Landgericht Dortmund Urteil, 17. März 2016 - 4 O 210/11
Gericht
Tenor
Die Beklagten werden verurteilt, an die Kläger als Gesamtschuldner 2.500,00 € (in Worten: zweitausendfünfhundert Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen, der Beklagte zu 1) seit dem 07.03.2009 und die Beklagten zu 2) und 3) als Gesamtschuldner seit dem 01.06.2009 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 234,55 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 09.09.2011.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger zu 97 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 3 %.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d
2Die Kläger machen als Erben der am 24.12.2009 an den Folgen eines Mammakarzinoms verstorbenen Frau T Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche aus eigenem sowie übergegangenem Recht geltend. Sie rügen die ärztliche Behandlung seitens der Beklagten im Rahmen eines Mammographie-Screenings.
3Der Beklagte zu 1) ist Facharzt für Radiologie und Programmverantwortlicher Arzt für die Durchführung des Mammographie-Screenings in E und I. Der Beklagte zu 2) ist als Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe in eigener Praxis niedergelassen. Er arbeitet zudem in der Screeningeinheit E/I als befundener Screening-Mammographiearzt, ebenso der Beklagte zu 3), der Facharzt für Radiologie ist.
4In den Jahren 2002/2003 wurde das Mammographie-Screening als qualitätsgesichteres Programm zur Früherkennung von Brustkrebs bei Frauen bundesweit eingeführt. Die Handhabung richtet sich nach der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesauschusses über die Früherkennung von Krebserkrankungen (Krebsfrüherkennungs-Richtlinie KFE-RL). Wegen der im Jahre 2007 geltenden Fassung wird auf die Anlage K2 zur Klageschrift (Bl. 17 ff. d.A.) Bezug genommen.
5Nachdem Frau T dem Programm entsprechend durch die Zentrale Stelle zur Teilnahme am Früherkennungsprogramm eingeladen worden war, unterzog sie sich am 11.09.2007 einer Mammographie-Untersuchung. Vorausgegangen war zuletzt eine Mammographie – Untersuchung am 23.02.2006, die mit dem Ergebnis BI-RADS 1 befundet worden war.
6Anlässlich der Screening-Untersuchung unterzeichnete Frau T eine Einverständniserklärung zur Vornahme der radiologischen Untersuchung im Hinblick auf mögliche Strahlengefahren. Ferner füllte sie einen Anamnesebogen aus. Ein direkter Kontakt zu den Beklagten erfolgte nicht.
7Der Beklagte zu 2) erhielt die Aufnahmen zur Befundung übersandt. Am 12.09.2007 stufte er die Aufnahmen als unauffällig ein, „ohne Befund“. Auch der Beklagte zu 3), der die Aufnahmen ebenfalls befundete, stufte sie als unauffällig ein.
8Mit Schreiben vom 14.09.2007 informierte der Beklagte zu 1) die Frauenärztin der Frau T, Frau Dr. med. U, darüber, dass die Untersuchung ohne Befund war. Weitere Maßnahmen wurden nicht für erforderlich gehalten. Mit Schreiben vom 16.09.2007 teilte er auch Frau T selbst mit, dass die stattgefundene Untersuchung ohne Befund war und sich somit keine Hinweise auf Brustkrebs ergeben hatten.
9Am 22.04.2008 ertastete Frau T einen Knoten in der linken Brust.
10Zur Abklärung wurde am Folgetag in der radiologischen Praxisgemeinschaft Dr. L2 und H eine weitere Mammographie durchgeführt, die ausweislich des Befundberichts einen bis ca. 3,5 cm messenden malignitätsverdächtigen raumbeschränkenden Prozess mit Zeichen einer infiltrativen Ausbreitung innerhalb der linken Mamma bei ca. 3h in einer Distanz von ca. 12 cm zur Areole (thoraxwandnah) gelegen zeigte (BI-RADS 4).
11Im Zeitraum vom 25.04. bis zum 09.05.2008 wurde Frau T stationär in der Frauenklinik der B gGmbH (nachfolgend B) behandelt. Am 30.04.2008 wurde das Mammakarzinom entfernt, nachdem präoperativ zunächst links eine Stanzbiopsie des Malignoms und rechts eine ebenfalls sonographisch gezielte Punktion einer größeren Zyste durchgeführt wurden.
12Frau T unterzog sich beginnend am 02.06.2008 zusätzlich einer Chemotherapie in der onkologischen Schwerpunktpraxis N1 in I, die bis zum 29.09.2008 andauerte. In der Folge schloss sich eine mehrmonatige Strahlentherapie an.
13Nach zunächst guter Abheilung stellte sich unter der laufenden Chemotherapie eine Mamillenteilnekrose ein, so dass Frau T erneut im B aufgenommen werden musste. Am 08.07.2008 wurde die Nekrose operativ entfernt. Frau T konnte am 18.07.2008 aus der stationären Behandlung entlassen werden.
14Am 04.08.2008 wurde Frau T erneut im B stationär aufgenommen. Im Rahmen des Aufenthalts wurde eine Nekrosektomie der linken Mamma durchgeführt. Eine Entlassung erfolgte am 09.08.2008.
15Im Folgejahr ergaben sich anlässlich einer Nachuntersuchung Hinweise auf eine Metastasierung des Karzinoms. Daraufhin wurde eine weitere Chemotherapie eingeleitet. Nachdem am 14.12.2009 noch die zweite Einheit der Chemotherapie gegeben werden konnte, verstarb Frau T schließlich am 24.12.2009 gegen 13.00 Uhr.
16Mit anwaltlichem Schreiben vom 17.02.2009 wurde der Beklagte zu 1) mit Fristsetzung zum 06.03.2009 erfolglos zur Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie Schadenersatzes angemahnt.
