Landgericht Essen Urteil, 09. Juli 2014 - 18 O 45/14
Gericht
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Versicherungsvertrag.
3Der Kläger ist versicherte Person einer zwischen der Beklagten und der E AG, bestehenden Reise-Rücktrittskosten-Versicherung.
4In den Versicherungsbedingungen des vorgenannten Vertrags heißt es auszugsweise:
5„§ 2 Versicherte Person“
6a) versicherte Personen sind die Karteninhaber einer gültigen M (…).
7b) Neben dem Karteninhaber gelten zusätzlich auch seine Familienangehörigen versichert (…).
8§ 4 Rechte im Schadenfall
9Die Ausübung der Rechte im Schadenfall steht den versicherten Personen zu. Das Melden von Schäden hat vom Karteninhaber oder seinen mitversicherten Familienmitgliedern zu erfolgen. (…)“
10Nach § 5 der Versicherungsbedingungen ist eine Voraussetzung der Leistungspflicht, dass die Reise mit einer der dort genannten Karten jedenfalls angezahlt wurde.
11Ferner heißt es in § 7, Versicherungsumfang:
12„1. Der Versicherer leistet Entschädigung“:
13a) bei Nichtantritt der Reise für die dem Reiseunternehmen oder einem anderen vom Versicherten vertraglich geschuldeten Rücktrittskosten/Stornokosten;
14b) bei Abbruch der Reise für die nachweislich entstandenen zusätzlichen Rückreisekosten und die hierdurch unmittelbar verursachten sonstigen Mehrkosten des Versicherten, vorausgesetzt, dass An- und Abreise in dem versicherten Arrangement enthalten sind; dies gilt auch im Falle nachträglicher Rückkehr (…).“
15Wegen des weiteren Inhalts der Versicherungsbedingungen wird auf die zur Akte gereichte Ablichtung (Anlage 14 zum Schriftsatz vom 05.02.2014, Bl. 22 ff. der Akte) Bezug genommen.
16Der Kläger buchte für sich und seine Ehefrau folgende Reiseleistungen:
1729.03.2012 bis 22.04.2012 Schiffsfahrt mit der N,
1822.04.2012 bis 25.04.2012 Aufenthalt in einem Hotel in Q,
1925.04.2012 bis 26.04.2012 Flug von Q nach T,
2026.04.2012 bis 27.04.2012 Aufenthalt in einem Hotel in T,
2127.04.2012 Flug von T nach V,
2227.04.2012 bis 28.04.2012 Aufenthalt in einem Hotel in V,
2327.04.2012 bis 30.04.2012 Nutzung eines Mietwagens,
2428.04.2012 bis 30.04.2012 Aufenthalt in einem Hotel in B,
2530.04.2012 Flug von B nach C,
2630.04.2012 bis 02.05.2012 Aufenthalt in einem Hotel in Q1,
2702.05.2012 Flug von C nach C1,
2802.05.2012 bis 03.05.2012 Aufenthalt in einem Hotel in C1,
2903.05.2012 bis 04.05.2012 Flug von C1 nach E1.
30Die vorgenannten Reiseleistungen hatte der Kläger bei verschiedenen Anbietern gebucht und mit seiner M im Voraus bezahlt.Während der Schiffsfahrt in der Südsee erkrankte der Kläger am 17.04.2012 plötzlich an einer akuten schweren Infektion der Gallenblase. Er wurde zunächst über 2 Tage stationär auf dem Schiff behandelt und dann auf Anweisung des behandelnden Bordarztes am 19.04.2012 mit dem Helikopter in ein Krankenhaus von Q ausgeflogen. Dort wurde er mehrere Tage behandelt und trat am 25.04.2012 die Rückreise nach E2 an.
31Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger die Kosten für die vorgenannten Reiseleistungen - mit Ausnahme der Kosten für die Schiffsfahrt vom 29.03.2012 bis zum 22.04.2012 - geltend.
32Der Kläger meint, die vorgenannten Reiseleistungen seien jede für sich als eine separate, jeweils für sich abgrenzbare Reise anzusehen. Dies ergebe sich auch aus dem Umstand, dass nicht eine Pauschalreise gebucht worden sei sondern jeweils einzelne Verträge mit unterschiedlichen Anbietern geschlossen wurden.
33Der Kläger meint ferner, mangels Definition des Begriffes „Reise“ in den Versicherungsbedingungen seien Unklarheiten bei der Auslegung zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigen.
34Der Kläger behauptet, die in der Klageschrift aufgeführten Kosten - wobei bzgl. der Einzelheiten auf Bl. 6-7 d.A. Bezug genommen wird - seien Stornokosten im Sinne des Versicherungsvertrages. Rückerstattungen bezüglich der gezahlten Beträge habe er nicht erhalten, weil die jeweiligen Verträge dies nicht vorgesehen hätten.
