Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 10. Juli 2018 - 3 Ss OWi 870/18

published on 10/07/2018 00:00
Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 10. Juli 2018 - 3 Ss OWi 870/18
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Tatbestand

Das AG hat den Betr. vom Vorwurf der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 54 km/h freigesprochen, weil es aufgrund eines Vergleichs des Messbilder mit dem Betr. zu der Überzeugung gelangte, dass dieser nicht als Fahrer des Tatfahrzeugs in Betracht komme.

Die gegen den Freispruch eingelegte Rechtsbeschwerde der StA führte zur Urteilsaufhebung und Zurückverweisung des Sache.

Gründe

I.

Die statthafte (§ 79 I 1 Nr. 3 OWiG) und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde der StA hat mit der Sachrüge - zumindest vorläufigen – Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die Verfahrensrüge nicht mehr bedarf. Die angefochtene Entscheidung unterliegt der Aufhebung, weil die Darstellung der Gründe schon nicht den Anforderungen an ein freisprechendes Urteil (§ 267 V 1 StPO i.V.m. § 71 I OWiG) genügt und im Übrigen die Beweiswürdigung grundlegende Rechtsfehler aufweist.

1. Kann sich ein Gericht nicht von der Täterschaft eines Betr. überzeugen, ist zunächst der ihm zur Last gelegte Vorwurf aufzuzeigen. Sodann muss in einer geschlossenen Darstellung dargelegt werden, welchen Sachverhalt das Gericht als festgestellt erachtet. Erst auf dieser Grundlage ist zu erörtern, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden können. Dies hat so vollständig und genau zu geschehen, dass das Rechtsbeschwerdegericht in der Lage ist nachzuprüfen, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht (st.Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 24.05.2017 – 2 StR 219/16; 16.06.2016 – 1 StR 50/16 [jeweils bei juris]; 18.05.2016 – 2 StR 7/16 = wistra 2016, 401 und vom 05.02.2013 – 1 StR 405/12 = NJW 2013, 1106 = NStZ 2013, 334; OLG Bamberg, Beschluss vom 13.02.2017 – 3 Ss OWi 68/17 = BA 54, 208; Urt. v. 12.11.2014 – 3 OLG 8 Ss 136/14 = OLGSt StPO § 267 Nr 27, jew. m.w.N.). Lassen sich ausnahmsweise überhaupt keine Feststellungen treffen, was im vorliegenden Verfahren aber von vornherein fern liegt, so ist auch dies in den Urteilsgründen unter Angabe der relevanten Beweismittel darzulegen (vgl. BGH, Urt. v. 10.07.1980 – 4 StR 303/80 = NJW 1980, 2423 = MDR 1980, 949; OLG Bamberg, Beschl. vom 28.09.2017 – 3 Ss OWi 1330/17 [bei juris]).

2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Denn es wird nicht mitgeteilt, welche Feststellungen getroffen werden konnten. Vielmehr beschränkt sich das Tatgericht auf die bloße Schilderung eines Geschwindigkeitsverstoßes und den Hinweis, es könne nicht festgestellt werden, wer der Fahrer gewesen sei, der Betr. sei es jedenfalls nicht gewesen. In diesem Zusammenhang fehlt bereits die Mitteilung, ob und ggf. wie der Betr. sich zu dem Tatvorwurf eingelassen hat. Ferner wären vor allem Feststellungen dazu erforderlich gewesen, ob der Betr. ggf. Eigentümer, Besitzer oder Halter des Fahrzeugs war, mit dem der Geschwindigkeitsverstoß begangen wurde. Denn gerade diesen Umständen käme im Rahmen der gebotenen, vom AG allerdings unterlassenen Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls durchaus ein beachtlicher Indizwert insbesondere unter Berücksichtigung einer etwaigen Einlassung und deren Plausibilität zu (OLG Bamberg a.a.O.). Aufgrund dieses Darstellungsmangels kann der Senat schon im Ansatz nicht prüfen, ob nicht auch Indizien vorhanden sind, die bei der erforderlichen Gesamtschau für eine Täterschaft des Betr. gesprochen hätten. Das AG blendet diese Gesichtspunkte aber von vornherein völlig aus und verstellt sich so den Blick auf eine sorgfältige, dem Tatrichter obliegende Beweiswürdigung, bei der im Rahmen einer Gesamtschau alle für und gegen die Täterschaft des Betr. sprechenden Umstände zu berücksichtigen wären.