17Mit anwaltlichem Schreiben vom 06.05.2009 wurden den Beklagten zu 2) und 3) erfolglos eine Frist zur Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie Schadenersatzes bis zum 31.05.2009 gesetzt.
18Die Kläger behaupten, die streitgegenständliche Behandlung sei fehlerhaft erfolgt. So sei in der Praxis des Beklagten zu 1) entgegen der KFE-RL keinerlei Anamnese erhoben worden. Dies ergebe sich bereits daraus, dass der Anamnesebogen auf den 12.09.2007, also nach Anfertigung der Aufnahme, datiere. Es seien auch keine Vorbefunde beigezogen worden, obwohl Frau T eine Risikopatientin gewesen sei. Sie habe sich bereits im Jahre 1977 einer Unterleibsoperation unterziehen müssen, bei der die Gebärmutter entnommen worden sei. Im Jahr 1978 seien zwei weitere Operationen erforderlich geworden, da sich um die entfernte Gebärmutter bösartige Veränderungen eingestellt hätten. Darüber hinaus sei Frau T in den 80-iger Jahren die Schilddrüse entfernt worden. Ferner hätten familiäre Vorerkrankungen berücksichtigt werden müssen.
19Zudem seien die Screening-Aufnahmen vom 11.09.2007 von den Beklagten zu 2) und 3) fehlerhaft befundet worden, da hierauf bereits eine malignitätsverdächtige Veränderung in der linken Brust in dem Bereich zu sehen gewesen sei, in dem später das Mammakarzinom festgestellt worden sei. Dies ergebe sich aus einem Vergleich mit den Aufnahmen der Mammographie vom 23.04.2008.
20Es habe am 11.09.2007 ein Befund BI-RADS 3 vorgelegen, der einem kontrollbedürftigen Befund entsprochen habe. Die Beklagten zu 2) und 3) hätten daher zwingend weitere diagnostische Abklärungen einleiten müssen. Es hätte sodann eine histologische Abklärung erfolgen müssen, die das Karzinom gezeigt hätte. Es hätte unmittelbar eine Behandlung eingeleitet werden können.
21Der den Beklagten zu 2) und 3) vorzuwerfende Fehler sei als grober Behandlungsfehler einzustufen. Auch die Dokumentation der Beklagten zu 2) du 3) entspreche nicht den Richt- und Leitlinien. In dem auf die Benennung der Auffälligkeit und das vorgeschriebene Konsilium wie auch die Veranlassung weiterer Diagnostik verzichtet worden sei, sei ein Verstoß gegen die S3 Richtlinien gegeben.
22Aufgrund der Fehlbehandlung seitens der Beklagten habe Frau T über einen Zeitraum von 20 Monaten den Verfall ihres Körpers auf den Tod hin beobachten müssen. Sie habe nahezu während der gesamten Zeit unter massiven und zunehmend schwerer werdenden körperlichen Beeinträchtigungen gelitten, insbesondere Abgeschlagenheit, Kopf- und Gliederschmerzen, Kraftlosigkeit, Appetitlosigkeit, dem Verlust von Haaren, Fingernägeln und Zähnen sowie zunehmenden multiplen und auch mit Schmerzmittel nicht mehr vollständig beherrschbaren Schmerzen. Ihr Leben sei in dieser Zeit von Arzt und Krankenhausbesuchen geprägt gewesen. Insgesamt habe sie über 20 Monate hinweg praktisch keinerlei Lebensqualität mehr gehabt und sich ständig mit ihren körperlichen Einschränkungen und dem bevorstehenden Tod auseinandersetzen müssen. Unstreitig dokumentierte sie ab dem 22.04.2008 bis kurz vor ihrem Tod im Abstand von Tagen den Verlauf ihrer Behandlung und ihres körperlichen wie seelischen Empfindens. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 166 – 194 d.A. verwiesen.
23Die Kläger erachten ein Schmerzensgeld in Höhe von 70.000,00 € als angemessen.
24Ferner begehren sie die Erstattung der Kosten der Frau T für Fahrten zu Ärzten und Therapien in Höhe von 1.256,24 €, den Ersatz eines Haushaltsführungsschadens der Frau T in Höhe von 4.213,29 € sowie der Beerdigungskosten in Höhe von 3.983,95 €, insgesamt 9.453,48 €.
25Mit der am 08.09.2011 zugestellten Klage beantragen sie,
26- 27
1. die Beklagten als Gesamtschuldner kostenpflichtig zu verurteilen, an sie als Gesamtgläubiger im Zusammenhang mit der Mammographiebefundung für Frau T2 vom 11.09.2007 ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.03.2009 zu zahlen;
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2. die Beklagten als Gesamtschuldner kostenpflichtig zu verurteilen, an sie als Gesamtgläubiger 9.453,48 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.03.2009 zu zahlen;
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3. die Beklagten als Gesamtschuldner kostenpflichtig zu verurteilen, an sie als Gesamtgläubiger 1.594,60 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
31die Klage abzuweisen.
32Der Beklagte zu 1) ist der Ansicht, dass eine Haftung seinerseits nicht in Betracht komme, da ein Vertrag zwischen Frau T und ihm nicht zustande gekommen sei. Darüber hinaus bestehe auch keine deliktische Haftung. Eine Verletzung von Pflichten als programmverantwortlicher Arzt liege nicht vor. Er habe insbesondere nicht die Pflicht gehabt, die Bilder selbst zu überprüfen. Denn eine Befundung durch den programmverantwortlichen Arzt sei gemäß § 10 Abs. 4 BMV-Ä Anlage 9.2 nur vorgesehen, wenn zumindest einer der befundenen Ärzte Auffälligkeiten feststelle. Da Auffälligkeiten nicht festgestellt worden seien, habe er das Ergebnis ohne eigene Prüfung Frau T mitgeteilt. Die Beklagten zu 2) und 3) seien auch weder Erfüllungs- noch Verrichtungsgehilfen, so dass er für ein Versäumnis dieser Ärzte nicht hafte. Die Beklagten zu 2) und 3) seien von der kassenärztlichen Vereinigung auch ermächtigt gewesen, Befundungen im Mammographie-Screening Verfahren durchzuführen und selbständig abzurechnen.