35Der Kläger beantragt,
36die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.736,52 EUR nebst Zinsen in Höhe
37von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit Zustellung der Klage-
38schrift zu zahlen.
39Die Beklagte beantragt,
40die Klage abzuweisen.
41Die Beklagte tritt der Rechtsauffassung des Klägers zur Frage einer einheitlichen Reise entgegen. Sie ist der Auffassung, in der gegebenen Konstellation bestünden allenfalls Ansprüche aus der Reiseabbruchversicherung im Sinne des § 7 Nr. 1 b der Versicherungsbedingungen, weil die einheitliche Reise zum Zeitpunkt des Eintritts des versicherten Ereignisses bereits angetreten worden sei.
42Die Beklagte bestreitet auch den geltend gemachten Anspruch der Höhe nach. Hierzu erwidert sie unter anderem, der Kläger habe keine Stornorechnungen vorgelegt. Sie bestreitet in diesem Zusammenhang, dass die genannten Kosten für die einzelnen Buchungen den vertraglich geschuldeten Stornopreis darstellen. Darüber hinaus bestreitet sie die Kosten für die Flüge von C nach C1 bzw. C1 nach E1.
43Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitig zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 09.07.2014 und die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
44Entscheidungsgründe:
45Die zulässige Klage ist in der Sache unbegründet.
46Der Kläger hat keine Ansprüche wegen eines Reiserücktritts aus dem hier streitgegenständlichen Versicherungsvertrag.
47Bei der hier gegebenen Konstellation liegt kein Nichtantritt einer Reise im Sinne des § 7 Ziffer 1 a) der Versicherungsbedingungen vor. Die vorzeitige Rückreise des Klägers und Nichtinanspruchnahme der weiter von ihm gebuchten Reiseleistungen stellt vielmehr ein Abbruch der Reise im Sinne von § 7 Ziffer 1 b) der Versicherungsbedingungen dar.
48Die seitens des Klägers gebuchten einzelnen Reiseleistungen sind insgesamt als eine einheitliche Reise zu bewerten. Bei den seitens des Klägers gebuchten Reiseleistungen handelte es sich um zeitlich und örtlich unmittelbar aufeinander folgende Buchungen einer Rundreise. Insoweit kommt es nicht darauf an, dass der Kläger die einzelnen Leistungen durch separate Verträge mit unterschiedlichen Anbietern gebucht hat. Insoweit ist entscheidend, dass der Kläger aufeinander folgende Stationen einer einheitlichen Rundreise gebucht hat und nicht jeweils separate Reisen von seinem Heimatort an einen bestimmten Urlaubszielort und wieder zurück.
49Die Versicherungsbedingungen sind auch nicht wegen fehlender Definition des Begriffes „Reise“ intransparent und in der Folge unwirksam nach §§ 305 ff. BGB.
50Die Regelungen des § 7 Ziffer 1 a), b) der streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen werden auch ohne Definition des vorgenannten Begriffs den Anforderungen des Transparenzgebots gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB gerecht.
51Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer diese bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss (vgl. BGH, Urteil vom 11.07.2012, Az. IV ZR 122/11). Eine fehlende Definition des Begriffes „Reise“ ist danach unschädlich, weil eine Auslegung unter Berücksichtigung der Sicht eines „verständigen Dritten“ und des allgemeinen Sprachgebrauches des täglichen Lebens möglich ist, § 133, 157 BGB.
52Eine einheitliche Reise ist danach sowohl in dem Falle anzunehmen, dass nur ein einzelnes angestrebtes Ziel erreicht werden soll, als auch in der Konstellation, dass mehrere Orte bis zur Beendigung der Fahrt am Ausgangsort aufgesucht werden sollen. Für die Annahme einer einheitlichen Reise kommt es dabei darauf an, ob die einzelnen Reiseleistungen – wie hier – in einem derart zeitlichen, örtlichen und organisatorischem Zusammenhang stehen, dass eine beliebige einzelne Reiseleistung nicht entfallen werden könnte, ohne dass die übrigen Reiseleistungen hiervon betroffen wären. Bei einem derartigen Zusammenhang liegt eine einheitliche „Rund“reise vor, so dass der Reiseantritt bereits mit Inanspruchnahme der ersten Reiseleistung erfolgt.
53Ein Anspruch auf die begehrten Zinsen besteht schon mangels Hauptschuld nicht.
54Die Entscheidungen über Kostenlast und Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 91, 708 Ziffer 11, 711 ZPO.
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(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
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mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder - 2.
wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.
Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.
Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.