Landgericht Köln Urteil, 25. Feb. 2016 - 15 O 278/15
Gericht
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Darlehensverträge zu den Nummern #####/####, #####/#### und #####/#### durch die Widerrufserklärung vom 24.02.2015 wirksam widerrufen worden sind. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 10% und die Beklagte 90%.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
1
Tatbestand
2Der Kläger schloss mit der Beklagten im August 2008 drei Darlehensverträge über insgesamt 100.000,00 EUR ab. Für die Einzelheiten der Vertragsinhalte und der von der Beklagten verwendeten Widerrufsbelehrungen wird auf die Anlagen K1 bis K3 zur Klageschrift Bezug genommen.
3Mit anwaltlichem Schreiben vom 24.02.2015 ließ der Kläger die „Darlehen“ widerrufen. Gleichzeitig wurde die Beklagte aufgefordert, Auskunft bezüglich der vereinnahmten Zinsen zu erteilen.
4Der Kläger ist gestützt auf zahlreiche Belege aus der Instanzrechtsprechung der Ansicht, die Widerrufsbelehrungen verstießen gegen das bei Vertragsschluss geltende Recht und könnten mangels vollständiger Übernahme des Musters gemäß § 14 Abs. 1 BGB-InfoV auch keinen Vertrauensschutz beanspruchen.
5Der Kläger beantragt zuletzt,
61. festzustellen, dass die Darlehensverträge zu den Nummern #####/####, #####/#### und #####/#### durch die Widerrufserklärung vom 24.02.2015 in ein Rückgewährschuldverhältnis gewandelt worden sind und der Beklagten keine gegen den Kläger über das Rückgewährschuldverhältnis hinausgehenden Rechte vermittelt;
72. die Beklagte zu verurteilen, ihm Auskunft zu erteilen über die zu dem vorgenannten Darlehensvertrag geleisteten Darlehenszinsen und nach Auskunftserteilung an die Klägerin die geleisteten Darlehenszinsen nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit herauszuzahlen;
83. die Beklagte zu verurteilen, ihn von den außergerichtlichen Gebühren anwaltlicher Tätigkeit in Höhe von 2.348,94 EUR nebst 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit durch Zahlung an den Klägervertreter freizustellen.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Die Beklagte ist gestützt auf zahlreiche Belege aus der Instanzrechtsprechung der Ansicht, sie habe jedenfalls das amtliche Muster bei den hier verwendeten Widerrufsbelehrungen vollständig übernommen. Außerhalb des eigentlichen Belehrungstextes stehende Veränderungen seien keine relevanten Verfälschungen. Die Ausübung des Widerrufsrechts nach vielen Jahren erscheine zudem als unzulässige Rechtsausübung.
12Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.
13Entscheidungsgründe
14Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
15I. Der Feststellungsantrag ist überwiegend zulässig und im zulässigen Umfang begründet.
161. Der Feststellungsantrag ist im tenorierten Umfang zulässig; der Kläger hat schon im Hinblick auf seine vertraglichen Verpflichtungen zur Leistung von Zinsen ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Wirksamkeit der Darlehenswiderrufe im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO, nachdem die Beklagte deren Wirksamkeit in Abrede stellt. Mit der Formulierung „und der Beklagten keine gegen den Kläger über das Rückgewährschuldverhältnis hinausgehenden Rechte vermittelt“ begehrt der Kläger in unzulässiger Weise die Feststellung von sich aus dem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen, für die kein Rechtsschutzbedürfnis besteht
172. Der Feststellungsantrag ist – soweit er zulässig ist - auch begründet.
18a) Der Kläger konnte die Darlehen noch im Jahr 2015 wirksam widerrufen, denn die Widerrufsfristen sind mangels ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrungen nie in Lauf gesetzt worden. Die Widerrufsbelehrungen entsprechen, was die Angaben zum Beginn des Fristablaufs angeht, nicht den gesetzlichen Anforderungen (vgl. dazu BGH, Urt. v. 28.06.2011 - XI ZR 349/10).