33Die Beklagten zu 1) und 3) behaupten, das Mammographie-Screening sei ordnungsgemäß erfolgt. Es sei bei Frau T zunächst eine Anamneseerhebung mittels Fragebogen vorgenommen worden. Dieser Fragebogen werde mit dem Eingangsschreiben von der zentralen Stelle des Mammographie-Screening-Programms versandt. Dies stelle eine ordnungsgemäße Einladung nebst Anamneseerhebung entsprechend den Richtlinien dar. Dieser Fragebogen sei von Frau T selbst ausgefüllt und vor der Durchführung des Screenings am 11.09.2007 abgegeben worden. Ein anamnestisches Gespräch werde standardgemäß nicht durchgeführt. Es gebe auch kein mündliches Aufklärungsgespräch so wie es auch kein Arzt-Teilnehmerin-Gespräch gebe. Auch finde keine Untersuchung statt. Die Anforderungen an die Diagnostik müssten daher geringer bewertet werden als in sonstigen Fällen. Erst bei einem auffälligen Befund werde die Konsensus-Konferenz einberufen und sodann mit den beiden Befundern und dem programmverantwortlichen Arzt nach einer weiteren Auswertung das weitere Vorgehen besprochen und die Teilnehmerin zu einem Gespräch eingeladen. Bei Frau T habe es sich auch nicht um eine Risikopatientin gehandelt. Gebärmutterkrebs bzw. eine Schilddrüsenerkrankung würden nicht mit einer erhöhten Inzidenz des Mammakarzinoms einhergehen. Die Angabe einer Krebserkrankung - wie Frau T sie im Anamnesebogen getätigt habe - deute lediglich auf ein möglicherweise erhöhtes familiäres Risiko hin; dies habe auf die Auswertungsscreenings jedoch keinen Einfluss. Im Übrigen sei eine falsche Befundung der Aufnahme vom 11.09.2007 durch den Beklagten zu 3) nicht erfolgt, ein auffälliger Herdbefund sei auf den Bildern nicht gegeben. Die Bilder würden unspezifische Unregelmäßigkeiten aufweisen, die eine Einordnung eines speziellen Befundes erschweren würden. Die Befundmitteilung vom 14.09.2007 sei daher nicht zu beanstanden.
34Der Beklagte zu 2) behauptet, ihm könne kein Behandlungsfehler vorgeworfen werden. Es seien auf den Screening-Aufnahmen für ihn als Gynäkologen keine Anhaltspunkte für eine maligne Erkrankung oder zumindest klärungsbedürftige Befunde zu erkennen gewesen. Auch aus dem Gutachten der Frau Dr. V ergebe sich, dass die Einordnung der Aufnahmen als maligne oder auffällig keineswegs eindeutig möglich gewesen wäre. Der Befund vom 23.04.2008 sei auch nur als BI-RADS 4 einzustufen. Daraus folge, dass bei den Aufnahmen am 11.09.2007 nicht zwingend hätte ein eindeutiger Befund erkannt werden müssen. Er sei auch nicht veranlasst gewesen, eine weitere Befunderhebung vorzunehmen. Zudem entspreche die Dokumentation exakt den Vorgaben der Anlage VI der KFE-RL. Im Übrigen gehe aus dem klägerischen Vortrag nicht einmal eindeutig hervor, inwieweit dies nicht der Fall sein solle. Auch der Vorwurf, dass man sich nicht an die Vorgaben der S3 Richtlinie gehalten habe, sei nicht hinreichend substantiiert. Der Vorwurf einer unterbliebenen Anamnese wirke sich auf die streitige Behandlung hinsichtlich der Diagnosestellung ohnehin nicht aus. Ebenso seien die Ausführungen zur Einstufung der Frau T als Risikopatientin unzutreffend und für die Bewertung der Mammographien ohne Relevanz. Darüber hinaus sei Aufgabe nur die Anfertigung und Auswertung der Mammographien gewesen.
35Alle drei Beklagten behaupten übereinstimmend, dass es im Übrigen an einer Kausalität zwischen einem - unterstellten - Diagnosefehler und der behaupteten Beeinträchtigung fehle. Es wird bestritten, dass der Zeitablauf von konkret 7 Monaten an der gesamten Therapie und auch an der Prognose und dem Tod der Frau T etwas geändert hätte. Eine frühere Diagnosestellung hätte weder die Operationstechnik bei Entfernung des Karzinoms geändert noch das Überleben der Patientin verlängert. Es sei davon auszugehen, dass sich der Tumor bereits seit mehr als einem Jahrzehnt entwickelt habe. Auch die Metastasierung der Lymphknoten habe mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bereits vor September 2007 stattgefunden.
36Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
37Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Herrn PD Dr. Q, das der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 20.02.2014 näher erläutert hat sowie durch Einholung eines Sachverständigengutachtens der Frau Dr. X, das die Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 17.03.2016 näher erläutert hat. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die schriftlichen Gutachten vom 30.11.20## und 10.03.20## (Bl. 550 ff., 719 ff. d. A.) sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 20.02.2014 (Bl. 670 ff. d. A.) und vom 17.03.2016 (Bl. 807 ff. d. A.).
