Landgericht Wuppertal Beschluss, 05. Jan. 2015 - 9 T 2/15
Gericht
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
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G r ü n d e :
2I.
3Das Amtsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss den Antrag auf vorläufige Ingewahrsamnahme sowie Anordnung der Sicherungshaft zurückgewiesen (Bl. 12ff der Akten).Hiergegen hat der Antragsteller mit am 29.12.2014 eingegangenem Schreiben vom 22.12.2014 Beschwerde eingelegt (Bl. 54ff der Akten) und ausgeführt, die Ausländerbehörde sei regelmäßig organisatorisch nicht in der Lage, den Transport eines Abschiebehäftlinges in die Hafteinrichtung Berlin Köpenick unmittelbar nach Haftbeschluss durchzuführen, weshalb es erforderlich sei, Personen im Wege der Amtshilfe gegebenenfalls kurzfristig in einem Polizeigewahrsam unterzubringen, um den Transport in eine Hafteinrichtung vorzubereiten. Die grundsätzliche organisatorische Regelung zur Überstellung in die eigentliche Hafteinrichtung habe das Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen durch Erlass vom 18.8.2014 für zulässig erklärt (Bl. 17 der Akten).Das Amtsgericht hat der Beschwerde am 30.1.2014 nicht abgeholfen und sie der Kammer zur Entscheidung vorgelegt, bei deren Geschäftsstelle sie am heutigen Tage eingegangen ist. Nach dem Schreiben der Ausländerbehörde, so das Amtsgericht, solle der Betroffene am 5.1.2015 in Haft genommen, nach Berlin gebracht und von dort aus am 7.1.2015 nach Frankfurt/Main transportiert werden. Daraus ergebe sich, dass der Großteil der beabsichtigten Haft gerade nicht in einer speziellen Hafteinrichtung erfolgen solle. Dieses Dilemma sei darauf zurückzuführen, dass sich das Land der gesetzlichen Forderung, solche Einrichtungen zu schaffen, bewusst verschlossen habe (Bl. 18 der Akten).
4II.
51. Die Beschwerde ist gemäß § 58 I FamFG zulässig.Der Antragsteller ist gemäß § 59 II FamFG beschwerdeberechtigt. Die Beschwerde ist fristgemäß im Sinne von § 63 I FamFG binnen Monatsfrist eingelegt worden.2. Die Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das Amtsgericht den Antrag auf Anordnung der Sicherungshaft zurückgewiesen.Dabei kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen für den Erlass eines Sicherungshaftbefehles im Übrigen vorliegen würden. Das ist allerdings zweifelhaft. So ist die Ausländerakte entgegen § 417 III FamFG mit dem Antrag nicht vorgelegt worden. Der Antragsteller hat auch nicht vorgetragen, dass sich aus der Ausländerakte keine weiteren Erkenntnisse ergeben würden.Jedenfalls hat das Amtsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass nach § 427 FamFG eine einstweilige Anordnung betreffend die vorläufige Freiheitsentziehung nur ergehen dürfe, wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen würden, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Freiheitsentziehung gegeben seien, was hier jedoch nicht der Fall sei, weil der Antragsteller angekündigt habe, eine rechtswidrige Vollzugspraxis betreiben zu wollen, indem der Betroffene nach Anordnung der Haft für eine Nacht im Polizeigewahrsam verbleiben solle, während der Vollzug der Abschiebungshaft nur in speziellen Einrichtungen zulässig sei. Im Wesentlichen hat das Amtsgericht unter Bezugnahme auf seine, von der Beschwerdekammer (9 T 165/14) gebilligte, Entscheidung in der Sache 902 XIV (B) 10/14 zur Begründung ausgeführt:Das Gericht hat den Antrag auf Anordnung der Sicherungshaft zurückzuweisen, wenn ein Verstoß gegen die Formvorschriften des Haftvollzuges erkennbar gegeben ist, da der Betroffene nicht sehenden Auges in eine rechtswidrige Vollzugspraxis übergeben werden kann. Ein solcher Verstoß liegt hier jedoch auf der Hand. Nach § 62a I Aufenthaltsgesetz ist die Abschiebehaft in speziellen Hafteinrichtungen zu vollziehen. Für das Vorhandensein einer geeigneten Einrichtung ist europarechtskonform auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland abzustellen. Folgerichtig soll nach dem Antrag der Ausländerbehörde