Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 28. Sept. 2017 - 3 Ss OWi 1330/17

published on 28/09/2017 00:00
Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 28. Sept. 2017 - 3 Ss OWi 1330/17
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Tenor

Tatbestand

Das AG hat den Betr. vom Vorwurf der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften (§§ 3 III Nr. 2c; 49 I Nr. 3 StVO) in zwei Fällen, begangen als Führer eines Kraftrads am 08.05.2016 um 19.24 Uhr und – in die Gegenrichtung fahrend - um 19.25 Uhr, mit Urteil vom 16.05.2017 freigesprochen, weil es sich nach Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens nicht davon überzeugen konnte, dass der Betr. das Kraftrad geführt hat. Gegen diese Entscheidung wendet sich die StA mit der Rechtsbeschwerde, die sie mit der Sachrüge begründet. Ihr Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung des Urteils.

Gründe

I. Die statthafte (§ 79 I 1 Nr. 3 OWiG) und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde der StA hat - zumindest vorläufigen - Erfolg.

1. Die angefochtene Entscheidung unterliegt schon deswegen der Aufhebung, weil die Darstellung der Gründe nicht den Anforderungen an ein freisprechendes Urteil (§ 267 V 1 StPO i.V.m. § 71 I OWiG) genügt.

a) Kann sich ein Gericht nicht von der Täterschaft eines Betr. überzeugen, ist zunächst der ihm zur Last gelegte Vorwurf aufzuzeigen. Sodann muss in einer geschlossenen Darstellung dargelegt werden, welchen Sachverhalt das Gericht als festgestellt erachtet. Erst auf dieser Grundlage ist zu erörtern, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden können. Dies hat so vollständig und genau zu geschehen, dass das Rechtsbeschwerdegericht in der Lage ist nachzuprüfen, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht (st.Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 24.05.2017 – 2 StR 219/16; 16.06.2016 – 1 StR 50/16 [jeweils bei juris]; 18.05.2016 – 2 StR 7/16 = wistra 2016, 401 u. 05.02.2013 – 1 StR 405/12 = NJW 2013, 1106 = NStZ 2013, 334; OLG Bamberg, Beschluss vom 13.02.2017 – 3 Ss OWi 68/17 = BA 54 [2017], 208; Urt. v. 12.11.2014 – 3 OLG 8 Ss 136/14 = OLGSt StPO § 267 Nr 27, jeweils m.w.N.). Lassen sich ausnahmsweise überhaupt keine Feststellungen treffen, was im vorliegenden Verfahren aber gänzlich unwahrscheinlich erscheint, zumal immerhin Geschwindigkeitsmessungen mit Lichtbildanfertigungen durchgeführt wurden, so ist auch dies in den Urteilsgründen unter Angabe der relevanten Beweismittel darzulegen (vgl. BGH, Urt. v. 10.07.1980 – 4 StR 303/80 = NJW 1980, 2423 = MDR 1980, 949).

b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Denn es wird nicht mitgeteilt, welche Feststellungen getroffen werden konnten. Vielmehr beschränkt sich das Tatgericht auf die Wiedergabe des anthropologischen Sachverständigengutachtens ohne jede weitere Beweiswürdigung und vor allem ohne Mitteilung sonstiger Tatumstände. In diesem Zusammenhang wären insbesondere Feststellungen dazu erforderlich gewesen, ob und mit welchem Fahrzeug ein Geschwindigkeitsverstoß verwirklicht wurde und ob der Betr. ggf. Eigentümer, Besitzer oder Halter des Fahrzeugs war. Denn gerade diesen Gesichtspunkten käme im Rahmen der gebotenen, vom AG allerdings unterlassenen Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls erheblicher Indizwert zu. Aufgrund dieses Darstellungsmangels kann der Senat schon im Ansatz nicht prüfen, ob nicht weitere Indizien vorhanden sind, die bei der erforderlichen Gesamtschau mit dem Sachverständigengutachten, das immerhin konstatiert hat, dass trotz des vom Fahrer getragenen Integralhelms 10 bzw. 11 von 28 Merkmalskomplexen abgeglichen werden konnten mit dem Resultat des vierthöchsten positiven Wahrscheinlichkeitsprädikats, ein anderes Ergebnis gerechtfertigt hätten.