38E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
39Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
40Die Kläger haben gegen den Beklagten zu 1) einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld aufgrund des abgeschlossenen Heilbehandlungsvertrages nach den §§ 280, 278, 611, 253 BGB. Ein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz nach § 249 ff. BGB besteht nur im Umfang der Rechtsverfolgungskosten.
41Die Kammer geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass ein Vertragsverhältnis der Frau T mit dem Beklagten zu 1) zustande gekommen ist. Dieser allein war nämlich der Programmverantwortliche Arzt der Screening-Einheit, der nach Ziffer B 4. b) (4) KFE-RL den Versorgungsauftrag übernommen hatte. Dieser umfasste nach der Richtlinie die notwendige ärztliche Behandlung und Betreuung der Frauen einschließlich Aufklärung und Information sowie die übergreifende Versorgungsorganisation und - steuerung. So war er auch derjenige, der seinerzeit gegenüber Frau T und ihrer Frauenärztin als Verantwortlicher der Screening-Einheit das Ergebnis der Untersuchung mitteilte. Als Verantwortlicher des Programms ist er der Vertragspartner der Patientinnen und nicht etwa die befundenden Ärzte selbst – mögen diese auch die Untersuchungen unmittelbar mit den Krankenkassen abrechnen dürfen. Die befundenden Ärzte werden nicht selbst Vertragspartner der Patientinnen, sondern sind als Erfüllungsgehilfen tätig. So heißt es in Ziffer B 4. b) (4) KFE-RL ergänzend, dass der Programmverantwortliche Arzt zur Erfüllung des Versorgungsauftrages mit anderen an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten kooperiert.
42Eine Haftung nach §§ 823, 831, 249 ff. BGB kann die Kammer dagegen nicht feststellen. Eine Beteiligung des Beklagten zu 1) an der Befundung der Bilder ist nicht ersichtlich. Die Beklagten zu 2) und 3) sind nicht als Verrichtungsgehilfen tätig.
43Ferner steht den Klägern gegen die Beklagten zu 2) und 3), als befundende Ärzte, ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld aufgrund einer unerlaubten Handlung nach den §§ 823, 249 ff. BGB zu. Ein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz nach § 249 ff. BGB besteht ebenfalls nur im Umfang der Rechtsverfolgungskosten.
44Den Klägern ist es gelungen zu beweisen, dass die Behandlung durch die Beklagten fehlerhaft erfolgt ist. Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass Frau T einen Gesundheitsschaden in Form einer psychischen Beeinträchtigung erlitten hat, der durch den Behandlungsfehlers mitverursacht worden ist.
45Die Kammer folgt bei ihrer Einschätzung hinsichtlich der Frage, ob die Behandlung durch die Beklagten fehlerhaft war und inwieweit dadurch der Behandlungsverlauf beeinflusst worden ist, den überzeugenden und nachvollziehbaren Feststellungen des Sachverständigen PD Dr. Q sowie der Sachverständigen Dr. X. Die Ausführungen der Sachverständigen beruhen auf einer gründlichen Aufarbeitung der Behandlungsunterlagen. Sie haben sämtliche für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblichen Fragen in ihren Gutachten und im Rahmen ihrer Anhörung klar und eindeutig beantwortet.
46Bei der Frage, ob das Mammographiebild vom 11.09.2007 zutreffend befundet worden ist, konnte die Kammer ihre Bewertung auf die Feststellung des Sachverständigen PD Dr. Q zu stützen. Entgegen dem Einwand des Beklagten zu 2) war keine (zusätzliche) Begutachtung durch einen gynäkologischen Sachverständigen notwendig. Durch die kassenärztliche Vereinigung werden die mammographierenden Ärzte regelmäßig geprüft und müssen ihre erfolgreiche Teilnahme an Beurteilungen von Mammographien nachweisen (vgl. auch Ziffer B 4. j) KFE-RL). Allein der Facharzttitel der Gynäkologie genügt zur Berechtigung der Befundung nicht. Für Radiologen und Gynäkologen, die bei der Befundung zusammenarbeiten und für die nach Ziffer B 4. b) (7) KFE-RL eine einheitliche Qualitätssicherung postuliert wird, kann daher kein unterschiedlicher Fachstandard gelten.
47Ob die Behandlung der Beklagten fehlerhaft war, richtet sich nach den speziellen Gegebenheiten des Screening-Verfahrens.
48Zunächst geht die Kammer mit dem Sachverständigen PD Dr. Q davon aus, dass eine Anamnese durch die Beklagten ausreichend erhoben wurde und bei dem von den Beklagten erhobenen Befund auch keine Vorunterlagen hinzugezogen werden mussten. Das Screening-Verfahren sieht einen persönlichen Kontakt zwischen Patientin und Arzt anlässlich der Untersuchung nicht vor. Vielmehr füllen die Patientinnen selbst einen Anamnesebogen aus, der zu den Unterlagen genommen wird. Trotz des Datums vom 12.09.2007 hat die Kammer auch keine Zweifel, dass der Bogen von Frau T am Untersuchungstag ausgefüllt worden ist. Eine Handlungsrelevanz ergab sich i.Ü. aus dem Bogen nicht. Denn Vorbefunde werden erst hinzugezogen, wenn Auffälligkeiten oder Diskrepanzen bei den Aufnahmen ersichtlich sind. Erst dann werden die Bilder dem programmverantwortlichen Arzt zur Begutachtung vorgelegt. Dieser entscheidet dann über die Beiziehung von Vorbefunden.
