Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 27. Okt. 2008 - L 2 R 49/08
Gericht
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 24.7.2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten über die Höhe der zu erstattenden Kosten anwaltlicher Vertretung in einem Widerspruchsverfahren.
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Die 1987 geborene Klägerin beantragte im März 2006 bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.
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Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 24.4.2006 ab.
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Dagegen legte die Klägerin durch ihre anwaltliche Prozessbevollmächtigte Widerspruch ein. Dieser wurde mit zwei dreiseitigen Schriftsätzen vom Mai 2006 und Juni 2006 begründet.
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Der Beratungsarzt Dr. L. wies in einer daraufhin eingeholten Stellungnahme vom Juni 2006 darauf hin, dass seiner Auffassung nach die Erkrankungen der Klägerin ihrer beruflichen Tätigkeit als Auszubildende zur Rechtsanwaltsgehilfin nicht entgegenstünden, empfahl allerdings die Einholung eines lungenfachärztlichen Gutachtens. Nach Auswertung des daraufhin eingeholten Gutachtens von Dr. W. vom November 2006, der eine stationäre Reha-Maßnahme als gerechtfertigt ansah, half die Beklagte dem Widerspruch in vollem Umfang ab und bewilligte mit Bescheid vom 24.11.2006 die beantragte Leistung.
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Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin übersandte der Beklagten im November 2006 eine Kostenrechnung, mit der sie Gebühren nach § 3 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) in Höhe von insgesamt 680,34 EUR geltend machte. Der Betrag setzte sich wie folgt zusammen:
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Geschäftsgebühr nach Nr 2500 VV RVG
280,00 EUR
Erledigungsgebühr nach Nr 1005, 1002 VV RVG
280,00 EUR
Auslagenpauschale nach Nr 7002 VV RVG
20,00 EUR
Fotokopiekosten für Fertigung Aktenauszug (13)
6,50 EUR
16% Umsatzsteuer
93,84 EUR
SUMME
680,34 EUR
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Die Beklagte setzte die zu erstattenden Kosten mit Bescheid vom 3.1.2007 lediglich auf 355,54 EUR fest. Die beanspruchte Erledigungsgebühr der Nr 1005 des Vergütungsverzeichnisses (VV) zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) sei nicht angefallen. Das Widerspruchsverfahren habe sich nicht in vergleichsähnlicher Weise durch ein gegenseitiges Nachgeben erledigt. Außerdem habe es an der erforderlichen anwaltlichen Mitwirkung gefehlt.
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Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 15.2.2007 als unbegründet zurückgewiesen.
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Sie hat vorgetragen, für den Anfall der Erledigungsgebühr sei maßgebend, ob die Beklagte auf Grund ihrer anwaltlichen Tätigkeit ihren bisherigen ungünstigen Standpunkt aufgegeben und dem Widerspruch in vollem Umfang abgeholfen habe. Sie verweise insoweit auf das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 19.4.2005 - S 13 KR 15/05. Aufgrund der nunmehr vorliegenden Urteile des Bundessozialgerichts vom 7.11. 2006 (B 1 KR 13/06 R; B 1 KR 22/R und B 1 KR 23/06 R) ergebe sich keine andere Beurteilung, weil sich aus den im Widerspruchsverfahren eingereichten Schriftsätzen ein besonderes Bemühen ergebe, das sich nicht nur im Umfang, sondern auch hinsichtlich des Inhalts zeige.
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Die Beklagte hat erwidert, nach Erhebung des Widerspruchs sei ein Gutachten eingeholt und nach dessen Auswertung umgehend eine volle Abhilfe erfolgt. Bei dieser Sachlage erfülle die Tätigkeit der Bevollmächtigten der Klägerin nicht die Voraussetzungen der Mitwirkung nach der Nummer 1002 VV RVG, so dass die Erledigungsgebühr nicht verlangt werden könne.
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Mit Urteil vom 24.7.2007 hat das SG die angefochtenen Bescheide abgeändert und die Beklagte zur Zahlung weiterer 324,80 EUR (Erledigungsgebühr 280 EUR nebst darauf entfallende Umsatzsteuer 44,80 EUR) verurteilt.
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Gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem ihr am 4.9.2007 zugegangenen Urteil hat die Beklagte am 21.9.2007 Beschwerde beim Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) eingelegt.
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Mit Beschluss vom 22.1.2008 hat das LSG die Berufung zugelassen.