3. Von dieser Gesamtwürdigung war das AG auch nicht etwa deshalb enthoben, weil es zu der Überzeugung gelangt war, dass der Betr. nicht der Fahrer gewesen sei, zumal die diesem Ergebnis zugrunde liegende Beweiswürdigung für sich genommen ebenfalls grundlegende Rechtsfehler aufweist. Das AG hat seine Überzeugung auf einen Abgleich des Betr. mit den Messbildern, auf die es gemäß § 46 I OWiG i.V.m. § 267 I 3 StPO in den Urteilsgründen verwiesen hat, gestützt. Sein Ergebnis, dass der Betr. nicht der Fahrer gewesen sei, hat es aber allein damit begründet, dass auf den Messbildern zwar lediglich die Augenpartie und der Mund „uneingeschränkt“ und der „noch erahnbare“ Haaransatz „bedingt“ erkennbar gewesen seien; diese stimmten jedoch mit der Erscheinung des Betr. nicht überein. Hinzu komme, dass der Betr. Brillenträger sei, während der Fahrer auf dem Messfoto keine Brille trage. Allein aufgrund dieser Feststellungen ist das AG zu der Erkenntnis gelangt, dass der Betr. als Fahrer „auszuschließen“ sei. Diese Begründung ist von vornherein nicht tragfähig, weil die Beweiswürdigung auch insoweit lückenbehaftet ist.

a) Das AG zieht schon nicht in Erwägung, dass eine Aussage über die Identität des Betr. mit dem Fahrer bzw. deren positiver Ausschluss, zu dem das AG gelangt ist, deswegen auf einer unsicheren Tatsachenbasis beruht, weil auf den Lichtbildern nach eigener Einschätzung des AG nur wenige Teile des Gesichtes erkennbar sind.

b) Ebenso ist es nicht haltbar, wenn das AG lediglich auf wenige Merkmale (Augenpartie und Nase sowie den nach eigener Einschätzung lediglich „erahnbaren“ Haaransatz) abhebt. Die vom AG gezogene Schlussfolgerung, auf Grund dieser Merkmale sei der Betr. als Fahrer auszuschließen, stellt schon einen Verstoß gegen Denkgesetze dar, weil sich aus einem nur „erahnbahren“ Merkmal nach der Logik ein verlässlicher Schluss auf die Nichtidentität verbietet.

c) Ungeachtet dieser Unzulänglichkeiten ist die Beweiswürdigung aber auch deshalb lückenhaft, weil das AG überhaupt nicht in seine Überlegungen einstellt, dass die vermeintlichen, aufgrund einer bloßen Inaugenscheinnahme konstatierten Abweichungen von Augenpartie und Nase für einen Laien ohne Sachkunde auf dem Gebiet der Anthropologie keine verlässliche Aussage zulassen. Bereits durch technische Einflüsse wie etwa die Brennweite der Kamera, den Abstand zwischen Kamera und Abgebildetem, die Linseneigenschaften, die Beleuchtung und dergleichen mehr kann es für den Betrachter ohne besondere Sachkunde zu scheinbaren Unähnlichkeiten kommen (vgl. hierzu eingehend Buck/Krumholz[Hrsg.]-Rösing, Sachverständigenbeweis im Verkehrs- und Strafrecht, 2. Aufl. S. 302 f.). Ferner können die Ernährung und die Lebensweise ebenso wie Krankheiten zu einer kurzfristigen Beeinflussung der Weichteildicken führen (vgl. Rösing a.a.O. S. 304). Aber auch den sich geradezu aufdrängenden Gesichtspunkt, dass schon durch geringfügige Veränderungen der Mimik sich vermeintliche Unähnlichkeiten einzelner Gesichtspartien ergeben können, hat das AG nicht bedacht, sondern es ist vorschnell und ohne kritische Hinterfragung dieser Selbstverständlichkeiten zu der Überzeugung gelangt, dass der Betr. nicht der Fahrer gewesen sei. Es hat damit eine Sachkunde für sich in Anspruch genommen, über die es erkennbar nicht verfügte.

d) Schließlich ist der Hinweis darauf, der Betr. sei „Brillenträger“, während der Fahrer auf dem Messfoto keine Brille trage, von vornherein verfehlt. Entgegen der Auffassung des AG kommt dem kein Indizwert zu, weil es sich nicht um ein dauerhaftes Merkmal, sondern um einen äußeren Umstand handelt, der jederzeit veränderbar ist.

III.

Auf die Rechtsbeschwerde der StA ist daher das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 353 StPO i.V.m. § 79 III 1 OWiG). Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das AG zurückverwiesen (§ 79 VI OWiG). Der Senat hält es für sachgerecht, dass eine andere Abteilung mit diesem Verfahren befasst wird. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass das AG zur Frage der Identifizierung sachverständige Hilfe in Anspruch nehmen sollte und im Rahmen seiner Aufklärungspflicht (§ 71 I OWiG i.V.m. § 244 II StPO) zu ermitteln haben wird, ob der Betr. zur Tatzeit ggf. Eigentümer, Halter oder Besitzer des Fahrzeugs war. […]

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(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren
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(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren
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published on 05/02/2013 00:00

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Tenor Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 30. Juni 2015, soweit es den Angeklagten         B.       betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
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Annotations

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.