Landgericht Köln Urteil, 09. Juni 2016 - 15 O 412/15
Gericht
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
1
T A T B E S T A N D:
2Der Kläger schloss im Jahr 2003 zwei Darlehensverträge über insgesamt 75.000,00 EUR ab. Er wurde über ein Widerrufsrecht belehrt. Für den Inhalt der Belehrungen wird auf Bl. 22, 26 GA Bezug genommen. Im März 2013 schlossen die Parteien eine Aufhebungsvereinbarung, weil der Kläger das finanzierte Haus verkaufte. Am 15.03.2013 zahlte der Kläger die Darlehen vorzeitig zurück und zahlte die vereinbarte Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von insgesamt 12.267,61 EUR.
3Am 19.01.2015 erklärte der Kläger den Widerruf, den die Beklagte zurückwies.
4Der Kläger begehrt die Rückzahlung der gezahlten Vorfälligkeitsentschädigung, überzahlte Zinsen, sowie Nutzungsersatz für Zins- und Tilgungsleistungen.
5Der Kläger beantragt,
6die Beklagte zu verurteilen, an ihn 45.911,67 EUR seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
7Die Beklagte beantragt,
8die Klage abzuweisen.
9Die Beklagte behauptet, der Kläger sei über das Widerrufsrecht im Kern im Bilde gewesen. Mit dem gleichwohl erfolgten Widerruf verfolgte er sachfremde Ziele.
10Sie ist der Ansicht, die Geltendmachung des Widerrufs sei verwirkt und rechtsmissbräuchlich. Zudem genieße sie Vertrauensschutz aufgrund der Verwendung der amtlichen Musterbelehrung.
11Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
12E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
13I. Die Klage ist nicht begründet.
141. Zwar ist die Widerrufsfrist mangels ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung nie in Lauf gesetzt worden.
15a) Die Widerrufsbelehrung entspricht, was die Angaben zum Beginn des Fristablaufs angeht, nicht den gesetzlichen Anforderungen (vgl. dazu BGH, Urt. v. 28.06.2011 - XI ZR 349/10).
16bb) Auch die „Gesetzlichkeitsfiktion“, also ein Vertrauensschutzes bei Verwendung der Musterbelehrung ohne erhebliche Abweichungen, streitet nicht für die Beklagte.
17Im Anschluss an die ständige Rechtsprechung (vgl. nur BGH, Urt. v. 28.06.2011 - XI ZR 349/10; zuletzt OLG Köln, Beschl. v. 06.11.2015 - 13 U 113/15, n.v.) kann sich ein Unternehmer auf die Schutzwirkung des § 14 Abs. 1 BGB-lnfoV von vornherein nur dann berufen, wenn er gegenüber dem Verbraucher ein Formular verwendet hat, das dem Muster der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-lnfoV in der jeweils maßgeblichen Fassung sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung vollständig entspricht. Entscheidend ist allein, ob der Unternehmer den vom Verordnungsgeber entworfenen Text der Musterbelehrung bei der Abfassung der Widerrufsbelehrung einer eigenen inhaltlichen Bearbeitung unterzogen hat. Greift er aber in den ihm zur Verfügung gestellten Mustertext selbst sein, kann er sich schon deshalb auf eine etwa mit der unveränderten Übernahme der Musterbelehrung verbundene Schutzwirkung nicht berufen. Das gilt unabhängig vom konkreten Umfang der von ihm vorgenommenen Änderung, zumal sich schon mit Rücksicht auf die Vielgestaltigkeit möglicher individueller Veränderungen des Musters keine verallgemeinerungsfähige bestimmte Grenze ziehen lässt, bei deren Einhaltung eine Schutzwirkung noch gelten und ab deren Überschreitung sie bereits entfallen soll.