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Die Beklagte trägt vor, alleine die sorgfältige Begründung eines Widerspruchs reiche nicht aus, um den Gebührentatbestand der Erledigungsgebühr nach Nr 1005, 1002 VV RVG auszulösen.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 24.7.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte und der die Klägerin betreffenden Reha-Akte der Beklagten Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
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Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt hatten.
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Die vom Senat zugelassene Berufung der Beklagten ist begründet.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höhere als die mit dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss festgesetzten Gebühren. Die Beklagte hat den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen zutreffend mit 324,80 EUR festgesetzt. Die Erledigungsgebühr nach Nr. 1002, 1005 VV RVG ist nicht angefallen. Das erstinstanzliche Urteil war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Höhe der zu erstattenden Aufwendungen richtet sich nach § 63 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch. Danach hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, einem Widerspruchsführer die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich war. § 63 Abs. 2 SGB X bestimmt, dass die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts im Vorverfahren erstattungsfähig sind, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Gemäß § 63 Abs. 3 Hs 1 SGB X setzt die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest. Die Höhe der Gebühren und Auslagen für anwaltliche Tätigkeiten der Rechtsanwälte richtet sich nach dem am 1.7.2004 in Kraft getretenen RVG in Verbindung mit dem als Anlage angefügten Vergütungsverzeichnis (VV), § 2 Abs 2 Satz 1 RVG, weil die Beauftragung der Bevollmächtigten nach diesem Stichtag erfolgt ist.
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Zwischen den Beteiligten steht nicht im Streit, dass der Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Verfahrensgebühr nach Nr. 2400 (nicht 2500) VV RVG, die Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG, die Kopiekosten nach Nr. 7000 VV RVG und die darauf entfallende Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG von der Beklagten zu erstatten sind.
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Ein höherer Erstattungsbetrag käme dann in Betracht, wenn zusätzlich eine Erledigungsgebühr angefallen wäre. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die zusätzlich berechnete Erledigungsgebühr nach Nr 1005, 1002 VV RVG jedoch nicht entstanden.
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Gemäß Nr 1005 VV RVG betragen die Gebühren für die „Einigung oder Erledigung in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG)“, 40 EUR bis 520 EUR. Ginge es um ein gerichtliches Verfahren, entstünden Betragsrahmengebühren, da die Klägerin Ansprüche als Versicherte geltend gemacht hat (§ 3 Abs 1 RVG; § 83 Satz 1 SGG). Um den og. Begriff der „Erledigung“ auszufüllen, verweist Nr 1005 VV RVG auf Nr 1002 VV RVG. Die Erläuterung zu Nr 1002 VV RVG bestimmt in Satz 1, dass die Gebühr entsteht, wenn sich „eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt“. Das Gleiche gilt nach Satz 2, „wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt“.
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Die Voraussetzung der Nrn 1005, 1002 VV RVG, dass sich die Rechtssache "durch die anwaltliche Mitwirkung" erledigt hat, ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
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Wie das BSG in den Urteilen vom 7.11.2007 (B 1 KR 13/06 R; B 1 KR 22/R und B 1 KR 23/06 R) ausgeführt hat, verlangt die Gebührenposition im Widerspruchsverfahren eine Tätigkeit des Rechtsanwalts, die über die bloße Einlegung und Begründung des Widerspruchs hinausgeht (vgl. auch von Eicken in: Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG Nr 1002 VV, RdNr 18f mwN; Hartmann, Kostengesetze, 1002 VV RVG RdNr 11 mwN).
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Das ergibt sich -so das BSG- aus dem Wortlaut der Nr 1005 VV RVG, ihrem systematischem Zusammenhang mit vergleichbaren Gebührenpositionen, Sinn und Zweck der Regelung sowie ihrer Entstehungsgeschichte.
- 32
Bereits das Wort „Mitwirkung“ bedeute nach dem Sprachgebrauch in diesem Zusammenhang mehr als die bloße „Anwesenheit“, „Einschaltung“ oder „Hinzuziehung“ eines Rechtsanwalts (Hartmann, aaO, 1002 VV RVG RdNr 11) und erfordere deshalb ein auf die Erledigung der Rechtssache gerichtetes Tätigwerden, das über die reine Widerspruchseinlegung und -begründung hinausgehe (BSG, aaO).