49Soweit die Beklagten zu 2) und 3) jedoch die Mammographiebilder als unauffällig befundet haben, war diese Diagnose fehlerhaft. Unter eingehender Inaugenscheinnahme der Mammographieaufnahmen vom 11.09.2007 und Erläuterung durch den Sachverständigen PD Dr. Q musste die Kammer festzustellen, dass sich bereits auf diesen Bildern ein auffälliger Befund zeigte, welcher einer weiteren Abklärung bedurft hätte.
50Im Rahmen der Inaugenscheinnahme war es zunächst erforderlich, dass eine Zuordnung der Bilder zu der jeweiligen Brustseite erfolgte, da die Bilder keine entsprechende Beschriftung aufweisen. Eine solche Zuordnung konnte der Sachverständige PD Dr. Q anhand der Brustmuskellokalisation eindeutig vornehmen. Im Anschluss wurde der Kammer der Vorgang der Befundung von Röntgenbildern im Rahmen der Darstellung des Ablaufs des speziellen Screening-Programms erläutert.
51Danach ist es erforderlich, dass der Arzt sich zunächst einen Eindruck des Parenchymtyps, sprich der Dichte des Drüsengewebes, verschafft – wenn auch eine Niederlegung dieses Befundes nach den Richtlinien nicht gefordert ist. Hierzu steht eine Einteilung in ACR I bis IV zur Verfügung. Wenn kein Drüsengewebe vorhanden ist, dann ist die Stufe ACR I einschlägig, bei dichtem Drüsengewebe die Stufe ACR IV. In dieser Stufe erscheint der Nachweis eines Tumors schwieriger und ist regelmäßig erst ab einer Größe von 2 cm nachzuweisen. Nachdem der Arzt den Dichtetyp eingeschätzt hat, ist ein Vergleich der beiden Brüste erforderlich, ob eine Symmetrie vorliegt oder Unterschiede in der Dichte.
52Von den Beklagten wurde eine Einstufung der Dichte in die Stufe ACR II angenommen, während der Sachverständige PD Dr. Q von einer Einteilung in ACR III ausgeht. Diese Abweichung ist letztlich allerdings unerheblich, da der Sachverständige wie auch die Beklagten von einer gewissen Strukturverdichtung des Brustgewebes und somit von einer erschwerten Beurteilung der Bilder ausgegangen sind.
53Im Rahmen der weiteren Befundung erfolgt eine Einteilung nach BI-RADS von 1 bis 5. Unter 1 wird eine unauffällige Einschätzung verstanden, während der Befund bei 5 eindeutig bösartig ist. Stufe 3 ist danach gegeben, wenn die Verdichtung nicht eindeutig zu beurteilen ist oder weniger als 75 % der Ränder glatt sind. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass es nach den Ausführungen des Sachverständigen im Screening-Verfahren keine Einteilung in Stufe 3 gibt, so dass zwischen den Stufen 2 und 4 differenziert werden muss. Stufe 2 ist danach gutartig, während Stufe 4 abklärungsbedürftig ist.
54Die Kammer geht insoweit mit dem Sachverständigen Dr. Q davon aus, dass die BI-RADS Einteilung der Bilder durch die Beklagten zu 2) und 3) fehlerhaft erfolgt ist.
55Nach den Ausführungen des Sachverständigen zeigen die Mammographiebilder vom 11.09.2007 im Hinblick auf die linke Brust eine Transparenzdifferenz im oberen äußeren Quadranten links in Form einer BI-RADS 4 Läsion und somit einen abklärungsbedürftigen Befund. Es ist insoweit eine verdächtige Fläche links oben zu erkennen. Auch im Hinblick auf die rechte Brust war der Befund nach den Ausführungen des Sachverständigen kontrollbedürftig. Es sind in der Mitte der Brust zwei Befunde zu erkennen, die auffällig sind. Es sind maximal die Hälfte der Ränder zu erkennen.
56Eine wie von den Beklagten vorgenommene gutartige Befundung hält die Kammer mit dem Sachverständigen damit für fehlerhaft. Es hätte eine klinische Untersuchung erfolgen müssen. Es hätte auch überlegt werden können, ob Voraufnahmen beigezogen werden. Jedenfalls hätte im Bescheid an Frau T kein unauffälliger Befund vermerkt werden dürfen.
57Soweit der Sachverständige das Versäumnis der Beklagten in Form der Fehldiagnose zunächst im schriftlichen Gutachten als groben Behandlungsfehler gewertet hat, hat er sodann in der mündlichen Verhandlung vor dem Hintergrund des Vorliegens eines Intervallkarzinoms einen einfachen Behandlungsfehler bejaht. Denn in der kurativen Medizin ist die Intervallkarzinomrate deutlich niedriger, während sie beim Screening-Verfahren bei 25% liegt. Dieser Argumentation will sich die Kammer nicht verschließen und folgt den Ausführungen.
58Eine andere Einschätzung der Bilder ergibt sich auch nicht aus den weiteren zur Akte gereichten Gutachten der Sachverständigen Frau Dr. V sowie Frau Dr. O.
59Auch die Sachverständige Dr. V hat im Rahmen ihrer Begutachtung einen auffälligen propellerförmigen Herd von 1 cm Kantenlänge BI-RADS 4 b an der Grenze zwischen Drüsengewebe und Fettgewebe festgestellt und insoweit eine weitere Abklärung für nötig erachtet. Soweit sie die Auffälligkeit aber unten links lokalisiert hat, konnte von der Kammer nicht weiter aufgeklärt werden, ob die Ärztin einen auffälligen Befund tatsächliches an anderer Stelle gesehen hat, es sich dabei möglicherweise um einen Schreibfehler handelt oder eine Fehleinschätzung, weil die Bilder keine Seitenbeschriftung zeigen und auch die Kammer diese mit den Sachverständigen erst unter genauer Lokalisation des Brustmuskels bewerten konnte.