im vorliegenden Fall der Vollzug der Haft nach dem Wochenende ab dem 3.11.2014 in einer geeigneten Einrichtung in Berlin erfolgen, weil Nordrhein-Westfalen nicht über eine geeignete Einrichtung verfügt. Davor soll der Vollzug für 3 Tage im Polizeigewahrsam stattfinden. Ein solcher Vollzug ist jedoch rechtswidrig. Selbstverständlich handelt es sich beim Polizeigewahrsam nicht um eine spezielle Hafteinrichtung im Sinne der oben genannten Vorschrift. Auch ist diese Vorschrift erkennbar von dem Grundgedanken getragen, das Vollzugseinrichtungen für die Abschiebehaft einen höheren Standard als übliche Justizvollzugsanstalten haben sollen. Die Einschränkungen durch die Haft sollen so gering wie möglich gehalten werden, da sich die Inhaftierten gerade keiner Straftat schuldig gemacht haben. Ein Polizeigewahrsam ist von seiner üblichen bestimmungsgemäßen Einrichtung her mit einem weit schlechteren Standard ausgestattet als jegliche Haft-Einrichtung des Justizvollzuges, da dort üblicherweise Menschen nur für einige Stunden festgehalten werden. Der Häftling ist dort gezwungen, den ganzen Tag in einer Zelle, die neben einer sanitären Einrichtung lediglich mit einer Matratze ausgestattet ist, zu verbringen. Eine Nachfrage bei der Polizei ergab, dass aufgrund der personellen Ausstattung weder eine Zellenöffnung mit der Möglichkeit, sich frei auf dem Flur zu bewegen, noch gar ein Aufenthalt im Freien gewährleistet werden kann. Damit sind nicht einmal die Mindeststandards des Justizvollzugsgesetzes gegeben. Im Übrigen begegnet aber auch ein nur kurzzeitiger Vollzug der Sicherungshaft nach ihrer Anordnung im Polizeigewahrsam erheblichen Bedenken. § 62a Aufenthaltsgesetz gilt für die gesamte Dauer der Abschiebehaft nach deren Anordnung durch ein Gericht. Aus diesem Grunde gehen die Erwägungen aus dem Erlass des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18.8.2014, wonach die Rückführungsrichtlinie keine Regelung enthalte, in welcher Einrichtung der Betroffene nach seinem Aufgriff festgehalten werde, ins Leere. Auch die weitere Erwägung in dem Erlass, dass der EuGH empfohlen habe, im Rahmen der Verwaltungszusammenarbeit spezielle Hafteinrichtungen anderer Bundesländer zu nutzen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Diese Empfehlung enthebt die Ausländerbehörde nicht von ihrer Verpflichtung, den Betroffenen unverzüglich in eine geeignete Einrichtung zu verbringen. Mit ihr lässt sich eine regelmäßige Übung der Unterbringung von Betroffenen im Polizeigewahrsam an Wochenenden nicht vereinbaren. Diese Auffassung wird durch die Richtlinie 2008/115/EG bestätigt. Aus ihr ergibt sich, dass der Vollzug der Haft grundsätzlich in besonderen Einrichtungen zu erfolgen hat. Eine Ausnahmeregelung gilt insoweit für Notlagen gemäß Art. 18 der RLUmsG 2011, wonach, wenn eine außergewöhnlich große Zahl von Drittstaatsangehörigen, deren Rückkehr sicherzustellen ist, zu einer unvorhersehbaren Überlastung der Kapazitäten der Hafteinrichtungen eines Mitgliedstaates führt, dringliche Maßnahmen in Bezug auf die Haftbedingungen ergriffen werden können, die von den Haftbedingungen nach den Artikeln 16 I und 17 II abweichen. Dieser Artikel ist nicht so auszulegen, als gestatte er den Mitgliedstaaten eine Abweichung von ihrer allgemeinen Verpflichtung, alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um zu gewährleisten, dass sie ihren aus dieser Richtlinie hervorgehenden Verpflichtungen nachkommen. Aus dieser Vorschrift ergibt sich, dass sie voraussetzt, dass das Land Nordrhein-Westfalen seine Verpflichtung, geeignete Aufnahmeeinrichtungen vorzuhalten, vollständig erfüllt hat, und ein Notfall daher nur dann vorliegen kann, wenn trotz Bestehens einer solchen Einrichtung aufgrund meist unvorhersehbarer Umstände im Einzelfall einer Unterbringung in einer solchen Einrichtung nicht erfolgen kann. Hierzu kann eine vom Land selbstverschuldete Notlage, geeignete Einrichtungen nicht geschaffen zu haben, ersichtlich nicht zählen. In