- 33
Auch die Regelungssystematik des VV RVG bestätige das Erfordernis einer qualifizierten erledigungsgerichteten Mitwirkung des Rechtsanwalts. Die Erledigungsgebühr der Nr 1002 VV RVG befinde sich nämlich als dritter geregelter Fall der „allgemeinen Gebühren“, die neben den in anderen Teilen bestimmten Gebühren stehen, in einem engen Regelungszusammenhang mit der Einigungsgebühr (Nr 1000 VV RVG) und der Aussöhnungsgebühr (Nr 1001 VV RVG). Die Einigungsgebühr entstehe für die Mitwirkung des Anwalts beim Abschluss eines (streitbeendenden) Vergleichsvertrages (vgl dazu zB BAG , Beschluss vom 29.3.2006 - 3 AZB 69/05, NJW 2006, 1997), die Aussöhnungsgebühr dann, wenn die anwaltliche Tätigkeit dazu geführt habe, dass sich scheidungswillige Eheleute aussöhnen und die eheliche Lebensgemeinschaft fortsetzen oder wieder aufnehmen. Auch in diesen anderen Fällen sei der Rechtsanwalt in einer Weise tätig geworden, die über die allgemeine Wahrnehmung verfahrensmäßiger bzw rechtlicher Interessen für seinen Mandanten hinausgehe und damit eine Entstehung neben den in anderen Teilen bestimmten Gebühren rechtfertige. Für die Auslegung der Nr 1002 VV RVG und damit insoweit auch der Nr 1005 VV RVG habe dann Gleiches zu gelten (BSG, aaO).
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Auch der systematische Zusammenhang von Nr 1005 mit Nr 1006 VV RVG entsprechend dem von Nr 1002 VV RVG mit der Nr 1003 VV RVG zeige, dass die anwaltliche Mitwirkung gerade auf die Vermeidung einer gerichtlichen Auseinandersetzung gerichtet sein müsse; denn sofern bereits ein gerichtliches Verfahren über eine Rechtssache anhängig sei, verringere sich danach die Gebühr nach Nr 1005 VV RVG. Die Erledigungsgebühr entstehe andererseits überhaupt nur dann, wenn es der an sich vom Rechtsuchenden begehrten streitigen Entscheidung des zuständigen Gerichts nicht bedürfe. Trotz der Unterschiede zwischen gerichtlichem Verfahren und Widerspruchsverfahren könne daraus jedenfalls entnommen werden, dass die Tätigkeit des Rechtsanwalts primär auf eine nichtstreitige Erledigung gerichtet sein müsse, um zu einer zusätzlichen Gebühr nach Nr 1005 VV RVG zu führen. Von einer solchen Form der Erledigung könne indessen nicht stets schon dann die Rede sein, wenn die Abhilfeentscheidung in erster Linie auf einen alsbaldigen Erkenntnisgewinn der Behörde im Rahmen ihrer gesetzlichen Pflicht zur Überprüfung der Sach- und Rechtslage (§ 78 Abs 1, 3 SGG) zurückzuführen sei (BSG aaO).
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Sinn und Zweck von Nr 1005 VV RVG entspreche es ebenfalls allein -so das BSG-, vom Rechtsanwalt eine besondere Mitwirkung bei der Erledigung der Rechtssache zu verlangen. Die Gebührentatbestände der Nr 1000ff VV RVG hätten nämlich durch die erfolgende zusätzliche Honorierung die streitvermeidende Tätigkeit des Rechtsanwalts fördern und damit eine gerichtsentlastende Wirkung herbeiführen sollen (vgl Entwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts, BT-Drucks 15/1971 S 204 zu Nr 1002 VV).
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Die Richtigkeit der Auslegung werde -so das BSG- schließlich durch die Gesetzesmaterialien zum RVG bestätigt. Danach entstamme Nr 1002 VV RVG, dementsprechend aber auch Nr 1005 VV RVG, dem bis 30.6.2004 geltenden § 24 BRAGO. Die Regelungen hätten, selbst soweit sie über dessen Regelungsgehalt hinausgehen, der schon zu dieser Vorgängerregelung in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung entsprechen sollen (vgl BT-Drucks 15/1971, aaO, S 204). Nach § 24 BRAGO habe der Rechtsanwalt eine volle Gebühr erhalten, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Zurücknahme oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsaktes erledige und der Rechtsanwalt bei der Erledigung mitgewirkt habe (Erledigungsgebühr). In den Verfahren nach § 183 SGG erhöhte sich gemäß § 116 IV BRAGO in diesen Fällen der Betragsrahmen. Das setzte nach der Rechtsprechung des BSG ein „besonderes Bemühen“ des Rechtsanwalts um eine außergerichtliche Erledigung des Rechtsstreits voraus. Um die erhöhte Gebühr beanspruchen zu können, habe der Rechtsanwalt auch im isolierten Vorverfahren ein besonderes Bemühen um eine Einigung - sei es durch Einwirkung auf seinen Mandanten oder auf die Behörde - an den Tag legen müssen (vgl BSG SozR 3-1930 § 116 Nr 9 S 29). Diese Rechtsprechung sei nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers auch auf Nr 1005 VV RVG zu übertragen (ebenso: von Eicken in: aaO, Nr 1002 RdNr 1). Insoweit sei auch nichts daraus abzuleiten, dass mit dem RVG erstmals eine Sondergebühr für die Erledigung einer Rechtssache eingeführt worden sei (anders SG Aachen , Beschluss vom 16. 3. 2005 - S 11 RJ 90/04).