18Hier enthält die Widerrufsbelehrung nicht nur eine redaktionelle, sondern eine klare inhaltliche Abweichung von der Musterbelehrung, soweit es um den Fußnotenzusatz zu der angegebenen Widerrufsfrist geht. Diese Fristangabe („zwei Wochen") wird durch den Zusatz („Bitte Frist im Einzelfall prüfen") inhaltlich relativiert, was eine inhaltliche Bearbeitung darstellt. Dass es sich dabei um einen nur an ihre Mitarbeiter gerichteten Ausfüllhinweis handeln könnte, ist nicht nachvollziehbar. Die Formulierung legt - weil sich die Widerrufsbelehrung ersichtlich nicht an die Mitarbeiter der Beklagten, sondern an den Darlehensnehmer wendet - eine Deutung in dem Sinne, dass es der Darlehensnehmer sei, der die Prüfung vorzunehmen habe, mindestens nahe. Dem vorgedruckten Text lässt sich auch nicht entnehmen, ob die angegebene Frist (zwei Wochen) das Ergebnis der Einzelfallprüfung ist oder nur die Angabe der (noch) nicht überprüften Regelfrist.
192. Ansprüche des Klägers wegen Widerrufs der streitgegenständlichen Darlehen sind jedoch verwirkt. Der Kläger ist nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB gehindert, sich auf den Widerruf seiner Erklärungen gegenüber der Beklagten zu berufen.
20Verwirkung setzt voraus, dass der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht hat, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre, der Gegner sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde, und die verspätete Geltendmachung daher gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt. Die erforderliche Zeitdauer, die seit der Möglichkeit der Geltendmachung des Rechts verstrichen sein muss, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Zu berücksichtigen sind vor allem die Art und Bedeutung des Anspruchs, die Intensität des von dem Berechtigten geschaffenen Vertrauenstatbestandes und das Ausmaß der Schutzbedürftigkeit des Verpflichteten. Ein Verhalten des Berechtigten, das einem konkludenten Verzicht nahekommt, mindert die erforderliche Zeitdauer. Die Schutzbedürftigkeit des Verpflichteten wird wesentlich bestimmt durch den Umfang seiner Vertrauenssituation und seinen Informationsstand. Für das Zeitmoment kommt es nicht darauf an, ob er von dem trotz Fristablaufs tatsächlich – d.h. aus rechtlichen Gründen - fortbestehenden Widerrufsrecht Kenntnis hatte. Das ist jedenfalls dann unbedenklich, wenn es nicht um eine (vollständig) fehlende, sondern um eine formal missverständliche und allein deshalb nicht ordnungsgemäße Widerrufsfrist geht. Für die Annahme des Umstandsmoments spricht insbesondere die vollständige, beiderseitige Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen aus dem Vertrag. Eine Bank muss nach der vor Jahren erfolgten, vollständigen Rückzahlung der Darlehensvaluta nicht mehr mit einem Widerruf des Begebungsvertrages und einer sich daran knüpfenden Rückabwicklung dieses Vertrages rechnen, sondern darf auf den Bestand der beiderseitigen Vertragserfüllung vertrauen.
21Der Annahme der Verwirkung des Widerrufsrechts stehen Rechtsgründe nicht entgegen. Allerdings räumte das Gesetz dem Verbraucher im Falle einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung grundsätzlich ein unbefristetes Widerrufsrecht ein. Dies bedeutet allerdings nur, dass das Widerrufsrecht des nicht ordnungsgemäß belehrten Verbrauchers keiner gesetzlichen Ausübungs- oder Ausschlussfrist unterliegt, nicht aber, dass es ungeachtet der Grundsätze von Treu und Glauben gleichsam unbegrenzt ausgeübt werden könnte. Insoweit gelten für ein unbefristetes Widerrufsrecht prinzipiell die gleichen Beschränkungen wie für andere, nicht an die Einhaltung bestimmter Fristen gebundene Gestaltungsrechte. Ein schutzwürdiges Vertrauen auf die Nichtausübung des Widerrufsrechts ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil dem Kunden die Fehlerhaftigkeit der Widerrufsbelehrung und das daraus folgende grundsätzliche Fortbestehen seines Widerrufsrechts bis zur vollständigen Erfüllung seiner Vertragspflichten nicht bekannt waren. Das Verhalten eines Kunden, der von seinem Widerrufsrecht keine Kenntnis hat, lässt zwar keinen Schluss des anderen Vertragsteils darauf zu, er werde von dem ihm zustehenden Widerrufsrecht keinen Gebrauch machen. Wenn der Kunde eine Widerrufsbelehrung erhalten hat, diese aber zwar hinsichtlich des Beginns der Widerrufsfrist nicht ordnungsgemäß war, konnte ein durchschnittlicher Kunde über das Bestehen eines befristeten Widerrufsrechts als solches nicht im Unklaren sein, solange die Belehrung nicht geeignet war, ihn von einem Widerruf abzuhalten. Bei vernünftiger Betrachtungsweise eines durchschnittlichen Verbrauchers ist die Frage, wann die Widerrufsfrist beginnt, für die Entscheidung, letztlich am Geschäft festzuhalten, ohne Belang. Eine bloße Ungenauigkeit in der Darstellung des Fristbeginns führt nicht zu einer sachlichen Verfälschung der Belehrung über das Widerrufsrecht und kann deshalb keinen Einfluss auf die Entscheidung des Kunden haben, an dem Geschäft festzuhalten.
