom 07.01.2016 am 19.01.2016 und somit innerhalb der Beschwerdefrist noch selbst abändern. Dies konnte und musste auch das Gericht in der richtigen Besetzung tun, als Kollegialgericht, denn gem. § 45 Abs. 1 ZPO hat die Zivilkammer über ein Ablehnungsgesuch ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters zu entscheiden (vgl. BGH, Beschl. v. 06.04.2006 – V ZB 194/05, NJW 2006, 2492) und nicht ein Einzelrichter. Auch zur Fehlerkorrektur von Amts wegen war deshalb nicht der Vorsitzende als Einzelrichter berufen, sondern die Kammer (vgl. auch OLG Hamm, Beschl. v. 16.10.2015 – 1 W 72/15). Diese hat durch ihr Tätigwerden von Amts wegen gerade nicht den Kläger seinem gesetzlichen Richter entzogen, sondern vielmehr dafür gesorgt, dass er diesem zugeführt wird.
252. Auch die Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Landgericht T bei der Beschlussfassung vom 19.01.2016 begegnet keinen Bedenken. Ein Tätigkeitsverbot gem. § 47 Abs. 1 ZPO lag mangels Ablehnungsgesuchs gegen ihn zu diesem Zeitpunkt nicht vor. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der abgelehnte Richter bei der Beschlussfassung voreingenommen und neueren Erkenntnissen gegenüber verschlossen gewesen wäre. Allein der Umstand, dass die Entscheidung vom 19.01.2016 inhaltlich weitgehend identisch mit der vom 07.01.2016 ist, spricht nicht dafür. Zwischen den beiden genannten Zeitpunkten hat sich keine aktenkundige Veränderung der Sach- und Vortragslage ergeben. Anhaltspunkte dafür, dass der abgelehnte Richter sich bei veränderter Sach- und Vortragslage einer anderweitigen Entscheidung verschlossen hätte, bestehen nicht.
263. Die angefochtene Entscheidung ist auch nicht insoweit fehlerhaft, als dort ausgeführt wird, der Kläger habe sein Ablehnungsgesuch vom 21.01.2016 nicht ausdrücklich darauf gestützt, dass der abgelehnte Vorsitzende Richter am Landgericht T aufgrund seiner vorherigen Einzelrichterentscheidung bei der Fassung des Beschlusses vom 19.01.2016 voreingenommen gewesen sei. Ungeachtet dieses beanstandeten Satzes hat die Kammer im angefochtenen Beschluss die Thematik in dem vorangegangenen Satz (abschlägig) gleichwohl behandelt.
274. Es kann bei der jetzt zu treffenden Entscheidung im Ergebnis dahinstehen, ob das Ablehnungsgesuch gegen die Richterin am Landgericht Dr. O unzulässig ist, wie dies die hier abgelehnten und im einzelnen benannten Richter im Beschluss vom 19.01.2016 bejaht haben. Die starke Ausrichtung auf den Wortlaut der protokollierten Ablehnungserklärung lässt eine Willkürlichkeit der Entscheidung oder eine gänzlich unhaltbare Rechtsanwendung nicht erkennen. Die Zurückweisung des Ablehnungsgesuches beruht zudem nicht allein auf der Annahme der Unzulässigkeit, sondern wurde – in der Sache zutreffend - auch auf das Fehlen eines Ablehnungsgrundes gestützt.
285. Schließlich vermag auch der Verzicht der Kammer auf das Einholen einer dienstlichen Stellungnahme der Einzelrichterin Dr. O die Besorgnis der Befangenheit nicht zu begründen. Ergeben sich die maßgeblichen Tatsachen ohne Schwierigkeit aus den Akten, so ist die Äußerung des abgelehnten Richters regelmäßig entbehrlich und kann unterbleiben (MüKo-ZPO/Gehrlein, 4. Aufl., § 44 Rn. 9 m.w.Nw.). So liegt der Fall hier. Die relevanten Tatsachen, nämlich der zeitliche Ablauf des Verfahrens bis zur mündlichen Verhandlung und der dort erteilte Hinweis, ergeben sich ohne Schwierigkeit aus den Akten, so dass eine dienstliche Stellungnahme der Richterin am Landgericht Dr. O entbehrlich war.
29Weder die im Einzelnen benannten Beanstandungen, noch die gebotene Gesamtschau rechtfertigen somit die Annahme eines berechtigten Ablehnungsgrundes.
30III.
31Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
32Der Wert des Beschwerdeverfahrens ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats in Höhe des Hauptsachestreitwerts zu bemessen.
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Das Gericht ist an die Entscheidung, die in den von ihm erlassenen End- und Zwischenurteilen enthalten ist, gebunden.
(1) Die auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergehenden Beschlüsse des Gerichts müssen verkündet werden. Die Vorschriften der §§ 309, 310 Abs. 1 und des § 311 Abs. 4 sind auf Beschlüsse des Gerichts, die Vorschriften des § 312 und des § 317 Abs. 2 Satz 1, 2, Absatz 3 und 4 auf Beschlüsse des Gerichts und auf Verfügungen des Vorsitzenden sowie eines beauftragten oder ersuchten Richters entsprechend anzuwenden.
(2) Nicht verkündete Beschlüsse des Gerichts und nicht verkündete Verfügungen des Vorsitzenden oder eines beauftragten oder ersuchten Richters sind den Parteien formlos mitzuteilen. Enthält die Entscheidung eine Terminsbestimmung oder setzt sie eine Frist in Lauf, so ist sie zuzustellen.
(3) Entscheidungen, die einen Vollstreckungstitel bilden oder die der sofortigen Beschwerde oder der Erinnerung nach § 573 Abs. 1 unterliegen, sind zuzustellen.
(1) Über das Ablehnungsgesuch entscheidet das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung.
(2) Wird ein Richter beim Amtsgericht abgelehnt, so entscheidet ein anderer Richter des Amtsgerichts über das Gesuch. Einer Entscheidung bedarf es nicht, wenn der abgelehnte Richter das Ablehnungsgesuch für begründet hält.
(3) Wird das zur Entscheidung berufene Gericht durch Ausscheiden des abgelehnten Mitglieds beschlussunfähig, so entscheidet das im Rechtszug zunächst höhere Gericht.
(1) Ein abgelehnter Richter hat vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen vorzunehmen, die keinen Aufschub gestatten.
(2) Wird ein Richter während der Verhandlung abgelehnt und würde die Entscheidung über die Ablehnung eine Vertagung der Verhandlung erfordern, so kann der Termin unter Mitwirkung des abgelehnten Richters fortgesetzt werden. Wird die Ablehnung für begründet erklärt, so ist der nach Anbringung des Ablehnungsgesuchs liegende Teil der Verhandlung zu wiederholen.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)