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Im vorliegenden Fall hat die Bevollmächtigte der Klägerin zwar eine Tätigkeit entfaltet, die sich nicht lediglich mit der Einlegung und Begründung des Widerspruchs unter Hinweis auf die tatsächlichen Verhältnisse erschöpfte. Sie hat mit ihrer ausführlichen Widerspruchsbegründung im Sinne einer conditio sine qua non erkennbar daran mitgewirkt, dass die Beklagte vom Standpunkt der Klägerin überzeugt wurde und ihr deshalb die begehrte Reha-Maßnahme gewährte.
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Allerdings trifft nicht zu, dass die anwaltliche Tätigkeit die entscheidende Ursache für die volle Abhilfe gesetzt hat. Die Widerspruchsbegründung vom Juni 2006 hat den Beratungsarzt Dr. L. gerade nicht überzeugt. Dieser wies vielmehr darauf hin, dass seiner Auffassung nach die Erkrankungen der Klägerin ihrer Tätigkeit als Auszubildende zur Rechtsanwaltsgehilfin nicht entgegenstünden. Er empfahl allerdings ungeachtet dessen die Einholung eines lungenfachärztlichen Gutachtens. Erst nach Auswertung des daraufhin eingeholten Gutachtens von Dr. W. vom November 2006, der eine stationäre Reha-Maßnahme als gerechtfertigt ansah, half die Beklagte dem Widerspruch in vollem Umfang ab. Zu dem Zeitpunkt, als die Ermittlungen in die Wege geleitet wurden, war mithin noch völlig offen, ob dem Widerspruch abgeholfen werden würde oder nicht, zumal der Beratungsarzt das Begehren als nicht gerechtfertigt ansah. Folglich hing die Entscheidung erkennbar von dem Ergebnis des eingeholten Gutachtens ab. Der Geschehensablauf macht deutlich, dass primär nicht die besondere anwaltliche Tätigkeit, sondern das Gutachtensergebnis die Beklagte zur Änderung ihres Standpunktes bewegt hat. Nach den zuvor wiedergegebenen Grundsätzen des BSG fehlt es mithin an der erforderlichen qualifizierten Mitwirkung an der Erledigung, weil die Abhilfeentscheidung primär auf einem alsbaldigen Erkenntnisgewinn der Behörde im Rahmen ihrer gesetzlichen Pflicht zur Überprüfung der Sach- und Rechtslage beruhte.
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Selbst wenn man dies anders beurteilen und annehmen würde, dass die Bevollmächtigte des Klägers an der außergerichtlichen Erledigung mit ihren Schriftsätzen vom Mai und Juni 2006 wesentlich mitgewirkt hätte, käme eine Erledigungsgebühr nicht in Betracht.
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Denn es ist keine anwaltliche Tätigkeit erbracht worden, die über das Maß desjenigen hinausgeht, das schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren abgegolten wird. Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Widerspruch qualifiziert begründet worden ist. Ein Prozessbevollmächtigter ist allerdings seinem Mandanten gegenüber verpflichtet, das Verfahren in jedem Stadium mit der gebotenen Sorgfalt zu betreiben. Es versteht sich von selbst, dass der Prozessbevollmächtigte in möglichst überzeugender Weise alle Argumente vorträgt, die der Klage seines Mandanten zum Erfolg verhelfen könnten. Dies ist keine besondere Leistung, die nicht bereits mit der Prozessgebühr abgegolten wäre. Ein gerade auf eine Erledigung gerichtetes qualifiziertes Mitwirken ist dagegen nicht erkennbar.