19Auch die „Gesetzlichkeitsfiktion“, also ein Vertrauensschutzes bei Verwendung der Musterbelehrung ohne erhebliche Abweichungen, streitet nicht für die Beklagte. Im Anschluss an die ständige Rechtsprechung (vgl. nur BGH, Urt. v. 28.06.2011 - XI ZR 349/10) kann sich ein Unternehmer auf die Schutzwirkung des § 14 Abs. 1 BGB-lnfoV von vornherein nur dann berufen, wenn er gegenüber dem Verbraucher ein Formular verwendet hat, das dem Muster der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-lnfoV in der jeweils maßgeblichen Fassung sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung vollständig entspricht. Entscheidend ist allein, ob der Unternehmer den vom Verordnungsgeber entworfenen Text der Musterbelehrung bei der Abfassung der Widerrufsbelehrung einer eigenen inhaltlichen Bearbeitung unterzogen hat. Greift er aber in den ihm zur Verfügung gestellten Mustertext selbst sein, kann er sich schon deshalb auf eine etwa mit der unveränderten Übernahme der Musterbelehrung verbundene Schutzwirkung nicht berufen. Das gilt unabhängig vom konkreten Umfang der von ihm vorgenommenen Änderung, zumal sich schon mit Rücksicht auf die Vielgestaltigkeit möglicher individueller Veränderungen des Musters keine verallgemeinerungsfähige bestimmte Grenze ziehen lässt, bei deren Einhaltung eine Schutzwirkung noch gelten und ab deren Überschreitung sie bereits entfallen soll.
20Hier enthalten die streitgegenständlichen Widerrufsbelehrungen bezüglich der Fristangabe von „zwei Wochen“ den Fußnotenzusatz „Bitte Frist im Einzelfall prüfen“. Hierin ist nicht lediglich eine redaktionelle sondern eine inhaltliche Bearbeitung zu sehen, welche den Vertrauensschutz entfallen lässt (OLG Köln, Beschl. v. 06.11.2015 - 13 U 113/15).
21b) Die Widerrufsrechte sind nicht verwirkt, schon weil die Darlehensverträge noch nicht vollständig erfüllt waren. Damit fehlt es an dem für die Annahme einer Verwirkung erforderlichen Umstandsmoment. Auch für eine unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung möglicherweise relevante treuwidrige Motivation des Klägers zum Widerruf ist nichts ersichtlich.
22II. Der begehrte Auskunftsantrag ist nicht begründet. Ein Anspruch des Klägers auf die begehrte Abrechnung ist schon deshalb nicht ersichtlich, weil der Kläger die von der Beklagten vereinnahmten Zinsen anhand der ihm vorliegenden Unterlagen (Kontoauszüge) selbst unschwer durch Addition und Substraktion berechnen kann. Der Kammer sind derartige von Klägern selbst vorgenommene Berechnungen aus zahlreichen Verfahren bekannt. Ohnehin sind jedenfalls die Zinsen für das Jahr 2014 auf den durch den Kläger vorgelegten Jahreskontoauszügen explizit aufgeführt.
23III. Der Kläger hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Insbesondere befand sich die Beklagte bei dem durch den Klägervertreter erklärtem Widerruf nicht im Verzug.
24IV. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1 S. 1 Var. 2, 709 S. 2 ZPO.
25Streitwert: bis 80.000,00 EUR
26Nach OLG Köln, Beschl. v. 18.11.2014 – 13 W 50/14, sind 80% der offenen Darlehensvaluta zum Zeitpunkt des Widerrufs anzusetzen. Bezüglich des Darlehens mit der Nummer #####/#### war dabei zu berücksichtigten, dass ausweislich der geschlossenen Zusatzvereinbarung als Tilgungsersatz ein Bausparvertrag besteht, der mit mindestens 1% der Bausparsumme pro Jahr angespart wird. Von der mangels direkter Tilgung noch offenen Valuta in Höhe von 54.000,- EUR war daher sachgerechter Weise ein Abschlag zu machen, dessen Höhe zu schätzen war, vgl. § 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO. Für den Klageantrag zu 2. war ein Zuschlag anzusetzen, der ebenfalls der Schätzung unterlag und auf bis zu 8.000,- EUR festgesetzt wurde.
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(1) Unternehmer ist eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt.
(2) Eine rechtsfähige Personengesellschaft ist eine Personengesellschaft, die mit der Fähigkeit ausgestattet ist, Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten einzugehen.
(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.
(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.
(1) Unternehmer ist eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt.
(2) Eine rechtsfähige Personengesellschaft ist eine Personengesellschaft, die mit der Fähigkeit ausgestattet ist, Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten einzugehen.
(1) In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten richten sich die Gebühren nach den für die Zuständigkeit des Prozessgerichts oder die Zulässigkeit des Rechtsmittels geltenden Vorschriften über den Wert des Streitgegenstands, soweit nichts anderes bestimmt ist. In Musterfeststellungsklagen nach Buch 6 der Zivilprozessordnung und in Rechtsstreitigkeiten aufgrund des Unterlassungsklagengesetzes darf der Streitwert 250 000 Euro nicht übersteigen.
(2) In nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten ist der Streitwert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen. Der Wert darf nicht über eine Million Euro angenommen werden.
(3) Ist mit einem nichtvermögensrechtlichen Anspruch ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Anspruch, und zwar der höhere, maßgebend.
Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.