60Die Sachverständige Dr. O dagegen hat keine Eigenbewertung der Bilder vorgenommen, sondern verweist nur auf den Widerspruch, dass Frau Dr. V den abklärungsbedürftigen Befund an anderer Stelle gesehen hat als die später festgestellte Tumorlokalisation. Insoweit stehen auch ihre Angaben nicht im Widerspruch mit den Ausführungen des Sachverständigen PD Dr. Q.
61Die Kammer ist davon überzeugt, dass sich bei einer ordnungsgemäßen Bewertung weitere Maßnahmen hätten anschließen müssen.
62Die Kammer lastet den Beklagten insoweit eine Fehlinterpretation, das heißt ein Diagnosefehler an. Ein solcher ist nur in der Fehlinterpretation von erhobenen oder sonst vorliegenden Befunden zu sehen. Die Unterlassung einer weitergehenden Befunderhebung wäre dagegen als ein Behandlungsfehler zu werten (vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 6. Auflage, B I Rdnr. 55). Allerdings wird ein Diagnosefehler nicht dadurch zu einem Befunderhebungsfehler, dass bei objektiv zutreffender Diagnosestellung noch weitere Befunde zu erheben gewesen wären. Bei der von den Beklagten gestellten Diagnose wäre keine weitere Befunderhebung notwendig gewesen, so dass ein Befunderhebungsfehler nicht festgestellt werden kann.
63Auch kommt den Klägern keine Beweiserleichterung in Form der Umkehr der Beweislast hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Behandlungsfehler und geltend gemachten Gesundheitsschaden zugute. Bei einem Diagnosefehler kommt eine Umkehr der Beweislast nur dann in Betracht, wenn der Fehler als grob zu bewerten ist (vgl. BGH Urteil vom 13. Februar 1996 - VI ZR 402/94, BGHZ 132, 47 ff.). Ein Fehler bei der Interpretation der erhobenen Befunde stellt allerdings nur dann einen schweren Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst und damit einen groben Diagnosefehler dar, wenn es sich um einen fundamentalen Irrtum handelt. Wegen der bei Stellung einer Diagnose nicht seltenen Unsicherheit muss die Schwelle, von der ab ein Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen ist, der dann zu einer Belastung der Behandlungsseite mit dem Risiko der Unaufklärbarkeit des weiteren Ursachenverlaufs führen kann, hoch angesetzt werden (vgl. BGH Urteil vom 09. Jan. 2007 - VI ZR 59/06). Das Vorliegen eines solchen groben Behandlungsfehlers hat der Sachverständige im Rahmen der mündlichen Verhandlung verneint.
64Die Kammer sieht sich aufgrund der weiteren Ausführungen der Sachverständigen Dr. X nicht in der Lage mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Feststellung der haftungsbegründenden Kausalität hinsichtlich der körperlichen Beeinträchtigungen anzunehmen, wohl aber hinsichtlich eines Teils der psychischen Folgen.
65Die Kammer geht mit der Sachverständigen Dr. X aufgrund der Tumorlokalisation und fehlender anderer Differentialdiagnosen davon aus, dass sich die Diagnose Mammakarzinom bei zutreffender Diagnosestellung und der Durchführung weiterer Maßnahmen bereits im Jahr 2007 gezeigt hätte. So hat die Sachverständige im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die sich im Jahr 2007 gezeigten Veränderungen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den später gesicherten Tumors hingewiesen haben. Eher unwahrscheinlich erscheint die Annahme, dass es sich lediglich um reine Architekturstörungen gehandelt habe.
66Allerdings kann nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. X nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Tod der Frau T bei zutreffender vorzeitiger Diagnosestellung vermieden worden wäre oder die Krankheit zumindest einen günstigeren Verlauf genommen hätte. Vielmehr erscheint es äußerst unwahrscheinlich, dass sich an dem Krankheitsverlauf etwas geändert hätte, da bei Frau T ein Tumor mit einer sehr ungünstigen Prognose vorlag.
67Der bei Frau T nachträglich festgestellte Tumor wies das tumorbiologische Verhalten eines Östrogen - und HER2 negativen Mammakarzinoms mit positivem Lymphknotenbefall und sehr hohem Ki-Wert bei der Erstdiagnose auf.
68Die Sachverständige hat in diesem Zusammenhang im Rahmen des Termins zur mündlichen Verhandlung differenziert ausgeführt, dass der Tumor als Tripple negativ zu bewerten war. Das Karzinom war weder Hormon - noch antikörperempfindlich. Es hätte weder durch eine Östrogen-, Progesteron- noch eine HER2-Therapie beeinflusst werden können. Soweit der Tumor ursprünglich eine Progesteronempfindlichkeit gezeigt hat, konnte nachträglich anhand der Metastasen eine Progesteronempfindlichkeit nicht mehr festgestellt werden. Er hat in seinem Verlauf seine positive Eigenschaft verloren. Auch das Grading sprach für einen aggressiven Tumor und insbesondere für eine geringe Überlebensrate. Ursprünglich war eine Einstufung in G 2 erfolgt. Nachträglich wurde ein G 3 Status festgestellt. Schließlich besaß der Tumor eine hohe Teilungsrate. Diese wurde mit einem Ki-Wert von 67 bestimmt, während eine gute Teilungsrate bei einem Wert von 15 bestanden hätte.
69An diesen sich letztlich gezeigten Eigenschaften hätte auch eine frühere Intervention nichts geändert. Es ist davon auszugehen, dass diese Eigenschaften bereits 2007 vorgelegen haben. Die Eigenschaften eines Tumors bleiben im weiteren Verlauf in gleicher Weise bestehen. Insoweit war es für die Beurteilung durch die Sachverständige auch unerheblich, dass diese ohne Kenntnis der ursprünglichen Größe des Karzinoms und des Lymphknotenbefalls erfolgen musste, da diese Faktoren für die Bewertung nicht ausschlaggebend sind. Entscheidend ist jedenfalls bei Brusttumoren die Tumorbiologie des Karzinoms.