Nordrhein-Westfalen fehlt es an einer geeigneten Einrichtung zum Vollzug über den gesamten Zeitraum der Abschiebehaft oder aber für die zumindest vorübergehende getrennte Unterbringung von Abschiebehäftlingen vor einer Verbringung in eine geeignete Haftanstalt eines anderen Bundeslandes.Die Kammer hatte in ihrer diesbezüglichen Beschwerdeentscheidung ausgeführt:Nach dem Antrag der Antragstellerin war die Unterbringung im Polizeigewahrsam nicht nur für 3 Tage, sondern für die Zeit vom 31.10.2014 „zunächst bis 3.11.2014“ beabsichtigt, was darauf hindeutet, dass nicht einmal sichergestellt war, dass eine Verschubung am 3.11.2014 stattgefunden hätte. Der Erlass des Innenministeriums ist nach seiner Rechtsnormqualität nicht in der Lage, höherrangiges Recht außer Kraft zu setzen. Offen bleiben kann hier, innerhalb welchen Zeitraumes es zulässig ist, einen Abschiebehäftling nach dem Erlass des Sicherungshaftbefehls bis zur Verbringung in eine besondere Abschiebehaftanstalt im normalen Polizeigewahrsam zu belassen, da jedenfalls ein Zeitraum von mehreren Tagen mit den europarechtlichen Vorgaben unvereinbar ist.Das Amtsgericht hat bezogen auf den konkreten Sachverhalt zur Begründung weiter ausgeführt, diese – oben wiedergegebenen – Grundsätze müssten auch für eine Unterbringung im Gewahrsam der Polizei für eine Nacht gelten, da der Vollzug der Haft mit ihrer Anordnung beginne und nicht etwa am Folgetag. Auch hier sei eine Notlage der Ausländerbehörde, keine geeignete Vollzugseinrichtung in Nordrhein-Westfalen vorzufinden, durch das Land verursacht worden und nicht durch ein vollkommen überraschendes Ereignis, dass im Einzelfall die Verlegung in eine Vollzugseinrichtung unmöglich mache (Bl. 15 d.A.).Dieser Auffassung schließt sich die Kammer für den gegebenen Sachverhalt an. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, wie ein Fall zu beurteilen wäre, bei dem der Abschiebehäftling nach seiner vorläufigen Festnahme und vor Erlass des Sicherungshaftbefehls eine Nacht in einem Polizeigewahrsam verbringen müsste. Insofern könnte die aus Art. 104 II 3 Grundgesetz folgende Wertung ergeben, dass ein solches Vorgehen zulässig wäre. Vorliegend soll jedoch, worauf das Amtsgericht zutreffend abgestellt hat, die Unterbringung im Polizeigewahrsam erst nach Erlass des Sicherungshaftbefehles erfolgen. Das widerspricht dem europarechtlichen Trennungsgebot, wie es vom BGH (V ZB 137/14) ausgelegt worden ist. Danach darf die Sicherungshaft, abgesehen von einem aufgrund des regelmäßig angestrebten Vorgehens hier nicht vorliegenden Notfalls nur in hierfür besonders geschaffenen Einrichtungen vollzogen werden, nicht aber im Polizeigewahrsam.
6Rechtsmittelbelehrung:Gegen diesen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft. Sie ist binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses durch einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe (Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe) einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, und die Erklärung enthalten, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werde. Die Rechtsbeschwerdeschrift ist zu unterschreiben und sodann, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat, beginnend mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses, zu begründen. Die Rechtsbeschwerde kann nur durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden.
Annotations
(1) Das Gericht kann durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Freiheitsentziehung anordnen, wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Freiheitsentziehung gegeben sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht. Die vorläufige Freiheitsentziehung darf die Dauer von sechs Wochen nicht überschreiten.
(2) Bei Gefahr im Verzug kann das Gericht eine einstweilige Anordnung bereits vor der persönlichen Anhörung des Betroffenen sowie vor Bestellung und Anhörung des Verfahrenspflegers erlassen; die Verfahrenshandlungen sind unverzüglich nachzuholen.