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Bereits die Vorgängervorschrift (§ 24 BRAGO i.d.F. des Art. 3 Nr. 13 des Gesetzes vom 20.8.1975, BGBl I, 2189) hat das BSG in Übereinstimmung mit der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung -den Wortlaut der Vorschrift einengend- dahingehend ausgelegt, dass das Einlenken einer Behörde als Folge schriftlicher oder mündlicher Ausführungen des Anwalts als nicht genügend angesehen wurde (BSG-Urteil vom 5.10.2006 – B 10 LW 5/05, Urteil vom 9.8.1995 – 9 RVs 7/94, BVerwGE- Urteil vom 4.10.1985 - 8 C 8/83 und vom 21.8.1981- 4 C 60/79; ebenso LSG Rheinland/Pfalz, Urteil vom 26.6.2002 - L 6 RI 143/02). Bereits dem Wortlaut des § 24 BRAGO war -wie auch dem Wortlaut der Nr. 1002 VV RVG- keine solche Einschränkung des Anwendungsbereichs zu entnehmen. Fast wortgleich zu Nr. 1002 Satz 1 VV RVG hatte § 24 BRAGO für das Entstehen der Erledigungsgebühr vorausgesetzt, dass sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Zurücknahme oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsaktes erledigte und der Rechtsanwalt bei der Erledigung mitgewirkt hatte.
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Den Materialien zum RVG ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung in Satz 2 des Nr. 1002 VV RVG lediglich eine Gleichstellung von Anfechtungs- und Verpflichtungswidersprüchen festschreiben wollte. Weitergehende Änderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage oder eine Abweichung gegenüber der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung sind dagegen aus der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen. Den Urteilen des BSG vom 7.11.2006 (aaO) ist ebenfalls keine Abweichung zur früheren Rechtsprechung zu entnehmen, auch wenn sich das BSG zur Frage der inhaltlichen Ausgestaltung der anwaltlichen Mitwirkung nicht äußerte. An mehreren Stellen dieser Urteile wird allerdings die Kontinuität der Regelungen betont und es werden Argumente aufgeführt (Regelungszusammenhang, Systematik, Sinn und Zweck), die für das Erfordernis einer qualifizierten anwaltlichen Mitwirkung sprechen. Nach Auffassung des Senats ist daher kein überzeugender Grund dafür ersichtlich, weshalb die zur Vorschrift des § 24 BRAGO (und dem darauf verweisenden § 116 Abs 3 BRAGO) ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung nicht auch für die Auslegung der Nrn. 1005, 1002 VV RVG herangezogen werden sollte.
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Nach alledem war der Berufung der Beklagten stattzugeben, das Urteil des Sozialgericht Trier aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Annotations
(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.
(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Soweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Dies gilt auch, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 unbeachtlich ist. Aufwendungen, die durch das Verschulden eines Erstattungsberechtigten entstanden sind, hat dieser selbst zu tragen; das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen.
(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.
(3) Die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, setzt auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest; hat ein Ausschuss oder Beirat die Kostenentscheidung getroffen, obliegt die Kostenfestsetzung der Behörde, bei der der Ausschuss oder Beirat gebildet ist. Die Kostenentscheidung bestimmt auch, ob die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten notwendig war.
(1) Die Gebühren werden, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, nach dem Wert berechnet, den der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit hat (Gegenstandswert).
(2) Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zu diesem Gesetz. Gebühren werden auf den nächstliegenden Cent auf- oder abgerundet; 0,5 Cent werden aufgerundet.
(1) In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, entstehen Betragsrahmengebühren. In sonstigen Verfahren werden die Gebühren nach dem Gegenstandswert berechnet, wenn der Auftraggeber nicht zu den in § 183 des Sozialgerichtsgesetzes genannten Personen gehört; im Verfahren nach § 201 Absatz 1 des Sozialgerichtsgesetzes werden die Gebühren immer nach dem Gegenstandswert berechnet. In Verfahren wegen überlanger Gerichtsverfahren (§ 202 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes) werden die Gebühren nach dem Gegenstandswert berechnet.
(2) Absatz 1 gilt entsprechend für eine Tätigkeit außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens.
Das Vorverfahren beginnt mit der Erhebung des Widerspruchs.
(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Eines Vorverfahrens bedarf es nicht, wenn
- 1.
ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt oder - 2.
der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde, einer obersten Landesbehörde oder von dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt, oder - 3.
ein Land, ein Versicherungsträger oder einer seiner Verbände klagen will.
(2) (weggefallen)
(3) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.
Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.