70Daraus folgend geht die Kammer mit der Sachverständigen Dr. X davon aus, dass die Primärbehandlungen vor dem Hintergrund der Tumorbiologie auch im Jahr 2007 die gleichen gewesen wären. Die Operation wäre notwendig gewesen, um den Tumor zu entfernen. Dass der Tumor in den folgenden Monaten gewachsen ist, hat sich auf den Operationsumfang und die Technik nicht ausgewirkt. Auch im Jahr 2007 hätte die Reduktionstechnik, die 2008 durchgeführt wurde, von Frau T unter ca. 20 bestehenden Operationstechniken gewählt werden können. Es konnte zudem 2008 brusterhaltend operiert werden. Aufgrund der brusterhaltenden Operation wäre auch bei früherer Operation die Bestrahlung erfolgt. Die Chemotherapie wiederum war notwendig aufgrund der Tumorbiologie, die auch einige Monate zuvor identisch gewesen wäre. Auch die antihormonelle Therapie wäre eingeleitet worden, da der Tumor zunächst Progesteron empfindlich schien, dieses aber tatsächlich nicht war. Die Nachsorge wäre in gleicher Weise erfolgt und hätte sich in ihrem zeitlichen Ablauf nicht geändert. Die Komplikation einer Mamillennekrose als Komplikation einer brusterhaltenden Operation mit den entsprechenden Folgebehandlungen im Jahr 2008 hätte sich 2007 gleichermaßen darstellen können und war nicht durch den Zeitverzug bedingt. Es hätten Frau T somit keine Behandlungen erspart werden können.
71Auch die bei Frau T aufgetretenen körperlichen Beschwerden wären identisch gewesen. Bei ihnen handelte es sich um Nebenwirkungen der adjuvanten Mammakarzinombehandlung, die auch bei früherer Intervention in gleicher Weise durchgeführt worden wäre.
72Auch die sich die im Oktober 2009 gezeigte Fernmetastasierung hätte sich bei früherer Diagnosestellung in gleicher Weise dargestellt. Gerade die frühe Metastasierung und das rasche Fortschreiten der metastasierten Erkrankung sind – so die Sachverständige - typisch für den bei Frau T festgestellten Tumortypus.
73Letztlich hätte sich auch der Todeseintritt der Frau T4 bei früherer Intervention nicht vermeiden lassen. Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass der Tumor im Jahr 2007 kleiner gewesen und noch kein Lymphknotenbefall eingetreten wäre, hätte sich aufgrund der Tumorbiologie des Karzinoms an dem weiteren Verlauf nichts geändert. Die hohe Teilungsrate des Tumors spielt für die Bestimmung der Überlebensrate eine entscheidende Rolle, sodass die Sachverständige Dr. X nur von einer 50%-igen Überlebenswahrscheinlichkeit in 2 Jahren ausgeht.
74Gleichwohl geht die Kammer davon aus, dass sich der Behandlungsfehler auf das psychische Befinden der Frau T ausgewirkt hat und insoweit ein Schmerzensgeld zuzusprechen war. Denn durch die Verletzungshandlung ausgelöste psychische Störungen von Krankheitswert sind eine Gesundheitsverletzung (vgl. BGH Urteil vom 27.01.2015 VI ZR 548/12). Hierfür reicht auch aus, dass die psychisch bedingte Gesundheitsschädigung hinreichend wahrscheinlich ohne die Verletzungshandlung nicht aufgetreten wäre. Gleiches muss nach Auffassung der Kammer gelten, wenn die psychische Störung nur mitverursacht worden ist.
75Frau T war sowohl durch die diagnostizierte Krebserkrankung als auch durch den Behandlungsfehler seelisch bis zu ihrem Tod schwer belastet und litt an Depressionen. So kam es am 01.05.2008 erstmalig zum psychischen Zusammenbruch. Im Folgenden fand ein Konsil mit Ärzten des K-Hospitals statt. Diagnostiziert wurde eine Depression. Es wurden Ramestan 20 mg, ein Beruhigungsmittel und Angstlöser, sowie Mirtazepin 15 mg, ein Antidepressivum, verschrieben. Die Medikamentenliste z.B. vom 10.01.2009 (Bl. 232 d.A.) belegt, dass die depressive Verstimmung fortbestand. Davon ist die Kammer auch überzeugt aufgrund der persönlichen Aufzeichnungen der Frau T zu ihrem eigenen gesundheitlichen Befinden. Diese beginnt mit dem 22.04.2008 und endet wenige Tage vor ihrem Tod am 24.12.2009. Die Herkunft dieser Liste wurde von den Beklagten nicht bestritten. Aus dieser Auflistung ergibt sich, dass Frau T dauerhaft unter Angstzuständen litt. Bereits ab dem 16.05.2008 wurde das Vorhandensein von Angststörungen, Alpträumen und Nachtschweiß vermerkt. Diese Zustände nahmen im Laufe der Zeit zu. So kam es z.B. am 04.06.2008 erneut zu einem emotionalen Zusammenbruch. Ab dem 18.06.2008 ist immer wieder das Vorhandensein von Depressionen niedergelegt, bis schließlich erkennbar in den letzten Monaten der Krankheitsphase die Eintragungen spärlicher werden und sich im Wesentlichen auf den Ablauf der Behandlung beschränken.