22Der Verwirkung lässt sich auch nicht entgegen halten, dass die Bank die Möglichkeit gehabt hätte, dem Kläger nachträglich eine Belehrung zu erteilen und dadurch die Monatsfrist des § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB in Gang zu setzen. Es wäre überzogen, von einer Bank, für die die Erteilung von Widerrufsbelehrungen in Verbraucherdarlehens- oder diesen gleichzusetzenden Verträgen Massengeschäft ist, in jedem Einzelfall zu verlangen, vor vielen Jahren erteilte Widerrufsbelehrungen auch in bereits seit Jahren wechselseitig erfüllten Darlehensverträgen auf die Notwendigkeit einer vorsorglichen Nachbelehrung zu überprüfen.
23Im vorliegenden Fall tragen die Tatsachen die Annahme der Verwirkung: Die Kreditvertrag stammen von Februar 2003. Die Parteien haben sich im März 2013 über die vollständige Abwicklung der Verträge verständigt und diese in der Folge auch vollzogen. Den Widerruf hat der Kläger erst im Januar 2015 erklärt. Für das Zeitmoment ergibt sich hier also ein Zeitraum von fast 12 Jahren. Beim Umstandsmoment ist der Zeitraum von der endgültigen Abwicklung bis zum Widerruf von einem Jahr und 10 Monaten ebenfalls ausreichend. Unter solchen Umständen ist die Beklagte in ihrem Vertrauen, das bereits erfüllte Darlehensgeschäft werde von dem Kläger nicht mehr widerrufen, zu schützen.
24Dem steht auch die Entscheidung BGH, Urt. v. 18.10.2004 - II ZR 352/02, Juris Tz. 22 ff.. nicht entgegen: Dass bei der Einschränkung des Widerrufsrechts durch die Annahme der Verwirkung "strenge Anforderungen" zu stellen sind, ist zutreffend, aber hier gerade beachtet. Die Erwägungen des BGH zum Einzelfall sind nicht übertragbar, denn der dortige Vertrag war gerade nicht vollständig abgewickelt.
25II. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.
26Streitwert: 45.911,67 EUR
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(1) Unternehmer ist eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt.
(2) Eine rechtsfähige Personengesellschaft ist eine Personengesellschaft, die mit der Fähigkeit ausgestattet ist, Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten einzugehen.
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
(1) Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt, so sind der Verbraucher und der Unternehmer an ihre auf den Abschluss des Vertrags gerichteten Willenserklärungen nicht mehr gebunden, wenn der Verbraucher seine Willenserklärung fristgerecht widerrufen hat. Der Widerruf erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer. Aus der Erklärung muss der Entschluss des Verbrauchers zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgehen. Der Widerruf muss keine Begründung enthalten. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.
(2) Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage. Sie beginnt mit Vertragsschluss, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(3) Im Falle des Widerrufs sind die empfangenen Leistungen unverzüglich zurückzugewähren. Bestimmt das Gesetz eine Höchstfrist für die Rückgewähr, so beginnt diese für den Unternehmer mit dem Zugang und für den Verbraucher mit der Abgabe der Widerrufserklärung. Ein Verbraucher wahrt diese Frist durch die rechtzeitige Absendung der Waren. Der Unternehmer trägt bei Widerruf die Gefahr der Rücksendung der Waren.
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.