2. Unabhängig hiervon ist aber auch die Beweiswürdigung als solche rechtsfehlerhaft.

a) Die bloße Mitteilung, der Sachverständige habe 10 bzw. 11 von 28 Merkmalskomplexen abgleichen können, genügt bereits nicht den Anforderungen an eine ausreichende Darstellung. Um dem Senat die Überprüfung der Schlüssigkeit eines anthropologischen Gutachtens und seines Beweiswertes zu ermöglichen, hätte zumindest dargelegt werden müssen, auf welche und wie viele übereinstimmende metrische und deskriptive Körpermerkmale der Sachverständige sich bei seiner Bewertung gestützt und auf welche Art und Weise er diese Übereinstimmungen ermittelt hat (vgl. nur OLG Bamberg, Beschluss vom 06.04.2010 – 3 Ss OWi 378/10 = DAR 2010, 390 = ZfS 2010, 469 = SVR 2011, 344 = StV 2011, 717 m.w.N.).

b) Da die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen beim freisprechenden Urteil nicht geringer als im Fall der Verurteilung sind (vgl. nur BGH, Urt. v. 02.02.2017 – 4 StR 423/16 [bei juris]; OLG Bamberg, Beschluss vom 25.04.2012 – 3 Ss OWi 468/12 = DAR 2013, 282 = BA 50, 86 = OLGSt OWiG § 71 Nr. 4), konnte auf diese Darstellung schon deswegen nicht verzichtet werden. Dies gilt umso mehr, als den näher zu beschreibenden Körpermerkmalen - abhängig von individueller Erscheinungsform und Prägnanz - ein unterschiedlicher Beweiswert zukommen kann.

c) Darüber hinaus unterlässt das AG auch die gebotene Gesamtschau der Umstände des Einzelfalls (st.Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 21.03.2017 – 5 StR 511/16 [bei juris]) und fokussiert sich stattdessen ausschließlich auf das Ergebnis des Sachverständigengutachtens, das im Übrigen keineswegs die Täterschaft ausschließt, sondern sogar als wahrscheinlich bezeichnet.

II. Auf die Rechtsbeschwerde der StA ist daher das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 353 StPO i.V.m. § 79 III 1 OWiG). Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das AG zurückverwiesen (§ 79 VI OWiG).

III. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass das AG im Rahmen seiner Aufklärungspflicht (§ 71 I OWiG i.V.m. § 244 II StPO) auch den weiteren in der Rechtsbeschwerdebegründungsschrift geschilderten Ermittlungsergebnissen nachzugehen haben wird, die allerdings vom Rechtsbeschwerdegericht aufgrund der allein erhobenen Sachrüge als urteilsfremder Vortrag nicht berücksichtigt werden konnten, sondern der Aufklärungsrüge bedurft hätten, die nicht, jedenfalls nicht in der gebotenen Form (§ 79 III 1 OWiG i.V.m. § 344 II 2 StPO) erhoben wurde. […]

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(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese
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(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese
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Annotations

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

(1) Das Verfahren nach zulässigem Einspruch richtet sich, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung, die nach zulässigem Einspruch gegen einen Strafbefehl gelten.

(2) Zur besseren Aufklärung der Sache kann das Gericht

1.
einzelne Beweiserhebungen anordnen,
2.
von Behörden und sonstigen Stellen die Abgaben von Erklärungen über dienstliche Wahrnehmungen, Untersuchungen und Erkenntnisse (§ 77a Abs. 2) verlangen.
Zur Vorbereitung der Hauptverhandlung kann das Gericht auch dem Betroffenen Gelegenheit geben, sich innerhalb einer zu bestimmenden Frist dazu zu äußern, ob und welche Tatsachen und Beweismittel er zu seiner Entlastung vorbringen will; § 69 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 ist anzuwenden.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.