76Die Kammer verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass für die seelischen Beeinträchtigungen die Krebserkrankung als solche ebenfalls ursächlich war. Sie ist aber davon überzeugt, dass der Behandlungsfehler mitursächlich geworden ist und die psychischen Beeinträchtigungen erkennbar gesteigert hat. Denn wenn auch eine psychiatrische Untersuchung der Frau T zur Abgrenzung der Ursächlichkeiten aufgrund ihres frühen Todes nicht erfolgen konnte, so liegt die Mitursächlichkeit des Behandlungsfehlers auf der Hand. Ein Patient, der von seiner Krebserkrankung und dem sicheren Tod erfährt, hat an diesem Umstand seelisch schwer zu tragen. Umso mehr muss er aber mit dem Schicksal hadern, wenn er davon ausgeht, dass ein Behandlungsfehler dazu geführt hat, dass die Erkrankung einen ungünstigen Verlauf nimmt und er deshalb nicht geheilt werden kann.
77Dass Frau T ein ärztliches Fehlverhalten als Ursache ihres Leids angenommen hat, wird bereits dadurch bestätigt, dass sie sich schon im September 2008 an die hiesigen Prozessbevollmächtigten gewandt hat (vgl. Rechnung vom 12.08.2011 Bl. 308 d.A.). Diese meldeten unverzüglich Ansprüche gegen die Beklagten an und setzten diese im März bzw. Juni 2009 in Verzug. Im Mai 2009 lag die Begutachtung durch Frau Dr. V vor, die einer der Haftpflichtversicherer intern in Auftrag gegeben hatte. Der Klägerin wurde daraufhin mitgeteilt, dass ein verdächtigter Herd von der Sachverständigen gesehen worden sei, dass aber noch nicht gesichert sei, ob der entfernte Tumor aus dem verdächtigten Herd stammte. Die von den Klägerin aufgeführte Korrespondenz mit dem Haftpflichtversicherer zeigt, dass sich Frau T daraufhin um eine weitere Begutachtung bemüht hat, zumal ihr Radiologe Dr. L2 mit Schreiben vom 28.05.2009 (Anlage K 30, Bl. 285 d.A.) bestätigte, dass er von einer identischen Lokalisation ausging. Frau T war von einem Behandlungsfehler der Beklagten überzeugt und hatte Recht. Dass sie so früh verstorben ist, dass sie am Ende des Rechtsstreits nicht mehr erfahren konnte, dass der Tumor bei ihr so schnell wachsend war, dass ihr ihr Schicksal nicht erspart geblieben wäre, entlastet die Beklagen nicht. Die Schädigung in Form einer zeitweisen zusätzlichen seelischen Gesundheitsschädigung war bereits eingetreten.
78Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat die Kammer neben der Tatsache, dass sich bereits aufgrund der Grunderkrankung ein psychisch bedingtes Leid eingestellt hat, berücksichtigt, dass Frau T aus der verspäteten Diagnosestellung auch Vorteile gezogen hat. So konnte sie infolge der Unwissenheit der Krankheit noch 7 unbelastete Monate verleben. Das ausgeurteilte Schmerzensgeld in Höhe von 2.500,00 € erscheint der Kammer daher angemessen.
79Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB und berücksichtigt, dass die Beklagten zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Verzug gesetzt wurden.
80Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten standen den Klägern nach § 280 Abs. 1, 249 BGB in dem im Tenor ersichtlichen Umfang zu. Diese wurden auf die Höhe des ausgeurteilten Schmerzensgeldes als Gegenstandswert reduziert. Zinsen waren insoweit nach § 291 BGB zuzusprechen.
81Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 Satz 2 ZPO.
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(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.
(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.
Der Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden. Die Vorschrift des § 276 Abs. 3 findet keine Anwendung.
(1) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden.
(2) Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden.
(1) Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug. Der Mahnung stehen die Erhebung der Klage auf die Leistung sowie die Zustellung eines Mahnbescheids im Mahnverfahren gleich.
(2) Der Mahnung bedarf es nicht, wenn
- 1.
für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist, - 2.
der Leistung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt, - 3.
der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert, - 4.
aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt ist.
(3) Der Schuldner einer Entgeltforderung kommt spätestens in Verzug, wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet; dies gilt gegenüber einem Schuldner, der Verbraucher ist, nur, wenn auf diese Folgen in der Rechnung oder Zahlungsaufstellung besonders hingewiesen worden ist. Wenn der Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung oder Zahlungsaufstellung unsicher ist, kommt der Schuldner, der nicht Verbraucher ist, spätestens 30 Tage nach Fälligkeit und Empfang der Gegenleistung in Verzug.
(4) Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat.
(5) Für eine von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Vereinbarung über den Eintritt des Verzugs gilt § 271a Absatz 1 bis 5 entsprechend.
(1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.
(2) Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.
(3) Der Gläubiger kann aus einem anderen Rechtsgrund höhere Zinsen verlangen.
(4) Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.
(5) Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners, wenn dieser kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Entgeltforderung um eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung handelt. Die Pauschale nach Satz 1 ist auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist.
(6) Eine im Voraus getroffene Vereinbarung, die den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf Verzugszinsen ausschließt, ist unwirksam. Gleiches gilt für eine Vereinbarung, die diesen Anspruch beschränkt oder den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf die Pauschale nach Absatz 5 oder auf Ersatz des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ausschließt oder beschränkt, wenn sie im Hinblick auf die Belange des Gläubigers grob unbillig ist. Eine Vereinbarung über den Ausschluss der Pauschale nach Absatz 5 oder des Ersatzes des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ist im Zweifel als grob unbillig anzusehen. Die Sätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn sich der Anspruch gegen einen Verbraucher richtet.
(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.
(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.
Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 und des § 289 Satz 1 finden entsprechende Anwendung.
(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.
(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn
- 1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder - 2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.